White Paper: focus NEW SALES

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NeW SaleS

D e pa rt u r e W h i t e pa p e r




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NeW Sales

D e pa rt u r e W h i t e Pa p e r


focus N e W S a l e s

I n h a lt

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New Sales for New Products

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So einfach wie ein gutes Geschenk

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Wo ist mein Kunde?

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VorWort von Bettina Leidl

G a s t k o m m e n ta r v o n C a r l F r e c h

G a s t k o m m e n ta r v o n D o r i s R o t h a u e r

»Der Marketingalltag ist harte Vertriebsarbeit« I n t e r v i e W m i t A l e x a n d e r M ü h r

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»Marktforschung als Konversation mit dem Publikum«

V e r t r i e b i s t e i n k r e at i v e r G e s ta lt u n g s p r o z e s s

I n t e r v i e W m i t C h r i s t o p h H o f i n g e r

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StichWort Design

StichWort Mode

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StichWort Musik

S t i c h W o r t a n d e r e K r e at i vb r a n c h e n : Audiovision, VerlagsWesen, Kunstmarkt, Architektur

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StichWort onlineMarketing

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D e r B 2 B -V e r k a u f s z y k l u s

»Ein Brand ist ein Dialog geworden« I n t e r v i e W m i t B e n K n a p p

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Lebe dein Label

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Online on Main Street

Best Practices

Best Practices


focus N e W S a l e s

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»Le New Black« ist das neue Schwarz der Mode Best Practices

Zurück zum Ursprung als Innovation Best Practices

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Growth Hackers sind die neuen Renaissancemenschen Best Practices

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Design ist keine Kunst

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Self-Marketing und kreative Kooperationen

Best Practices

Best Practices

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Der amerikanische Markt: riesig, saturiert, anders G a s t k o m m e n ta r v o n C h r i s t i a n K e s b e r g

Lo k a l v e r s u s i n t e r n at i o n a l

»Nichts ersetzt die Präsenz vor Ort« I n t e r v i e W m i t B e r n d t H a u p t k o r n

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»Aufholbedarf bei der Professionalisierung«

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»Es ging darum, ein eigenes Ökosystem zu bilden«

I n t e r v i e W m i t A n d r e a s W i e s m ü l l e r

I n t e r v i e W m i t J o h a n n e s K n o l l

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»Wie man ein Produkt kommuniziert, ist Teil der kreativen Entwicklung des Produktes«

I n t e r v i e W m i t S a l ly B i b a W y

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Perspektiven

Impressum

Dank

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focus N e W S a l e s

VorWort von Bettina Leidl

New Sales for New Products Innovative Vertriebsstrategien für kreative Produkte und Dienstleistungen

Fast alle Kreativen stehen vor der gleichen Herausforderung: Sie haben eine herausragende Idee, bieten eine innovative Dienstleistung oder sogar schon ein fertiges Produkt – aber was dann? New Sales meint als Kurzwort für innovative Vertriebsstrategien beides, nämlich den Vertrieb selbst neu zu betrachten und all seine Facetten zugleich von Beginn an gedanklich in den Schaffensprozess zu integrieren. focus New Sales lädt Kreative ein, einen neuen Blick auf ihre Arbeit, ihre Produkte oder Dienstleistungen zu werfen, sie aus der Perspektive potenzieller Kunden zu (über)denken und damit auch deren Vertrieb zum Gegenstand ihrer Kreativität zu machen. New Sales impliziert auch, dass kreative Produkte und Dienstleistungen andere Marketingstrategien brau­­chen als traditionelle Produkte und dass diese Strategien nicht hinter der Qualität, der Kreativität und der Innovation der Produkte oder Dienstleistungen zurückbleiben dürfen. Selbstverständlich wird die herausragende Qualität bei den Entwürfen und der jeweiligen Umsetzung vorausgesetzt; aber sich nur darauf zu verlassen, genügt heute in kaum einer Branche, um potenzielle Kunden auch tatsächlich zu erreichen. Eine wirtschaftlich erfolgreiche kreative Leistung ist immer ein Zusammenspiel von hoher Ideen-, Fertigungs- bzw. Dienstleistungsqualität und gelungener Kommunikation mit dem Kunden. Für Unternehmen der Kreativwirtschaft bedeutet das häufig, dass die Nachfrage nach den speziellen Produkten und Dienstleistungen erst

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geweckt werden muss. Zudem ist das Neue so zu kommunizieren, dass – über die reine Funktionalität hinaus – die Innovation und das Lebensgefühl vermittelt werden, die mit dem neuen Produkt verbunden sind. Der „Sinn“ ihrer eigenen Leistungen ist vielen Kreativen meist so klar, dass sie die Notwendigkeit der Vermittlung, also der Kommunikation, vielfach unterschätzen. Oft fehlt es an entsprechendem Knowhow oder an zeitlichen und finanziellen Ressourcen oder auch an passenden Netzwerken, um Marketing und Vertrieb mit gleicher Energie und Professionalität zu betreiben wie Entwicklung und Produktion. Das gilt in besonderem Maße für EPUs und KMUs, die mit der Gestaltung und der Organisation der Herstellung ihrer Produkte voll ausgelastet sind und kaum mehr Kapazitäten für erfolgversprechende Marketing- und Vertriebsmaßstrategien haben. Tatsächlich sind die Kommunikation in verschiedenen Netzwerken, die zielgerichtete Erschließung neuer Kundenkreise mit geringen Streuverlusten und das Finden von geeigneten und/oder neuen Distributionskanälen nicht nur mit hohem Arbeitsaufwand verbunden, sondern erfordern oft auch kreative, über die Marketingstandards aus dem Betriebswirtschaftslehrbuch hinausweisende Ideen. departure möchte mit dem Call New Sales die Wiener Kreativwirtschaft ermutigen, die Verwertung ihrer kreativen und innovativen Produkte und Dienstleistungen auf eine nachhaltige Basis


zu stellen, neue Vertriebsstrategien zu erforschen, das Experiment zu wagen, sich neuen Kundensegmenten zu widmen und neue, innovative Partnerschaften einzugehen. Erfolgreicher Vertrieb, das zeigen die vielen Beispiele und Analysen in diesem White Paper, ist keine nachrangige Aktivität. Gerade in der Krea­tivwirtschaft sind Vertriebsmaßnahmen dann erfolgreich, wenn die Marketing- und Vertriebsstrategien schon als Teil der Produkt- und ­Service-Entwicklung mitgedacht und als ebenbürtige Kreativaufgabe verstanden werden. Der Kunde ist bereits in die Entwicklung eingebunden und kann das Produkt mitgestalten. Mit dem Call New Sales unterstützt ­departure in erster Linie Projekte von Unternehmen, die ihr Geschäftsmodell z. B. in Hinblick auf neue digitale Marketingkonzepte erweitern und ihre lokalen Erfolge und Erfahrungen nutzen, um internationale Märkte zu erschließen. Selten ist das Potenzial eines entwickelten Produkts ausgereizt. Eine nochmalige intensive Auseinandersetzung kann den Blick auf innovative Strategien öffnen, um zu überprüfen, warum etwas funktioniert und warum nicht. Der Call New Sales ist für departure die konsequente Fortsetzung des Calls Kooperation. Auch und gerade beim Vertrieb können Unternehmen der Kreativwirtschaft von Kooperationen innerhalb der Kreativwirtschaft ebenso wie von Kooperationen mit Unternehmen der klassischen Wirtschaft profitieren.

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Mein erster Dank gilt den Autoren Christian Dögl, Wolfgang Reiter und Robert Temel von der uma Holding GmbH, die mit ihren Texten, ihren Interviews und ihrer Expertise im Bereich Kreativwirtschaft einen umfassenden Einblick in das Thema Vertrieb geben. Für ihren kenntnisreichen Blick auf das Thema New Sales möchte ich mich bei Carl Frech, Christian Kesberg und ganz besonders bei Doris Rothauer bedanken, die auch dieses Jahr wieder als Door Opener zur Verfügung steht. Schließlich gilt mein Dank dem Grafiker ­Dieter Auracher, dessen Gestaltung dem Thema New Sales in zeitgemäßem Design gerecht wird. Im Team von departure möchte ich ganz besonders die Leistung von Anne Zimmermann würdigen, die fachkundig und mit großem Engagement das White Paper konzipiert und koordiniert hat. Dass die Ideen und Ausblicke, die durch neue Vertriebsstrategien entstehen, in der Folge Eingang in konkrete Richtlinien finden, dafür wird Irmgard Habenicht verantwortlich zeichnen. Für die konstruktive Zusammenarbeit bedanken möchte ich mich auch bei den übrigen Mitarbeitern von departure: Yvonne Bernard, Sonja Huber, Silke Köstenberger, Matthias Kieber, Michaela Reichel, Alexandra Stollreiter und Heinz Wolf.

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G a s t Ko m m e n ta r

So einfach wie ein gutes Geschenk Oder warum die Vertreibung aus dem Paradies vielleicht doch nicht so schlecht war. Von Carl Frech

Carl Frech unterrichtet seit 2005 an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg und seit 2011 an der School of Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. Er ist Partner bei der Fuenfwerken Design AG sowie Gründer und Partner der Intuity Media Lab GmbH und der dreizeichen verlag GbR. Darüber hinaus ist er als Unternehmensberater tätig.

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Ein Zitat des niederländischen Philosophen Baruch de Spinoza (1632–1677) lautet: „Nicht, weil eine Sache gut ist, begehren wir sie. Sondern weil wir sie begehren, erscheint sie uns gut.“ Darüber lohnt es sich, eine Weile nachzudenken, da im Kern dieses Zitates viel von dem versteckt ist, was in den Jahrhunderten nach Spinozas Tod die zentrale Herausforderung wachsender Produktivkräfte, vor allem aber eines immer vernetzter organisierten Handels wurde: „Wie vertreibe ich meine Produkte?“ Wobei das Problem schon im Wort selbst steckt, denn Vertrieb klingt irgendwie nach: „Ich will es los werden“, eben nach vertreiben und Platz schaffen. Adam und Eva wurden aus dem Paradies vertrieben, weil die von der Schlange verführte Eva vom Baum der Erkenntnis gegessen hatte. Danach erkannten sie ihre Nacktheit und damit die Peinlichkeit, die Schuld und damit den Vorwurf, vor allem aber die Last des Lebens und des Todes. Die katholische Kirche, im Prinzip wie alle Kirchen, hat sich daraufhin über die Jahrhunderte ein unschlagbares (Vertriebs-) Konzept einfallen lassen: Sie hat als Zielgruppe die komplette Menschheit identi­fiziert. Ihr Marken­kern verspricht ein Leben nach dem Tod; und so lange man lebt, bietet sie mit ihrem


­ arkenversprechen die Vergebung der Sünden. M Der geniale Trick ist, dass beides nur über Glauben funkti­oniert. Das machen Unternehmen wie­ Apple, Nike oder Red Bull heute im Wesentlichen nicht anders. Sie verstehen das Prinzip des Verführens bzw. des Entführens. Hat das geklappt, wissen sie ziemlich exakt, wie sie die Verführten innerhalb ihrer Aufmerksamkeit führen müssen. Das Ziel ist es nämlich, sie genau dorthin zu bringen, wo die stärkste Dopamin-Ausschüttung im Kopf der Verführten garantiert ist, denn damit wird die Sucht zum Wiederholen wahrscheinlich gemacht. Betrachten wir das Thema weniger dramatisch und um eine Nummer kleiner, vor allem aber menschlicher: Wer einer Freundin oder einem Freund ein Geschenk machen will, macht sich darüber vorher so seine Gedanken, was der Person gefallen könnte. Wie macht er das? Einfach dadurch, dass er sich den Menschen vorstellt. Er erinnert sich, wie die Person lebt, wie sie wohnt, welche kleinen Gewohnheiten und Vorlieben sie hat. Er macht sich ein möglichst komplettes Bild des Menschen, dem er ein Geschenk machen will. Und wenn er dies mit großem ­Wissen und – noch wichtiger – großer Empathie für den Beschenkten macht, dann wird das Geschenk für die Freundin oder den Freund zu einer großen Freude, die lange nicht oder auch nie vergessen wird. So einfach ist das. Wenn Unternehmen ihre Produkte und Dienst­leistungen stärker aus dieser – zugegeben recht idealistischen – Perspektive denken, gestalten und entwickeln würden, dann wäre der Vertrieb keine Frage und kein Grund für zum Beispiel schlaflose Nächte, sondern eine Antwort auf eine Frage, die man vorher gestellt hat: „Was brauchen, bedürfen, begehren Menschen bzw. welchen Nutzen können wir stiften, welches Bedürfnis befriedigen und welches Begehren wecken?“ Das machen Menschen, die sich ineinander verlieben, nicht anders, und idealerweise hält das Gefühl ein Leben lang. Dann löst sich der Begriff Vertrieb vielleicht auch in einer anderen Haltung, einer anderen Einsicht (insight) gegenüber dem Markt und gegenüber jenen auf, die man dort erreichen will:

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Menschen. Das Marketing spricht von ­Zielgruppen, ich spreche lieber von Stilgruppen. Wenn ich jene verstehe – und dies nicht nur durch die Brille ökoskopischer Filter –, für die ich ein Angebot habe, dann wird das Angebot, werden mein Produkt oder meine Dienstleistung von denen, die sich am Ende darüber freuen sollen, geprägt und auf eine Weise mitgestaltet, sodass sie einen großen Nutzen davon haben. Im besten Fall wird die Freude dann nicht vom Preis getrübt, der dafür zu bezahlen ist, sondern als ein Wert wahrgenommen und empfunden, für den man gerne etwas gegeben hat. Zugegeben, die Dynamik aktueller Märkte und globalisierter Produktivkräfte lässt scheinbar wenig Zeit für derartige Ansätze. Der Druck, auf den Wettbewerb zu reagieren, Trends sofort zu antizipieren und sich im allgemeinen kommunikativen Rauschen Gehör zu verschaffen, ist groß. Aber die Liste jener Unternehmen, die ihre Kunden, egal welchen Alters, als kundige, kompetente und kreative Menschen und nicht nur als Verbraucher, als Nutzer oder Beförderungsfälle gesehen haben und so mit ihren Produkten erfolgreicher wurden als andere, ist deutlich länger als jene, die sich erst darüber Gedanken machten, wie sie das Produkt loswerden könnten, als sie es fertig in Händen hielten. Es geht um eine gesunde Balance zwischen den Fragen: „Was ist gewünscht?“ (humane Faktoren), „Was ist möglich?“ (überwiegend technische Faktoren) und „Was ist profitabel?“ (wirtschaftliche Faktoren). Es geht aber in einer Zeit sich – wenn auch langsam – ändernder Aufmerksamkeit für globale und kausale Auswirkungen von Konsum auf soziale Arbeitssituationen, auf den Umgang mit Ressourcen bzw. die ökologisch negativen Veränderungen, die sich aus unserer Lebensweise ergeben, auch um die Frage: „Was ist verantwortlich?“ Wenn Produkte und Dienstleistungen eher mit einer Haltung gestaltet und erdacht würden, wie man seinen Freunden ein Geschenk macht, und wenn man sich selbst dann noch als Teil von allem betrachten würde, würden manche Produkte besser werden, wäre vieles einfacher, wären manche Nächte weniger schlaflos. Und dann war die Vertreibung aus dem langweiligen Paradies vielleicht gar keine so schlechte Idee.

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G a s t Ko m m e n ta r

Wo ist mein Kunde? Eine kleine Einführung in die Vertriebswirtschaftslehre Von Doris Rothauer

Es gibt nur eine gültige Definition für ein Unternehmen: einen Kunden zu finden. Peter F. Drucker

Doris Rothauer ist seit 1986 als Kulturmanagerin, Kuratorin und Beraterin an der Schnittstelle zwischen Kunst und Ökonomie sowie im Bereich der Kreativwirtschaft tätig; bisherige Stationen waren u. a. mumok, Wiener Festwochen, Wiener Secession und steirischer herbst. Von 1997 bis 2002 war sie Direktorin des Künstlerhauses Wien. Im Herbst 2006 folgte die Gründung des Büros für Transfer, das sie seit 2009 als Einzelunternehmerin führt.

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I. Der Weg zum Kunden ist das Ziel Am Anfang der Wertschöpfungskette steht die Kreation, am Ende der Vertrieb – und dazwischen liegt oftmals ein langer Weg: Nämlich jener, bis ein Produkt bzw. eine Dienstleistung beim Kunden ankommt. Wer für Kreation zuständig ist, denkt nicht immer bis zum Vertrieb, und obwohl das eine das andere bedingt, wird der Vertrieb gerne vernachlässigt. Mag sein, dass dies auch am Image liegt. Es geht nämlich ums Verkaufen, und das ist nicht nur wenig glamourös, sondern fällt den meisten auch besonders schwer. „Vertriebler“ zu sein oder zu werden – das wissen alle, die ein Wirtschaftsstudium belegt haben –, hat etwas Geringschätziges, mit all den vorurteilsbehafteten und stereotypen Konnotationen vom „Keiler“ bis zum „Handlungsreisenden“ à la Arthur Miller. Angehende Betriebswirte haben daher den Beruf des Verkäufers erst gar nicht auf ihrer Liste und die begnadeten Unternehmer, die zugleich geniale Verkäufer sind, sind rar. Doch Peter F. ­Drucker, der McLuhan der Ökonomie, machte es sehr deutlich: „Es gibt nur eine gültige Definition für ein Unternehmen: einen Kunden zu finden.“


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Foto: © brand unit, Alexander Nußbaumer

Pop-up Store „Ordinary House“

Damit ist klar: Der Weg zum Kunden ist das Ziel. Und diesen Weg zu gestalten, ist eine unternehmensstrategische Aufgabe, der sich auch die Kreation nicht verweigern darf. Denn die Zeiten, in denen sich Produkte allein durch ihre Präsenz verkauften, sind auch für die meisten Kreativ­ unternehmen vorbei. Das kann auch das beste Marketing nicht ändern. Es reicht nicht aus, kreative Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln und auf dem Markt zu platzieren; um Umsätze zu generieren, müssen sie verkauft werden.

II. Vertrieb braucht eine ganzheitliche Unternehmensstrategie Stellt sich die Frage, was Vertrieb von Marketing unterscheidet. Hierzu kann ein Blick in die betriebswirtschaftliche Lehre nützlich sein:

Marketing meint ganz generell eine marktorientierte Unternehmensführung. Im sogenannten ­Marketingmix kommen nach Philip Kotler, dem Begründer der modernen Marketinglehre, Produkt-, Preis-, Kommunikations- und Vertriebspolitik zusammen. Der Vertrieb korrespondiert also strategisch mit den benachbarten Bereichen innerhalb des Marketings und ist für die direkte oder indirekte Ansprache des Kunden – und damit für die Wahl der Kanäle, Formate und Konditionen – verantwortlich. Von einer Vertriebsstrategie spricht man, wenn diese Aktivitäten und Entscheidungen langfristig und im Rahmen der generellen Unternehmensstrategie sowie der Positionierung des Unternehmens geplant werden. So weit, so klar. Es lassen sich noch die Möglichkeiten zur Frage näher beschreiben: Wer spricht den Kunden wie an?“ Beim direkten Vertrieb – B2C oder Business to Consumer – verkauft das Unternehmen direkt, also ohne den Einsatz

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externer Absatzmittler, im persönlichen Kontakt oder über digitale Medien, im realen Raum oder online, bei Wettbewerben, Präsentationen, Veranstaltungen oder im eigenen Store. Die Tupperware Partys von gestern sind die Pop-up Stores von heute. Die Bedeutung des Direktvertriebs nimmt gerade in Nischen- und Qualitätsmärkten mit hoher Individualisierung immer mehr zu, unterstützt durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien. Weniger innovativ und oftmals ohne persönliche Einflussnahme, dafür aber mit der Aussicht auf breitere Streuung, ist der Vertrieb über den Handel oder andere externe Absatzmittler (B2B oder Business to Business). Darunter fallen etwa auch Vertreter, Agenturen, Galeristen, Kuratoren und andere vermittelnde Experten sowie Produzenten – vom Möbelhersteller bis zum Musiklabel. Hier stellt sich die Frage nach dem richtigen Vertriebspartner sowie der optimalen Ausgestaltung der Geschäftsbeziehung, was die Kenntnis der handels- und branchenüblichen Konditionen voraussetzt.

