Die beste Zeit Nr. 14

Page 1

DIE BESTE ZEIT Das Magazin für Lebensart

Von der Heydt-Kunsthalle Ausstellung Cornelius Völker

Endstation Sehnsucht Wuppertaler Bühnen

Das Leben wohnt im Herzen 528 Werke für Kölner Museen Momo im Kinder- und Jugendtheater Nachlass von Prof. Irene Ludwig

Ausgabe 14, 2012 - 3,50 Euro

Ménage à Trois in der Bundeskunsthalle Bonn Wuppertaler Literatur Literatur Biennale 2012

Von der Heydt-Museum Stürmische Pferde

Ich finde Wuppertal wunderbar Neue Bücher Portrait Lutz-Werner Hesse zu Geschichte und Kunst

Das Bauhaus Fischer Bauhaus-Architektur in Wuppertal

Japan, Ginkgo, