DIAGNOSE 2 /2012 Das Magazin von Ärzte ohne Grenzen Österreich www.aerzte-ohne-grenzen.at Gesamtkosten dieser Informationszeitschrift: 55 Cent (inkl. Produktion und Porto) Sponsoring-Post GZ02Z030498S Verlagspostamt 1020 Wien
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Hürden überwinden
Peter Casaer
Wenn die Hilfe an Grenzen stöSSt
Niger: Einsatz gegen die Ernährungskrise
Somalia: Unterstützung trotz Rückschlägen
Jahresbericht: 2011 im Rückblick
Südsudan: Hilfe für die Menschen im Konfliktgebiet
Nothilfe für Kriegsverletzte Rainer Fehringer
Südsudan: Ärzte ohne Grenzen behandelt Verletzte nach Luftangriffen. Anfang April nahmen die Kampfhandlungen im Grenzgebiet zwischen dem Sudan und dem Südsudan stark zu. Die Leidtragenden der Kämpfe und Bombardierungen sind die Bewohner und Bewohnerinnen der Region. In Aweil und Agok leistet Ärzte ohne Grenzen lebensrettende chirurgische Hilfe für die Verletzten der Kämpfe. Die chirurgischen Kapazitäten wurden erweitert, auch in anderen Regionen entlang der Grenze wurden die Nothilfemaßnahmen ausgeweitet. Bei Redak-
Dr. Reinhard Dörflinger Präsident von Ärzte ohne Grenzen Österreich.
Editorial:
Kein Allheilmittel Ärzte ohne Grenzen versorgt Menschen in von Gewalt und Terror geprägten Ländern. Eine ehrliche Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, ist notwendig.
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as vergangene Jahr stand ganz im Zeichen des 40-jährigen Gründungsjubiläums von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) – ein Anlass für die Rückschau auf die vielen Meilensteine der humanitären Hilfe. Das Jahr 2011 führte uns aber einmal mehr auch unsere Grenzen vor Augen. Während wir diese Ausgabe der DIAGNOSE vorbereiten, sind unsere Kolleginnen Montserrat Serra und Blanca Thiebaut schon seit über einem halben Jahr in den Händen von Entführern am Horn von Afrika. Am 13. Oktober waren sie während ihres Einsatzes im Flüchtlingslager in Dadaab in Kenia gekidnappt worden; all unsere Bemühungen um ihre Freilassung sind bisher ohne Erfolg geblieben. Ende des Jahres schokkierte uns dann die Ermordung zweier Mitarbeiter in der somalischen Hauptstadt Mogadischu. Dass humanitäre Helfer ihren Einsatz mit dem Leben bezahlen, wird für uns immer inakzeptabel sein. Das Umfeld, in dem wir in vielen Teilen der Welt arbeiten, setzt aber ein gewisses Risiko voraus – ein Widerspruch, mit dem wir uns bei unseren Einsätzen Tag für Tag auseinandersetzen müssen. Schwer zu akzeptieren ist auch, wenn wir auf dem Weg zu den Menschen in Not Kompromisse mit örtlichen Machthabern schließen müssen, die nicht immer ebenso humanitär gesinnt sind wie wir. Aber auch das ist Teil unserer Realität. Humanitäre Hilfe ist das Ergebnis von Krisen und Kriegen, kein Allheilmittel dagegen. Wir halten es für wichtig, die schwierigen Entscheidungen, vor denen wir bei unserer Arbeit immer wieder stehen, auch vor unseren Unterstützern und Unterstützerinnen nicht zu verbergen. „Humanitarian Negotiations Revealed“, ein 2011 auf Englisch und Französisch erschienenes Buch, beschreibt heikle Episoden unserer Geschichte und schwierige Kompromisse, die wir in Einsatzländern wie Somalia, Sri Lanka oder Afghanistan schließen mussten. Mehr darüber lesen Sie in dieser Ausgabe der DIAGNOSE.
Das Urteil stellt einen Präzedenzfall im Kampf für leistbare Medikamente dar.
Erste Zwangslizenz für Medikament
Thema
Demokratische Republik Kongo: Die Hilfsteams von Ärzte ohne Grenzen reagieren auf massive Malaria-Ausbrüche in mehreren Landesteilen.
Anfang März sprach das indische Patentamt erstmals einem Generika-Hersteller eine Zwangslizenz zu: Das Unternehmen Natco erhielt für die nächsten acht Jahre eine Lizenz zur Herstellung des Krebs-Medikaments Sorafenib Tosylate. Die Begründung: Das deutsche Pharmaunternehmen Bayer, das faktisch ein Monopol auf das Medikament in Indien hatte, habe es verabsäumt, den Preis auf eine bezahlbare Höhe herabzusetzen und das Arzneimittel in ausreichender Menge zur Verfügung zu stellen. Ärzte ohne Grenzen begrüßt diese Entscheidung ausdrücklich. Einerseits, weil dadurch die Kosten einer Behandlung mit Sorafenib Tosylate von mehr als 5.500 US-Dollar pro Monat auf ungefähr 175 Dollar sinken. Andererseits stellt die Entscheidung einen wichtigen Präzedenzfall dar. Denn auch neuere HIV/Aids-Medikamente sind in Indien – als Folge des Patentschutzes – für viele Menschen unerschwinglich. Ärzte ohne Grenzen hofft, dass sich nun auch weitere Generika-Hersteller um Zwangslizenzen bemühen.
Flüchtlingslager Jamam: Ärzte ohne Grenzen leistet Nothilfe für die Vertriebenen.
inhalt:
Kampf gegen Malaria
Indien: Wichtiger Etappensieg im Kampf gegen überteuerte Medikamente.
In mehreren Regionen der Demokratischen Republik Kongo kommt es zu schweren Malaria-Ausbrüchen. In manchen Spitälern sind über 75 Prozent aller neuen Aufnahmen Fälle von Malaria. Ärzte ohne Grenzen reagiert mit einem massiven Hilfseinsatz: Neben der bestehenden Hilfe in Krankenhäusern, Gesundheitszentren und mobilen Kliniken wurden auch mehrere Notprogramme gestartet. In den ersten drei Monaten des Jahres wurden bereits 85.000 Menschen behandelt. Im gesamten Jahr 2011
waren es 158.000 Menschen, gegenüber 45.000 Patienten in 2009. „In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Malaria-Fälle dramatisch gestiegen“, berichtet Christine Buesser, Einsatzleiterin von Ärzte ohne Grenzen. „Seit 2011 sehen wir keinen richtigen Höhepunkt mehr – es gibt immer viele Patienten.“ Malaria ist in der Demokratischen Republik Kongo die häufigste Todesursache: Jedes Jahr sterben fast 180.000 Kinder unter fünf Jahren an der gefährlichen Krankheit.
