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Freisicht-Eyewear – Massivholzbrille

„Wir haben den Bogen raus“

In Freising setzen drei junge Männer auf massives Holz und sorgen mit „freisicht“ für neue und nachhaltige Maßstäbe auf dem internationalen Brillenmarkt. Holz, Brillen und weniger Müll – das ist die äußerst kurze und reduzierte Zusammenfassung einer Idee, die zu einem erfolgreichen Start-up wurde. // Sebastian Schulke

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Drei junge Männer arbeiten in einer Fabrikhalle. Sebastian Wittmann sitzt auf einem Sofa und telefoniert. An einer fünfachsigen Simultanfräsmaschine steht Linus Frank. Vor seinen Füßen häuft sich Sägemehl, liegen kleine Holzstücke. Thomas Winter ist der Dritte im Bunde. Er bearbeitet am Computer Grafiken, virtuelle Formen und Linien. Jeder macht hier sein Ding, könnte man meinen. Doch die drei ziehen an einem Strang, beziehungsweise an einem Stück Holz. Massives Holz, aus dem Wittmann, Frank und Winter neuartige Brillen formen.

Die Holzbrillen von „freisicht“, so nennt sich die kleine Brillenschmiede, lassen sich biegen wie Gestelle aus Acetat oder Metall. Das ist neu. Holz galt bislang als eher widerborstig und zerbrechlich. Nach knapp vier Jahren harter Entwicklungsarbeit sieht das bei freisicht nun anders aus. „Unsere Holzgestelle lassen sich problemlos formen und können individuell angepasst werden“, meint Winter, der fürs Design zuständig ist. „Holzbrillen tragen den Stempel, schwer, eckig und klobig zu sein. Unsere Brillen sind jedoch rund, filigran und leicht.“ Und sie verursachen weniger Plastikmüll. „Das war uns auch sehr wichtig“, sagt Frank. „Unsere Brillen sind außerdem keine billige Wegwerfware, unterstützen regionale Kreisläufe.“

Kurzer Blick zurück:

Im Herbst 2014 sitzen Sebastian Wittmann und Linus Frank in einer Vorlesung. Sie studieren „Management für erneuerbare Energien“ an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Brillen spielen da keine Rolle – außer daß Wittmann selbst eine Brille trägt. Aus Acetat. Diese bricht ihm plötzlich. Mit Tesafilm repariert er sie notdürftig. Frank sitzt neben ihm, schüttelt den Kopf: „Das ist doch alles nichts Gescheites. Lass uns eine Brille bauen, die aus Holz besteht. Holz aus der Region. Und die auch keine Müllberge aus Plastik hinterlässt.“

In einem Werkraum der Freisinger Hochschule starten sie erste Experimente, schlagen sich die Nächte um die Ohren, basteln, schrauben und sägen herum, holen sich von Franks Vater Tipps aus dem Holzinstrumentenbau. Thomas Winter ist Industriedesigner und komplettiert das Team. Im August 2016 sind die ersten Prototypen fertig. Mit denen fahren Wittmann, Winter und Frank auf die Silmo in Paris, eine der weltweit führenden Brillenmessen. „Wir wollten sehen, ob unsere Holzbrillen überhaupt ankommen und auf dem internationalen Markt eine Chance haben“, meint Wittmann. Und? Sie kommen gut an. Erste Kontakte werden geknüpft.

Auf der internationalen Brillenmesse in München präsentiert die Brillenschmiede aus Freising im Januar 2019 schließlich ihre erste Kollektion. Die Holzgestelle kommen gut an. Acht Monate später sind die drei wieder in Paris. Dieses Mal mit einem kleinen Messestand. Dort gewinnen sie den „Silmo d’Or“ völlig überraschend – die höchste Auszeichnung in der internationalen Brillenbranche. Kurz darauf wird freisicht auch noch der „European Product Design Award“ und der „Good Design Award“ überreicht. Grund zum Abheben? Nein. Die drei Männer arbeiten in ihrer kleinen Fabrikhalle in Freising unvermindert weiter.

Viel Handarbeit und eine von freisicht selbstentwickelte Technologie namens „Woodflex“ machen das Holz geschmeidig. Walnuss und Ahorn verwendet das Trio dafür. „Diese Hölzer eignen sich bestens für unseren zehnstufigen Prozess“, erklärt Linus Frank, „mit dem wir in den Kern des Holzes gelangen.“ Woodflex könne laut Frank die physikalischen Eigenschaften dabei so verändern, dass das massive Holz nicht nur elastischer und formbar wird, sondern gleichzeitig auch an Stabilität gewinnt. „Woodflex ist ein aus dem Instrumentenbau abgeleitetes Verfahren zur Verbesserung der physikalischen Eigenschaften“, so Frank. „Dadurch wird die Zugfestigkeit quer sowie längs zur Maserung erhöht. Zudem verbessert sich das Quell- und Schwindverhalten, als auch die Widerstandsfähigkeit der Oberfläche. Und das ergibt eine besondere Flexibilität.“ Mehr dürfe er aufgrund der laufenden Patentanmeldung nicht verraten. Im Klartext: Optiker können die Gestelle von freisicht wie Acetatbrillen bearbeiten, indem sie sie mit einer Ventilette, aus der 150 Grad heiße Luft strömt, erwärmen und in Form bringen, also die Brillenbügel entsprechend individuell anpassen. Kurz darauf erstarrt das Holz wieder, ohne an Stabilität zu verlieren. „Normalerweise brauchen Optiker nicht mehr als zwei, drei Versuche, um eine Brille anzupassen“, meint Frank, der sich um die Entwicklung und Produktion bei freisicht kümmert. „Es könnten auch vier oder fünf Versuche sein. Unseren Holzgestellen macht das nichts aus“, betont er. Frank stammt aus einer Familie, die sich seit über 75 Jahren intensiv mit Holz beschäftigt. Sein Großvater baute Holzinstrumente, sein Vater baut sie immer noch – und zwar Fideln und Gamben. Bei ihm sind es nun Holzbrillen.

Die Holzgestelle werden nachhaltig produziert. Das Holz wie auch die Zulieferer für die Scharniere und Rohlinge, die nach der Woodflex-Technologie verarbeitet sind, kommen aus Bayern. Ein „Handmade in Germany“ ist in jedes Brillengestell eingraviert.

Die Drei sind ein eingespieltes Team. Jeder packt mit an, bohrt und schleift. „Thomas und ich haben ohnehin fließende Übergänge, Design und Funktion spielen immer eng zusammen. Und Sebastian zieht im Hintergrund die Fäden, führt uns durch sämtliche Höhen und Tiefen“, sagt Frank, „wie gerade durch die Corona-Pandemie.“ freisicht klebt keine Holzschichten zusammen und arbeitet nicht mit Weichmachern oder Acetat-Ersatz. Frank: „Es hat ein paar Jahre gedauert. Aber wir haben den Bogen raus und bieten die erste anpassbare und nachhaltige Massivholzbrille der Welt an.“ Mehr Informationen: www.freisicht-eyewear.com

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