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Museumstypen / Museum Types

Welche Räume braucht die Kunst? Museen und Ausstellungen inszenieren ihre Exponate in räumlichem Kontext. Als erfolgreich gelten sie, wenn möglichst viele Besucher kommen – und dazu kann auch die Architektur beitragen. Ein Überblick zu vier Grundkonstellationen.

What kinds of space does art require? Museums and exhibitions dramatise their exhibits within a spatial context. They are considered successful when as many people as possible visit them – something architecture can contribute to. An

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Dichter Nebel hat die Raumkonturen verschluckt. Wie Wolken verdichten sich die Schwaden, formieren sich neu und lichten sich. Langsam wird der riesige kahle Saal erkennbar, in dessen Boden ein Wasserbecken eingelassen ist.

Dense fog consumes all contours of the surrounding space. Wafts of fog coalesce into clouds, repeatedly merging and dissipating. Slowly, we recognise the vast, austere hall and the water basin set into its floor.

Der sinnliche Erlebnisraum

In der Ausstellung der Nebelkünstlerin Fujiko Nakaya im Haus der Kunst in München werden Besucher auf eine Sinnesreise geschickt. Die flüchtigen Installationen der Japanerin, die diesen Sommer zu sehen waren, sind aus Wasserdampf geformt. Sie lassen die Ausstellungsräume zeitweise verschwinden und lösen ihre Architektur im Nebel auf. Dabeisein wird zum sinnlichen Erlebnis. Die Kunst der 89-jährigen schuf eine besondere Erfahrung. Spielerisch eigneten sich die Nebelkunstwerke den großen Ausstellungssaal im Haus der Kunst an. Kinder und unerfahrene Museumsbesucher wurden durch diese Wahrnehmungssituation ebenso angesprochen wie Dauerkartenbesitzerinnen – sie alle sind beim Ausstellungsbesuch kurzzeitig in den Wolken geschwebt. Ein Publikumserfolg und eine Sensation im Museum. „Künstlerinnen und Künstler lieben das Gebäude und seine Räume“, stellte der 2019 ver storbene Kurator und frühere Direktor des Haus der Kunst Okwui Enwezor bereits fest. Selbstverständlich ist diese Zuneigung nicht, denn die monumentale Ausstellungshalle wurde von den Nationalsozialisten als Propagandamuseum errichtet – Adolf Hitler beteiligte sich persönlich an der Planung des „Haus der Deutschen Kunst“. Mit Raumhöhen von über 10 m und mehr als 550 m2 großen Sälen bietet das Gebäude am Englischen Garten heute vielfältige Möglichkeiten für die künstlerische Entfaltung. Gerade für Künstler, deren Werke nicht an der Wand hängen, sondern sich im Raum ausbreiten und sich ihn zu eigen machen.

Sensual space of experience

In the exhibition of Fujiko Nakaya’s fog art in Munich’s Haus der Kunst, visitors embark on a sensual journey. The Japanese artist’s ephemeral installations, composed of water vapour, were on display this summer. They allow large spaces to vanish temporarily. The 89 year old artist creates works of art that establish a sensual and exceptional experience, appropriating the exhibition space of the Haus der Kunst in a playful way. Children, fledgling museum-goers, art scene initiates – all of them temporarily floated through the clouds. “Artists love the building and its interiors”, the previous director Okwui Enwezor, who passed away in 2019, asserted. This affection is by no means self-evident. The monumental exhibition hall was erected by the National Socialists as a museum of propaganda. Adolf Hitler personally intervened in the planning of the “House of German Art”. Room heights of more than 10 m and halls covering in excess of 550 m2 support a broad range of opportunities for artistic expression. This is particularly the case for artists whose art is not hung on a wall, but requires space to unfold, room to appropriate.