Die Grenzen der Hilfe:
Mit welchen Hindernissen die Teams von Ärzte ohne Grenzen kämpfen … 4 Interview:
Evaluatorin Mzia Turashvili über „ferngesteuerte“ Nothilfeprogramme … 7 Bericht:
Projektkoordinator Thomas Rassinger hat im Südsudan ein Krankenhaus geführt … 8 Hintergrund:
Die Graphic Novel „Out of Somalia“ … 10 Einsatzgebiete:
2011 im Rückblick ... 12
Aktuell: Einsatzländer von Ärzte ohne Grenzen
Intern:
Buchbesprechung ... 13 Spenden:
Transparenz schafft Vertrauen und Sicherheit … 14 Coverfoto: Szene in Somalia, aufgenommen im Oktober 2011. ■ Freiwillige aus Österreich derzeit auf Einsatz
Tido von SchönAngerer, Leiter von „Access“, der Medikamenten-Kampagne von Ärzte ohne Grenzen.
■ Einsatzländer von Ärzte ohne Grenzen
„Mit dieser Entscheidung hat das Patentamt in Indien klar gemacht, dass Patentmonopole kein Freifahrtschein für überhöhte Preise sind. Die Patienten haben ein Recht auf den Zugang zu innovativen Medikamenten, und dieser darf nicht durch hohe Monopolpreise eingeschränkt werden.“
Dr. Reinhard Dörflinger
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tionsschluss dieser DIAGNOSE-Ausgabe war die Lage weiterhin extrem unberechenbar. Im Bundesstaat Unity waren Hunderte Menschen vor den Kämpfen auf der Flucht, während in den Flüchtlingslagern in Upper Nile State fast 90.000 Menschen aus dem Sudan ausharrten. Ärzte ohne Grenzen betreibt mobile Kliniken in der Region und leistet Nothilfe für Vertriebene. Die Spitäler in Bentiu und Abiemnom, in die viele Kriegsverletzte strömten, werden mit Personal, Material und Medikamenten unterstützt.
Stéphane Doyon ist Koordinator der Kampagne gegen Mangelernährung von Ärzte ohne Grenzen und beobachtet die Ernährungssituation in der Sahelzone. Mzia Turashvili ist Ärztin und beschäftigt sich von Wien aus mit der Evaluierung von Hilfsprogrammen.
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3 Thomas Rassinger koordinierte neun Monate lang die Hilfe für die Menschen in Nasir/Südsudan.
www.aerzte-ohne-grenzen.at Impressum: Medieninhaber und Herausgeber: Ärzte ohne Grenzen, Taborstraße 10, 1020 Wien Postfach 240, Tel. 01/409 72 76, Fax 01/409 72 76-40 E-Mail: office@aerzte-ohne-grenzen.at www.aerzte-ohne-grenzen.at DVR-Nr.: 0778737, ZVR-Zahl: 517860631 Spendenkonto: PSK 930 40 950 Spender-Service: Tel. 0800 246 292 Chefredaktion: Mag. Irene Jancsy Mitarbeiter: Dr. Reinhard Dörflinger, Beate Golaschewski, Florian Lems, Andreas Plöckinger, DI (FH) Thomas Rassinger Graphisches Konzept, Gestaltung und Produktion: buero8 Druck: Berger, Horn Papier: EuroBulk Volumenpapier Erscheinungsweise: viermal jährlich Auflage: 63.000 Stück Gesamtkosten dieser Informationszeitschrift: 55 Cent (inkl. Produktion und Porto)
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Afghanistan: Ärzte ohne Grenzen kehrte nach langen Verhandlungen im Jahr 2009 wieder zurück.
THEMA
Die Grenzen der Hilfe
Ärzte ohne Grenzen — Beispiele für Länder mit eingeschränktem Zugang zu den Patienten Afghanistan • Äthiopien • Demokratische Republik Kongo • Kolumbien • Irak • Mali • Myanmar • Pakistan • Somalia • Sudan • Südsudan • Syrien
Wenn die Hilfe an Grenzen stöSSt Peter Casaer, Ton Koene, Eymeric Laurent-Gascoin
Einsatz trotz Hindernissen: Gewalt, logistische Hürden, Finanzierungslücken: Auch die größte Nothilfeorganisation stößt manchmal an Grenzen. Durch innovative Ansätze versucht Ärzte ohne Grenzen, diese zu überwinden.
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omalia: Ärzte ohne Grenzen ist zutiefst schockiert über die Ermordung zweier Mitarbeiter.“ So lautete der Titel einer Pressemitteilung, die am 29. Dezember 2011 weltweit an die Medien verschickt wurde. Den traurigen Anlass dazu hatte ein Zwischenfall in der somalischen Hauptstadt Mogadischu gegeben: Der belgische Notfallkoordinator Philippe Havet und der indonesische Arzt Andrias Karel Keiluhu waren auf dem Gelände von Ärzte ohne
Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) erschossen worden. Die Organisation reagierte mit einem teilweisen Abzug. Ortswechsel nach Syrien: Monatelang verhandelt Ärzte ohne Grenzen mit den Behörden um eine Genehmigung, den zahlreichen Verletzten zu Hilfe zu kommen – bislang erfolglos. Die Möglichkeiten, die Opfer des bewaffneten Konflikts zu erreichen, bleiben damit stark eingeschränkt. Medizinische Nothilfe ist nur an der Grenze möglich, Ärzte im
Land werden mit Material und Medikamenten beliefert. Schwieriger Einsatz auch in der Sahelzone. Wie jedes Jahr um diese Zeit steigt die Zahl der Mütter, die ihre Kinder in die Ernährungsprogramme von Ärzte ohne Grenzen bringen. „Es ist zu früh, das Ausmaß der heurigen Krise abzuschätzen“, sagt Stéphane Doyon, der in Paris eine Kampagne gegen Mangelernährung koordiniert. „Wir können aber bereits jetzt absehen, dass
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Hunderttausende Kinder in der Region an schwerer Mangelernährung leiden werden.“ Denn die alljährliche „HungerPeriode“, in der die Vorräte der Familien zu Ende gehen, bevor die nächste Ernte eingeholt wird, ist hier kein unerwartetes Ereignis: Jahr für Jahr steht Ärzte ohne Grenzen vor der Herausforderung, wirksame Hilfe für die immense Zahl der betroffenen Kinder zu leisten – und vor der Frage: Wie kann eine Nothilfeorganisation angemessen auf dieses strukturelle Problem reagieren? Hilfe als Verpflichtung
Somalia, Syrien, Sahel: So unterschiedlich diese drei Beispiele sind – sie alle
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zeigen die Grenzen auf, an die Teams von Ärzte ohne Grenzen bei den Einsätzen für Menschen in Not immer wieder stoßen. Die langjährige Erfahrung und professionelle Logistik ermöglichen Ärzte ohne Grenzen zwar, innerhalb weniger Tage an fast jedem beliebigen Ort der Welt ein Nothilfeprogramm zu starten. Doch Gewalt, behördliche Einschränkungen oder Finanzierungslücken behindern häufig die humanitäre Hilfe. Oft ist es auch das schiere Ausmaß einer Krise, das den Helfern und Helferinnen logistische Grenzen setzt. Ärzte ohne Grenzen sieht es als eine Pflicht an, alles zu tun, um diese Hürden zu überwinden. So auch in Somalia.
Oben: Ein striktes Waffenverbot in den Spitälern als Garant für Sicherheit (Afghanistan). Unten: Bewaffnete bewachen Menschen, die auf die Registrierung in einem Lager warten (Somalia).
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Grenzen überwinden
Somalia: Wenn der Einsatz von internationalen Mitarbeitern zu gefährlich ist, führen somalische Ärzte und Fachkräfte die Nothilfeprogramme fort. Spezialisten unterstützen sie mit der Hilfe von modernen Kommunikationsmitteln aus der Entfernung. 2011 behandelte Ärzte ohne Grenzen in Somalia 864.000 Menschen.
„Wir wollen dort helfen, wo die Not am größten ist. Also müssen wir Mittel und Wege finden, genau das zu tun“, sagt der Österreicher Andreas Papp, der als Koordinator schon mehrmals Nothilfe für die Menschen in Somalia geleistet hat – auch, als alle internationalen Mitarbeiter abgezogen werden mussten. Ärzte ohne Grenzen hat für solche Situationen eine besondere Arbeitsweise entwickelt, die es erlaubt, trotzdem in einem Gebiet aktiv zu bleiben: Die Hilfsprogramme werden aus der Entfernung geleitet. Schutz durch Neutralität
Konkret bedeutet dies, dass nur lokales Personal vor Ort bleibt: Somalische Ärzte und Ärztinnen führen Behandlungen durch, somalische Fachkräfte kümmern sich um die Ernährungsprogramme. Unterstützt werden sie von ihren internationalen Kollegen und Kolleginnen: Spezialisten, die vom Nachbarland Kenia aus die Hilfsmaßnahmen koordinieren und mit denen sie in ständigem Kontakt stehen. Dabei wird auch modernste TelemedizinTechnik eingesetzt: Mit der Hilfe von Kameras können Experten in Nairobi Behandlungen in Somalia beiwohnen und die Kollegen „live“ unterstützen. In solchen Situationen ist es besonders wichtig, als strikt neutrale und unabhängige Hilfsorganisation wahrgenommen zu werden. „Das ist der
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wichtigste Schutz für unsere nationalen Mitarbeiter“, sagt Mzia Turashvili, die aus der Entfernung geleitete Programme untersucht hat (siehe Interview rechts). Manchmal fällt dieser Schutz jedoch weg. Das musste Ärzte ohne Grenzen im Jahr 2004 schmerzhaft erfahren, als in Afghanistan fünf Mitarbeiter ermordet wurden und die Organisation sich aus dem Land zurückzog. Der Rückzug fand in einer Atmosphäre statt, die zu-
„Wir wollen helfen, wo die Not am größten ist. Also müssen wir Wege finden, genau das zu tun.“ sätzlich von einer zunehmenden Vereinnahmung humanitärer Agenden durch Militärs geprägt war: US-Truppen machten Hilfe vom Kooperationswillen der Bevölkerung abhängig. Unparteiische Hilfe, wie Ärzte ohne Grenzen sie leistet, wurde dadurch erschwert. Fünf Jahre später kehrte die Organisation nach Afghanistan zurück. Möglich war dies erst nach langwierigen Verhandlungen mit allen Konfliktparteien, wie im aktuellen Buch „Humanitarian
Negotiations Revealed“ eindrücklich beschrieben wird (siehe Seite 13). Heute leisten wieder 70 internationale und 600 nationale Mitarbeiter humanitäre Hilfe in Afghanistan. Dennoch bleibt die Situation unberechenbar – das zeigte sich Mitte April: Am Gelände der Frauenklinik in Khost, die erst kurz zuvor eröffnet worden war, detonierte ein Sprengsatz. Sieben Menschen wurden verletzt. Die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen in Khost wurde daraufhin eingestellt. Doch auch nach einem Rückzug setzen die Teams alles daran, die Menschen in Not zu unterstützen. Dazu braucht es oft einen kreativen Ansatz. Wie etwa im Irak: Wenn die Teams nicht mehr zu den Verwundeten des Krieges gelangen konnten – dann sollte es den Patienten ermöglicht werden, zu ihnen zu kommen. Im Jahr 2006 eröffnete Ärzte ohne Grenzen deshalb in der jordanischen Hauptstadt Amman ein chirurgisches Programm zur Behandlung von schweren Kriegsverletzungen. Seither wurden Hunderte irakische Patienten zu den Spezialisten im Nachbarland gebracht. In vielen Einsatzländern von Ärzte ohne Grenzen sind es nicht Kriegsparteien, die medizinische Hilfe einschränken – sondern internationale Geldgeber. Im November 2011 gab der Globale Fonds zur Bekämpfung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria bekannt,
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dass eine ganze Finanzierungsrunde gestrichen werde. Die konkreten Auswirkungen machten sich rasch bemerkbar. „Bald werden wir in Mosambik keine Tuberkulose-Medikamente erster und zweiter Linie mehr haben“, warnte vor kurzem etwa Christine Jamet, Programmleiterin von Ärzte ohne Grenzen. Die Gesundheitsbehörden würden auf eine Schiffslieferung warten, die eigentlich bald eintreffen müsste. „Aber sicher ist noch gar nichts“, so Jamet. Probleme aufzeigen
Zurück in die Sahelzone. Das Ausmaß der jährlichen „Hunger-Saison“ war hier auch in den vergangenen Jahren enorm, berichtet Koordinator Stéphane Doyon. Im „Krisenjahr“ 2010 mussten allein in Niger insgesamt 330.000 schwer mangel ernährte Kinder behandelt werden. 2011 – eigentlich ein „gutes Jahr“ – waren es 307.000 Kinder. „Wir müssen überdenken, was eine ‚Krise‘ in der Region ausmacht und was als ‚normal‘ zu bezeichnen ist“, sagt Doyon. „Nothilfe ist nötig, denn sie rettet Leben. Aber sie kann nicht die einzige Option sein.“ Langfristig sind im Kampf gegen den Hunger im Sahel strukturelle Maßnahmen notwendig. Darauf wird Ärzte ohne Grenzen immer wieder hinweisen – und selbst alles daransetzen, weiterhin innovative Wege zu finden, Menschen in Not zu erreichen.
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Es gibt Situationen, in denen es zu gefährlich ist, internationale Helfer und Helferinnen in ein Krisengebiet zu schicken. Wie kann man den Menschen in Not trotzdem helfen? In solchen Fällen entscheiden wir uns oft, das Hilfsprogramm „ferngesteuert“ fortzuführen. Das bedeutet, dass nur lokales Personal vor Ort bleibt und alle Aufgaben übernimmt. Die internationalen Mitarbeiter werden abgezogen und halten sich an einem sicheren Ort auf, von wo das Programm geleitet wird. Das Personal vor Ort übernimmt wichtige Management-Aufgaben wie Kommunikation, Monitoring und das Berichten an die internationalen Kollegen, mit denen es über Telefon und Internet in ständigem Kontakt ist. Diese wiederum müssen erfahren sein, um aus der Entfernung zu verstehen, was genau passiert. Wenn es die Lage erlaubt, machen sie kurze Besuche. Ein Beispiel? Als Hilfsorganisationen im Sudan zunehmend angefeindet wurden und in Nord-Darfur internationale Helfer zum Ziel von Angriffen und Entführungen wurden, beschlossen wir 2009, unsere Klinik in Shangil Tobaya aus der Entfernung zu leiten. Das internationale Team ist in der lokalen Hauptstadt El-Fashir untergebracht und stattet dem Programm – nach gründlicher Analyse der Sicherheitslage – zweimal pro Woche Besuche ab. Ist diese Arbeitsweise nicht gefährlich für das nationale Personal, das ja vor Ort bleibt? Wir analysieren die Situation ständig. Wir würden nicht zulassen, dass Mitarbeiter in Gefahr geraten. Ande-
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Feisal Omar, Julie Remy (2)
Interview: Die Ärztin Mzia Turashvili arbeitet im Wiener Büro von Ärzte ohne Grenzen und hat Hilfsprogramme in Konfliktgebieten untersucht, in denen der Einsatz von internationalen Teams nicht möglich ist.
Mzia Turashvili arbeitet als Evaluatorin bei Ärzte ohne Grenzen Österreich.
rerseits leben diese Menschen ja in der Gegend, und dadurch haben sie ein sehr gutes Gefühl für die Lage. Das ist eine zusätzliche Absicherung. Am wichtigsten ist aber in einer solchen Situation, von den Menschen, Behörden und Konfliktparteien als neutrale und unabhängige Organisation wahrgenommen zu werden. Das ist der wichtigste Schutz für unsere nationalen Mitarbeiter. Gibt es Einschränkungen, wenn ein Hilfsprogramm aus der Entfernung geleitet wird? Diese Art zu arbeiten ist stark vom verfügbaren Personal abhängig. In den Ländern, in denen wir arbeiten, ist es meist schwierig, gut ausgebildete Fachkräfte zu finden. Deshalb kann unter solchen Umständen meist keine spezialisierte medizinische Hilfe geleistet werden, wie etwa Chirurgie auf hohem Niveau. Auch ist es schwierig, gut ausgebildete Psychologen und Psychiater zu bekommen. Allgemeine Krankenhaus-Medizin, Mutter-Kind-Hilfe und Ernährungsprogramme können aber meist problemlos angeboten werden.
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Robin Meldrum/MSF
Hilfe für die Menschen im Südsudan: Auch nach der Unabhängigkeit ist das Land von Unterernährung und Vertreibung geprägt.
THEMA
Die Grenzen der Hilfe
Rettungsflug nach Nasir: Nach einem Angriff im benachbarten Bundesstaat Jonglei wurden Verwundete mit dem Flugzeug gebracht.
Von einem Notfall zum nächsten
Südsudan: Projektkoordinator Thomas Rassinger berichtet, wie es ist, ein Krankenhaus im Krisengebiet zu leiten – und dabei auch manchmal an Grenzen zu stoßen.
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s führen keine Straßen nach Nasir. Die kleine Stadt liegt sehr abgeschieden, im äußersten Osten des Südsudan an der Grenze zu Äthiopien. Man kann nur in der Trockenzeit anreisen, per Flugzeug – in der Regenzeit verwandelt sich die Landschaft in ein Meer aus Schlamm. Wenn die Maschine zur Landung ansetzt, sieht man zunächst den Fluss Sobat, der sich durch die flache Landschaft schlängelt. An einer sanften Biegung eine Ansammlung von Tukuls, Lehmhütten mit spitzen Strohdächern: Nasir. Als ich erstmals aus der Hauptstadt Juba kommend ausstieg, war ich ein wenig nervös. Ich bin Logistiker und war schon dreimal für Ärzte ohne Grenzen auf Einsatz. Dieses Mal sollte ich aber erstmals als Projektkoordinator arbeiten – eine Aufgabe, die besonders viel Verantwortung mit sich bringt. Meine neuen Kollegen holten mich am Flugfeld ab. Wir fuhren mit dem Geländewagen in den Ort: Am Wrack eines abgestürzten Flugzeuges vorbei, am Fluss
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entlang und schließlich zwischen den Tukuls hindurch ging es zu unserem Ziel, dem Krankenhaus. Nun war ich also dort angekommen, wo ich neun Monate lang als Koordinator für das gesamte Projekt verantwortlich sein würde. Ärzte ohne Grenzen betreibt in Nasir, das im Bundesstaat Upper Nile liegt, das einzige funktionierende Spital der Region. Wir sind hier tätig, weil alles zusammengebrochen ist: Nach Jahrzehnten des Krieges gibt es keine Infrastruktur, keine Gesundheitsversorgung, nicht genügend Nahrung – der Bedarf an Hilfe ist riesig. Unser Team hat denn auch alle Hände voll zu tun. Pro Monat werden rund 5.000 Behandlungen durchgeführt, und die stationäre Abteilung umfasst 100 Betten – die eigentlich immer voll sind. Es gibt einen Operationssaal und eine Geburtenstation. Ein eigenes Programm hilft Menschen, die an Tuberkulose (TB) leiden, und ein kleineres Patienten mit HIV/Aids. Ein großes Problem ist die Gewalt. Der Südsudan ist auch nach dem offi-
ziellen Ende des Bürgerkrieges und der Abspaltung vom Norden von Kämpfen, Vertreibungen und Not geprägt. Dabei sterben viele Menschen, und noch mehr werden verletzt. Viele der Schwerverletzten wurden während meiner Zeit in Nasir unter dramatischen Umständen aus anderen Landesteilen zu uns gebracht. Doch dazu komme ich noch. Spezialnahrung für die Kinder
Nasir liegt in einem Gebiet, in dem die Ernährungssituation sehr angespannt ist. In einem guten Jahr hungern die Menschen – in einem schlechten verhungern viele, sagt man hier. Eine Aussage, die leider allzu oft zutrifft. Zeitweise mussten wir 70 akut unterernährte Kinder im Spital aufnehmen. Bis zu 300 mangelernährte Kinder wurden ambulant behandelt. Wenn die Kleinen völlig ausgemergelt zu uns kommen, erhalten sie therapeutische Spezialnahrung, damit sie wieder zu Kräften kommen. Es tut gut zu sehen, wie rasch sie sich dann meist wieder erholen.
