Fatale - Band 4: Betet für Regen

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Als sie mich endlich zum Ge­ richt bringen, scheint es, als hätte ich völlig vergessen, wie die Welt da draußen aussieht.

Prolog

Alles fühlt sich fremd an … und falsch.

Die Wachen halten mich natürlich für verrückt … und das mit gutem Grund.

Seit das Buch in meinem Besitz ist, bin ich wie besessen davon.

So als würden die Häuser und Felder verschwinden, sobald wir vorbei­ gefahren sind.

Ich frage mich, ob das normal ist, wenn man fast ein Jahr lang eingesperrt war …

Allerdings fühlt sich mein ganzes Leben unwirklich an, seit ich ihr begegnet bin. Vielleicht wird mir das jetzt erst richtig bewusst.


Dass Dominics verlorenes Manuskript in den Bestsellerlisten ganz oben stand, fühlte sich an wie der letzte Stich eines Messers, das nicht aufhören wollte, mich zu erdolchen …

Dies war nicht dasselbe Buch. Jedenfalls nicht ganz genau …

Der Titel und die Geschichte waren zwar gleich … dennoch fehlten einige Teile.

Doch nach ein paar Tagen, als meine Hysterie langsam nachließ, fiel mir etwas auf …

Manchmal eine ganze Seite, manchmal auch nur ein, zwei Sätze.

Was zur Hölle …?

Niemandem sonst wäre das aufgefallen.

Warum hatte also jemand diese Teile gestrichen?

War es aus demselben Grund, aus dem Onkel Dominic diesen Roman nie veröffentlicht hatte?

Doch ich hatte das Manuskript so oft gelesen, dass ich es nicht übersehen konnte.


Ich verbrachte Tage damit, die fehlenden Abschnitte zu rekonstruieren …

Sie schien stets zum Greifen nahe … Und doch konnte ich sie nicht erfassen.

Ich vergaß zu essen und zu schlafen …

Irgendwo zwischen den Zeilen stand die Erklärung für alles, was mit mir geschehen war …

… und hatte ständig das Gefühl, kurz vor der erlösenden Antwort zu sein …

… und der Schlüssel zu ihr … zu Josephine.

Sie hatte mir nichts außer Verzweiflung und Zerstörung gebracht …

… doch das musste einen Grund haben.


Sie … Sie wollen, dass ich ein Geständnis ablege?

Es musste einfach …

Mr. Lash? Können Sie mir folgen?

Und Sie behaupten, sie habe das Buch Ihres Onkels ver‑ kauft …

… doch der Verleger meint, er habe das Manuskript von Ihnen bekommen.

Sie sehen’s ja!

Ja, sorry. Tut mir leid.

Das ist eine Lüge.

Hören Sie, Die Frau hat Sie ausge­ Sie haben raubt … der Polizei ein Motiv gegeben.

Ich hätte das Buch doch niemals einem Kleinverlag angeboten, den kein Mensch kennt.

Trotzdem ist Ihr Fall …

Also, Nick … Ich darf doch Nick sagen?

Oh, sorry, wusst nich’, dass hier wer drin is’.

Eigentlich …


Hey! Nein!

Urgh!

Das is Ihr Ticket …

Wer sind Sie?

Ich bin Nelson.

Was zum …

Sie schickt mich.

Alter … Warum ha‑ ben Sie das getan?

Jo…?

Kann keine Zeugen gebrauchen.

Also, woll’n Se nun hier raus oder nich’?

Was wär’n das für’n Flucht‑ plan?

Die Luft hier wird nich mehr lange rein sein.


Es ist überraschend einfach, am helllichten Tag aus dem Amts­ gericht einer Kleinstadt zu fliehen.

Wir fahren mit dem Aufzug in den Keller …

Hier geht’s lang, Kum‑ pel!

Dort klettern wir durch ein Fenster in den Hinterhof …

Dreißig Sekunden später fahren wir gemütlich über die Hauptstraße.

Bleib’n Se bloss ausser Sicht!

Einen kurzen Moment fühle ich mich wieder frei, bevor mir bewusst wird, dass man mir jetzt zwei Morde anhängen wird …

… und ich mir sicher bin, dass es tatsächlich Jo war, die mir den Kerl geschickt hat …


Weisst du, Nelson …

Denn egal wie schlimm mein Leben auch sein mag, sie kann es immer noch schlimmer machen …

… jede Chance, meinen Namen reinzuwa‑ schen, ist gerade den Bach runter‑ gegangen.

Glaub mir, du warst so oder so am Arsch …

Haste nich’ gehört, was dein Anwalt gesagt hat?

Deinen Namen rein‑ waschen?

Ja, klar …

Du meinst den, den du direkt vor meiner Nase ermordet hast?

Du klingst echt wie einer, der noch nie was mit’m Gesetz hatte.

Ja, tut mir echt leid. War sicher ’n anständiger Kerl.


Du bist also ein Freund von Josephine, ja?

So was in der Art. Ich weiss nich’, ob se wirklich Freunde hat.

Aber ich kenn se seit zwanzig Jahren.

Auch wenn se sich anfangs anders nannte.

Klar hamwer den.

Äh … Haben wir einen Plan?!

Und so beginnt mein Leben auf der Flucht …

Komm, is’n ganz schönes Stück bis zum Boot!

… auf einem steinigen Pfad zum Fluss, einem Irren hinterher.

Die Fliege machen, bevor das FBI hier is’ …


Seattle, 1995.

Irgendwie lief immer was schief.

Kapitel eins

Lance hatte das vor langer Zeit auf die harte Tour lernen müssen …

Dies erwies sich als perfektes Training für den Banküberfall.

… als die Band auf ihrer ersten Tournee an der Westküste war.

Sehr gut, immer schön ruhig bleiben, Terry.

Es ist fast vorbei.

Man musste halt mit den Problemchen und kleinen Katastrophen klarkommen, sonst überlebte man nicht.


Leg dich mit dem Gesicht nach unten hin, Süsse!

Genau wie all die Jahre auf der Bühne.

Er wurde nicht mehr nervös, egal was er auch tat.

… nahm Lance es einfach hin.

Sorry für den kleinen Schrecken am Morgen, Leute.

Und als der gestohlene Flucht‑ wagen nicht mehr an‑ springen wollte …

Und lös bitte nicht gleich den Alarm aus!

Komm schon, verdammt!


Vielleicht war es ja sogar von Vorteil …

Trotzdem … Nächstes Mal brauchte er einen Fahrer.

Nächstes Mal? Wirklich?

War er sich schon so sicher, dass es ein nächstes Mal geben würde?

Die Bullen würden sich sicher nicht für einen Idioten interes‑ sieren, der die halbe Meile bis zu seinem anderen Wagen lief …

Er war zu sehr aus der Form für diesen Scheiss.


Das sollte doch nur eine Zwischen­ station sein …

Doch auf keinen Fall wollte er zurück an die Tanke.

Er war ein berühmter Rockstar.

… um sie durchzu­‑ bringen, bis das neue Video rauskam.

Kein zweites Standbein.

Diese Welt hatte er hinter sich gelassen.

Was man eben so „berühmt” nannte.

Was zur Hölle …


Hey!

Hey, Lady!

Was tun Sie hier draussen?

Was … haben Sie …?

… Oh …

Alles okay?

Scheisse! Moment …


Shit!

Das kann nicht wahr sein. Nicht jetzt.

Er kann ihr nicht helfen. Was tut sie hier?

Diese Frau braucht dringend einen Krankenwagen ‌

Scheisse, jemand kĂśnnte hinter ihr her sein.

Und er ist auf der Flucht.

Warum hat er bloss angehalten?


Bist du irre, Lance?

Du hättest sie in die Not­ aufnahme fahren sollen.

Was hätte ich tun sollen? Sie einfach da liegen lassen?

Sie braucht einen ech­ ten Arzt, Mann.

Du bist doch einer.

Ja, in fünf Jahren, falls alles gut geht.

Nicht sie entfüh‑ ren.

Alter!

Was? Vermutlich hat sie eine massive Hirn‑ blutung oder …

Das ist keine Ent‑ führung.

Da ist gar keine Wunde.

Halt einfach die Klappe und bring sie in Ordnung, Skip!

Ich dachte, sie wäre unter ihren Haaren, aber …


Sie scheint überhaupt keine Verletzungen zu haben … Seltsam …

Was hast du dir dabei gedacht, sie herzu­ bringen?

Also ist alles in Ordnung mit ihr?

Sie ist nackt und mit fremdem Blut besudelt über eine Land‑ strasse ge‑ wandelt …

Keine Ahnung, Skip, ehrlich. Ich hatte bloss …

Wenn ich aus der Uni zurückkomme und sie noch hier ist, ruf ich die Cops. Kapiert?

… den Drang, ihr zu helfen.

Okay, okay …

Ob mit ihr alles in Ordnung ist?

Fragst du das im Ernst?

Das ist alles gequirlte Scheisse, Mann!

Entspann dich, Mann!

Ich weiss …


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