III. Sechs Hypothesen zum Focus Call „New Sales“ Von der Lehre zurück in die Praxis. In einer Ökonomie wie sie die Kreativwirtschaft repräsentiert, also in der Kreativität und Innovationskraft, Gestaltungswillen und Exzellenz, Sinnhaftigkeit und Bedeutung die treibenden Kräfte sind, bedarf es einer differenzierten Herangehensweise. Die folgenden Hypothesen könnten dabei im Rahmen des Focus Calls behilflich sein: 1. In der Kreativwirtschaft gestalten sich vertriebspolitische Fragen branchenspezifisch sehr unterschiedlich Dort, wo es um Dienstleistungen geht, ist zumeist der direkte Vertrieb in Form von Auftragsakquisition relevant. Branchen, die Dienstleistungen und Produkte anbieten bzw. neben Auftragsarbeiten auch Eigenprodukte entwickeln und auf den Markt bringen ­wollen,

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wie etwa im Produkt- und Industriedesign, aber auch in der Musik, zielen auf einen Mix an Akquisitions- und Vertriebsmöglichkeiten ab. Zudem sind nicht nur die Vertriebsmöglichkeiten, sondern auch die Konditionen (Pauschalabgeltungen, Honorierung nach Phasen, Provisionen, Lizenzverträge etc.) branchenund spartenspezifisch sehr unterschiedlich. Allein im Design wird zwischen Mode-, Grafik-, Produkt- und Industriedesign unterschieden. Meint der Begriff Akquisition in der Architektur oder im Design die Gewinnung eines Auftrags, kann Akquisition in der Multimedia-Branche auf den Verkauf des gesamten Unternehmens abzielen. Die Musikbranche wiederum steht vor der Situation, dass bisherige Vertriebswege und -konzepte für viele Sparten gar nicht mehr funktionieren und hier ganz neue Wege gegangen werden müssen. 2. Die wirtschaftliche Entwicklung macht einen Mix aus verschiedenen Vertriebsmaßnahmen immer notwendiger Es genügt für ein Unternehmen nicht mehr, einen Weg zu gehen, einen Kanal zu bedienen. Das gilt in besonderem Maße auch für die Kreativwirtschaft, wo einerseits der Mix an Dienstleistung und Produkt, an Auftragsarbeit und Eigenentwicklung üblich ist, andererseits der digitale Vertrieb ganze Branchen massiv verändert hat (Beispiel Musik) und neue Vertriebsmodelle erfordert. Oft liegt aber die Innovation nicht in der Erfindung von etwas Neuem, sondern im experimentellen Mix vorhandener Möglichkeiten. 3. Der gemeinsame Nenner aller Vertriebsentscheidungen ist die Notwendigkeit, das Thema strategisch anzugehen Strategisches unternehmerisches Handeln bedeutet, Erfolgspotenziale gezielt und langfristig aufzubauen und zu sichern. Strategisches Handeln setzt entsprechendes Denken voraus, das heißt die Fähigkeit, realistische Visionen zu entwickeln und durch Intuition, Erfahrung und Kreativität ein zusammenhängendes perspektivisches Bild der eigenen


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Tätigkeit, des eigenen Unternehmens zu erarbeiten. Strategisches Denken und Handeln ist in Bezug auf die eigenen Kernkompetenzen prozess-, zukunfts-, markt- und potenzialorientiert. Die Basis dafür ist eine klare Identität und Positionierung. 4. Vertrieb ist ein Kooperationsthema Kreativwirtschaft und „klassische“ Wirtschaft haben im Vertrieb ein gemeinsames Kooperationsinteresse: Der Vertrieb kreativer Dienstleistungen und Produkte ermöglicht beiden neue Marktchancen und -eintritte und steigert die Innovationskraft und damit die Wettbewerbsfähigkeit. Wenn beide Partner ihre Kernkompetenzen und ihr Wissen zusammenlegen, kann das im besten Falle zu neuen Geschäfts- und Vertriebsmodellen führen. Aber auch horizontale Kooperationen innerhalb der Kreativ­wirtschaft sind sinnvoll, um etwa fehlende Vertriebsplattformen aufzubauen.

für ein kreatives Produkt einen kreativen Vertriebsweg auszudenken und zu gestalten, kann ebenso lustvoll sein wie der Prozess der Produktentwicklung. Wer als Kreativer am Anfang der Wertschöpfungskette steht, sollte besonderes Interesse daran haben, dass das Ende dem kreativen Anspruch und seiner Zielgruppe gerecht wird. Auch das wachsende Designbewusstsein der Konsumenten muss dafür genutzt werden, Marketing, Kommunikation und Vertrieb noch besser zusammenzuführen und dabei die kreativen Potenziale stärker zu nutzen.

5. Die Notwendigkeit neuer Vertriebsmodelle kann bzw. muss mitunter auch zu völlig neuen Geschäftsmodellen führen Ein neues Geschäftsmodell entsteht, wenn man an den drei Grundsäulen eines Unternehmens, dem WAS, WIE und FÜR WEN, dreht, sie neu definiert oder auch „nur“ neu kombiniert. Apple führt uns das beispielhaft immer wieder vor. An der Inflexibilität bei Geschäfts­modellen können auch etablierte Unternehmen scheitern. Das experimentelle Spiel mit den drei Grundsäulen kann durchaus kreativ sein, ja könnte sogar die Kreativwirtschaft grundsätzlich auszeichnen, weil ja Kreativität (auch) darin besteht, abseits vorgegebener oder erprobter Pfade zu denken – was zur ­letzten Hypothese führt: 6. Vertrieb ist ein Kreativthema Im Trendbegriff „Sales Design“ klingt es schon an: Verkaufen wird immer mehr zum kreativen Gestaltungsprozess, an den die gleichen Maßstäbe angelegt werden können wie beim Entwurf eines hochwertigen Möbelstücks oder bei der Komposition eines Musikstücks. Sich

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IntervieW mit Alexander Mühr

»Der Marketing­ alltag ist harte Vertriebsarbeit« Alexander Mühr über Startups und Kreative, Hüte und Autos, Suchmaschinen und TV-Spots.

Alexander Mühr ist Geschäftsführer der Integra Performance Digital Consulting, einer Beratungsagentur, die sich auf Onlinemarketing spezialisiert hat. In diesem Bereich ist er seit 13 Jahren tätig. Weiters unterrichtet er unter anderem beim Weiterbildungsinstitut der Wirtschaftskammer (WIFI) und an der Fachhochschule Technikum Wien.

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Herr Mühr, ob Sie Kreativunternehmer als Partner beim Pitchen oder als Kunden haben, in beiden Fällen geht es um Vertriebstätigkeiten. Sehen Sie in diesem Bereich eine gute Affinität zum Verkaufen? — Es gibt natürlich Leute, die beides können. Einige kreative gute Ideen scheitern aber am Vertriebsthema: Die Gründer haben gute Ideen, zimmern ein gutes Produkt und bringen das auf die Welt – aber dann kümmern sie sich nicht genug um den Vertrieb. Es werden immer wieder die Beispiele beschrieben, wie ein gutes Produkt sich letztlich ganz von selbst viral verbreitet; aber das sind ganz wenige Erfolgsstorys, bei denen das möglich war. Der Alltag ist harte Vertriebsarbeit. Es stellt sich aber auch grundsätzlich die Frage, wo man die Grenze zwischen Kreativwirtschaft und anderen Bereichen zieht: Wir hatten vor einiger Zeit mit einem Startup eines IT-Menschen zu tun, der ein Vertriebsmodell für die Idee entwickeln wollte, soziale Anerkennung zu handeln; das ist nicht ursprünglich Creative Industries, aber es hat viel damit zu tun. Welche innovativen Modelle würden Sie empfehlen, um sehr personenzentrierten Brands zu helfen, wie sie beispielsweise in der Mode und im Design ja häufig sind? — Ich habe mit solchen Zugängen in meiner Lehrtätigkeit viel zu tun. Dabei geht es um einen professionellen Auftritt, um CI und CD, um ein konsistentes Erscheinungsbild, vor allem um viel persönliches Engagement. Ich hatte die Hutmanu­ faktur Mühlbauer als Kunden für die Website und den Webshop. Die haben gesagt, ihr Kern-


markt Österreich sei erschöpft, dafür würde man E-Commerce nicht brauchen; aber Hüte sind ein Produkt, das perfekt im Web zu vertreiben ist. Da braucht es nur den richtigen Marketingmix. Es hat beispielsweise keinen Sinn für ein Unternehmen wie Mühlbauer, wenn es Banner Ads schaltet, denn da stehen Kosten und Streuverluste in keinem brauchbaren Verhältnis. In diesem Fall war Content Marketing der richtige Weg, d.h. sich mit Bloggern zusammentun, diese mit Content und Produkten versorgen und so wachsen und in Regionen bekannt werden, in denen ­Mühlbauer bisher keine Marke war. Generell gibt es bei personenzentrierten Unternehmen das Problem, dass man sie zwar als Marke aufbauen kann, aber solche Modelle skalieren dann schlecht. Da wäre zu schnelles Wachstum sogar ein Problem! Sind aus Ihrer Sicht in der Kreativwirtschaft andere Vertriebsmodelle nötig als in anderen Branchen? — Das hängt im Wesentlichen vom Produkt ab: Ist es physisch, eine Dienstleistung oder digital? Es gibt viele spannende Modelle. Man muss sich umsehen und sich fragen: Welches Modell passt für mich? Das ist die Kernfrage. Ich finde etwa das Modell Freemium nach wie vor sehr interessant. Es gibt beispielsweise einen Dienst bzw. ein Service, ein Basisprodukt eben, das in seinen Funktionen zwar sehr eingeschränkt, aber dafür gratis ist; und rundherum gibt es eine Vielfalt an Modulen, die ich kaufen kann, um das Produkt hochwertiger oder leistungsfähiger zu machen. Die kosten dann extra, ähnlich wie die zusätzlichen Features beim Auto. Man kann als Kunde schnell einsteigen und dann als Anbieter intelligentes Cross- und Up-Selling offerieren, vom Abo bis zum Mieten von Gegenständen, die man nicht immer braucht. Interessant ist auch Media for Revenue/Equity, wie das ProSieben und Sat.1 aktuell in großem Stil machen: Da bekommt ein Startup Medienzeit nicht zum Fixpreis zur Verfügung gestellt, sondern gegen Umsatz- oder Unternehmensbeteiligungen – KochAbo ist ein Unternehmen, das in Österreich als eines der ersten so etwas gemacht hat.

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Wie sollte Ihrer Meinung nach die Kooperation zwischen Kreativunternehmen und Vertriebsspezialisten angelegt sein? — Das hängt vom Stadium ab, in dem sich ein Unter­nehmen befindet. Auf lange Sicht ist es unumgänglich, das Thema Vertrieb im Unternehmen zu verankern und nicht nur von außen zu bedienen. Aber es ist am Anfang natürlich oft nötig, das mit externen Dienstleistern abzudecken. Ein Beispiel aus meiner Tätigkeit ist das Unternehmen Autogott.at, eine Vergleichsplattform für Neuwagen, auf der man Autos direkt zum Bestpreis kaufen kann. Da ist es mit der technischen Plattform allein nicht getan. Man braucht einerseits eine Vertriebsstruktur für die Partner, die Autohändler, das heißt, man muss jemanden mit Partnerverträgen herumschicken; und man braucht andererseits den Vertrieb in Richtung Konsument, um die Plattform bekannt zu machen – da muss man ausloten, über welche Kanäle das möglich ist. Es gab viele Selbstversuche des Gründers, beispielsweise Verteilaktionen auf der Straße. Das war vom Prinzip her eine gute Idee, weil die Zielgruppe Autofahrer gut erwischt wurde, aber Reichweite und Kosten, also Ef‌fizienz, stehen in keiner guten Relation; besser ist da Suchmaschinen-Marketing. Braucht man als Kreativer Online-Experten fürs eigene Marketing? — Viele Gründer, auch in der Kreativwirtschaft, sind noch stark der klassischen Medienlandschaft verhaftet. Die denken daran, eine Anzeige zu schalten oder einen Radiospot zu machen. Denen muss man klarmachen, wie stark sich die Medienlandschaft gewandelt hat. Für uns ist da sehr viel zu tun, weil sich dieser Bereich dauernd ändert. Das nötige Knowhow muss täglich erneuert und ergänzt werden. Suchmaschinen-Marketing ist heute anders als vor einem Jahr, weil sich laufend die Algorithmen ändern. Facebook, eine wichtige Plattform für unsere Kunden, verändert permanent sein Layout und seine Funktionalitäten. Da braucht man einen Profi, der sich tagtäglich mit diesen Plattformen beschäftigt. Das kann man nicht nebenbei machen.

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V e r t r i e b i s t e i n k r e at i v e r ­G e s ta lt u n g s p r o z e s s Wenn Design ein Gestaltungsprozess ist, dann muss es sich auch auf den Verkauf anwenden lassen. Darauf zielt der Begriff Sales Design ab. Damit ist gemeint, dass Design nicht nur eine Applikation, also eine formgebende Zusatzleistung für Dinge ist, sondern auch die „Gestaltung“ von Prozessen umfasst, zum Beispiel den Verkauf eines Möbel-, Kleidungs- oder Musikstücks. Diese „Gestaltung“ erfordert nicht weniger Kreativität als die eigentliche Gestaltung der Stücke. Vielen Kreativen aber erscheint die Fokussierung auf die eigene Marktpositionierung und auf Vertrieb immer noch als Zeitverschwendung. Sie finden, dass das Marketing im Vergleich zu Design und Produkt dabei zu sehr in den Vordergrund rückt. Dabei ist die größte Geringschätzung, die Kreative ihren Produkten und damit sich selbst antun können, die, sie nicht genauso emphatisch zu vermarkten, wie sie sie entwickeln. Ein innovatives Produkt, das den Konsumenten nicht erreicht, hilft weder dem Erzeuger noch dem Kunden. Darüber kann man klagen oder handeln, nämlich indem man auch Vertrieb als kreative Arbeit begreift und sich an dessen Gestaltung macht. Giuliano Favini, Gründer von Logotel, Dienstleister für kommunikative Prozesse und Methodenexperte für produktive Zusammenarbeit, macht junge Designer immer wieder darauf aufmerksam, dass es ihm beim italienischen Wort „innovazione“ vor allem auf den etymologisch zwar irrelevanten, aber interpretatorisch wichtigen Wortbestandteil „azione“ ankommt, denn Innovation braucht Aktion. Innovativ ist für ihn erst dann etwas, wenn es in Handlung gesetzt

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ist und wenn die Handlung Wirkung zeigt. Oder kurz: Ein innovatives Produkt – ob ein Möbelstück, ein Kleid, ein Song oder eine App – ist erst dann innovativ, wenn es den Nutzer erreicht und dieser es tatsächlich anwendet. Die optimale Gestaltung des Vertriebs darf in gesättigten Märkten aber keine nachrangige Zusatzleistung sein. Bei seinen Seminaren und Workshops geht es Favini daher nicht in erster Linie um das Wie des Verkaufens, sondern um das Warum. Erfolgreiche Kreative haben das Warum – intuitiv oder kalkuliert – für ihre Produkte fast immer beantwortet und es potenziellen Kunden auch passend, also verständlich und/oder emotio­ nal, kommuniziert; oft, schon ehe sie sich auch Gedanken über das Wie gemacht haben. Häufig neigen Kreative aber dazu, für den Kunden zu entscheiden, ohne ihn zu fragen bzw. ohne ihm sinnfällig die jeweilige Anwendung zu erklären. Dabei sollte der Konsument schon von Anfang an Teil des Ganzen sein. Wenn er im Zuge eines integrierten Gestaltungsprozesses, der den Vertrieb mit einschließt, selbst zum Teil der Kommunikation wird, dann ist er nicht nur Markenfan, sondern auch Markenakteur. Lomography hat das perfekt vorgemacht. Left Boy tut das auch, wenn er seine Fans dazu animiert, seine Songs zu remixen und ins Netz zu stellen. Die Inszenierung von Begegnungen zählt zu den kreativen Schlüsselstrategien am Point of Sale, und Clemens en August machen den Kontakt zwischen ihrer Marke und den Kunden zu einer persönlichen Erfahrung. Diese bleibt nicht nur lange in Erinnerung, sondern macht die


Kunden selbst zu Ko-Vertreibern. Früher hieß das Mundpropaganda, heute heißt es Empfehlungs- oder C2C-Marketing. Dieses Kunden zu Kunden-­Marketing funktioniert nicht nur auf Produkttest- und Handelsplattformen wie eBay. Vor allem für Kreativprodukte lassen sich loyale Kundenbeziehungen oft am besten über lokale Communitys aufbauen. Lena Hoschek hat es mit ihrem Grazer Store vorgemacht. Zunächst hat sie sich einen auch untereinander interagierenden Kundenstamm vor Ort aufgebaut und diesen dann Schritt für Schritt erweitert – nach Wien und Berlin und dann virtuell über den erst später gelaunchten Onlineshop und eine gut betreute Facebook Seite in die ganze Welt. Ein Aspekt der Begegnungsinszenierung kann auch der sogenannte „produktionsgetriebene Handel“ sein: Hoscheks Grazer Store war zugleich Schneiderei und Verkaufslokal. Auch zahlreiche andere Ateliers, Galerieshops und inszenierte Produktionsstätten wie die Schokoladenmanufaktur Zotter zeigen, dass Verkauf und Produktion an einem Ort eine unwiderstehliche Anziehungskraft erzeugen. Kunden schätzen die Transparenz des Herstellungsprozesses, Handgemachtes und Unikate, kurz: Sie suchen nach der Produkt-Aura im Zeitalter des Massenkonsums. Web 2.0 Tools, Apps, Google & Co. unterstützen diese Entwicklung sogar und helfen dabei, die Kunden wieder an den Verkaufsort zurückzuholen. Lokale Shops profitieren von den neuen Medien, weil der analoge Point of Sale durch die mobile Nutzung über GPS-fähige Smart­phones und Tablets aufgewertet, also zum Point of Inte-

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rest wird. Die steigende Nutzung von lokalen Suchmaschinen und regionalen Bewertungsplattformen belegt diesen Trend. Auch Suchanfragen auf Google sind bereits zu einem Viertel lokal orientiert. Dass man als Einzelunternehmer bei den unzähligen Vertriebskanälen leicht den Überblick verlieren kann, ist evident. Auch der Einwand, dass nicht jeder kreative Modedesigner, nicht jede geniale Architektin, nicht jeder Musiker auch innovativer Sales Designer sein könne, ist berechtigt. In solchen Fällen lohnen sich vielleicht gezielte Kooperationen innerhalb der Krea­tivwirtschaft, gemeinsame Startup-­Projekte von Mode- und Werbedesignern, IT-­Pionieren und Musikern, die das Gemeinsame nicht ­pri­mär in gleichen Firmenanteilen sehen, ­sondern in der geteilten Idee und im kooperativen Innovationsgeist. Einer erfolg­ reichen Praxis im Vertriebs­design liegt vielfältiges Wissen unterschiedlichster Herkunft zugrunde. Branchenübergreifendes und interdisziplinäres Denken zeichnet auch den Sales ­Designer aus. Ferdinand Sarnitz’ Creative Factory in New York kann dafür ebenso als Vorbild gelten wie die Gründergruppe der Lomographic Society, die von ihrer Ausbildung und Persönlichkeit her unterschiedliches Knowhow eingebracht hat und noch heute Entwicklung, Kommunikation und ­Vertrieb in Eigenregie erledigt.

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IntervieW mit Christoph Hofinger

»Marktforschung als Konversation mit dem Publikum« Christoph Hofinger über ­Kreative und Meinungsforscher, über ideen- und marktgetrie­bene ­U nternehmen, über Meteoro­ logie und Wassersport.

Christoph Hofinger studierte Germanistik und Soziologie und ist seit 1996 als Sozial­ forscher tätig. Er leitet gemeinsam mit Günther Ogris das sozialwissenschaftliche Institut SORA, das Marktforschung und Gesellschaftsforschung betreibt.

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Was sind Ihre direkten Erfahrungen mit Krea­ tivwirtschafts-Unternehmen? — Mir scheint, da fließen zwar fast immer viel Herzblut und Leidenschaft ein, aber manchmal fehlt es am Reality Check – es gibt wenige, die von Beginn an einen geradlinigen Pfad gehen. Dieser ist meist inhalts- und seltener wirklich marktgetrieben, das heißt, dass jemand überlegt, was braucht der Markt und was gibt meine Kreativität dafür her. Ich habe ja zwei KreativwirtschaftsGründungen mitgemacht, die Lomographen und 3united. Ich sehe das als Teil meiner Biografie und als große persönliche Bereicherung; und es ist auch für die urbane Ökonomie eine wichtige Bereicherung. Ist es Ihrer Ansicht nach sinnvoll, dass ideengetriebene Kreativunternehmen mit Marktforschung arbeiten? — Ich denke ja, aber viele davon werden in der Frühphase budgetär schnell an ihre Grenzen stoßen. Wenn jemand das Selbstverständnis hat, ein Kreativer zu sein, innovativ sein und etwas Neues machen will, braucht es letztendlich immer ein Publikum, das das annimmt; und unsere Branche sagt dazu, dass die Chancen steigen, wenn man in eine Konversation mit dem Publikum eintritt. Vielleicht könnten Kreativunternehmen auch eine Art Einkaufsgemeinschaft für Marktforschung bilden: Wir tun uns zusammen, um den Markt besser zu verstehen. Es gibt nicht nur die ganz teuren Verfahren, sondern mit einer gewissen Offenheit kann man Kundenkontakte, die man vielleicht elektronisch von selbst erzielt, für Feedback nützen. Dann muss ich vielleicht nur mal


zwei Stunden mit der Marktforschung reden und habe etwas Brauchbares, ohne dass ich 20.000 Euro ausgebe. Aber wenn ich Produkte mit wenigen Transaktionen mit Kunden habe, dann ist es ein zäher Weg zum Geschäftsmodell. Man muss überlegen: „Was brauchen die Leute in ihrem Leben, welche Vorgänge gibt es – vom Parken bis zum Musikhören?“ Und rund um diese Dinge, die sehr viele Menschen täglich tun, kann ich erstens überlegen, was die Zielgruppe braucht, und zweitens, wie ich durch geschicktes Feedback mehr über meine Kunden erfahren kann. Da hilft es, wenn dieses „Mindset“ von Beginn an besteht. Um einen betriebswirtschaftlichen Klassiker zu zitieren: Es geht nicht darum, gut zu sein, sondern great! Und glauben Sie, Kreativunternehmen sind der Marktforschung gegenüber auf­­­ge­ schlossen? — Nicht alle, würde ich sagen. Bei manchen gibt es eine Neigung zum Solipsismus. Ich habe eine wahnsinnig gute Idee und eine Leidenschaft dafür – das ist zwar gut, aber manchmal führt das zum Blindflug. Es gibt den Irrglauben, dass Marktforschung die Kreativität beschränken würde. Ich formuliere das so: Die Marktforschung bietet die Wetterkarten. Wenn Gegenwind ist, kann man nicht direkt zum Ziel segeln, dann muss man eben kreuzen. Der Meteorologe sagt dem Kapitän nicht, wo er hinsegeln soll, sondern wie er dort hinkommt. Manche Kreativen halten das auch für Machttechniken, so eine Art Big Brother. Es gab ja noch in den 1990er Jahren Parteien, die es für unethisch hielten, den Wählermarkt zu befragen. Schüssel hat gesagt, Umfragen solle man nicht trinken, sondern nur daran riechen. Aber ein bisschen daran zu riechen schadet jedenfalls nichts.

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Es wird unglaublich viel Freizeit- und Konsumverhalten gratis und im Prinzip maschinenlesbar ins Web gestellt. Als kreatives Startup habe ich da eine gigantische Datenmenge, die man systematisch auswerten kann. Es gab schon in der Fernsehserie Die Fraggles die allwissende Müllhalde als Orakel. Man muss dabei zwar berücksichtigen, dass nicht jeder Misthaufen ein Orakel ist, aber grundsätzlich kann man da einiges herausholen. Ich erwarte in den nächsten zwei Jahrzehnten einen gigantischen Durchbruch. Die Startups von China bis Wladiwostok werden alle künstliche Intelligenz auf riesige Datenmengen ansetzen. Wir arbeiten im Rahmen von Forschungsprojekten an solchen Konzepten mit, die dann in einigen Jahren Standard sein werden, insofern fühlen wir uns ein bisschen als Teil der Creative Industries.

Gibt es aktuelle Trends in der Marktforschung, die für die Kreativwirtschaft besonders interessant sein könnten? — Ja. Es gibt zwar immer noch Dinge, die online nicht funktionieren, aber wenn ich schon online bin, dann kann ich das auch gleich für Marktforschung nützen. Das große Thema ist Big Data: Wir sind aktuell bei 400 Millionen Tweets täglich.

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Onlinemarketing Im Folgenden geht es um die Veränderungen, die Internet, Smartphone und Co. für Marketing mit sich gebracht haben. Das ist zwar für alle Kreativbranchen relevant, aber am ehesten für die Bereiche Multimedia, Software, Spiele und Musik, weil sich deren Produkte ohnehin schon im digitalen Netz „aufhalten“. Früher, d. h. im letzten Jahrtausend, gab es zwei Sorten von Marketing: Above the Line, klassische Werbung in Massenmedien, also in Zeitungen und Magazinen, im Radio und Fernsehen, auf Plakaten und in Prospekten; und es gab Below the Line, also die unauffälligeren Kanäle, etwa Direktmarketing, PR, Sponsoring und Product Placement. Dann kam das Internet mit Web, E-Mail und Suchmaschinen, im nächsten Schritt mit Videokanälen und Social Media (user-­ generated content) und schließlich, als jüngster großer Schritt, mit dem mobilen Internet, das den Content verortet und vom Schreibtisch befreit. Im Marketing blieb damit kein Stein auf dem anderen, nicht zuletzt wegen des schleichenden Verfalls der Massen­medien. Das gilt natürlich besonders für webaf‌fine Produkte wie Apps, Musik und Videos, bei denen das Marketing den Vertrieb quasi ersetzt. Das gilt aber auch für weniger virtuelle Produkte, deren Marketing mittlerweile zu einem großen Teil online verläuft, auch wenn es zusätzlich noch so etwas wie eine klassische Distribution braucht. Da sich die neuen Marketing­ kanäle laufend und rasend schnell verändern, ist es unmöglich, eine Übersicht zu verfassen, die nicht sofort überholt ist. Trotzdem wird das im Folgenden in aller Kürze versucht. Ein mittlerweile gut eingespielter Kanal ist Search Engine Optimization (SEO), also Maßnahmen, die die eigenen Web­ sites in den Ergebnislisten von Google und Co. nach oben bringen. Ebenfalls fast schon klassisch: Pay per Click, also bezahlte Anzeigen etwa in Suchmaschinen, die zum gesuchten Begriff passende Links zeigen, die pro User-Klick bezahlt werden. Dazu zählt Google AdWords. Und, ein Web-Marketingkanal, der noch am ehesten dem altbekannten Zeitungsinserat entspricht: Display Marketing, also das Schalten von Bannern auf Websites mit hoher Besucherfrequenz wie Nachrichtenseiten. Auch nicht mehr ganz neu: E-Mail-Marketing, das heißt die Aussendung von Mails an aktuelle oder zukünftige Kunden, um die Kundenbindung zu steigern oder einen Kauf anzuregen.

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Schon etwas spezieller wird es mit Affiliate und Referral Marketing, also mit Lösungen, bei denen ein Partner für eine Provision oder, im zweiten Fall, einfach durch unentgeltliche Empfehlungen von zufriedenen Kunden einen Kauf zu erreichen versucht. Bekanntes Beispiel dafür ist Amazon: Viele Websites bieten zum entsprechenden Content, also etwa einer Buchbesprechung, einen Link zu Amazon, wo der besprochene Band gleich gekauft werden kann, und dafür erhalten sie eine Provision. Damit kommen wir zu Online-PR, die ähnlich wie in real life funktioniert, nämlich indem Inhalte an Journalisten geliefert werden, und zwar von der Nachrichten-Website bis zum Blog; oder durch Seeding, also das Platzieren von Beiträgen an digitalen „Orten“, zum Beispiel Blogs, an denen sich die Zielgruppe aufhält. Webspezifischer wird es, wenn man nicht den Umweg über andere Content-Anbieter geht, sondern selbst zum Publizisten wird wie im Content Marketing: Durch Informationen und Unterhaltungsangebote in Blogs und Konsorten wird der Bezug zum Produkt mitgeliefert. Das funktioniert beispielsweise gut, wenn es um Software geht. So bietet die Marketing Software-Firma HubSpot frei zugängliche Fallbeispiele, Videos, Podcasts, Webinars und E-Books zum Thema Marketing im Web und gewinnt so ganz nebenbei neue Kunden. Damit sind wir auch schon bei Social Media Marketing, also die Nutzung von Facebook, Twitter und wie sie alle heißen für die Vermarktung. Die nächsten Schritte sind Mobile Marketing, das Smartphones und Tablets als Medium benützt, und schließlich Behavioral Targeting, bei dem beispielsweise die besuchten Seiten, die Verweildauer, die Klicks, die Suchen und vieles mehr beim Besuch einer Website oder der Benützung einer Software ausgewertet werden, um spezifisch passende Werbung oder Produkte anzubieten. In Zukunft wird das alte Thema Augmented Reality wohl eine neue Renaissance erleben, und die Verbindung aller möglichen Gegenstände des Alltags mit dem Internet wird neue Möglichkeiten eröffnen. Beides wird heutige Geschäftsmodelle grundlegend verändern.

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DesiGn Kleine Länder haben auch kleine Märkte. Das trifft auch auf den Markt zu, in dem sich Industrie- bzw. Produktdesigner bewegen. Aber auch der (Aus-)Weg, sich international zu positionieren, wird immer enger. Weltweit mangelt es nicht an guten Gestaltern und gerade auf den wichtigen europäischen Markt drängen auch immer mehr internationale Ateliers. Um in dieser Branche Fuß zu fassen, das heißt, genügend Aufträge zu akquirieren und längerfristige Partnerschaften mit großen Möbelmarken, Sanitärunternehmen, Tableware-Produzenten oder Schmuck- und Accessoire-Herstellern abzuschließen, ist es wichtig, nicht nur gute Entwürfe zu liefern, sondern Zeit und Energie in Beziehungen und Selbstmarketing zu investieren. Von großen Labels Aufträge zu bekommen, gelingt dabei in der Regel nur den Designern, die es schaffen, Vertrauen aufzubauen. Und das geht vor allem über persönliche Kontakte, zum Beispiel durch Teilnahme an Praktika, Mitarbeit in renommierten Designbüros oder via Referenzen anderer Unternehmen. Wer schon einmal einen Entwurf für ein etabliertes Label gemacht hat, dem öffnen sich auch die Türen anderer Produzenten leichter. Da sich ein Großteil des Designs im industriellen Umfeld bewegt, sind viele etablierte Designer davon überzeugt, dass Vertriebsförderung für Design am besten durch Förderung von Unternehmen zu erreichen ist, also im Bereich (klassischer) Wirtschaftsförderung. Allenfalls sollte das durch Förderungen von Kooperationen zwischen Unternehmen und Designern ergänzt werden, ebenso wie durch Preise und finanzielle oder strukturelle Anreize für Betriebe, Aufträge an Kreative zu vergeben. Abseits des Industriedesigns können junge Designer aber auch den Weg über die Produktion von Kleinserien mit lokalen Herstellern gehen. Tatsächlich gibt es einen unübersehbaren Trend zu handwerklichen Stücken und zu Möbeln an der Schnittstelle zwischen Design und Kunst sowie zum Vertrieb von Kleinserien in Eigenregie, über Galerien, kunstnahe Crossover Shops oder Concept Stores. Ein Trend, der einerseits durch ein wachsendes Interesse am Handwerk und an individuellen Produkten

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getrieben wird, andererseits zu einem gewissen Teil aber auch der Not gehorcht, mit der sich junge Designer angesichts eines „überfüllten“ Marktes konfrontiert sehen. Ein aktuelles Beispiel für diesen Vertriebsweg ist „Himbeer & Soda“, der eben in Wien eröffnete „Raum für Kunst, Design und Plauderei“ mit Fokus auf Kunst, oder das seit 1998 ­existierende „Möbel“, eine Kombination aus Café und Shop mit Fokus auf Funktio­nalität, das jungen Designern Chancen auf erste Öffentlichkeit gibt. Mittlerweile bekannte Design-Teams wie LUCY.D oder Polka hatten im Möbel ihre erste Präsentationsplattform gefunden. Auch internationale Ausstellungen und Messen, etwa in Mailand oder Köln, bieten Designern mehr und mehr Möglichkeiten, sich auch mit Prototypen oder Kleinserien zu präsentieren.

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Mode Die große Gemeinsamkeit im Verkaufen von Mode, egal ob man im eigenen Laden, in der Virtualität oder per Showroom in Paris verkauft, ist nach wie vor, dass man regelmäßig pro Saison eine neue Kollektion für den Markt zu produzieren hat – abgesehen davon wird das Verkaufen aber immer vielfältiger, nicht zuletzt durch das Web. Der altbekannte und von den meisten angestrebte Weg geht über die wichtigen Modestädte Paris, Mailand und New York – ob nun im geteilten oder gar eigenen Showroom, durch die Teilnahme an einer Show oder, die Königsdisziplin, mit der eigenen Show. Das ist mit hohen Kosten verbunden, braucht aber vor allem auch Kompetenz: Welche Lage, welcher Zeitpunkt, welche PR-Agentur? So etwas ist für Neulinge kaum zu schaffen. In jedem Fall zahlt es sich als Vorbereitung für einen solchen Schritt aus, erst einmal einfach hinzufahren, zu schauen und zu recherchieren, bevor man es später selbst wagt. Bis sich der Erfolg (oder Nichterfolg) zeigt, dauert es erfahrungsgemäß drei bis fünf Jahre. Deshalb lohnt die Beschäftigung mit anderen Wegen. Einfacher ist es oft, lokal ein eigenes Geschäft zu eröffnen und erst einmal am eigenen Standort zu verkaufen, bevor man weitere Schritte wagt: weitere Shops in anderen Lagen und Städten oder den Weg in die Internationalität. Das bedeutet auch, dass man viel schneller und direkter Kundenfeedback bekommt und so die Quali­tät der eigenen Arbeit steigern kann. Und es gibt den Weg über bestehende Shops oder über „Shop im Shop“-Konzepte. Und, natürlich, das Web: Es ist zwar vergleichsweise wenig aufwändig und wohl auch preiswert, den eigenen Webshop zu eröffnen. Die zentrale Frage dabei ist aber: Wie bringt man potenzielle Kunden dorthin? Da kommen sofort Content Marketing und Social Media ins Spiel, mit deren Hilfe Aufmerksamkeit gewonnen und in Shop-Besuche umgemünzt werden kann. Und natürlich braucht es Abstimmung zwischen dem realen und dem virtuellen Shop und nicht einfach eine Verdopplung im Cyberspace. Abgese­ hen davon gibt es mehr oder weniger große, bekannte Web­ shops wie Zalando, über die man absetzen kann, bei denen aber

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­ benfalls – und wohl noch schwieriger – erst Aufmerksamkeit für e die eigenen Produkte erzeugt werden muss. Zu klären ist also: Welche Plattform ist die richtige für mein Unternehmen? Wie komme ich dorthin und wie kann ich die Anforderungen, also Produktion und Logistik, erfüllen? Zentral für den Erfolg in der virtuellen Welt wird die Verknüpfung mit der Materialität sein: Was man digital verkauft, muss real produziert werden, und die Kapazitäten dafür sind die Voraussetzung für den Erfolg beim physischen Verkaufen ebenso wie online. Weitere interessante Möglichkeiten des digitalen Kanals sind beispielsweise Online-Tradeshows und digitale Fashion Weeks, doch der Weg dorthin ist nicht einfacher als in der physischen Welt. Direkter zugänglich, sinnvoll allerdings nur in Kombination mit guten Konzepten, um Aufmerksamkeit zu generieren, sind die eigene Online-Show, der Weg über themenspezifische Portale wie Etsy oder Crowdfunding-Ansätze wie die Finanzierung der Kollektion über Kickstarter. Doch ganz egal, welchen Weg man wählt: In jedem Fall ist heute die Nutzung von Social Media für Marketingzwecke notwendig – und damit steigen die Chancen für kleine, kreative Unternehmen, die mit innovativen Marketingideen ihre geringeren Budgets teilweise kompensieren können.

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Stichwort

Musik Musik ist der Paradefall für die Krise der traditionellen Vertriebswege, die durch Digitalisierung und neue Medien hervorgerufen wurde. Der altbekannte Weg, allein aufgenommene Musik über den physischen Einzelhandel an die Fans zu bekommen, wird wohl kaum mehr funktionieren. Aber es gibt andere Möglichkeiten. Dazu gehört auch der Eigenvertrieb. Natürlich bei Live-Auftritten, denn besser kommt man nicht an seine Kunden heran. Und über die eigene Website, aber das ist schon schwieriger. Hier, ebenso wie bei den digitalen Vertriebsplattformen, ist nicht mehr der physische Vertrieb, sondern das Marketing das zentrale Problem: Wie kann man im gigantischen Kosmos von Millionen verfügbaren Songs Aufmerksamkeit gewinnen? Andererseits, mit dem richtigen Dreh ist das Web der Ort, an dem genau das zu schaffen ist. Musik kann natürlich auch über Branchenfremde vertrieben werden, etwa in der Boutique, beim Friseur oder im Buchgeschäft, den sogenannten Non-traditional Outlets. Verkaufen in der Musik bedeutet Dienstleistung vor allem durch professionelle Vertriebe, die Plattformen bestücken, unabhängig davon, ob physisch oder digital: Handelsketten, Einzelhändler, große Onlineplattformen wie iTunes, Streaming-Services wie Spotify, die mit einem Subskriptions-Modell arbeiten. Für beide Wege, Download und ­Streaming, sind unzählige Plattformen online, die vielfach Musik (zumindest anfangs) als Lockmittel zu anderen Produkten (iTunes, Amazon) oder als Mehrwertangebot (Access Provider) nützen – und die deshalb die Preise auch für jene vorgeben, die Musik zum Geldverdienen verkaufen. Ein beträchtlicher Teil der „gestreamten“ Musik wird über Videoportale wie YouTube konsumiert, nicht über Audioservices. Neben den professionellen Dienstleistungen für den Vertrieb im engeren Sinne ist jedoch der zweite, ohne Zweifel wichtigere, Teil des Verkaufens die Promotion. Hinzu kommt das richtige Platzieren auf diesen Plattformen, durchaus auch in Kooperation mit diesen. Die Hauptarbeit beim Musikverkaufen ist Marketing. Das ultimative Geschäftsmodell für Recorded Music alleine gibt es heute nicht mehr. Worauf es demnach ankommt, ist, den richtigen Mix an Einkommensquellen zusammenzustellen. Dabei werden Musikaufnahmen ein wichtiger Teil sein, aber es wird ebenso um Lizensierung, Synchronisation, Live-Auftritte und ­Merchandising gehen, weil kaum jemand noch bereit ist, für Recorded Music viel Geld auszugeben. Sehr wohl aber gibt es Leute, die für das mit Musik verbundene Lebensgefühl Geld ausgeben wollen. Ein Beispiel dafür: die Kopfhörer „Beats by Dr. Dre“, die 200 Euro ­kosten.

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Ein Weg könnte Umwegrentabilität sein, indem Downloads oder Streams mit anderen Produkten oder Dienstleistungen kombiniert werden. Und: Eine mögliche Zielgruppe sind kommerzielle Nutzer, beispielsweise Geschäfte und Lokale, die Musik spielen und auch gleich verkaufen, oder Firmen, die für die Werbung mit Bands kooperieren. Selektion aus dem gewaltigen Musikuniversum ist eine wichtige Chance. Interessant, aber teuer sind Versioning-Konzepte, bei denen ein Spektrum an Medien mit sehr ähnlichen Inhalten angeboten wird, vom Download über DVD bis zur exklusiven Limited Edition. Zum Verkaufen von Aufnahmen kommen Agenturen und Verlage für Auftritte, für die Vermarktung der Werke sowie für die Drittverwertung durch Lizenzen in Frage. Wichtig ist das Zusammenspiel der Kanäle. Es hat keinen Sinn, einen physischen Vertriebspartner in einem Land zu besitzen, in dem man nicht auch live präsent ist, das heißt, man braucht auch Booking und Promotion. Zentral für alle, die Musik machen, ist heute natürlich der kreative Einsatz von Social Media. Aber das Web bietet zweifellos neue Möglichkeiten, die darüber hinausgehen: vielleicht Crowdfunding für die nächste Produktion, finanziert durch vorweggenommenes Fantum? Das geht leichter, wenn man bereits eine eingeschworene Fangemeinde hat, aber Potenzial für kostengünstige Innovation besteht auch hier. Ein wichtiges Zukunftsfeld ist die Kooperation mit anderen Kreativbereichen: Musik für Games und Multimedia, für Film und Video, für Events und Locations. Die Verknüpfung verschiedener Content-Produktionen bietet neue Chancen. Und schließlich: Die große Bedeutung, die Musik einst für das Lebensgefühl ganzer Generationen besaß – für das eine Zeit lang beispielsweise Band-T-Shirts standen –, ist mit den heutigen Kanälen des Musikhörens schwieriger zu verbinden; doch genau hier gibt es neue Ansatzpunkte: Die Überlegung, was Fans eigentlich (kaufen) wollen, könnte zu neuen Produkten, einem neuen Produktmix und neuen Verknüpfungen zwischen möglichen Angeboten führen. Zu den meisten der angesprochenen Ansätze muss klar gesagt werden: Mit dem großen Budget und der breiten Fanbase ist es bei jedem Marketingkanal und jeder Produktsparte leichter, erfolgreich zu sein. Aber: Heute ist noch weniger als in der Vergangenheit klar, wie man erfolgreich ist. Und genau diese Unsicherheit bei allen, auch den Großen, bietet die Chance für Junge, für Unbekannte, für die mit dem kleineren Budget, innovativ zu sein.

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stichwort andere Kreativbranchen:

auDioVision, verlAgsWesen, k u n s t m a r k t, arChitektur Der Focus Call „New Sales“ ist grundsätzlich für alle Kreativwirtschaftssparten offen, die departure auch sonst betreut. Die Bereiche Design, Multimedia, Mode und Musik werden in diesem White Paper genauer dargestellt, weil dort sehr spezifische Bedingungen des Vertriebs bestehen und diese teilweise auch gut auf andere Sektoren übertragbar sind. Trotz der sehr besonderen Situation des audiovisuellen Bereiches kann vieles von dem, wie Musik und Multimedia heute als Vertriebsaufgaben funktionieren, auch dort gelten. Das trifft insbesondere deshalb zu, weil der Onlinebereich ergänzend zu den klassischen Kanälen (Kino, DVD, TV) neue Wege direkt zum Endkunden eröffnet, ob nun als Video on demand, Electronic Sell-Through oder Web-TV. Natürlich ist der Verlagsbereich mit seiner Sprachgebundenheit, der Buchpreisbindung und der Dominanz des physischen Produktes ganz anders als Musik und Multimedia; trotzdem sind Aspekte übertragbar. Das massive Wachstum des Onlinebuchhandels bringt die etablierte, hochwertige Vertriebsstruktur über Buchhandlungen in Bedrängnis. Gleichzeitig wachsen das Hörbuch, vor allem auch zum Downloaden, und das E-Book, das gekauft oder gemietet direkt oder über Zwischenhändler vertrieben wird. Bücher on demand und E-Books gaben dem Thema Selbstverlag neuen Aufschwung: Viele E-Book Bestseller sind heute selbst verlegt. All diesen Bereichen ist gemeinsam, dass meist Produkte über mehr oder weniger große Zwischenhändler an Endkunden gebracht werden, ob es sich nun um physische oder digitale Waren und Vertriebskanäle handelt. Dies gilt grundsätzlich auch für den Kunstmarkt, der jedoch wiederum seinen sehr eigenen Bedingungen gehorcht. Die beherrschenden Vertriebskanäle dort sind Galerien und Messen sowie, in

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geringerem Ausmaß, Auktionen und Onlineplattformen. Die steigende Bedeutung des Onlinemarktes führt auch dazu, dass Editio­ nen, vervielfältigte und digitale Formate wichtiger werden und dass Konzepte für erschwingliche Kunst und für neue Sammler entstehen. Eine Überschneidung mit Mode, Design und Architektur gibt es dort, wo Produkte aus diesen Bereichen – Skizzen und Modelle – zu Kunsthandelsobjekten werden. Ganz anders funktioniert Architektur, denn Architekten verkaufen meist keine Produkte oder Dienstleistungen über Zwischenhändler. Es gibt da etwa auch fast keine Patente in diesem Bereich. Architekten vertreiben nicht, sie akquirieren Aufträge und damit Kunden. Das heißt, sie machen das, was bei anderen Kreativunternehmen Key Account Management ist, und sie nehmen an Wettbewerben und ähnlichen Vergabeverfahren teil. Allerdings entstehen mittlerweile auch in der Architektur Konzepte, wie Dienstleistungen formalisiert und somit über neue Wege, ob nun digital oder nicht, vertrieben werden können.

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D e r B 2 B -V e r k a u f s z y k l u s Der Prozess des Verkaufens komplexer Produkte – wie es viele Kreativleistungen auch sind, jedenfalls im B2B-Bereich – wird gewöhnlich als Kreislauf beschrieben. Diesen Zyklus durchläuft man vom Erkennen einer Verkaufschance bis zur Kundenbetreuung nach dem Abschluss. Und es ist insbesondere auch deshalb ein Kreislauf, weil der am besten zu überzeugende Kunde jener ist, dem man schon einmal etwas verkauft hat. Je nach Schritt im Zyklus sind verschiedene Fragen zu klären und Aufgaben zu erledigen. Am Beginn steht die Identifikation einer Chance, eines Lead. Zunächst müssen Informationen darüber gesammelt werden: Was sind die Ziele des möglichen Kunden? Was ist sein Budget? Wie groß sind meine Chancen, den Auftrag zu gewinnen? Was brauche ich, um ihn zu erfüllen? Welchen Zeitrahmen hat der Kunde? Es ist sinnlos, einem unmöglich erreichbaren Projekt hinterherzulaufen – ebenso wie man die Finger von Aufträgen lassen sollte, die nicht rechtzeitig erledigt werden können oder die Kosten plus Gewinn nicht abdecken. Wenn die nötigen Informationen für die Grundentscheidungen vorliegen, ist es Zeit für die Qualifizierung des Lead, in dem der Wissensstand über den Auftraggeber, die dort handelnden Personen, den Auftrag selbst und die damit verbundenen Tätigkeiten, aber auch über die Konkurrenz ausgebaut wird. Das bedeutet unter anderem, zu wissen, was die Anforderungen sind und was die Umsetzung kosten wird. Nun geht es darum, das Buying Center, also die an der Kaufentscheidung beteiligten Personen, zu kennen. Im Marketing werden dafür mindestens fünf Rollen beschrieben, die man identifizieren und deren Ziele man erkennen muss und für die man spezifische ­Nutzensangebote ­entwickeln

muss: Genehmiger, Entscheider, Bewerter, Benützer und Coach, also jene Person, über die man die dringend nötigen Informationen über Auftraggeber, Buying Center und Entwicklung des Kaufprozesses erhalten kann. Am schwierigsten zu finden, ist wohl der letzte: Ein Unterstützer, der verlässliche Aussagen liefert, Annahmen überprüft, Zugang ermöglicht, aber nicht unbedingt an der Entscheidung beteiligt sein muss. Gerade bei Kreativleistungen sind die Benützer oft nicht selbst beim Kunden vorhanden, sondern sind externe Käufer des Zwischenhändlers. Im nächsten Schritt folgt das Angebot inklusive des Preises, der das Budget des Auftraggebers, die eigenen Kosten sowie den nötigen Gewinn in eine Balance bringen muss. Danach kommt die Phase der Kaufentscheidung des Kunden, die letzte Verhandlungen mit sich bringt, insbesondere über den Preis. Dies ist auch der Schritt, an dem man Feedback vom Kunden einholen sollte, egal ob er sich für oder gegen einen entschieden hat. Die im positiven Fall anschließende Umsetzung ist vor allem hinsichtlich der Tatsache, dass es leichter ist, Kunden zu halten als neue zu gewinnen, auch aus Verkaufsperspektive ein wichtiger Abschnitt. Und zuletzt folgt die Kundenpflege, das heißt das laufende Kontakthalten mit und Informieren von Kunden – bis zum nächsten Kauf! Der B2B-Verkaufszyklus, wie er hier beschrieben ist, kommt in dieser Form aus der SoftwareEntwicklung für Unternehmenskunden. Das Grundprinzip ist allerdings für die meisten Formen des B2B-Verkaufens übertragbar, ob es nun um einen Designauftrag oder einen Plattenvertrag, einen Kollektionseinkauf oder einen Architekturauftrag geht.

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IntervieW mit Ben Knapp

»Ein Brand ist ein Dialog geworden«

Ben Knapp über Marken, Ver­trieb, die Kreativwirtschaft, ­Innovation und die Verbindungen ­z wischen diesen Faktoren.

Ben Knapp stammt aus Wien, studierte in Wien und London Design, Branding und Innovation Studies und arbeitet seit 2006 für Saffron Brand Consultants, eine globale Markenstrategie-Agentur mit Standorten in London, ­M adrid, New York, Mumbai, Wien, Dubai, São Paulo, Shanghai und Istanbul. Er baute 2008 den Standort in Indien auf und betreut seither den osteuropäischen Markt bis zur Türkei. Ein aus österreichischer Sicht wichtiges Projekt war die neue Markenstrategie für A1.

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Herr Knapp, gibt es große Unterschiede zwischen Vertrieb in den Kreativbranchen und anderswo? — Meiner Meinung nach ist der Unterschied zu anderen professionellen Services eher gering, denn das ist auch Dienstleistung; und was wir machen, ist auch Kreativindustrie im weitesten Sinne. Vertrieb ist ein zentrales Thema in der Kreativwirtschaft, auch wenn das Produkt nicht immer so leicht fassbar ist. Das ist ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit eines freischaffenden Designers, Musikers oder Architekten. Die Schwierigkeit dabei ist, dass jemand, der für Design begabt ist, nicht unbedingt auch ein begabter Verkäufer ist. Aber diese Schwierigkeit gibt es in jeder Branche. Wenn ein begabter Ingenieur eine Firma gründet und damit erfolgreich ist, hat er, wenn die Firma wächst, irgendwann immer weniger Zeit, das zu tun, wofür er begabt ist, und muss immer mehr managen und verkaufen. Das geht manchmal gut und manchmal nicht, aber das ist ein allgemeingültiges Thema. Was würden Sie einem neu gegründeten Krea­ tivunternehmen mitgeben wollen? — Ich würde versuchen, bereits in der StartupPhase das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass es um Verantwortung über die eigene Person hinausgeht. Man wird sich nicht darauf verlassen können, dass das eigene Gestaltungstalent reicht, ein Unternehmen zu führen. Es werden auch andere Kompetenzen nötig sein, die man zum Teil selbst hat oder erwerben kann, für die man aber auch andere brauchen wird. Ich war anfangs in Wien allein selbstständig. Da ging es


auch darum, wie ich Freelancer manage und wie ich Kunden betreue. Es ging um viele Kompetenzen, von denen ich nie gedacht hatte, dass ich sie brauchen würde und für die ich Hilfe benötigte – Gespräche, Literatur, Beratungen. Ich habe mir Wissen angeeignet, aber es geht auch darum, dass es Leute gibt, die dir helfen. Das schafft Raum für die eigene Kreativität.

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Foto: © mobilkom austria

Was braucht ein Kreativ-Startup, um den eigenen Brand zu entwickeln? — Ich glaube, um dieses Thema wird zu viel Hokuspokus gemacht. Das ist für Startups nicht so schwierig, wie es scheint. Da wird oft bagatellisiert in der Art: Lass’ ich mir halt ein Logo machen. Das ist es sicher nicht, aber es braucht auch keine wahnsinnigen Kosten. Es geht vielmehr darum: Was macht das, was ich tue, einzigartig? Wenn es da auf den ersten Blick nichts gibt, muss man daran arbeiten, es einzigartiger zu machen. Wenn meine Dienstleistung am lokalen Markt einzigartig ist, wird sich das herumsprechen. Die Marke ist das Produkt, das braucht nur ein bisschen Marketing. Wenn ich nicht der einzige am Markt bin, muss ich mit Beratern nachdenken: Was macht meine Arbeit und mich speziell? Was kann ich besonders gut? Was kann ich anders? Das verdichte ich zu einer Marken­ idee. Diese Markenidee hilft schließlich dabei, bei den verschiedenen Interaktionspunkten mit Kunden, im Web, in Unterlagen und im Auftreten der Person, das Produkt zu „dramatisieren“, wie ich das nenne, es also zum Leben zu erwecken. Muss man das von Anfang an mitdenken oder passiert das im Prozess nach und nach? — Als Gründer sollte man sich Gedanken darüber machen, im etablierten Bereich passiert das ständig: Wie kann ich besonders sein? Jeder Mensch überlegt sich das, aber keiner sagt Marke dazu. Das ist ein Begriff, den wir aus dem Supermarkt kennen. Die zentrale Frage ist: Wie kann ich besser werden? Wie kann das, was ich mache, toller und interessanter sein? Wie kann ich neue Kunden gewinnen? Das ist Markenarbeit. Die gewinnbringendste Markenarbeit ist die Arbeit am Produkt. Die Marke selbst ergibt sich aus dem Talent und

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dem Schaffensvermögen des Gründers, ob er nun Musiker, Architekt oder Programmierer ist. Und Ihre Arbeit ist es, das bewusst zu machen? — Wir machen natürlich auch das Übliche: Logos, Mission, Vision, Marketingkonzept – das ist das erste. Wichtiger ist, dass man sich als Startup dessen bewusst ist, dass sich beim Wachsen immer mehr Stakeholder einmischen werden. Da muss man beachten, dass sie einem nicht die Verbindung zu dem abkappen, was die ursprüngliche Motivation für das Unternehmen war. Das muss gar nicht die spezifische Entwurfstätigkeit in einer Branche sein. Es gibt Modeunternehmen, die sich in ein App-Unternehmen verwandeln. Gibt es aus Branding-Sicht einen wichtigen Unterschied zwischen B2B und B2C? — Das ist in beiden Fällen fast genauso wichtig; auch B2B-Entscheidungsträger sind Menschen, die emotional mitentscheiden. Wenn sich die harten Fakten zwischen zwei Unternehmen kaum mehr unterscheiden, dann ist die Marke das letzte Unterscheidungsmerkmal. Und nicht zu vergessen ist, dass auch die eigenen Mitarbeiter, die Investoren, die Verwaltung, Konkurrenzunternehmen und die verschiedenen Stakeholder wichtige Markenzielgruppen sind. Was bedeutet das Web und vor allem das mobile Internet für die Marke? — Ich denke, damit ist endgültig die Zeit vorbei, in der eine Marke ein dicker Bene Ordner im Regal war. Eine Marke kann jetzt nicht mehr starr und monolithisch sein. Eine Marke ist ein Dialog geworden. Sie muss sehr spezifisch auf Anforderungen und Veränderungen antworten können, die im Minutentakt kommen, nicht im Quartals­takt. Man steht im ständigen Austausch mit Stake­holdern: „Sagt uns, wie wir uns machen!“ Und darauf muss man schnell und ­flexibel reagieren. Braucht es in der Kreativindustrie Innovation im Vertrieb? — Natürlich, absolut. Ich habe mit meiner Frau gerade intensiv darüber diskutiert. Sie ist

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­ nternehmerin im Kreativbereich – Social Media, U Websites, Interface Design – und stellt sich die Frage, ob die direkte Kundenbetreuung vor Ort, d.h., man hetzt von Termin zu Termin, noch sinnvoll ist? Sollte man das nicht besser beispielsweise auf Onlineplattformen verlagern? Man verkauft nicht mehr selbst, sondern beschäftigt sich mit Menschen, die schon das Produkt suchen, das man anbietet. Und da gibt es viel Innovationsbedarf. Da ist Schumpeters kreativer Wind der Zerstörung unterwegs, weil Google, Facebook und Co. ihren Profit optimieren. Tools, für die man vor fünf Jahren mit Kunden hätte rechnen können, sind heute gratis. Man muss etwas Neues suchen, das man bieten kann. Wo sehen Sie Chancen für österreichische Unternehmen? — Ich würde sagen auf zu neuen Ufern. Es ist bequem, in Europa Kreativdienstleistungen zu verkaufen, aber die großen Umsatzsteigerungen macht man, wenn man nach China, Indien oder Südostasien fliegt, denn da gibt es einen unglaublichen Bedarf nach nordwesteuropä­ ischer Kreativität und Innovationskraft. Die sind hungrig nach europäischer Mode, Musik, Essen, Trinken, Lebensstil, Einrichtung und Architektur. Als europäisches Startup-Unternehmen investiert man sein weniges Geld am besten, wenn man sich dorthin vernetzt und jemanden findet, der das, was man macht, toll findet und bereit ist zu helfen, sodass man dort verkaufen kann.


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Best Practices

Lena Hoschek, das junge österreichische Modelabel, ist dabei, ausgehend von Graz die Welt zu erobern. Mit mittlerweile vier eigenen Shops, einem Onlinestore und Vertriebspartnern in Deutschland, Italien, Russland und der Schweiz erreicht Lena ­Hoschek mit ihren folkloristisch-glamourösen Kollek­tionen ein immer gröSSeres Publikum.

Womanlike in Ethno and Retro – Lena Hoschek (li) und ihre Kollektionen (Tradition/Spring Summer 2013)

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Fotos: © Lupi Spuma Fine Photography

Lebe dein Label


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Lena Hoschek scheint in ihren ersten sieben Jahren alles richtig gemacht zu haben. Ihre Karriere liest sich wie ein Musterbeispiel aus dem Lehrbuch „All about Sales in the Creative Industries“. Sie hat als Mittzwanzigerin vor­gemacht, wie man in einem gesättigten, von internationalen Megamarken dominierten Markt als junge Modeschöpferin ein eigenes Label positio­ nieren und ein expandierendes Unternehmen aufbauen kann: Design, Strategie, Marketing, Kommunikation und Vertrieb greifen bei ihr wie präzise Zahnräder ineinander. Auf die entscheidenden Fragen für Kreative, die auch wirtschaftlich erfolgreich sein wollen – Was macht das, was ich tue, einzigartig? Wie kann ich diese Einzig­artigkeit am besten vermarkten? Wie schaffe ich das ohne großes Startkapital? –, hat sie für sich die richtigen Antworten gefunden. Es begann 2006 mit der Eröffnung des ersten Shops in Graz, der zugleich Büro und Schneiderwerkstatt ist; also im vertrauten Umfeld des Freundesund Bekanntenkreises, aus dem sich die erste Kundschaft rekrutierte. Parallel dazu kreierte sie ihre Social Media-Auftritte, die nicht nur fast alle Kanäle beschreiten, sondern privater, authentischer, salopper da­ her‑­ kommen als vergleichbare Präsenzen. 20.000 Facebook Fans sind auch Beleg dafür, dass ihre Entwürfe den Zeitgeist einer Generation treffen, die mit post­feministischer Gelassenheit der Pin-up-Erotik und dem Hüftschwung huldigt. Mitten im internationalen Cool-Trend setzt Lena Hoschek auf das figurbetonte Frauenideal der 1940er und 1950er Jahre, kokettiert mit dem Dirndl und erobert mit bunten, folkloristischen Mustern, die sie mit punkiger Nonchalance bricht, selbstbewusst eine Nische. Der Mix aus üppiger Weiblichkeit, Fifties-Glamour und österreichischer Dirndl-Kultur ist zu ihrem unverwechselbaren Markenzeichen geworden, das auch international gut ankommt. 2011 reagierte sie darauf mit der Eröffnung eines eigenen Onlineshops, um Marketing und Vertrieb auszubauen, ohne in vielen Ländern mit eigenen Shops präsent sein zu müssen. Mit der klaren Absicht, tragbare Mode zu kreieren, setzt sich die Designerin von der Intellektualität und abstrakten Konzeptualität vieler junger Avantgarde-Designer ab. Und weil sie selbst ausstrahlt, was ihre Mode signalisiert – Humor und selbstbewusste Weiblichkeit –, gelingt es ihr, ihren Fans mit jedem Kleid virtuell auch ein Stück ihres persönlichen Lifestyles mitzuverkaufen: ein Stück ihrer Kreativität und ihres Jetset-Flairs, das sie seit ihrem Durchbruch umgibt. Nur das Dirndl ist mittlerweile nicht mehr Bestandteil ihrer Damenkollektion, sondern wird gesondert unter dem eigenen Label Lena Hoschek Tradition angeboten und promotet, und zwar auf einer eigenen Facebook Seite und beim Münchener Oktoberfest mit einem Pop-up Store am Viktualienmarkt.

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Fotos: © Peter Garmusch

„NOT JUST A LABEL“ (NJAL) hat sich innerhalb weniger Jahre zur führenden Plattform zur Entdeckung und Förderung junger Designer in der internationalen Modewelt ­entwickelt. Auf Stefan Siegels Website ­präsentieren sich auch zahlreiche junge österreichische L ­ abels.

Bradaric Ohmae (Spring Summer Collection 2012) – eines von zahlreichen österreichischen Labels auf Not Just A Label

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Screenshot: © NJAL

Online on Main Street


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Für Vogue Italia ist die Website des Südtirolers Stefan Siegel eine der einflussreichsten Modeseiten im Internet. Sie verzeichnet über 20 Millionen Besucher pro Monat und war schon zwei Jahre nach dem Launch 2008 in den schwarzen Zahlen. Werbe- und Kommissionseinnahmen aus dem Onlineshop sorgen für ausreichende Umsätze, um das Unternehmen weiter auf Expansionskurs zu halten. Mittlerweile ist ein Team von Designer Scouts ständig rund um den Erdball unterwegs, besucht Mode- und Design-Hochschulen sowie Fashion Shows und tauscht sich mit Insidern vor Ort aus, um die attraktivsten Newcomer mit an Bord zu holen. So wurden sie bei der Pariser Fashion Week unter anderem auch auf die jungen österreichischen Labels „FEMME MAISON“ und „Bradaric Ohmae“ aufmerksam. Parallel dazu bemühen sie sich, die Partnerschaften mit internationalen Modemagazinen wie Elle und Vogue sowie großen Modeketten wie Mango weiter auszubauen. Die Gründe des Erfolgs liegen, wie so oft in der Kreativwirtschaft, nicht zuletzt in der Persönlichkeit des Gründers. Stefan Siegel vereint in seiner Biografie zwei Stränge, die verknüpft fast logisch auf die Gründung von NOT JUST A LABEL hinauslaufen: Während seines Studiums der Internationalen Handelswissenschaften in Wien arbeitete er für mehrere lokale Mode­marken und Werbeagenturen. Im Anschluss daran schlug er eine Modelkarriere für Labels wie Prada, Gucci und Calvin Klein ein, ehe er in die Finanzwelt eintauchte und für Ernst & Young und Sal. Oppenheim in der Schweiz und für Merrill Lynch in London tätig war, wo er als Berater für internationale Modehäuser arbeitete. Die Idee zu NJAL entstand aus Gesprächen mit befreundeten ­Designern, die sich beim Einstieg in die Modebranche schwertaten. Gemeinsam mit seinem Bruder Daniel, einem Open Source-Programmierer, entwickelte Siegel daraufhin die Plattform, die Designern die Möglichkeit bietet, ihre Arbeiten weltweit online zu präsentieren und über Verkäufe im NJAL Onlineshop ihren Karriereverlauf eigenständig zu finanzieren. An die 10.000 Modeund Schmuckdesigner aus über 90 Ländern tummeln sich mittlerweile mit ihren Kollektionen auf Siegels Plattform; allein aus Österreich sind es an die 80 Jungdesigner. Franziska Fürpass (FEMME MAISON) etwa, die seit ihrem ersten Upload auf NJAL von zahlreichen Interessenten, internationalen Stylisten und Shops kontaktiert wird und ihre Kollektion – ehe sie selbst mit ihrer eigenen Website online ging – zunächst auf Siegels Website weltweit präsentieren konnte. Siegel und sein Team setzen dabei auf ein nachhaltiges Konzept. Die Datenbasis der Plattform wird nicht dafür genutzt, kurzfristige Gewinne zu erzielen, sondern stellt die Bedürfnisse der Designer in den Vordergrund. Das Ziel ist es, Modemacher dabei zu unterstützen, erfolgreich zu sein, sie auch in Vertriebsfragen zu beraten (E-Commerce, Verträge, Preisbildung) und neue Kooperationsformen innerhalb der Design-Community anzuregen, die besseren Zugang zu Produzenten und Synergien beim Vertrieb ermöglichen. „Denn“, so Siegel, „die Zeiten staatlicher Subventionen und üppiger Sponsorengelder für Talente sind vorbei. Modemacher müssen heute nicht nur ihr kreatives Handwerk erlernen, sondern von Anfang an auch, wie sie das Handwerk zu einem einträglichen Geschäft machen können.“

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Wer Mode vertreiben oder seine Kollektion unter die Leute bringen will, muss in eine Modestadt, um dort eine Show oder wenigstens einen Showroom zu machen. Le New Black bietet eine neue MĂśglichkeit: den weltweit ersten Online Showroom, die 24/7 Fashion Week.

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Screenshot: Š LENEWBLACK S.A.S

Le New Black ist das neue Schwarz der Mode


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Le New Black entstand 2009 aus einer Tradeshow, die in Paris in real life stattfand. Die Gründer Vidya Narine und Bernard ­Coulombel beobachteten den Erfolg von Mode-Webportalen von NET-A-Porter bis Zalando, die sich an Endkunden richten; und sie waren täglich mit dem enormen Aufwand konfrontiert, der sowohl auf Verkäufer- als auch auf Käuferseite existiert, um Mode zu handeln. Innerhalb einer kurzen Saison spielt sich alles in Paris, Mailand, New York und London ab, während ständig neue Standorte von Mode-Events in Brasilien, Russland, Indien und China entstehen. Die Idee, durch Virtualisierung den Aufwand für alle Beteiligten zu senken, lag nahe. Es handelt sich demnach um eine reine B2B-Plattform, die nur für Brands und Käufer zugänglich ist – und für Journalisten. Die präsentierten Brands werden ebenso wie die Käufer ausgewählt, auf Qualität und Internationalität wird höchster Wert gelegt. Internationale Käufer – von Kaufhäusern bis Boutiquen – haben Zugang zum Angebot und können online Aufträge platzieren, und zwar nicht nur während weniger Tage, sondern über die gesamten sechs Monate einer Saison. Le New Black konnte 2011 mithilfe eines Business Angels 420.000 Euro aufbringen und steht mittlerweile finanziell vollständig auf eigenen Füßen. Das Geschäftsmodell entspricht jenem eines Showrooms in der Realität: Dort mieten Modedesigner und Labels einen Stand für drei oder vier Tage, hier mieten sie einen virtuellen Showroom für ein Jahr. Die Verkäufer zahlen bisher noch keine Gebühr. Das wird sich aber wohl noch ändern, entsprechend den realen Showrooms. Auf Le New Black findet man derzeit 123 Brands von ­Castelbajac bis Tigersushi Furs sowie etwa 1900 Käufer. Davon sind etwas mehr als die Hälfte in Europa, ein Fünftel in Nord- und Südamerika und der Rest in Asien, Australien und Afrika – alles in allem 65 Länder. Zusätzlich werden via Newsletter, Blog und Social Media etwa 10.000 internationale Käufer und Pressevertreter erreicht. Bisher wurden auf Le New Black etwa 1200 Aufträge mit einem Volumen bis zu 25.000 Euro platziert. Natürlich steht Le New Black heute nicht alleine da: Ebenfalls 2009 zeigten Viktor & Rolf ihre Sommershow nur online. Die gesamte Kollektion wurde von einem einzigen Model, ­Shalom ­Harlow, vorgeführt. Auf Digital Fashion Shows kann man seit 2012 Shows per Streaming betrachten, und die Digital Fashion Week in Singapur bringt eine ganze Woche Shows ausschließlich online. Selbstverständlich werden mittlerweile fast alle realen Shows auch im Web übertragen. Und die US-Website Moda Operandi kürzt den Weg zum Endkunden ab: Dort kann man direkt in der Fashion Show Stücke aus einer Kollektion bestellen, die dann einige Monate später nach Hause geliefert werden.

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Foto: © Gregor Zivic

Foto: © Hertha Hurnaus

Die Hutmanufaktur Mühlbauer ­wurde 1903 in Floridsdorf gegründet, wird in vierter Generation nach wie vor als Familienunternehmen geführt und genieSSt mittlerweile welt­ weites Renommee.

⇑ Hertha Hurnaus, Frühling/Sommer 2003 ⇗ Gregor Zivic, Frühling/Sommer 2009 ⇒ „Kasimir“, 2012, Jakob Lena Knebl, Herbst/Winter 2013

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Foto: © Mühlbauer/Knebl

Zurück zum Ursprung als Innovation


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Klaus Mühlbauer leitet das Unternehmen seit 2001 und hat die ehemals lokal orientierte Firma in ein internationales Label umgebaut. Der Umbau hatte vor allem wirtschaftliche Gründe. Zuvor besaß Mühlbauer in Wien sechs Shops mit vier verschiedenen Sortimenten. Das Unternehmen lebte zu 80 Prozent vom Handel mit Damenbekleidung statt von der eigenen Kernkompetenz. Auf die besann man sich aber nun: der Hut nicht als Industrieprodukt, sondern in handwerklich und materialmäßig höchster Qualität und mit hohem Designanspruch, produziert im Familienunternehmen auch für eine jüngere Zielgruppe – nicht nur für ältere Damen und Herren, wie das zuvor der Fall war. Heute gibt es nur noch zwei Shops in Wien, allerdings neue: ein Hutgeschäft und ein Geschäft für Designermode. Ebenso wie die Salzburger Filiale wurden diese Standorte von den Architekten Kuehn Malvezzi entworfen. Die Architektur steht damit heute ebenso wie die Produkte für eine Ästhetik, mit der das lokale Unternehmen locker mit den wichtigsten internationalen Brands in der Wiener Innenstadt mithalten kann. Gemeinsam mit den beiden Designerinnen Nora Berger und Barbara Gölles entwirft Klaus Mühlbauer jährlich zwei Hutkollektionen für Damen und Herren; weiters gibt es eine Klassikerkollektion. Alle Mühlbauer Hüte werden in traditionellen Handwerkstechniken in Wien hergestellt. Um das Unternehmen neu aufzustellen und vor allem auch international zu ­positionieren, begann Mühlbauer nach der Geschäftsübernahme von ­seinem Vater die Ochsentour mit zehn bis fünfzehn jährlichen Messebesuchen zwischen New York, Mailand, Tokio, Berlin, München und, vor allem, Paris, wo die international wichtigste Accessoires-Messe, die Première Classe, zweimal jährlich stattfindet. „Um international wahrgenommen zu werden, muss man zumindest sechs bis zehn Saisonen Präsenz zeigen, erst dann kann man damit rechnen, Geld zu verdienen“, meint Mühlbauer. Die Ausdauer machte sich bezahlt: Heute exportiert die Hutmanufaktur Mühlbauer 70 Prozent ihrer Produkte in die ganze Welt, von den USA bis nach Japan, dem größten Markt. Insgesamt werden jedes Jahr etwa 20.000 Hüte produziert. Das Unternehmen hat mittlerweile 30 Mitarbeiter in Verkauf, Produktion und Verwaltung. Mühlbauer ist heute wegweisend für das Thema Hutmode, fast alle großen Designer wenden sich an das Unternehmen, wenn sie sich mit Hüten beschäftigen. Doch auf den eigenen Lorbeeren ausruhen, kann man sich trotzdem nicht. Die Finanzkrise machte sich ebenso in den Verkaufszahlen bemerkbar wie die Katastrophe von Fukushima. Deshalb ist ­Mühlbauer ständig auf der Suche nach neuen Kunden. Seit 2011 gibt es einen eigenen Onlineshop, über den im Unterschied zu den Geschäften auf Auftrag hin maßproduziert wird, statt ein riesiges Lager zu halten. Der Mühlbauer Onlineshop ist vor allem ein Angebot für Leute, die schon Mühlbauer Hüte gekauft haben, aber bei keinem Laden in real life vorbeikommen können. Große Wirksamkeit schreibt Mühlbauer Social Media zu: Über Facebook und Co. kann man Aufmerksamkeit bei Endkunden ebenso wie bei B2B-Kunden gewinnen.

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Foto: © Blossom

Foto: © Oleksandr Hnatenko

Blossom ist ein junges Startup, das eine App für das Projektmanagement von Software-­ Entwicklung im Team verkauft. Das Tool unterstützt die Organisation und Zusammenarbeit in Entwicklungsteams, vorrangig solchen, die ­mobile und Web-applikationen produzieren. Die App erlaubt schnellstmögliche ReleaseZyklen und die Optimierung des Entwicklungs­ prozesses. Gegründet 2011, hat das ­U nternehmen ­heute etwa 250 Firmen als Kunden.

Foto: © Oleksandr Hnatenko

Growth ­Hackers sind die ­neuen Renaissance­menschen

⇑⇗ Der Coworking Space sektor5 ⇒ Das Team von Blossom

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Das Büro befindet sich im Coworking Space sektor5 in Wien-Marga­reten, aber die drei Partner Allan Berger, Nik Graf und ­Thomas Schranz sind real und virtuell auf der ganzen Welt zuhause. Sie gewannen 2012 bei Seedcamp eine Reise nach London und ins Gelobte Land alias Silicon Valley. Ihre Software wird von Branchengrößen wie Twitter, Facebook und Apple verwendet. Dazu Blossom: „Wir sprangen mit der Produktentwicklung auf eine neue Welle auf. Dabei hat es uns bisher am meisten geholfen, wenn wir uns mit anderen austauschen konnten, die in ähnlichen Bereichen tätig sind.“ Das Unternehmen entstand aus der Begeisterung für innovative Software-Entwicklung, deshalb ist Kundennähe von großer Bedeutung. Mittlerweile ist auch Verkaufen ein zentrales Thema: „Im Softwarebereich gibt es keine klassischen Vertriebsprobleme, so etwas ist ein Symptom für ein schlechtes Produkt, schlechte Kommunikation, schlechte Positionierung. Am Anfang wollten wir nur an Produktentwicklung arbeiten; mittlerweile sind wir draufgekommen, dass auch Verkaufen kreativ ist und Spaß machen kann.“ Vertrieb bedeutet im Web Marketing; und da sich die Marketing­ kanäle laufend verändern, sind laut Blossom Gründer bessere Marketingexperten als Agenturen. Der Zugang zum Produkt läuft über eine Landing Page. Das Content Marketing dafür betreiben die Gründer selbst, vor allem Thomas Schranz, sowie hin und wieder befreundete Kollegen. Outsourcen sei ein großes Risiko, weil man zu langsam werde; es gehe darum, das Feedback der Kunden, die Produktentwicklung und das Marketing direkt miteinander zu verknüpfen. Wenn das Produkt nicht schnell genug an den Markt angepasst werden könne, sei es weg. Der Begriff dafür ist Growth Hacker, also jemand, der fähig ist, die neuesten Kommunikationskanäle, Suchtechnologien und Social Media-Plattformen zu kombinieren, um ein Produkt optimal zu vermarkten. Statt des klassischen Marketings verwendet ein Growth Hacker „Pull“. Er versteht, dass die gesammelten Daten über Nutzerverhalten die Möglichkeit bieten, zu überzeugen. Growth Hackers sind Hybride zwischen Marketingexperten und Programmierern: Heute gibt es Superplattformen wie Facebook, Apple und Android, die Zugang zu dutzenden Millionen Kunden ermöglichen. Zentraler Kanal für Blossom ist Content Marketing in eigenen und anderen Blogs, in Twitter, auf Quora und Facebook. Wie das funktioniert, zeigt Blossom Partner Schranz mit dem E-Book über Onlinemarketing, das er schreibt. Das Buch ist gleichzeitig ein inhaltliches Angebot für Interessierte und selbst ein Marketing-Tool, also Content Marketing über Content Marketing.

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Design ist keine Kunst

Foto: © Wittmann Möbelwerkstätten

Foto: © Rapsel Spa

Foto: © Berndorf

Soda Designers haben sich seit Ende der 1990er Jahre zu einem international erfolgreichen heimischen Atelier entwickelt. Die Vertriebsstrategie setzt klar und konsequent auf Business to Business-Beziehungen.

