Der Schlepper Nr. 63 - Frühjahr 2013

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Nr. 63 fr端hling 2013

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Magazin f端r Migration und Fl端chtlingssolidarit辰t in Schleswig-Holstein

soviel du brauchst

Nach 20 Jahren Asylkompromiss:

Taufen gegen Christenverfolgung. Debatten gegen Islamfeindlichkeit. www.frsh.de


Editorial

Soviel Du brauchst? Den Vers aus 2. Mose 16, „Soviel Du brauchst“, hat die Evangelisch-Lutherische Kirche in Deutschland zum Motto ihres diesjährigen Kirchentages in Hamburg gemacht. Der Kirchentag findet statt im 20. Jahr des Asylbekämpfungspakets, das der Deutsche Bundestag im Mai 1993 mit dem Art. 16a im Grundgesetz, dem restriktiven Asylverfahrensgesetz und dem – wie wir es heute amtlich haben – verfassungswidrigen Asylbewerberleistungsgesetz beschlossen hat. Rechtlich genau soviel wie ein Flüchtling brauche, befand damals auch die Amtskirche und gab dem sogenannten „Asylkompromiss“ ihren Segen. Soviel Du kriegst, ist allenfalls eine Duldung, meint Bundesinnenminister Friedrich mit Blick auf die angekündigt 5.000 von 1.400.000 syrischen Bürgerkiegsflüchtlingen, die Deutschland offenbar nur vorübergehend aufnehmen will. Eine Tiefgarage sei als Gebetsraum allemal soviel sie bräuchten, finden AmtskirchenvertrerInnen und diverse rechtspopulistische Rassisten mit Blick auf die sunnitische Al Nour Gemeinde, die ein leerstehendes Kirchengebäude in Hamburg Horn als Moschee nutzen will. Offenbar nach dem Motto „soviel wir kriegen können“ taufen einige Pastorinnen und Pastoren reihenweise verzweifelte iranische und andere Flüchtlinge, die glauben, auf diesem Wege der drohenden Abschiebung zu entgehen. Die Kirche diskutiert und die Betroffenen bleiben derweil weitgehend auf sich allein gestellt. Und sind bei Rückkehr in die Heimat um so mehr gefährdet. Soviel sie können, sichern kirchlinche Beratungseinrichtungen und andere solidarisch engagierte Menschen hilfesuchenden Flüchtlingen in Schleswig-Holstein und anderswo zu und leisten eine, bei derzeit wieder steigenden Flüchtlingszahlen, unverzichtbare humanitäre Unterstützung. Soviel du brauchst, können wir kaum geben, bedauern indes engagierte Christen mit Blick auf die starke Nachfrage von Kirchenasyl und angesichts der in Gemeinden bisweilen noch vorherrschenden Zurückhaltung, diesen Raum konkreter Nächstenliebe zu gewähren. Soviel du brauchst wirst du hier nicht finden, signalisieren Unternehmen und Verbände Arbeit suchenden

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Muslimen. In Deutschland ist Diskriminierung durch geltendes Recht legitimiert und Islamfeindlichkeit in Medien und im sozialen Alltag weit verbreitet. Soviel Integration du brauchst, verspricht dafür der Kieler Innenminister Breitner den Asylsuchenden in seinem Bundesland und verkündet dies als künftiges Mantra in der Flüchtlingspolitik des nördlichsten Bundeslandes. So soll die Prophezeiung „Alle hatten gesammelt, soviel sie brauchten“ (2. Mose 16, 18) zumindest in Schleswig-Holstein wahr werden? Martin Link Kiel, 21.4.2013:

Impressum Das Magazins für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein - Der Schlepper wird herausgegeben vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.. Angebote zur Mitarbeit sind erwünscht. Beiträge bitte nur als Text-Datei zusenden. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht immer die Meinung der Redaktion wider. Nr. 63 erscheint als Sonderheft zum 34. Kirchentag der EKD in Hamburg. Redaktion: Martin Link (v.i.S.d.P.), Andrea Dallek, (schlepper@frsh.de) Layout: Magazin Verlag Kiel & Karimix, Den Haag Druck: hansadruck, Kiel Titelfoto: „Refuge on the Sixth Floor: Urban Refugees in Jordan“ (UNHCRFotostrecke „Refuge on the Sixth Floor: Urban Refugees in Jorden“, www. unrefugees.org.au), weitere Fotos in diesem Heft: R. Pohl, B. Karimi und JoG SH ISBN: 978-3-941381-15-5 Der Schlepper online im Internet: www.frsh.de/schlepper/ Diese Ausgabe ist gefördert durch den EFF, den KED, PRO ASYL und die UNOFlüchtlingshilfe e.V.

Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. • Oldenburger Str. 25 • D-24143 Kiel • Tel.: 0431-735 000 • Fax: 0431-736 077 • office@frsh.de • www.frsh.de Spenden: FÖRDERVEREIN Flüchtlingsrat S.-H., EDG Kiel, KtoNr.: 383 520, BLZ: 210 602 37 • Solidarität kostet Geld und braucht Unterstützung! Mitglied werden im FÖRDERVEREIN Flüchtlingsrat SH: www.frsh.de


Inhalt

Fluchtursache Religion

DIskriminierung

Verfolgung wegen der Religion – ein Asylgrund? Reinhard Pohl................................................................ 4

„Die Vorwürfe gegen Augstein sind idiotisch“ Intrview mit Moshe Zuckermann. ................................. 34

Flüchtlingsanerkennung auch bei erzwungenem Verzicht auf öffentliche Religionsausübung möglich Bundesverwaltungsgericht (Dokumentation)................. 7

„... die Steine von Kapernaum sind nicht muslimisch oder christlich.“ Wolfgang rose............................................................. 36

Zwischen „Pest und Cholera“? Dr. Kamal Sido............................................................... 8

Zwischen Gleichbehandlung und Diskriminierung Tanja Hinze.................................................................. 38

„Syrien geht langsam zugrunde“ Interview mit Rafik Shami. ............................................. 10

Ein Scheitern zur besten Sendezeit Emran Feroz................................................................. 40

Das Jahr der Rebellen Dominic Johnson.......................................................... 12 Von der eighenen familie tödlich bedroht Bettina Rühl................................................................ 14 Togo – ein gesetzloser Staat Romaricson Atognon................................................... 16

Kirche und Flucht Siegel des Glaubens statt kurz mal „nass machen“ Fanny Dethloff............................................................ 20 Kirchenasyl – eine bleibende Herausforderung für Gemeinden Wolf-Dieter Just.......................................................... 23 Flucht & Asyl auf dem Hamburger Kirchentag Kirchliche Flüchtlingsarbeit in hamburg...................... 25 Kirchenasyl und Dublin II: Ein Beispiel Wolf-Dieter Just.......................................................... 29

Schleswig-Holstein „Leute, kommt zu uns“ Jugend ohne Grenzen Schleswig-Holstein................... 42 „Zwei Seiten, aber eine Medaille.“ Andreas Breitner (Dokumentation).............................. 44 Fachtagung: Teilhabechancen an Erziehung und Bildung diakonisches Werk SH................................................... 48

Literatur Nichts Neues zur politischen Bildung Reinhard Pohl.............................................................. 46 Flucht und Ankunft in Deutschland Reinhard pohl............................................................... 47

Zuwanderung aus Osteuropa Fachausschuss Migration des Diakonischen Werk Hamburg. ................................ 30

Fotos in diesem Heft: Die amtierende Landesregierung Schleswig-Holstein hat die Abschaffung der Abschiebungshaft auf ihre Fahnen geschrieben. Das Abschiebungsgefängnis in Rendsburg steht also vor seinem Aus? Einen letzten Blick können die Leserinnen und Leser anhand einiger Fotos von Bernhard Karimi in diesem Heft auf das betroffenen Flüchtlingen und mit ihnen solidarischen Unterstützergruppen gleichermaßen missliebige Gebäude werfen.

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Fluchtursache Religion

Verfolgung wegen der Religion – ein Asylgrund? Reinhard Pohl ist freier Journalist und lebt in Kiel.

Seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts ist umstritten, ob Flüchtlinge im Asylverfahren aner­ kannt werden sollen, wenn sie aufgrund ihrer Religion verfolgt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat 1987 in einem Grundsatzurteil eine Tren­nung geschaffen: Wenn jemand wegen seiner Religion selbst verfolgt wird, wird der Asylantrag anerkannt.

Europäischer Gerichtshof bremst deutschen Sonderweg Wird „nur“ die öffentliche Sichtbarkeit verfolgt, also das Zeigen religiöser Symbole in der Öffentlichkeit, der Besuch von Gottesdiensten oder Versammlungen, dann wäre es zumutbar, jemanden zurückzuschicken und sie oder ihn während der Abschiebung aufzufordern, sich einfach unauffällig zu verhalten und nur zu Hause auf dem Sofa die eigene Religion „zu leben“. In Ablehnungsbescheiden des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hörte sich die Begründung einer Ablehnung zum Beispiel so an: „Für einen in Deutschland zum Christentum Konvertierten ist eine konkrete Gefährdung, die zu staatlicher Verfolgung führt, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nur dann anzunehmen, wenn eine missionarische Tätigkeit in herausgehobener Position entfaltet und nach außen erkennbar und nachhaltig mit Erfolg ausgeübt wird ... oder wenn jemand als Kirchenführer oder in der Öffentlichkeit besonders aktiv ist. ... Es liegen auch keine Anzeichen für eine mittelbare staatliche Verfolgung der Christen vor, die dem iranischen Staat als politische

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Verfolgung im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG zugerechnet werden können. Der iranische Staat ist willens und in der Lage, seine Bürger vor Übergriffen Dritter zu schützen.“ (Schreiben des BAMF vom 8. April 2008 an Rechtsanwalt Victor Pfaff) Die deutsche Rechtsprechung machte immer ein Unterschied zwischen dem religiösen Privatleben und dem öffentlichen religiösen Leben. Nur wenn das „religiöse Existenzminimum“ durch eine Verfolgung in Gefahr sei, müssten Verfolgte in Deutschland geschützt werden. Ansonsten könnten sie zurückkehren mit dem guten Rat aus Deutschland, sich im Herkunftsland zurückzuhalten, sich anzupassen und in der Öffentlichkeit nicht aufzufallen, also auf eine öffentliche Zurschaustellung des religiösen Bekenntnisses zu verzichten. „Des Schutzes vor politischer Verfolgung bedarf nicht, wer durch eigenes zumutbares Verhalten die Gefahr politischer Verfolgung abwenden kann.“ (BVerwG, Urteil vom 3. 11. 1992 / 9 C 21.92) „Einschränkungen der religiösen Betätigung als solche stellen nur dann Eingriffe im Sinne von Art. 9 [der EU-Qualifikationsrichtlinie] dar, wenn die Religionsausübung gänzlich unterbunden wird oder wenn sie zu einer Beeinträchtigung des unabdingbaren Kernbereichs einer Religion führen, auf den zu verzichten den Gläubigen nicht zugemutet werden kann“ (aus einer Stellungnahme des BMI, Berlin 2006) In der Vergangenheit wurde durchaus in bestimmten Phasen eine „Gruppenverfolgung“ bei einer bestimmten Religionszugehörigkeit angenommen. Zeitweise konnten so Ahmadiyyas aus Pakistan, Yeziden aus der Türkei oder aus dem Irak und andere hier Asyl erhalten. Misstrauen


„Die deutsche Rechtsprechung machte immer einen Unterschied zwischen dem religiösen Privatleben und dem öffentlichen religiösen Leben“

seitens der Behörden gab es dagegen immer, wenn jemand hier in Deutschland konvertierte und daraufhin im Asylantrag oder Asylfolgeantrag die eigene neue Religionszugehörigkeit als Verfolgungsgrund angab. Hier reagierte das Bundesamt ebenso wie viele Gerichte mit einem „selbst schuld“ und empfahlen, sich nach der Rückkehr unauffällig zu verhalten.

Kennt der Flüchtling seine oder ihre Religion? In der Anhörung zum Asylantrag oder Folgeantrag machte das Bundesamt auch häufig „Religionsprüfungen“. Ahmadiyyas, Yeziden, Christen wurden befragt, welcher Lehre sie folgten. Sie sollten Glaubensgrundsätze, Feste, Stellung von Personen beschreiben. Daran sollte die Glaubwürdigkeit gemessen werden – nach dem Motto: Wer behauptet, Christ zu sein, sollte auch die Bedeutung von Pfingsten, die Fastenregeln vor Ostern und die Bedeutung des Abendmahls beschreiben können. Und wer das nicht konnte, dem wurde unterstellt, der Vortrag der Verfolgungsgefahr sei nicht substantiiert, die Religionszugehörigkeit nicht glaubhaft. Besonders kritisch wurde die Konversion gesehen. Denn diese ist, aus Sicht des Bundesamtes, oft nur vorgetäuscht, um „im zweiten Anlauf“ Asyl zu bekommen, ähnliche wie Demonstrationen vor der Botschaft des Herkunftslandes. Hiergegen hat – im Falle von Flüchtlingen, die zum Christentum konvertierten – auch die entsprechende Kirche in der Vergangenheit protestiert, weil über eine Taufe eben nur der Pastor entscheidet, der die Ernsthaftigkeit des Bekenntnisses prüft. Staatlichen Behörden

wird das Recht und die Kompetenz bestritten. Der UNHCR weist in seinen Richtlinien überdies darauf hin, dass „Personen aufgrund ihrer Religion verfolgt werden können, obgleich sie nur geringe oder keine wesentlichen Kenntnisse der Grundlagen und Praktiken dieser Religion haben.“

Europäischer Gerichtshof, 5. September 2012 Einen Einschnitt bedeutete die Qualifikationsrichtlinie der EU von 2004, die sogenannten „Mindestnormen für die Anerkennung als Flüchtling“. Denn hier ging es auch um die Verfolgung wegen der Religion, ohne zwischen privater und öffentlicher Ausübung der Religion zu unterscheiden. Deutschland tat dies trotzdem weiter, weil die Richtlinie nur den Schutz vor „schweren Menschenrechtsverletzungen“ verlange – die Verfolgung lediglich einer öffentlichen Religionsausübung, auf die die Betroffene auch verzichten könnte, wäre aber nicht „schwer“. Da war sich das Bundesverwaltungsgericht nicht so sicher und legte dem Europäischen Gerichtshof Ende 2010 einige Fragen, bezogen auf den vorliegenden Asylantrag pakistanischer Ahmadiyyas, vor: 1. Wann liegt eine Verfolgungshandlung vor? 2. Ist die Freiheit der öffentlichen Glaubensbetätigung geschützt? 3. Ist ein Verzicht auf die öffentliche Ausübungsfreiheit zwecks Vermeidung von Verfolgung zumutbar?

Fluchtursache Religion Zwei Jahre später lag die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vor. Und sie wird viel an der Anerkennungspraxis ändern. Zunächst macht der Europäische Gerichtshof die (deutsche) Praxis überhaupt nicht mit, zwischen „öffentlicher“ und „privater“ Religionsausübung zu unterscheiden. Vielmehr stellt er fest, dass jede schwerwiegende Menschenrechtsverletzung, vor allem Tötung, Folter, aber auch willkürliche Verhaftung zu einem Anrecht auf Schutz führt – und zwar unabhängig davon, welche Handlung dies ausgelöst hat. (Der Begriff „willkürliche Verhaftung“ bedeutet natürlich, dass ein Banküberfall nicht damit gemeint ist.) Entscheiden müssen die Mitgliedsstaaten im Asylverfahren vielmehr darüber, ob die Verfolgung oder die (z.B. nach einer Konversion hier) zu erwartete Verfolgung schwerwiegend ist und damit zu einer Anerkennung führen muss. Hierbei geht es darum, ob z.B. die Nutzung von Gesundheits- oder Bildungseinrichtungen erschwert oder verweigert wird, also wo die Grenze zwischen Diskriminierung und Verfolgung verläuft. Keinen Unterschied macht der Europäische Gerichthof aber darin, ob es sich um eine private oder öffentliche Religionsausübung handelt oder eine andere Handlung. Auch stellt der Europäische Gerichtshof auf die Ausübung der Religion ab, nicht darauf, ob das von der Religionsgemeinschaft insgesamt so vorgeschrieben wird. Das eröffnet neue Freiräume. So könnte ein Flüchtling, der im Herkunftsland die Religionszugehörigkeit nur im Verborgenen lebte, durch das Leben in Deutschland daran gewöhnt werden, bestimmtes Verhalten öffentlich zu zeigen (oder nicht zu zeigen) und dadurch in Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr geraten. Stichwort Nicht-Zeigen: In der Türkei hat sich die früher hart verfolgte Minderheit der Aleviten als Teil der Geheimhaltung daran gewöhnt, während des Ramadan, in dem nur nachts gegessen werden darf, ebenfalls zur Nachtzeit für ein oder zwei Stunden das Licht in der Wohnung anzuschalten, damit Nachbarn keinen Verdacht schöpfen. Viele stehen aber in Kiel oder in Quickborn nicht mehr nachts auf, um Licht anzumachen, nur um nach einer Stunde das Licht wieder aus-

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Fluchtursache Religion zuschalten. Auch ein solches Verhalten, das einen ausgrenzen und Verfolgung auf sich ziehen könnte, müsste nun bei einem Asylantrag geprüft werden. Die Wirkungen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes gehen aber noch weiter, können sie doch problemlos auch auf ein bestimmtes Verhalten und die damit verbundene Verfolgungsgefahr aufgrund der sexuellen Orientierung übertragen werden. Auch einem schwulen Paar dürfte das Bundesamt in Zukunft nicht mehr vorschreiben, nach einer Abschiebung nur in der Wohnung Nähe zu zeigen, auf der Straße aber getrennt zu gehen. siehe auch: Reinhard Marx: Verfolgung aus Gründen der Religion aus menschenrechtlicher Sicht. www.asyl.net

„Auch stellt der Europäische Gerichtshof auf die Ausübung der Relitgion ab, nicht darauf, ob das von der Religionsgemeinschaft insgesamt so vorgeschrieben wird. Das eröffnet neue Freiräume.“

Zeit online: Gericht kippt deutsche Asylpraxis in Glaubensfragen. www.zeit. de Religion als Verfolgungsgrund im Asylverfahren. Fachtagung, www.ekir.de

Thomas Hummitzsch: EuGH stärkt Recht auf Asyl bei relitiöser Verfolgung. www.diesseits.de

Baltic Sea Network Conference on Migration and Refugee Issues 2014 Wir möchten herzlich einladen, sich am wachsenden Netzwerk der flüchtlings- und migrationssolidarischen Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen im Ostseeraum zu beteiligen. Für die effektive Kooperation in internationalen Fällen, zum Austausch zu den jeweiligen Umsetzungen des internationalen Rechts in den einzelnen Ländern sowie zu Praxis und Erfahrung in der Unterstützungsarbeit möchten wir Kontakte herstellen und Diskussionen ermöglichen. Unsere Themen sind u.a. Dublin II-Fälle, Familienzusammenführung, Arbeitsmigration und Kirchenasyl. Dazu möchten wir gern zu einer Konferenz, die für den 7. bis 9. März 2013 in Kiel angedacht ist, einladen. Weitere Informationen gibt es auf unserer Homepage www.baltic-sea-network.net. Koordination: Andrea Dallek Oldenburger Str. 25, 24143 Kiel Tel. +49 (0)431 735000, Fax 736 077 bsc2014@frsh.de

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Fluchtursache Religion

Flüchtlingsanerkennung auch bei erzwungenem Verzicht auf öffentliche Religionsausübung möglich Bundesverwaltungsgericht, Pressemitteilung Nr. 10/2013 vom 20. Februar 2013

Ein Ausländer ist als Flüchtling anzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland wegen der öffentlichen oder privaten Ausübung seiner Religion verfolgt wird. Auch ein durch strafrechtliche Sanktionen erzwungener Verzicht auf die Ausübung der Religion in der Öffentlichkeit kann zur Flüchtlingsanerkennung führen. Dann aber muss die Ausübung gerade dieser religiösen Praxis für den Betroffenen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig sein. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in vier Verfahren über die Flüchtlingsanerkennung von pakistanischen Staatsangehörigen zu entscheiden, die der AhmadiyyaGlaubensgemeinschaft angehören. Diese Religionsgemeinschaft versteht sich als islamische Erneuerungsbewegung, ihre Mitglieder werden in Pakistan aber nicht als Muslime anerkannt. Eine öffentliche Ausübung ihres Glaubens ist dort mit hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe bedroht. In zwei der vier Verfahren hatte das Bundesverwaltungsgericht eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zu den unionsrechtlichen Anforderungen an eine Flüchtlingsanerkennung bei religiöser Verfolgung eingeholt (EuGH, Urteil vom 5. September 2012, C-71/11 und C-99/11). Der 10. Revisionssenat des Bundesverwaltungsgerichts hat aus dieser Entscheidung des EuGH nun die Konsequenzen für die anhängigen Revisionsverfahren gezogen und die Berufungsurteile aufgehoben. Zwar ist nicht jeder Eingriff in die Religionsfreiheit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung, doch können schwere Eingriffe auch in die öffentliche Religionsausübung (forum externum) zur Flüchtlingsanerkennung führen.

Die öffentliche Glaubensbetätigung muss dann aber für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Dann kann auch der erzwungene Verzicht auf diese Glaubensbetätigung zur Flüchtlingsanerkennung führen; andernfalls blieben Betroffene gerade in solchen Ländern schutzlos, in denen die angedrohten Sanktionen besonders schwerwiegend und so umfassend sind, dass sich Gläubige genötigt sehen, auf die Glaubenspraktizierung zu verzichten. Die Verfahren wurden an die Berufungsgerichte zurückverwiesen, weil die Berufungsurteile bisher keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen zur Verfolgungswahrscheinlichkeit und - in drei Verfahren - auch nicht zur

Bedeutung einer öffentlich bemerkbaren Religionsausübung für die religiöse Identität der Betroffenen enthalten Hierzu werden die Berufungsgerichte nun die erforderlichen Tatsachen aufzuklären haben.

BVerwG 10 C 20.12 Urteil vom 20. Februar 2013

BVerwG 10 C 22.12 Urteil vom 20. Februar 2013

Vorinstanzen:

Vorinstanzen:

OVG Bautzen, A 1 B 559/07 - Urteil vom 13. November 2008 -

OVG Münster, 19 A 3547/07.A - Urteil vom 11. Januar 2011 -

VG Dresden, A 12 K 30537/04 - Urteil vom 13. Juli 2007 -

VG Arnsberg, 4 K 2676/06.A - Urteil vom 07. November 2007 -

BVerwG 10 C 21.12 Urteil vom 20. Februar 2013

BVerwG 10 C 23.12 Urteil vom 20. Februar 2013

Vorinstanzen:

Vorinstanzen:

OVG Bautzen, A 1 B 550/07 - Urteil vom 13. November 2008 -

VGH Mannheim, A 10 S 69/11 - Urteil vom 13. Dezember 2011 -

VG Leipzig, A 1 K 30313/04 - Urteil vom 18. Mai 2007 -

VG Stuttgart, A 4 K 1179/10 - Urteil vom 09. Juli 2010 -

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Fluchtursache Religion

Zwischen „Pest und Cholera“? Syriens Minderheiten sorgen sich um ihre Zukunft

Dr. Kamal Sido ist Nahost-Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker (www. gfbv.de) in Göttingen.

In dem schmutzigen Stellvertreterkrieg zwischen sunnitischer und schiitischer Allianz geraten Syriens Minderheiten immer mehr zwischen die Fronten. Nicht nur die Christen in Syrien fragen sich, was nach dem Assad-Regime kommt. Auch Kurden, AssyroAramäer, Armenier, Drusen, Ismailiten und Yeziden fürchten eine islamistische Diktatur.

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Einen Tag vor Heilig Abend 2012 erklärte Ignatius Joseph III, Patriarch der mit Rom unierten syrisch-katholischen Kirche von Antiochien, dass ihm Baschar Al-Assad lieber sei als ein Sieg der Opposition. Nach allem, was bisher im syrischen Bürgerkrieg geschehen ist, klingt dieses Statement mehr als verwunderlich. Das Oberhaupt aller syrisch-katholischen Christen in der Welt wollte mit diesem Satz aber nicht etwa die syrische Diktatur in Schutz nehmen. Nein, Ignatius Joseph III. äußert damit seine begründete Sorge vor einer Islamisierung Syriens. Wenn das urchristliche, multiethnische und multireligiöse Land auf eine islamische Autokratie zusteuere, könne er nicht schweigen.

Angst und Not in Syrien

es nicht gewusst’“, sagte Behnan Hindo kurz vor Weihnachten gegenüber der Berliner Tageszeitung taz. Er spreche im Namen der drei christlichen Bischöfe der Region und im Namen der dort lebenden Kurden (welche Muslime oder Yeziden sind) sowie der Armenier. „Wir wünschen uns, dass all jene, an die wir unseren Hilferuf eindringlich richten, Druck ausüben auf die verschiedenen bewaffneten Einheiten und die Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“, damit diese nicht in unsere Region eindringen.“ Der Erzbischof weiß, wovon er redet. Bereits im November hatten Kämpfer der Al-Nusra-Front und der Brigade Al-Scham, die beide dem Terrornetz Al Qaida angehören, die an der Grenze zur Türkei gelegene kleine Stadt Ras Al-Ain angegriffen.

Kirchenspitze und Kirchenvertreter vor Ort sind verzweifelt über das Ausmaß der Angst und der Not, in der die Menschen in Syrien leben. Behnan Hindo, syrischer Erzbischof von Hasakeh-Nisibin, hat bereits mehrmals an die internationale Gemeinschaft appelliert, den Syrern zu helfen. In Hasakeh, im äußersten Nordosten Syriens gelegen, gibt es Gebiete, die fast geschlossen von Christen besiedelt sind. Seit Beginn der Kämpfe zwischen Opposition und dem diktatorischen Regime haben hier mehr als 400.000 Binnenflüchtlinge Schutz gefunden. Auch andere Kirchenoberhäupter von Hasakeh fordern, dass diese relativ ruhige Region vor dem Eindringen der radikal-islamistischen Rebellen geschützt wird. Seit Monaten appellieren sie zusammen mit den dortigen Kurden an die westlichen Regierungen, eine Ausweitung des Konflikts auf diese Region zu verhindern.

Christen und Kurden befürchten, dass bei einem Angriff auf die Region Hasakeh die 400.000 Binnenflüchtlinge erneut fliehen müssen. Sie sind sich sicher, dass ein militärisches Eingreifen der sogenannten Freien Syrischen Armee und die nachfolgenden Auseinandersetzungen mit der regulären Armee die völlige Zerstörung von Siedlungen und Städten bedeuten würde. Die Christen und Kurden wollen aber auch keine militärische Hilfe des Westens. Sie wollen nur eins: Die Türkei soll unter Druck gesetzt werden, dass sie ihre militärische Unterstützung der islamistischen Terrorgruppen einstellt. Über die türkische Grenze können diese Gruppen nach wie vor ungehindert nach Syrien eindringen.

