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Der Thermikgradient als wichtige Wettergröße

Mal schnell den Gradienten checken

Der Thermikgradient als wichtige Wettergröße, um anspruchsvolle Flugbedingungen zu erkennen.

TEXT UND GRAFIKEN/FOTOS: VOLKER SCHWANIZ

Ein oft vernachlässigter Punkt bei der Einschätzung der Flugbedingungen ist der Blick auf die Schichtung – also die Labilität/ Stabilität. Ist die Labilität beispielsweise sehr ausgeprägt, erreicht die

Böigkeit des Windes, die Thermikstärke und allgemein die Ruppigkeit der Flugbedingungen sehr anspruchsvolle Werte, von denen wenig geübte Piloten schnell überfordert werden. Der Blick auf den

Thermik-Gradienten hilft diesen wichtigen Wetterfaktor einzuschätzen.

Zur Bestimmung der Schichtung bzw. des Temperatur-/Thermik-Gradienten nimmt man normalerweise die Diagramme der Radiosondenaufstiege (bzw. deren VorhersageDiagramme) und analysiert diese graphisch. Das erfordert ein hohes Maß an Einarbeitung und so werden die Temps von den meisten Fliegern gemieden. Und das trotz der enormen Menge an Informationen, die man aus ihnen ableiten kann. Wenn der Normalpilot aber zumindest den Thermikgradienten aus den Vorhersagen entnehmen kann, wäre schon viel erreicht. Und hier kommt www.Windy.com ins Spiel, denn über diese Seite gelangt man schnell und ohne große Vorkenntnisse genau dorthin.

Gradienten-Check mit Windy

Um auf der Seite www.windy.com den Thermik-Gradienten zu erkennen, geht man wie folgt vor: Über einen gewählten Prognosepunkt mit Rechtsklick den Unterpunkt „Aerologie“ aufrufen. Es erscheint für diesen Prognosepunkt mit der gewählten Zeit/Datum der Vorhersage-Temp, basierend auf dem sehr guten europäischen Wettermodell (EZMRF). Dieses kann man mit dem Klick auf die Lupe vergrößern, um den unteren Atmosphärenbereich detaillierter zu sehen. Auf den ersten Blick erscheint das Diagramm auch dann noch recht grob, aber der Clou ist, dass man ins Diagramm klicken kann und so die jeweiligen Zahlenwerte in feiner Rasterung angezeigt bekommt.

Um den Thermik-Gradienten zu bestimmen, braucht man die von der Sonneneinstrahlung unbeeinflusste Schichtung. Der 6 Uhr Zeitpunkt bietet sich an, da er möglichst nahe an der fliegerisch nutzbaren Zeitspanne liegt. Im erwarteten Thermikbereich sucht man sich nun einen Bereich mit möglichst gleichbleibender Schichtung (geradliniger Temperaturverlauf), idealer Weise 1.000 m hochreichend. Klickt man nun auf die Werte, z.B. von 1.500 m und 2.500 m, kann man über die Temperaturdifferenz

ganz schnell den Gradienten für diesen Bereich ausrechnen. Beispiel: Auf 1.500 m beträgt die Temperatur +10° C, auf 2.500 m +2° C. Damit ist dort auf 1.000 m 8 Grad Temperaturabnahme zu verzeichnen und nach Adam Riese auf 100 m eine Abnahme von 0,8° – was dann auch schon den ThermikGardienten darstellt. Findet man keine 1.000 m dicke und gleichmäßige Schichtung im Thermikbereich, ist etwas Kopfrechnen erforderlich oder man orientiert sich grob an den Steigungen der Hilfslinien.

↑ Über die Vorhersage-Temps aus Windy.com lässt sich der Thermikgradient schnell ermitteln.

Linien im Temp

Rot: Verlauf der Temperatur; blau: Verlauf des Taupunktes. Über die eingezeichneten Hilfslinien (siehe Markierungen 1-3) und durch ein Abschätzen der Parallelität zu ihnen kann der geübtere Betrachter recht schnell (und ohne Rechnerei) einen ersten Eindruck über die Luftschichtung bekommen. 1. Trockenadiabate: 1°/100 m 2. Feuchtadiabate: 0,6°/100 m 3. Sättigungsmischverhältnis: 0,16°/100 m

Thermik und Temperaturgradient

Die Thermikstärke (Steiggeschwindigkeit der Warmluftblase) wird nicht nur durch die Stärke der Bodenerwärmung bestimmt, auch der Temperaturunterschied zur Umgebungsluft der jeweiligen Höhe hat großen Einfluss. Wärmere Höhenluftschichten (u.a. Inversionen) bremsen die aufsteigende Thermikblase ab, oder lassen sie sogar zum Stillstand kommen. Kühlere Höhenluftschichten bewirken ein unvermindertes und in der Realität sogar oft beschleunigtes Steigen. Somit kann man über die Temperatur in den verschiedenen Höhen gute Rückschlüsse auf die Thermikstärke ziehen. Als Maß benutzt man den Temperaturgradienten, der die Temperaturabnahme der Luft pro 100 Höhenmeter angibt. Ein Temperaturgradient von minus 0,7°/100 m bedeutet also, dass die Temperatur pro 100 Höhenmeter um 0,7 Grad fällt. Dabei hat sich eingebürgert, dass die im Normalfall negativen Werte (z.B. minus 0,7°/100 m) ohne das Vorzeichen benannt werden. Folgende Thermikbedingungen sind bei den verschiedenen Gradienten zu erwarten:

Gradient Thermikbedingungen 0,3 und < an Südhängen zeitweise schwache Thermikansätze. 0,4 schwache Thermik, oft deutlich verzögerte Auslöse, Südhänge begünstigt 0,5 mäßige Thermik. 0,6 mäßige, punktuell knapp gute Thermik (s. Bild Thermiksimulation 1). 0,7 gute und zeitweise starke/ruppige Thermik (für unerfahrene Piloten nicht in der Hauptthermikzeit zu empfehlen). Auch schon schwache überregionale Windgeschwindigkeiten erhöhen die Böigkeit überdurchschnittlich, an Südhängen sogar schon stark. 0,8 sehr starke/ruppige Thermik (für unerfahrene Piloten besonders an Südhängen nur VOR Thermikbeginn und in der ausklingenden Thermik zu empfehlen). Auch schon bei sehr schwachem überregionalem Wind starke Böen mit kräftigen Windspitzen! 0,8-0,9 sehr harte, extrem enge und zerrissene Thermik, die nur von Könnern nutzbar ist. Die Thermik löst sich in kleinen, extrem schnell steigenden Bläschen und die Flugbedingungen sind sehr ähnlich derer in harter, turbulenter Leethermik (s. Bild Thermiksimulation 2). Auch schon bei sehr schwachem überregionalem Wind sehr starke Böigkeit mit sehr kräftigen Windspitzen! 0,9 und > liegt der Gradient unter minus 0,9°/100 m, so bilden sich keine einzelnen Thermikblasen, sondern es hebt sich die gesamte überhitzte Luftschicht an und bildet starke Bedeckung und oft Gewitter (dieser Effekt ist bei Kaltfronten zu beobachten).

↑ Thermiksimulation 1: schwache Heizrate ↑ Thermiksimulation 2: starke Heizrate

Die Thermiksimulation zeigt‘s

Wie man sich den Einfluss des Gradienten auf die Thermik vorstellen kann, wird in einer Öl-Simulation der Stanford University deutlich: bei mäßigen Temperatur-Gradienten hält sich die Warmluft vor dem Ablösen recht lang am Boden. So kann sie sich gut erwärmen und auch eine recht große Warmluftmenge ansammeln. Die aufsteigenden Thermikblasen sind recht groß, haben die typische Wirbelring-Struktur und können gut genutzt werden. bei hohem Temperatur-Gradienten löst sich die Warmluft sehr früh, schnell aufsteigend, in vielen kleinen und zerrissenen Bläschen vom Boden ab, ohne dass sich eine halbwegs nutzbare Thermikstruktur ausbildet.

Temps oder Thermikprogramme?

Natürlich gibt es eine ganze Reihe an wirklich guten Thermikprogrammen, die Thermikstärke, Basishöhe, Auslöse etc. grafisch viel anschaulicher darstellen, als das im Temp-Diagramm möglich ist. Und natürlich will kein ambitionierter Flieger diese Programme missen. Aber trotzdem bringt ein zusätzlicher Blick in die Vorhersage-Temps noch etliche nützliche Informationen zutage. Abschirmungen

Über den Temp (6 Uhr Zeitpunkt) erkennt man die reine Luftschichtung und nicht die Labilität in Abhängigkeit zur erwarteten Einstrahlung, wie sie die Thermikprogramme zeigen. Dies ist u.a. an Tagen mit abschirmenden Ac/Ci-Wolken interessant, wenn dann doch unverhofft die Sonne länger voll einstrahlt.

Außerhalb der Thermiksaison

In den Rand-Monaten der Thermiksaison gibt es immer wieder Tage, die erstaunlich gut thermisch nutzbar sind. Die Thermikprogramme haben in dieser Zeit deutliche Probleme, die Bodentemperaturen und damit die Thermik halbwegs passend vorherzusagen (vor allem an den dann interessanten Südhängen). Mit einem Blick auf die Schichtung sind diese Tage recht gut zu identifizieren.

Flugtaktik

An normalen Thermiktagen ist ein Blick auf die Schichtung, mit ihren eingelagerten labileren und stabileren Bereichen hilfreich für die Startplatzwahl, die Flugtaktik und den Tagescharakter.

Grauthermik

An sehr bedeckten Tagen zeigt der Temp die hohe Labilität an und so sind auch Tage zu erkennen, die fast ohne direkte Einstrahlung thermisch gehen.

Wenn‘s knapp ist

Allgemein kann man sagen, dass an Tagen, die in einer Richtung (positiv oder negativ) auf der Kippe stehen, der Blick in den Temp besonders nützlich ist. Zeigt er doch klar, dass der Tag in einzelnen Bereichen doch eine Überraschung werden kann. Die Thermikmodelle haben dagegen nur genau die Sicht auf den Tag, die auf das zehntel Grad berechnet wurde, ohne zu zeigen, wie knapp der Tag in einzelnen Größen wirklich ist. Gemeint sind z.B. Tendenzen zu Ausbreitungen, Überentwicklungen oder nur knapp nicht ausgeheizte Inversionen bzw. knapp nicht erreichte labile Schichten. Über die Temps kann man die knappe Situation erkennen und auf die ganze Bandbreite der Tagesgüte gefasst sein.

Wie anfangs schon angesprochen, sprengt das umfassende Ansprechen aller Möglichkeiten, welche die Tempanalyse bietet, hier den Rahmen. Für alle die Lust bekommen haben, sich umfassend einzuarbeiten, denen seien die Links auf der DHV-Wetterseite => Wetterwissen-Links => Deutung von Temp-Diagrammen empfohlen. Für den meist Abgleich der gestellten Prognosen mit der Realität, bieten sich die Seiten von www. foto-webcam.eu (mit Archiv!) und natürlich die Tageswertungen im DHV-XC vorrangig an.

DER AUTOR

Volker Schwaniz - Gleitschirmflieger seit 1990, betreut die DHV-Wetterseite, schreibt die dortigen Wetterberichte und bringt ins DHV-Info meteorologische Fachartikel mit ein.

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