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können einfach nicht schnell genug vor den Angreifern davonlaufen. An diesem Tag wurden etwa 30 Schwerverletzte nach Nasir gebracht. Ohne Ärzte ohne Grenzen hätten die meisten von ihnen keine Überlebenschance gehabt. Und das ist auch die Belohnung: die Gewissheit, Leben zu retten. Der Dank der Menschen dafür ist sehr groß. Etwa jener Frau, die so glücklich über unsere Hilfe war, dass sie ihr Neugeborenes nach mir benannt hat. Solche Gesten motivierten mich, wenn nötig auch an meine Grenzen zu gehen. Denn die Belastung war oft extrem. An manchen Tagen eilte ich von einem Notfall zum nächsten ein Beispiel: Benzin oder Baumaterial für das Spital kann nur über den Fluss aus Äthiopien angeliefert werden. Also arrangiere ich ein Boot für den Transport. Dann erreicht mich ein Anruf: Ein lokaler Mitarbeiter ist aus unbekannten Gründen festgenommen worden. Ich eile zur Polizei, um die Angelegenheit zu klären. Plötzlich ist unser Flugzeug zu hören. Es bringt Schwerverletzte, die sofort ins Spital transportiert werden müssen, um notoperiert zu werden … Nach solchen Tagen war es eine Wohltat, wenn ich mich abends in meinen Tukul zurückziehen konnte, um zu lesen und mich zu entspannen. Oder nach einer harten Woche am Sonntag, wenn ich frei hatte, mit einigen meiner Kollegen am Fluss fischen zu gehen. Jetzt, da ich wieder in Wien bin, denke ich gerne zurück an meine Zeit in Nasir, mit allen Höhen und Tiefen. Ich will etwas bewegen, und mit Ärzte ohne Grenzen kann ich das. Deshalb möchte ich bald wieder auf Einsatz gehen.
FAKTEN
Ärzte ohne Grenzen im Südsudan Einsatzbeginn: 1979 bzw. 2011 (Staatsgründung) Mitarbeiter vor Ort: Rund 2.200 Schwerpunkte: • Basisgesundheitsversorgung • Nothilfe für Vertriebene • Notfallmedizin • Chirurgie • Mutter-Kind-Versorgung • mobile Kliniken ÄGYPTEN • Ernährungsprogramme • Behandlung von LIBYEN Kala Azar • Impfkampagnen Nil
Thomas Rassinger war neun Monate im Südsudan.
Meine Aufgabe als Projektkoordinator war es, dafür zu sorgen, dass das Programm von Ärzte ohne Grenzen in Nasir gut läuft, und ich war für das Team zuständig. Die Belegschaft in Nasir ist groß, es gibt neun internationale und rund 180 nationale Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Neben dem Personalmanagement fiel auch die Sicherheit in mein Aufgabengebiet. Es war oft sehr schwierig, auch die Grenzen unserer Hilfe zu akzeptieren. Wir betreiben in Nasir ein kleines HIV/ Aids-Programm. Da die Ressourcen und Medikamente aber einfach nicht ausreichten, mussten wir darauf verzichten, das Programm zu vergrößern – obwohl der Bedarf vorhanden war. Es gehörte zu meinen schwierigsten Aufgaben, den Menschen und dem Team sagen zu müssen, dass dies nicht geht, weil medizinische Nothilfe Vorrang hat. Eines Morgens erreichte uns ein Notruf. Die Stadt Pieri, im benachbarten Bundesstaat Jonglei, war angegriffen worden. Es soll Hunderte Tote gegeben haben, und noch mehr Verletzte. Unter den Toten waren auch südsudanesische Angestellte von Ärzte ohne Grenzen. Unsere Einrichtungen dort wurden geplündert und teils niedergebrannt. Sofort wurden alle verfügbaren Ärzte und Chirurgen alarmiert und der OP-Saal vorbereitet: Die Propellermaschine von Ärzte ohne Grenzen war schon mit den ersten Schwerverletzten unterwegs. Wir warteten am Flugfeld, als das Flugzeug landete. Es ist schockierend zu sehen, dass bei solchen Angriffen vor allem Kinder und ältere Menschen von den Kugeln und Speeren verletzt werden. Sie
Al Hartum (Khartum)
TSCHAD
SUDAN
Nasir Z E N T R A LAFRIKAN. REPUBLIK
ÄTHIOPIEN
SÜDSUDAN Juba ZAIRE
Südsudan Fläche: 644.329 km2 Einwohner: 8,2 Millionen Hauptstadt: Juba Lebenserwartung: 42 Jahre Kindersterblichkeit*: 108 von 1.000 Kindern sterben vor ihrem 5. Geburtstag (Österreich: 4,5 pro 1.000) Ärzte pro Einwohner*: 2,2 pro 10.000 (Österreich: 34 pro 10.000) * Zahlen für die Republik Sudan vor der Unabhängigkeit der Republik Südsudan.
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Der Comic-Band kann gegen eine freiwillige Spende im Büro von Ärzte ohne Grenzen bestellt werden. Kontakt: katja.ott@aerzte-ohne-grenzen.at
HINTERGRUND
Leben im Flüchtlingslager
Besuch in Dadaab: Die beiden Comic-Künstler Andrea Caprez und Christoph Schuler haben für Ärzte ohne Grenzen im größten Flüchtlingslager der Welt recherchiert. Herausgekommen ist die Graphic Novel „Out of Somalia“.
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ie leben die Menschen im größten Flüchtlingslager der Welt? Um dieser Frage nachzugehen, reisten die Schweizer Comic-Autoren Andrea Caprez und Christoph Schuler Anfang 2011 für Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) nach Kenia. Sie recherchierten in Dagahaley, einem der Flüchtlingslager in Dadaab. Ursprünglich für 90.000 Menschen geplant, beherbergen die überfüllten Flüchtlingslager in Dadaab heute mehr als eine halbe Million Flüchtlinge aus Somalia. In ihrer Graphic Novel „Out of Somalia“ beschreiben Caprez (Zeichnungen) und Schuler (Texte) den Alltag und die schwierigen Lebensbedingungen dieser Menschen.
