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Interview mit Bettina Masuch
Bettina Masuch, die Künstlerische Leiterin des Festspielhaus St. Pölten ab der Spielzeit 2022/23 im Gespräch mit Ingeborg Tichy-Luger Die Umarmung der Künste
Liebe Frau Masuch, herzliche Gratulation zur Übernahme der Künstlerischen Leitung des Festspielhaus St. Pölten als Präsentationsort für Tanz und international wichtiger Koproduktionspartner für die zeitgenössische Tanz- und Ballettszene.
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In Ihrem Begrüßungs-Statement sagten Sie, Sie sähen Ihre neue Aufgabe gleichermaßen als Herausforderung und Herzensangelegenheit, wollen Nähe zulassen und das Festspielhaus als realen Ort der Begegnung positionieren – sowohl im Leben als auch auf der Bühne. Passend dazu haben Sie die Umarmung als Motto und prägendes Motiv des neuen Corporate Design gewählt. Es gab für diese thematische konzeptuelle Entscheidung zwei sehr starke Einflüsse:
Der eine war, dass mein erstes Programm in der Zeit der Pandemie entstanden ist. Ich bin in eine Stadt gekommen, die leer war, weil sie sich im Lockdown befunden hat, in ein Festspielhaus, in dem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Home-Office gearbeitet und wir einander das erste Mal über Zoom kennengelernt haben. Während meiner Programmplanung konnte ich keine Vorstellungen oder Konzerte sehen oder hören – und es stellte sich mir eine Frage, die mich natürlich sehr bewegt hat: Wie kommen wir wieder zusammen, wenn wir aus dieser Pandemie herauskommen? Werden wir einfach den Schalter umlegen, auf einander zustürzen und diese letzten zweieinhalb Jahre vergessen – oder werden wir uns mit einer gewissen Distanz und Vorsicht auf einander zubewegen?
Der zweite Einfluss war, dass das Festspielhaus sehr schön, aber natürlich auch eine Herausforderung ist, weil es ein großes, prächtiges Haus ist. Es strahlt den Wunsch nach Exzellenz aus, der viele Menschen einbezieht, sich aber vielleicht andere nicht gemeint fühlen. Ich glaube, die Herausforderung wird in der Zukunft sein, auch auf diese Menschen zuzugehen und sie zum Teil unseres Publikums zu machen.
Sie sagten, sie verständen das Festspielhaus als Ort zwischen Tradition und Gegenwart, wollen die Kunst am Puls der Zeit mit der Pflege des Erbes verbinden und zu den Wurzeln schauen, sowie die Kunstformen Tanz und Musik künstlerisch miteinander verbinden. Ich glaube, dass es ein großes Alleinstellungsmerkmal des Hauses ist, dass durch die Residenz des Tonkünstler-Orchesters das klassische Erbe in der Musik sehr präsent ist.
Im Tanz gibt es dieses Erbe auch – nicht nur im klassischen Tanz, wo es uns über die großen Märchenballette sehr präsent ist, sondern auch im zeitgenössischen Tanz gibt es mittlerweile eine Tradition, ein kulturelles Erbe, einen Kanon, auf den sich sehr viele Choreographinnen und Choreographen beziehen. Und ich finde es besonders in dieser sehr flüchtigen Kunstform, dem Tanz, interessant, immer wieder Bezüge herzustellen, weil ich glaube, dass es spannend ist, diese frühen Werke nochmals zu sehen. Das ist ja, als würde man Klassiker nochmals lesen und neu sehen. Es gibt bestimmte Werke, die man als Signature Pieces von Choreographinnen und Choreographen bezeichnet, die deren Weltruhm begründet haben, und ich finde, dass alle, die sich mit Tanz auseinandersetzen, diese einmal gesehen haben sollten. Da habe ich einen kleinen missionarischen Punkt in mir, weil ich diese Werke großartig finde und ab und zu zeigen muss. Es ist zwar schwer, das zu ermöglichen, weil es auch für Choreographinnen und Choreographen schwierig ist, diese Stücke im Repertoire zu halten, aber da können Häuser, wie das Festspielhaus, als positiver Verstärker fungieren.
Sie haben eine große Leidenschaft für Tanz – und in Ihrer Jugend auch Ballettunterricht erhalten. Als ich Ballett gelernt habe, war ich noch sehr klein. Aber dann, mit 13, als ich Pina Bauschs Arbeit das erste Mal gesehen habe, war das ein Augenöffner für mich, aber auch ein Schock. Ich habe sie zuerst überhaupt nicht verstanden, weil ich bis dahin eher die narrativen Ballette gewohnt war – meine Eltern sind große Operettenfans, das war damals mein Horizont. Bauschs Stück ist mir als eine Art Auseinandersetzung mit Mann, Frau und Geschlechterkonflikten sehr in Erinnerung. Das war in einer Zeit, als sie noch nicht die Grande Dame des Deutschen Tanztheaters war, sondern eine junge Choreographin, die auch sehr angefeindet wurde. Ihr Stück hat mich wirklich verstört, aber ich bin am nächsten Tag nochmals hingegangen. Ich komme aus Solingen, das liegt neben Wuppertal, und ich habe in meiner Schulzeit alles von ihr gesehen. Das war meine Tür in die zeitgenössische Tanzkunst, um zu verstehen, dass diese wirklich etwas mit dem eigenen Leben zu tun haben kann. Ich habe an der Auseinandersetzung mit Pina Bauschs Werk Tanz sehen gelernt.
In der Programmvorschau 2022/2023 des Festspielhaus St. Pölten kündigen Sie ein markantes, kontroverses, originelles, spartenübergreifendes und gelegentlich gewagtes Programm mit internationalem Angebot und internationale Kooperationen an. Das hat natürlich auch mit der Zeit der Pandemie zu tun, dass ich oft in diesem leeren Haus und im leeren Zuschauerraum war und mich immer wieder gefragt habe: Wer ist denn eigentlich das Publikum, das hierherkommt? Wer sind die Menschen, was haben sie gesehen, was erwarten sie, was mögen sie, was hassen sie? Schon allein wegen der Größe dieses Hauses ist es klar, dass das Angebot, das wir machen, viele Menschen ansprechen muss. Ich glaube, dass es in unserer heutigen Zeit eine Herausforderung ist, dass man wieder eine gemeinsame Mitte findet, weil wir derzeit gewohnt sind, uns in unserer eigenen Nische aufzuhalten. Man hat keine Übung mehr, sich mit Andersdenkenden, -sprechenden, -fühlenden auseinanderzusetzen. Die Aufgabe ist es, ein Programm zu gestalten, bei dem vielleicht manchmal ein paar unserer Gäste denken: Aha, warum hat sie den jetzt eingeladen? – aber ich hoffe auch, dass sie darin etwas finden werden, womit es für sie wert ist sich auseinanderzusetzen und einen Abend zu verbringen.