Signature Designs by Soda: ⇑ Salt & Pepper für Berndorf ⇗ Arne für Rapsel Spa ⇒ Lester für Wittmann

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Nada Nasrallah und Christian Horner entwerfen regelmäßig Objekte für namhafte internationale Hersteller wie Fontana Arte, MDF Italia, ­R apsel, Ligne Roset, Bene, Philips und Wittmann. Den hohen Anspruch ihres Designs belegen zahlreiche weltweite Ausstellungen und Auszeichnungen. Die Basis ihres Erfolgs ist einerseits die Tatsache, dass sie neben ihrem Designstudium an der Universität für angewandte Kunst in Wien und der ENSCI/Les Ateliers in Paris auch auf handwerkliche Ausbildungen als Goldschmiedin bzw. Möbeltischler zurückgreifen können. Das erleichtert die Kommunikation mit Produzenten, weil sie in Bezug auf technisch-handwerkliches Knowhow auch die Sprache der Hersteller sprechen. Andererseits haben sie vor der Gründung ihres eigenen Ateliers ausreichend Erfahrungen in renommierten Designbüros bzw. in großen internationalen Unternehmen gesammelt, etwa bei Sottsass Associati und Studio Rizzatto in Mailand oder Philips Design in Singapur und Wien. Die dabei geknüpften Kontakte und das Renommee der Unternehmen öffneten ihnen danach die Türen zu bekannten Herstellern und erleichterten die Akquisition von Aufträgen. Die einzuschlagende Vertriebsstrategie war für das Duo daher von Anfang an klar: Sie konzentrierten sich auf B2B-Kontakte, wobei „uns der persönliche Bezug zu unseren Auftraggebern auch heute noch besonders wichtig ist“, so Horner. Nasrallah und Horner setzen konsequent auf Industriedesign, auf Möbel und Accessoires, die als elegante und funktionale Begleiter des täglichen Lebens bestehen können und nicht mit Kunst kokettieren, frei nach Donald Judd: „Design muss funktionieren, Kunst nicht“ – oder wie Horner es formuliert: „Design bedarf keiner Erklärung.“ Als Inspiration dienen ihm und seiner Partnerin alltägliche Lebens­ gewohnheiten, deren Beobachtung die Grundlage für neue Entwürfe bietet. Vertraute Handlungsrituale werden neu interpretiert und in einen anderen Kontext gesetzt, mit dem Ziel, diese zu unterstützen, zu verbessern und manchmal auch zum Besseren zu verändern. Ein gutes Beispiel dafür ist „Salt & Pepper“, ein Tableware-Produkt für Berndorf, das eine übliche Alltagsgeste – das Hinüberreichen von Salz und Pfeffer bei Tisch – in eine neue Form gießt: Die beiden Hälften vereinigen sich mit Hilfe unsichtbar integrierter Magneten zu einer Kugel, die über die Tafel gerollt werden kann. Um sich in dem überlaufenen Markt, in den immer mehr Designer drängen, im Gespräch zu halten, bedarf es neben funktionellen Entwürfen aber auch immer wieder unverkennbarer Signature-Objekte, wie sie ­Nasrallah und Horner etwa mit der Badewanne „Arne“ für den italienischen Hersteller Rapsel oder mit dem Liegestuhl „Lester“ für Wittmann gelungen sind. Diese Objekte wurden nicht nur in Fachpublikationen gewürdigt, sondern sorgten auch in Publikumsmedien (Tageszeitungen und Wohn­magazinen) für Furore. Auch für Designer, die über gute Kontakte zu renommierten Herstellern verfügen, ist Selbstmarketing über gute Medienarbeit heute unerlässlich, davon ist Christian Horner überzeugt. Auch wenn es für Soda Designers bis heute der schwierigste Teil der Arbeit ist.

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Left Boy ist Österreichs jüngster Star im Music Business. Die Kunst des Social Media SelfMarketings beherrscht er genauso virtuos wie Remixing und die Inszenierung dazu passender Videoclips.

“I wasn’t big then, but I’m about to be.” (Left Boy, Wonderful Song)

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Foto: © Leftboy

Self-Marketing und ­kreative Kooperationen


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„Durch Facebook und YouTube bin ich dort, wo ich bin.“ ­Ferdinand Sarnitz alias Left Boy hat von Anfang an einen großen Bogen um traditionelle Vertriebsstrategien gemacht. Nicht nur ­mangels anderer Möglichkeiten, sondern aus strategischem Kalkül: „I stay in control, I make the decisions.“ Als sein eigener Social Media Manager konzentrierte er sich zunächst voll aufs Marketing. Das Motto: Schaffe zuerst den Hype und kümmere dich dann um Produkte, die du auch verkaufen kannst. Noch ehe er Anfang 2013 den ersten physischen Tonträger produzierte, mischte der 24-­Jährige mit seiner Verschränkung aus Hip-Hop und Electro das Internet auf. Über 130.000 Facebook Fans, YouTube Klickzahlen im siebenstelligen Bereich, 10.000 Follower auf Twitter und Top Charts auf Hyper Machine kommen nicht von ungefähr. Den Hype schaffte er mit einer Reihe genau überlegter Videos und mit gratis ins Netz gestellten Samples und Covers meist bekannter Songs, die ihn schnell bekannt gemacht haben. Dazu gehört auch, seine Fans aktiv aufzufordern, die von ihm produzierten Songs ein weiteres Mal zu remixen und wieder ins Netz zu stellen. Das stärkt nicht nur die Verbindung zur Community, sondern erhöht auch automatisch seine Web-Präsenz. Sarnitz nennt das sein kreatives Joint Venture mit den Fans. Auch auf der Musikplattform SoundCloud, die sich zum trojanischen Pferd im neuen Musik-Feed von Facebook entwickelt hat, ist Left Boy ein Dauergast. Dort kann er seine Stücke nicht nur zum Download anbieten, sondern auch in Blogs einbetten und über soziale Netzwerke teilen. Neue Tracks können automatisch per Twitter veröffentlicht werden. Damit hat Sarnitz zwar bislang keinen Cent verdient, sich aber zum Onlinestar hochgepusht. Und darauf aufbauend, erledigte sich der Ticketverkauf für seine immer zahlreicher werdenden Live-Auftritte fast von selbst. Auch die Major Labels wurden auf diesem Weg auf ihn aufmerksam. Nun ist die erste Single erschienen, und zwar auf dem eigenen Label unter Patronanz der Warner Music Group. Im Sommer dieses Jahres folgt dann auch sein erstes Album traditionellen Vertriebswegen. Das professionelle Selbstmarketing ist aber bloß das eine Standbein. Das andere ist der konsequente Aufbau eines kreativen Netzwerks. „Alles, was mit Left Boy zu tun hat“, sagt Ferdinand Sarnitz, „muss auf denselben Ton gestimmt sein: Optik, Akustik, Merchan­dising und natürlich meine Bühnenpräsenz.“ In seiner WG in Brooklyn – Sarnitz nennt sie die Creative Factory – lebt er auf vier Stockwerken mit zwei Videoregisseuren, einem Musikproduzenten und einem Fotografen. In Wien kooperiert er mit der Designerin Laura Karasinski (housemaedchen), die mit ihm das Logo entworfen hat. „Das Umfeld ist perfekt. Wann auch immer jemand eine Idee hat, helfen wir uns gegenseitig, sie bestens umzusetzen.“

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G a s t Ko m m e n ta r

Der amerikanische Markt: riesig, saturiert, anders Was bedeutet die Bearbeitung des Marktes USA für die europäische Kreativwirtschaft? Von Christian Kesberg

Setzen wir uns dabei zuerst einmal mit den drei Grundelementen der Konfiguration des US-Marktes unter besonderer Betrachtung der Herausforderungen, die dabei für den kleinbetrieblich strukturierten Kreativwirtschaftssektor entstehen, auseinander:

1. Riesig

Christian Kesberg ist der österreichische Wirtschaftsdelegierte in New York und zuständig für die USA-­A ktivitäten von ADVANTAGE AUSTRIA, dem österreichischen Auslandswirtschafts­s ervice der Wirtschaftskammer, das heißt, er beaufsichtigt die Service Centers in New York, Chicago, Los Angeles, Washington und Atlanta.

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Produkte und Dienstleistungen aus der Kreativwirtschaft sind üblicherweise sehr spezifisch und auf kleine Kundengruppen zugeschnitten. Flächendeckende Vertriebsstrukturen, wie wir sie aus dem Massengüterbereich kennen, gibt es auch im US-Kreativwirtschaftssektor kaum. Da dies in den meisten Fällen bedeutet, dass nur lokale Vertriebspartner oder Direktkunden im Einzelhandel gefunden werden können, ist die Auswahl des richtigen Pilotmarktes besonders wichtig und angesichts der Größe des Marktes besonders schwierig. Die dazu notwendigen Basisinformationen über Kaufkraft, Demografie oder Käuferpräferenzen sind zwar vorhanden, aber „im Streubesitz“ und müssen in mühsamen


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Vorrecherchen zusammengetragen werden. Die AußenwirtschaftsCenter der Wirtschaftskammer können bei diesem ressourcenintensiven Planungsprozess mit Handlungsempfehlungen und Quellenhinweisen zwar helfen, die Hauptlast bleibt aber beim einzelnen Unternehmen.

2. Saturiert Der Wettbewerb in den USA ist dichter als anderswo. Das hat viel mit der Dimension und der gebündelten Kaufkraft des größten Marktes der Welt, aber auch der ethnischen Diversität der USA zu tun. Asiatische und lateinamerikanische Anbieter, die in Europa kaum af‌fine Konsumentengruppen finden, treten hier ebenso massiv auf wie US-amerikanische Firmen, die mit Rücksicht auf die Größe ihres eigenen Binnenmarktes häufig auf die Bearbeitung europäischer Exportmärkte verzichten. Die Angebotsdichte dürfte zudem in der Kreativwirtschaft eher höher sein als in anderen Wirtschaftssegmenten, da besonders die IT-intensiven Bereiche oft auf Technologien basieren, die ihren Ursprung in den USA haben. Zu den notwendigen Hausübungen gehört unter den geschilderten Bedingungen auch eine ebenfalls zeitraubende Konkurrenzanalyse: Vieles, was in Europa zu Recht als Innovation zählt, ist in den USA bereits am Markt und muss im Preis- oder Qualitätswettbewerb verdrängt werden.

3. Anders Amerika tickt anders als Europa: Ethnische Diversität, aber auch überraschend markante Unterschiede in der Mentalität und im Käuferverhalten machen die Übertragung von im Heimmarkt bewährten Produkt- und Geschäftsideen häufig schwierig. Dort, wo nicht nur Funktionalität zählt, sondern Ästhetik und Geschmack wesentliche Angebotselemente sind, wäre es besonders gefährlich, diese Barrieren zu unterschätzen. Vieles aus der Angebotspalette der

Kreativwirtschaftsbereiche basiert auf einem kontinuierlichen Dialog mit dem Kunden oder auf tradiertem Verständnis seiner „soziokulturellen Spannweite“. In einen Exportmarkt lassen sich damit oft nur Grundideen und Prozesse übertragen, während in der Ausgestaltung wesentliche Adaptionen notwendig sind. Ein Beispiel: Die USA gelten im Designbereich zu Recht als „Culture of Transition“, eine hoch mobile Wegwerfgesellschaft, die schnell Ballast über Bord wirft, und in der Haltbarkeit und Qualität die Funktionalität und Attraktivität von „Problemlösungen“ viel weniger bestimmen als bei uns. Eine der interessantesten Beobachtungen zum geschäftlichen Umgang mit den USA stammt aus dem Jahre 1848 aus der Feder von Alexis de Tocqueville: „I once met an American sailor and asked him why his country’s ships are made so that they will not last long. He answered offhand that the art of navigation was making such quick progress, that even the best of boats would be almost useless, if it lasted more than a few years.“ Die USA sind leider noch in einem anderen Aspekt anders. Sie gehören nicht zur Europä­ ischen Union. Sicherheitsstandards, technische Vorschriften, Etikettierung oder Verpackung sind anders und oft gewöhnungsbedürftig reguliert. Dienstleistungen, die eine enge Zusammenarbeit mit dem Kunden an dessen Unternehmenssitz notwendig machen, sind nur schwer oder gar nicht mit den arbeits- und visarechtlichen Vorschriften vereinbar und führen häufig dazu, dass bereits in der Frühphase der Marktbearbeitung mit hohem finanziellem Risiko ein eigenes Unternehmen gegründet werden muss.

Zusammenfassung Die USA sind mit Abstand der größte und spannendste Markt für Produkte und Dienstleistungen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft. Es gibt vermutlich kaum einen in Österreich in diesem Segment tätigen Unternehmer, der von der Dynamik und Vielfalt des US-Marktes nicht inspiriert und beeinflusst wurde und sich schon deshalb eine stärkere Anbindung an diesen Markt wünscht.

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Da der Einsatz an personellen und finanziellen Ressourcen aber erheblich ist und durch nichts ersetzt werden kann, ist die Inangriffnahme der Bearbeitung des Marktes besonders für Klein- und Kleinstunternehmen eine strategische Entscheidung, die gut überlegt werden muss. Besonders der intensive persönliche Kontakt, den der Kreative zum Kunden und zum kulturellen und gesellschaftspolitischen Umfeld des Kunden benötigt, ist im Überseegeschäft nur mit hohem Aufwand herzustellen, der sich oft für kleine Unternehmen in einer Kosten-Nutzen-­Analyse nicht rechnet. Die Kulturbarrieren zu den USA sind bei weitem weniger offensichtlich als in Asien oder im Mittleren Osten, aber kaum weniger stark ausgeprägt. Vorteile haben die Spieler aus der Kreativwirtschaft aber durch ihre häufig überdurchschnittliche Af‌finität zur Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien und sozialen Netzwerken und einem dem Wirtschaftssegment inhärenten Mut zum Ungewöhnlichen. Wer es sich nicht oder noch nicht leisten kann, sich in Netzwerke über Konferenz- oder Messeteilnahmen einzukaufen, kann, wie die Erfahrung zeigt, durchaus auch als Guerilla-Marketeer Erfolg haben. Sich aus dem Shopping Guide von Miami South Beach oder SoHo durch das Studieren von Websites jene Boutiquen herauszusuchen, in die die eigenen Produkte passen könnten, einen Dialog zu beginnen und dann einmal mit einem virtuellen oder reellen Musterkoffer im Geschäft zu stehen, ist zwar nicht immer, aber manchmal der Beginn einer geschäftlichen oder persönlichen Beziehung und damit der erste Pfeiler eines Brückenkopfs am US-Markt.

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Lo k a l v e r s u s i n t e r n at i o n a l Eine Frage, die sich jeder Kreative früher oder später stellt: Soll ich mich beim Vertrieb auf den heimischen Markt konzentrieren oder sind meine Produkte oder Dienstleistungen auch internatio­ nal so attraktiv, dass ich den Sprung über die Grenzen wagen kann? Wie bei fast allen anderen vertriebsrelevanten Fragen gibt es auch dafür keine Patentrezepte. Die Beantwortung fällt meist nicht nur branchenspezifisch unterschiedlich aus, sondern lässt sich vielfach auch erst im Hinblick auf konkrete Produkte beantworten. Und sie hängt nicht zuletzt von der Persönlichkeit des Kreativen, seinem Netzwerk und seinen finanziellen Ressourcen ab. Denn international Aufmerksamkeit zu erzeugen, ist bei weitem schwieriger, als vor Ort zu reüssieren, und es ist ohne ein deutliches Alleinstellungsmerkmal in Anbetracht der wachsenden Zahl von Kreativen fast unmöglich. Als Faustregel gilt daher in fast allen Branchen, dass die Präsenz vor Ort – vor allem, aber nicht nur zu Beginn – die zentrale Säule erfolgreicher Vertriebswege ist. Für ­Industriedesigner, die für große Marken arbeiten wollen, heißt das etwa, als Praktikanten oder Mitarbeiter in einem großen Designbüro (physisch) präsent zu sein; für Musiker oder für Modedesigner, die ihr eigenes Label aufbauen wollen, sich zuerst um einen lokalen Fan- bzw. Kundenstamm zu bemühen, gute Arbeit zu leisten und Energie in die Kommu­ nikation mit der so entstehenden ­Community zu investieren, die dann mit dazu beiträgt, dass sich die Arbeit auch über die lokalen Grenzen hinaus herumspricht. Dabei helfen auch gute Netzwerke, vertrauensvolle, passend zum Label ausgesuchte

Vertriebspartner und kreative ­PR-Arbeit; und, wenn vorhanden, das entsprechende Image der „Herkunft“ (Stichwort Stadtmarketing) bzw. des Ausgangsstandorts. Das war Ende der 1990er Jahre zum Beispiel für Musiker im elektronischen Bereich der Fall, als Wien für einige Zeit als europäische Kapitale der E-Musik galt. Das nutzte Lena Hoschek bei ihrer Dirndl-Kollektion, die vom Windschatten des The Sound of MusicRevivals und der touristisch gefestigten österreichischen Trachtentradition profitierte; und das erleichterte es Mühlbauer – mit dem Backup eines handwerklichen Traditionsbetriebs aus der Alten Welt – mit seinen Hutkollektionen den Sprung über Atlantik und Pazifik zu wagen. Mit Internet, Social Media und der internationalen Verkehrssprache Englisch lassen sich die Grenzen zwar technisch problemlos überwinden, aber bloß mit einer eigenen Website unter Millionen anderen wird man weder als Designer noch als Musiker sein Ziel erreichen, am globalen Markt Fuß zu fassen. Dazu kommen die vielfältigen kulturellen Besonderheiten und Mentalitätsunterschiede in außereuropäischen Märkten, die man kennen muss, um richtige Kommunikationsund Vertriebsmaßnahmen setzten zu können. So beruht der globale Erfolg der in Wien gegründeten Lomographic Society vor allem auch darauf, dass sie in vielen Ländern eine starke lokale Basis vor Ort schaffen konnte. Dies wurde erreicht, da sie nicht nur zentral eine mehrsprachige Website betreibt, sondern zwanzig Seiten in verschiedenen Sprachen, die sich nur das Backbone teilen, aber inhaltlich von den Locals programmiert werden.

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I n t e r v i e W m i t B e r n d t Ha u p t k o r n

»Nichts ersetzt die Präsenz vor Ort«

Berndt Hauptkorn über Globalität und Lokalität, darüber, wer wo auf wen gewartet hat oder nicht, über Anwesenheit und ­D istanz, über Einzigartigkeit und Medienkooperation, über Nachfrage und Ausbildung, über ­Paris, London, Mailand, Berlin und Wien.

Berndt Hauptkorn ist CEO Uniqlo Europe/SVP & Global Officer bei Fast ­R etailing. Uniqlo ist die größte Marke im Portfolio von Fast Retail­ ing. Fast Retailing ist nach Inditex, H&M und Gap weltweit das viertgrößte Unternehmen für den Handel mit Textilien. Sein Hauptsitz ist in Japan. Der Jahresumsatz liegt bei etwa 10 Milliarden Dollar. Vor seiner Rolle bei Fast Retailing war er Principal von The Boston Consulting Group, Geschäftsführer von LABELUX und schließlich Geschäftsführer von Bally. Berndt Hauptkorn stammt aus Deutschland und lebt in Italien.

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Welche Thematiken bringen Sie mit der Kreativwirtschaft im engeren Sinn in Kontakt? — Wenn ich „Kreativwirtschaft“ höre, denke ich vor allem an Produktdesign, an Kommunikation mit dem Kunden, an innovative Vertriebswege wie zum Beispiel online und an Retail-Design, also die Architektur von Geschäften. Diese Themen finden in unserer Unternehmensgruppe an mehreren Standorten statt: in Tokio, unserem globalen Unternehmenssitz, aber auch in den regionalen Zentren; in Europa sind dies Paris und London. Creative Supplier kommen ins Spiel, wenn es um das Zusammenwirken interner Entscheider und externer Dienstleister von Kreativleistungen geht. Wie funktioniert die Kooperation zwischen einem globalen Unternehmen wie Ihrem und externen Kreativunternehmen, die meistens relativ klein sind? — Es geht um zwei Dinge: um Kreativität und um Effektivität. Ein globales Unternehmen braucht kreative Konzepte, die weltweit funktionieren. Diese globale Perspektive muss der Dienstleister immer im Auge haben. Als Persönlichkeit braucht er dieses globale Flair, sonst bleibt er inadäquat. Außerdem muss man in der realen Welt zusammenarbeiten. Ein Kreativer sollte daher möglichst dort sein, wo sein Kunde ist oder wo es möglichst viele „Artverwandte“ und „Geistesverwandte“ gibt. London ist ein solcher Ort: internationales Flair, viele potenzielle Kunden, vibrierendes Stadtleben, Ausbildungsstätten für Design und Kunst von Weltniveau und vieles mehr. All dies zieht Kreative an und wächst zu einem Kreativ-


Cluster. Ohne einen starken kreativen Nukleus und ohne signifikante Kundenpräsenz wird es schwer für eine Stadt, so etwas zu erreichen. Man fragt sich: Warum bin ich hier? Eine Universität wäre also ein guter Ausgangspunkt? — Es braucht ein paar Faktoren, die den Ort besonders machen. Ich glaube an die Kraft der Idee, an das Talent. Und ich glaube an die Kraft der Identität. Welche lebenden Österreicher haben Weltrang in ihrem kreativen Feld? Ich denke da an Namen wie Arnold Schwarzenegger im Bereich Film oder an Helmut Lang im Bereich Mode. Wenn man eine Arnold Schwarzenegger Akademie für Film und Trickanimation machen würde, wäre das eher nachvollziehbar als ohne diesen großen Namen. Man braucht Personen, die für etwas stehen und die dann auch einen echten Beitrag leisten. Sind Ihnen schon einmal Wiener Kreativ­ unter­nehmen auf den Radar geraten? — Als Fashionkunde, Brancheninsider und Global Of‌ficer von Fast Retailing denke ich da vor allem an Helmut Lang. Helmut Lang hat einen bestimmten Modestil geprägt, der damals neu war und auch heute noch hochaktuell ist. Der Markenname Helmut Lang ist übrigens Teil der Markenfamilie von Fast Retailing. Wie sollte Ihrer Ansicht nach ein Kreativer vorgehen, der über Wien und Österreich hinausgelangen will? — Wien ist nicht direkt als Fashionstandort bekannt. Man vermutet aus Wien heraus nicht die Innovation im Fashionbereich. Wenn man aber ein Institut gründen würde und Helmut Lang wäre der Leiter, dann würde sich das über Nacht ändern. Ohne einen richtig bekannten Paten ist das schwierig. In vielen kreativen Zweigen denke ich an London, Paris und New York. Bei digital denke ich an San Francisco. Bei Kunst denke ich an Basel, Zürich und Miami. Bei Fashion und Möbeldesign natürlich an Mailand. Denke ich an Wien, dann denke ich an klassische Musik, ans Theater, die Oper, etwas später kommen dann

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die Wiener Werkstätte und das MAK. Will Wien in anderen Kreativbereichen Fuß fassen, kommt man an intensivem Standortmarketing nicht vorbei, ob das jetzt eine Vienna Fashion Fair oder Digital Vienna Days sind. Vielleicht kann man ja auch einen hoch dotierten Preis kreieren und jährlich an Kreative von Weltrang verleihen. Man braucht Ideen und man braucht dann nachhaltige Substanz. Was würden Sie einem talentierten Mode­ macher empfehlen, damit er aus Wien heraus international werden kann? — Wenn er oder sie sehr talentiert ist, müssen sie dorthin, wo die Besten ihres Faches sind, sonst wird es schwierig. Man kann nicht warten, bis sich ein Standort-Image entwickelt, man muss sich selbst ins Spiel bringen. Außerdem braucht man „Freunde“, deren Meinung in der Branche etwas zählt. Mit anderen Worten: PR und Networking. Der „Robinson-Ansatz“ führt selten zum Erfolg. Sehen Sie im Vertrieb einen hohen Innova­ tionsbedarf? — Grundsätzlich macht der digitale Kanal die örtliche Präsenz weniger relevant. Insofern ist das eine Chance für jeden Standort. Die beste Form des Vertriebs ist aber immer noch gute Arbeit. Die spricht sich herum. Wenn man es schafft, für einen guten, bekannten Kunden etwas vorzulegen und Erfolg zu haben, dann ist das die beste Visitenkarte. Wie sehen Sie den Vertrieb über den digitalen Weg? — Meiner Meinung nach kann der digitale Kanal die persönliche, direkte Begegnung nicht ersetzen. Videokonferenzen machen das Leben leichter, sogar viel leichter. Vertrauen und Wertschätzung entstehen aber durch echte Begegnung. Erst danach kommt die digitale Vertriebschance.

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IntervieW mit Andreas Wiesmüller

»Aufholbedarf bei der Professionalisierung« Andreas Wiesmüller über die IT und die Designer, über Businesspläne und Finanzierung, Lean und kreativ.

Andreas Wiesmüller studierte an der Wirtschaftsuniversität Wien Werbung und Verkauf. Seit 2001 ist er Business Angel mit Investitionsfokus auf IT und Telekom sowie Medien und Kreativwirtschaft sowohl in Österreich als auch international.

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Wie sehen Sie die aktuelle Situation der Creative Industries in Wien? Grundsätzlich haben wir in Wien ein international konkurrenzfähiges Potenzial an kreativen Talenten, dafür haben wir ausreichend Belege: Helmut Lang Ende der 1980er, die Rolle Wiens rund um die elektronische Musik in den 1990ern bis zu den Erfolgen des österreichischen Films. Leider haben sich diese Erfolge zu wenig in nachhaltigen Strukturen niedergeschlagen. Der Kreativsektor umfasst viele Branchen, ergo ist es schwer, eine generelle Antwort zu geben. Ein paar generische Beobachtungen kann man aber machen. Erstens, die Stadt selbst tritt zu zurückhaltend als Auftraggeber der Creative Industries auf: Wenn wir einmal einen Blick auf das Design der Uniformen der Wiener Parkraumüberwachung werfen, sehen wir auf den ersten Blick Potenzial. Zweitens, im Heimmarkt fehlt es an privatwirtschaftlichen Auftraggebern. Hier leistet departure Pionierarbeit. Hier fehlt es noch an Awareness in den Unternehmen, welche wirtschaftliche Bedeutung zum Beispiel Design für den Unternehmenserfolg haben kann. Denken Sie an Apple, das ist vor allem auch ein Designunternehmen. Drittens, vielen Kreativ­ unternehmen fehlt es an der kritischen Größe und an einer ausgeprägten Kooperationskultur. Kollek­tive scheinen wirtschaftlich erfolgreicher zu laufen als EPUs. Mit dem Einzelkämpfertum der Kreativen verbunden ist mangelnde Ef‌fizienz und Professionalisierung in Themen wie Marketing/Vertrieb, Finanzplanung und Business ­Devel­op­ment. Auch ist Internationalisierung für EPUs einfach nicht realistisch machbar. Es ist interessant, dass sich ausgerechnet Kreative


schwer tun, miteinander zu kooperieren. Der Startup-IT-Bereich hat sich da durch das Inves­ toreninteresse seit Anfang der 1990er massiv professionalisiert: Heute findet man da kaum eine Neugründung mehr ohne Marktresearch, interdisziplinäres Team, Business- und Finanzplanung, internationale Rolloutplanung – zwanzigjährige Neugründer haben die Denkweise in Kundennutzen und skalierbaren Geschäftsmodellen internalisiert und sind nicht mehr die blassen, einzelkämpfenden Programmier-Nerds. Da gibt es in der Kreativszene noch jede Menge Aufholbedarf: multidisziplinäre Teams zusammenzustellen, die durch ergänzendes Knowhow mehr gemeinsam erreichen können. Mir ist schon bewusst, dass Geschäftsmodelle in den Creative Industries nicht die Skalierbarkeit von IT haben, aber die Denkweise und Methodologie ist durchaus anwendbar. Was sind Ihre Kriterien, wenn jemand wegen einer Finanzierung kommt? Braucht er einen fertigen Businessplan? Oder reicht es, wenn man das Talent sehen kann? Also, wenn jemand wegen einer Finanzierung kommt, schicke ich ihn zur Bank. Wenn mich jemand mit dem Wunsch anspricht, ein kluges Geschäftsmodell umzusetzen, dann höre ich es mir an. Ein gutes Beispiel dafür aus meiner Praxis ist das Magazin biber: Die, ein erfahrener Kurier Journalist und ein Haufen Migranten, sind vor sechs Jahren mit einer Nullnummer des biber gekommen und haben gesagt: „Wir wollen eine Stadtzeitung für Tschuschen machen. Willst du das finanzieren?“ 99,9 Prozent der Leute, zu denen ich gesagt habe, ich würde das machen, waren der Meinung, ich sei in einer Midlife-Crisis, hätte verlernt zu rechnen und trinke zu viel. Aber die von biber waren letztendlich völlig davon überzeugt, dass sie das machen wollen, und völlig glaubwürdig, dass sie das können. Da hat das Team gepasst und der Wille, das durchzusetzen. Wir haben dann einige Wochen gemeinsam entwickelt, gerechnet und den Werber Rudi Kobza für das Projekt gewinnen können, um Knowhow und Kontakte der Werbewirtschaft reinzuholen. Und wir sind dann schnell gestartet. Dann ist das sehr organisch und wirtschaftlich erfolgreich gewachsen.

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Sie plädieren für schnellen Marktkontakt statt langem Entwickeln? Genau! Mehr noch als schneller Marktkontakt. Es geht darum, die Produkte mit den zukünftigen Kunden zu entwickeln. Beim biber war die Redaktion ja gleichzeitig Repräsentant der Zielgruppe: schnelles Prototyping, Feedback, Verbessern, Feedback, Verbessern. Je früher ich Feedback von meinen potenziellen Kunden habe, desto geringer das Risiko eines Flops, desto mehr Argumentation für die Finanzierung des nächsten Schrittes. Die neuen Medien schaffen da ganz neue Möglichkeiten im Entwicklungsprozess. Was braucht es für ein Kreativunternehmen, um einen Finanzier zu gewinnen? Finanzier klingt nach Mäzenatentum, damit beschäftige ich mich nicht. Ich verstehe mich als Investor, der Zeit, Knowhow und finanzielle Mittel investiert und sich eine Rendite erwartet: eine finanzielle Rendite, aber auch eine persönliche Rendite. Die gute Nachricht: Ich bin sicher, eine wirklich gute Idee, ein gutes Produkt findet mit dem richtigen Team immer eine Finanzierung. Die schlechte Nachricht: Der Zugang, ich bin ein Künstler, ich entwerfe etwas und du, nimm das bitte und mach es zu Geld, ist für einen Business Angel völlig uninteressant. Was halten Sie von Crowdfunding für Produktentwicklung, beispielsweise via Kickstarter? Unglaublich spannend. Ich denke, wir stehen hier noch ganz am Anfang. Jeder, der im Bereich Creative Industries weiterkommen will, muss sich heute mit den Mechanismen der neuen Medien wirklich intensiv auseinandersetzen: Social Media, E-Commerce, Crowdfinancing, der wachsende Einfluss von Mode-, Musik- und DesignBlogs. Hier kann durch intelligentes Vorgehen auch ein vergleichsweise schwacher Heimmarkt durchaus kompensiert werden.

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IntervieW mit Johannes Knoll

»Es ging darum, ein eigenes Ökosystem zu bilden« Johannes Knoll, Head of Marketing von Runtastic, über Apps in der Muttersprache, Softwareund Hardwarevertrieb und die Greifbarkeit von Hardware.

Vier Studenten aus Oberösterreich (René Giretzlehner, Florian Gschwandtner, Christian Kaar, Alfred Luger) gründeten 2009 Runtastic. Sie entwickelten noch als Studierende eine App, die es Läufern ermöglicht, ihre Fitnessaktivitäten aufzuzeichnen, zu verwalten und mit anderen via Social Media zu teilen und zu vergleichen. Mittlerweile vertreibt das Unternehmen auch Hardware (Uhren und Pulsgurte) in Europa, Australien und Südafrika.

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Wie war es möglich, dass ein kleines Unternehmen aus Linz, gegründet von Studierenden, weltweiten Erfolg erreicht und die App mittlerweile über 22 Millionen Mal downgeloadet wurde? — Runtastic war von Beginn an international ausgerichtet und uns war klar, dass wir weltweit agieren wollen und auch müssen. Wir haben sehr bald herausgefunden, dass die Verfügbarkeit unserer Produkte in verschiedenen Sprachen sehr wichtig ist: Schließlich benützt man Interfaces am liebsten in seiner Muttersprache, egal ob Apps oder andere Produkte. Unsere Apps sind in 18 Sprachen verfügbar, Runtastic.com ist in 12 Sprachen übersetzt. Allein das gibt uns die Möglichkeit, alle Regionen der Welt zu bedienen und so auch die breite Masse anzusprechen. Außerdem legen wir Wert auf Produktqualität und unsere Entwickler gehören zu den Besten der Welt. Aus der Marketing-Perspektive war es von Beginn an so, dass wir viel über Social Media und Onlineservices gearbeitet haben. Auf diese Weise kann man einfach sehr viele Leute weltweit erreichen, was uns geholfen hat, dorthin zu kommen, wo wir im Moment stehen. Wie habt ihr den Sprung in die internationale Liga geschafft? Viele durchaus hochwertige Apps sind und bleiben ja klein. — Wir haben es geschafft, die Nutzer von der sehr hohen Qualität unserer Apps, der Website und seit März 2013 auch unserer Hardwareprodukte zu überzeugen und versuchen, den gesamten Fitnessbereich mit unseren Produkten abzudecken. Dazu gehören Qualitätsarbeit, viel


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Foto: © Runtastic

Einsatz des Teams und innovative Ideen. Zentral war die Intention, nicht nur eine Sport-App zu liefern, sondern ein umfassendes Tool zu bieten rund ums Aufzeichnen von Fitnessaktivitäten, sich Verbessern und sich mit Freunden Vergleichen. Es ging darum, ein eigenes Runtastic Ökosystem zu bilden. Das alles hat dazu beigetragen, in die internationale Liga aufzusteigen und einer der 5 Top-Player in diesem Markt zu sein. Was bedeutet Vertrieb für euch? — Grundsätzlich führen wir keinen klassischen Vertrieb aus, weil wir unsere Apps direkt über den jeweiligen App-Store vertreiben. Außerdem ist bei uns als Marketing-Tool Social Media stark, weshalb wir auch im Marketing nicht wirklich mit traditionellen Tools arbeiten. Unsere Hardware vertreiben wir durch Importeure und in Kooperation mit großen Handelsketten. Ihr verkauft mittlerweile nicht mehr nur Software, sondern auch Hardware, was ganz neue Herausforderungen an Produktion und Logistik stellt. Warum seid ihr diesen Schritt gegangen und wie hat sich das ausgewirkt? — Wir sind diesen Schritt gegangen, weil es für uns die logische Ergänzung zu den Apps war. Wir haben in den ersten beiden Jahren bemerkt, dass die Community danach fragt, und haben uns auch deshalb dafür entschieden. Das Ganze wird extrem gut angenommen und die Nutzer verbinden die hohe Qualität der Apps mit den Hardwareprodukten. Mit dem Schritt ins Hardware-Business wurde

die Marke Runtastic greifbarer, was für uns natürlich einen sehr positiven Effekt mit sich bringt. Und wie vertreibt ihr die Hardware? — Wir vertreiben unsere Hardware im Runtastic Onlineshop und in Retail Stores in ganz Europa, Südafrika, Australien und auch bald schon in Amerika. Ist es richtig, dass ihr Euch anfangs zu einem großen Teil durch App-Entwicklung für andere Firmen finanziert habt? Gibt es dieses Geschäft noch? — Genau, das ist richtig. Im ersten Jahr haben wir Apps für „Third Parties“ entwickelt. Da waren sehr namhafte Unternehmen dabei. Wir haben dann aber gemerkt, dass sich Runtastic schon selbst finanzieren kann und diese Entwicklungen operativ getrennt weitergeführt und an ein Partnerunternehmen abgegeben. Wir wollten uns ausschließlich unseren Produkten widmen. Wie müsste man eurer Meinung nach Kreativunternehmen unterstützen, damit sie im Vertrieb erfolgreicher werden können? — Diese Unternehmen sollten Coaching von erfahrenen Vertriebsprofis oder Partnern in Anspruch nehmen, weil man da das nötige Wissen erlangen und von der bereits vorhandenen Erfahrung profitieren kann. Außerdem empfehlen sich Networking-Events, wo man sich austauschen und netzwerken kann.

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I n t e r v i e W m i t Sa l ly B iba W y

»Wie man ein ­P rodukt ­kommuniziert, ist Teil der kreativen ­E ntwicklung des ­P roduktes« Sally Bibawy über ­Community Building und Product ­Wording, die richtige Auswahl von ­V ertriebspartnern und die ­V orteile, in einem Nischenmarkt zu agieren.

Sally Bibawy leitet gemein­s am mit Wolfgang ­S tranzinger und Matthias Fiegl die ­L omographic Society Internatio­n al, die 2013 ihr 20-jähriges Firmenjubiläum feiert. Das weltweit agierende Unternehmen, das sich mit Leib und Seele der experimentellen und kreativen Fotografie verschrieben hat, fokussiert auf den ganz speziellen und einzigartigen Stil analoger Fotografie.

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Hatte Lomography von Anfang an eine klare Vertriebsstrategie? — Nein, natürlich nicht. Begonnen hat es ja als studentisches Kunstprojekt. Wir haben mit der Lomo LC-A unseren WG-Alltag fotografiert und die Fotos bei Festen Freunden gezeigt. Daraus hat sich ein lebendiger Diskurs über Fotografie und Ästhetik entwickelt. Wir haben gezeigt, was und wie man mit dieser Kamera fotografieren kann und das durch die zehn goldenen Regeln der Lomographie kommuniziert: das Manifest einer neuen Fotoästhetik. Heute sind verschwommene Fotos, Doppelbelichtungen und Light Leaks längst alltäglich, nicht mehr nur in der Kunst. Ihr habt in erster Linie eine Ästhetik vertrieben, also nicht Kameras, sondern wie man sie verwenden kann, oder? — Um diese Anwendung zu vertreiben, mussten wir uns aber auch darum kümmern, dass die Leute die Kamera in die Hand bekommen. Und so haben wir mit dem Vertrieb der Kameras begonnen, der zunächst mal auf Schmuggel basierte. Das war natürlich kein tragbares Geschäftsmodell. Mit dem wachsenden Interesse waren wir gezwungen, das auf eine professionellere Basis zu stellen. Die spezielle Kommunikation des Produkts und der Anwendung legte dann auch die direkten Vertriebskanäle nahe. — Ja, wir haben die Lomo LC-A und die Anwendung klar im Kunstumfeld kommuniziert. Das legte nahe, auch den Vertrieb in diesem Umfeld zu organisieren. Das waren die „Ambassadors“:


Foto: ©Lomographic Society International

Kunstgalerien und Museumshops. Dann haben wir begonnen, Hubs zu gründen, zuerst in New York, dann in Hongkong. Überall, wo Aktionen stattfanden, hatten wir sehr gute Presse, auch weil wir viel Energie in die Pressearbeit investierten – nicht um die Kameras zu verkaufen, sondern um die Ausstellungen zu bewerben. Die Kunst, die „Outputs“ aus den Kameras, war genauso wichtig wie die Kameras selbst. Deshalb haben sich dann Galeristen als Distributoren gefunden: Sie haben Ausstellungen organisiert und bei den Ausstellungen die Kameras verkauft. Das war alles aus der Intention eines Kunstprojekts heraus motiviert.

Schon bei der ersten Ausstellung gab es die Lomowall. — Und sie ist immer noch unser wichtigstes Kommu­nikationstool, unser visuelles Key Image: ein Mosaik von Fotos, das aus der Interaktion mit den Menschen entsteht, die die Fotos gemacht haben.

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gen, hilft uns, zu verstehen, ob ein neues Produkt akzeptiert wird, was verbessert werden kann und generell was für eine Entwicklung analoge Fotografie macht. Stichwort online: Das Lomo-Manifest wurde sehr früh auch schon über eine eigene Website veröffentlicht. — Das war ein sehr entscheidender Schritt. Websites waren zu der Zeit ja ein völlig neues Medium. Auch wir hatten damals noch gar nicht abschätzen können, wie wichtig dieses Tool in Zukunft werden würde. 1996 haben wir die erste internationale Seite gehabt, über die wir auch schon unsere Kameras verkauft haben. Das war in Österreich echte Pionierarbeit. Und weil wir von Anfang an auch auf Englisch kommuniziert haben, sind dann auch mehr und mehr Anfragen gekommen, aus Europa, den USA und Asien; vor allem in Japan und Hongkong hat sich schnell eine große Community gebildet. Mittlerweile haben wir 20 Webseiten in verschiedenen Sprachen. Sie teilen sich das technische Rückgrat. Fotocontent und Projekte werden lokal selbstständig entwickelt und publiziert.

Und aus diesen Interaktionen entwickelte sich die Lomo-Community … — … die bis heute einer der wichtigsten Werte unserer Firma ist.

Was waren die nächsten Schritte? — Der nächste Milestone war 1997/98, als wir auf den Action Sampler mit vier Linsen gestoßen sind. Auch diese Kamera war vom Ergebnis, von den Bildern, die man damit machen konnte, für uns besonders interessant: Wir haben die „richtige“ Anwendung gefunden und diese gleich über die Verpackung und in der Gebrauchsanleitung kommuniziert. Etwas, das wir bis heute erhalten haben. Zu jeder Kamera gibt es ein aufwändig gestaltetes Buch, das Funktionen, Tipps und Tricks und viele Fotos zeigt.

Welche Rolle spielt sie heute noch? — Sie ist für uns ganz wichtig. Die Community sind zum Großteil Kreative, Architekten, Grafiker, Künstler, gut ausgebildet und zwischen 20 und 40 Jahren alt. Wir haben eigene Teams, die mit Community und Kunden täglich kommunizieren und permanent neue Projekte entwickeln. Dieser Direktkontakt, auch mittels Online-Umfra-

Was hat sich für Lomography verändert, als sich die digitale Fotografie durchgesetzt hat? — Mit dem Aufkommen der digitalen Fotografie wurden viele analoge Kameraprodukte eingestellt. Das hat uns die Ruhe gegeben, in einem Nischenmarkt zu wachsen. Und die Zielgruppe ist jünger geworden. Junge Menschen, die „digital“ aufgewachsen sind, entdecken analoge ­Fotografie

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als kreative Beschäftigung. Wir bieten ihnen die Produkte, mit denen man unterschiedlichste analoge Techniken ausprobieren kann, zu einem leistbaren Preis. Dann aber hat Instagram den Analog-Touch auch der Digitalfotografie verpasst. — Instagram hatte ursprünglich sogar unseren Namen verwendet. Wir haben aber mit ihnen Kontakt aufgenommen und sie gebeten, für ihr Projekt einen neuen Namen zu finden. Letztlich hat uns Instagram mehr gebracht als geschadet. Als Instagram an Facebook verkauft wurde, sind wir weltweit in der Presse in vielen Artikeln erwähnt worden. Und das Fazit, ob in der New York Times oder in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, war zu 99 Prozent, dass das „Original“, also die analoge Fotografie und damit auch Lomographie, doch die bessere Lösung sei. Jetzt taucht ihr mit dem neuen Smartphone Scanner doch auch in die digitale Welt ein. — Der Scanner ist für uns nur eine weitere Schnittstelle zwischen analoger und digitaler Welt. Mit ihm können Negative viel einfacher und schneller gescannt werden, direkt in die Geräte, die wir stets in der Hand haben. Das betrifft auch Menschen, die nicht analog fotografieren, die zu Hause aber noch viele alte Negative besitzen. Der Scanner wurde auf Kickstarter gelauncht. Warum? — Das war das erste Mal, dass wir mit Kickstarter gearbeitet haben. Aus zwei Gründen: Erstens konnten wir so Leute ansprechen, die wir sonst nicht erreicht hätten. Zweitens haben wir bei neuen Produkten normalerweise eine Entwicklungszeit von zwei Jahren, in denen wir alles selbst vorfinanzieren müssen. Mit dem ­Kickstarter-Projekt wurde der Vorfinanzierungsdruck verkürzt.

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Was können andere Kreative von Lomo im Hinblick auf den Vertrieb lernen? — Vor allem das: Wie man ein Produkt kommuniziert, ist ein Teil der Arbeit der Entwicklung des Produktes, der eigentlichen Produktidee. Im eigenen Wording und der Beschreibung der Anwendung stecken fast schon alle Informationen für den Vertrieb. Das wird oft vergessen. Uns war das aber schnell klar. Es ist bis heute unser Erfolgsgeheimnis. Kreative müssen zuallererst daran denken: Was setzt du mit deinem Produkt in Gang, was erzeugst du auf der Seite der User? Die Freiheit, etwas zu entwickeln, etwas zu machen, wohinter man voll steht und seine ganze Kreativität legt, muss man auch dafür nützen, alternative Wege im Vertrieb zu finden. Das ist oft ein Schritt, der übersehen wird. Und meist auch nicht einfach ist.


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Fotos: ŠLomographic Society International

The World of Lomography: Der neue Smartphone Scanner (links) und das Key-Image des Unternehmens: Lomowalls (oben und Seite 61).

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Perspektiven Neue Produkte oder Dienstleistungen der Kreativwirtschaft erweisen sich erst dann als innovativ, wenn sie auch den Markt erreichen und von Kunden angenommen werden. Dies macht deutlich, welche zentrale Rolle der Vertrieb für die kreative Arbeit spielt. Mit dem Call Focus New Sales möchte departure Wiener Kreativunternehmen dabei unterstützen, neue, erfolgreiche Vertriebsstrategien zu entwickeln und anzuwenden. Der Fokus auf Vertrieb heißt: Der Weg zum Kunden ist das Ziel – nicht das ­ Produkt allein steht im Mittelpunkt, sondern auch sein Verkauf. Das ist kein Gegensatz. Es geht dabei nicht darum, plötzlich dem Verkaufen mehr Aufmerksamkeit zu schenken als der Krea­tion, dem Entwurf bzw. der Produktentwicklung. Es geht darum, schon bei der Entwicklung auch die Kunden und den Weg, wie diese am besten zu erreichen sind, mitzudenken.

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Was macht mich und meine Leistung für Kunden einzigartig? Die Kunden von Anfang an mitzudenken, das heißt sich zunächst Klarheit über die eigene Einzigartigkeit zu verschaffen: Was kann nur ich, was mache nur ich? Was unterscheidet mein Produkt von allen anderen? Welchen Wert, welchen Sinn hat mein Produkt oder meine Dienstleistung für potenzielle Kunden? Das sind die entscheidenden Fragen, um den eigenen Brand aufzubauen und damit ein Unternehmen, das auch wirtschaftlich erfolgreich ist und Wachstumspotenzial hat. Daran schließt die Frage an, welche Instrumentarien Kreative brauchen, um ihre potenziellen Kunden und deren Bedürfnisse besser kennen zu lernen und mit ihnen so kommunizieren zu können, dass das Feedback in die Leistung bzw. Entwicklung produktiv einfließen kann? Und – für den Call – wie man sie bzw. wer sie dabei unterstützen kann?

W i e ko m m u n i z i e r e i c h d i es e Einzigartigkeit? Diese Einzigartigkeit der eigenen Marke, der eigenen Person bzw. des jeweiligen Produkts muss potenziellen Kunden kommuniziert werden. Akteure der Kreativwirtschaft müssen also überlegen, wo sie überall mit Kunden in Kontakt kommen können – im eigenen Shop, via Website, Facebook oder Twitter, bei Showcases und Messen, durch User Response etc. – und diese Kontaktstellen optimal für den Transport der Marken­ idee nützen. Vertrieb funktioniert niemals nur über einen eigenen Shop, eine eigene Website oder mit der Referenzmappe des Architekten; es geht immer um einen Marketingmix, dessen Komponenten gefunden und gestaltet werden müssen. Das bedeutet heute faktisch immer auch die Einbeziehung von Onlinekanälen. Zu den Kunden kommen natürlich vielfältige andere Marketing-Zielgruppen hinzu: Investoren, Konkurrenten, die Verwaltung und die Politik, die eigenen Mitarbeiter und Lieferanten; jede Menge Stakeholder der eigenen Marke.

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Wie lassen sich P r o d u k t e n t W ick l u n g u n d V e r t r i e b g l e ic h z e i t i g vorantreiben? Vertrieb und Marketing sind strategische Fragen, die gezielt und langfristig geplant und umgesetzt werden müssen. Dabei wird es immer wieder nötig sein, sich Kompetenz und Hilfe auch von außen zu holen. Viele Krea­ tivunternehmer gehen von einer gestalterischen Idee aus und nicht von einem wahrgenommenen Marktbedürfnis. Das ist grundsätzlich gut, weil dadurch Leidenschaft im Produkt erkennbar ist. Diese Idee muss aber von Anfang an auch mit Blick auf den Markt unterlegt sein; und das heißt schlussendlich auf den Kunden, der das Produkt oder die Dienstleistung kaufen soll. Sonst betreibt man kein Unternehmen, sondern ein Hobby. Wenn ich weiß, warum jemand mein Produkt kaufen soll, wie oder wodurch es einen Gebrauchswert für den Käufer gewinnt, dann hat das nicht nur Einfluss auf die Gestaltung bzw. Entwicklung selbst, denn dann ist auch die Frage schon viel einfacher zu beantworten: Wie vertreibe ich meine Leistung? Und je früher im Entwicklungsprozess auch die adäquaten Vertriebswege mitgedacht werden, desto größer sind auch die Chancen für wirtschaftlichen Erfolg. Auch dafür sind Onlinekanäle ein unerlässliches Hilfsmittel, das die vielfach für Kleinunternehmen zu aufwändige Marktforschung einfacher und billiger machen kann. Es macht ein Produkt besser, wenn man Kunden fragt, es im Idealfall mit ihnen entwickelt und nicht einfach rät, was sie brauchen könnten. Schnelles Kundenfeedback ist stets einem langen Entwicklungsprozess in der sicheren Abgeschiedenheit vorzuziehen, denn es senkt das unternehmerische Risiko und steigert die Qualität. Für dieses rasche Feedback ist zunächst der lokale Markt ein guter Ort. Nicht zuletzt ist es vor Ort auch leichter, sich ein Bild über die direkte Konkurrenz, ihre Leistungen und Services zu machen und die eigenen Angebote gegebenenfalls neu zu justieren.

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W i e k a n n i c h m e i n e K r e at i v i t ä t f ü r den Vertrieb einsetzen? Nicht nur Produkte und Dienstleistungen, auch deren Vertrieb bietet Herausforderungen für Kreativität und Chancen für einen „inhaltsgetriebenen“ Zugang zum Markt: Gerade die heute bestehende enorme Vielfalt an möglichen Marketing- und Kommunikationskanälen offeriert ein riesiges Potenzial für Innovation und kreative Gestaltung – und damit wird eine noch engere Wechselwirkung zwischen Produkt und Markt möglich. Die aktuelle Konjunktur von Content Marketing und Social Media-Marketing zeigt, wie eng diese Verknüpfung werden kann und dass mit tollen Ideen erfolgreiches Marketing auch sehr kostengünstig möglich ist, teils geht dabei die Kommunikation dem Produkt sogar voraus.

K o o p e r at i o n i s t e i n e G r u n d l a g e d e r K r e at i v i t ä t. W i e k a n n i c h b e i ­V e r t r i e b s f r a g e n d av o n p r o f i t i e r e n ? Natürlich ist nicht jede gute Industriedesignerin, ist nicht jeder kreative Musiker auch ein begnadeter Kommunikationsdesigner. Vertriebskooperationen, gemeinsame Onlineplattformen und Cross Selling-Konzepte ermöglichen jedoch Synergien und kommen kreativen Prozessen auch beim Verkauf sehr entgegen. Das beginnt beim Wissen über potenzielle Kunden, das mit gemeinsam betriebener Marktforschung und Kundenkommunikation kostengünstiger zu gewinnen ist, und eröffnet Potenziale bei der Entwicklung innovativer Marketingstrategien und Vertriebswege durch Zusammenarbeit verschiedener Kreativunternehmen: gemeinsame Projekte von Multimedia- und Musikproduzenten oder Mode- und Produktdesignern, die sowohl den Zugang zu Produzenten als auch zu Kunden optimieren bzw. erleichtern können, wenn sie als kooperative, Kreativität fördernde Herausforderung gesehen werden. Auch multidisziplinäre Teams über die Kreativwirtschaft hinaus (Kooperationen mit

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„klassischen“ Unternehmen) können durch gesammeltes Wissen mehr erreichen. Nicht zuletzt ermöglicht auch simpler Informationsaustausch ohne gemeinsames Produkt neue Ideen und Wissenszuwächse, die produktiv gemacht werden können. Denn Marktzugang ist vor allem in den umkämpften Gebieten der Kreativbranchen auch eine Frage von Netzwerken, von PR, von Beziehungen zu wichtigen Akteuren und Multiplikatoren im Markt.

Wie kann ich Consumer to ­ Consumer-Beziehungen in m e i n e m Ma r k e t i n g Mi x n u t z e n ? Kunden sind heute für Kreativunternehmen nicht nur wichtige Kommunikationspartner bei der Produktentwicklung, sie sind auch nicht zu unterschätzende Marketingpartner. Und sie spielen nicht nur auf Produkt- und Handelsplattformen, sondern auch beim Crowdfunding für die Finanzierung von Produktentwicklung und Vertrieb eine Rolle. Empfehlungsmarketing auf Consumer to Consumer-Basis erfordert aber eine intensive, authentische Kommunikation mit Stammkunden und Fans. Wenn dies gelingt, eröffnen Cross-Selling- und Up-Selling-Modelle für Produkte und Dienstleistungen weitere interessante Möglichkeiten. Ein neuer, bisher in Österreich noch selten angewandter Weg ist auch Media for Revenue und Media for Equity. Doch selbstverständlich liegt nicht allein in elektronischen Medien die Zukunft des Marketings. Auch offline bieten sich mit innovativen Konzepten, etwa der Verknüpfung von Produktion und Handel, erfolgsversprechende Chancen: So wird z. B. der Verkauf am Produktionsstandort von vielen Kunden gern angenommen, weil er Authentizität und Besonderheit signalisiert. Direktvertrieb in Nischen- und Qualitätsmärkten, ob online oder in real life, bietet eine wichtige Alternative zu den riesigen Kanälen der Gegenwart im Internet. Insbesondere bei Mode, Design und Kunst gibt es einen Trend zu handwerklichen Kleinserien mit Vertrieb in Eigenregie, über Galerien, Crossover Shops und Concept Stores.

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Wer hilft mir, Wenn es trotzdem nicht funktioniert? Man kann sich Wissen aneignen, Marketing- und Vertriebsratgeber lesen, sich auf die Trial and Error-Methode einlassen, sollte aber auch erkennen, dass es Themenbereiche gibt, die mit Hilfe von außen besser zu bearbeiten sind: mit professionellen Beratern oder Vertriebspartnern in „klassischen“ Unternehmen. Vor allem anfangs kann professionelle Unterstützung Fehler vermeiden helfen, die letztlich teurer kommen können als Coaching-Honorare. Das ändert nichts daran, dass erfolgreicher Vertrieb letztlich immer im Kern des Unternehmens verankert sein muss – in möglichst enger Verknüpfung mit der Produktentwicklung und mit den Krea­ tiven, ihrer Individualität und ihrer jeweilig besonderen Persönlichkeit.

I n t e r n at i o n a l o d e r lo k a l – W i e soll ich mich positionieren? Last but not least eine wesentliche Grundentscheidung, die alle Kreativunternehmer immer wieder zu treffen haben: Um welchen Markt will ich mich primär kümmern? Lokal, international oder global? Hier vor Ort oder in den USA, in China, Russland oder Brasilien? Natürlich bieten die neuen Märkte vor allem in den prosperierenden Schwellenländern theoretisch mehr Optionen als der gesättigte heimische Markt. Aber wie komme ich dorthin? Onlinekanäle sind dabei gewiss hilfreich, aber nichts ersetzt die Vernetzung und die Präsenz vor Ort komplett. Ohne vertrauenswürdigen Vertriebspartner, der dieselbe „Sprache“ spricht und sie vor Ort richtig zu „übersetzen“ weiß, schrumpfen die Optionen schnell gegen Null.

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IMPRESSUM H erausgeber :

departure – Die Kreativagentur der Stadt Wien GmbH, Bettina Leidl

K onzeption :

Christian Dögl, Bettina Leidl, Anne Zimmermann

P rojektleitung :

Anne Zimmermann

A utoren :

Christian Dögl, Wolfgang Reiter, Robert Temel (uma Holding GmbH)

R edaktion :

Wolfgang Reiter, Robert Temel, Anne Zimmermann

G astkommentare :

Carl Frech, Christian Kesberg, Doris Rothauer

I nterviews :

Christian Dögl, Wolfgang Reiter, Robert Temel

G rafische G estaltung :

Dieter Auracher

D ruck :

Remaprint

L ektorat :

Simon Böckle, Robert Gisshammer

A uflage :

1000

V eröffentlichung :

Juni 2013

In dieser Publikation werden aus Gründen der besseren Lesbarkeit nur männliche Formen verwendet. Diese beziehen sich gleichermaßen auf Männer und Frauen.


D ANK AN : Marlene Agreiter, Dieter Auracher, Allan Berger, Sally Bibawy, Camille Boyer, Christian Dögl, Tatjana Domany, Carl Frech, Walter Gröbchen, Anja Hasenlechner, Berndt Hauptkorn, Franz Hergovich, Christoph Hofinger, Oliver Holle, Christian Kesberg, Ben Knapp, Johannes Knoll, Reanne Leuning, Klaus Mühlbauer, Alexander Mühr, Andreas Oberkanins, Olga Okunev, Anna Popelka, Wolfgang Reiter, Doris Rothauer, Wally Salner, Thomas Schranz, Martin Sirlinger, Robert Temel, Adam Wehsely-Swiczinsky, Andreas Wiesmüller


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