OutOfSomalia_FlyerA6:Layout 1
Andrea Caprez und Christoph Schuler
präsentieren
Out of Somalia Zeichnungen aus dem größten Flüchtlin gslager
Out of Somalia Ausstellung: Das Werk von Andrea Caprez und Christoph Schuler wird auf der Friedensburg Schlaining präsentiert.
der Welt
Eine Ausstellung von Ärzte ohne Grenzen und Friedensburg Schlaining
13. April bis 31. Oktober 2012 Friedensburg Schlaining – Burghof Stadtschlaining, Burgenland Öffnungszeiten: 9.00 - 17.00 Uhr montags geschlossen (außer an Feiertag en)
Noch bis zum 31. Oktober ist der Graphic Novel der beiden ComicKünstler eine Ausstellung gewidmet: „Out of Somalia — Zeichnungen aus dem größten Flüchtlingslager der Welt“. Ort: Friedensburg Schlaining (Stadtschlaining, Burgenland) Mehr Informationen unter www.aerzte-ohne-grenzen.at
Recherche in Dagahaley: Zeichner Andrea Caprez und Autor Christoph Schuler im Februar 2011 bei der Arbeit an „Out of Somalia“.
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Mehr Informationen unter www.aerz
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te-ohne-grenzen.at
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Freiwillige für Ärzte ohne Grenzen derzeit im Einsatz:
P.K. Lee
Weltweite Hilfe: Im Jahr 2011 waren Teams von Ärzte ohne Grenzen in über 60 Ländern aktiv.
Aus den Einsatzgebieten
blickte die Welt auf die Folgen der Naturkatastrophen in Japan, gleichzeitig sorgte der eskalierende Bürgerkrieg in Libyen für Schlagzeilen. Ärzte ohne Grenzen war in beiden Krisengebieten im Einsatz – mobilisierte aber zugleich die Nothilfe für die Bevölkerung in Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste). In dem westafrikanischen Staat waren nach den Wahlen blutige Auseinandersetzungen ausgebrochen, die viele Menschenleben
Mittelherkunft (Erträge): Ungebundene Spenden, Beiträge, Erbschaften Zweckgebundene Spenden – Vortrag gebundene Spenden auf Folgeperioden + Verwendung gebundene Spenden aus Vorjahr Sonstiges Summe Erträge
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2010 (E)
17.613.422,08 1.927.362,44
15.478.584,81 2.384.054,36
– 179.350,56
– 500.837,84
369.711,09 1.030,00 76.789,10 34.302,03 19.807.934,15 17.397.133,36
Mittelverwendung (Aufwendungen):
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2010 (E)
Beteiligung an Hilfseinsätzen 13.667.861,70 11.014.341,21 Vorbereitung und Unterstützung der Einsätze 1.213.384,07 1.086.207,13 Witnessing/Awareness Raising 609.109,92 475.526,78 Aufwendungen für den sozialen Auftrag (Social Mission) 15.490.355,69 12.576.075,12 Öffentlichkeitsarbeit in Österreich 36.614.34 47.195,97 Spendenbeschaffung & Spenderinformation 2.019.810,29 1.705.488,47 Gewinnung neuer Spender und Sponsoren 598.850,52 704.008,55 Administration, Finanzwesen, Infrastruktur 810.441,88 701.736,29 Aufwendungen für andere Aktivitäten (sonstige Kosten) 3.465.717,03 3.158.429,28 Aufwendungen gesamt 18.956.072,72 15.734.504,40 Zuweisung Rücklagen 851.861,43 1.662.628,96
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1020 Wien, 10Z038723M
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m Jahr 2011 beging Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) 40-jähriges Jubiläum. Im Jahr 1971 in Paris gegründet, ist aus Ärzte ohne Grenzen vier Jahrzehnte später eine internationale Organisation geworden, die weltweit über acht Millionen Menschen direkt medizinisch versorgt. Diese unbürokratische Nothilfe wurde auch im vergangenen Jahr wieder vielerorts dringend gebraucht. Im März
und Verletzte forderten und Hunderttausende in die Flucht trieben. Mitte 2011 rückte eine andere Krise ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Im kriegszerrütteten Somalia verschlechterte sich die Lage durch eine Dürre periode dramatisch. Tausende Familien flüchteten ins benachbarte Kenia, wo sich in den Flüchtlingslagern in Dadaab mittlerweile mehr als 500.000 Menschen angesiedelt haben. Der Einsatz für die Menschen aus Somalia ist aufgrund der anhaltenden Gewalt schwierig und gefährlich: Im Oktober wurden zwei spanische Mitarbeiterinnen aus Dadaab entführt, und am Jahresende wurden die beiden Helfer Philippe Havet und Andrias Karel Keiluhu in der Hauptstadt Mogadischu erschossen. Dennoch lässt Ärzte ohne Grenzen die Menschen in Somalia nicht im Stich und betreibt Hilfsprogramme in bis zu 22 Regionen in Süd- und Zentralsomalia. Im Jahresbericht 2011 hat Ärzte ohne Grenzen den österreichischen Beitrag veröffentlicht: 165-mal sind Helfer und Helferinnen von Österreich aus im Einsatz gewesen. Mit mehr als 13,6 Millionen Euro aus Österreich wurden im vergangenen Jahr 26 Hilfseinsätze in 23 Ländern direkt finanziell unterstützt.
Ärzte ohne Grenzen 5/2011, P.b.b.,
Jahresbericht: Versorgung von Kriegsverletzten in Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste), Hilfe für unterernährte Kinder in Somalia: Der Schwerpunkt der Einsätze im Jahr 2011 war die Unterstützung für die Betroffenen von Krieg und Mangelernährung.
