5 minute read

EINE NEUE STRUKTUR

Next Article
2 WELTEN 1 SEE

2 WELTEN 1 SEE

A u s u f e r u n g e n

A u s u f e r u n g e n

Advertisement

Eine neue struktur

In Jois wird gerade die vierte Inselwelt fertiggestellt. In Neusiedl wurde die Baulücke zwischen den ersten Siedlungen im Schilfgürtel und der ehemaligen Bestandsstadt gefüllt und ergibt nun einen zusammenhängenden Siedlungsraum. Weiden hat sein Feriendorf auf das Doppelte der ursprünglichen Größe vergrößert. Die siedlungstechnischen Entwicklungen im Schilfgürtel haben sich in den letzten Jahrzehnten wie ein Lauffeuer verbreitet. Wurde in einem Ort ein neues Projekt verwirklicht, haben sich die umliegenden Ortschaften dies als Argument genommen, etwas gleichwertiges zu realisieren. Diese Art der räumlichen Entwicklung weist am See bereits traditionellen Charakter auf. So haben sich mit der Zeit auch die südlicheren Ortschaften dem Konkurrenzkampf angeschlossen und Stück für Stück ihren Seezugang als wirtschaftliche Einnahmequelle domestiziert.

Entwicklungsgeschichte

Der Nutzungsdruck auf die einzelnen Seezugänge wurde über die Jahre, durch die fortschreitende Entwicklung derer, immer größer. Allerdings war man lange Zeit naturräumlich auf den historischen Ausbau der Zugänglichkeiten beschränkt und neue Flächen sollten nicht gewidmet, aufgeschüttet oder erschlossen werden. So war die Aufschüttung von neuen Flächen explizit nicht erlaubt (vgl. Landesentwicklungsprogramm Burgenland 2011, 2012). In diesem Sinne konnte bemerkt werden, dass in den 2010er bis Anfang 2020er Jahren durchaus Anstrengungen unternommen wurden, welche einen weiteren Ausbau verhindern sollten. Eine steigende Nachfrage dieser standortspezifisch günstigen Flächen mit Zugang zum See führte allerdings durch die räumliche Konzentrierung des Nutzungsdruckes auch zu einer Verdichtung an Investitionen in diesem Bereich. Gemein-

den im Norden der Seeregion, wie Neusiedl und Weiden, verfügten hier dank großzügiger Widmungen im vorigen Jahrtausend über mehr Flächenpotenzial als andere Gemeinden (vgl. Anhang 1, S.92). Der gleichzeitige Einfluss der Metropolregion “Centrope” und die infrastrukturell bessere Erschließung haben diesen beiden Gemeinden eine bessere Lagegunst gebracht, wodurch speziell Neusiedl oft mit zuvor unbekannten Projekten die Richtung für die Entwicklung des Schilfgürtels festlegte. Der Konkurrenzkampf zwischen den Gemeinden führte so im Laufe der Zeit zu einer Kopie der Entwicklungen in Neusiedl, und trieb den strukturellen Ausbau des Naturraumes an. So wurden die, durch alte Widmungen verfügbaren Flächen, schnell entwickelt und alle bestehenden Potenziale ausgeschöpft. Im Zuge dessen wurden alte Seebäder aus den 1980er Jahren als Möglichkeit einer generellen Überholung des gesamten Seezugangs gesehen. Über in die Jahre gekommene Einrichtungen wurde versucht Zugang und Legitimation für einen Ausbau dieser, oft alter Seebäder oder Hotelanlagen, zu bekommen. Immer mit dem ökonomischen Interesse im Hintergrund. Doch auch diese Ressourcen wurden in der Mitte der 2020er Jahre auf österreichischer Seite ausgeschöpft. Gleichzeitig entstand parallel auf ungarischer Seite des Neusiedler Sees ein Projekt, welches entwicklungstechnisch am See ein neues Zeitalter einleitete. Die Ära der “Megapojekte”. Zwar waren Vorhaben, welche als Megaprojekt klassifiziert werden könnten, in der Geschichte der Landschaftsveränderung am Neusiedler See keine Neuigkeit. Jedoch stellte der Ausbau des Seezuganges in Fertorákos durch sein Ausmaß erstmals eine Konkurrenz zu den österreichischen Anlagen dar. Speziell der Tourismus fürchtete sich vor sinkenden Nächtigungszahlen. Hier markieren die 2020er Jahre einen wichtigen Wendepunkt in der strukturellen Entwicklung des Schilfgürtels. Durch politisches Interesse gestärkt, wurden aufgrund eines immer stärker werdenden Expansionsdrangs und als existenziell wahrgenommenen Bedrohungen aus dem Süden erstmals wieder neue Widmungen im

