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VORWORT

Robuste Architektur

„Eine Politik des geringen Energieverbrauchs ermöglicht eine breite Skala von Lebensformen und Kulturen. [...] Wenn eine Gesellschaft sich hingegen für einen hohen Energieverbrauch entscheidet, werden ihre sozialen Beziehungen notwendig von der Technokratie beherrscht und – gleichgültig, ob als kapitalistisch oder sozialistisch etikettiert – gleichermaßen menschlich unerträglich werden.“ [1] Ivan Illich

Die Energiewende kann heute nur mit einem gewissen Maß an Technik gelingen. Daher sind Abhängigkeiten, wie Ivan Illich sie in den Raum stellte, unausweichlich. Im Zentrum seiner Überlegungen zu „Energie und Gerechtigkeit“ [1] steht jedoch eine Reduzierung der Pro-Kopf-Energiemenge auf eine Größenordnung, die ein für das soziale Wohl kritisches Maß nicht übersteigt. LowtechDesign und robuste Architektur, wie sie die vorliegende Publikation beleuchtet, knüpfen an diese Frage an. Die Hoffnung, Technologie als alleinige Lösung für die Klimakrise zu sehen, verschiebt die Verantwortung hingegen auf künftige Generationen.

Was heißt Verantwortung und Gerechtigkeit im Bauen? Geht es nicht vielmehr auch um Beschränkung auf ein genügsames Maß, eine Rückbesinnung auf lokale Bautraditionen und Potenziale des Einfachen?

Angenommen, man betrachtet ein jahrhundertealtes Bauernhaus in den Alpen: Erbaut in handwerklicher Tradition aus massivem Holz des umgebenden Waldes. So situiert, dass die Lage eine optimale Ausrichtung gegen Witterungseinflüsse erlaubt und sonstigen widrigen Umständen (z. B. Lawinengefahr im Winter) bestmöglich trotzt. Die Grund risskonzeption variiert mit der Größe, die sich aber in der Regel reduziert auf das Notwendige mit Wohntrakt und Tierhaltung unter einem Dach, damit von der Körperwärme der Tiere im Winter auch die angrenzenden Wohnbereiche profitieren. Die Küche mit Feuerstelle so platziert, dass über entsprechende Lüftungsklappen auch darüber oder daneben angeordnete Aufenthaltsräume mit beheizt werden können. Langfristiger Holzschutz durch entsprechende konstruktive Maßnahmen, wie z. B. große Dachüberstände. Das ist offensichtlich einfach, aber funktional, ästhetisch, werthaltig und vielfach äußerst effizient. Aber nicht nur das Bauernhaus funktioniert so. Ähnliche Erkenntnisse liefern Betrachtungen alter Steinhäuser in Wales oder der Toskana, Lehmbauten im Orient oder in Afrika. Gebaut wurde mit dem, was vor Ort verfügbar war, orientiert am tatsächlichen Bedarf, optimiert für die jeweiligen Witterungsbedingungen und mit handwerklicher Präzision. Deshalb stehen viele dieser Häuser bis heute – und bewähren sich in vielerlei Hinsicht erstaunlich gut.

Heute ist es eine Wissenschaft, normgerecht auch nur eine einzige Öffnung in einer Gebäudehülle zu platzieren. Neben der Kenntnis diverser Regularien bedarf es dazu in der Regel spezieller Fachliteratur, die seitenweise Hilfestellungen anbietet. Und nicht zuletzt die Nutzenden benötigen vielseitige Handbücher für die regelkonforme Bedienung der Gebäude. Das erscheint verrückt, aber entspricht vielfach der heutigen Praxis. Und zwar rund um die Welt. Durch Globalisierung, Industrialisierung und Rationalisierung der Bauproduktion sind die traditionelle Baukultur, das entsprechende Wissen darum und die handwerklichen Fähigkeiten

Grundlegende Überlegungen und die Idee zu dieser Publikation entstanden im Rahmen einer geförderten Studie durch das Forschungsprogramm „Stadt der Zukunft“ des österreichischen Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK). Die Herausgeberin be dankt sich bei der fördergebenden Stelle für die Unterstützung und beim Verlag für die Möglichkeit, dieses Buchprojekt zu realisieren sowie für die großartige Zusammenarbeit bei der Erstellung.

Anmerkungen [1] Illich 1978 [2] Rosa 2016 nach und nach verloren gegangen. Die Trennung von Grundriss und Fassade, die Loslösung von lokal verankerten und überlieferten Bauweisen haben zu einer vermeintlich egalitären Bauweise geführt. Durch die Anwendung „intelligenter Technologie“ im Gebäudebereich wurde die Anstrengung zur Erzeugung von Raumwärme und guter Luft dem menschlichen Handeln entzogen. Gleichzeitig stiegen Komfortansprüche und Erwartungen an einen ganzjährlich gleichbleibenden Raumkomfort, während andererseits die Bereitschaft sank, mit natürlichen jahreszeitlichen oder wetterbedingten Temperaturschwankungen und -zyklen umzugehen. Im Widerspruch dazu wächst mit zunehmender Reizüberflutung und Beschleunigung aller Lebensbereiche die Sehnsucht nach sensorischen Erfahrungen und Resonanz [2]. Wir suchen Erlebnisse, wie ein Feuer im Ofen, das den Raum langsam erwärmt. Spätestens seit Glashochhäuser in Wüstenregionen, spezialisierte Hightech-Fassaden in salzhaltiger Meeresluft und überdimensionierte Villen in zersiedelten Zwischenzonen rund um die Metropolen zu dauerhaften CO2-Fressern für künstliche Klimatisierung, zu hohen versiegelten Flächenanteilen und zu Kostenexplosionen für die Wartung führen, stellt sich die Frage, ob diese Art zu bauen tatsächlich langfristig sinnvoll ist. Man darf hinterfragen, wie es sein kann, dass sämtliche Energieeinsparmaßnahmen der letzten Jahrzehnte dazu geführt haben, dass immer mehr Energie verbraucht wird. Und in Zeiten von Klima- und Energiekrise könnte man sich fragen, ob eine Rückbesinnung auf lokal angepasste und bedarfsorientierte Bauweisen nicht an der Zeit wäre – um möglicherweise zu einer neuen, robusten Architektur zu führen. Einer Architektur, die den heutigen Anforderungen und Komfortansprüchen durchaus gerecht wird, aber durch Berücksichtigung einfacher Lowtech-Parameter wieder dauerhaft werthaltige Gebäude garantiert oder besser noch: bestehende neu in Wert setzt. Resiliente Gebäude aus natürlichen Materialien, die am potenziellen Ende der Nutzungsdauer keine Sondermülldeponien hinterlassen, sondern bauteilweise weiterverwendet oder in den biologischen Kreislauf rückgeführt werden können. Das wäre schön!

Lowtech-Design versucht den Wert von Naturbaustoffen und Gebautem, die Wertschätzung handwerklicher Arbeit und ein Bewusstsein für Natur und unser Ökosystem wieder stärker ins Zentrum zu rücken. In diesem Sinne haben wir uns auf die Suche gemacht nach belastbaren Kriterien, haben Planungsprozesse hinterfragt und beispielhafte Projekte gefunden, die zeigen, dass diese Art zu bauen nicht nur möglich, sondern sogar relativ einfach ist. Dass LowtechBauen weit mehr sein kann als – wie vielfach angenommen – nur der Verzicht auf eine kontrollierte Lüftung. Die Beispiele zeigen allerdings auch, dass Lowtech-Gebäude in Anbetracht bestehender Normen, Standards und Förderrichtlinien nur nach bewusstem Abwägen von Kosten und Risiken durch die Bauherren möglich sind. Der Ausstieg aus der Spirale der Energieabhängigkeit führt allein über einen weitreichenden Paradigmenwechsel. Wir brauchen robuste Architektur, die lange währt, geringe Ressourcen verbraucht, bedarfsorientiert und resilient ist. Damit der Bausektor bald nicht mehr für immense Energie- und Abfallaufkommen verantwortlich ist. Damit wir im Sinne der Architektur in eine positive Zukunft blicken können.

Edeltraud Haselsteiner & Steffi Lenzen im Juli 2022

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