Grenzen leistet in über 60 Ländern Weltweiter Einsatz: Ärzte ohne Hilfe für schnell und unparteiisch medizinische Not. über acht Millionen Menschen in
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2011 IM RÜCKBLICK
sbericht im einsatz 2011: jahre Ärzte ohne Grenzen Österreich
Ausgezeichnet mit dem Friedensnobelpreis
Jetzt anfordern: Jahresbericht 2011 Fordern Sie den kostenlosen Jahresbericht 2011 an bei: Ärzte ohne Grenzen, Taborstraße 10, 1020 Wien. Tel.: 0800 246 292 (gebührenfrei), E-Mail: office@aerzte-ohne-grenzen.at. Web-Download: www.aerzte-ohne-grenzen.at/bilanz
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Marie Chesnay, Tschad Wien, Hebamme Marcus Bachmann, Tschad Wien, Projekt-Koordinator Mariana Bota, Irak Ploiesti (RO), Allgemeinmedizinerin Toni Bovenzi, Afghanistan Ehenbichel, Anästhesist Markéta Chvojkova, Demokr. Republik Kongo Prag (CZ), HR-Manager Christine Denk, Pakistan Wien, Gynäkologin Miroslav Durila, Afghanistan Prag (CZ), Anästhesist Marek Dvorak, Südsudan Brno (CZ), Logistiker Jana Dvoranova, Guinea Prag (CZ), HR-Koordinatorin Daniela Ferrari, Südsudan Wien, HR-Koordinatorin Gudrun Gradinger, Swasiland Wien, Logistikerin Anthony Hauninger, Niger Wien, Finanz- und Personalwesen Ondrej Horvath, Südsudan Prag (CZ), Projekt-Koordinator Bernhard Kerschberger, Südsudan Nestelbach, Allgemeinmediziner Jürgen Kerschner, Südsudan Wien, Logistiker Ludwig Lepka, Afghanistan Moosdorf, Chirurg Susanna McAllister, Äthiopien Neunkirchen, Allgemeinmedizinerin Hassan Mugne, Usbekistan Wien, Allgemeinmediziner Andrea Netzer, Afghanistan Landeck, Krankenschwester Georg Obereder, Äthiopien Ebbs, Krankenpfleger Basak Ozaltin, Sierra Leone Ankara (TUR), HR-Koordinatorin Maria Papsová, Kirgisistan Povazska Bystrica (SK), Finanz- und Personalwesen Julia Rajko, Tschad Budapest (HU), Administratorin Andreas Ramstorfer, Uganda Wien, Logistiker Andrea Riedel, Haiti Wien, Allgemeinmedizinerin Ursula Schlosser, Kirgisistan Uttendorf, Labortechnikerin Margarete Schmitz, Pakistan Lanzendorf, Anästhesistin Markus Schweitzer, Demokr. Republik Kongo Röthis, Logistiker Verena Seidler, Pakistan Oberwart, Gynäkologin Jana Skaroupkova, Pakistan Wien, Pharmazeutin Maria Elisabeth Stradner, Irak Allerheiligen, OP-Krankenschwester Klaus Täuber, Libyen Braunau, Allgemeinmediziner Klemens Thaler, Demokr. Republik Kongo Wolfurt, Logistiker´ Eszter Varga, Kirgisistan Budapest (HU), Logistikerin Helena Vlckova, Bangladesch Teplica (CZ), Projekt-Koordinatorin Hana Vranova, Südsudan Prag (CZ), Administratorin Dominique Waldau, Burundi Wien, Hebamme Silvia Wenzl, Kamerun Linz, Krankenschwester Martin Zinggl, Haiti Wien, Anthropologe
Auf Einsatz gehen. Informationen unter: www.aerzte-ohne-grenzen.at/ auf-einsatz-gehen diagnose 2/2012
Intern: Buchbesprechung
Helfen um jeden Preis?
Einblick: In einem neuen Buch berichten Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen von schwierigen Verhandlungen und schmerzhaften Kompromissen, durch die in manchen Krisen die Hilfe erst möglich wurde.
Magone, Neuman, Weissman: „Agir à tout prix?“ (La Decouverte 2011)
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elche Kompromisse sind erlaubt, um Hilfe möglich zu machen? In kaum einem Einsatzland wurde diese Frage innerhalb von Ärzte ohne Grenzen/Médecins Sans Frontières (MSF) heftiger diskutiert als in Myanmar: Im Jahr 2006 zog sich ein Teil der Organisation unter Protest aus dem Land zurück, nachdem der Versuch, ein Malaria-Programm in der Grenzregion zu Thailand zu etablieren, von den Behörden behindert worden war. Gleichzeitig führten andere Teams der Organisation ein erfolgreiches HIV/Aids-Programm weiter, in dem doppelt so viele Patienten und Patientinnen behandelt werden als in den staatlichen Programmen. Möglich ist dies, weil der Einsatzleiter trotz aller Schwierigkeiten mit den Machthabern verhandelt und weitgehend auf öffentliche Kritik verzichtet. Widersprüchliche Herangehensweisen wie diese prägen bei Ärzte ohne Grenzen immer wieder die internen Debatten. Die Entscheidungen, die sich daraus ergeben, werden nie leichtfertig getroffen und verfolgen immer dasselbe Ziel: möglichst wirksame medizinische Hilfe für Not leidende Bevölkerungen zu leisten. Dass Ärzte ohne Grenzen diese Debatten zulässt, trägt wohl nicht unwesentlich zum Erfolg der Hilfsprogramme bei. Anlässlich des 40. Gründungsjubiläums im vergangenen Dezember machte die
Organisation Problematiken wie jenes in Myanmar in einem selbstkritischen Buch öffentlich: In „Agir à tout prix?“ (Auf Englisch „Humanitarian Negotia tions Revealed“) beschreiben Mitarbeiter ihre Erfahrungen. „Hilfsorganisationen operieren nicht in einem politischen Vakuum“, resümiert Fabrice Weissman, einer der Autoren. „Wir müssen stets einen Kompromiss finden zwischen dem, was wir tun wollen, und dem, was die Behörden uns zu tun erlauben.“ Verhandlungen mit allen Parteien
Als Beispiel dafür beschreibt Weissman die Rückkehr von Ärzte ohne Grenzen nach Afghanistan im Jahr 2009. Die Organisation hatte sich aus dem Land zurückgezogen, nachdem 2004 fünf Mitarbeiter ermordet worden waren. Um die sichere Rückkehr zu ermöglichen, trafen sich Vertreter von Ärzte ohne Grenzen sowohl mit den Vertretern der bewaffneten Opposition als auch mit ranghohen USamerikanischen Militärs zu Gesprächen. So wurden schließlich alle Konfliktparteien davon überzeugt, den neutralen Status der medizinischen Hilfe für alle Betroffenen zu respektieren. Ein Kapitel des Buches beschäftigt sich mit Somalia – einem der heikelsten Terrains für humanitäre Helfer. Entgegen den Grundsätzen der Organisation müssen die Teams von Ärzte ohne Grenzen hier bewaffneten Schutz akzeptieren – anders wäre es nicht möglich, sich in dem kriegszerrütteten Land zu bewegen. Das Buch erinnert daran, dass humanitäre Hilfe in erster Linie eine menschliche Reaktion auf fürchterliche Bedingungen ist, dass sie aber kein Allheilmittel gegen diese Bedingungen sein kann. Beim Verhandeln, Abwägen und Kompromissefinden darf das eigentliche Ziel, die medizinische Hilfe für die Menschen, denen sonst niemand beisteht, nie aus den Augen verloren werden.
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Serie: Warum ich Ärzte ohne Grenzen unterstütze
Ihre Spende wirkt. Zum Beispiel in Mogadischu, Somalia (Bild).
Das Kellergassenfest in Langenzersdorf: Spenden für Menschen in Not.
spenden, partner, kooperationen
• Unabhängige Wirtschaftsprüfung durch die BDO Austria • Österreichisches Spendengütesiegel: bestätigt widmungsgemäßen und wirtschaftlichen Umgang mit Spenden sowie einwandfreie Spendenverwaltung • Steuerliche Absetzbarkeit von Spenden
Taborstraße 10, 1020 Wien Tel.: 0800 246 292 (gebührenfrei) Fax: 01/409 72 76-42 spende@aerzte-ohne-grenzen.at Spendenkonto: PSK 930.40.950
Transparenz schafft Vertrauen und Sicherheit
Kellergassenfest hilft Menschen in Not
Ihre Spende: Ärzte ohne Grenzen berichtet regelmäßig über die Verwendung der Spenden. So wie jetzt im aktuellen Jahresbericht.
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ie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Ärzte ohne Grenzen in den Einsatzgebieten werden oft bewundert. Dafür, oft als erste oder einzige Hilfsorganisation dort zu sein, wo in einem Notfall rasche medizinische Hilfe nötig ist. Weltweit. Und für den Mut, sich freiwillig in Situationen zu begeben, die durchaus gefährlich und in vielerlei Hinsicht schwierig sind – um anderen zu helfen. Für die Effizienz der Hilfe, die dank einer ausgefeilten Logistik und einer weltweiten Vernetzung möglich ist. Und nicht zuletzt auch für die
maximale Transparenz im Umgang mit jeder Spende. Spender haben im Allgemeinen wenig Möglichkeiten, die sinnvolle und effiziente Verwendung ihrer Spenden zu kontrollieren. Daher müssen die Organisationen für eine regelmäßige, wahrheitsgetreue und nachvollziehbare Information sorgen. Ärzte ohne Grenzen wird unabhängig geprüft und veröffentlicht jährlich einen detaillierten Jahresund Finanzbericht. Darüber hinaus gibt es Rechenschaftsberichte zu außergewöhnlichen Spendenaktionen wie der Somalia-Krise im Jahr 2011.
Mehr Informationen auf Seite 12. Jahres- und Finanzbericht als Download unter www.aerzte-ohne-grenzen.at/bilanz
Film des Jahres 2011:
Ratgeber:
Das Jahr in Bildern
Zukunft schenken mit einem Vermächtnis
Der Film gibt Einblick in verschiedene Einsätze von Ärzte ohne Grenzen. Sie können die DVD bei unserem Spender-Service kostenlos anfordern: 0800 246 292 (gebührenfrei)
Fordern Sie den Ratgeber kostenlos und unverbindlich an! Katrin Kopfensteiner Tel.: 01/409 72 76-19 E-Mail: katrin.kopfensteiner@aerzte-ohne-grenzen.at Mehr Informationen: www.aerzte-ohne-grenzen.at/ zukunft_schenken
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Initiative: Yann Libessart/MSF
Zertifikate:
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Erika Böchheimer,
„Unser Floridsdorfer Doktor steckt heut aus – da bleiben wir auf keinen Fall zu Haus …“ Seit vielen Jahren engagiert sich der Arzt Dr. Rössler auf besondere Weise für Ärzte ohne Grenzen: Er hilft Menschen in Not mit seinen Einnahmen aus dem Kellergassenfest der Gemeinde Langenzersdorf. „Weil ich selbst nicht aktiv dabei sein und meine Ordination nicht zusperren kann, helfe ich mit meinen Einnahmen aus dem gemeinsamen Kellergassenfest. Das passt zu mir und zu meiner Berufung“, erzählt Dr. Rössler. Für dieses besondere Engagement ein herzliches Danke!
Spenderin aus Wien
„Warum ich Ärzte ohne Grenzen unterstütze? Weil ich denke, dass wir hier in Österreich eine sehr gute ärztliche Betreuung haben, und weil medizinische Nothilfe bei uns jederzeit möglich, in anderen Ländern aber nicht vorhanden ist. Bei uns benötigt man oft nur eine Spritze, um eine Krankheit zu bekämpfen. Woanders ist dieselbe Krankheit oft tödlich. Hilfe, wo sonst keiner helfen kann – das ist für mich die Arbeit von Ärzte ohne Grenzen. Es ist schön, wenn man helfen kann, indem man einem Baby eine notwendige Impfung ermöglicht, oder wenn man bewirkt, dass Menschen zumindest einmal im Leben einen Arzt sehen. Alles Dinge, die bei uns selbstverständlich sind. Ich finde es gut, dass mit der Arbeit von Ärzte ohne Grenzen nicht nur den Patienten geholfen wird, sondern dass es auch eine tolle Erfahrung für die Ärzte ist. Weiter so!“ Frau Erika Böchheimer unterstützt die weltweiten Hilfseinsätze von Ärzte ohne Grenzen mit ihrer Spende. Herzlichen Dank für Ihre Hilfe und Ihr Vertrauen!
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Telefonische Spenderbetreuung:
„Schön, dass ich Sie persönlich erreiche!“ Ein Satz, den Sie vielleicht schon am Telefon gehört haben. Anfang 2004 hat Ärzte ohne Grenzen mit Unterstützung der Firma Europ Assistance eine telefonische Spenderbetreuung eingerichtet. Seither hat unser Team Tausende von Spendern und Spenderinnen angerufen, um sich für eine Spende zu bedanken oder auf ein aktuelles Anliegen aufmerksam zu machen. Für Ärzte ohne Grenzen ist ein Telefonat sehr wertvoll. Wir können unser Anliegen – meistens die Bitte um eine regelmäßige Unterstützung – persönlich erklären. Und es ist großartig, mehr über die Wünsche unserer Spender zu erfahren. Fast immer sind nach einem Gespräch beide Seiten zufrieden. Viele Spender sagen das direkt, andere zeigen es durch eine weitere Spende. Europ Assistance bringt als Partner langjährige Erfahrung in der Telefonbetreuung mit. Zusätzlich unterstützt Europ Assistance jedes unserer Telefongespräche mit einer Spende.
Spendenbeschaffung:
Wie Spenden zu mehr Spenden werden Wer eine Spende gibt, möchte damit die Not anderer Menschen lindern. Und dann wird ein Teil dieser Spende für Information und Werbung ausgegeben. Muss das sein? Manche Spender bestellen die DIAGNOSE ab, um Verwaltungskosten zu sparen. Es ist gut gemeint. Sparen ist richtig und wichtig. Aber am falschen Ort zu sparen würde zu weniger statt zu mehr Hilfe führen. Daher setzen wir einen Teil der Spenden dafür ein, weitere Spenden zu bekommen. Sehr sparsam und sorgfältig: Das Heft, das Sie gerade in der Hand halten, kostet inklusive Porto 55 Cent. Durchschnittlich fünf Euro pro Heft erhalten wir an Spenden, fast das Zehnfache der Kosten. So führt jede Spende zu weiteren Spenden und damit zu mehr Hilfe für Menschen in Not.
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. N E S S E G R E V NICHT . o g n o K
m i a r e l Cho
Š Robin Meldrum
Wir sehen sie nur manchmal. Aber es gibt sie immer. Die Krisen dieser Welt. Die Teams von Ă„rzte ohne Grenzen sind dort. Und helfen. PSK Kontonummer 930.40.950, BLZ 60.000 SMS mit Spendenbetrag an 0664 660 1000 www.aerzte-ohne-grenzen.at