„Ich übersende den Hilfeschrei, damit ihr morgen nicht mit diplomatischer Scheinheiligkeit sagen könnt: ‚Wir haben

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat seit Beginn der „syrischen Krise“ im März 2011 wiederholt an die

Völlige Zerstörung der Siedlungen befürchtet


„Die internationale Staatengemeinschaft darf nicht länger zusehen, wie die gesamte Zivilbevölkerung in Syrien unter einem schmutzigen Stellvertreterkrieg zwischen einer „schiitischen“ und einer „sunnitischen“ Allianz leidet.“

deutsche Bundesregierung appelliert und Hilfe für alle Minderheiten in Syrien gefordert. Nach mehr als vierzig Jahren Diktatur haben Kurden, Assyro-Aramäer, Armenier, Drusen, Ismailiten, Christen und Yeziden aber auch muslimische Araber eine bessere Zukunft verdient und nicht eine andere Diktatur, nämlich die der Islamisten. Die „schiitische Allianz“, angeführt vom Mullah-Regime im Iran, unterstützt die autoritär geführte syrische Regierung. Diese versucht seit März 2011, den sunnitischen Aufstand mit allen Mitteln niederzuschlagen. Die sunnitisch-islamistische Opposition ihrerseits wird von den arabischen Golfstaaten und der Türkei mit Geld und Waffen versorgt. So verschärft sich der Krieg Tag für Tag. Während die Armee Baschar Al-Assads schwere Artillerie, Panzer, Raketenwerfer und die Luftwaffe einsetzt, schreckt auch die sunnitische Opposition vor Mord sowie Bomben- und Selbstmordanschlägen nicht zurück.

Minderheiten zwischen den Fronten Ethnische und religiöse Minderheiten geraten immer mehr zwischen die Fronten. Christen werden gezielt angegriffen, Kirchen in die Luft gesprengt. In Dair Az-Zur im Osten des Landes wurde am 3. November 2012 eine leer stehende syrisch-orthodoxe Kirche zerstört. Die meisten Christen (einige hundert) haben die am Euphrat gelegene und überwiegend von arabischen Sunniten bewohnte Stadt längst verlassen und sind in den Norden nach Hasakeh gegangen, wo kurdische und christliche Milizen zum Teil noch für die Sicherheit der Region sorgen können.

Auch an der Grenze zum Libanon, im Wadi an-Nasara, werden Christen angegriffen, zuletzt am 13. Dezember 2012 wie verschiedene Agenturen vermelden. Seit Wochen ist das „Tal der Christen“ Zielscheibe islamistischer Milizen. In diesem Tal leben rund 150.000 zumeist griechisch-orthodoxe Christen in 40 Kleinstädten und Dörfern. Hinzu kommen zehntausende Binnenflüchtlinge aus Homs und anderen Städten, die hier seit einigen Monaten Zuflucht suchen. Islamistische Rebellen haben es aber nicht nur auf Christen abgesehen. Auch die kleine, nicht-muslimische kurdische Religionsgemeinschaft der Yeziden wird bedrängt. Am 29. Oktober 2012 beispielsweise griff eine islamistische Gruppe das yezidische Dorf Qestel Cindo im kurdischen Afrin im äußersten Nordwesten des Landes an. Die Angriffe konnten

Fernsehtipp: Im Frühjahr 2010 haben wir mit den Arbeiten an unserem Dokumentarfilm ‚WADIM‘ begonnen: Die Geschichte eines jungen Mannes, der mit sechs Jahren als Flüchtling nach Deutschland kam, hier aufwuchs und integriert war, trotzdem aber mit 18 Jahren von seiner Familie getrennt und in ein ihm fremdes Land abgeschoben wurde. Fünf Jahre später nahm sich Wadim in Hamburg das Leben. Die aktualisierte vollständig überarbeitete TV-Fassung des Dokfilms ‚WADIM‘ sendet das NDR Fernsehen im Mai 2013:

Fluchtursache Religion zwar durch eine kurdische Miliz gestoppt werden. Die Lage bleibt aber angespannt. Ziel der Islamisten ist, die Yeziden aus der Region zu vertreiben.

Staatsaufbau statt Tod und Flucht Nach Angaben der Vereinten Nationen (UN) wurden in Syrien bisher 70.000 Menschen getötet. Mindestens eine Million Menschen sind in den Libanon, nach Jordanien, in die Türkei und in den Irak geflohen. Etwa fünf Millionen befinden sich im eigenen Land auf der Flucht und brauchen dringend Hilfe. Die GfbV fordert als langfristige politische Lösung für das neue Syrien Religions- und Meinungsfreiheit. Auch wäre ein föderativer Staatsaufbau zu begrüßen, weil er einer strukturellen Machtzentralisierung entgegenwirkt. Auf alle Fälle darf es aber nicht wieder vorkommen, dass Repräsentanten einer einzigen Bevölkerungsgruppe, wie momentan Baschar al-Assad und seine alawitischen Verbündeten, an die Macht kommen und über die multireligiöse und multiethnische Bevölkerung im Staat herrschen. (Erstmalig im Schneller-Magazin 01/2013 veröffentlicht)

Weitere Informationen im Internet: www.frsh.de

TOD NACH ABSCHIEBUNG (44 Min., PIER53/NDR 2013) Eine Dokumentation von Carsten Rau und Hauke Wendler Erstausstrahlung: Montag, 13.05.13, 22:00 Uhr im N3 Weitere Infos finden Sie auch unter www.pier53.de/dokumentation_detail. asp?bereich=doku&id=215827 PIER 53 Filmproduktion, ClemensSchultz-Straße 50 V D - 20359 Hamburg V T. (+49) 040-85 41 57 12, F. (+49) 040-85 41 58 92, Mobil: (+49) 0171830 74 35, wendler@pier53.de, www. pier53.de, www.wadim-der-film.de

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Fluchtursache Religion

«Syrien geht langsam zugrunde» Das Interview führte Daniela Schwegler. Quelle: Migros-Magazin Nr. 10, S. 32-37. 4. März 2013

Die Bilder aus dem Bürgerkrieg rauben dem syrisch-deutschen Schriftsteller Rafik Schami den Schlaf. Und er kritisiert die schwache Rolle, die in seinen Augen der Westen bei dem Konflikt einnimmt. Dennoch glaubt er, dass Assads Terrorregime gestürzt werden wird.

Was braucht das syrische Volk derzeit am dringendsten? Humanitäre Hilfe, die nicht über das Regime, sondern direkt in die Flüchtlingslager kommt. Die Flüchtlinge leben unter unmenschlichen Bedingungen, und diese Misere, diese Demütigung, drückt auch auf die Brust der Opposition und lähmt sie. Bisher sind im Bürgerkrieg über 70‘000 Menschen umgekommen.

Interview mit Rafik Shami Fügt man dieser Zahl die Opfer hinzu, die sein Vater Hafiz al-Assad umbringen liess, erreicht das Verbrechen des Assad-Clans die unvorstellbare Zahl von 100‘000 Toten. Die Welt schaut zu und ist noch nicht einmal schlüssig, Assad anzuklagen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Hier hätte der Westen Rückgrat zeigen sollen. Sie sind jedoch gegen eine militärische Einmischung von aussen und setzen auf die Kraft der Opposition. Genau. Wir brauchen keine militärische Hilfe. Eine militärische Einmischung wäre eine Katastrophe, denn dann wird Syrien zu einem zweiten Afghanistan. Sie glauben tatsächlich, dass die Opposition das Terrorregime aus eigener Kraft zu Fall bringen kann? Es wird nicht einfach sein, aber die Syrer können das. Sie besiegten elf Monate lang tapfer und friedlich ihre Angst, aber sie konnten damit den Diktator nicht stürzen. Das Regime schoss vor den Augen der Welt auf Zivilisten. Erst die Soldaten und Offiziere, die sich aus der syrischen Armee abgespaltet hatten, konnten Assad in die Schranken weisen und das Land grösstenteils befreien. Aber die zwei wichtigsten Bastionen, Damaskus und Aleppo, sind noch zum grössten Teil unter seiner Kontrolle. Ich glaube nicht, dass eine militärische Lösung bald möglich ist. Die syrische Armee ist zwar zerrüttet, aber sie ist eine Killerarmee, die auf ihren Führer eingeschworen ist, und die 15 brutalen Geheimdienste wüten täglich und töten und foltern, als ob sie nichts verstanden hätten. Können Sie noch schlafen?

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Sehr unruhig, weil ich neben unzähligen, aber notwendigen Interviews in allen Sprachen der Welt hauptsächlich und fast wöchentlich Debatten in einer oppositionellen syrischen Zeitung führe. Es reicht manchmal ein Bild eines getöteten Kindes, und ich liege wach und denke, welche Träume hatte das Kind, welche seine Eltern? Welche Hoffnungen hingen an dem jungen Arzt, den der Geheimdienst erschossen hatte, weil er Verwundeten half? Seit zwei Jahren schreibe ich keine Zeile Literatur, obwohl meine Figuren nach mir rufen. Was kann der Westen überhaupt tun? Seinen Prinzipien der Menschenrechte, der Freiheit und der Demokratie würdig werden und aufhören zu heucheln. Die «Freunde des syrischen Volkes» füllen lange Listen, aber sie helfen dem Land real nicht so wie die drei einzigen AssadFreunde Iran, China und Russland dem Regime helfen. Das muss inzwischen bekannt sein, oder? Wieso heucheln? Die deutsch-arabische Gruppe «Freunde des syrischen Volkes» bemüht sich doch ernsthaft um den Wiederaufbau Syriens nach einem möglichen Sturz von Assad? Weil die langen Monate gezeigt haben, dass der Westen kein grosses Interesse an einem Wechsel in Damaskus hat. Mehr als Worte und Versprechungen sowie Bedingungen für jede Art von Hilfe hören und sehen wir nicht. Aber die Kämpfer für Freiheit und Demokratie brauchen Medikamente, Rundfunkstationen, medizinische Instrumente und vor allem eindeutige Hilfe vor Ort. Nichts ist passiert. Die EU hat doch immerhin das Waffenlieferungsembargo verlängert


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und prüft, wie die Rebellen mit «nicht tödlicher Ausrüstung» unterstützt werden können.

Und was ist mit den arabischen Ländern? Von dort kommt doch auch keine Hilfe?

Das ist die reinste Heuchelei: Zeit schinden zugunsten des Mörders, zuschauen, während ein Völkermord begangen wird, überprüfen und nochmals überprüfen. Frau Merkel überprüft hingegen nicht lange, wenn sie dem saudischen Despoten modernste Waffen liefert.

Der Westen wird in seiner Heuchelei nur von den arabischen Regimen übertroffen, welche die Syrer im Stich lassen. Nicht einmal Ägypten, Tunesien oder Libyen helfen.

Das ist ein heftiger Vorwurf! Wenn man weiss, dass der Westen dem Assad-Regime Waffen und Elektronik liefert — sei es direkt oder über den IranIrak-Weg —, dabei aber so tut, als hätte er keine Kontrolle über Waffenlieferungen und dann mit irgendwelchen Konto- und Visasperren protzt, dann ist es eine Heuchelei, eine fast unfreiwillige Komik. Ich fürchte, diese ganzen Pläne der «Freunde des syrischen Volkes» für die Zeit nach dem Krieg sind nur ein Glied in dieser Kette der Unglaubwürdigkeiten. Syrien geht langsam zugrunde. Der Westen hat kein grosses Interesse an einem Wechsel in Damaskus

Welches sind die Interessen der drei Assad-Freunde Russland, China und Iran? Was wir erleben ist ein Machtkampf in einer der reichsten und strategisch wichtigsten Gegenden der Welt. In Syrien liegt die letzte Bastion der russischen Marine in einem Warmwasserhafen im Mittelmeer, China besitzt durch die Korruption eine führende Stellung auf dem syrischen Markt und den Zugang zu Syriens Bodenschätzen. Und der Iran wird beim Sturz von Assad auf seine Grenzen zurückgeworfen. Er besitzt durch Syrien und die Hisbollah einen wichtigen Brückenkopf gegen Israel. Und die Hisbollah würde bei einem Sturz des Assad-Regimes geschwächt.

Aufnahme syrischer Flüchtlinge Liebe Leserin, lieber Leser, endlich: Deutschland nimmt syrische Kriegsflüchtlinge auf. Das verkündete Bundesinnenminister Friedrich am 20. März. Doch geht es nach Friedrich, dürfen nur 5000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Zum Vergleich: 5000 bis 10.000 Menschen fliehen derzeit täglich vor dem syrischen Bürgerkrieg in die Nachbarstaaten. Insgesamt sind schon über 1,4 Mio. Menschen aus Syrien geflohen. Die Lage der Flüchtlinge in den Erstaufnahmestaaten ist katastrophal. Deutschland kann mehr. Zur Erinnerung: Während des Kosovokriegs fanden allein in Deutschland 150.000 Kriegsflüchtlinge Zuflucht, weitere 20.000 wurden mit einer Luftbrücke nach Deutschland evakuiert. Unterstützen Sie unseren online-Appell „Schutz für syrische Kriegsflüchtlinge!“: www.proasyl.de/index.php?id=1803&rid=t_437731&mid=339&a C=93272310&jumpurl=-1

Zahlreiche Syrerinnen und Syrer, die seit langem in Deutschland leben, versuchen seit Monaten verzweifelt, Angehörige aus der Krisenregion zu sich in Sicherheit zu bringen. Doch in vielen Fällen verweigern die deutschen Behörden den Betroffenen die nötigen Einreisevisa. Zwei Beispiele:

Ist es realistisch, dass Assad seine Truppen zurückzieht, das Land verlässt und er durch eine demokratischere Regierung ersetzt wird? Das ist eine zu schöne Utopie. Ich wäre mit einer viel bescheideneren Entwicklung zufrieden: eine lange Phase unter einer gemischten Übergangsregierung — allerdings ohne den Assad-Clan und ohne die Verbrecher seines Systems, die sich die Hände mit Blut besudelt haben. Diese neue Regierung löst die politischen Geheimdienste auf, baut eine neue Nationalarmee auf. Sie räumt die Trümmer auf den Strassen und in unseren Seelen, baut das Land auf, sorgt durch ruhige und geduldige Arbeit für eine Aufarbeitung der Geschichte, für Verzeihung, aber auch für eine gerechte, unabhängige Justiz. Und sie setzt sich vehement gegen jedwede Rache ein, denn Rache ist der Erzfeind des demokratischen Staates. Dafür würden wir zehn Jahre brauchen. Da wäre ich glücklich.

Ein in Deutschland lebender syrischer Arzt will seine drei Schwestern bei sich aufnehmen. Den Frauen ist die Flucht in die Türkei gelungen. Doch die deutsche Botschaft hat ihre Visaanträge abgelehnt. Eine syrische Mutter versucht mit ihren vier Kindern zu ihrer Schwester nach Deutschland zu fliehen. Doch die deutsche Botschaft in Bulgarien verweigert der Frau Visum und Einreise, weil sie nicht glaubhaft machen könne, vor Ablauf des Visums wieder auszureisen. Die Frau sitzt mit ihren Kindern in Bulgarien fest. Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. und PRO ASYL fordern unter anderem: • die Lockerung der Visabestimmungen, damit Familienangehörige von in Deutschland lebenden Syrern nach Deutschland einreisen dürfen – unabhängig von einem Aufnahmekontingent. • ein großzügiges Aufnahmeprogramm für Flüchtlinge aus Syrien. Dies ist sowohl ein Akt der Menschlichkeit als auch ein Signal gegenüber den Erstaufnahmeländern. Bitte unterstützen Sie unsere Forderungen und unseren online-Appell an Angela Merkel: www.proasyl.de/index.php?id=1803&rid=t_437731&mid=339&a C=93272310&jumpurl=-2 Mehr über die bedrückende Situation der syrischen Kriegsflüchtlinge erfahren Sie im Internet: www.proasyl.de/index.php?id=1803&rid=t_437731&mid=339&a C=93272310&junpurl=-3

www.frsh.de · Der Schlepper Nr. 63 · 5/2013 · 11


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Das Jahr der Rebellen Dominic Johnson ist Afrikaredakteur der taz und einer der Leiter des Auslandsressorts. Erstveröffentlichung in der taz 02.01.2013

Milizionäre und Rebellen auf Lastwagen und offenen Pick-ups, die schwerbewaffnet durch den Busch rasen und eine Ortschaft nach der anderen der Kontrolle des Staates entreißen: dieses Phänomen hat Afrika im Jahr 2012 geprägt, von Tuareg-Kämpfern und Islamisten in Mali zu Jahresbeginn bis zu den Séléka-Rebellen in der Zentralafrikanischen Republik zu Jahresende, mit der M23-Rebellion in der Demokratischen Republik Kongo zwischendrin.

12 · 5/2013 · Der Schlepper Nr. 63 · www.frsh.de

Was Afrika im Jahr 2012 prägte Afrikas neue Buschkrieger tauchen blitzartig auf und überrumpeln ihre Gegner, sie sind bestens ausgerüstet und organisiert, sie schaffen schneller Fakten als jede Regierung, sie sind global vernetzt. Sie erringen spektakuläre Überraschungssiege wie die Ausrufung des Tuareg-Staates „Azawad“ in Mali im März oder die Eroberung der Millionenstadt Goma im Kongo im November, die sich dann ebenso plötzlich wieder in Luft auflösen können. Sie hissen, wenn auch nur kurz, die Fahne der Revolution und rufen in Erinnerung, auf welch tönernen Füßen die postkoloniale afrikanische Staatenordnung steht.

Alte und neue Afrikabilder Der Weckruf aus Mali, Kongo und der Zentralafrikanischen Republik kommt zur rechten Zeit. Allzu schnell ist in der internationalen Wahrnehmung das althergebrachte Bild von Afrika als Kontinent der Krisen und Katastrophen durch ein neues Bild von Afrika als Kontinent der Hoffnungen und Chancen abgelöst worden. Früher machten Flüchtlinge und Hungernde Schlagzeilen, heute sind es Wachstumsraten und Exportrekorde. Immer mehr Länder erzielen ein zweistelliges Wirtschaftswachstum, immer größere Rohstoffvorkommen werden entdeckt, immer mehr kapitalkräftige afrikanische Unternehmen entstehen, die gestalterischen Kräfte des Kontinents blühen auf wie nie zuvor. Afrika wird so nachdrücklich als Kontinent der Zukunft gepriesen, dass die nach wie vor triste Gegenwart der allermeisten Afrikanerinnen und Afrikaner darüber leicht in Vergessenheit gerät.

In Wahrheit besteht kein Widerspruch. In manchen Regionen Afrikas boomt die Wirtschaft, in anderen boomen die Konflikte. Die Akteure sind zuweilen identisch, und zwischen beiden Phänomenen besteht ein tieferer Zusammenhang, als Schwarzmalern und Zweckoptimisten recht sein kann. Damit ist nicht gemeint, dass einfach die Verlierer der Modernisierung zu den Waffen greifen. Afrikas Kriege sind keine Klassenkämpfe, obwohl es auch diese gibt – 2012 war auch das Jahr der Massenstreiks in Südafrikas Bergbau und der Volksaufstände in Senegal. Afrikas neue Kriege entstehen dort, wo die Früchte der Modernisierung nicht ankommen, aber ihre Träger mächtig sind.

Rechtsfreie Räume Die Wüstenregionen Nordmalis, die Hochländer Ostkongos, die Savannen der Zentralafrikanischen Republik sind Hinterhöfe der jeweils Mächtigen. Sie sind rechtsfreie Räume, in denen manche der Profite entstehen, die dann in den fernen Metropolen in Form von Luxuskonsum und gekaufter Macht sichtbar werden. Hier gelten lästige Gesetze nicht, hier übernimmt der Staat keine Verantwortung. Wer die Komplexitäten des Fernhandels und der grenzüberschreitenden Sozialgefüge in der Sahara-Wüste oder im Afrika der Großen Seen analysiert, begreift irgendwann, dass das fragile Gleichgewicht zwischen den lokalen Akteuren in Ökonomie und Politik nicht nur über Frieden und Krieg vor Ort entscheidet, sondern auch über die Macht in Hauptstädten wie Bamako und Kinshasa,


„Es gibt noch mehr solche rechtsfreien Räume in Afrika, von Nigerias Ölgebieten im Niger-Flussdelta über die fruchtbaren Savannen Südsudans bis zu den Küsten Somalias.“

wenn nicht noch einigen anderen nebenan. Wenn dieses Gleichgewicht gestört wird – von einem unbedachten Präsidenten, dem seine eigene Wiederwahl wichtiger ist als die Stabilität des eigenen Landes; von ahnungslosen weißen Wohlmeinenden, die aus der Ferne wildgewordene Islamisten oder vergewaltigende Kindersoldaten kleinkriegen wollen; von einem lokalen Spieler, dem seine Schulden über den Kopf gewachsen sind – dann kann schnell alles kippen, und plötzlich verwandeln sich Konkurrenten in Konfliktparteien. Es gibt noch mehr solche rechtsfreien Räume in Afrika, von Nigerias Ölgebieten im Niger-Flussdelta über die fruchtbaren Savannen Südsudans bis zu den Küsten Somalias. Ihre Reichtümer strahlen ebenfalls in die Metropolen aus, von Lagos bis Nairobi. Sie sind ebenfalls Krisengebiete, wenngleich derzeit weniger aufsehenerregend.

hier können die Teilhaber am politischen und ökonomischen Wettbewerb der Hauptstädte ihre Machtbasen stärken und ihre Pfründe sichern. Die meisten von ihnen sind zu intelligent, um sich selbst als Warlords zu inszenieren. Sie treten lieber als Friedensbringer auf, die als Einzige wissen, wie man für Recht und Ordnung sorgt, und sie konstruieren dafür Abhängigkeitsverhältnisse, die nur sie selbst durchschauen und kontrollieren.

Fluchtursache Religion Wettbewerb auch mit der Waffe auszutragen. Die Bewohner der rechtsfreien Räume sind dabei dankbare Mitspieler, denn nur so erhalten sie plötzlich auch einmal die Chance auf Mitgestaltung. Es ist ja keineswegs selbstverständlich, dass die Waffe ein attraktiveres Werkzeug des Wandels ist als die Wahlurne. Internationale Rankings haben erbracht, dass in vielen solchen Ländern Afrikas, in denen die „menschliche Entwicklung“ spürbare Fortschritte macht, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit in den letzten Jahren zurückgegangen sind. Und während die meisten afrikanischen Länder formelle Demokratien geworden sind, ist der Wandel an der Wahlurne bis heute die große Ausnahme und der Missbrauch des demokratischen Prozesses zur Festigung autokratischer Macht die Regel. Autoritarismus und Mafiakapitalismus bringen Afrika zu einer neuen Blüte. Jetzt ist die Kehrseite davon zu sehen. Afrikas neue Kriege sind die Stunde der Wahrheit.

Je schneller Afrika boomt, desto schärfer wird der Wettbewerb zwischen den potenziellen Gewinnern und desto mehr Mittel haben sie zur Verfügung, um diesen

Waffen statt Wahlurnen All diese Gebiete sind ein integraler Teil der afrikanischen Modernisierung. Wenn Afrikas aufstrebende Staaten nicht dauerhaft am Tropf fremder Geber und Investoren kleben wollen, sondern aus der eigenen Kraft schöpfen, brauchen sie solche Hinterhöfe, egal wie schmutzig sie sind. Denn

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Von der eigenen Familie tödlich bedroht

Somalische Christen fürchten um ihr Leben

Bettina Rühl ist freie Journalistin.

Ahmed Abdis Bibel sieht äußerlich fast genauso aus wie ein Koran. Nur die Aufschrift ist eine andere. „Die Bibel“ steht in somalischer Sprache auf dem Deckel. „Dann erkennt man nicht direkt, worum es sich handelt“, erklärt der 38-Jährige. Sein Name ist auch nicht sein richtiger, das Gespräch konnte keinesfalls bei ihm zu Hause stattfinden, und seine Glaubensschwester, die er eigentlich mitbringen wollte, hatte im letzten Moment doch zu viel Angst davor, ihre Geschichte öffentlich zu machen.

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„Sie wurde am 8. November von zwei Unbekannten überfallen“, sagt Ahmed erklärend. „Einer von den beiden ging mit einer Machete auf sie los, anschließend hatte sie eine schwere Kopfverletzung.“ Nachbarn alarmierten Ahmed, der die junge Frau ins Krankenhaus brachte, anschließend ihren Umzug organisierte und ihr eine neue Telefonnummer beschaffte. Ahmed fand später heraus, dass die Täter im Auftrag der Familie des Opfers gehandelt hatten.

Hass auf Konvertiten Ahmed und die jungen Frau wohnen im somalischen Viertel der kenianischen Hauptstadt Nairobi, in Eastleigh. Somalier sind zu 99,99 Prozent Muslime. Ahmed ist eine der wenigen Ausnahmen. Deshalb wird er sogar von seiner Familie verfolgt. Im Islam gilt die Abkehr vom muslimischen Glauben als eine Todsünde, die entsprechend geahndet werden muss. „Meine Familie fühlt sich von mir geradezu verraten“ versucht Ahmed, den Hass auf ihn zu erklären. Seine Familie sei ausgesprochen religiös, was auch bei ihm dazu geführt habe, dass er alle Dinge des Glaubens immer schon ausgesprochen ernst nahm – so ernst, dass er schließlich zum Christentum konvertiert. Und durch diesen Schritt mit seiner Familie brach, zu der er keinen Kontakt mehr hat. Vor der er sich versteckt, vor der er flieht. „Aber in unserer Kultur wirst du so eng mit der Familie groß, dass du ohne sie gar nicht sein kannst“, schildert er sein Dilemma. Die Einsamkeit, die seinen Alltag begleitet, steht dem fast erschreckend hageren Mann plötzlich ins

Gesicht geschrieben, gemischt mit dem Ausdruck tiefer Traurigkeit.

Wie alles anfing Alles fing im Sommer 2005 mit ein paar Fragen an, die er plötzlich nicht mehr los wurde. „Warum kann ich als Somali nicht in meiner Muttersprache beten, sondern muss arabisch sprechen?“, war eine davon. Eine andere: „Warum dürfen Männer vier Frauen heiraten, aber Frauen nicht vier Männer? Haben die Menschen im Islam einen unterschiedlichen Wert?“ Weil ihm niemand im direkten Gespräch darauf antworten konnte, suchte er im Internet. Dort las er immer mehr über das Christentum und stieß schließlich auf eine Seite somalischer Christen. Nachdem er eingehend überprüft worden war, wurde er schließlich an einen christlichen Prediger in Nairobi verwiesen.

Heimliche Religionsausübung „Alle Internetseiten somalischer Christen werden aus dem Ausland geführt“, erzählt Ahmed. „Viele von Somaliern, die schon seit langer Zeit in den USA oder Kanada leben.“ Erst wenn den Betreibern ein Suchender glaubwürdig erscheint, vermitteln sie den Kontakt. Alles andere wäre viel zu gefährlich. Und auch danach hängt das irdische Leben der Gläubigen davon ab, dass sie im Untergrund bleiben und möglichst keine Fehler machen, durch die sie sich als Christen verraten. „Wir können nicht in Kirchen gehen“, nennt Ahmed ein Beispiel, „sondern treffen uns


„Und wir müssen immer leise sprechen“, ergänzt er, „auch wenn wir beten oder singen. Denn die Wohnungen sind hellhörig, und niemand darf mitbekommen, was wir tun.“

immer in Privathäusern“. Und nie treffen sich alle auf einmal. Es gebe wohl in Kenia 100 somalische Christen, schätzt er, aber die Andachten finden immer nur in kleinsten Gruppen statt. „Und wir müssen immer leise sprechen“, ergänzt er, „auch wenn wir beten oder singen. Denn die Wohnungen sind hellhörig, und niemand darf mitbekommen, was wir tun.“ Selbst an Weihnachten könne er seiner Freude über Christi Geburt nicht lautstark Ausdruck verleihen, sagt er bedauernd.

Suche nach einer Perspektive Seine Familie muss über Hören-Sagen von seinem neuen Glauben erfahren haben. Im November 2011 studierte Ahmed in der kenianischen Stadt Eldoret an einer christlichen Hochschule Theologie, er war im zweiten Semester. Seiner Familie hatte er nichts von seinem Studium erzählt. Trotzdem standen sein Vater und sein jüngerer Bruder eines Morgens in seinem Zimmer, als er sich gerade für die Uni fertig machte. Sie

Fluchtursache Religion sahen seine Bibel, durchsuchten dann sein Handy und fanden Nachrichten eindeutig christlichen Inhalts.

„Ich hatte noch unheimliches Glück“, sagt Ahmed. „Die beiden verwarnten mich, statt mich direkt umzubringen.“ Ahmed brach das Studium sofort ab, zog am nächsten Tag um, wechselte die Telefonnummer. Sein größter Wunsch ist jetzt, Kenia zu verlassen und sein Studium anderswo fortzusetzen. In einem Land, in dem keine Somali leben. Bis dahin muss er wohl oder übel in Eastleigh bleiben. „Ich kann in kein anderes Viertel ziehen“, sagt er, „weil ich Somali bin, hält mich jeder Kenianer für einen Terroristen“. Eine solche Verwechslung kann ebenfalls tödlich sein. Denn die radikale somalische Schabaab-Miliz verübt auch in Kenia immer wieder Anschläge, und bisweilen fällt der Mob dann in einem Anfall von Lynch-Justiz willkürlich über irgend einen Somali her. Dass sich daran auch Christen beteiligen, macht Ahmed noch einsamer, als er ohnehin ist.

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Togo – ein gesetzloser Staat Geschichte einer ehemaligen Kolonie zur Militärdiktatur Die Stärkung der bilateralen Beziehungen zwischen Deutschen und TogolesInnen begann am 5. Juli 1884 als Gustav Nachtigal, Konsul des Kanzlers Bismarck einen Schutzvertrag mit dem König Mlapa unterschrieb. In den folgenden Jahrzehnten wurde aus Togo eine Musterkolonie. Eine Kolonie, die über die nötige Basis für eine wirtschaftliche und soziale Entwicklung verfügte.

Am 25. August 1914 wurde aus Togo französisches und britisches UN-Mandatsgebiet. Am 27. April 1960 erlangte Togo die Unabhängigkeit. Leider nur drei Jahre später wurde sein erster Präsident Sylvanus Olympio am 13. Januar 1963 ermordet. Seitdem leidet die togolesische Bevölkerung unter einer Militärdiktatur.

Diktatur mit demokratischem Anschein Bis zum 5. Februar 2005 regierte der General Eyadema Gnassingbe mit eiserner Hand in Togo. Am 5. Februar 2005 verstarb er nach 38 Jahren an der Macht. Unmittelbar nach seinem Tod erlebten die Internationale Gemeinschaft und das Togolesische Volk etwas Unvorstellbares: Die Armee übertrug Faure Gnassingbe, Sohn des verstorbenen Diktators, die Macht. Das war ein gravierender Verstoß gegen die Verfassung des Landes, die besagt, dass in solchem Fall dem Präsidenten des Parlaments die Macht zu übertragen sei. Dieser Verstoß zwang die Bevölkerung zum einem unvorhersehbaren Widerstand. Der neue Diktator Faure Gnassingbe ließ den Widerstand blutig niederschlagen. Nach den oben erwähnten Ereignissen schaltete sich die Internationale Gemeinschaft ein. Es wurde eine gesetzeskonforme Wahl verlangt. Das war der Anfang der Scheindemokratie. Schnell wurde eine Präsidentenwahl organisiert, woraus sich Faure Gnassingbe als Sieger erklären ließ. Der damalige Sicherheitsminister François Boko behauptete, dass weniger als 10 % der abgegebenen Stimmen auf den Diktator entfielen. Trotzdem deklarierte ihn die Wahlkommission als Sieger. Das

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Romaricson Alognon ist Soziologe und Politologe und lebt in Oldenburg.

Verfassungsgericht bestätigte diesen Sieg der Wahl später als rechtmäßig. Das Togoische Volk ließ sich dieser erneute Wahlbetrug nicht gefallen. Auch diesen neuen Widerstand ließ Faure Gnassingbe niederschlagen. Die Menschenrechtsorganisationen Togos konnten über 811 Tote feststellen. Ein späterer UNO-Bericht spricht von 400 bis 500 brutal Ermordeten. Danach wurde eine Geheimpolizei namens ANR gegründet, die direkt Faure Gnassingbe untersteht. Es wurde ein Gebäudekomplex für die Polizei errichtet, an den zahlreiche TogolesInnen verbracht und gefoltert wurden. Einige verließen den Ort nicht lebend.

Verhandlung und formale Wahlen als Machtaufrecht­ erhaltungsmittel 2006 wurde in Burkina Faso ein Dialog zwischen dem Militärregime Togos und der Opposition organisiert. Er führt zum Abschluss eines Globalen Politischen Abkommens (APG), das bis heute nicht implementiert wurde. Seitdem dem Diktator klar ist, dass er nur formale Wahlen braucht, um seiner Diktatur einen demokratischen Anschein zu verleihen, werden Wahlen organisiert, deren Ergebnisse gefälscht werden. 2007 wurde eine Parlamentswahl organisiert, die zu einem verzerrten Ergebnis führte und gegen die in der Verfassung des Landes niedergelegten Wahlgrundsätze verstieß. Artikel 5 der Verfassung besagt: „Das Wahlrecht ist allgemein, gleich und geheim“. Die Verwaltung, die der Regierungspartei untersteht, gestaltete die Wahlbezirke so, dass ein/e WählerIn aus dem Norden


„Seitdem dem Diktator klar ist, dass er nur formale Wahlen braucht, um seiner Diktatur einen demokratischen Anschein zu verleihen, werden Wahlen organisiert, deren Ergebnisse gefälscht werden.“

Togos mit elf WählerInnen des Südens gleichgesetzt wurde. Dies hatte zur Folge, dass die Regierungspartei mit 924.015 Stimmen 50 Abgeordnete ins Parlament entsenden durfte, während die Oppositionsparteien mit 1.067.383 Stimmen nur mit 31 Abgeordneten im Parlament vertreten waren. 2010 wurde eine neue Präsidentenwahl organisiert. Wieder ließ sich Faure Gnassingbe durch die Nationale Wahlkommission als Sieger erklären, was das Verfassungsgericht in den folgenden Tagen bestätigen ließ. Die Zentrale der Opposition, in der ihre Ergebnisse gesammelt wurden, wurde vom Militär gestürmt. Die dort arbeitenden MitarbeiterInnen (auch im Bereich Informatik) wurden verhaftet und gefoltert. Der Aufstand der Bevölkerung ließ sich nicht lange auf sich warten. Die Vereinigung der Opposition (FRAC) reklamiert bis heute ihren gestohlenen Sieg. 2011 ließ das Militärregime Togos neun Abgeordnete der Opposition, die mittlerweile einer neuen politischen Partei angehörten, aus dem Parlament ausschließen. Der Gerichtshof der supranationalen Währungsunion Westafrikas (ECOWAS) kam zum Ergebnis, dass das Regime Togos die Menschenrechte der betreffenden Abgeordneten verletzt hatte, in dem es sie illegal aus dem Parlament rausgeworfen hatte. Der Beschluss besagt, dass das Regime diese Abgeordneten entschädigen muss und sie wieder ins Parlament integrieren lassen muss. Leider wird ihnen bis heute die Integration ins Parlament verweigert. Dies ist ein weiterer Beweis, dass das Militärregime Togos sogar die Beschlüsse einer supranationalen Institution (Gerichtshof der ECOWAS) missachtet.

Reaktion des Togolesischen Volkes Am 12. April 2012 haben die Togolesische Opposition und acht zivilgesellschaftliche Organisationen das Kollektiv „Lass uns Togo retten“ (CST) gegründet, um unter anderem die Implementierung der Empfehlungen der Wahlbeobachtungsmissionen der Europäischen Union, der Menschenrechtsliga Togos und der Kommission „Wahrheit, Gerechtigkeit und Versöhnung“ zu erreichen. Die Demonstrationen des Kollektivs „Lass uns Togo retten“ werden häufig niedergeschlagen, oft mit vielen Verletzten, Verhafteten und bis zu einem Dutzend Toten. Während einer Demonstration des ‘Kollektivs „Lass uns Togo retten’’ haben Milizionäre des Regimes DemonstrantInnen mit Macheten, Messern und Stöcken attackiert. Bedauerlicherweise gab es erneut zahlreiche Verletzte.

Folgen der Scheindemokratie Nach 38 Jahren Diktatur des Vaters und acht Jahren Scheindemokratie des Sohnes ist Togo mit Nord Korea vergleichbar. Das Bildungswesen befindet sich in einem beklagenswerten Zustand. Die Studienbedingungen in den beiden Universitäten des Landes sind katastrophal. Jedes Mal, wenn Studierende Demonstrationen organisieren, um ihre Rechte zu reklamieren, setzt das Regime Togo ihnen das Militär entgegen. Einem Studenten wurde durch einen Schuss die Hand gebrochen. Seit den 90er Jahren, seit dem die TogolesInnen für Demokratie und

Fluchtursache Religion Rechtsstaatlichkeit kämpften, hat sich die wirtschaftliche Situation der Bevölkerung verschlechtert. Obwohl Togo viele Entwicklungshilfegelder zur Verfügung gestellt wurden, hat sich die Armutsquote kaum verbessert. Es leben heutzutage 61,7 % der TogolesInnen unter der Armutsgrenze. 2010 sind in Togo laut der Weltbank weitere 500.000 Menschen unter die Armutsgrenze abgerutscht. Das jährliche pro Kopf Einkommen beträgt 350 US$. Togo hat eine Einwohnerzahl von 6 Millionen Menschen, weitere zwei Millionen TogolesInnen leben im Ausland. In der ganzen Welt hat nur Libanon hier eine höhere Quote als Togo. Die Erlöse aus der Produktion von Phosphat, Gold, Eisen und Zement kommen nicht der Bevölkerung zugute. Ständig kommt es zu Demonstrationen der Bevölkerung in Hahotoé, wo das Phosphat gefördert wird. Immer wieder kommt es zu Aufständen gegen die Regierung, denn die Menschen, deren Land gebraucht wird, um Phosphat abzubauen, werden nicht als ArbeitnehmerInnen (Arbeitskräfte für den Abbau des Phosphats) eingestellt und stehen oft ohne Land und Arbeit da. ArbeiterInnen aller Sektoren äußern ihre Unzufriedenheit mit der Regierung. Die ÄrztInnen sind ständig im Streik, um die Ausrüstung der Krankenhäuser zu reklamieren. Während der vielen Streiks steigt die Zahl der Toten. Seit 2006 ist Korruption tief im Lande verankert. Laut der Statistiken von Transparency International ist Togo mit 2,4 auf der Tabelle von ‘’Corruption Perception Index de Transparency International’’ eines der korruptesten Länder der Welt geworden. Laut unterschiedlichsten Berichten ist Togo der Dreh- und Angelpunkt des Drogenhandels in Westafrika geworden, obwohl dort selbst keine Drogen erzeugt werden. Die Anzahl von in Togo beschlagnahmtem Kokain steigt mit einer unfassbaren Geschwindigkeit. Die Fähigkeit Togos gegen den Drogenhandel zu agieren wird durch die endemische Korruption in Grenzen gehalten. Weil Krankenhäuser nicht über die nötigen Ausrüstungen verfügen, werden sie mit Hospizen verglichen. 61 % der Bevölkerung, die unter der Armutsgrenze lebt, kann sich Krankenhausaufenthalte, Arztbesuche und medizinische Versorgung nicht leisten. Der Staat betreibt keine Politik zu hygienischen

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Fluchtursache Religion Verhältnissen. So entstehen mitten in den Städten und Dörfern Mülldeponien. Bis heute werden ca. 43 % des Abwassers der Haushalte in die Nähe der Wohnhäuser gegossen. Es besteht eine permanente Gefahr für die Gesundheit der in Togo lebenden Bevölkerung. Das Togolesische Regime zeichnet sich durch eine sehr schlechte Regierungsführung aus. Selbst Faure Gnassingbé hat öffentlich anerkannt, dass nur eine kleine Gruppe von Menschen von den Ressourcen des Landes profitieren. Die Angehörigen seines Clan leben in einer schockierenden Opulenz, während die Mehrheit der TogolesInnen unter der Armutsgrenze vegetiert. In jeder Regensaison werden viele Städte und Dörfer des Landes überschwemmt, mit vielen Toten und Ansteckungskrankheiten als Folge. Entgegengewirkt wird dieser Situation niemals. Obwohl Togo das Kyoto Protokoll ratifiziert hat, stammt 60 bis 70 % der verbrauchten Energie des Landes aus Holz. Das verursacht Wüstenbildung und erhöht die CO2Emissonsbilanz des Landes. „Schon seit den 70er und 80er Jahren wurde die überwiegende Rekrutierung von Kabyè (der Ethnie, der auch Eyadema Gnassingbe angehört) in die Armee und in den Staatsapparat zu einem bedeutenden Machtfaktor“ (Nohlen/Nuscheler 1993, S.406). Solch eine Ethnisierung hat in Ruanda zu einem Völkermord geführt. Das gleiche ist auch in Togo zu befürchten. Das Massaker im Jahre 2005 und die Brandstiftung des Goethe Institutes von Lomé waren ein genügendes Warnzeichen.

Lösungsansätze Das Togolesische Volk hat verstanden, dass sich das zentrale Problem des Landes im politischen Bereich befindet. Jedoch wirkt es sich auf die Wirtschaft, das Soziale, die Bildung und die Gesundheit aus. Im Allgemeinen wird ein Regierungswechsel durch Wahlen bewirkt. Seitdem Wahlen in Togo organisiert werden, hat die Nationale Wahlkommission leider noch nie die wahren Ergebnisse aus den Urnen proklamiert. Aus diesem Grund kam es nach jeder Wahl zu Aufständen gegen das Regime. Diese Widerstände wurden alle blutig vom Militär niedergeschlagen. Es ist unglaublich, dass die Täter des Völkermordes 2005 noch frei sind. Das Schicksal

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„Seit Wahlen in Togo organisiert werden, wurden noch nie die wahren Ergebnisse proklamiert. Aus diesem Grund kam es nach jeder Wahl zu Aufständen.“

des Togolesischen Volkes ist zu einem ständigen Drama geworden. Bis heute schaut die Internationale Gemeinschaft passiv zu, während die Militärdiktatur Togos die Bevölkerung erbarmungslos massakriert nach dem Schema: „Wahl – Streitigkeit – Repression – Verhandlung“. Die nächsten Parlamentswahlen in Togo finden am 24. März 2013 statt. Das Regime Togos wird diesen Termin wahrscheinlich verschieben, um die Internationale Gemeinschaft wieder zu belügen. Durch die Parlamentswahl kann sich die Regierungspartei das Recht erteilen, die Verfassung so zu ändern, dass das amtierende Staatsoberhaupt - genauso wie sein 2005 verstorbener Vater - lebenslang an der Macht bleibt. Um sich diese Möglichkeit zu verschaffen ist das Regime Togos bereit alles zu tun. Es hat mit illegalen Verhaftungen von OppositionspolitikerInnen angefangen. Um den oben erwähnten höllischen Zyklus abzuwenden, setzen sich die Togoischen Oppositionsparteien, Menschenrechtsorganisationen und die Bevölkerung dafür ein, dass demokratische und transparente Wahlen abgehalten werden. Dies ist möglich, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt werden: Freilassung der LeiterInnen sowie Mitglieder der Oppositionsparteien, die illegal verhaftet wurden. • Implementierung der Empfehlungen der Europäischen Wahlbeobachtungsmissionen von 2007 und 2010. • Reformen bezüglich des Wahlrechts, des Gesetzes, das die Anzahl der Abgeordneten bestimmt. Die Wahlkreise sollen sich an die Anzahl

der Einwohner orientieren und nicht an der Größe der Fläche eines Ortes. • Entschädigung der neun Abgeordneten der Oppositionspartei ANC, die illegal aus dem Parlament „rausgeschmissen“ wurden. • Die Empfehlungen der Togoischen Menschenrechtskommission (CNDH) müssen umgesetzt werden, damit die Täter der Folter vor Gericht gebracht werden können. • Rückkehr zur Verfassung von 1992, die einen Machtwechsel ermöglicht, indem sie besagt, dass ein Präsident des Landes nur einmal wiedergewählt werden darf. • Togo muss unmittelbar das Römische Statut ratifizieren, damit die Täter des Völkermordes vor den Internationalen Gerichtshof gestellt werden können. • Bekanntmachung der Täter der Brandstiftung vom Goethe Institut in Lomé im Jahre 2005. • Meinungs- und Pressefreiheit sollen eingehalten werden. Während der Revolution in Ägypten und in Tunesien haben Deutschland, Frankreich, England und die USA behauptet: „Ein Staatsoberhaupt, das die Armee gegen das eigene Volk einsetzt, hat jede Legitimität verloren. Er muss zurücktreten.“ Im Falle Togos soll die gleiche Deklaration gemacht werden, weil das Militärregime Togos seit Jahren die Armee gegen das eigene Volk einsetzt.


„Weil Krankenhäuser nicht über die nötigen Ausrüstungen verfügen, werden sie mit Hospizen verglichen.“

Fluchtursache Religion International Narcotics Control Strategy Report

Hier ist der vollständige Bericht zu finden: Deutsch: www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/NEWS/2012/ PRO_ASYL_-_bordermonitoring_ Ungarnbericht_3_2012_Web.pdf

Zum Schluss kann behauptet werden, dass ohne eine starke und direkte Intervention der Internationalen Gemeinschaft Togo bald einen Völkermord eines größeren Ausmaßes erleben kann.

Literatur: • Alognon Romaricson (2011): Climate Policy and Development. Lambert Academic Publishing. Saarbrücken. • Collectif Sauvons le Togo (2012): La plateforme citoyenne pour un Togo démocratique. Lomé.

und Entsorgung in der Stadt Lomé/ Togo

Englisch: http://bordermonitoring.eu/ files/2012/11/BM_Hungary_English.pdf

• République Togolaise (1992): LA CONSTITUTION DE LA IVe REPUBLIQUE. Lomé. • Transparency International - Deutschland e.V.(2010) Korruptionswahrnehmungsindex 2010. Berlin • United States Department of State. Bureau for International Narcotics and Law Enforcement Affairs (2012):

• International Monetary Fund (2010): Togo: Poverty Reduction Strategy Paper (2009-11). Publication Services. Washington, D.C. • Nohlen Dieter/ Nuscheler Franz (1993): Handbuch der Dritten Welt. Verlag J.H.W. Dietz Nachf. • Kpongbégna Komlan (2006): Wasserver-

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Kirche und Flucht

Siegel des Glaubens statt kurz mal „nass machen“ Taufe und Konversion im Asylverfahren

Fanny Dethloff ist Flüchtlings-und Menschenrechtsbeauftragte der Nordkirche fanny.dethloffoemf.nordkirche.de

Immer wieder wenden sich Flüchtlinge an Kirchengemeinden, weil sie sich taufen lassen möchten. Behörden werfen ihnen in einigen Fällen Taktik im Asylverfahren vor - nur führt eine Taufe nicht automatisch zu einem Bleiberecht. Welche Konsequenzen sich ergeben können, ist in den Kirchengemeinden nicht immer geklärt.

„Hallo, mein Freund kommt gerade in Deutschland an. Er will sich taufen lassen und hat nur drei Wochen Zeit, wohin kann er denn gehen“, der das fragt ist ein Exiliraner mit einer sympathischen Stimme. Dennoch verstehe ich gerade gar nichts mehr anscheinend. Da wollen sich Iraner in den Ferien mal eben taufen lassen und dann? „Geht es um einen Asylantrag?“ „Nein!“ - ist die Antwort. Der Mann wolle dann zurück. Viele Iraner haben ein sehr individuelles Verhältnis zum Glauben, was im Schiitentum so angelegt ist. Nur 1,4 % der Bevölkerung sucht etwa eine Moschee auf. Durch den starken repressiven politischen Druck ist die Ferne vieler Menschen zur staatlich verordneten Religion immer größer geworden. Im Internet beworben und/ oder durch persönliche Kontakte erfahren, ist die Abkehr vom Islam anscheinend attraktiv für viele. Doch in unserer Landeskirche gibt es Lebensordnungen, die einzuhalten sind. Taufe auch bei Erwachsenen hier setzt ein Katechumenat voraus. „Da gibt es Gemeinden, da geht es ganz schnell“, lacht der nette Mann am Telefon, „nennen Sie mir die einfach!“. Ich muss passen. Für mich ist Taufe als Pastorin mehr als eben mal jemanden „nass zu machen“. Es geht um das Sakrament der Taufe, dem Siegel unseres Glaubens, dem Heiligsten was wir haben in unserer Kirche. Es geht um Gemeinde als Leib Christi, um Aufnahme da hinein, um Gemeinschaft und nicht um individuelles Glücksrittertum, mit einem hohen Risiko.

Konsequenzen der Konversion Weder diejenigen, die oft aus politischer oder ethischer Motivation einfach mal

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schnell in der Vergangenheit tauften, weil sie damit einem Asylbewerber helfen wollten, waren langfristig hilfreich. Denn ein Übertritt, oder wie es im Islam heißt, der Abfall vom „einzig wahren Glauben“ (Apostasie) birgt ein hohes Risiko für viele - gerade wenn die Asylgründe nicht greifen und eine Abschiebung droht. Noch diejenigen, die das Missionsfeld aufrollen und jeden taufen, weil das ihre Pflicht sei, ohne dass die neuen Gemeindeglieder wirklich wissen, was es mit dem Christentum und ihrem neuen Menschsein auf sich hätte, haben der Sache des christlichen Glaubens gedient. Die Konsequenzen sind oft nicht mitbedacht worden. Und die Konvertiten sind es, die es ertragen und erleben. Wir haben Kirchenasylfälle, wo die Menschen aus Angst vor dem Zorn der Familie und ihrer Umgebung, weil sie getauft sind, Schutz suchen müssen.

Kein Schutz in Europa In vielen europäischen Staaten ist Konversion kein Asylgrund. Nicht einmal für Afghanistan noch den Irak wird dort eine echte Bedrohungs- und Verfolgungssituation angenommen. Deshalb flüchten manche Getauften aus Schweden oder Norwegen zu uns nach Deutschland und erhoffen sich hier echte Hilfe und Schutz. Dublin II setzt sie dann einer Kettenabschiebung aus, denn sie werden bei der Rückschiebung automatisch in ihrem Herkunftsland landen. Überall sind die Kirchen deshalb europaweit im Einsatz und sprechen mit ihren Regierungen, wie der Schutz getaufter Flüchtlinge zu verbessern und im nationalen Recht besser implementiert werden kann. Sonst bleiben viele auf den Schutz


„Wir haben Kirchenasylfälle, wo die Menschen aus Angst vor dem Zorn der Familie und ihrer Umgebung, weil sie getauft sind, Schutz suchen müssen.“

der Kirche konkret angewiesen. Das wird ebenso in Dänemark diskutiert wie in Finnland. Wie das EuGH-Urteil nun zu bewerten ist, dass den Schutz der AhmadiyaAngehörigen und ihrer Religionsfreiheit zu bewerten hatte, bleibt abzuwarten. Man kann jedenfalls nicht mehr annehmen, Gläubige ließen sich auf ein „GlaubensMinimum“ ein, und könnten sich unauffällig verhalten.

Begleiten und Untertützen Auch für den Iran gibt es entsprechende Beispiele. Da war die junge iranische Frau, die konvertiert ist, ihren Mann und ihr Kind verlor, da diese zurückkehrten. Gegen sie wurden Morddrohungen aus der Familie im Iran ausgesprochen. Bei Abschiebung stand ihr der Tod vor Augen. Nur durch große kirchliche Anstrengung wurde sie aus dem Flieger in Frankfurt geholt und geschützt. Eine schnelle Taufe manifestierte zwar ihren Glaubensübertritt. Doch eine Gemeinde, in der sie beten kann, die sich um sie kümmert, hat sie dennoch auch nach Jahren nicht gefunden, wohl aber ein liebevolles Pastorenehepaar, das sie wie eine Tochter begleitet. Sie blieb allein. Getauft wurde sie von der Sorte Kollegen, die in großen Taufzahlen an sich schon das Heil sahen, ohne dafür mit Sorge zu tragen, dass diese neuen Gemeindeglieder an ihren Wohn- und Lebensorten eine Gemeinde fanden, die sie in die Arme schlossen, die Hauskreise mit organisieren würden, die die Menschen begleiten, TandemModelle erfinden würden, damit die Integration besser vonstatten ginge… All das blieb auf der Strecke. Dabei gibt es

solche Beispiele, dass natürlich auch der getaufte Afghane in den Prädikantenkurs gehen kann und Konvertiten eine echte Seelsorgeausbildung mit absolvieren.

Verantwortung der Gemeinden Umgekehrt fühlen sich viele Gemeinden überfordert, wenn ein einzelner suchender, des deutschen kaum mächtiger, Mensch um die Taufe nachsucht. Doch meist gibt es mehr Zeit, als uns viele weismachen wollen. Es gelingt einen Deutschkurs zu machen und das Katechumenat (also den begonnen Taufunterricht) zu bescheinigen, wenn der denn wirklich asylrelevant sein kann. Der Druck, den viele Flüchtlinge aufbauen, entstammt oft den sehr manipulativen Informationen aus Schlepperkreisen. Sie haben nichts mit dem Asylverfahren zu tun, noch weniger mit den kirchlichen oder gar biblischen Grundlagen. Gemeinden übernehmen eine große Verantwortung - und sie sollten sich dem auch stellen.

Forderung: Glaubensübertritt als Nachfluchtgrund Europaweit ist zu fordern, dass Glaubensübertritt genau als Nachfluchtgrund dann infrage kommt, wenn die Verfolgungssituation im Herkunftsland nachzuweisen ist. Weder das Gebet im kleinen Kämmerlein, noch ein religiöses Minimum ist mehr Grundlage für eine Einschränkung der Glaubensfreiheit, das hat die europäische Gerichtsentscheidung deutlich gemacht.

Kirche und Flucht Für Christinnen und Christen aber, deren Schutz uns am Herzen liegt, gilt zudem, dass die interreligiöse Vernetzung etwas ist, das uns um des Friedens willen in unserer Welt am Herzen liegen muss. Manche Konvertiten, die Verfolgung befürchten und die ihren Herkunftsglauben verdammen, sind mit der tröstlichen Wahrheit der Bibel zu konfrontieren und es ist ihnen ein aufgeschlossenes christliches Gemeindeleben mit vielen Kontakten vorzuleben. Der vorschnelle Postulierung einer angenommenen „Christenverfolgung“ durch entsprechende Gruppierungen ist entgegenzutreten, und der Friede als kostbares Gut unserer Gesellschaft hochzuhalten. Die Fürbitte für bedrängte und verfolgte Christinnen und Christen schlägt einen anderen Ton an (www.ekd. de/menschenrechte). Sie macht auf die Problematik aufmerksam, ohne den Hass zwischen den Kulturen und Religionen zu schüren.

Taufe ist nicht gleich Taufe Denn gerade die Konversion ist ein heikles und sensibles Gebiet. Schön, wo es gelingt, sich interkulturell aufzumachen und als Gemeinde in verschiedenen Sprachen Menschen zu beheimaten, Gebete und Lesungen in verschiedenen Sprachen mit anzubieten und sich seelsorgerisch biographisch einander Geschichten zu erzählen und sich so vertraut zu machen. Schlimm, wenn die Taufe eine Taufe aus der Gemeinde heraus ist, ein Abschluss für ein Beweisdokument, das doch nicht greift, für Zwecke, die erst mal mit der Konversion nichts zu tun haben. Kirche tut gut daran, sehr genau zu prüfen, wie dies Sakrament in ihren Reihen verwaltet wird. Der staatliche Stellen sind dann zurecht misstrauisch, wenn sie den Eindruck erhalten, dass damit nicht verantwortlich umgegangen wird. Dabei hat der Staat kein Recht, kirchliche Angelegenheiten zu überprüfen und anzuzweifeln. Aber das Vertrauen muss vonseiten der Kirche erworben, erhalten und bekräftigt werden. Ein guter Unterricht, Begleitung durch Menschen aus der Gemeinde, Hauskreise oder auch Sprach- und Glaubens-“Tandem“ Modelle wären hilfreich. Sonst baden es die Asylsuchenden

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Kirche und Flucht aus, die beim Richter alleine stehen und keine Antwort haben, auf die Frage, was die Taufe in ihrem Leben bedeute, was Weihnachten oder Pfingsten sei und welches Lieblingslied sie denn mitbringen… (alles Fragen, die sich Menschen anhören durften). Menschen zu schützen, da ihnen sonst bei Abschiebung Gefahr an Leib und Leben droht jedenfalls, ist in vielen nordischen Länder inzwischen vertraut. Gerade bei d er Frage von Konvertiten. Bleibt zu hoffe, dass Kirchengemeinden mit dem Thema weiterhin behutsam und sorgfältig umgehen.

„Überall sind die Kirchen deshalb europaweit im Einsatz und sprechen mit ihren Regierungen, wie der Schutz getaufter Flüchtlinge zu verbessern und im nationalen Recht besser implementiert werden kann. Sonst bleiben viele auf den Schutz der Kirche konkret angewiesen. Das wird ebenso in Dänemark diskutiert wie in Finnland.“

Stellungnahme der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V. zur Rückkehr von Frau Gazale Salame, die acht Jahre nach ihrer Abschiebung in die Türkei wieder in Deutschland bei ihrem Mann und ihren Töchtern ist. Berlin, den 05. März 2013. Als Bundesvorsitzende der Ökumenischen BAG Asyl in der Kirche begrüße ich sehr, dass einer völlig inhumanen Flüchtlingspolitik ein Ende bereitet wurde und eine Familientrennung endlich ein gutes Ende fand. Doch ich bedaure, dass sich Fälle wie die der kosovarischen Familie in Lüchow- Dannenberg wiederholen, bei dem ein Teil der Familie nach 16 Jahren abgeschoben wurde, während ein anderer Teil in Deutschland blieb. Wir wissen inzwischen, dass viele Menschen „de facto-Inländer“ sind, deren Aufenthalt sich nach fünf Jahren so verstetigt hat, dass sie sich in unserem Land verwurzelt haben. Sie wieder zu entwurzeln und ins Nichts abzuschieben, muss endgültig auch gesetzlich unterbunden werden. Ein ewiger Kreis der Schuldzuweisung muss durchbrochen werden: die mangelnde Mitwirkungspflicht, die von Behördenseite vorgeworfen wird, wird nur durch Vertrauen behoben da niemand freiwillig an der eigenen Abschiebung mitwirken wird. Zumal viele Flüchtlinge andere Behördenstrukturen aus ihren Herkunftsländern und ein großes Misstrauen gegenüber den dort

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Mitarbeitenden mitbringen. Und umgekehrt sind Bemühungen, Pässe zu besorgen und vorzulegen oft zum Scheitern verurteilt, ohne dass Behörden dem hier Glauben schenken. Unabhängige Verfahrensberatung vor dem eigentlichen Asylverfahren würde den Flüchtlingen die große Unsicherheit nehmen können und eine bessere Mitwirkung ermöglichen. Es zeigt sich, dass man sich Behörden, zu denen Vertrauen aufgebaut wurde, mit seiner Fluchtgeschichte auch anvertraut. Wir benötigen ein Amnestie-Verfahren, in dem man seine wahre Identität offenbaren kann, ohne befürchten zu müssen, abgeschoben zu werden – auch wenn Fluchtdokumente als nicht echt gelten. Solange in diesen Fällen eine genaue behördliche Prüfung der Hintergründe nicht gewährleistet ist, wird der Kreis nicht durchbrochen werden können. Deutlich gesagt: Ein Staat hat das Recht zu wissen, mit wem er es zu tun hat. Aber ein Flüchtling hat viele Gründe, weshalb er eine andere Identität braucht, um sein Land zu verlassen. Hier keine Abhilfe zu schaffen, sondern auch nach Jahren Familien immer wieder ihre sogenannten „mangelnde Mitwirkung“ vorzuhalten

und als Abschiebegrund zu missbrauchen, ist eines humanen und demokratischen Rechtsstaates nicht würdig. Die Unglaubwürdigmachung von Flüchtlingen während des Asylverfahrens, mangelnder Schutz für sogenannte vulnerable Gruppen, mangelnde und zu spät einsetzende Integrationsangebote verhindern die Umsetzung vieler internationaler Konventionen und europäischer Richtlinien. Es ist dringend geboten, hier nachzubessern und eine Lösung zu finden, die es Menschen ermöglicht, ihren hier verfestigten Aufenthalt in eine echte Perspektive und Zukunft in unserem Land umzuwandeln. Dazu gehört eine Amnestie angesichts der Mitwirkung an Passersatzbeschaffung und ebenso eine unabhängige Verfahrensberatung bei Beginn des Asylverfahrens. Fanny Dethloff ist Bundesvorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V. (www.kirchenasyl.de )


Kirche und Flucht

Kirchenasyl – eine bleibende Herausforderung für Gemeinden „Wo Flüchtlinge in kirchlichen Räumen Aufnahme finden, ereignet sich Heiligkeit, die nicht an Räume, sondern an Menschen gebunden ist.“

So stand es in der Einladung zu einem der ersten bundesweiten Treffen von Kirchenasylgemeinden 1992 in Kassel. In diesem Satz spiegelt sich eine Grundüberzeugung, welche die Kirchenasylbewegung in Deutschland von Anfang geleitet hat: dass jeder Mensch als Gottes Geschöpf und Ebenbild unbedingt zu schützen ist, wenn ihm Gefahren für Leib, Leben und Würde drohen. Dieser Satz gilt für Christen auch dann, wenn staatliche Stellen anders entschieden haben. Menschen sind „Tempel Gottes“ (1. Kor. 3,16), auf die kein gewaltsamer Übergriff erlaubt oder geduldet werden kann. Staatlicher Machtausübung sind damit Grenzen gesetzt – eine Überzeugung, die auch säkular in Artikel 1 des Grundgesetzes begründet ist, wenn dort von der Unantastbarkeit der Menschenwürde und „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“ die Rede ist.

Wie die Kirchenasylbewe­ gung in Deutschland entstand Es begann vor 30 Jahren, im Oktober 1983, als eine Gruppe palästinensischer Flüchtlinge bei der Gemeinde Heilig Kreuz in Berlin Schutz suchte. Dieses erste Kirchenasyl in Deutschland wurde drei Familien gewährt, 10 Erwachsenen und 18 Kindern, die von Abschiebung in den Libanon bedroht waren. Dort tobte ein erbitterter Bürgerkrieg, so dass eine Rückkehr in dieses Land die Familien in Lebensgefahr gebracht hätte. Kirchengemeinde und Pfarrer wollten das

Wolf-Dieter Just ist Mitglied im Vorstand der Ökumenischen BAG Asyl in der Kirche

nicht zulassen und nahmen die Flüchtlinge auf. Diese mutige Aktion hatte Erfolg. Die Abschiebung wurde verhindert, später konnten die Flüchtlinge in ihre Wohnungen zurückkehren. Heute leben sie noch immer in Berlin und sind längst eingebürgert. Das Beispiel machte Schule. Gemeinden in allen Teilen Deutschlands begannen schutzsuchende Flüchtlinge aufzunehmen, wenn sie überzeugt waren, dass ihnen bei einer Abschiebung ernste Gefahren drohen. Dabei war die öffentliche Akzeptanz überraschend hoch. Viele Kirchenasyle verdanken ihren Erfolg der Erzeugung öffentlichen Drucks. Flüchtlinge erschienen hier auf einmal nicht als anonyme „Asylantenfluten“, die es abzuwehren gilt, sondern bekamen ein Gesicht. Einzelpersonen und Familien wurden als Menschen wie Du und ich wahrgenommen, die in schwere Not geraten sind und Hilfe brauchen. Diese öffentliche Akzeptanz zeigte auch eine Meinungsumfrage des Forsa-Instituts im Juli 1994. 62 % der Befragten befürworteten den Satz: „Von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge sollten unter bestimmten humanitären Umständen in Kirchen Asyl finden.“

Bundesweite Vernetzung der Kirchenasylgemeinden Als 1993 die neuen Asylgesetze in Kraft traten, die von dem Grund- und Menschenrecht auf Asyl wenig übrig ließen, bekam das Kirchenasyl größere Bedeutung. Für manchen Flüchtling wurde es zum letzten Rettungsanker. Diese Entwicklung führte im Februar 1994 zur Gründung der „Ökumenischen

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Kirche und Flucht Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche“ (BAG), dem organisatorischen Zusammenschluss der Kirchenasylbewegung in Deutschland. Der BAG gehören evangelische, katholische, freikirchliche Gemeinden und engagierte Einzelpersonen an. Sie hat ihre Geschäftsstelle in der Heilig Geist Kirche in Berlin. Die Erfolgsaussichten beim Kirchenasyl sind gut. Die BAG hat diese wichtige Frage in regelmäßigen Abständen näher untersucht und festgestellt, dass bisher in ca. 75 % der Fälle Kirchenasyle erfolgreich waren – in dem Sinne, dass eine Abschiebung verhindert werden konnte. Gemeinden haben erreicht, dass die Akten der betroffenen Flüchtlinge neu aufgeschlagen wurden und siehe: in vielen Verfahren waren Asylgründe übersehen worden oder es lagen Abschiebehindernisse vor. In anderen Fällen halfen Altfallregelungen bis hin zur Heirat mit einem oder einer Deutschen. Jeder „Fall“ ist ein spezieller, und dementsprechend ist das Spektrum der Lösungen bunt.

Kirchenasyl und die DublinVerordnung der EU In jüngster Zeit mehren sich Kirchasyle für sog. „Dublin-Flüchtlinge“. Mit der Dublin-Verordnung der EU wird der Mitgliedsstaat bestimmt, der für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist nach dem „One-State-Only-Prinzip“: Nur ein Mitgliedsstaat ist für das Asylverfahren zuständig – in der Regel derjenige, der die Einreise in die EU zugelassen bzw. nicht verhindert hat. Diese Regelung trifft vor allem die Staaten mit EU-Außengrenzen im Süden und im Osten der EU. Wenn Asylsuchende in andere EU-Länder weiter fliehen – z. B. von Italien nach Deutschland –, können diese sie an den Staat zurück überstellen, der die Ersteinreise in das EU-Gebiet zu verantworten hat. Infolge dessen sind die Staaten im Süden und Osten der EU mit dem der Aufnahme von Flüchtlingen überfordert und suchen vehement Flüchtlinge abzuwehren bzw. durch menschenverachtende Aufnahmebedingungen abzuschrecken: Ihnen drohen dort Haft oder Obdachlosigkeit, soziale Leistungen und medizinische Versorgung werden verweigert. Angesichts dieser menschenrechtswidrigen Aufnahmebedingungen versu-

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„Gemeinden in allen Teilen Deutschlands begannen schutzsuchende Flüchtlinge aufzunehmen, wenn sie überzeugt waren, dass ihnen bei einer Abschiebung ernst Gefahren drohen.“

chen immer mehr Kirchengemeinden, Rücküberstellungen in diese Länder durch Kirchenasyl zu verhindern. Laut BAG gibt es z. Zt. 25 Kirchenasyle in Deutschland, darunter zehn DublinAsyle. Diese Rücküberstellungen müssen innerhalb einer 6-Monats-Frist erfolgen. Danach geht die Verantwortung für das Asylverfahren an den Staat über, indem der Flüchtling sich gegenwärtig aufhält – in diesem Falle Deutschland. Mit Hilfe von Kirchenasyl ist es wiederholt gelungen, diese 6-Monats-Frist zu überbrücken und eine Rücküberstellung – z. B. nach Italien – zu verhindern.

Kirchenasyl als Lernfeld für Gemeinden Die Gewährung von Kirchenasyl löst in der Regel wichtige Lernprozesse aus und verändert das Leben der Gemeinden. Man begegnet Flüchtlingen persönlich, erlebt sie als Menschen, als Nächste, die viel Leid erfahren haben und auf der Suche nach einem sicheren Ort sind. Es entwickeln sich persönliche Beziehungen, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft, aber auch Interesse an ihrer Kultur und Religion. Zum anderen erfahren Gemeinden etwas über die Fluchtursachen, die Menschenrechtslage im Herkunftsland, die Gefahren für die Flüchtlinge bei einer Abschiebung. Diese Informationen sind für sie wichtig, um sich ein Bild zu machen, warum die Flüchtlinge Schutz brauchen und um das Asyl in der Kirche nach außen zu legitimieren. Manchmal sind Gemeindemitglieder sogar in das Herkunftsland gereist, um sich sachkundig zu machen. Gleichzeitig wächst das Interesse am hiesigen Asylrecht und –verfahren. Man

erfährt etwas über die enge Definition des Begriffs der „politischen Verfolgung“, die restriktive Anerkennungspraxis und Rechtsprechung, die erbärmliche Unterbringung von Flüchtlingen in unserem reichen Land, die kleinlichen und diskriminierenden Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes. Diese Erfahrungen fördern kritische Haltungen zur deutschen Asylpolitik und entsprechendes Engagement. Schließlich wird die Relevanz des christlichen Glaubens im Alltag der Welt neu entdeckt. Man liest die Bibel mit anderen Augen, entdeckt, dass sie randvoll ist mit Fluchtgeschichten. Aussagen des alttestamentlichen Fremdenrechts werden auf einmal wichtig und einleuchtend (vgl. 3. Mose 19,33f.). Es wird begriffen, welche Herausforderung in dem Gebot der Nachfolge Jesu liegt, der selbst nicht wusste, wo er sein Haupt hinlegen soll und der sich im Gleichnis vom großen Weltgericht unmittelbar mit dem Fremden identifiziert: „Ich war ein Fremder und ihr habt mich aufgenommen... Was ihr getan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan.“ (Mt. 25,35.40) Literatur: Ökumenische BAG Asyl in der Kirche: Erstinformation zum Kirchenasyl, Berlin 2005 Wolf-Dieter Just/Beate Sträter Hg.: Kirchenasyl, Ein Handbuch, Karlsruhe 2003 Weitere Literatur: siehe Homepage der BAG: www.krichenasyl.de


Kirche und Flucht

Flucht & Asyl auf dem Hamburger Kirchentag Mittwoch 1. bis Samstag 4. Mai 2013 Während des gesamten Kirchentages, 10-18:00 Uhr: Pro Asyl und Flüchtlingsräte Schleswig-Holstein, Hamburg & Mecklenburg-Vorpommern stellen ihr politisches Engagement für Flüchtlinge und MigrantInnen vor. I Messehalle A3, C05 (e6)

Zentrum Religiöse und kulturelle Vielfalt leben Zahlreiche Veranstaltungen (s.u.), Konzerte und Gottesdienste. I Erlöserkirche (Borgfelde), Jungestr. 7 (314 / I7) und I St. Georgskirche, St. Georgs Kirchhof (410 / g7)

Gestrandet – Station zu Flucht und Migration Engagierte geben Auskunft zum Thema und erzählen von ihren Erfahrungen mit betroffenen Menschen. Außerdem gibt es weitere Info-Stationen zu den Themen: • Integration, Familie & Bildung, Migration und Aidsseelsorge I Erlöserkirche (Borgfelde), Jungestr. 7 (314 / I7)

Café Mandela – ein Ort der Gastfreundschaft Café zur interkulturellen Begegnung.

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Kirche und Flucht I Erlöserkirche (Borgfelde), Jungestr. 7 (314 / I7)

Ökum. Bundes­arbeits­gemein­ schaft Asyl in der Kirche Informationen zur kirchlichen Flüchtlingsarbeit rund um Kirchenasyl. I Messehalle A3, C07 (e6)

missio-Truck – Menschen auf der Flucht Eine multimediale Ausstellung für Jugendliche und Erwachsene. I Messegelände: vor Halle 1 zw. Tor 5+6 (e6)

M/S An­ton – ein Flücht­lings­ schiff Kunsthappening zu den Themen „Flüchtlinge“ und „UN-Ziele für 2015“ mit 70 Bronzestatuen des dänischen Künstlers Jens Galschiøt. I Traditionsschiffhafen im Sandtorhafen (860 / f8)

VERANSTALTUNGEN Mittwoch 1.5.13 | 18:00 22:00 Uhr Abend der Begegnung I M/S Anton im Sandtorhafen Kunsthappening (s.o.).

Donnerstag 2.5.13 | 9:3010:30 Biblisch-Politische Mahnwache. Vor der Ausländerbehörde Hamburg lassen sich Christinnen und Christen vom Unrecht im Asylsystem betreffen, zeigen ihre Solidarität mit Flüchtlingen und MigrantInnen und klagen an. • Brot & Rosen – Diakonische Basisgemeinschaft I Amsinckstr. 28 (H8; zwischen Hauptbahnhof und HafenCity)

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Donnerstag 2.5.13 |11:00 13:00 Gott in den Ohren liegen – Ein Klageweg zu Lukas 18 Zusammen mit dem geistlichen Autor Pierre Stutz tragen engagierte ChristInnen ihre Klagen und Fragen in vier Kreuzwegstationen vor Gott. Klagen – dem Schmerz einen Raum geben (Felix Ritter, Dramaturg, Amsterdam/ Niederlande) Spirituelle Impulse (Pierre Stutz, Theologe und Autor, Lausanne/Schweiz) Kreuzwegstationen (Christel Seiler und Dietrich Gerstner, Kirchliche Flüchtlingsarbeit Hamburg - Rainer Kluck, Präventionsbeauftragter Kirchenkreis Hamburg-Ost - Barbara Niehaus, Treffpunkt Suppenküche, Bad Doberan) Musik: Yotin Tiewtrakul, Aumühle I Halle B4, Obergeschoss, Messegelände (692 / e6)

Donnerstag 2.5.13 |11:00 13:00 Tor zur Welt oder Festung Europa? Flüchtlingspolitik und Menschenrechte in der EU Flucht hat viele Gesichter | Ein afghanischer Flüchtling, eine syrische Familie im Kirchenasyl und ein togoischer Flüchtling berichten. Podium • Günter Burkhardt, Geschäftsführer Pro Asyl, Frankfurt/Main • Dr. Günter Krings MdB, stellv. Fraktionsvorsitzender, Berlin • Claudia Roth MdB, Parteivorsitzende, Berlin • Moderation: Bernd Pickert, Journalist, Berlin • Anwältinnen des Publikums: Dr. Julia Duchrow, Berlin und Ulrike SeemannKatz, Schwerin

• Musik: Dawit Getachew und Band, Addis Abeba/Äthiopien I Thalia Theater, Große Bühne, Alstertor 1 (854 / g7)

Donnerstag 2.5.13 |15:00 17:00 Wer hat den Schlüssel zum Tor zur Welt? Ein kritischer Stadtrundgang berichtet von MigrantInnen, dem Hamburger Hafen, weltweitem Handel und ehemaligen Kolonien. (Manuel Aßner, Migrationsforscher und Trainer, Hamburg) I Bismarck-Denkmal, Alter Elbpark, Seewartenstraße (e8)

Donnerstag 2.5.13 |15:00 18:00 Gastfreundschaft und Kirchenasyl für Einsteiger „Ich war fremd, ihr habt mich aufgenommen…“ Jesus identifiziert sich mit den Fremden und ermutigt zur Gastfreundschaft. Warum braucht es ChristInnen als GastgeberInnen und wie bereichert Gastfreundschaft ihren Lebensalltag? Das WorkshopAngebot lädt ein zum Kennenlernen, Mitdenken und Mitgestalten von christlich-politischer Gastfreundschaft. (Brot & Rosen – Diakonische Basisgemeinschaft - Kirchliche Gästewohnungen in Hamburg - Ökum. Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche) I Erlöserkirche (Borgfelde), Jungestr. 7 (314 / I7)

Donnerstag 2.5.13 |16:00 18:00 Der Halbmond auf dem Kirchturm Aus aktuellem Anlass in Hamburg diskutieren ein christlicher und ein muslimischer Theologe miteinander über die Nutzung von Kirchen durch nichtchristliche Religionsgemeinschaften.


• Dr. Johann Hinrich Claussen, Propst und Hauptpastor St. Nikolai, Vorsitzender Kirchbauverein, Hamburg • Ramazan Ucar, Imam Centrum Moschee, Vorsitzender Bündnis Islamischer Gemeinden in Norddeutschland, Hamburg • Moderation: Frank Düchting, Ev. Akademie der Nordkirche, Hamburg I St. Georgskirche, St. Georgs Kirchhof (410 / g7)

Donnerstag 2.5.13 |17:00 18:30 Die Asyl-Monologe Das Dokumentar-Theater erzählt von Flucht, Asyl und Unrecht. Es verleiht diesen Themen ein menschliches Gesicht und gibt meist unsichtbaren Menschen eine Stimme. Weil die Menschen selbst zu Wort kommen, machen sie wütend und nachdenklich, traurig und hoffend, bewegen und ermutigen uns. (Bühne für Menschenrechte, Berlin) I Kammerspiele, Hartungstr. 9-11 (590 / F5)

Donnerstag 2.5.13 |19:30 21:30 Grenzen dicht! – Wie ethisch ist die europäische Migrationspolitik? Das aktuelle Flüchtlingsmanagement in Europa missachtet die Menschenrechte. Tausende Flüchtlinge ertrinken im Mittelmeer, obwohl die EU eine Wertegemeinschaft sein möchte. Das Podium wird ethische Widersprüche aufdecken und nach politischen Alternativen in der EU-Flüchtlingspolitik fragen. • Impulse Dr. Norbert Cyrus, Migrationsforscher, Hamburger Institut für Sozialforschung • Doris Peschke, Kommission der Kirchen für Migranten in Europa, Brüssel/Belgien • Gespräch Katrin Göring-Eckardt MdB, Bundestagsvizepräsidentin, Berlin • Prof. Dr. Winfried Kluth, Jurist, Halle/ Saale

• Moderation: Martina Severin-Kaiser, Ökumenebeauftragte Nordkirche, Hamburg • Musik: Classic Beat Orchestra, Bukarest/Rumänien I Universität, Audimax, Von-Melle-Park 4 (872 / F6)

Donnerstag 2.5.13 | 20:00 21:30 Zähle die Tage meiner Flucht Gedenkgottesdienst für die tausenden Toten an den EU-Außengrenzen. • Ökum. Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, Berlin/Hamburg I St. Pauli Kirche, Pinnasberg 80 (752 / d8)

Freitag 3.5.13 | 11:00 - 13:00 Ich weiß, wer du bist …? – Frauenstimmen zum Leben in Unterschiedlichkeit Wie gelingt Zusammenleben mit gleichberechtigter Teilhabe aller? Wie können wir die starren Bilder voneinander in unseren Köpfen überwinden? Wie gelingt es, zu einer offenen Gesellschaft zu kommen, in der Vielfalt als Bereicherung gesehen wird? Aus der Perspektive und Erfahrung von engagierten Frauen soll gemeinsam nach Antworten gesucht werden. • Integrier mich, Baby! – Szenischer Impuls mit Ali Özkan, Rosmery Schoemborn und David Ubani, SchauspielerInnen, Hamburg • Diskussion Carolyn Decke, Pröpstin, Hamburg • Hatice Kara, Bürgermeisterin, Timmendorfer Strand • Malisa Mukanga, Psychologin, Hamburg • Moderation: Prof. Dr. Ursula Neumann, Erziehungswissenschaftlerin interkulturelle Bildung, HH I Erlöserkirche (Borgfelde), Jungestr. 7 (314 / I7)

Freitag 3.5.13 | 11:00 - 13:00 Kirche mit allen? – Kirche und Diakonie in der Einwanderungsgesellschaft

Kirche und Flucht Das Podiumsgespräch geht der Frage nach, wie Kirchengemeinden und Diakonie sich für unsere vielfältige Gesellschaft interkulturell öffnen können. Dabei nimmt es praxisnah Schwierigkeiten, Umsetzungen und Visionen in den Blick. • Christian Bach, International Baptist Church, Hamburg • Hans-Jürgen Buhl, Propst, Hamburg • Dr. Elisabeth Chowaniec, Landeskirchliche Beauftragte bei der Freien und Hansestadt Hamburg • Dr. Ingo Habenicht, Vorstand Ev. Johanneswerk, Bielefeld • Moderation: Gabi Brasch, Vorstand Diakonisches Werk Hamburg I St. Georgskirche, St. Georgs Kirchhof (410 / g7)

Freitag 3.5.13 | 11:00 - 13:00 Wenn Wasser nicht nur Leben ist Das Mittelmeer als Massengrab? • Stefan Schmidt, Kapitän, Flüchtlingsbeauftragter SchleswigHolstein, Kiel Wie lustig ist die Seefahrt wirklich? • Karl-Heinz Biesold, Bundesfachgruppenleiter Schifffahrt Verdi, Berlin • Hamburger Lotsenchor • Heike Spiegelberg, Pastorin Seemannsmission, Hamburg • Moderation: Tobias Petzoldt, Dozent für Gemeindepädagogik, Dresden • Musik: Patchwork, Radewege I Bühne am Fischmarkt, Große Elbstraße (182 / d8)

Freitag 3.5.13 | 14:30 - 17:00 Mein fremder Nachbar Europa aus Jugendperspektiven (Projekt KwiQ, Hamburg) • Rap-Projekt Gewalt hat viele Gesichter, Bremen Mit Unterschieden leben, die Verschiedenheit feiern • Rania Enan, Begründerin Garten der Kulturen, Bremen • Dr. Dirk Hauer, Fachbereichsleiter Diakonisches Werk, Hamburg • Jana Kilian, Vorstand Hansa Baugenossenschaft, Hamburg • Birte Steller, Direktorin Welcome Center Hamburg, Hamburg • Folklore Tanzgruppe Koletschko

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Kirche und Flucht • Moderation: Waltraud Wulff-Schwarz, Freiwilligenkoordinatorin, Bremen • Musik: Patchwork, Radewege I Bühne am Fischmarkt, Große Elbstraße (182 / d8)

Freitag 3.5.13 | 15:00 - 16:30 „Schaffe mir Recht!“ Ein Kreuzweg für die Rechte der Flüchtlinge, der vom Hafen bis zum Rathausmarkt führt und dabei aktuelle Flüchtlingsfragen zur Sprache bringt und vor Gott trägt. • Bischöfin Kirsten Fehrs, Hamburg • Brot & Rosen – Diakonische Basisgemeinschaft, Hamburg I Traditionsschiffhafen im Sandtorhafen (860 / f8)

Freitag 3.5.13 | 15:00 - 17:00 Menschen ohne Papiere in Hamburg Der thematische Stadtrundgang berichtet von der Lebenssituation sog. irregulärer MigrantInnen. Sie hüten Kinder, putzen oder bauen Häuser, aber im Alltag stehen sie vor großen Schwierigkeiten, wenn es um Wohnung, Schule für die Kinder oder Gesundheit geht. • Manuel Aßner, Migrationsforscher und Trainer, Hamburg I Bahnhof Altona, DB Service-Point, PaulNevermann-Platz (B7)

Freitag 3.5.13 | 15:00 - 18:00 Workshop: Sag mir, wer du bist – interkulturelle Biografiearbeit • Frauenwerk der Nordkirche und Missionsakademie Hamburg • Musik: Trommelgruppe Koreanische Gemeinde, Hamburg I Erlöserkirche (Borgfelde), Jungestr. 7 (314 / I7)

Freitag 3.5.13 | 19:00 - 21:00 Feierabendmahl zu politischer Gastfreundschaft • Kirchliche Gästewohnungen in Hamburg • Brot & Rosen – Diakonische Basisgemeinschaft Hamburg

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I Martin-Luther-King-Kirche (Steilshoop), Gründgensstr. 28 (J1)

Freitag 3.5.13 | 20:00 - 21:30 Die Asyl-Monologe Das Dokumentar-Theater erzählt von Flucht, Asyl und Unrecht. Es verleiht diesen Themen ein menschliches Gesicht und gibt meist unsichtbaren Menschen eine Stimme. Weil die Menschen selbst zu Wort kommen, machen sie wütend und nachdenklich, traurig und hoffend, bewegen und ermutigen uns. • Bühne für Menschenrechte, Berlin I Erlöserkirche (Borgfelde), Gemeindehaus, Jungestr. 7 (314 / I7)

Freitag 3.5.13 | 20:00 - 22:00 Interkulturelles Feierabendmahl • Interkulturelle Pfarrkonferenz der EKD und Afrikanisches Zentrum Borgfelde • Thorsten Leißer, Pfarrer, Hannover • Peter Sorie Mansaray, Pastor, Hamburg I Erlöserkirche (Borgfelde), Jungestr. 7 (314 I7)

Samstag 4.5.13 | 15:00 17:00 Migrantische Communities in St. Georg Ein Rundgang durch diesen vielfältigen und vielschichtigen Stadtteil, in dem Menschen aus der ganzen Welt zu Hause sind. Er greift den Islam und Schwarz-sein in Deutschland auf und er beschäftigt sich mit Rassismus, Alltagsdiskriminierung und Integration. • Manuel Aßner, Migrationsforscher und Trainer, Hamburg I Hotel Graf Moltke, Haupteingang, Borgfelder Str. 1-9 (I7)

Samstag 4.5.13 | 15:00 18:00 Offener Nachmittag bei Brot & Rosen – Diakonische Basisgemeinschaft. Herzliche Einladung zur Begegnung im Haus der Gastfreundschaft I Fabriciusstraße 56 (Bramfeld; K2)

Samstag 4.5.13 | 16:30 -18:00 Die Asyl-Monologe Das Dokumentar-Theater erzählt von Flucht, Asyl und Unrecht. Es verleiht diesen Themen ein menschliches Gesicht und gibt meist unsichtbaren Menschen eine Stimme. Weil die Menschen selbst zu Wort kommen, machen sie wütend und nachdenklich, traurig und hoffend, bewegen und ermutigen uns. • Bühne für Menschenrechte, Berlin I Bugenhagenkirche (Barmbek-Süd), Theatersaal, Biedermannplatz 19 (170 / I4)

Samstag 4.5.13 | 20:00 22:00 Wadim – Das kurze Leben eines Asylsuchenden (D 2011, Regie: Carsten Rau und Hauke Wendler, 90 min, FSK 12) Dokumentarfilm über einen jungen Mann, der in Deutschland aufwächst und dann ohne seine Familie in das für ihn fremde Lettland abgeschoben wird. Ohne Heimat und Familie irrt er durch Europa… • anschließend Gespräch mit Hauke Wendler, Regisseur, Hamburg • Zentrum für Mission und Ökumene nordkirche weltweit I Erlöserkirche (Borgfelde), Gemeindehaus, Jungestr. 7 (314 / I7) Wo?: (Alle Veranstaltungsorte werden jeweils am Ende des Eintrags genannt. In Klammern sind die Nummer und die Koordinaten hinzugefügt, unter denen der Veranstaltungsort auf dem Kirchentagsstadtplan zu finden ist.) Weitere Kirchentags-Veranstaltungen zu den Themen „Flucht, Migration, Integration und Interkulturelle Öffnung“ finden Sie unter http:// www.kirchentag.de in der „Programmdatenbank“. Einfach in die Suchmaske die Stichworte: Flucht, Flüchtlinge, Asyl, Migration, MigrantInnen, interkulturell,… o.ä. eingeben.


Kirche und Flucht

Kirchenasyl und Dublin II: Ein Beispiel Ein 19-jähriger Flüchtling aus Guinea hat von Anfang August bis Anfang September 2010 Kirchenasyl in Duisburg erhalten. Er war bereits seit fünf Jahren auf der Flucht, d. h. seit seinem 14. Lebensjahr. Er wurde in Conakry, der Hauptstaat Guineas, in einen Konflikt mit Soldaten verwickelt und musste Hals über Kopf sein Land verlassen. Er hat dann als Kind halb Afrika durchquert, ohne irgendwo eine sichere Bleibe zu finden, hat die Sahara durchquert, hat die Schrecken von Rassismus und Gewalt gegen SchwarzafrikanerInnen in Libyen erlebt, hat zusammen mit 40 anderen Flüchtlingen in einem viel zu kleinen Boot die Überfahrt von Libyen nach Lampedusa riskiert, hat drei Tage und drei Nächte Todesängste auf dem Meer ausgestanden. In Italien angekommen hat er einen Asylantrag gestellt, der bald abgelehnt wurde. Er wurde daraufhin obdachlos und erhielt keinerlei soziale oder medizinische Versorgung. Schließlich gelang ihm 2009 die Weiterflucht nach Deutschland und hoffte, hier endlich Schutz zu erhalten. Doch wurde ihm im Mai 2010 mitgeteilt, dass nach der Dublin-Regel Italien für sein Asylverfahren zuständig sei und er nach dorthin rücküberstellt werde. Der junge Mann war verzweifelt. Für die Rücküberstellung an den Ersteinreisestaat gibt es nach der DublinVerordnung eine Frist von sechs Monaten. Flüchtlingshelfer in Duisburg versuchten alles, um diese Frist zu überbrücken und so die Rücküberstellung nach Italien zu verhindern – durch Klage beim Verwaltungsgericht, durch psychologische Gutachten, die ihm Nichtreisefähigkeit attestieren, durch eine Petition im Landtag NRW usw. – ohne Erfolg. Was

schließlich allein noch helfen konnte, war ein Kirchenasyl. Zum Glück fand sich die Freikirchliche Gemeinde Duisburg Mitte sehr kurzfristig zur Aufnahme bereit – und hatte Erfolg! Die 6-MonatsFrist für die Rücküberstellung nach Italien verstrich, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) musste ihn aus dem Dublin-Verfahren herausnehmen. Die Zuständigkeit für das Asylverfahren ging an Deutschland über. Der Flüchtling konnte das Kirchenasyl verlassen und ist bis heute in Deutschland. Was wäre ohne das Kirchenasyl geschehen? In Rom hätte den jungen Mann Abschiebehaft erwartet. Die Zustände in der Abschiebehaftanstalt Rom („Ponte Galeria“) waren nach Berichten vom Juni 2010 katastrophal. Sie ist überfüllt, Gefangene werden von der Polizei geschlagen, ein Häftling wurde jüngst „lebensbedrohlich verletzt... (Es) brannten Matratzen und Laken, mehrere Personen hatten einen Hungerstreik begonnen... Am Abend des 8.6. versuchten sich zwei junge algerische Männer in der Abschiebehaft Rom zu erhängen. Durch das Kirchenasyl wurde dem Flüchtling, der auf Grund seiner 5-jährigen Flucht genug psychische und physische Probleme hatte, eine solche Situation erspart, einer Verletzung seiner Menschenwürde und Menschenrechte wurde vorgebeugt. „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“ (Art 3 der AEMR) Allerdings stellt sich hier doch die Frage, wieso eine Abschiebung nach Italien überhaupt möglich gewesen wäre. Wie viele Flüchtlinge werden in ähnlichen

Situationen nicht vor einer Abschiebung bewahrt, weil weder Kirchengemeinden noch Zivilgesellschaft auf ihre Situation aufmerksam wurden und eingeschritten sind?

Schlussfolgerung: Das Beispiel zeigt den Sinn von Kirchenasyl für Flüchtlinge, die unter die Dublin II-Regelung fallen: Es geht darum, die Frist von sechs Monaten für die Rücküberstellung an den Ersteinreisestaat zu überbrücken (Dublin VO Art 19,3). Wenn dies gelingt, geht die Zuständigkeit für das Asylverfahren an die Staat über, in dem sich der Flüchtling gerade aufhält (Dublin VO 19,4). Es gibt jedoch einen Haken: Diese 6-Monats-Frist kann auf 18 Monate verlängert werden, „wenn der Asylbewerber flüchtig ist.“ Was heißt „flüchtig“? Sind AsylbewerberInnen flüchtig, wenn sie sich ins Kirchenasyl retten? Muss eine Kirchenasyl gewährende Gemeinde damit rechnen, dass die Frist für die Rücküberstellung auf 18 Monate ausgeweitet wird, so dass sie einen Flüchtling u. U. bis zu 18 Monaten schützen muss? „Flüchtig“ sind Asylsuchende auf jeden Fall, wenn dem BAMF bzw. der zuständigen Ausländerbehörde (ABH) der Aufenthalt der Asylsuchenden nicht rechtzeitig mitgeteilt wird und der Flüchtling darum am Abschiebungstermin nicht aufzufinden ist. Deshalb ist es dringend erforderlich, dass bei einem Kirchenasyl am Tag vor dem Abschiebetermin Faxe an das BAMF und die ABH geschickt werden, die den Aufenthaltsort der Asylsuchenden mitteilen. In Duisburg war dies geschehen und nur darum blieb es bei der 6-Monats-Frist.

„Die Gewährung von Kirchenasyl löst in der Regel wichtige Lernprozesse aus und verändert das Leben der Gemeinden.“

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Kirche und Flucht

Zuwanderung aus Osteuropa Positionen des Fachausschusses Migration des Diakonischen Werks Hamburg zur aktuellen Diskussion um Zuwanderung aus Osteuropa

Seit Mitte letzten Jahres spielt das Thema Flucht und Zuwanderung eine zunehmend prominente Rolle im öffentlichen Dis­kurs. Zum einen war­ nen insbesondere die Städte und Kommunen immer eindringlicher vor den finanziellen Belas­ tungen und sozialen Ver­ werfungen, die für sie aus der Zuwanderung entstehen. Zum anderen macht auf Seiten der Poli­ tik aber auch das Wort vom „Asylmissbrauch“ wieder die Runde, und bis­ weilen sind in Bezug auf die Flüchtlinge aus Süd­ost­ europa oder in Bezug auf die EU-Binnenwanderung aus Rumänien und Bulgarien auch deutlich anti-ziganistische Unter­ töne zu vernehmen. 30 · 5/2013 · Der Schlepper Nr. 63 · www.frsh.de

Ein Plädoyer für eine differenzierte Betrachtung Hintergrund dieses Diskurses sind seit 2011 und vor allem seit Mai 2012 deutlich steigende Zuwanderungszahlen. Dieser Umstand ist nicht zu bestreiten, und Kirche und Diakonie sehen durchaus, dass insbesondere Länder und Kommunen mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert sind. Das betrifft vor allem die Schaffung von quantitativ ausreichenden und qualitativ angemessenen Unterbringungskapazitäten, aber auch die Sicherstellung der Gesundheitsversorgung und der sozialrechtlichen Leistungsansprüche. Allerdings warnen wir vor einer Überzeichnung und Dramatisierung und plädieren stattdessen für einen genaueren und differenzierteren Blick auf die Zahlen: Obwohl die Flüchtlingszahlen in Deutschland insbesondere seit Mai/Juni 2012 deutlich steigen, liegen sie dennoch ebenso deutlich hinter den Zuzugszahlen, mit denen Deutschland und Hamburg etwa in den 1990er Jahren umgehen musste: • 1992 haben bundesweit 438.191 Menschen Asylanträge in Deutschland gestellt. 2011 waren es nur noch 53.347 Anträge und 2012 rund 65.000. • Von Januar bis Oktober 1992 sind in Hamburg 15.721 Asylanträge gestellt worden, davon in Hamburg verblieben sind ca. 8.000 Personen. • Im Jahr 2012 sind 1.847 Asylbewerber/-innen in Hamburg verblieben.

• Im Dezember 2012 sind in Hamburg 152 Asylanträge gestellt worden, 30 weniger als im Vorjahr. Während Hamburg im Januar 2001 18.300 Plätze für Zuwanderer in öffentlicher Unterbringung bereit gestellt hatte (ohne Zentrale Erstaufnahme), sind es bis zum 31.3.2013 trotz Aufstockungen insgesamt 9.500 Plätzen, also etwas mehr als die Hälfte. Der Anstieg der Flüchtlingszahlen resultiert vor allem aus der Zuwanderung aus Südosteuropa (Serbien, Montenegro, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo). Dass Menschen aus diesen Staaten insbesondere in den Herbst- und Wintermonaten kommen, um der Armut zu entfliehen, war auch in früheren Jahren schon so gewesen und ist kein neues Phänomen. Zum anderen handelt sich hier durchgängig um Staaten, in denen Repressalien, Unterdrückung und Verfolgung von ethnischen Minderheiten und Roma bekannt und gut dokumentiert sind. Die Polemik etwa des Bundesinnenministeriums, das in diesem Zusammenhang von einem Missbrauch der Visumsfreiheit und einer Sogwirkung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Asylbewerberleistungsgesetz spricht, negiert nicht nur die faktischen Fluchtgründe der Betroffenen, sondern suggeriert massenhaften „Asylmissbrauch“ insbesondere von Roma. Der Verweis auf die Roma-Verfolgungen in den Staaten Süd-Osteuropas belegt ebenso wie die Rechtsprechungen zu Dublin II (Griechenland, Italien), dass auch innerhalb Europas nicht pauschal von sicheren Drittstaaten ausgegangen werden kann. Ein wie auch immer


„Kirche und Diakonie sprechen sich dezidiert und entschieden gegen Überlegungen zur Einschränkung des Asyl- und Flüchtlingsrechts aus.“

gearteter Generalverdacht gegenüber Flüchtlingen aus europäischen Staaten verbietet sich daher. Unabhängig von steigenden Flüchtlingszahlen begründet sich die aktuelle Zuwanderung nach Deutschland auch aus Rahmenbedingungen, die politisch explizit gewollt bzw. akzeptiert sind: Die Arbeits- und Armutswanderung aus den EU-Beitrittsstaaten aus Ost-Mitteleuropa ist eine direkte und notwendige Konse­ quenz der EU-Erweiterung und des Armuts­gefälles innerhalb der Union. Sie ist genauso Ausdruck von Verarmung und wirtschaftlichen Krisen in den Herkunftsregionen wie die Zuwanderung von Drittstaatenangehörigen aus Griechenland, Portugal oder Spanien. Migrant/-innen, die bisher in diesen Staaten Arbeit und Existenzsicherung gesucht und gefunden hatten, migrieren angesichts der ökonomischen Krise weiter. Auch in Bezug auf die EU-Binnenwanderung halten wir einen besonnenen Blick auf die Dimension des Problems für sinnvoll. Der Deutsche Städtetag beziffert den bundesweiten Anstieg der Zuwander/innen aus Bulgarien und Rumänien im ersten Halbjahr 2012 auf 88.000. Dagegen spricht der Vorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Frank Jürgen Weise von lediglich 6.000 bis 7.000 Zuwander/-innen. Der Hamburger Senat beziffert den Zuwanderungssaldo von Personen aus Rumänien und Bulgarien zwischen 18 und 65 Jahren nach Hamburg auf 517 bzw. 642 im Jahr 2010 und 422 bzw. 620 im Jahr 2011. Demnach ist zumindest für die Zeit von 2010 auf 2011 die Zuwanderung aus Bulgarien

und Rumänien nach Hamburg per saldo zurückgegangen. Auch wenn unter dem Stichwort „neue Zuwanderung“ alle diese Personengruppen oft zusammengefasst werden, so unterscheidet sich ihre aufenthalts- und sozialrechtliche Situation in Deutschland doch erheblich. Entsprechend unterschiedlich sind auch die gesetzlichen und verwaltungsmäßigen Rahmenbedingungen. In Bezug auf die Handlungsanforderungen und Umgangsweisen mit den unterschiedlichen Migrant/-innengruppen ist daher eine differenzierte Betrachtung und Beurteilung notwendig.

Für eine menschenrechtlich orientierte Flüchtlingspolitik Vor diesem Hintergrund und angesichts der zunehmend besorgniserregenden öffentlichen Diskussion halten Kirche und Diakonie an ihrer grundsätzlichen menschenrechtsorientierten Positionierung in Fragen der Flüchtlingsund Migrationspolitik fest: Wir halten einen besonnenen Umgang für den angemessenen Weg in der aktuellen Diskussion und wünschen uns von den Verantwortungsträgern in Politik und Verwaltung entsprechend differenzierte Stellungnahmen. Kirche und Diakonie sprechen sich dezidiert und entschieden gegen Überlegungen zur Einschränkung des Asyl- und Flüchtlingsrechts aus. Kirche und Diakonie beharren auf einer strengen Einzelfallprüfung im Anerkennungsverfahren auch für Flüchtlinge aus Südosteuropa. Für

Kirche und Flucht Kirche und Diakonie gibt es keine pauschal „offensichtlich unbegründeten“ Asylanträge oder andere Anträge auf Flüchtlingsschutz. Fluchtgründe sind in jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen. So sehr eine kurze Verfahrensdauer auch für Kirche und Diakonie wünschenswert sind, so sehr lehnen wir pauschalisierte Schnellverfahren ab. Andere Bundesländer wie z.B. Schleswig-Holstein haben regelmäßig einen Abschiebestopp für Roma während der Wintermonate verfügt. Kirche und Diakonie fordern die Hamburger Innenbehörde auf, sich dieser Praxis zukünftig anzuschließen. Kirche und Diakonie begrüßen ausdrücklich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz. Die Ausgestaltung der individuellen Existenzsicherung darf kein Instrument der Flüchtlings- und Migrationspolitik sein. Wir setzen uns dafür ein, dass der Gesetzgeber die Konsequenz aus dem höchstrichterlichen Urteilsspruch zieht, das AsylbLG abschafft und Flüchtlinge in die Grundsicherungsbestimmungen von SGB II/XII aufnimmt. So lange das nicht der Fall ist, erwarten wir auch von der Freien und Hansestadt Hamburg, dass die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts eins zu eins umgesetzt werden. Insbesondere sind Leistungskürzungen nach §1a AsylbLG zu unterlassen. Eine entsprechende Überarbeitung der Fachlichen Vorgaben und Hinweise zum AsylbLG ist dringend geboten. Kirche und Diakonie sehen die Notwendigkeit, in Krisen- und akuten Notsituationen auf Formen der Notunterbringungen wie z.B. Zelte zurückzugreifen. Für uns entscheidend ist, dass solche Formen der Notunterbringung nicht auf Dauer gestellt werden. Von daher begrüßen wir die schnelle Erweiterung der Unterbringungskapazitäten für Zuwanderer in Hamburg. Dabei bleibt darauf zu achten, dass die öffentliche Unterbringung generell Mindeststandards an Belegungsdichte, Sicherung von Privatsphäre, Familiengerechtigkeit, Berücksichtigung besonderer Problemlagen (z.B. psychischer Krankheit/ Traumatisierung) etc. einzuhalten hat. Das gilt unabhängig von den jeweiligen Statusgruppen in den Unterkünften.

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Kirche und Flucht Zudem orientieren Kirche und Diakonie weiterhin darauf, dass auch Flüchtlingen der Zugang zum Wohnungsmarkt gewährt wird (Beispiel Bremen). Schon jetzt befinden sich in erheblicher Anzahl Menschen in öffentlicher Unterbringung, die längst wohnberechtigt sind. Ein verbesserter Zugang dieser Personengruppen in den aktuellen Wohnungsbestand ist nicht nur unter wohnungspolitischen Gesichtspunkten geboten, sondern würde zudem die öffentliche Unterbringung erheblich entlasten.

Armutswanderungen in Europa sozialpolitisch abfedern Im Unterschied zu Flüchtlingen sind Migrant/-innen aus den Beitrittsstaaten der EU prinzipiell keinen aufenthaltsrechtlichen Restriktionen unterworfen. Sie halten sich legal in Deutschland und Hamburg auf. Dennoch ist ihre soziale Situation oft verzweifelt: Viele finden sich auf der Suche nach Arbeit in illegalen Beschäftigungsverhältnissen mit ausbeuterischen Niedrigstlöhnen wieder. Viele haben kein Geld für irgendeine Wohnung und sind obdachlos. Viele sind krank und ohne Krankenversicherungsschutz. Zunehmend sind es südosteuropäische

„Das Verbot der regulären abhängigen Beschäftigung treibt die Menschen in die Scheinselbständigkeit, in Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung.“

Frauen, die sich - etwa in St. Georg auf einem inzwischen kriminalisierten Straßenstrich prostituieren. Die Öffnung der Grenzen innerhalb der EU war und ist politisch gewollt, und die Konsequenzen waren und sind bekannt. Doch Länder und Kommunen sind überfordert, wenn sie die sozialen Folgen des Armutsgefälles in der EU abfedern sollen. Dies ist in erster Linie eine Aufgabe des Bundes und der EU. Kirche und Diakonie unterstützen daher Vorstöße, die auf eine Verstärkung transnationaler Programme und Strukturfonds gerichtet sind und in einer Art Lastenausgleich Länder und

„Ich bin froh, dass dieses Gotteshaus, ein Gotteshaus bleibt“ ...Immer da, wo ein Zusammenleben verschiedener Kulturen in Europa klappte, blühte die Kunst, die Wirtschaft, die Gesellschaft. Überall da, wo einige meinten, nur ihre Ethnie, nur ihr Volksstamm wäre der einzig Wahre, wurden Gesellschaften zerstört, Kultur zerstört, gab es Krieg und Hunger, wirtschaftlichen Niedergang. ... Nur im Frieden werden wir gemeinsam überleben. Und all die, die als „Biodeutsche“ meinen in einer Parallelgesellschaft bleiben zu wollen, die sich hinter Jägerzäunen verbarrikadiert und Ängste schürt, sollten sehen, dass dieses Kriegsgeheul uns hier in Horn nicht beeindruckt. Die Angst vor dem Islam und die Angst vor den muslimischen Nachbarn in Deutschland, das zeigen die Umfragen,

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Kommunen in die Lage versetzen, den sozialpolitischen und sozialrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Denn aus unserer Sicht ist es die Aufgabe der nachgelagerten kommunalen Hilfesysteme, nach Recht und Gesetz Hilfe zu gewähren und den Zugang zu Hilfeleistungen und Rechtsansprüchen sicherzustellen.

Vor diesem Hintergrund stellen wir fest: Die Einschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit sind in erheblichem Umfang Ursache für soziale

ist erschreckend hoch. ... Diese Vorgestrigen haben es nicht verstanden: wir hier wollen so nicht leben. Wir wollen keine rein bio-deutsche Wirklichkeit. Wir wollen ein Miteinander von vielen Kulturen. ... Und als Pastorin füge ich hinzu: Ich bin froh, dass dieses Gotteshaus, ein Gotteshaus bleibt und nicht eine Markthalle, ein Autohandel oder ein FastFoodSchuppen wird. Es bleibt ein Gotteshaus mit einer aktiven Gemeinde, die sich mit der christlichen Nachbargemeinde für diesen Stadtteil gemeinsam einsetzt. Das ist gut so. Dafür wünschen wir unseren neuen Nachbarn gutes Gelingen. Salam aleikum – Schalom - Friede uns allen. Pastorin Fanny Dethloff Flüchtlings- & Menschenrechtsbeauftragte der EvangelischLutherischen Kirche in Norddeutschland am 23. März 2013 vor der Kapaernaum-Kirche in Hamburg-Horn bei der Demonstration des Hamburger Bündnis gegen Rechts (siehe auch S. 36)


„Kirche und Diakonie lehnen Zugangsbarieren für Migrant/-innen in der öffentlichen Unterbringung und im Winternotprogramm ab.“

Notlagen. Das Verbot der regulären abhängigen Beschäftigung treibt die Menschen in die Scheinselbständigkeit, in Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung und damit in Ausbeutungsverhältnisse sowohl am Arbeits- wie auch am Wohnungsmarkt. Aus Sicht von Kirche und Diakonie ist die sofortige vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit in Verbindung mit einem gesetzlichen Mindestlohn das beste Instrument, um Ausbeutungsverhältnisse am Arbeitsmarkt zu verhindern und somit den betroffenen Menschen den Schritt in eine hilfeunabhängige Existenzsicherung zu ermöglichen. Überlegungen, die etwa darauf abzielen, den Zugang zum Arbeitsmarkt eher zu erschweren statt zu erleichtern (Verschärfung des Melderechts, Verschärfung der Gewerbeordnung) sind daher kontraproduktiv. Die häufig vertretene Auffassung, insbesondere Zuwanderer/-innen aus Bulgarien und Rumänien hätten in Deutschland in der Regel keine Sozialrechtsansprüche, wird von uns ausdrücklich nicht geteilt. Aus Sicht von Kirche und Diakonie haben die Bestimmungen der EU-Verordung 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit unmittelbaren bundesgesetzlichen Charakter. Danach gelten die Grundsicherungsbestimmungen aus dem SGB II und XII für jeden und jede Angehörige aus EU-Staaten. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dies in einer qualifizierten Sozialrechtsberatung deutlich zu machen und Ratsuchende ggfs. in Klageverfahren zu unterstützen. Der Unwillen der Politik, europäische Sozialrechtsnormen in Deutschland vollumfänglich anzuwenden, geht auch aus dem Vorbehalt der Bundesregierung zum Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) hervor. Entgegen der Rechtssprechung

des Bundessozialgerichts werden so die Ansprüche von EU-Bürger/-innen auf SGB II-Leistungen abgewehrt. Aus unserer Sicht ist es nicht nachvollziehbar, warum Hamburg den Antrag von Bremen und Rheinland-Pfalz auf Abschaffung des Vorbehalts im Bundesrat nicht unterstützt hat. Kirche und Diakonie lehnen Zugangsbarrieren für Migrant/-innen in der öffentlichen Unterbringung und dem Winternotprogramm ab. Unabhängig davon, ob sozialrechtliche Leistungsansprüche vorliegen oder nicht, besteht eine ordnungsrechtliche kommunale Unterbringungsverpflichtung unabhängig von Aufenthaltstitel und Status für den Fall, dass Gefahr für Leib und Leben droht. Eine solche Gefahr ist bei Obdachlosigkeit gegeben. Der häufig formulierte Hinweis auf Missbrauch des Winternotprogramms erscheint uns überdimensioniert und lässt die realen Notlagen in einem falschen Licht erscheinen. Selbstverständlich muss gegen tatsächlichen Missbrauch vorgegangen werden, doch der Weg über Zugangsreglementierung, Abschreckung und Verunsicherung ist nicht nur sozialpolitisch bedenklich, sondern ist auch rechtlich nicht haltbar.

Kirche und Flucht und auch faktisch kontraproduktiv und kurzsichtig ist die Fokussierung von kommunaler Seite auf möglichst viele und möglichst schnelle Rückführungen. Die neue Binnenwanderung in Europa weist deutlich darauf hin, dass nicht nur nationalstaatliche Politiken, sondern auch nationalstaatlich oder lokal ausgerichtete soziale Arbeit zunehmend an Grenzen stößt. Wir sehen daher die perspektivische Notwendigkeit, auch unsere eigene Arbeit stärker grenzüberschreitend und international zu konzipieren im Sinne transnationaler Kooperationen mit Partnern in den jeweiligen Herkunftsländern. Die aktuelle Diskussion um Zuwanderung eröffnet somit auch für Kirche und Diakonie neue Herausforderungen – sowohl in der Zusammenarbeit und Abstimmung mit den verschiedenen Arbeitsfeldern als auch in der Entwicklung eines wirklich internationalen Blicks in der sozialen Arbeit von Kirche und Diakonie. Hamburg, März 2013

Auch aus Sicht von Kirche und Diakonie kann die Rückkehr in das Herkunftsland im Einzelfall eine vernünftige und angemessene Option sein. Eine Rückkehrberatung kann somit auch sinnvoller Bestandteil einer allgemeinen Beratung von Migrant/-innen sein. Allerdings sind an die Rückkehrberatung dieselben Maßstäbe anzulegen, wie sie für die kirchlich-diakonische Rückkehrberatung für Flüchtlinge gelten. Aus unserer Sicht hochproblematisch

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Diskriminierung

„Die Vorwürfe gegen Augstein sind idiotisch“ Interview mit Moshe Zuckermann, Historiker an der Universität Tel Aviv, über den jüngsten Antisemitismus-Skandal

Die US-amerikanische Menschenrechts­ organisation Simon Wiesenthal Center (SWC) hat den Herausgeber der linksliberalen Wochenzeitung „Freitag“, Jakob Augstein, in einer Rangliste der zehn schlimmsten Antisemiten der Welt auf Platz neun gesetzt. Als Begründung führt das SWC israelkritische Aussagen Augsteins an.

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So habe sich der 45-jährige Publizist beispielsweise der Einschätzung des Schriftstellers Günter Grass angeschlossen, die Atommacht Israel sei eine Gefahr für den Weltfrieden. Für Augsteins Aussagen gäbe es „keine Basis“, erklärte Rabbiner Abraham Cooper, der für die Erstellung der Antisemiten-Rangliste des SWC zuständig ist. Als Experten für die Bewertung von Augsteins Äußerungen hat das SWC den Rechtspopulisten Henryk M. Broder herangezogen, der nicht zuletzt wegen seines inflationären Gebrauchs des Antisemitismus-Vorwurfs umstritten ist. „Jakob Augstein ist kein SalonAntisemit, er ist ein lupenreiner Antisemit, eine antisemitische Dreckschleuder, ein Überzeugungstäter, der nur dank der Gnade der späten Geburt um die Gelegenheit gekommen ist, im Reichssicherheitshauptamt Karriere zu machen“, meint Broder. Unterstützung erhält er von dem Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn. Ähnlich wie der Historiker Götz Aly („Wenn man die Gründe für Auschwitz wirklich verstehen will, soll man endlich aufhören, plakativ mit Namen wie Flick, Krupp oder Deutsche Bank zu operieren“) ist Salzborn offenbar der Meinung, dass die Oberschicht eine antisemitenfreie Zone und daher zur Avantgarde gegen den Judenhass prädestiniert ist: „Entscheidend“ für den Kampf gegen den Antisemitismus, so Salzborn, sei „nach wie vor die Haltung der Elite: Sie muss öffentlich klar Position beziehen und darf sich nicht gemein machen mit Antisemiten, ob sie in Blog-Einträgen anonym oder in auflagenstarken Tageszeitungen prominent hetzen.“ Susann Witt-Stahl sprach mit dem israelischen Historiker und Autor Moshe Zuckermann („Antisemit!“ – Ein

Das Interview führte Susann WittStahl, Freie Journalisten aus Hamburg. Erstveröffentlichung in „Hintergrund“ 2/2013

Vorwurf als Herrschaftsinstrument) über die Beweggründe der Attacken gegen Augstein – und fragte ihn bei dieser Gelegenheit auch nach der Möglichkeit eines Endes der Gewalt im Nahen Osten. Welche Auswirkungen haben Rankings, wie sie das Wiesenthal Zentrum betreibt, auf die Antisemitismusforschung? Die Rankings haben mit Antisemitismusforschung rein gar nichts zu tun. Und auch mit Aufklärung nicht. Sie sind aber ein Symptom dafür, wie sich die Kulturindustrie mittlerweile des Diskursfeldes „Antisemitismus“ bemächtigt hat. Man quantifiziert das Unquantifizierbare, um Sensation zu erzeugen bzw. um populistische Aufmerksamkeit zu erheischen. Das hat mit der Aufdeckung von Antisemitismus und dessen Bekämpfung ungefähr so viel zu tun wie Schlager-Hitparaden mit der Verfeinerung von Musikkultur. Und „Eliten“ versus Antisemiten – ist das die Lösung? Ich wüsste nicht, worauf sich diese Annahme historisch zu stützen hätte. Eliten (oder das, was man für Eliten auszugeben pflegt) haben sich gerade in deutschen Geschichtszusammenhängen sehr oft ganz und gar nicht bewährt, schon gar nicht, wenn es darum ging, Antisemitismus zu bekämpfen. Sie selbst waren nicht die Einzigen, aber sehr wohl prononcierte Träger des Antisemitismus, und sie haben absolut nichts zu seiner Verhinderung beigetragen, als er in Deutschland eliminatorisch wurde. Selbst der Widerstand des 20. Juli – seit Jahrzehnten Vorzeige- Bewegung dafür, dass es auch in Deutschland einen


nennenswerten Widerstand gegen den Nazismus gegeben habe, als dieser zur Macht gelangte – war antisemitisch durchsetzt. Was soll also dieses Gerede über die Eliten als bewährtes Mittel gegen Antisemitismus? Die Quellen des Antisemitismus sind sozialer Natur, im Sozialen sind sie aufzuspüren, im Sozialen sind sie zu bekämpfen. Das Problem besteht darin, dass das, was das Soziale ausmacht, welches den Antisemitismus zeitigt, nicht unberührt davon ist, was politische und wirtschaftliche Eliten strukturell treiben. Überhaupt scheint mir der Rückzug auf Eliten als Heilmittel für ernsthafte strukturelle Defizite und soziale Deformationen regressiv und reaktionär. Nach Ansicht des Sozialwissenschaftlers Salzborn hat „die Elite“ zumindest in einem Fall schwer versagt. Er ist mit dem Simon Wiesenthal Zentrum der Meinung, dass der Verleger Jakob Augstein zu den schlimmsten Antisemiten der Welt gehört. Wie sind dann eigentlich Neonazis und andere rechtsradikale Judenhasser einzuordnen? In der Frage steckt bereits das nötige Maß an Polemik zu ihrer Beantwortung. Das, was man sich mit der Einstufung von Jakob Augstein als einen Antisemiten geleistet hat, ist dermaßen idiotisch, dass man darüber eigentlich nur noch – freilich angewidert – lachen kann. Es hat aber sein Gutes, was geschehen ist. Es wurde höchste Zeit, dass das miese Unwesen, das diverse Diffamierer im deutschen Diskurs mit dem Antisemitismus-Vorwurf betreiben, endlich als das vorgeführt wird, was es ist: als perfide ideologische Praxis zur Abfertigung und Zurichtung politischer Feinde. Dass es diesmal jemanden getroffen hat, der nicht zu den „üblichen Verdächtigten“ gehört, ist, so besehen, ein günstiger Fall. Plötzlich verteidigen ihn Leute, die in dieser Hinsicht selbst einiges auf dem Kerbholz haben. Augstein gehöre zu den besonders hinterhältigen Antisemiten, die ständig behaupten würden, der AntisemitismusVorwurf werde in Deutschland inflationär gebraucht, um IsraelKritiker mundtot zu machen, haben nun besonders clevere AntisemitenJäger herausgefunden. (...) Schauen Sie, man könnte jetzt eine Endlosschleife konstruieren, bei der sich, wie bei jedem paranoiden Syndrom, ein

ganzes Universum auf der Basis einer irrigen Grundannahme errichten lässt. Wenn jemand beschlossen hat, dass Augstein ein Antisemit ist, wird er sich keine Sophisterei entgehen lassen, um dies auch zu belegen. Was hierbei als Beweis angeführt wird, mag objektiv noch so falsch sein, es ist es aber nicht für den, der diesen Beweis braucht, um die paranoide Endlosschleife am Leben zu erhalten. Denn was für ein Leben hat der Paranoide ohne seine Paranoia? Es geht doch schlicht darum, dass Israel-Kritik in Deutschland mit Antisemitismus gleichgesetzt wird, und zwar ganz unabhängig davon, was Israel tut, wie es in Israel zugeht, wohin seine Politik steuert und welches Leid sie zeitigt. Jene, die meinen, Israel dabei durch den Antisemitismus-Vorwurf verteidigen zu sollen, scheren sich kein bisschen um Israel. Israel als Realität interessiert sie gar nicht, sondern lediglich als Projektionsfläche zur Verarbeitung eigener identitärer Defizite. Mit Augsteins Argumenten will man sich dann gar nicht auseinandersetzen – er muss zum Antisemiten werden, damit die eigene Unzulänglichkeit im Verhältnis zu Israel nicht zur diskursiven Disposition gestellt wird. Ich weiß nicht, welche Folgen diese Broder-Augstein-Schlammschlacht zeitigen wird. Wenn aber der hermetisch geschlossene paranoide Zirkel der Broders und Gärtners mitsamt dem Gesinnungsgefolge dieser Art zumindest im öffentlichen Bewusstsein aufgebrochen werden würde, wäre zumindest der erste Schritt getan, nicht nur, um der perfiden Diffamierungspraxis ein Ende zu setzen, sondern um der Bekämpfung des wirklichen Antisemitismus in Deutschland endlich ein Tor zu öffnen. (...) Kommen wir doch mal zur gesellschaftlichen und politischen Realität in Ihrem Land. Einer der Hauptvorwürfe Augstein gegenüber lautet, dass er behauptet hat, der jüdische Fundamentalismus in Israel sei „aus dem gleichen Holz geschnitzt“ wie der islamische. Beide wollten den Frieden nicht. Was ist daran wahr, und was ist daran falsch?

Diskriminierung gründen. Im Gegensatz zu orthodoxen Juden politisieren die nationalreligiösen Fundamentalisten ihren Glauben und setzen ihre Ideologie im Territorialkonflikt mit den Palästinensern ein. Der Hass der jüdischen Fundamentalisten auf die Araber steht dem Hass der Islamfundamentalisten auf die Juden in nichts nach. Zu fragen wäre allerdings, ob es den islamistischen Hass auf die Juden weiterhin geben würde, wenn der israelisch-palästinensische Konflikt friedlich beigelegt werden würde. Ich gehe davon aus, dass die Haupthandhabe für diesen Hass dann aus der Welt geschafft wäre. Wie es da mit dem nationalreligiösen jüdischen Fundamentalismus bestellt sein wird, kann ich nicht beurteilen. Herr Augstein meint, dass die Rachegelüste und der andauernde Krieg die Reaktionäre in den beiden Lagern „aneinanderbindet“, und schreibt: „Irrsinn ist die Gewalt nur demjenigen, der glaubt, dass sie überwunden werden soll. Wer die Sinnstiftung der Gewalt erkannt hat, wird die Hoffnung auf ihre Überwindung fahren lassen. Im Nahen Osten sollte man nicht auf ein Ende der Gewalt hoffen.“ Ich weiß nicht, warum Augstein meint, so fatalistisch über die Möglichkeit der Gewaltüberwindung im Nahen Osten urteilen zu sollen. Wenn Deutschland und Frankreich es nach 300 Jahren Erbfeindschaft und unzähligen Kriegen geschafft haben, Frieden miteinander zu schließen, sollte das auch im Nahen Osten zu machen sein – und zwar in kürzerer Zeit. Gerade nach dem, was sich in den letzten anderthalb Jahren alles im Nahen Osten bewegt hat, sollte man den orientalistischessentialistisch eingefärbten westlichen Blick auf diese Region vermeiden. Selbst für den Nahen Osten gilt, dass alles, was historisch entstanden ist, auch historisch veränder- bzw. überwindbar ist. Vielen Dank, Herr Zuckermann.

Wahr ist daran, dass der jüdische Fundamentalismus – gemeint ist wohl in erster Linie der nationalreligiöse der Siedler in den besetzten Gebieten – und der islamische Fundamentalismus beide ihre Weltanschauung auf einen unverrückbaren religiösen Glauben

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Diskriminierung

„...die Steine von Kapernaum sind nicht muslimisch oder christlich.“ Redebeitrag auf der „Antirassistischen Protestkundgebung“ in Hamburg-Horn am 23. März 2013 Im Hamburger Stadtteil Horn steht seit 10 Jahren eine Kirche leer. Sie war dereinst von der evangelischlutherischen Gemeinde an einen Investor verkauft worden, der das Gebäude aber niemals nutzte und verfallen ließ. Anfang des Jahres 2013 wurde bekannt, dass die islamisch-sunnitische Al Nour Gemeinde, die sich bis dato in einer Tiefgarage zum Gebet zusammenfinden muss, das Gebäude erworben hat und es als Moschee nutzen will. Ein Sturm der Entrüstung ging zunächst vor allem durch die Evangelische Kirche. Leibhaftige EKD-Vertreter und Hamburger HauptpastorInnen erklärten sich öffentlich in einer Art und Weise, die ohne weiteres als islamfeindlich verstanden werden konnte – und erfuhren dabei Sekundanz aus katholischen Kirchen- und konservativen Parteikreisen. So dauerte es nicht lange, bis rechtsextremistische und rassistische Organisationen auf diese Trittbretter aufsprangen. Am 23. März meldeten sie eine Demonstration unter dem Motto „Die Kirche im Dorf lassen“ an und wollten öffentlich gegen Muslime und ihr Anliegen der Umwandlung der Kapernaum-Kirche zu ihrem Gebetshaus polemisieren. Die im Ergebnis 17 dem Aufruf gefolgten Islamfeinde trafen hingegen auf 600 GegendemonstrantInnen. Bei deren Kundgebung hielt der Bürgerschaftsabgeordnete und ehemalige Hamburger Ver.di-Chef Wolfgang Rose einen Kundgebungsbeitrag, den wir hier abdrucken: 36 · 5/2013 · Der Schlepper Nr. 63 · www.frsh.de

Wolfgang Rose

Liebe HamburgerInnen und Hamburger, liebe Hornerinnen und Horner und vor allem: liebe Mitglieder der Al-NourGemeinde. Ich beginne nicht mit den rassistischen Hetzern von Rechts, denn sie sind nicht das Wichtigste an diesem Tag und an diesem Ort. Ich habe am Donnerstag im vollbesetzten Saal der Wichernschule die Veranstaltung des Islamischen Zentrums Al-Nour miterlebt. Ich habe erlebt, wie Pastor Kiersch von der Ev. Kirchengemeinde Horn die Menschen mit muslimischem Glauben als gute Nachbarn willkommen hieß und berichtete, dass der Kirchenvorstand seiner Gemeinde bereits im Dezember die Umwandlung der ehemaligen Kapernaum-Kirche in eine Moschee begrüßt habe. Ich habe erlebt, wie Pastor Kraack aus St. Georg, in dessen Stadtteil das Islamische Zentrum Al- Nour bisher in einer unterirdischen Großgarage sein religiöses Leben notdürftig organisieren musste, die Horner Bürger aufrief, die Einrichtung der Moschee als Chance für eine gemeinsame Zukunft zu verstehen und zu leben. Ich habe erlebt, wie ein Verantwortlicher der örtlichen Polizei, ein Wahlkreisabgeordneter und viele zukünftige Nachbarn mit Wortbeiträgen und Beifall zum Ausdruck brachten, dass sie mit der neuen Gemeinde und den Menschen, die in der Moschee ihre Religion leben wollen, in einem gutnachbarschaftlichen Verhältnis zusammen leben wollen. Und Ich habe erlebt, wie die Repräsentanten und aktiven Mitglieder


„Die sogenannte „Bürgerbewegung Pro Deutschland“ versucht antiislamische Haltungen, Vorurteile und Ängste für ihre rassistische Ideologie zu instrumentalisieren..“

der neuen islamischen Gemeinde ausführlich ihre Pläne offen legten und geduldig auf jede Frage eine Antwort gaben.

würde jetzt darunter leiden, dass diese wichtigen Ereignisse in seinem Leben jetzt einfach ausgestrichen würden.

Diese Veranstaltung hat gezeigt, dass die Mehrheit der Menschen hier in diesem Stadtteil friedlich und gut nachbarschaftlich zusammen leben will, dass sie vorhandene Ängste überwinden und Vorurteile abbauen will und dass sie die Moschee nicht als islamistischen Angriff auf das Christentum versteht, sondern als Chance für ein tolerantes Verhältnis zwischen den Religionen und Kulturen.

Erschrocken und entrüstet war ich über die Bemerkungen des katholischen Weihbischofs Jaschke, der solche „Missgeschicke“ für die Zukunft ausschließen will und die Austauschbarkeit von Kirche und Christentum mit dem Islam nicht für einen guten interreligiösen Dialog hält. Erschrocken und entrüstet war ich über die Christlich Demokratische Union in Hamburg, deren Sprecher Frank Schira bezweifelt, dass auf der Umwandlung „Segen liegt“ und empfiehlt, ein anderes Gebäude zu suchen.

Ich hatte am Ende dieser Veranstaltung ein starkes Gefühl: Ich war stolz, stolz auf unsere Mitbürger/-innen in Horn, stolz auf ihre humane und soziale Haltung, gegen Ausgrenzung und für Integration. Das haben wir in Hamburg schon oft genug anders erlebt – das war ein gutes Vorbild für unsere ganze Stadt und darüber hinaus, vielen Dank dafür, liebe Hornerinnen und Horner, liebe Mitglieder des Islamischen Zentrums Al-Nour. Ich spreche hier nicht als Bürgerschaftsabgeordneter, sondern als jemand, der erschrocken und entrüstet war über die ersten ablehnenden Reaktionen aus den christlichen Kirchen und der christlichen Partei in unserer Stadt und sich dann entschlossen hat, mit einem Aufruf gegenzuhalten und dabei viel Unterstützung erfahren hat. Erschrocken und entrüstet war ich über die Äußerungen des früheren Michel-Pastors Helge Adolphsen, der im Abendblatt von einem „Dammbruch“ sprach und am Donnerstag im Hamburg Journal erklärte, wer früher in der Kapernaum-Kirche getauft oder konfirmiert wurde oder dort geheiratet haben,

Ich bin mit meinem Aufruf unter dem Titel „Gotteshäuser sollen versöhnen, nicht spalten“ diesen rückwärtsgewandten und ausgrenzenden Auffassungen entgegen getreten. Es heißt darin: „.. die Steine von Kapernaum sind nicht muslimisch oder christlich. Es sind die Menschen, die sie dazumachen. Die Umwandlung eines früheren christlichen Gotteshauses in eine Moschee muss nicht als Bedrohung verstanden werden, sondern kann eine große Chance sein für Respekt und Toleranz zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften in unserer säkularen Stadt. Es liegt an uns, diese Chance mutig zu ergreifen. Wir brauchen nicht mehr Trennung, sondern mehr Dialog zwischen den Religionen und einen partnerschaftlichen Umgang mit religiöser und kultureller Pluralität in unserer Stadt. Kapernaum ist das, was wir daraus machen.“

Diskriminierung Abgeordnete, Wissenschaftler, Schriftsteller, Musiker und Gewerkschafter. Vor allem aber haben auch Menschen unterzeichnet, die sich mit der Kapernaum-Kirche verbunden fühlen, zum Beispiel, weil sie dort geheiratet oder an der Jugendarbeit teilgenommen haben. Die christlichen Kirchen und die selbsternannte christliche Partei in Hamburg werden von Repräsentanten vertreten, die in Religion und Politik konservative und rückschrittliche Positionen vertreten. Die Mehrheit in unserer Einwanderungsstadt will eine Zukunft, in der Menschen unterschiedlicher Religionen und religionsferne Menschen in gegenseitiger Toleranz und mit gegenseitigem Respekt zusammenleben. Das sollten auch die Konservativen in Kirche und Politik begreifen und ihre populistischen Abgrenzungsversuche ein für allemal einstellen. Zum Schluss zu dem Anlass, der zu dieser breiten Kundgebung heute geführt hat. Die sogenannte „Bürgerbewegung Pro Deutschland“ versucht, antiislamische Haltungen, Vorurteile und Ängste für ihre rassistische Ideologie zu instrumentalisieren. Sie hetzten und grenzen aus. Wo das endet, haben wir bei den NSU-Morden gesehen. Die Teilnehmer an der rechtsextremistischen Kundgebung sollen wissen: Wir dulden keine rassistische Hetze in Hamburg. Akzeptanz, Respekt und Wertschätzung sind die Grundlage für ein solidarisches gesellschaftliches Zusammenleben. Auch wenn es im demokratischen Spektrum unserer Kundgebung unterschiedliche politische Auffassungen gibt, stehen wir zusammen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, denn sie bedrohen das soziale und kulturelle Leben unserer Stadtgesellschaft. Bereits im Juni letzten Jahres haben wir gezeigt, dass wir in Hamburg dabei sind, eine Tradition des Widerstands gegen rechte Gewalt und fremdenfeindliche Aktionen zu entwickeln. Wer ausgegrenzt, diskriminiert und bedroht wird, den schützen wir und stellen uns den Rassisten entgegen. Das ist eine kulturelle Verpflichtung unserer Demokratie.

Diesem Aufruf haben sich zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens angeschlossen: Pastoren, Theaterintendanten, Professoren,

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Diskriminierung

Zwischen Gleichbehandlung und Diskriminierung Das Recht auf Religionsfreiheit am Arbeitsplatz „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet“ (Art. 4 GG)

Die Freiheit der Religionsausübung gilt als eine der großen Errungenschaften der Aufklärung und ist ein universelles Menschenrecht. Dieses Recht gilt auch nach dem deutschen Grundgesetz (GG), welches jeder anderen bundes- oder landesrechtlichen Norm im Rang vor geht. Für das Privatleben mag dies vielleicht zutreffen, in der Öffentlichkeit jedoch erfährt das Recht auf freie Religionsausübung in der Bundesrepublik einige Einschränkungen. Dies macht sich insbesondere in der Praxis des Arbeitslebens deutlich, wenn Interessenkonflikte zwischen religiösen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen auftreten. Dabei profitieren ArbeitgeberInnen in der Regel von dem im Arbeitsrecht verankerten Weisungsrecht (§106 BAG), mit welchem sie die „Ordnung und das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb nach billigem Ermessen bestimmen“ können. Darunter

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fallen zum Beispiel Kleidervorschriften. Ebenso können ArbeitgeberInnen auf Basis des optischen Neutralitätsprinzips ihren Angestellten das Tragen auffälliger religiöser Symbole untersagen.

„Gleich viel“ oder „gleich wenig“ Es bedarf es jedoch einer genauen Prüfung, ob die Regelungen zum Wohl aller MitarbeiterInnen – im Sinne einer Gleichbehandlung – dienen, oder ob es sich um eine Diskriminierung einer bestimmten Personengruppe handelt. Denn Ziel des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), welches 2006 eingeführt wurde, ist es, einen Interessenausgleich zwischen unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen zu finden, welcher dem Antidiskriminierungsgedanken entspricht. Wenn private ArbeitgeberInnen ein optisches Neutralitätsprinzip innerhalb ihrer Unternehmensphilosophie vorsehen, welche beispielsweise beinhaltet, dass MitarbeiterInnen sich mit eigenen religiösen und weltanschaulichen Bekenntnissen aus Rücksichtnahme auf anders denkende oder glaubende KollegInnen und KundInnen am Arbeitsplatz zurückhalten, so stellt dies keine Diskriminierung nach dem AGG dar, solange es sich auf alle Religionen und Weltanschauungen tatsächlich gleich auswirkt. Demnach gilt der Grundsatz „gleich viel“ oder „gleich wenig“.

Diskriminierung des Islams? Am häufigsten von Benachteiligungen betroffen sind ArbeitnehmerInnen muslimischen Glaubens. Immer wieder

Tanja Hinze studiert Diversity und Migration in Kiel

drehen sich die politischen und gesellschaftlichen Diskurse der letzten Jahre um die Frage, inwieweit der Glaube während der Arbeitszeit praktiziert oder sichtbar sein darf. Ist es Frauen erlaubt, ein Kopftuch zu tragen? Dürfen Gebetszeiten eingehalten werden? Kann auf den Umgang mit Schweinefleisch verzichtet werden? Dabei stellt sich die Frage, ob es um Religionen im Allgemeinen geht oder nur um den Islam. Ist der Islam durch die Verwirklichung des Gleichbehandlungsgedankens im Sinne von „gleich wenig“ sichtbaren Symbolen am Arbeitsplatz aufgrund des Neutralitätsprinzips mehr betroffen und damit stärker benachteiligt als andere Religionen? Laut einer Studie der Friedrich-EbertStiftung aus dem Sommer 2012 stimmten 27 % von 2.500 Befragten der Aussage, dass Muslimen und Musliminnen nicht die gleichen Rechte wie allen anderen eingeräumt werden sollten, voll und ganz und 30,1 % zumindest überwiegend zu. Ein Drittel der Bevölkerung ist regelrecht feindselig gegen den Islam eingestellt. Ebenso lässt sich vermuten, dass Muslime und Musliminnen aufgrund stereotyper Zuschreibungen häufig von mehrfacher Diskriminierung betroffen sind. Auch Personen, die zwar nicht muslimisch sind aber dafür gehalten werden können anhand ihrer (zugeschriebenen) ethnischen Herkunft, ihrer (zugeschriebenen) islamischen Religionszugehörigkeit und auch in Kombination mit anderen Charakteristika wie dem Geschlecht oder dem sozialen Status von Diskriminierung und Ausgrenzung betroffen sein. So zum Beispiel das Bild der „kopftuchtragenden, unterdrückten, bildungsfernen Frau“ oder des „muslimischen, gewaltbereiten Machos“.


Diskriminierung

„Negative Zuschreibungen wie in dieser Form betreffen zuzeit keine andere Religion so stark wie den Islam.“

Solchen kollektiven Zuschreibungen soll durch das AGG entgegengewirkt werden. Negative Zuschreibungen wie in dieser Form betreffen zurzeit keine andere Religion so stark wie den Islam. Welche Religion oder Weltanschauung jedoch gerade quantitativ im Vordergrund steht und „populär“ ist, hängt immer von gesellschaftlichen Trends ab. Wenn heutzutage das islamische Kopftuch bei den Beratungsfällen zum AGG an erster Stelle steht, so hätten beispielsweise in den 1970er Jahren marxistische weltanschauliche Symbole wie der Rote Stern oder Che-Guevara-Shirts im Sog der 1968er Bewegung für weit mehr Aufsehen gesorgt als religiöse Kleidungsstücke. Demnach ist der Vorwurf, dass das

Neutralitätsprinzip den Islam benachteiligt nicht gerechtfertigt, da es grundsätzlich alle gleichermaßen betrifft. Allerdings sind nicht alle gleichermaßen davon betroffen. So ist z. B. das Verbergen religiöser Symbole bei einer Kette mit einem christlichen Kreuz deutlich einfacher, als das Verbergen eines Kopftuches.

Rechtliche Diskriminierung durch Landesschulgesetze Etwas anders sieht es im öffentlichen Dienst aus. So entscheiden spezielle Landesschulgesetze darüber, ob es Lehrerinnen erlaubt ist, ein Kopftuch während der Arbeitszeit zu tragen oder

„Islamfeindlichkeit Gegenstrategien und Handlungsbedarfe in Schleswig-Holstein“ Dienstag, 21. Mai 2013, 19 Uhr, Landeshaus Kiel, Schleswig-Holstein Saal Podiumsdiskussion mit: • MdL Anita Klahn, FDP • MdL Serpil Midyatli, SPD • MdL Eka von Kalben, B 90/DIE GRÜNEN • MdL Astrid Damerow, CDU • MdL Lars Harms, SSW • MdL Wolfgang Dudda, DIE PIRATEN • MdB Raja Sharma, Die Linke Bei der Podiumsdiskussion sollen mit Blick auf islamfeindliche Diskriminierungstatbestände Gegenstrategien und Handlungsbedarfe für Schleswig-Holstein sondiert werden.

nicht. Kopftuchverbote gelten in Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Thüringen und dem Saarland. Jedoch werden in keinem der Gesetze Kopftücher ausdrücklich benannt. Zum Teil verstoßen diese Gesetze eindeutig gegen das vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich betonte Gebot der völligen Gleichbehandlung der Religionen. Länder wie Baden-Württemberg oder Bayern zielen klar auf die Dominanz des Christentums in der nur theoretisch neutralen Schule ab – wonach die „Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen nicht dem Verhaltensgebot nach dem Neutralitätsgebot widerspricht“. Andere Länder argumentieren mit einer „Gefährdung des Schulfriedens“ durch „politische, religiöse, weltanschauliche oder ähnliche äußere Bekundungen“. Eine Ausnahme bildet Berlin, wo ein Totalverbot aller religiöser Symbole im öffentlichen Dienst besteht – in anderen Orten hat die Idee, auch die christlichen Kreuze aus den Schulen zu verbannen zu großen Debatten geführt. SchleswigHolstein hatte im Januar 2007 die Absicht, ein Kopftuchverbot einzuführen, entschied sich 2008 jedoch dagegen.

PolitikerInnen der im Kieler Landtag und Bundestag vertretenen Parteien werden dazu die ihres Erachtens zielführenden Ansätze vorstellen. Sozial-, ordnungs-, arbeitsmarkt- und integrationspolitische Handlungsbedarfe zur Bekämpfung von Islamfeindlichkeit und der Vorschlag eines Antidiskriminierungskonzepts für das Bundesland werden zur Diskussion gestellt. Anmeldung bitte beim Landesflüchtlingsbeauftragten: fb@landtag.ltsh.de. Weitere Informationen zur Islam-Veranstaltungsreihe auf www.frsh.de Mit dieser Podiumsdiskussion geht eine halbjährige Veranstaltungsreihe zu „Islamfeindlichkeit“ zuende. Die Reihe wurde veranstaltet von: Flüchtlingsrat SchleswigHolstein e.V. - Landesbeauftragter für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen Schleswig-Holstein - Rosa Luxemburg Stiftung Schleswig-Holstein PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband Schleswig-Holstein - Antidiskriminierungsverband Schleswig-Holstein Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein - Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein - Deutscher Gewerkschaftsbund Region Kern. Kontakt: T. 0431 - 735000.

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Diskriminierung

Ein Scheitern zur besten Sendezeit Emran Feroz ist Autor und Blogger, der über den Nahen Osten, Islam und Migration schreibt. Er veröffentlichte unter anderem in renommierten Medien wie „zenith-online“, „Freitag“ oder der „jungen Welt“.

Die so genannte IslamDebatte scheint eine unendliche Geschichte zu sein. Nachdem vergangene Woche wieder Razzien gegen „Salafisten“ stattgefunden haben und mehrere Personen verhaftet wurden, haben die deutschen Medien ein weiteres Mal ihr Fressen gefunden. Von objektiven und seriösen Diskussionen kann keine Rede sein. Zeuge eines neuen Tiefpunkts konnte man unter anderem bei Günther Jauch werden.

Islamkritik – getarnter Fremdenhass, Doppelmoral und Pauschalisierungen „Islamkritik“ ist ein merkwürdiges Wort. Der Begriff „Christentumskritik“ existiert gar nicht. Etwas derartiges in Bezug auf das Judentum würde man wohl zu Recht als Antisemitismus bezeichnen. Beim Islam ist das anders, es ist alles erlaubt. In Deutschland gehen selbst die krudesten Hasstiraden, wie man sie in zahlreichen fremdenfeindlichen und anti-islamischen Blogs lesen kann, als „Islamkritik“ durch. Auf die Betreiber solcher Seiten konzentrieren sich politische Organe wie der Verfassungsschutz oder das Innenministerium so gut wie gar nicht. Tatsächlich ist eher das Gegenteil der Fall: Die Betreiber der islamfeindlichen Webseite PI-News bezeichnen sich sogar als „verlängerter Arm des Verfassungsschutzes”, da sie vor einer „realen Bedrohung“ warnen.

Handeln der Politik steht aus Ein Handeln seitens der Politik gegen derartige Blogs und Webseiten gab es bis jetzt nicht. Die Bundesregierung meinte nach einer Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke im Jahr 2011, dass PI, eigentlich „Politically Incorrect“, nicht rechtsextremistisch sei, sondern lediglich „islamkritisch“. Des Weiteren war man der Meinung, dass ausschließlich im Kommentar-Bereich des Internetportals hetzerische und fremdenfeindliche Passagen zu finden seien. Ein Blick in PI-News beweist jedoch das Gegenteil. Auf der Seite wird nicht der Islam kritisiert, sondern ausschließlich Hass geschürt. Die dortigen Autoren werfen nur mit Pauschalisierungen und Ressentiments gegen „das Fremde“ und gegen Muslime um sich. Man stelle sich vor, PI-News würde vorgeben sich mit dem Judentum zu

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beschäftigen, anstatt mit dem Islam. Man würde nicht mehr über fanatische Mullahs und Ehrenmorde berichten, sondern über homophobe Rabbis und den Burka-Frauen von Jerusalem. Der Aufschrei wäre wahrhaftig groß. Die Bundesregierung würde nicht kleinlich nach „Salafisten“ suchen, sondern PI den Garaus machen. Stattdessen wird gegenwärtig nicht gehandelt. PI-News hat in diesem Fall eine Ausrede, die leider von der breiten Masse akzeptiert wird. „Wir haben nichts gegen die Muslime in unserem Land, sondern sind ausschließlich gegen den Islam, den wir als totalitäre und faschistische Ideologie betrachten.“ Es ist schwer vorstellbar, dass diese Aussage akzeptabel wäre, wenn es sich um Juden oder eine andere Religionsgemeinschaft handeln würde.

„Helden“ und gefeierte Dauergäste Islamfeindliche Blogs haben auch ihre „Helden“, die sie immer wieder hochleben. Unter ihnen sind Henryk M. Broder, auf den sich sogar der Terrorist Anders B. Breivik bezog, aber auch Personen wie Necla Kelek oder Güner Balci. Auch über sogenannte „Islamaussteiger“ wie Barino Barsoum oder Sabatina James wird gerne berichtet. Barsoum und Balci waren auch bei Günther Jauch* eingeladen. Während Barsoum unter anderem von geköpften Küken sprach, zog es Balci vor, permanent zu pauschalisieren und griff den anwesenden Imam, der im Laufe der Sendung zum Sündenbock wurde, immer wieder verbal an. Ein weiterer Gast, der ebenfalls von der genannten Szene gefeiert wird, ist der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. Dieser beschwert sich immer wieder über die


Diskriminierung

„In Deutschland gehen selbst die krudesten Hasstiraden, wie man sie in zahlreichen fremdenfeindlichen und anti-islamischen Blogs lesen kann, als „Islamkritik“ durch.“

Situation von Christen in Saudi-Arabien. Zum gleichen Zeitpunkt verliert er kein Wort über die Panzerlieferungen seiner Regierung dorthin. Selbiges kann man übrigens auch in Bezug auf den SyrienKonflikt beobachten. Die „syrische Opposition“, in der man zahlreiche Fanatiker und Radikale findet, wird unter anderem auch von Deutschland unterstützt. Zum gleichen Zeitpunkt beschwert man sich hierzulande über die „Salafisten“. Diese sind – einfach ausgedrückt – in Syrien hui und in Deutschland pfui.

Talkshows ohne konstruktive Beiträge Tatsächlich ist der Ablauf in allen Talkshows, bei denen es um den Islam geht, gleich. Es sind immer wieder dieselben Gäste, sei es nun bei Maischberger oder Jauch, die eine objektive Diskussion vermeiden, indem sie die anderen Anwesenden permanent unterbrechen und diffamieren. Die Moderatoren verlieren meistens nicht nur die Kontrolle, sondern zeigen sich ebenfalls uninformiert und pauschalisierend. Dies war auch bei Jauch der Fall, als er unter anderem feststellte, dass Barsoum nur „für Muslime todenwürdig sein“.

Antirassismuskonvention der UNO rügt Deutschland Nach einem im Herbst 2009 erschienenen Interview des ehemaligen Bundesbankers und Berliner Wirtschaftssenators Thilo Sarrazin in der Zeitschrift Lettre International hatte der Türkische Bund Berlin (TBB) Strafantrag wegen Volksverhetzung und Beleidigung gestellt. In dem Interview hatte Sarrazin behauptet, ein Großteil der in Berlin lebenden TürkInnen habe „keine produktive Funktion“ außer für den Obst- und Gemüsehandel. Sie seien „weder fähig noch willens“ zur Integration und hielten an einer kollektiven, traditionellen und aggressiven Mentalität fest. Sarrazin erklärte, die Türken würden Deutschland mittels ihrer höheren Geburtenrate erobern, so wie die Kosovaren das Kosovo. Er hätte nichts dagegen, wenn es sich nicht um Türken, sondern um osteuropäische Juden handeln würde, die einen 15 Prozent höheren Intelligenzquotienten als die Deutschen hätten.

Derartige Sendungen leisten absolut keinen produktiven Beitrag. Obwohl immer wieder einige Personen wie Yassin Musharbash und andere Kenner des Nahen Ostens versuchen, die Debatte zu ihrem ursprünglichen Thema zu führen, gewinnen die „Islam-Basher“ meistens die Überhand. Dies führt nur dazu, dass sich die zahlreichen integrierten Muslime entfremden, denn sie werden mit einer radikalen Minderheit, mit der sie nichts zu tun haben möchten, in einem Topf geworfen. Die Profiteure sind hauptsächlich jene „Islamkritiker“, die ihren Fremdenhass als seriöse Religionswissenschaft tarnen. Andere wie Kelek und Balci wollen damit ihre eigene Person ins Rampenlicht rücken und so auf sich aufmerksam machen. Das Ganze ist jedoch von einer objektiven Kritik an einer Weltreligion weit entfernt. Erstveröffentlichung des Artikels in seinem Blog http://pakhtunkhwa911. wordpress.com/ und in der Islamischen zeitung (www.islamische-zeitung. de/?id=16585).

„die Ideologie rassischer Überlegenheit und von Rassenhass verbreitet“ und zu „rassistischer Diskriminierung angestiftet“, stellte das CERD fest. Mit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft „hat Deutschland seine Verpflichtung aus der Antirassismuskonvention verletzt, eine eventuelle Gefährdung des öffentlichen Friedens effektiv zu untersuchen“, moniert der UN-Ausschuss. Die nationale Gesetzgebung Deutschlands entspreche nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der Antirassismuskonvention. Zudem wird Berlin „aufgefordert“, das Urteil des CERD „breit zu veröffentlichen und es „insbesondere den Staatsanwaltschaften und Gerichten bekannt zu machen“. Der UN-Ausschuss erwartet binnen 90 Tagen einen Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung seiner Empfehlung. Die Entscheidung vom Committee on the Elimination of Racial Discrimination (CERD) im Wortlaut: www2.ohchr.org/ English/bodies/cerd/docs/CERD-C-82-D-48-2010-English.pdf Quelle: TAZ, 17.4.2013

Die Staatsanwaltschaft Berlin verhinderte eine Anklageerhebung. Jedoch mit diesen Aussagen habe Sarrazin

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Schleswig-Holstein

„Leute, kommt zu uns!“

Verena Stauber ist Mitglied bei JoG Schleswig-Holstein und lebt in Kiel.

Jugendliche ohne Grenzen (JoG) ist ein im Jahr 2005 bundesweit gegründeter Zusammenschluss von jugendlichen Flüchtlingen und ihren Freund_innen, wobei es mehrere regionale Gruppen gibt. JoG Schleswig-Holstein hat sich im Mai 2012 neu gegründet und macht sich seitdem für die Rechte von Flüchtlingen stark.

Jugendliche ohne Grenzen – Schleswig-Holstein Die Neugründung von JoG wurde vor wenigen Monaten durch die Initiative von lifeline e. V. (Vormundschaftsverein für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e. V.) und einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin von lifeline e. V. in Gang gebracht. JoG war vielen zunächst unbekannt: „Das war alles neu für mich. Vorher wusste ich nicht, dass man sich als Flüchtling engagieren kann. Ich finde es gut, dass sich JoG in die Politik einmischt und Flüchtlinge sich hier für ihre eigenen Rechte stark machen“, sagt Shafiq, der seit Beginn mit dabei ist. Omid ist ebenfalls seit Mai aktiv: „Ich habe damals noch nicht so gut Deutsch gesprochen und nicht alles verstanden. Aber das, was ich verstanden habe, hat mich beeindruckt. Das politische Engagement der Jugendlichen finde ich toll.“ Zum ersten Mal von JoG gehört haben die beiden jungen Menschen auf der Tagung „Gesellschaftliche Teilhabe und Selbstorganisation von

jungen Flüchtlingen durch freiwilliges Engagement fördern“ der Stiftung MITARBEIT, die im November 2011 stattfand.

Eine vielfältige Gruppe Die Gruppe wächst seit ihrer Gründung und mittlerweile konnten durch verschiedene Aktionen schon mehr als 30 Jugendliche in Schleswig-Holstein angesprochen werden, die sich mal mehr, mal weniger bei JoG engagieren. Aber eine vielfältige Gruppe, wie JoG SchleswigHolstein es ist, muss zuerst auch nach innen zusammenwachsen: „Beim ersten Treffen haben wir uns erst mal kennengelernt. Vor allem ging es darum, sich aufeinander einzustellen und den Jugendlichen eine Idee davon zu geben, was JoG überhaupt ist“, sagt Omid. Nach Sprachschwierigkeiten und nur wenigen Aktiven am Anfang hat sich die Arbeit von JoG mittlerweile gewandelt: „Ich gehe gerne zu JoG-Treffen – auch wenn es mit viel Arbeit verbunden ist, haben wir gemeinsam immer Spaß. Bisher war es so, dass bei jedem Treffen immer zwei oder drei neue Leute dabei waren. Das macht Mut für die Zukunft“, fügt er hinzu. Shafiq ergänzt: „Wir sind hauptsächlich Leute aus Afghanistan, Somalia, Iran und Deutschland. Einige haben schon Erfahrungen mit politischer Arbeit, andere sind ganz neu dabei.“ JoG steht prinzipiell für den Grundsatz, dass Betroffene eine eigene Stimme haben und selbst entscheiden, welche Aktionsformen sie wählen und wie sie diese durchführen. Die nördlichste JoG-Gruppe war bisher vor allem auf Kulturveranstaltungen in Kiel vertreten, wo sie über die Situation von jungen Asylsuchenden und die Notwendigkeit

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„JoG steht prinzipiell für den Grundsatz, dass Betroffene eine eigene Stimme haben und selbst entscheiden, welche Aktionsformen sie wählen und wie sie diese durchführen.“ eines großzügigen Bleiberechts berichtete. Die Teilnahme an einem antirassistischen Fußballturnier, eine BriefeAktion zur Bildung(s)LOS-Kampagne und das Kochen von afghanischen und iranischen Speisen für verschiedene Veranstaltungen gehörten bisher ebenfalls zu dem selbst gewählten Repertoire. Die Jugendlichen kommen damit gut an: Kulturveranstalter_innen in Kiel haben die JoGler_innen schon öfter auf Gästelisten setzen lassen. Jugendlichen Flüchtlingen wird damit der kostenlose Besuch von Konzerten ermöglicht, was sie sich sonst nur schwer hätten finanzieren können.

Politische Arbeit gegen Rassimus Was die politische Arbeit von JoG anbelangt, ist vor allem die Teilnahme der Gruppe am Aktionstag REFUGEES WELCOME am 22. September 2012 in Kiel zu nennen. JoG-Sprecher Shafiq war an dem Tag auch auf der Bühne: „Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben eine Rede vor so vielen Menschen gehalten und ich war vorher sehr aufgeregt. Als ich auf der Bühne stand und die Rede gehalten habe, konnte ich sehen, dass die Menschen sehr ergriffen waren. Manche haben geweint, haben sie mir später erzählt. Das war ein komisches Gefühl, aber dann wusste ich, dass meine Rede die Herzen der Menschen berührt hat.“ Für ihn ist es klar, warum die Arbeit von JoG weitergehen muss: „Die Politik in Deutschland muss sich ändern: Migrant_ innen, vor allem Asylsuchende, sind hier oft durch rassistische Gesetze eingeschränkt und benachteiligt. Aber auch in der Gesellschaft muss sich was ändern. Ich kenne hier viele nette Leute, aber eben auch Leute, die Vorurteile gegenüber Flüchtlingen haben und das lassen sie dich dann auch deutlich spüren.“

Jugendkonferenz teilgenommen, die sich dieses Jahr in Rostock-Warnemünde ereignete. Die Konferenz findet einmal jährlich, immer parallel zur Innenministerkonferenz, statt und feierte unter dem Motto „Recht auf Bleiberecht! Dulden heißt beleidigen“ dieses Jahr ihr 10jähriges Jubiläum. Jedes Jahr wird dort auch der „Abschiebeminister des Jahres“ gewählt. Der Negativpreis „Abschiebeminister 2012“ ging an Hans-Peter Friedrich, der mit seiner inhumanen Abschiebepolitik gegenüber Roma aus Serbien und Mazedonien für Unmut gesorgt hatte. Auf der Konferenz wurden außerdem auch drei Initiativen ausgezeichnet, die sich für die Rechte von Flüchtlingen in Deutschland einsetzen. Ein Preis ging an eine Lehrerin aus Flensburg, die die Abschiebung eines afghanischen Schüler verhindern konnte.

Planungen weiterer Projekte Die Jugendlichen von JoG SchleswigHolstein sind derweil wieder zurück aus Rostock und bereiten schon ihr näch-

Schleswig-Holstein stes Projekt vor: eine Städtetour durch Schleswig-Holstein. Sie wollen durch ihr Bundesland reisen – getreu dem Motto „Bewegungsfreiheit ist Menschenrecht!“. Hintergrund: Seit dem 27. Mai 2011 dürfen sich Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge in ganz Schleswig-Holstein frei bewegen. Das ist ein Fortschritt, aber noch nicht genug. Auf der Tour machen jeweils fünf Jugendliche von JoG in einer Stadt Halt und treffen sich dort mit Menschen vor Ort. Bisher ist ein Besuch in den Städten Flensburg, Lübeck, Neumünster und Rendsburg geplant. Die Jugendlichen werden dort gleichaltrige MigrantInnen nach ihren Träumen, Hoffnungen, Ängsten und ihren Erfahrungen mit Rassismus befragen. Die Ergebnisse der Tour werden in einem Faltblatt festgehalten. Das Projekt wird durch die Starthilfeförderung der Stiftung MITARBEIT finanziert. Die Hoffnung, die Shafiq für die neue JoG-Gruppe in Schleswig-Holstein hat, ist klar: „Ich wünsche mir, dass wir weiter wachsen und noch mehr junge Menschen sich für Politik interessieren. Es geht schließlich auch um ihre eigenen Rechte, um ihre Zukunft. Von alleine kommen die Innenminister nicht auf die Idee, eine humane Bleiberechtsregelung zu machen. Außerdem macht Engagement auch einfach Spaß. Leute, kommt zu uns!“ Kontakt: JOG Schleswig-Holstein c/o lifeline, Sophienblatt 64a, 24114 Kiel, www.jog-sh.de Mail: jog.schleswig-holstein@web.de

Inzwischen haben die Aktiven der Gruppe auch an ihrer ersten JoG-

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Schleswig-Holstein

„Zwei Seiten, aber eine Medaille.“

Andreas Breitner ist Innenminister von Schleswig-Holstein.

Auszüge aus der Rede des Kieler Innenministers Andreas Breitner zur künftigen Flüchtlings- & Integrationspolitik am 15. April 2013 in Neumünster.

DOKUMENTATION Wie vielfältig das Migrationsgeschehen inzwischen aufgestellt ist, können wir Tag für Tag der Berichterstattung in den Medien entnehmen. Nach Jahren rückläufiger Asylbewerberzugänge steigen die Zahlen wieder deutlich an. Zahlreiche Roma verlassen ihre Heimat in Bulgarien, Rumänien und dem Balkan, um in Deutschland Schutz und eine Zukunft zu finden. Neben den hinreichend bekannten Krisenregionen Afghanistan und Irak ist zuletzt die Zahl der Flüchtlinge aus der Bürgerkriegsregion Syrien dramatisch angestiegen. Wir werden abwarten müssen, wie es mit der Flüchtlingspolitik in Deutschland insgesamt weitergehen wird. Die zu bewältigenden Aufgaben werden sicher nicht weniger. Auch in zehn oder zwanzig Jahren werden in Europa Flüchtlinge auf der Suche nach einer besseren Zukunft sein. (...) Die Flüchtlings- und Integrationspolitik sind zwei Politikfelder, die wir nicht länger isoliert voneinander behandeln dürfen. Diese Landesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, Flüchtlings- und Integrationspolitik stärker als bisher zu verzahnen. Flüchtlings- und Integrationspolitik gehören für uns zusammen: Zwei Seiten, aber eine Medaille. Die Verteilungsentscheidungen des Landesamtes und die konkrete Art und Qualität der Unterbringung vor Ort sind wichtige Bausteine auf dem Weg zu einer flüchtlingsfreundlichen Integrationspolitik. Und es gibt weitere flüchtlings- bzw. integrationspolitischen Themen, die aus unsrer Sicht angegangen werden müssen. Nach den

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Regelungen des Asylverfahrensgesetzes dürfen Schutzsuchende bislang während des Aufenthaltes in einer Aufnahmeeinrichtung keine Erwerbstätigkeit ausüben. Aber auch nach der Verteilung auf die Kreise und kreisfreien Städte müssen die betroffenen Ausländerinnen und Ausländer noch den Ablauf des ersten Jahres ihres Aufenthaltes in Deutschland abwarten, bevor sie eine Arbeit aufnehmen können. Das europäische Parlament und der Rat befinden sich derzeit im Endstadium ihrer langjährigen Verhandlungen zu einem gemeinsamen europäischen Asylsystem. In diesem Zusammenhang wird auch die sogenannte Aufnahmerichtlinie neugefasst. In dieser Richtlinie wird die Wartezeit bis zu einer Arbeitsaufnahme voraussichtlich auf neun Monate reduziert. Aus meiner Sicht könnte die Frist weiter reduziert werden. Die Landesregierung hält darüber hinaus eine weitere Verringerung der Wartezeit bis zum Auszug aus der Aufnahmeeinrichtung für unproblematisch. Wir werden uns daher spätestens im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie in nationales Recht für eine entsprechende Ausgestaltung einsetzen. Sobald die Flüchtlinge auf die Kreise und kreisfreien Städte verteilt sind, sollten sie die Möglichkeit haben, sich um eine reguläre Arbeit zu bemühen. Asylbewerber mit eigenem Erwerbseinkommen entlasten nicht nur die Sozialkassen der Kommunen. Sie nehmen auch Einheimischen keinen Arbeitsplatz weg, denn die Arbeitsvermittlung muss freie Stellen weiterhin zunächst deutschen Staatsbürgern anbieten Diese Frage


„Die Landesregierung setzt sich für eine Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und eine Überführung der Leistungsempfänger in die Sozialgesetzbücher II und XII ein.“

eignet sich daher nicht für billige ausländerfeindliche Ressentiments. So mancher Stammtisch sollte sich da umstellen und an die Wirklichkeit anpassen. In der Frage des Leistungsrechts für Personen mit einem ungesicherten Aufenthaltsstatus setzt sich die Landesregierung für eine Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes und eine Überführung der Leistungsempfänger in die Sozialgesetzbücher II oder XII ein.

Auch in der Frage des Vorrangs des Sachleistungsprinzips liegen Bund und Land auseinander. Der generelle Vorrang der Gewährung von Sachleistungen bei den Grundleistungsempfängern geht an der Lebenswirklichkeit vorbei. Hinzu kommt, dass das Verfahren eine Entmündigung der Leistungsempfänger darstellt, die inakzeptabel ist. (...) Auch bei der räumlichen Beschränkung des Aufenthaltes von Schutzsuchenden ist

Schleswig-Holstein die Landesregierung bereits der Intention des Koalitionsvertrages gefolgt. (...) Erlaubnisfreie Aufenthalte über Ländergrenzen hinweg erlaubt das Asylverfahrensgesetz bereits seit 2011 insoweit, als Länder das mittels entsprechender Rechtsverordnungen festlegen können. Gespräche mit Hamburg, Nieder­ sachsen und Mecklenburg-Vorpommern zur Schaffung einer gemeinsamen Regelung sind bislang allerdings erfolglos geblieben. Ich denke jedoch, dass sich zumindest mit dem Land Niedersachsen demnächst eine gemeinsame Sichtweise herstellen lässt. (...)

Die Rede hielt Innenminister Breitner anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Landesamtes für Ausländerangelegenheiten in Neumünster. Das vollständige Manuskript ist beim Flüchtlingsrat erhältlich: office@frsh.de, T. 0431-735 000

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Literatur

Nichts Neues zur politischen Bildung

Reinhard Pohl iar freier Journalist und lebt in Kiel.

Wenn über rechte Ideologie geschrieben oder gesprochen wird, wird „Rechtsextremismus“ und „Fremdenfeindlichkeit“ oder auch „Ausländerfeindlichkeit“ oft als Synonym benutzt, obwohl es das nicht ist. Der Autor dieses Buches schreibt stattdessen über Rechtsextremismus und Ethnozentrismus. Denn für ihn ist nicht die Szene rechter Gewalttäter das Problem, sondern die „normalen Vorurteile“ in der Mitte der Gesellschaft.

Beine gestellt worden wäre. Aber: Es passierte so gut wie nichts. Im Gegenteils, die immer neuen Meldungen aus den Sicherheitsbehörden über die Vernichtung von Unterlagen, die immer wieder an Licht kommenden Informationen über den laschen Umgang von Polizei und Verfassungsschutz mit rechter Gewalt zeigen eher, dass es keinen „Ruck“ in dieser Gesellschaft gibt, Ethnozentrismus nicht wirklich als Problem und Aufgabe für die politische Bildung verstanden wird.

Dagegen, so der Autor, hilft politische Bildung. Und diese, so eine seiner Thesen, sei in der Krise. So wäre es logisch gewesen, wenn nach dem Massenmord Breiviks in Norwegen und der Mordserie des NSU in Deutschland, die beide 2011 die Öffentlichkeit erschütterten, die politische Bildung auf bessere

Der Autor berichtet von Umfragen bei Bildungsträgern. Sie wurden bundesweit befragt, welche Themenbereiche für sie wichtig oder sehr wichtig sind. Themenbereiche wie Rechtsextremismus oder Fremdenfeindlichkeit landeten immer auf den ersten Plätzen. Die gleichzeitige Auswertung der Programme, der Seminarangebote und Vorträge dieser Bildungsträger zeigen dann aber, dass genau diese Themen weit hinten landen. Und das liegt eben daran, dass fast alle Einrichtungen auf Zuschusse angewiesen sind – und die meisten Geldgeber wollen offensichtlich nicht, dass die politische Bildung gegen Ethnozentrismus in einem größeren Stil stattfindet. So ist zumindest die Vermutung des Autors, denn die zitierten Untersuchungen haben die Ursache für das Auseinanderklaffen zwischen zugewiesener Bedeutung und tatsächlichem Vorkommen des Themas in den Programmen nicht untersucht. Schließlich fasst der Autor noch Ergebnisse verschiedener Untersuchungen über das Entstehen von Ethnozentrismus in der Mitte der Gesellschaft zusammen. So wird der Zusammenhang zwischen Erziehungsstil und Fremdenfeindlichkeit, ebenso der

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Zusammenhang mit dem Bildungsniveau dargestellt. Das Buch ist leider völlig uninspiriert geschrieben. Alle Inhalte werden ordentlich vorgestellt und gut zusammengefasst, aber so brav geschrieben, dass man überhaupt nicht weiß, warum der Autor das Buch geschrieben hat und was er eigentlich damit erreichen will. Klaus Ahlheim: Rechtsextremismus, Ethnozentrismus, Politische Bildung. Offizin Verlag, Hannover 2012, 99 Seiten, 9,80 Euro


Literatur

Flucht und Ankunft in Deutschland Reinhard Pohl iar freier Journalist und lebt in Kiel.

Drei Brüder aus dem Iran beschreiben in diesem Buch ihre Flucht, vor allem aber das Ankommen in Deutschland. Masoud und Mojtaba, Zwillinge, gingen in die fünfte, der Bruder Milad in die vierte Klasse, als die Mutter sie Hals über Kopf aus der Wohnung mitnahm und sie in Teheran bei einer Freundin der Mutter unterschlüpften. Dort warteten die Kinder darauf, schnell in die Schule zurückzudürfen, und bekamen erst später mit, dass die Mutter falsche Pässe besorgte, die Flucht nach Hannover organisierte. Die drei erzählen in diesem Buch reihum, jeder Bruder aus der eigenen Perspektive, wie sie diese Flucht und die Ankunft in Deutschland erlebten. In Deutschland beantragte die Mutter Asyl – und die ganze vierköpfige Familie wurde vollkommen unerwartet für sie weggeschickt nach NordrheinWestfalen. Hier lebten sie erst in einer Landesunterkunft, dann in einer Kreisunterkunft für Flüchtlinge. Die Stimmung schwankt – das Flüchtlingsheim ist erbärmlich, weit unter dem gewohnten Standard aus dem Iran, aber schnell kommt der Kontakt mit einer Initiative zustande, vor allem Christa kennen, die die Familie jetzt unterstützt. Erst jetzt beginnt die Mutter, über die wir in diesem Buch schon viel erfahren haben, den drei Jungs von ihrem verborgenen Leben, ihrem politischen Engagement im Iran zu erzählen. Denn im Flüchtlingsheim haben die Kinder Heimweh, und die Mutter muss ihnen ausführlich erklären, dass es für sie lebensgefährlich ist, zurückzukehren. So beginnen die drei Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, sich mit dem Leben in Deutschland zu arrangieren. Sie organisieren Farbe, um das Zimmer im Flüchtlingsheim zu streichen. Sie freunden sich in der Schule mit anderen an, besuchen sie auch und vermeiden es, Gegenbesuche zu erhalten. Das dürfen nur später die „besten Freunde“.

Später kommt der Vater nach, auch er hat die Flucht organisieren können. Für die drei Jungs ein Schock, denn am Tage des Wiedersehens erfahren sie, dass die Mutter mit der alleinigen Flucht auch die Trennung vom Ehemann besiegeln wollte, was dieser aber nie akzeptiert hat. So erleben die drei nach einer kurzen Freunde über das Wiedersehen einen heftigen Streit der Eltern – und stellen sich dann doch alle drei auf die Seite der Mutter. In der nächsten Zeit dauert der Konflikt an, denn der Vater besucht die Kinder im Flüchtlingsheim, gegen den Willen der Mutter. Als er zur Tür reinkommt, sehen sie gerade ihre Lieblingsserie, „Xena, die Kriegerprinzessin“ – und müssen sich eine Standpauke über ihre verdorbenen Sitten, insbesondere aber die ihrer Mutter anhören. Der endgültige Bruch ist nicht mehr weit, da nützt es nichts, dass der Vater es bei der Mutter auch noch mal mit Blumen und Schokolade versucht. Doch damit ist auch klar, dass die drei Jungs sich jetzt nicht nur schützend vor die Mutter stellen, sondern auch kraftvoll ihren Weg suchen. Alle drei schaffen es, teils entgegen den Empfehlungen von Lehrern, aufs Gymnasium zu kommen. Insbesondere die Mutter, die in dem Buch selbst kaum zu Wort kommt, allerdings in den Erzählungen der drei fast immer präsent ist, treibt das auch voran. Und so bauen sie sich Schritt für Schritt ihr leben auf – bis zu dem Katastrophentag, an dem das Verwaltungsgericht ihren Asylantrag endgültig ablehnt, weil der Richter der Mutter nicht glaubt. Noch größer ist der Schock für die drei, als die Mutter kurz darauf eine Überdosis Tabletten nimmt. Es endet glimpflich, aber jetzt schließen die drei einen Pakt mit der Flüchtlingshilfe, hier zu bleiben. Jetzt werden die Erzählpassagen rechtlich konkreter, wir erfahren etwas über die Residenzpflicht, das Asylbewerberleistungsgesetz, die Härtefallregelung. Man merkt, die drei kommen in ein Alter, in dem sie ihre Situation nicht nur verstehen, sondern auch aktiv beeinflussen können. Erst später bekommen wir auch Andeutungen davon, dass wohl die ganze Schule Anteil

nimmt, der Kampf um das Bleiberecht nicht alleine von der Familie und einigen Unterstützern ausgefochten wird. Am Ende stehen ein Bleiberecht und drei Elite-Universitäten, zusammen mit Stipendien, so dass jetzt der Aufstieg in die Führungsschicht Deutschlands ausgemachte Sache scheint. Mojtaba ist es, der das letztlich so nicht akzeptieren will: An seiner EliteUniversität werden alle nur noch auf Leistung gedrillt, ihnen wird gezielt beigebracht, dass die „anderen“ eben Pech gehabt haben, man sich auch um die Studenten und Auszubildenden außerhalb der Elite keine Gedanken machen sollte. Er gibt ein kritisches Interview über die Universität „WHU - Otto Beisheim“, er erwähnt, dass Otto Beisheim zwar ein reicher Stifter ist, aber während des Krieges zur Leibstandarte Adolf Hitler gehörte, einer SS-Spezialeinheit. Er bricht schließlich sein Studium ab, um ein normaler Mensch zu bleiben – was ihm sicherlich gelingen wird, genauso wie den Brüdern und der Mutter. In der Presse wurde das Buch teilweise unter dem Aspekt gefeiert, wie nützlich doch diese intelligenten Jugendlichen für Deutschland ist, wie vorschnell doch die Ablehnung des Asylantrages. Das wird dem Buch überhaupt nicht gerecht, denn das ist nicht die Intention der Autoren, sondern höchstens der Journalisten, die darüber schreiben. Die drei Brüder wollen, dass die berechtigten Asylgründe ihrer Mutter anerkannt werden, sie wollten nie den Abschiebeschutz wegen einer labilen Psyche der Mutter haben. Aber mehr wollte Deutschland ihnen eben nicht zugestehen – und sie zeigen, dass sie auch daraus etwas machen können. Mojtaba, Masoud und Milad Sadinam: Unerwünscht. Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte. Bloomsbury Verlag, Berlin 2012, 252 Seiten, 16,99 Euro

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Schleswig-Holstein

FACHTAGUNG

Teilhabechancen an Erziehung und Bildung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Schleswig-Holstein

23. Mai 2013, 10:00 -- 16:30 Uhr im Landeshaus | Schleswig-Holstein-Saal | Düsternbrooker Weg 70 | 24105 Kiel

Gleiche Bildungschancen für Alle! Jährlich suchen etwa 12.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) Schutz vor Krieg und Verfolgung in Europa. Der Bundesfachverband UMF (2012) berichtet: „Im Jahr 2011 erreichten über 3.700 UMF das Bundesgebiet“. In Schleswig-Holstein wurden im selben Jahr über 450 UMF registriert - Tendenz steigend! Sowohl das Kinder- und Jugendhilfegesetz, als auch die UNKinderrechtskonvention schreiben den Anspruch auf Erziehung und Bildung für alle minderjährigen Flüchtlinge vor. Wie werden diese Rechte in Schleswig-Holstein umgesetzt? Die Tagung gibt einen Überblick über dieGrundlagen zum Aufenthaltsrecht sowie zum Kinder- und Jugendhilfegesetz. Es werden bereits existierende Bildungsund Betreuungskonzepte für eine gelungene Inklusion aufgezeigt. Junge Flüchtlinge berichten von ihren Erfahrungen. Im Anschluss an die Vorträge findet eine Podiumsdiskussion mit VertreterInnen der Landtagsfraktionen statt. Wir laden Sie recht herzlich ein, sich an dieser Fachtagung zu beteiligen.

Programm Moderation: Doris Kratz-Hinrichsen und Torsten Döhring 10:00 Uhr: Begrüßung durch die VeranstalterInnen THEMENBLOCK A: Rechtliche Grundlagen Rechtliche Grundlagen – Asyl- und aufenthaltsrechtliche Fragen: Kirsten Eichler, Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e.V. (GGUA) Verwaltungspraxis im Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Schleswig-Holstein: Dirk Gärtner (Innenministerium Schleswig-Holstein)

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Jugendhilfe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: Anita Gruber (Fachhochschule Kiel) Fragen und Antworten zu den Referaten aus dem Publikum 12:00 Uhr: Mittagessen 12:45 Uhr THEMENBLOCK B: Bildung(szugänge) Junge Flüchtlinge berichten: NN (Jugendliche ohne Grenzen Schleswig-Holstein) Modellprojekt in Bayern: „BVJ zur Sprachintegration“ am Beispiel Nürnbergs: Maria Puhlmann (Stadt Nürnberg, Amt für Berufliche Schulen) & Frau Schlenk (Schulleiterin der Beruflichen Schule 5, Nürnberg) Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge im Bildungssystem Schleswig-Holstein: Jan Stargardt (Ministerium für Bildung und Wissenschaft des Landes Schleswig-Holstein) „good practise in Schleswig-Holstein“: Mona Golla, (ZBBS e.V., Kiel) Katrin Keden-Laußer (DaZ-Zentrumskoordinatorin & Klassenlehrerin im AVJ, Schleswig) und SchülerInnen Rüdiger Tuschewski (Deutscher Kinderschutzbund, Kreisverband Ostholstein) 14:35 Uhr Kaffeepause Podium mit VertreterInnen der Kieler Landtagsfraktionen: - Sven Krumbeck (Piraten) - Burkhard Peters (B´90/Grüne) - Astrid Damerow (CDU) - Serpil Midyatli (SPD) - Flemming Meyer (SSW) - Dr. Heiner Garg (FDP) Moderation: Anita Gruber (Fachhochschule Kiel) Fazit & Dank ca. 16:30 Uhr Ende der Veranstaltung VeranstalterInnen: Flüchtlingsrat SchleswigHolstein - Verein lifeline - Jugend ohne Grenzen SH - Landesflüchtlingsbeauftragter SH - LAG der Freien Wohlfahrtsverbände - Netzwerk Land in Sicht! Kinderschutzbund KV OH - FHS Kiel - Gewrkschaft Erziehung & Wissenschaft - ZBBS Anmeldung und Information: Diakonisches Werk Schleswig-Holstein Petra Clasen Tel. 0 43 31 / 5 93 - 2 43 Fax 0 43 31 / 5 93 - 3 52 43 Mail: clasen@diakonie-sh.de


Schleswig-Holstein

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Dokumentationsstelle Mariannenplatz 2 A – Haus Bethanien – Südflügel – 10997 Berlin Fon 030 617 40 440 – Funk 0177 37 55 924 – Fax 030 617 40 101 ari-berlin-dok@gmx.de – www.ari-berlin.org/doku/titel.htm

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 aktualisierte Auflage der Dokumentation

Berlin, 12.4.2013

"Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folge " (1993 bis 2012) Die zweibändige Dokumentation beschreibt über den Zeitraum der letzten 20 Jahre die katastrophalen Folgen der gesetzlichen Verschärfungen des bundesdeutschen Systems "Flüchtlingsabwehr" im Jahre 1993 (Art. 16a Grundgesetz, Asylverfahrensgesetz, Asylbewerberleistungsgesetz usw.). "Flüchtlingsabwehr" in Form eines gesetzlichen, behördlichen und gesellschaftlichen Räderwerks, das unverändert menschenunwürdige Bedingungen für Schutzsuchende erzeugt, wodurch viele zugrunde gehen, traumatisiert werden und / oder körperlich zu Schaden kommen. Dokumentiert sind unter anderem Todesfälle und Verletzungen von Flüchtlingen vor, während und nach Abschiebungen sowie an den deutschen Grenzen – aber auch infolge rassistischer Angriffe aus der Bevölkerung (über 6500 Geschehnisse). <<<<<<<<>>>>>>>> Während die absoluten Zahlen der vollendeten Suizide in den letz- Dies wird besonders deutlich in Abschiebegefängnissen, wo Geten 12 Jahren zurückgegangen sind, sind die Zahlen der Selbstver- fangene lebensgefährliche Hunger- oder Durststreiks durchführen, letzungen und die Selbsttötungsversuche gleichbleibend hoch. Die sich "kontrolliert" strangulieren, gefährliche Gegenstände schlukGründe dafür sind neben der existentiellen Angst vor der Deporta- ken oder sich Schnittverletzungen zufügen, um auf ihre Situation tion und dem jahrelangen traumatisierenden Zustand des Wartens aufmerksam zu machen und die Abschiebung zu verhindern. und Hoffens auf ein Bleiberecht auch die zerstörerischen Lebens- Über den Zeitraum der letzten 20 Jahre sind in der Dokumentation bedingungen der Flüchtlinge in den Lagern und Heimen. Suizidüber tausend Selbstverletzungen und Suizidversuche registriert. versuche und Selbstverletzungen als Ausdruck der Verzweiflung Die Dunkelziffer wird erheblich höher sein, zumal es offizielle und Hoffnungslosigkeit, aber oft auch Ausdruck des Protestes. Statistiken zu Selbstverletzungen nicht gibt – oft nicht einmal in Ein Weg, den die Menschen wählen, weil sie keine andere Mögstaatlichen Einrichtungen wie den Abschiebegefängnissen. lichkeit haben sich zu wehren. "We will rise!" Eine große Chance, an diesen festgefahrenen Verhältnissen zu rütteln und sie zu verändern, ergab sich, als nach dem Suizid des Iraners Mohammad Rahsepar im Januar 2012 iranische Flüchtlinge aus Würzburg den Kampf aufnahmen, um gegen die unmenschlichen Lebensbedingungen und die Asylgesetze öffentlich zu protestieren. Der Funke sprang über in andere Heime, Orte und Städte, und es entwickelte sich eine ganz neue kraftvolle, selbstbestimmte, bundesweite Flüchtlingsbewegung. Der Protest dauert bis heute an, und die Flüchtlinge werden nach eigenen Aussagen solange weitermachen "... bis unsere Forderungen erfüllt sind." (refugeetentaction.net) Die Dokumentation umfaßt den Zeitraum vom 1.1.1993 bis 31.12.2012. 170

Flüchtlinge töteten sich angesichts ihrer drohenden Abschiebung oder starben bei dem Versuch, vor der Abschiebung zu fliehen, davon 64 Menschen in Abschiebehaft. 1071 Flüchtlinge verletzten sich aus Angst vor der Abschiebung oder aus Protest gegen die drohende Abschiebung (Risiko-Hungerstreiks) oder versuchten, sich umzubringen, davon befanden sich 610 Menschen in Abschiebehaft. 5 Flüchtlinge starben während der Abschiebung und 417 Flüchtlinge wurden durch Zwangsmaßnahmen oder Mißhandlungen während der Abschiebung verletzt. 32 Flüchtlinge kamen nach der Abschiebung in ihrem Herkunftsland zu Tode, und 562 Flüchtlinge wurden im Herkunftsland von Polizei oder Militär mißhandelt und gefoltert oder kamen aufgrund ihrer schweren Erkrankungen in Lebensgefahr. 71 Flüchtlinge verschwanden nach der Abschiebung spurlos. 182 Flüchtlinge starben auf dem Wege in die Bundesrepublik Deutschland oder an den Grenzen, davon allein 131 an den deutschen Ost-Grenzen, 2 Personen trieben in der Neiße ab und sind seither vermißt. 533 Flüchtlinge erlitten beim Grenzübertritt Verletzungen, davon 303 an den deutschen Ost-Grenzen. 12 Flüchtlinge starben bei abschiebe-unabhängigen Polizeimaßnahmen. 15 Flüchtlinge starben durch unterlassene Hilfeleistung. 455 wurden durch Polizei oder Bewachungspersonal verletzt, davon 138 Flüchtlinge in Haft. 70 Flüchtlinge starben bei Bränden, Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte oder durch Gefahren in den Lagern, 873 Flüchtlinge wurden dabei z.T. erheblich verletzt. 18 Flüchtlinge starben durch rassistische Angriffe auf der Straße und 825 Flüchtlinge wurden durch Überfälle auf der Straße verletzt. Durch staatliche Maßnahmen der BRD kamen seit 1993 mindestens 414 Flüchtlinge ums Leben – durch rassistische Übergriffe und die Unterbringung in Lagern (u.a. Anschläge, Brände) starben 88 Menschen. Die Dokumentation umfaßt zwei Hefte (DIN A4). Beide Hefte zusammen kosten 21 €plus 3,60 €Porto & Verpackung. HEFT I (1993 – 2003) 11 €für 310 S. – HEFT II (2004 – 2012) 12 €für 310 S. – plus je 1,80 €Porto & Verpackung. Im Netz zur Zeit noch die 19. Auflage unter der Adresse: www.ari-berlin.org/doku/titel.htm

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Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.

22 Jahre Solidarität und Integrationsförderung Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. existiert seit 20 Jahren. Er wurde 1989 gegründet und besteht als im Kieler Vereinsregister unter 502 VR 4075 KI eingetragener Verein seit 1991. Er ist ein unabhängiger Zusammenschluss von Initiativen, Gruppen, Organisationen sowie Einzelpersonen der solidarischen Flüchtlingshilfe in Schleswig-Holstein. Grundlagen der Arbeit sind die Satzung, das Leitbild des Vereins (www.frsh.de) und die Beschlüsse der Mitgliederversammlung. Der Flüchtlingsrat berät und unterstützt seine Mitglieder, Migrationsfachdienste, Flüchtlings- und Exilorganisationen und andere in der Integrationsförderung Tätige. Der Verein engagiert sich als Träger themen- und zielgruppenspezifischer Projektarbeit, von Beratungs-, Bildungs- und Schulungsangeboten sowie in bündnisgetragenen Kampagnen und im Rahmen eigener Maßnahmen der flüchtlings- und migrationspolitischen Öffentlichkeitsarbeit. Der Verein arbeitet für Aufnahme, Integration und Bleiberecht von Flüchtlingen und anderen MigrantInnen in prekärer Aufenthaltssituation. Ziel der Vereinarbeit ist ein diskriminierungsfreies gesellschaftliches Klima, das sich durch gegenseitigen Respekt und eine gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen auszeichnet. Die Arbeit des Flüchtlingsrates organisiert sich wo immer möglich in heterogenen Netzwerken und thematischen Bündnissen. Der Flüchtlingsrat ist mit allen Landesflüchtlingsräten, der BAG Asyl in der Kirche und internationalen PartnerInnen vernetzt. Er ist Mitglied in der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL e.V. und koordiniert die arbeitsmarktlichen Netzwerke für Flüchtlinge und andere MigrantInnen, das IQ-Netzwerks Schleswig-Holstein und des Bleiberechtsnetzwerks Land in Sicht!. Regelmäßige KooperationspartnerInnen sind u.a. Religionsgemeinschaften, Wohlfahrtsverbände, Integrationsdienste, Arbeitsmarktakteure, Bildungsinstitutionen, Menschenrechts- und MigrantInnenorganisationen, Parteien, Behörden, und regionale Initiativen. Der Flüchtlingsrat ist Gründungsmitglied des Antidiskriminierungsverbandes Schleswig-Holstein, des Bündnisses safe haven – Kampagne für ein Resettlementprogramm in Schleswig-Holstein und des Kieler Medibüros für Illegalisierte. Der Verein beteiligt sich an der landesweiten Arbeitsgruppe Migration und Arbeit und kooperiert mit lifeline – Vormundschaftsverein für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Der Verein ist Mitglied im Ökumenischen Arbeitskreis Asyl in der Kirche. Er ist personell vertreten im Flüchtlingsausschuss der Nordelbischen Kirchenleitung, der Härtefallkommission und im API-Begleitausschuss des Landes Schleswig-Holstein. Der Flüchtlingsrat ist als gemeinnütziger Träger anerkannt und finanziert seine Arbeit aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden sowie durch öffentliche und private Projekt-Förderung. Mitarbeit und Unterstützung ist willkommen: T. 0431-735 000 - office@frsh.de Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. - Oldenburger Str. 25 - 24143 Kiel - www.frsh.de

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Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.

F Ö R D E R V E R E I N

FLÜCHTLINGSRAT SCHLESWIG-HOLSTEIN e.V.

Oldenburger Str. 25 • D-24143 Kiel • T. 0431-735 000 • F. 735 077 • office@frsh.de • www.frsh.de

Solidarität – so wertvoll, so leicht! In Syrien sind im Aufstand gegen die Al Assad-Diktatur zig-Tausende umgebracht worden. 1,5 Mio. Menschen sind Flüchtlinge im eigenen Land oder leben als Schutzsuchende in Lagern der Nachbarn Syriens. Gleichzeitig fürchten hierzulande lebende Syrerinnen und Syrer um das Leben ihrer Angehörigen in der Heimat. Doch sie scheitern im Bemühen um Einreisevisa an einer gnadenlosen Botschaftspraxis. Nach Deutschland rein darf nur, wer keinen Bedarf an finanzieller Hilfe hat. Oder wer erklärt, alsbald wieder auszureisen. Der Flüchtlingsrat unterstützt mit Appellen und Rechtshilfen gegen diese Bürokratie made in Absurdistan! Den Libyer M. haben die heimatlichen Umbrüche via Malta in den Sehnsuchtskontinent Europa gespült. Seine Hoffnung auf Asyl in Norwegen trügt, er will nach Frankreich. Jäh findet sich M. im Rendsburger Abschiebungsgefängnis wieder. Von dort soll er nach Malta zurück auf Los geschickt werden. Der Flüchtlingsrat berät M. und steht ihm zur Seite. Er wird aus der Haft entlassen, kann seinen Asylantrag stellen und zunächst in Deutschland bleiben. Ein paar verrostete Container auf der grünen Wiese. Defekte Türen vor den „Zimmern“. Keine funktionierende Kochgelegenheit. Unzumutbare „sanitäre“ Einrichtungen. Kein Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr... Der minderjährige Flüchtling A. ist verzweifelt über den Ort, an dem er gelandet ist. Der Flüchtlingsrat interveniert beim zuständigen Amt. A. wird verlegt. Jetzt kann er an einem Sprachkurs teilnehmen und zur Schule gehen. Die Hoffnung wächst wieder. Asylsuchende und Flüchtlinge sind oft auf sich allein gestellt. Was ist erlaubt? Und was geboten? Wohin sich wenden? Welche Auskunft ist falsch? Was tun bei drohender Abschiebung? Wer steht bei Diskriminierung zur Seite? Wer gibt guten Rat? Selbst banale Hilfe ist nicht selbstverständlich. Solidarität gerät jenen so wertvoll, die sie brauchen. Und sie fällt dem so leicht, der hat. Berechenbare Solidarität ist schon ab 60 EUR/Jahr zu haben!

Unterstützen sie Flüchtlinge mit Ihren Möglichkeiten – Werden Sie Mitglied im FÖRDERVEREIN Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.! ...............................................................................

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Ich möchte Mitglied im FÖRDERVEREIN Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. werden und bitte um Zusendung eines Aufnahmeformulars an die o.g. Adresse. Ich bitte um Aufnahme meiner eMail-Adresse in den Mailverteiler des Flüchtlingsrats Schleswig-Holstein. Ich bitte um regelmäßige Zusendung des Magazins DER SCHLEPPER ...................................................... Ort/Datum

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1991 - 2011

Für Solidarität!

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20 Jahre Solidarität Gegen Ausgrenzung gegen auSgrenzung und abSchiebung! und Abschiebung!

Mitgliede/wfoeerdredrveerenin!

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FÖRDERVEREIN Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. SPENDENKONTO 383 520 • BLZ 21060237 Ev. Darlehensgenossenschaft eG • Kiel

solidarität ist nicht umsonst


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