Schauplatzwechsel nach London: Es ist bald 20 Jahre her, dass Olafur Eliasson in der Turbinenhalle des stillgelegten Kraftwerks am südlichen Themseufer eine rotglühende Sonne installierte. The weather project des dänisch-isländischen Künstlers in der damals noch neuen Tate Modern zog über zwei Millionen Besucher an, die im Sonnenlicht des riesigen Raums der früheren Bankside Powerstation badeten. Die gelbrot flirrende Sensation simulierte ähnlich wie der Nebel von Nakaya ein Naturerlebnis. Auch Eliasson hat die gewaltigen Ausmaße des historischen Bestandsgebäudes für seine Kunst genutzt und durch diese Verquickung einen Sinnesrausch evoziert.

A change of scenery: In London, nearly 20 years ago, Olafur Eliasson installed a glowing sun in the turbine hall of a decommissioned power plant on the southern bank of the river Thames. The artist’s “The weather project” for the Tate Modern gallery attracted more than two million visitors who sunbathed in the radiant light inside the former Bankside Power Station. A glistening yellow-red sensation that simulated a natural phenomenon, similar to Nakaya’s fog. Eliasson also used the vast expanse of the historic existing building for a type of art intertwined with space that evokes sensual exhilaration.

Zeitgenössische Kunstwerke und ortsspezifische Installationen besetzen museale Räume – sie brauchen keine weißen Wände und keinen White Cube, um wirken zu können. Nach diesem Grundgedanken sind auch die Architekten Lacaton & Vassal bei der Gestaltung des neoklassizistischen Palais de Tokyo in Paris vorgegangen: Das mit dem Pritzker- Preis ausgezeichnete Duo hat das historische Gebäude aus den 1930er-Jahren nahe dem Eiffelturm als Fun Palace nach der Idee von Cédric Price konzipiert. Der Bestand wurde weitgehend entkernt, sodass seine nackte Struktur nunmehr als dreidimensionales Gerüst für zeitgenössische Kunstformen dient – eine Einladung und zugleich eine Herausforderung an junge Künstlerinnen und Künstler. Nach der zweiten Umbauphase 2012 ist das Palais de Tokyo mit 22 000 m2 Fläche und Öffnungszeiten von 12 Uhr mittags bis Mitternacht Europas größtes und beliebtestes Zentrum für zeitgenössische Kunst. Seine Räume sind ein lebendiges Dauerprovisorium, offen für transdisziplinäre Ideen aller Art.

Contemporary works of art and site-specific installations do not require white walls or white cubes in order to be impactful. This consideration also inspired the architects of Lacaton & Vassal in their design for the neoclassical Palais de Tokyo in Paris. The existing building was stripped down to a major degree. Its denuded structure now serves as a three-dimensional space frame for contemporary forms of art – an open invitation and, at the same time, a challenge to young artists. Following the second remodelling phase in 2012 the Palais de Tokyo, boasting 22,000 m2 of area and open to the public from noon to midnight, became Europe’s biggest and most popular centre for contemporary art. It features vivid and permanently provisional spaces, open for transdisciplinary ideas of all kinds.

Disneyland mit monumentalen Rastern: Im Humboldt Forum in Berlin prallt der stilecht rekonstruierte Erker des preußischen Stadtschlosses auf die nichtssagende östliche Lochfassade.

Disneyland meets monumental grid: The Humboldt Forum in Berlin shows how the reconstructed style of the oriel window collides with the expressionless eastern windowed facade.

Der Museumsraum als Narrativ der Geschichte

Bis in die 1990er-Jahre war das Neue Museum in Berlin eine Kriegsruine, in Teilbereichen gänzlich zerstört und über Jahrzehnte der Witterung überlassen. David Chipperfield und Julian Harrap fassten den Wiederaufbau des Stüler-Baus auf der Museumsinsel in einen behutsamen Dialog mit der Geschichte. Erhaltene Gebäudeteile aus dem 19. Jahrhundert wurden repariert, die Kriegszerstörungen nicht versteckt, sondern der jeweilige Erhaltungszustand des Bestands nach Gesichtspunkten der Denkmalpflege restauriert im Sinne einer Architektur als archäologische Arbeit. Wo nötig kamen nüchterne zeitgenössische Elemente als Ergänzung hinzu, die sich zurücknehmen und nicht in Konkurrenz zu den historischen Schichten treten. Die zentrale dreiflügelige Treppenanlage des [...]

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