W W W. S C H L U C K- M A G A Z I N . D E
WERMUT GEGEN SCHWERMUT (weil man sich Kopfweh gรถnnt)
HELDEN DER WEINBERGE (weil Clark Kent Pause hat) (weil man den ersten wirft)
DER STEIN IM WEIN (weil man nie dazulernt)
BESOFFEN LIEBE MACHEN
T + F — Manfred Klimek
Der Stolz der Nation
FRANKREICH hält sich für die größte Weinnation der Welt.
Und Frankreich ist die größte
Weinnation der Welt. Doch unter
der Decke des Tradierten wachsen die Selbstzweifel. Vier Besuche im Eigentlichen.
Frühjahr 2013. Das Languedoc will einen Tignanello. Was man in der Toskana kann, so denkt man hier seit geraumer Zeit, das kann man sicher auch in Südfrankreich. Die Vertreter der Region haben zwar ein paar neue, bekannte, avantgardistische Winzer aufzuzählen; weltbekannt sind diese jedoch vor allem in Frankreich. Also braucht es einen Signaturwein. Und eine Expertengruppe, die sich – unfassbar – nicht nur aus Franzosen zusammensetzt. Also hingefahren. TGV, Montpellier. Abgeholt, herumgekarrt.
Drei Tage und manchmal auch Abende in den Weingärten und Kellern der Region verbracht. Und immer die gleichen zwei Welten gesehen, die letztlich eine Welt sind. Also viele Pestizide. Oder gar keine Pestizide. Behütete Weingärten. Oder solche ohne einen Schnitt. Keller im Zustand von vor 50 Jahren. Oder Keller im Zustand von vor 30 Jahren. Einmal, bei einem Weingut mit über 700 000 Flaschen Jahresproduktion, gab es einen Keller im Keller, einen
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neuen Keller, einen renovierten Keller – ca. 200 Quadratmeter groß. Dort stand ein Barriquefass einer renommierten Tonnellerie. Es stand auf einem Podest in der Mitte des renovierten Teils. Und war beleuchtet. Von einem Spot. Ein sakraler Moment.
Doch die Kostproben aus dem alten Keller, wo der größte Teil der Weine lagerte, hatten allesamt leichte bis deutliche Fehltöne. Ein bisschen Brettanomyces – ein Pilz, der manchen Weintrinkern ja durchaus zu schmecken vermag – und auch ein bisschen andere Fehler. Ein bisschen viel andere Fehler. So viele, dass man quasi gezwungen war, nachzufragen. Die Antwort: Das ist unser Terroir, das macht unsere Weine aus. Aus dem südfranzösischen Tignanello ist dann nichts geworden. Zumindest habe ich nichts mehr gehört. Und auch keinen solchen Wein im Regal entdecken können. Viel gehört habe ich in diesen drei Tagen im Frühjahr 2013 aber über die Tradition des französischen Weinbaus. Und dass Frankreich eben ist, wie es ist. Und dass
Frankreich bleiben will, wie es ist. Und dass Frankreich ist, was es ist: die Mutternation des Weins. Und zwar aller Weine. Vom einfachen Landwein bis hin zu den besten und teuersten Weinen der Welt. Und ja, das ist wahr. Aber eben nur eine Sicht auf den französischen Wein – vor allem die Sicht der französischen Winzer, Weinmacher und Weinbauverbände. Es ist eine Sicht, die immer Hoffnung macht, die das drohende Neue, das man bearbeiten und inhalieren muss, zu einer verkraftbaren Störung reduziert. Es ist ein Blick, der durch Scheuklappen eingeengt wird. Aber es ist ein Blick nach vorne. Auch wenn man nicht weiß, wo die Straße hinführt. Regionenwechsel, Szenenwechsel. Herbst 2015. Auf Château Figeac. Gast im Haupthaus. Ein wunderbares altes Gästezimmer, bunte Stofftapeten, leichtfüßige Holzmöbel, alte Amaturen im Bad, schwere, knarrende Holztüren. Gebohnerte Holzböden. Kein Flachbildschirm. Und kein WiFi. Hier ist das Bordelais, wie man es sich erträumt. Rechtes Ufer, St.-Émilion. Etwas hügeliger
als drüben am linken Ufer, wo es zwar fad ist, jedoch ein paar mehr berühmte Namen ihre Châteaus stehen haben – die meisten längst nicht mehr im Familienbesitz, wie hier auf Figeac. Nach dem Mittagessen gibt es eine kleine Verkostung der jüngeren Jahrgänge. Währenddessen lässt Madame ihren Sommelier in den Keller gehen und nachsehen, ob da nicht noch ein paar alte Weine sind, die man öffnen könnte. Um den Gästen einmal mehr zu zeigen, wie langlebig die Weine von Figeac sind. Und wie immer bei einer solchen Gelegenheit, werden neben einem oder zwei guten bis exzellenten Jahrgängen (1982 & 1989) auch Weine aus etwas schwächeren Jahren aus dem Dunkel geholt. Denn Figeac hat den Ruf, wie etwa auch Château Palmer, ein Weingut zu sein, das auch in mediokren Jahren immer eine besondere Qualität in die Flaschen bringt. Das beweisen der 1966er und der 1971er, die da jetzt am Tisch stehen. Da ist er noch, der alte Bordeaux-Stil; da sind sie, die leichten (12,5% Alkohol) und duftigen Weine, die jedoch über genügend Rückgrat verfügen, eine halbe Ewigkeit genießbar und vergnüglich zu bleiben. Diesem Stil ist man bei Figeac bis heute treu geblieben, wiewohl das neue Klima freilich den Alkoholgehalt der Weine erhöht hat. Viele der großen Bordeauxgüter haben sich lange gegen die Attacken des Bewertungs-Gurus Robert Parker gewehrt. Dieser hatte in den Achtzigerjahren massiv gegen die „fehlerhaften und überteuerten Clarets“ angeschrieben und „seinen“ fran-
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zösischen Wein an der Rhône gefunden. Nach einem Jahrzehnt Widerstand, das von den guten Weinjahren 1989 und 1990 noch etwas verlängert wurde, übernahm man bei den großen und angesagten Châteaux der Bordelais aber größtenteils den kräftig-fruchtigen Weinstil, den Parker damals als ausnahmslos predigte. Man ging auf Parker ein, nicht aber, ohne den Weinen ihren französischen Flair zu lassen. Am Eindrücklichsten belegen das die Weine des Château Cos d’Estournel, die den Wandel im Bordeaux wie ein Musterbeispiel dokumentieren. Von Figeac weiter zum edelsten Reitpferd im Stall des rechten Ufers, zu Château Petrus, einem Wein, der vor zwanzig Jahren auch noch für die gehobene Mittelschicht leistbar war, nun aber ausschließlich altes Geld oder die neue Hochfinanz beglückt. Und Chinesen, die ihn als Geschenk kreisen lassen, ihn aber so gut wie nie trinken. Bei Petrus ist seit 2015 vieles neu – vor allem der Keller. Jetzt gerade werden die ersten Merlot-Trauben von den Lesearbeitern in die Vorfahrt gestellt, wo ein Lastkraftwagen parkt, der ein überdimensionales Gerät ablädt, eine High-Tech-Maschine, wie sie in Deutschland oder Österreich wohl nie zum Einsatz kommt. Die Apparatur trennt die Trauben sorgsam von den Stielen, reinigt sie und vermisst präzise ihre Größe. Danach fallen einige Trauben auf ein Band, das sie zur Presse befördert. Jene Trauben, die die Aufnahmeprüfung im blauen Licht der Messapparatur nicht bestehen, landen, ebenfalls gewaschen und unversehrt, in einen Korb, wo sie
auf ihr späteres Schicksal warten, das in den nächsten Stunden entschieden wird. Sicher aber: ihr Saft wir kein Teil des 2015er-Petrus sein. Was für ein irrer Unterschied zu den Eindrücken in Südfrankreich. Das frisch geweißte Gebäude signalisiert Noblesse und überrascht mit einer langen Reihe neuer Betonzisternen, in welchen der Petrus die nächsten 30 Jahre wohl gären wird. Diese Betonzisternen f indet man im Languedoc in fast jedem Weingut. Nur sind sie dort Altlast; etwas, das man aus Mangel finanzieller Möglichkeiten nicht gegen Holzfässer oder Holzbottiche austauschen kann. Bei Petrus aber hat man die Qualität von Beton wieder schätzen gelernt. Und hier bestimmt auch jene Sauberkeit die Szenen der Verarbeitung, die in Südfrankreich fehlt – wo das Fehlen als Teil des Terroirs definiert wird. Aber will man das mathematische Weinmachen, wie es bei Petrus zelebriert wird? Ist das nicht die Abrissbirne der bislang gepflegte Idylle? All diese ruhigen, konzentrierten Menschen, die während der Arbeit Notizen auf iPad-Tabellen eintragen und diese mit anderen Tabellen abgleichen? Hier wird nicht gescherzt, gelacht oder getrunken: bei Petrus gleicht das Weinmachen dem Machen eines Aston Martin. Präzision zuerst. Auch ein paar Meter weiter, im Château Lafleur, hält man Tabellen bereit. Und hat eine Art „Bericht“ für jeden einzelnen Rebstock – Entwicklung, Ertrag, Gesund-
Obwohl der Wein gefragt und teuer ist, sind die Gewinne bei Laf leur vergleichsweise bescheiden und werden von den Guinaudeaus auch zur Seite gelegt. Man weiß ja nie, welche Zeiten kommen. Drei schlechte Jahre beispielsweise und Lafleur könnte in seiner Existenz gefährdet sein. Dagegen hat man vorgesorgt. Nicht nur, dass man die alte Winzerweisheit berücksichtigt, dass ein guter Winzer einen Jahrgang am Hang, einen im Keller und einen auf der Bank haben soll, besitzt man auch noch das alte Weingut im Fronsac, wo die Familie eigentlich herkommt. Das Fronsac ist im Bordelais nicht wahnsinnig gut beleumundet, was dazu führt, dass hier noch erschwingliche Bordeauxweine gekeltert werden. Bei Grand Village, so heißt der Familiensitz, keltert man jährlich ungefähr fünfmal mehr Flaschen als bei Lafleur und eine Flasche Grand Village kostet etwa ein Fünfzehntel einer Flasche Lafleur. Und wenn man beide Weine trinkt, dann ist es sicher, dass der Unterschied zu schmecken ist. Doch ebenso sicher ist es auch, dass viele versierte Weintrinker den Unterschied in der Qualität nicht im Unterschied der Flaschenpreise finden werden: Grand Village ist ein echter Geheimtipp. Und trotzdem geht nicht alles weg. Ausreichend sicher. Aber eben nicht alles, wie beim ungleich teureren Lafleur. Das könnte auch daran liegen, dass das Etikett des Grand Village wenig hermacht. Doch jeder leise Hinweis, dass man die Grafik verbes-
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Olivier Berrouet macht den Petrus. Man kann mit Fug und Recht sagen, er hat ein goldenes Händchen.
Bei Lafleur hat man eine einfache Buchhaltung. Pro Jahr bekommen drei Weinhändler ihre Dosis der Abfüllung. Und das Weingut schreibt nur drei Rechnungen. Das ist alles. Jeder Steuerprüfer tut sich da leicht. Deswegen kommt auch keiner.
Madame Thierry Manoncourt leitet Château Figeac. Ihr zweiter Name ist Tradition und ihr Schatz liegt tatsächlich im Keller.
heitszustand: alles akribisch handschriftlich niedergeschrieben. Doch im Weingut der Familie Guinaudeau herrscht jene Ausgelassenheit, die man bei Petrus vermisst. Dabei zählt Lafleur ebenfalls zu den beinahe unbezahlbaren Weinen des Bordelais und ohne Zweifel auch zu den besten, weil eben auch zu den individuellsten. 50% Merlot und 50% Cabernet Franc in der Cuvée: das klingt nach wenig Wagemut, ist aber nachhaltig eingehaltenes Konzept für einen der delikatesten Weine der Welt. Gemacht von einer Familie, die sich in Erscheinen und Auftritt gut unter jene Aussteiger reihen könnte, die man in Südfrankreich am Meer zuhauf findet.
Vater und Sohn Guinaudeau von Château Lafleur. Ihr kleines Weingut macht den vierfachen Umsatz vom großen.
sern könnte, stößt auf taube Ohren. Der Inhalt ist wichtig – der Wein. Und wenn die Welt da draußen grafisch designte Etiketten braucht, dann ist das ihre Sache. Da ist sie wieder, die Sturheit, die sich eben nur ein Handwerk leisten kann, das die Tradition einer Nation verkörpert und das dazugehörige Kulturgut produziert. Drei Jahre zurück. 2012. Ein Besuch bei Stephan Graf Neipperg, ein Deutscher, der im Bordelais einiges zu sagen hat. Das auch, weil er exzellent französisch spricht, dem Engagement für das Generelle nicht abgeneigt bleibt und auch zwei der be deutendsten Weingüter des St.-Émilion besitzt: La Mondotte und Canon la Gaffelière. Neipperg fährt an die Ränder seiner Weinberge und zeigt mir, wie einer seiner Weingärten im Vergleich zu jenem des Nachbarn aussieht. Man kann den Unterschied erkennen, ohne viel über Weingartenarbeit zu wissen. Während bei Neipperg zwischen den Reben die Vielfalt anderer Pflanzen eine nachhaltige Arbeit signalisiert, hat der Nachbar alle anderen Pflanzen und Gräser, die zwischen seinen Rebstöcken ihr Auslangen finden könnten, mit Chemie vernichtet. Das spart ihm zwar Geld, doch
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bekommt er auch für seinen Wein lediglich einen vernichtend geringen Bruchteil jenes Geldes, das Neipperg mit seinen Flaschen erwirtschaftet. Nirgendwo auf der Welt, meint Neipperg, ist der Unterschied der Liter- und Flaschenpreise so hoch wie im Bordelais. Und manche Winzer, die sich hinter einem alten châteaugleichen Gebäude verbergen, wissen nicht, welchen Teil ihres Eigentums sie noch verpfänden könnten, um die kommenden Jahre zu überleben. Die Winzer, die das große Geld verdienen, wähnen diese „Winzer dritter Klasse“ als Büttel großer Konzerne, die ihnen das Geld hinten nur so reinschieben. Die gespaltene Weinwelt – nirgendwo ist sie sichtbarer als im Bordelais. Ein Abend in Beaune. Spätherbst 2014. Die Stadt ist voll mit Touristen. Radfahrer, Weinliebhaber, Menschen, die ein paar Stunden lang Teil dieser alten Weinkultur sein wollen. Die Verkostung gerade, ein hier seltener Langlauf vieler Weingüter, hinterlässt ein unrundes Bild. Vieles ganz grandios. Aber keine Überraschung. Und dann auch viel enttäuschend Banales aus den Kellern großer Namen. Und wieder, wie die letzten Ernten schon, sind es dann
die paar ganz grandiosen Chardonnays, die dem Burgund das Unverwechselbare geben. Sicherlich: von hier kommen die besten Pinot-Noirs der Welt. Aber es sind wenige. Und es waren früher auch wenige, nur fällt das jetzt eben mehr auf: dieses Durchschnittsdenken im kleinen und mittleren Preissegment. Um einen Brunnen herum sitzen etwa zwanzig Franzosen. Es sind – so erfahre ich – Studenten der Landwirtschaft aus Paris. Sie trinken Evian aus Plastikf laschen und mehrere Flaschen Rioja. Rioja?!! Franzosen?!? Pariser??! In Beaune?? Warum nicht, sagt einer der Älteren, das billige Zeug hier schmeckt nicht. Und das Zeug, das schmeckt, das kriegt unsereins gar nicht zu trinken. Wenn wir was aus Frankreich trinken, ruft ein anderer rüber, dann nur Vin-Naturel. Denn da haben wir Franzosen noch die Nase vorne. Und sonst? Bei den Spitzenweinen sind wir die Nummer eins, sagt der Ältere, und das wird auch so bleiben. Aber sonst? Ein Achselzucken. Sonst nirgendwo. Aber wir sind ja dazu da, das zu ändern. Alle lachen. Doch werden schnell wieder ernst.