Schilf ermöglicht. Gleichzeitig wurden sämtliche Einschränkungen der Bautätigkeiten, wie verbotene Aufschüttungen, wieder fallen gelassen. Im Großen und Ganzen ging es um die Sicherung des touristischen und wirtschaftlichen Standbeins. Etwaiger Druck der Immobilienwirtschaft wird heute noch als ergänzender Auslöser dieser neuen Herangehensweise gesehen. Denn, das durch die vergangenen strukturellen Verwirklichungen, in seereichweite manifestierte Interesse, schwund nicht, sondern stieg mit immer heißer werdenden Sommern und der erfolgreichen Etablierung der Projekte weiter an. So rüsteten danach die österreichischen Gemeinden, dem ungarischen Beispiel folgend, ihre Seezugänge weiter auf. Allerdings eben das erste Mal in der Geschichte ohne flächenbezogene Einschränkungen. Dementsprechend verstärkte sich die siedlungstechnische Aneignung des Schilfgürtels um die 2030er Jahre immer mehr. Vorwiegend hochpreisige Apartmentanlagen und touristisch geprägte Anlagen, welche ihren Ursprung in den 2020er Jahren fanden, wurden errichtet. Der Neusiedler See entwickelte sich immer mehr zu einer vom Tourismus dominierten Region, wie es zuvor lediglich von alpinen Regionen bekannt war. Die unzähligen Schutzzonen, welche über dem Seegelände noch immer liegen, konnten und können diesen Entwicklungstrend nicht verhindern. In den letzten 10 Jahren bis heute im Jahre 2040 hat sich der See zu einer der führenden Tourismus-Metropolen in Österreich entwickelt. Zudem wird der Naturraum immer “erlebbarer” für seine Besucher*innen. Die, durch die Größe und Weitläufigkeit, guten Voraussetzungen für den Bootsbetrieb haben die Freizeitmöglichkeiten weiter in den See getrieben. So sind Bars und Restaurants auf kleinen Inseln im See entstanden, die lediglich per Boot erreichbar sind. Kajaktouren durch die fragmentierten Schilfbestände mit der Hoffnung auf die Sichtung von den letzten hier gebliebenen Vogelarten erfreuen sich großer Beliebtheit. Doch noch immer ist die Natur ein wichtiger Bestandteil der regionalen Identität, welche vom Tourismusmarketing beworben wird. Aller-

dings, eine tatsächlich eintretende Entfremdung dieser spiegelt die schizophrene Philosophie einer wirtschaftlichen Verdrängung von Naturraum bei gleichzeitiger Bewerbung, sehr gut wieder.

Eine Geschichte von Investitionen

In Zeiten, wo Wien bald mediterranes Klima angenommen hat (vgl. Bastin, 2019), suchen immer mehr Städter im Sommer die Flucht an den See. Die vielen Apartmentanlagen am See wurden bereits vor Fertigstellung alle, mit vorausgehenden langen Warteschlangen, verkauft. Die Verantwortlichen der Liegenschaftsvergabe leben selbst in den Apartmentanlagen und können laut Gerüchten auch mehrere Einheiten davon ihr Eigen nennen. Ein Teil dessen wird wieder an Untermieter vergeben. Ein Blick in das System der Immobilienentwickler ist schwer zu erlangen, da sie in der Region durch die entstandene Nachfrage sehr einflussreich geworden sind. Aber nicht nur der private Immobilienmarkt ist höchst mobil und ein wesentlicher Bestandteil der regionalen Wirtschaft. Auch der Tourismus ist seit der fehlgeschlagenen Reactive Mission der UNESCO rasant gestiegen und entwickelte sich zum aktuell wichtigsten wirtschaftlichen Standbein für die Seeregion. Die Hotels sind ausgebucht und können mit ihrer Lage direkt am und teilweise bereits im See bei den Touristen punkten. Der Tourismus, welcher hier stark im Zusammenschluss mit dem Nationalpark Komitee arbeitet, konnte seine Urlaubssaison fast ganzjährig ausweiten.

EIne Geschichte von Zuführungen

Durch etliche Wasserzuführungen über die letzten Jahre wurde der Wasserspiegel aus der Not heraus immer wieder stabilisiert. Die nächste Zufuhr aus der Donau soll scheinbar bereits in Planung sein. Zwar gab es immer wieder Diskussionen und Proteste verschie-

This article is from: