Quetzal
Politik und Kultur in Lateinamerika
Online-Magazin
MICROCUENTOS AUS CHILE © Leipziger Lateinamerika-Verein. ISSN 0949-1813
Microcuentos aus Chile
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Microcuentos - der Name verrät es - sind kleinste Geschichten, eine in Lateinamerika beliebte literarische Form. Im Jahr 2009 brachte die chilenische Zeitschrift „Caballo de proa“ eine Sammlung von Microcuentos aus der Feder südchilenischer Autoren heraus. Das Online-Magazin Quetzal veröffentlichte diese kleinen Geschichten „aus dem tiefen Süden“ in loser Folge als deutsche Erstveröffentlichung. Wir danken den Autoren, insbesondere Herausgeber Pedro Guillermo Jara, für die Genehmigung zur Veröffentlichung. Mit einem Vorwort von Gabriela Espinosa und einem Essay von Gabriele Eschweiler Übersetzung aus dem Spanischen: Gabriele Eschweiler Illustrationen: Nic
Deutsche Ausgabe:: QUETZAL. Leipziger Lateinamerika-Verein e.V. Waldstraße 6, 04105 Leipzig (0341) 2516089 www.Quetzal-Leipzig.de
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Microcuentos aus Chile
Die Mikroerzählung und das chilenische Patagonien Eine Annäherung in aller Kürze
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Gabriela Espinosa (Patagonien/ Argentinien)
ür diese Jubiläumsausgabe der von Pedro Guillermo Jara in Zusammenarbeit mit führenden Schriftstellern und Fachwissenschaftlern edierten und betreuten Taschenbuchzeitschrift Caballo de Proa bot sich uns die Wahl eines literarischen Genres sowie die Vermessung eines literarischen Feldes. Versuche, der Begrenzung dieser Textsorte definitorisch beizukommen, sind vielfältig, wobei dem Phänomen der extremen Kürze weitaus mehr Beachtung geschenkt wird als dem Inhalt der Texte. Die Diskussion dieser Kategorie, die mit „Minifiktion“ (minificción), „Mikrogeschichte“ (microcuento), „Minigeschichte“ (minicuento), „Kürzestgeschichte“ (cuento brevísimo) oder „Mikroerzählung“ (microrrelato) bezeichnet wird, ist in Fachkreisen noch heftig im Gange. Die zahlreichen Ansätze einer kritischen Annäherung, u. v. a. von Edmundo Valadés, David Lagmanovich, Laura Pollastri, Dolores Koch, Juan Armando Epple, Violeta Rojo, Lauro Zavala, Francisca Noguerol oder Irene Andres-Suárez, stimmen in der Bedingung sine qua non der Kürze überein, auch wenn dieses Merkmal zur Eingrenzung problematisch ist, wird es doch mit anderen Kleinformen geteilt. Als weitere Spezifika werden genannt: das Fragmentarische, der poetische Ton, die Intertextualität, der Humor und die Wirkung, die die Lektüre dieser „vergifteten Häppchen“ – wie Laura Pollastri sie metaphorisch nennt – nach sich zieht. Diese Expertin zählt zu den Kennzeichen der Kürzestprosa: die stark geschliffene und poliseme Prosa, der Rekurs auf klassische Motive, um an unserer Gegenwart Kritik zu üben und die Aufgabe des Schriftstellers zu hinterfragen, der häufige Hinweis auf die Benutzung einer Bibliothek, die Verwendung von Ironie oder Parodie zur Zerschlagung von Herrschaftsdiskursen, die Einübung von Hierarchiefreiheit zur Unterminierung althergebrachter Denkstrukturen und eine Prägnanz, die die Beschreibung von Leerstellen ermöglicht. Andere Wissenschaftler – zu nennen sind hier Dolores Koch oder David Lagmanovich – charakterisieren diese Texte als geschliffene, aber biseme Prosa, die sich des misstrauischen Humors des Paradoxen, der Ironie oder der Satire bedient und in Abkehr von tradierten Formen wie Fabel oder Bestiarium vielmehr von Ausdrucksweisen moderner Kommunikationsmedien abgeleitet ist. Eine Verstärkung narrativer Elemente, die Wiederaufnahme und Parodie von Texten, eingefügte Diskurse und emblematische Darstellung machen ebenfalls diese Art des Schreibens aus. Obwohl dieses Phänomen der allgemeinen Tendenz der Moderne zur Eliminierung alles Redundanten und Ornamentalen zu Gunsten der reinen Form, der Kürze geschuldet und somit nicht nur für die hispanoamerikanische Literatur kennzeichnend ist, dominieren Texte dieser Art die Literatur unseres Kontinents. Es genügt, die Produktionen des 20. Jahrhunderts in Mexiko (z. B. Julio Torri, Juan José Arreola, Augusto Monterroso, René Avilés Fábila), Argentinien (z. B. Jorge Luis Borges, Julio Cortázar, Marco Denevi, Ana María Shua, Luisa Valenzuela, Raúl Brasca) oder Chile (z. B. Vicente Huidobro, Juan Armando Epple, Alejandro Jodorowsky, Pía Barros, Virginia Vidal, Andrés Gallardo, Pedro Guillermo Jara, Diego Muñoz Valenzuela) heranzuziehen.
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Anforderungen an die Lesbarkeit, die durch die Massenmedien und die Vielschichtigkeit des konkret erlebbaren Alltags bestimmt sind, haben zu einer reichen Produktion und weiten Verbreitung dieses Genres geführt. Dazu haben Veröffentlichungen in Anthologien oder die einzelner Autoren der jeweiligen Länder oder Regionen, theoretische und kritische Studien und die Thematisierung in akademischen Curricula oder auf internationalen Kongressen, Tagungen und Kolloquien beigetragen. Was nun die eingangs erwähnte kartografische Erfassung betrifft, unterläuft die Aufnahme einer abgelegenen Zone des chilenischen Gebiets die Dominanz des Kulturkreises. Autoren wie Andrés Gallardo, María Isabel Quintana, Guido Eytel, Yuri Soria Galvarro, Nelson Antonio Torres, die aus Landstrichen stammen, die zwischen Concepcíon und Punta Arenas liegen, kommen hier zu Wort. So versteht sich der repräsentative Charakter einer nationalen Identität als diskursives Konstrukt, das von Spannungen und Widersprüchen geprägt ist und dabei Generelles und Kategorisierungen außen vor lässt. Daher meine ich, dass diese Festnummer von Caballo de Proa an der Schnittstelle der Debatten steht, die sich um das Zentrale und das Periphere, um Korpus und Kanon drehen, und somit die weitere Ausbreitung dieses Genres begünstigen wird. So wird diese Zeitschrift zum Kulturvermittler und das auf Grund eines bahnbrechenden Vorschlags, für den sich neben Autoren und Forschern von unserem ganzen Kontinent insbesondere all diejenigen von uns aus dem tiefen Süden, der wegen seiner Entlegenheit eine alternative Sichtweise möglich macht, stark gemacht haben.
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María Isabel Quintana (Coyhaique)
Der letzte Dinosaurier Für R. O.
Ein einziger Schnitt reichte. Das Messer war groß und scharf. Sie zögerte keine Sekunde lang. Von klein auf wusste sie, dass es sie gab, und mit ihnen Bekanntschaft zu machen war unvermeidbar. Die erste Zurschaustellung eines Dinosauriers verdankte sie ihrem Adoptivvater; später kamen noch viele weitere dazu. Bald bedrängte eine ganze Meute von ihnen sie immer und überall. Sie hasste die lächerlichen Tierlein mit den langen Hälsen, die aus ihrem Leben eine nicht enden wollende Flucht gemacht hatten. Sie entschied, dass nun Schluss damit sei und mit der Wucht des Zornes bedurfte es nur eines einzigen und präzisen Schnittes. Mit seinen vor Schmach und Schmerz weit aufgerissenen Augen sah der Mann nicht ihr unschuldiges Lächeln bei dem Gedanken, dass die Dinosaurier schließlich zu den ausgestorbenen Lebewesen gehören.
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Pedro Guillermo Jara (Valdivia)
Wendung Der Hahn knarrte, der Wind schlug um. Unsere Wetterfahne dreht sich, wenn der Herbst kommt.
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Mauro C. Campos (Puerto Montt)
Die Neuheit des Jahres - Es ist die Neuheit des Jahres, schrie der Typ auf der Einkaufsstraße. Er hielt eine winzige Puppe hoch, die wie ein Werwolf aussah. Mit zwei Schaltknöpfen auf der Schulter konnte man abwechselnd die Augen aufleuchten und ein Wolfsgeheul ertönen lassen. Der Platz füllte sich und alle kauften das Spielzeug. Die Version 2.0 wurde im Fernsehen präsentiert; sie verfügte über eine kleine Variante, nämlich ein Hebelchen am Kopf, das die Puppe ihren Mund öffnen und zwei sehr weiße Fangzähne in Beißstellung zum Vorschein kommen ließ. Heute fehlten fünf oder sechs Kinder in der Schule, gestern zehn und davor fünf. Es heißt, man habe sie nachts herumlaufen sehen: Sie rennen, heulen, verbergen sich vor dem Licht und liegen in Parks und Vorgärten auf der Lauer. Gestern verschwand mein Haustier, ein goldgelber, felliger Kater namens Harry. Vor einer Woche traf es den Hund meines Nachbarn. Heute habe ich kurz nach Sonnenuntergang in meinem Haus Zuflucht gesucht und schlafe hinter doppelt gesicherten Türen. Das Fernsehen hat alle Sendungen eingestellt.
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Marcelo Paredes (Puerto Montt)
Familiengeheimnis Er atmete erleichtert auf, nachdem er das Ufo im Hof vergraben hatte.
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Guido Eytel (Temuco)
Netter Abend Während draußen Wind und Regen die Bretter der Hütte zum Knarren brachten, tranken vor dem Kaminfeuer zwei Alte ihren Mate. Der eine: Genau der richtige Abend, um über Gespenster zu reden. Der andere: Mir gefallen keine selbstbezüglichen Gespräche, sprach’s und verschwand.
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Pedro Guillermo Jara (Valdivia)
Übung zur Förderung des Müßiggangs Für Juan Armando Epple, der sich in diesen Dingen auskennt
(Erde. Valdivia, dringend!) Das Quartett The Bretons aus Valdivia bilden John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr. Das Quartett The Beatles aus Liverpool besteht aus Javier Cifuentes, Julio Pincheira, Jorge Peralta und Carlos Rebolledo. Beide Quartette sind berühmt und grenz- sowie altersüberschreitend. Aufgabe: Untersuche, ob dieses Phänomen sich klassifizieren lässt als a) Vergleich b) Metapher c) Synekdoche d) Oxymoron e) keines der Genannten.
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Yuri Soria-Galvarro (Puerto Montt)
Der Geiger Jeden Tag bezahle ich meine Auftritte mit größerer Anstrengung. Bitte – verstehen Sie mich nicht falsch, die Musik ist mein Leben! Es ist vielmehr so, dass ich früher lockerer drauflos spielte und richtig viel Spaß dabei hatte – der beste Geiger, der die Fakultät je durchlaufen hat – sagten die Lehrer. Jetzt verfüge ich über größere Virtuosität und Reife, aber ich glaube, dass die Jahre mir etwas geraubt haben, nämlich das Spontane, die Leidenschaft oder so. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchhalte, einstweilen gebe ich Johannes Brahms und die Leute spenden Beifall. Ich bücke mich, zähle die Münzen und warte auf den nächsten Bus.
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Astrid Fugellie (Punta Arenas)
Angelina Quilleleo - Es hat mir die Sprache verschlagen, murmelte Angelina Quilleleo. Die Stirn am Beichtstuhl wie angenagelt fügte sie dann hinzu: - Als junges Mädchen konnte ich von den Baumaugen erzählen, von den beklagenswerten Mondhölzern und den Gesichtern der auf dem Herd garenden Tortillas. Da sprachen die Bauern und das Rauschen der Temubäume zu mir: - Wie schön du reden kannst, Angelina Quilleleo. An einem Tag im April, an dem bereits Juliwetter war, erzählte mir ein Händler von der Hauptstadt. „Es ist wie ein Zauber“, sagte er, „die Gebäude sind verwunschene Spiegel. In ihnen kannst du dich ganz sehen oder umgekehrt mit dem Kopf auf dem Bürgersteig und den Füßen himmelwärts. Auch mangelt es nicht an Mehl, Zucker oder Geld.“ - Also begab ich mich dorthin, Hochwürden, flüsterte Angelina Quilleleo, da der Norden das Land der Auserwählten ist. Aber dort gab es weder Zucker, noch Mehl, noch Geld und die Gebäude jagten mir die gleiche Furcht ein wie dereinst die bösen Geister aus den Geschichten meiner alten, armen und weisen Großmutter Fresia. Und so raubte es mir die Sprache und vor lauter Elend musste ich Armeleuteessen stehlen. Ich bekenne, dass ich gesündigt habe, schluchzte Angelina Quilleleo. Das Gitterfensterchen des Beichtstuhls tat sich auf. Der Priester und die Frau blickten sich an. Der Geistliche, dem Blut von der Stirn rann, sagte: - Gehe hin, Weib, dafür gibt es keine Buße.
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Ricardo Mendoza (Valdivia)
Der Hombro
Aus: Naturkunde der valdivianischen Region von Marquéz de Putabla Der Hombro ist eine Art Fisch, der nicht über Kiemen, dafür aber über starke Lungen verfügt, die es ihm ermöglichen, dem Lauf der regionalen Flüsse zu folgen oder entgegen zu schwimmen und dabei den Kopf plattnasig aus dem Wasser zu halten. Sein riesiges Riechorgan, das mit gut funktionierenden Klappen versehen ist, hält er so weit wie möglich aus dem Wasser heraus. Vorsichtig bewegt er seine Flossen, um das Eindringen des für ihn lebensnotwendigen Elements in seine Lungen zu vermeiden. Daher sieht man ihn vornehmlich in ruhigen Gewässern und das auch nur im Hochsommer, wenn die Flüsse sich über seiner Liegestatt ausruhen. Den Rest des Jahres schläft der Hombro, den Körper halb eingesunken, in seichten Uferbereichen. Dann wächst ihm jenes glänzende, huftierartige Fell, welches die Kürschner in Europa und andernorts so hochschätzen und das fast für sein Aussterben gesorgt hat. Heutzutage steht er - wie auch das Schnabeltier und die Beutelforelle – unter Naturschutz, was die Menschen aber nicht davon abhält, ihn weiterhin zu jagen. Der Hombro ist vorzugsweise nachtaktiv, denn bekanntlich sind die regionalen Flüsse in der tiefen Nacht solchen Spezies gegenüber milder und entgegenkommender. In diesen Gewässern der Dunkelheit und bei Windstille beginnt er zu pfeifen, während er die Wässer, die so rein und kristallen wie sein Gesang sind, durchzieht. Indem er seine beiden Nasenklappen unabhängig voneinander betätigt, bringt er die süßen Melodien und Kadenzen hervor, die die Seele all jener Unglücklichen bezaubern, die ihn vernehmen und die der Zufall oder nicht näher bekannte Gründe an die Gestade des nächtlichen Stromes getrieben haben.
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Pedro Guillermo Jara (Valdivia)
Der Streik Nach wochenlangen Verhandlungen mit der Bauleitung rief man den Generalstreik aus. Die Gespräche wurden abgebrochen. Es gab nichts mehr zu besprechen. „Das ist doch die Höhe, Genossen! Wir werden uns diese Unverschämtheit nicht bieten lassen. Mit diesem Bauwerk wollten wir ganz groß rauskommen!“ An dieser Arbeitsniederlegung waren die Gewerkschaften aller Unternehmen, Subunternehmen und Facharbeiter beteiligt. Die Arbeiter organisierten Eintopfessen für alle, Protestaktionen, Hungerstreiks und Märsche. Nichts von alledem schien auf die Bauleitung Eindruck zu machen. Die Regierung, ängstlich und auf Seiten der Marktwirtschaft, die für Eigen- und Fremdkapital sorgte, schickte ihre Sicherheitskräfte auf die Straße und tagtäglich kam es zu Verhaftungen. Niemand übernahm die Verantwortung für die polizeilichen Repressalien. Die Bauleitung war schließlich so konsequent, Konkurs anzumelden. Ihren Anwälten gelang es, Verträge, Policen und Wechsel rückgängig zu machen. Kurzum – sie verloren nicht einen einzigen Peso des eingesetzten Kapitals. Die Regierung aber zog ein letztes As aus dem Ärmel. Auf magische Kräfte zurückgreifend, verwirrte sie, die die Kommunikationswege kontrollierte, die Sprache der Arbeiter, zerschlug die Arbeiterbewegung, die sich offenbar nicht mehr verstand, und die Gewerkschaften der Unternehmen und Subunternehmen zogen sich allesamt zurück. Der Bau blieb unvollendet. Der Turm zu Babel wurde zu einer Art weißem Elefanten, so etwas wie eine Zufluchtsstätte für die Heimatlosen, die Träumer und die an den Rand Gedrängten.
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Jorge Ojeda (Valdivia)
[Findest du es fair ‌. ?] Findest du es fair, mich gezwungen zu haben, die 46 Grundschritte des Tangos zu lernen, nur um mir dann mitzuteilen, dass dir Rockmusik authentischer vorkommt?
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Juan Armando Epple (USA/ Valdivia)
Wortwörtlich [Aus: Wunder]
Als der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre die freudige Botschaft erhielt, dass die jüngste Ausgabe des Index Librorum Prohibitorum ex Expurgatorium von 1948 mit fast 4.000 zensierten Büchern, dabei war, sich in einen Verkaufsschlager zu verwandeln, organisierte er das, was man heutzutage Marktforschung nennt, indem er Priester in Zivil an den Ausgängen von Buchhandlungen postierte, um herauszufinden, worin das Interesse an diesem Buch bestehe. Sie teilten ihm mit, dass es von der Mehrheit der Käufer als Lektüreführer benutzt werde. Der Präfekt sah sich gezwungen, den Index in die Liste der verbotenen Bücher aufzunehmen. Kirchlicher Logik gehorchend wurde der Index im Jahre 1966 durch das Zweite Vatikanische Konzil außer Kraft gesetzt. So konnten sie eine weitere Widersprüchlichkeit der Zeit lösen.
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Ivonne Coñuecar (Coyhaique)
Der Wandschrank Du wirst die Farben sehen können. Die Lügen gehen keinen etwas an. Gib’ dir keine Mühe, dich zu verstecken. Wir wissen, dass du da drinnen bist. Ich stelle mir mein Leben draußen nicht vor, komme ab und an zum Vorschein und flüstere vor mich hin, ich singe das Lied der Spieldose mit der Balletttänzerin. Ich betrachte sie aus dem Augenwinkel, wenn sie ihre Regenbogengeschichten erzählen, von den Märschen und dass man wissen muss, wo man steht, dass man Stellung zu beziehen, seine Meinung zu sagen, ja herauszubrüllen hat, aber ich habe immer gewusst, dass sich Mamas und Papas Kleidungsstücke in ihrem Geruch nach Mottenpulver in nichts unterscheiden.
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Ivonne Coñuecar (Coyhaique)
A. A. Antonia lernte zuallererst, ihn zu küssen, Alonso, sie mit farbenfrohen Blumen zu beschenken. Antonia ist Allergikerin, was sie ihm aber verschweigt, und für Blumen hat sie auch nicht wirklich viel übrig. Alonso gefällt es nicht, wie sie ihre dicke Zunge in seinen Mund schiebt, wenn er sie küsst, als ob die Zunge der Gradmesser für das Ausmaß von Hingabe sei, aber er denkt noch nicht einmal im Traum daran, ihr etwas davon zu sagen. Und schweigend gehen sie Hand in Hand auf der Straße spazieren und tun aller Welt kund, dass keiner von beiden allein ist. Antonia sagt etwas über das Wetter. Alonso sieht sie an und antwortet ihr mit einer Geste des Wohlgefallens, dabei umfasst er ihre Taille und gibt ihr - ungeachtet der Autos, die hell beleuchtet und voller neugieriger Zuschauer an ihnen vorbeifahren - mitten auf der Straße einen dicken Kuss. Dann schlendern sie weiter und Antonia findet eine Blume, die sie für ihn pflückt und der Juckreiz in ihrer Nase und das Niesen sind ihr einerlei. Alonso ist nicht allergisch und Antonia mag seine Küsse.
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Yuri Soria-Galvarro (Puerto Montt)
Die Arche Gottes Vorliebe für die Landtiere ist bekannt. Seinem Chef treu ergeben nahm Noah nur solche an Bord sowie den einen oder anderen Sumpfräuber. Fische, Medusen, Krustazeen, Mollusken: Fehlanzeige. Als die Erde schließlich komplett unter Wasser war, bevölkerten die Wassertiere - ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen - alle Kontinente, schwammen nach Herzenslust und vollzogen schöne heidnische Riten. Als sie die wie eine unsichere Insel der Erinnerung schwankende Arche vorbei treiben sahen, bedachten viele sie mit Argwohn und Verachtung, andere wünschten ihr Seenot und Kentern. Der älteste und weiseste der Riesenzackenbarsche kommentierte: „Aus solch Niedrigem kann nichts Gutes entstehen; aus diesem tierischen Mischmasch wird sich etwas Seltsames bilden.“ Er sollte Recht behalten. Als das Wasser zurückging und die Arche wieder festen Boden unter dem Rumpf hatte, stieg eine neue Lebensform die Rampe herunter: das Schnabeltier.
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Germán Arestizábal (Valdivia)
Meuterei an Bord Wir sehen den letzten Schiffsjungen der Bar „Die Pumpe” vor Gläsern, Flaschen, Krügen und vollen Aschenbechern sitzen und angestrengt darüber nachsinnen, wie es sein kann, dass dasselbe Meer, welches gestern zusammen mit der Sonne schlaff herabhängend wie ein großes Tischtuch oder die Schleppe von einem Brautkleid hinter dem Horizont verschwunden war, heute hier unter dem Tisch sorgfältig zusammengelegt seine letzte Ruhe findet.
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Yuri Soria-Galvarro (Puerto Montt)
Vision Das Lagerfeuer lässt ihn einschlummern. Im Traum erscheint ihm dieses fruchtbare Tal in eine Steinwüste verwandelt. Menschen hasten in Scharen aneinander vorbei, ohne ihre Nächsten wahrzunehmen und atmen eine verpestete, giftige Luft ein, ganz als ob Pillán, der Geist der Vulkane, aufgeschreckt worden wäre. Sie reisen durch unterirdische Tunnel und durchpflügen die Landschaft in Schwindel erregendem Tempo. Durch das Nachtmahr wird er sich beim Erwachen am Morgen wie gerädert fühlen und die Guanakoherde - ganz genau so wie seine Vorfahren es jahrhundertelang jeden Sommer gemacht haben - weitertreiben. Er wird zum ersten Mal die Konquistadoren erblicken und sein schlechter Traum wird sich als Vorzeichen dessen erweisen, was sich gerade anbahnt.
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Juan Armando Epple (Valdivia / USA)
Herbstgeschichte Die junge Frau setzte sich auf den Stuhl und zog ein Sammelsurium von Papieren und Notizbüchern aus ihrer Mappe, die sie gewissenhaft zu ordnen begann. - Ich plane ein Forschungsprojekt über den Einfluss der deutschen Romantik auf die chilenische Dichtung. Und da Sie nicht nur Chilene sind, sondern auch noch einen deutschen Namen tragen, halte ich Sie für den Geeignetsten, mich darin zu beraten. Um ihr so europäisch zur Schau gestelltes Selbstbewusstsein zu unterminieren, bemerkte ich darauf halb im Ernst, halb im Scherz: - Wertes Fräulein, in diesem Fall ist der Familienname kein zuverlässiger Indikator. Tatsächlich stammt meine Familie von Huilliche-Indianern, einem Zweig der Mapuche, ab. Sie waren dafür bekannt, deutsche Einwanderer, die ihr Gebiet besetzten, einzufangen, sie bei rituellen Feiern zu verspeisen und später den Nachnamen der Opfer anzunehmen. Dies geschah, bevor man die nationalistische Mär von der Rassenmischung in die Welt setzte. Zudem erfordert ein Thema wie das von Ihnen vorgeschlagene eine gehörige Portion Arbeit und aufopfernde Archivrecherche in alten Zeitschriften, zerfledderten Tagebüchern und unveröffentlichten Notizen in Aufzeichnungen von Nachfahren, die Namen und Adressen geändert haben, ganz zu schweigen vom Zugang zu jenem Morast, den man Stilanalyse nennt. Die Forscherin dachte einen Augenblick nach, näherte sich dem Fenster und sagte mir dann: Ich glaube, dass auch ich Aufopferungsgeist besitze.
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Luis Bocaz (Valdivia)
Kuh „Brahmaputra!“, brüllte der Brahmane zur Begrüßung des Brahminen. „Die Heilige Kuh ist aus Madras!“ „Aus Kalkutta!“, raunzte der Radscha und zerriss sein Kamasutra. Der dermaßen erregte Radscha war aus Rajasthan.
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Nelson Antonio Torres (Castro)
Paarungen Tasse gibt den Avancen von Teller nach. Löffel und Gabel sind sich schon völlig eins. Schere und Papier suchen bereits nach dem lauschigen Plätzchen für ihre vergnüglichen Spiele. Nur dass keiner von ihnen weiß, wo im Falle des Beischlafes die Öffnung ist, um den Liebesakt zu vollziehen. Vor vielen Jahren wurde dieses Problem von Bügeleisenstecker und Steckdose gelöst.
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Ramón Quichiyao (Futrono)
Eine Frage der Chemie Vom Kopfende des Tisches aus hielt Chico Silva mit einer Flasche Pisco 40 ° in der rechten Hand seinen Freunden einen Vortrag über die berauschende Wirkung dieses Getränks: „Alle mal herhören! Dies ist eine Flasche Pisco 40 °! Wenn ich mir davon 10 Gläschen genehmige, würde ich meinem Blutkreislauf nicht mehr und nicht weniger als 400 ° Alkohol zuführen, wovon ich sofort geheilt wäre.“ „Deshalb“, führte er weiter aus, „sollten wir diesen Pisco in großen Gläsern trinken! Wenn nämlich ein jeder von uns zwei Bierkrüge Pisco leert, hat er sein Blut mit 80 ° Alkohol abgefüllt, so dass es uns noch gut geht. Denn bekanntlich kocht das Wasser bei 100 ° und das Blut auch und man wird gesund. So hat selbst der Suff eine eigene Wissenschaft“, schloss er.
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Juan Armando Epple (Valdivia / USA)
Der Vermittler Als ich ihr schließlich meine Beziehung zu der Anderen gestand, fuhr sie mich an und drohte, meine Sachen aus dem Fenster zu werfen. Aber später dann – schon viel ruhiger – wollte sie wissen, was mich an ihr anzog, welche ihre bevorzugten Stellungen beim Liebesakt waren und worüber wir danach sprachen. Als ich der Anderen gestand, dass sie schon über uns Bescheid wisse, beleidigte sie mich und drohte mir damit, mich zu verlassen, aber später dann – schon viel ruhiger – wollte sie wissen, was sie an mir anziehend fand, welche Stellungen sie am meisten erregten und welche Themen sie vor dem Einschlafen gerne diskutierte. Jetzt leben sie zusammen. Sie versprachen mich zu sich einzuladen, aber bis jetzt haben sie sich noch nicht gemeldet.
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Ricardo Mendoza (Valdivia)
Alle Zeit der Götter Für JLB, so viel Faszination und Zuneigung, die ich ihm leider nur noch so habe erweisen können. Herr Borges: Mein Schreiben kommt zur Unzeit. Wieder einmal passen das Leben und schon gar nicht seine Widrigkeiten zu meinen Wünschen. Verzeihen Sie mir! Es betrübt und beschämt mich, denn ich hätte für diesen Brief gerne einen besseren Grund gehabt, einen, der die Zuneigung, die Ihre Bücher bei mir auslösten und die wächst, je öfter man sie liest, besser zum Ausdruck bringt. Dabei hätte mein Dank der Vieler sein müssen. So aber reicht es nur für diese irgendwie schon makabre Fantasie, eine Grausamkeit. Stellen wir uns also einen beliebigen Tag vor, der aber der letzte sei. Sie - so wird es „ausgerufen durch die einhelligen Zungen der Fama“ - tragen das Gewicht ihrer neunzig Lebensjahre und wurden fast aller Anerkennungen für ihre Verdienste teilhaftig. Ich vermute, dass Sie, selbst unter den Fittichen von Mariá Kodama, einsam sind, von vielen bewundert, über Ihre Widersacher erhaben. Ihre Augen sind getrübt, nicht aber Ihr Verstand, wenn Sie mir auch in der Welt Ihres Œuvres ein wenig verloren erscheinen. Plötzlich überfallen Sie Herzschmerzen, deren Qual und Beklemmung nur durch die Schläfrigkeit nach Tisch, die Behaglichkeit des Feuers und die warme Hand von Maria auf der Ihrigen gemildert werden. Sie sterben, aber mit der lässig zerstreuten Attitüde desjenigen, der sich des Nachts an der Türschwelle seines Hauses verabschiedet. Jetzt sind Sie allein mit Ihrer Seele und Ihren Lebenserinnerungen, etliche Seiten, deren Urheberschaft von Ihnen selbst in Frage gestellt wurde. Eine Dunkelheit, wie sie Ihnen in Ihrer vergilbten Blindheit nie vorstellbar gewesen ist, wird Sie für den Rest der Ewigkeit umgeben, dieser bewegungslose Fluss, an dessen Ufer Sie so gerne weilten. Und dann spricht eine Stimme zu Ihnen: Alle hundert Jahre und nur für einen Moment erblickst du dein Gesicht im Spiegel.
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Germán Arestizábal (Valdivia)
Boxclub Der alte Boxer und sein Schatten sind beim Training – Schattenboxen wie eh und je. Mit flinken und selbstbewussten Bewegungen ist er locker fast so schnell wie sein Schatten, den er an der verschwitzten Wand der Trainingshalle wahrnimmt. Dies lenkt ihn kurz ab. Just in diesem Moment sieht der verschwitzte Schatten die Chance seines Lebens gekommen, mehr als nur ein Schemen zu sein. Sogleich macht er sich diese Wendung zunutze und versetzt gnadenlos jenen Schlag, der sie beide für immer außer Gefecht setzt.
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Luis Bocaz (Valdivia)
Schaf Ein unvollendeter Artikel über Andrés Bello ließ mich keinen Schlaf finden. Ich griff auf das Schäfchenzählen zurück. Mein erster Fehler war, sie einzeln zu betrachten. Ihre umstürzlerischen Felle verhinderten es, in der milchigen Masse, die mir die Augenlider schwer werden ließ, klar umrissene Gestalten zu erkennen. Ich versuchte, sie einzupferchen. Sofort umzingelte mich ein Trupp Gleichklänge (Mehre die Mär von der alle Hürden nehmenden Mähre!) und alles war drauf und dran in der Unermesslichkeit der Grassteppe des Chaco zu verschwinden. Kurzzeitig bildete ich mir ein, sie unter Kontrolle zu haben, dass sie in Reih und Glied bereit stünden, um auf die andere Seite zu springen, hinüber zu einem Renaissance-Hain, den man als Gelegenheitsarbeit in einem Winkel der Landschaft anzulegen geschafft hatte. Die Gewieftesten jedoch stoben auseinander und ihr bebendes Blöken drohte mich aufzuwecken. Auf dem Gipfel der Heuchelei kamen einige blökend näher, um mir wie Argos die Hand zu lecken. Über das Privileg des Hundes in der Gesamtheit aller Wesenheiten nachsinnend ging ich des Schlafes endgültig verlustig.
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Luis Bocaz (Valdivia)
Spinne Um vier Uhr in der Frühe säumen geschickte Spinnen die Augenlider wie unheilvolle Brunnenränder. Ohne das Wachs des Odysseus zur Hilfe zu haben, steigt das getrübte Brunnenwasser hinauf bis zu den Ahnungen des Großvaters. Das Buch murmelt: Es gibt keine Sirenen, lediglich einen wilden Tanz der Spinnen auf der Oberfläche deiner Haut. Warten darauf, dass der Schlaf alles zugibt? Das Morgengrauen lässt dich kalt. Ein garstiges Gör oder Penelope – gewoben aus dem Stoff der Müdigkeit - belauert dich verstohlen, entfernt sich von deinem Eiland aus Spitzenborte, entwischt über die Zimmerdecke zu den Fensterscheiben und verlässt wortlos den Raum. Ohne einen Guten-Morgen-Gruß entspinnt sich dann ein Dialog mit den Balken. Dein auf Eroberungen und Entdeckungen ausgerichtetes Gehirn versteift sich darauf, eine Landkarte mit Längen- und Breitengraden von der Rückseite zu lesen. Der Lärm der ersten Wagen der Straßenreinigung besudelt die milchige Klarheit, die in den Vorhängen wimmert. Ach Gott, was ist die Kindheit zu dieser Stunde doch für ein Sturkopf! Wenn die Spinnen in der Geschichte deines Großvaters wenigstens gläserne Schuhe auf deinen Nerven zurückließen.
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Luis Bocaz (Valdivia)
Kondor Ein herrlicher Kondor ließ sich auf meiner Schulter nieder und lenkte mit äußerster Zuvorkommenheit meine Aufmerksamkeit auf einen in einem Schaufenster kauernden Computer. Ich versuchte ihm weiszumachen, dass ich ein Ungläubiger sei, zumindest ein Agnostiker, dass das Leben mich über die Maßen gebeutelt habe, dass mein Chef mich jeden Morgen schlecht behandele, meine unglückliche Ehe, kurz und gut … Er verrenkte sich die Kinnladen, bis ihm die Venen aus den Schläfen traten. (All dies beobachtete ich klammheimlich.) Um ihn nicht noch weiter gegen mich aufzubringen, versuchte ich es mit dem Thema „Chilenische Münzen aus dem Jahr 1933“. Da winselte er tränenerstickt: „Aber die Mistral hat mich nie gemocht. Sie hat mir den Andenhirsch vorgezogen.“ Sein Kummer beunruhigte mich. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass er etwas für nationale Kunst übrig habe. Unterdessen gesellte sich unserer Falknereigruppe (ich aufrecht mit ihm auf meiner Schulter) ein weibliches Lächeln zu: – Was darf es sein? Aufgeschreckt davon, dass mich das Lächeln von „Was auch immer“ überzeugen könnte, errötete ich bis zu den Achseln und stotterte irgendetwas Dummes. Mein neuer Freund befreite mich aus der peinlichen Situation, indem er ungesehen seine Krallen in mein Schlüsselbein bohrte. Ich schaffte es, mich zu beruhigen. Ich werde mich von ihm beraten lassen, sagte ich mir, in seinem Lebenslauf ist ganz bestimmt ein Informatikkurs für Fortgeschrittene aufgeführt. Aber das Lächeln verflüchtigte sich und auch er verschwand genau so wie er gekommen war.
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Seitdem stolpere ich nur noch durchs Leben. Der simpelste Second-HandComputer lässt mich in Tränen ausbrechen. In den frühen Abendstunden liebkose ich die Münze, betaste die Spuren seiner Berührung auf meiner Schulter und denke manchmal an das Lächeln. Meister, wohin hat es dich verschlagen?
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Nelson Antonio Torres (Castro)
Japanien Die Siegermächte des Ersten Weltkrieges überließen Chile den Japanern. Diese fanden Santiago bezaubernd. Es war Liebe auf den ersten Blick. Außer einer großen Kleinigkeit: der Smog. Ihre Ingenieure diskutierten verschiedene Lösungsansätze: Turbinen, Rohre, Aufforstung. Letztendlich sprengten sie den Kordillerensektor und eliminierten so die Seite des Trichters, die die Luftzirkulation verhinderte. Mit den so gewonnenen Steinen erbauten sie ein zweites Gemeinwesen: Japanien auf dem Meer. Es ist eine riesige, majestätische und sich drehende Stadt. Santiago hat saubere, reine Luft, aber auf der Suche nach ihren Wurzeln verließen die Bewohner die Hauptstadt: Heute leben sie in Japanien.
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Astrid Fugellie (Punta Arenas)
Die Hexen der Apokalypse Als meine tote Urgroßmutter nach vorzeitigem Fruchtwasserabgang gebar, konnten die Hebammen meine Großmutter nicht entbinden. An der Nabelschnur der seligen Alten erhängt wurde sie ausgetrieben. Als meine tote Großmutter meine Mutter bekam, hing der zerbrechliche Totenkopf meiner Ahnin bereits am Kleiderständer, zwischen dem eiförmigen Wandschirm und dem roten Plüschsofa. Als meine tote Mutter mit mir, die ich viel zu dick war, unter Schmerzen und Wehklagen niederkam, verhüllte mein Leichentuch den Spiegel der Ebenholzkommode. Als ich tot das reife Alter der Monatsblutungen erreichte, kam meine starre und leichenblasse Tochter und nistete sich für immer im Balkonzimmer ein, in das die Nacht lautlos eintrat. So gab es in unserem Haus zu keiner Zeit Frühstück mit Baudelairelektüre oder Abendessen mit Bachmusik zum Ausklang.
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Yuri Soria-Galvarro (Puerto Montt)
Shift F9 Dies ist eine schlechte Angewohnheit aus der Zeit, als die Software noch nicht so anwenderfreundlich war, Herr Doktor, sagte der arme Teufel. Er war Programmierer gewesen, entnahm ich seiner Karteikarte, und irgendwann drehte er dann durch, das Übliche eben. Früher musste man sich bei einem Textverarbeitungsprogramm wie Wordstar 3.11 oder WordPerfect 5.1 für die meisten Grundfunktionen Tastenkombinationen einprägen, fügte der sichtlich verwirrte Patient hinzu. Beruhigen Sie sich, ließ ich beiläufig verlauten, während ich das Rezept ausschrieb und ihn nicht aus den Augen ließ, falls ich Hilfe rufen müsste. Herr Doktor, Sie glauben mir nicht, Shift F3, zum Beispiel, verwandelt Klein- in Großbuchstaben, Control C schließt die meisten Programme, genau so, es ist als ob beim Schließen von Windows das Bild von Bill Gates erscheint, nur eben anders herum. Gestatten Sie mir, es Ihnen zu zeigen, Herr Doktor, was kann schon groß passieren, machen Sie mir endlich eine Hand frei und lassen Sie mich an die Tastatur. Ich zögerte kurz, aber die Pfleger waren ja direkt hinter der Tür und der Mann kam mir harmlos vor, schnell überdachte ich sein Krankheitsbild. Dann band ich ihm eine Hand aus der Zwangsjacke los und stieß aus: Los Mann, zeig‘s mir, genieß diesen kleinen Glücksmoment. Umständlich drückte er Shift mit dem einen Finger und F 9 mit dem anderen und der arme Teufel verschwand für immer und nahm dabei den kleinen Rest von Vernunft mit, den wir Psychiater noch haben.
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Germán Arestizábal (Valdivia)
In der Flasche rudern
Vom dies- oder jenseitigen Ufer sehen wir ein Buddelboot gemütlich auf das Meer zuschaukeln. Wie Raúl Ruiz so treffend gesagt hat: Das Leben sind all die Schlamassel, die uns in die nächste Kneipe laufen lassen.
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María Isabel Quintana (Coyhaique)
Hof Nr. 27 Für A. M. Der gefürchtetste Mann der Strafanstalt füllte den Türrahmen mit seiner menschlichen Erscheinung aus, was mir erlaubte, seine Größe und Körperfülle abzuschätzen. Mit einer Geste der Gewalttätigkeit stellte er einen Korb mit Wäsche zu meinen Füßen ab und forderte ohne Umschweife: - Ich möchte sie gewaschen und aufgehängt, Büürschchen! Das „Ü“ prallte auf den Boden auf, wo ich gerade saß. Es stieg über meine Knie bis hoch zu meinem Hals, drang durch meine erstaunten Augen, titschte zwischen 20 gespannten Augenpaaren hin und her, grub sich in die Falten düsterer Gesichter von einigen, untersuchte die Narben und Wunden anderer und blieb in Erwartung meiner Erwiderung in der Schwebe, ohne die dicke Luft des Hofes Nr. 27 übersteigen zu können. Meine „1,80 Meter“ erhoben sich trotzig, übertrieben breitbeinig, mit angespannter Muskulatur und äußerst wachsam. - Ich kann sie dir auch büügeln! Dieses Mal fügte sich das „Ü“ perfekt in meine zusammengezogenen Lippen und blieb wie gespuckt auf seinem Gesicht hängen. Seine Bestürzung dauerte so lange, dass ich mich wieder setzen konnte.
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Ramón Quichiyao (Futrono)
Blaue Augen Was an Flaco Obando sein Lebtag am meisten auffiel, war ganz eindeutig seine seltsame Art zu schauen: Die Augen – kaum mehr als nur ein schmaler Spalt zwischen beiden Lidern – waren fast ständig geschlossen. Als ihn der Tod ereilte und ihm in seiner letzten Stunde die Augen öffnete, rief die schwarze Julia, seine langjährige Lebensgefährtin, voller Verblüffung aus: Der verflixte Kerl hatte ja blaue Augen! Noch lange wiederholte sie schluchzend wieder und wieder: Was für schöne Augen der Verblichene hatte! Was für wunderschöne Augen! Sie waren blau, seine Augen!
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Ramón Quichiyao (Futrono)
Das Leben ist zu nichts nutz! Schon seit undenklichen Zeiten hatte er diese Angewohnheit. Kaum trank er ein Glas Wein, hob er in reinstem José-Alfredo-Jiménez-Stil laut und klagend an zu singen: „Nutzlos ist das Leben, das Leben nützt zu nichts, gleich am Anfang stehen Tränen und genau so endet es auch …“. Und er sang, bis ihm vor lauter Leid und Sehnsucht angst und bange wurde und Tränen in den Augen standen … Jahre später nahm ihn der Kommandant einer Militärstreife in Curriñe fest und an Händen und Füßen gebunden wurde er auf der Ladefläche eines olivgrünen Lastwagens abtransportiert. Es war jene kühle Nacht des 9. Oktobers 1973 in den Thermen von Chihuío, während der das alte Gebirge beharrlich seinen feinen Kristallen der Einsamkeit und Transparenz nachspürte. Endlich erschlossen sich meinem alten Freund Segundo Pedreros die traurigen Worte seines Lieblingsliedes.
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Nelson Antonio Torres (Castro)
Geschichte der Diktatur in Chile – gebeugt
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Nelson Antonio Torres (Castro)
1973 Ich war ein Soldat, der gegen einfallende Heerscharen kämpfte. Heldenmütig bewarf ich den Feind mit Trauben und Mandeln. An diesem Morgen feuerte mein Plastikpanzer eine Breitseite auf den Aggressor ab und das Getöse war echt, es gab sogar Rauch und später die Geräusche von Flugzeugen und Bombenangriffen, die jetzt erstaunlicherweise nicht meinen Tötungsmaschinen entstammten. Ich blickte zum Fenster hinaus und dieses Gebäude da stand in Flammen. Mit meinen Kinderaugen sah ich einen Feuervogel sich aus den Trümmern erheben und in seinen Klauen einen Mann davon tragen, der wie ein weißes Tuch flatterte.
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Kurz und gut
Microcuentos - Literatur im Kürzestformat
Gabriele Eschweiler Die Kürze „Warum bist du so kurz? liebst du, wie vormals, denn Nun nicht mehr den Gesang? fandst du, als Jüngling, doch In den Tagen der Hoffnung, Wenn du sangest, das Ende nie?“
Wie mein Glück, ist mein Lied. –Willst du im Abendroth Froh dich baden? Hinweg ist’s, und die Erd’ ist kalt, Und der Vogel der Nacht schwirrt Unbequem vor das Auge dir. Friedrich Hölderlin
I „Lo breve, si bueno, dos veces” (sprichwörtlich)
B
ereits die antiken Rhetoren huldigten dem Grundsatz, dass in der Kürze die Würze liege. Neben der „puritas“ (Reinheit im Sinne von sprachlicher Korrektheit) und der „perspicuitas“ (Klarheit, Verständlichkeit) gehörte die „brevitas“ (Kürze) zu den „virtutes orationis“ des Marcus Fabianus Quintilianus. Gemeint war die angemessene Kürze, das richtige Maß zwischen übermäßiger Raffung, die auf Kosten der Verständlichkeit geht, und wortreicher, den Zuhörer langweilender Weitschweifigkeit. Die moderne Rhetorik verfügt über Untersuchungen, wann die Aufmerksamkeit des Publikums nachlässt, und in kirchlichen Predigerseminaren kursiert noch immer das Aperçu „Du darfst über alles predigen, nur nicht über zwanzig Minuten“ – allerdings mit wechselnden Zeitangaben. Man kommt dem, was die antiken Rhetoren mit „brevitas“ gemeint hatten, näher, wenn man ausgerechnet Homer als Vorbild für Kürze nennen hört, da innerhalb der Großform des Epos bei ihm nichts redundant sei. Ein modernes Sachwörterbuch zur Sprachwissenschaft definiert „redundant“ als Information ohne Neuigkeitswert. „Von Redundanz spricht man vor allem dann, wenn Informationseinheiten weggelassen werden können, ohne dass die Botschaft abnimmt.“1 Die Weltliteratur der letzten zweieinhalbtausend Jahre stellt einen fast unübersehbaren Kanon von Kurzformen zur Verfügung. Einen großen Teil davon kann man unter dem Oberbegriff didaktischer oder sonst wie zweckgerichteter Texte subsumieren. Beispiele dafür sind die in diesem Zusammenhang immer wieder - und nicht immer zutreffend - als „Urtext“ genannten Äsopschen Fabeln, aber auch die Gleichnisse im Neuen Testament oder etwa die Bestiarien bzw. deren bis in die Spätantike zurückreichende Vorform des „Physiologus“, der Naturbeschreibung und Heilsgeschehen in Verbindung bringt. Gerade auf die Bestiarien greifen moderne Meister der Kurzform wie Franz Kafka, Guillaume Apollinaire, Jorge Luis Borges oder Juan José Arreola gerne, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen zurück. Die Kürze dieser Texte, speziell der Fabeln, ist z. T. wohl Folge der pädagogischen Absicht. Auch heute werden Schriften zu didaktischen Zwecken gekürzt. Bisweilen – wie das Phänomen der die 1950er prägenden „Reader’s Digest Auswahlbände“ zeigt – ist die Grenze zwischen volksbildnerischer Absicht und Zensur fließend.
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Dietrich Homberger, Sachwörterbuch zur Sprachwissenschaft, Stuttgart 2000, S. 432.
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Als weitere Gruppe könnte man Spruchdichtungen aller Art, vom römischen bis zum barocken Epitaph, von Epigramm und Aphorismus bis zum japanischen Haiku zusammenfassen, wobei der Haiku, eine aus drei Zeilen zu insgesamt siebzehn Silben bestehende Form, von einer wie auch immer gelagerten Interpretierbarkeit, die einen versteckten Sinn zu finden trachtet, am weitesten entfernt ist. Vielleicht gehört auch der der Abwehr alles Dogmatischen dienende Spontispruch der 1960er bis 1970er Jahre in diese Kategorie. Generell kann man, wenn man sich den Kanon abendländischer Dichtung und seine Rezeption ansieht, sagen, dass das Etikett „kurz“ oft mit „klein“ assoziiert und als Nebenform abgehandelt wird, der man im Pädagogischen liegende Berechtigung zubilligt. Möglicherweise hängt es damit zusammen, dass der Europäer keine Sinn-Lücken erträgt und stets nach einer Auflösung oder Abrundung sucht. Dass dies im 21. Jahrhundert mit dem Verlust geschlossener Weltbilder zunehmend schwierig wird, mag zur Wiederentdeckung einer Kürze beigetragen haben, die jenseits aller Zweckrichtung liegt.
II „Hierzulande musst du so schnell rennen, wie du kannst, wenn du am gleichen Fleck bleiben willst.“ (Lewis Carroll)
Die große bürgerliche Romanliteratur des 19. Jahrhunderts (Honoré de Balzac, Gustave Flaubert, Lew Tolstoj, Herman Melville, Charles Dickens u. a.) kann man auch vor dem Hintergrund der literarischen Aufarbeitung des 20. Jahrhunderts als zwangsläufig zum Scheitern verurteilten, am Ideal des Epos orientierten Versuch auffassen, der „transzendentalen Obdachlosigkeit“ (Georg Lukács) der Moderne beizukommen, indem das Individuum im Laufe seiner Biografie auf die Suche nach einer Abgeschlossenheit geschickt wird, die objektiv nicht mehr besteht. Der Gang des Helden in die Welt stellt in einer durch die hektischen Umbrüche der industrialisierten Welt gekennzeichneten Zeit keine Garantie mehr für eine Sinnfindung dar. Literarisch versuchte der Futurismus, der um die Zeit des Ersten Weltkriegs aufkam, Schnelligkeit darstellbar zu machen. Bereits Blaise Cendrars’ Prose du Transsibérien et de la petite Jeanne de France (1913) ist einer jener Texte, der Modernität mit Technik und Tempo assoziiert. Der Umbruch, der in der modernen Großstadt seinen Ausdruck fand, wurde vor allem als Akzeleration erlebt, der der Mensch hilflos ausgesetzt ist und der er sich aktiv zu stellen hat, wenn er nicht, wie Alfred Döblins Held Franz Biberkopf in Berlin Alexanderplatz (1929) unter die Räder kommen will. John Dos Passos schlägt in Manhattan Transfer (1925) die Verteilung auf verschiedene Personen als Exemplifikationen des Umgangs mit dem Phänomen der modernen Großstadt vor, aber der eigentliche Held seines Romans ist die Metropole selbst. Vielleicht ist die Anverwandlung alter literarischer Kurzformen zusammen mit der Tendenz zum Fragmentarischen seit Beginn des 20. Jahrhunderts, die das Werk von Franz Kafka bereits dominiert, eine Konsequenz einer immer schneller werdenden Zeit. Jorge Luis Borges, einer der Meister der Kurzform, kommentiert das so: „Uns fehlt der Optimismus des 19. Jahrhunderts, zu glauben, diese Welt ließe sich auf fünfhundert Seiten einfangen, deshalb wählen wir die kurze Form!“ Die explosionsartige Ausbreitung der Massenmedien in den letzten zwanzig Jahren stellt eine neue Qualität dieses Prozesses dar und wird unweigerlich zu neuartigen literarischen Ausdrucksformen führen. E-Mail und Internet bringen eine annähernde Zeitgleichheit des Sendens und Empfangens von Nachrichten. Die Zeit, die die Nachrichtenübermittlung – auch im globalen Kontext - braucht, tendiert mittlerweile gegen Null. Damit geht allerdings zwangsläufig eine Überforderung des Rezipienten einher. Paul Virilio, Urbanist und Begründer der Dromologie (Wissenschaft von der Geschwindigkeit), sieht unser Zeitalter von einer unheilvoll sich verselbstständigenden Beschleunigung bis hin zum
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„rasenden Stillstand“2 bestimmt. Für ihn beruhen die bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse auf einer Schnelligkeit, die uns zur gleichen Zeit mobilisiert und lähmt.
Die moderne Wiederentdeckung einer keiner pädagogischen Absicht oder anderen Zwecken geschuldeten Kürze steht mit den geänderten Lebensverhältnissen ab Mitte des 19. Jahrhunderts in unmittelbarem Zusammenhang. Der erste der modernen Apologeten der Kürze war wahrscheinlich der Amerikaner Edgar Allan Poe. Mit seinem pragmatisch ausgerichteten Essay Die Methode der Komposition (1846) verlangt er vom Autor Kürze, denn wenn man einen Text, etwa ein Gedicht, nicht um seinen Effekt bringen wolle, dann habe er zwangsläufig kurz zu sein. Die Kurzgeschichte ist nach Poes Ansicht (Vorbildcharakter hatten für ihn hierbei die brief tales von Nathaniel Hawthorne) dem Roman vorzuziehen, da durch die notwendige, alltagsbedingte Unterbrechung des Lektüreprozesses die „Einheit des Effekts“ zerstört werde. Die Forderung, den Leser in Spannung zu halten, hängt zusammen mit dem Aufstieg des Zeitungswesens, dieses wiederum mit der Entstehung moderner Drucktechniken im 19. Jahrhundert. Das Aufkommen des Feuilletons bot Autoren neue und bessere Absatzmöglichkeiten und war der Wegbereiter der Kurzgeschichte und des Episodenromans. Für Letzteren war Eugène Sues Zeitungsroman Die Geheimnisse von Paris (1842-43), der direkt das Feedback seiner Leserschaft miteinbeziehen konnte und somit eine absolute Neuheit darstellte, paradigmatisch. Der Leser wurde durch Tricks, wie den klassischen Cliffhanger3, zum weiteren Lesen und damit zum Kaufen des Blattes gebracht. Entsprechend bedingen sich die Entwicklung der Kurzgeschichte und die amerikanische Tradition des Journalisten-Autors. Bereits Edgar Allan Poe schrieb seine Geschichten zur Publikation in Zeitungen. Ambrose Bierce war Journalist und Schriftsteller, ebenso wie der von Joseph Conrad bewunderte Stephen Crane, der wiederum das unangefochtene Vorbild für Ernest Hemingway war. Die Liste ließe sich gerade in der amerikanischen Literaturgeschichte beliebig fortsetzen. Schnörkellose Kürze und klare Sprache waren für die deutschen Schriftsteller nach dem Zweiten Weltkrieg (Heinrich Böll, Alfred Andersch, Wolfdietrich Schnurre, Wolfgang Weyrauch, um nur einige zu nennen) das Antidot gegen den Schwulst und das falsche Pathos der Nazis, die dereinst die Dauer ihrer Herrschaft auf tausend Jahre veranschlagt hatten. Dass die Kurzgeschichte die Gegenwart zum Thema hat und sich oft auf den Knick in der Biografie eines einzelnen Protagonisten beschränkt, erinnert von Ferne immer noch an Zeitungsmeldungen, passte aber in die nach Aufarbeitung geradezu schreiende Zeit nach der Nazi-Barbarei.
Abb.: Quetzal-Redaktion,gt
III The limit of a single sitting (Edgar Allan Poe)
2 Vgl. Paul Virilio L’inertie polaire (1990). 3 Der Begriff Cliffhanger geht zurück auf den ursprünglich in Fortsetzungen publizierten Roman Blaue Augen (187273) von Thomas Hardy, in dem der Protagonist Knight sich so lange am Klippenrand festhalten muss, bis die Heldin Elfride Swancourt ihn schließlich aus seiner misslichen Lage befreien kann.
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IV„ … je dichter, je kompakter, desto ausdrucksvoller und schärfer …“ (Anton Tschechow)
Die Kurzgeschichte ist eine komprimierte Erzählform. Grundprinzip ist, dass alles, was der Leser sich selbst zu erschließen in der Lage ist, weggelassen werden kann. Einleitungen, die langsam in Ort und Zeit der Handlung einführen, zählen genauso zu den Redundanzen wie atmosphärisch dichte Charakterisierungen oder essayistische Einschübe. Die Handlung liegt jenseits der Wörter – Ernest Hemingway hat dies mit einem Eisberg verglichen, von dem das Wenigste sichtbar ist. Bei ihm wird gerade das Weggelassene zum eigentlichen Rückgrat der Story. Die Pragmatik der amerikanischen Poetiken der Kürze von Edgar Allan Poe bis Ernest Hemingway steht in der „brevitas“-Tradition der antiken Rhetoren. Zugleich klingt aber auch schon eine Skepsis gegen die Wörter an, die die Literatur des 19. von der des 20. Jahrhunderts unterscheidet und die die Entwicklung der Kurzformen bis hin zur Kürzestgeschichte prägt.
V „…das Unsagbare, das sein Wort sucht, das Wort, das sich weigert, das Unsagbare zu sagen…“ (Julio Cortázar)
Heißt dies aber, dass die dicke Romanschwarte ein Auslaufmodell darstellt? Vielleicht ist die Beschränkung auf die Beschreibung des Helden und wie er die Welt sieht ein Akt demütigenden Verzichts auf eine wenigstens annähernd vollständige Darstellung der Realität. In einem seiner Texte in der Sammlung Ein gewisser Lukas (1979) nimmt der Argentinier Julio Cortázar offenbar Bezug auf die in den 1960er und 1970er Jahren in linken Kreisen aufgewärmte RealismusFormalismus-Diskussion, indem er sein Alter Ego Lukas ein Manifest vorlesen lässt: „Zwei Bände und einen Anhang zusammenfassend, verlangt ihr Dichter Vom Schriftsteller Erzähler Romancier dass er darauf verzichte, voranzugehen, und sich einrichte hic et nunc (übersetz das, Meyer!), damit seine Botschaft nicht überschreite die semantischen, syntaktischen, der Erkenntnis zugänglichen, parametrischen Bereiche des Menschen seiner Umwelt. Hm! Mit anderen Worten, dass er darauf verzichte, jenseits des Erforschten zu forschen, oder dass er forsche, um das Erforschte zu erklären, damit jede Forschung einbezogen wird in die abgeschlossenen Forschungen. Soviel vertrau ich euch an: könnte man doch im Hier verweilen und käme trotzdem voran. (Wie glänzend mir das gelungen ist!) Aber es gibt wissenschaftliche Gesetze, die verneinen die Möglichkeit einer so widersprüchlichen Bemühung, und noch etwas, schlicht und ernst: es gibt keine Grenzen für die Imagination, es sei denn die des Worts; Sprache und Erfindung sind brüderliche Feinde“4 4 Julio Cortázar, Ein gewisser Lukas, Frankfurt 1992, S. 132f.
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Wirklichkeitsbeschreibung im Sinne eines tradierten Realismus hat zahlreiche Implikationen, die gerade aus der Wirklichkeit herausführen. Das vorgegebene ideologische Weltbild wird nicht verlassen, sondern lediglich interpretiert. Der Schreibende soll sich nicht im Unbekannten aufhalten - was bisweilen für die Erhaltung der Macht der Mächtigen von Vorteil ist. Ein – im Sinne eines wahren Realismus - Verweilen im Hier und eine Auslegung der Welt – und sei sie noch so fortschrittsorientiert - schließen sich aus, da zwischen Imagination und Wort immer eine Differenz lauert. Der „gewisse Lukas“ schlägt entsprechend einen ironischen Kompromiss vor: Da Fortschritt in der Annäherung an die (zunehmend unbeschreibbare, d. h. abstraktere, den Leser herausfordernde) Wirklichkeit besteht, verzichtet der Schriftsteller auf ihre Darstellung, während die Anhänger einer „Volksschriftstellerei“ Computern und Düsenflugzeugen entsagen. „Wenn ihr uns den dichterischen Fortschritt verbietet, warum wollt ihr dann in aller Ruhe vom wissenschaftlichen Fortschritt profitieren?“5 Kürze in diesem Sinne ist also mehr als ein rhetorischer Trick. Die Beschreibung der Tiefe des Eisbergs ist der Imagination eines mutigen Lesers anheimgegeben. Sie ist mit Mitteln der epischen Breite nicht mehr darstellbar, weil sie sich den Wörtern entzieht. Der Held ist der Leser selbst, der sich wie ein Forschungsreisender in eine unentdeckte Welt begibt und dabei natürlich auch scheitern kann. Die Wörter, die der Schriftsteller noch zur Verfügung stellen kann, sind allenfalls Landmarken auf einer unpräzisen Karte. Die verwickelten Sätze zu dechiffrieren, erfordert also einen aktiven, selbstständigen, nicht ferngelenkten Leser. Dazu ist epische Breite weder notwendig noch möglich. Die oben zitierte Definition der Redundanz geht wie folgt weiter: „Im Kommunikationsprozess gilt: je höher die Redundanz, desto sicherer die Informationsweitergabe.“6 Aber diese Sicherheit kann der Schriftsteller am Beginn des 21. Jahrhunderts nur dann liefern, wenn die von ihm dargestellte Realität ohnehin bekannt ist, die terra incognita erforscht, die Landkarten erstellt sind. Eine neue Interpretation, eine frische Perspek-
Der Dinosaurier Als er aufwachte, war der Dinosaurier immer noch da. tive auf Bekanntes ist jederzeit möglich. Und selbstverständlich hat dies seine Berechtigung, solange der Autor nicht die begrifflich erfasste Welt für die einzige ausgibt.
VI „Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag.“ (Franz Kafka) Während der im Zusammenhang mit Fortsetzungsromanen bereits erwähnte Cliffhanger den Leser nur vorübergehend der eigenen imaginären Unsicherheit überlässt - einem wohligen Schwindelgefühl, aus dem gerettet zu werden er sicher sein kann - , ist die Kürze, um die es in der lateinamerikanischen Tradition der „microcuentos“ geht, für den Leser riskanter. Übersetzen kann man den Begriff am besten mit „Mikrogeschichte“ bzw. „Mikroerzählung“. Neben „klein“ bedeutet das Griechische „mikrós“ auch „eng“. Tatsächlich entziehen sich die auf Streichholzschachtelgröße zusammengefalteten Texte weitgehend gängigen Lesekonventionen. Bereits mit dem zweiten Teil der Übersetzung der Komposita („Geschichte“/„Erzählung“) rennt man – jene Romane und Erzählungen vor Augen, gegen die „der gewisse Lukas“ vorgeht - ins Leere. Zwar wird allgemein die Kürzesterzählung „An Circe“ (1917) von dem Mexikaner Julio Torri als die erste dieser Art in der lateinamerikanischen Literatur angesehen, aber als der eigentliche Begründer und unangefochtene Meister dieser Gattung gilt trotzdem der Guatemalteke Augusto Monterroso. Sein Text Der Dinosaurier (1959) ist – folgt man Umberto Eco – der kürzeste Roman der Welt. 5 6
Cortázar, a. a. O., S. 135f. Homberger, a. a. O., S. 432.
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Einerseits beinhaltet der äußerst knappe Text, der auch von Augusto Monterroso als Roman verstanden werden will, wichtige Ingredienzen dessen, was gängig unter Belletristik verstanden wird, nämlich einen im Sinne auktorialen Stils vorhandenen Protagonisten („er“), der Erstaunliches durchmacht, aber die Fragen, die der Text aufwirft, und die möglichen Antworten, die der Leser durchzuspielen aufgerufen ist, verlegen die fiktionale Handlung auf die Ebene des Rezeptionsprozesses. Man kann zunächst einmal einen Negativ-Katalog all dessen aufstellen, was bei den „microcuentos“ – zumindest bei einem repräsentativen Teil davon - vermieden bzw. weggelassen wird: Es fehlen Elemente des Dramatischen wie Exposition, Aktion, Höhepunkt oder Auflösungen; es fehlen aber auch Großprosa kennzeichnende Elemente, die z. T. bereits von der Kurzgeschichte ausgespart wurden: Einleitungen, Personenbeschreibungen und andere Charakterisierungen, anekdotische Exkurse und jede Art komplexere, aber kausal decodierbare Handlungsabläufe. Und wenn solche Elemente auftauchen, dann oft so, dass dem Rezipienten damit doch nicht geholfen ist. Ähnliches gilt, wenn, wie bei den „microcuentos“ häufig, auf tradierte Kurzformen, wie Fabel, Parabel oder Bestiarium, zurückgegriffen wird. Augusto Monterrosos Zeitgenosse Juan José Arreola variiert solche Formen in seinem Erzählband Confabularium (1952) und überschreitet dabei weitere Grenzen, indem er Essays, Sinnsprüche, Zeitungsannoncen oder -artikel fingiert, wobei eine erzähltypologische Einordnung des wiedererkennbaren, parodierten Sujets ebenfalls nicht weiterbringt. An die Form der Naturgeschichte knüpft auch Julio Cortázar mit seinen Geschichten der Cronopien und Famen (1962) an, ebenso wie er in den darin enthaltenen Unterweisungen die Form der didaktischen Rezeptur wählt, um surreale, Perspektiven verzerrende, verstörende, im wörtlichen Sinne verrückte Einblicke in eine unbekannte, nicht einsortierbare Welt zu geben. Wegweisend für die Herausbildung dieser Textsorte war die von dem anderen großen argentinischen Literaten Jorge Luis Borges gemeinsam mit Adolfo Bioy Casares herausgegebene Anthologie Cuentos breves y extraordinarios (1953), in der Text(ausschnitt)e der Weltliteratur aller Zeiten versammelt sind, deren gemeinsamer Nenner – so die Herausgeber in ihrem Vorwort – die Kürze und damit die Essenz des Erzählens ist. Jorge Luis Borges bezieht sich auf Franz Kafka, der die lateinamerikanische Tradition der Kürzesterzählungen maßgeblich geprägt hat und der bei allem Unabhängigkeitsstreben unangefochtenes Vorbild blieb. So vermischen sich im Kampf um Eigenständigkeit die Loslösung von europäischer Großepik mit einem grimmigen, satirischen bis grotesken Humor, der vor der an Absurditäten und Unbegreiflichkeiten strotzenden, episch nur schwer abbildbaren blutigen lateinamerikanischen Geschichte angemessen erscheint. Die „microcuentos“ erfordern einen äußerst wachen und autonomen Leser, der mehr als nur Konsument sein will und muss. Die Sonden in eine unbekannte Welt, die diese Kürzesttexte legen, entsprechen, anders als die Kritiker des „gewissen Lukas“ nahelegen, sehr wohl einem politischen Programm. Jede Art von Konformismus, jedes sich Einrichten hic et nunc bedeutet auch die Weigerung, sich von einer vom militärisch-technischen Apparat vorgeformten Realität vereinnahmen zu lassen und ist zu unterlaufen. Der Rücktritt vom Amt des Welterklärers, das mit der Figur des europäischen Romanciers von Honoré de Balzac bis Thomas Mann fast automatisch verbunden war und das weit gehend ins 19. Jahrhundert gehört, ist durchgängig. Die Verantwortung – und dies ist zumindest bei Julio Cortázar auch politisch zu verstehen – liegt bei jedem Einzelnen.
VII. „For sale: baby shoes, never worn.“ (Ernest Hemingway)
Die Geschichte der Mikroerzählung ist aber keineswegs abgeschlossen. 1992, also annähernd zeitgleich mit dem Beginn der Internet-Revolution, erschien in den USA die von James und Denise Thomas sowie Tom Hazuka herausgegebene Anthologie Flash Fiction: 72 Very Short Stories. „Flash Fiction“ bezeichnet seitdem eine meist mit dem „Worldwide Web“ verbundene
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Variante der Kürzestgeschichte. Andere Terminologien sind „sudden fiction“, „short short stories“ (ebenfalls dem Titel einer bereits 1983 erschienenen Anthologie entnommen), „fast fiction“, „postcard fiction“, „smoke-long fiction“, „kitchen sink fiction“, „prosetry“, an die Lateinamerikaner erinnernd „micro-stories“ oder „nano fiction“. Verbreitung finden diese Kürzesttexte in „eZines“ und anderen Internetformaten wie „Smokelong Quarterly“, „Flash Fiction Online“, „Vestal Review“ oder „ia(¶)“, aber auch in Literaturmagazinen und Tageszeitungen. Interessante Spielarten sind u. a. der Drabble, der aus exakt 100 Wörtern zu bestehen hat (die Überschrift nicht mit eingerechnet), der 69er, der ohne die Überschrift genau 69 Wörter zählt und in dem kanadischen Literaturmagazin NFG erscheint und der 55er, der zehn Zeilen und 55 Wörter aufweist. Die erste Zeile hat zehn Wörter, jede weitere ist um ein Wort zu kürzen, so dass zum Schluss nur noch ein einziges übrig bleibt. Das Projekt „365 Tomorrows“ bietet seit 2005 täglich einen Science-Fiction Flash Fiction Text zur Lektüre an. Bruce Holland Rogers veröffentlicht das Format „369“, das sich in eine übergeordnete Überschrift und drei thematisch verwandte 69er mit jeweils eigenen Titeln aufgliedert. Von Mark Budman stammt der erste Roman-in-flashes. Im Jahre 2007 wurde der Micro Award für englischsprachige Flash Fiction Publikationen erstmalig verliehen. Die lateinamerikanische Antwort auf Flash Fiction sind z. B. die „cuentos ultracortos“, die mit maximal 200 Wörtern veranschlagt werden, um das Höchstmaß einer Webseite nicht zu überschreiten. Der mexikanische Literaturwissenschaftler Lauro Zavala beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dieser Textsorte und organisierte im Jahre 1998 den Primer Encuentro Internacional de Minificción. Das 1969 veröffentlichte Buch des Mexikaners Sergio Golwarz Infundios ejemplares enthält bereits alle wesentlichen Elemente dieser neuen Form von Fiktion. Der erste Text des Buches zählt 500 Wörter. Jede der 42 darauf folgenden Kürzestgeschichten ist jeweils kürzer als die vorherige und das Buch endet mit der kürzesten Erzählung der Welt, die lediglich aus dem Wort „Dios“ besteht.
Abb.: Quetzal-Redaktion,gt
„Wir befinden uns in der Spätzeit des Drucks, einer Übergangszeit, da das Buch, wie wir es kennen, dem Ausdruck des Geistes in Lichtformen Platz macht.“ Michael Joyce
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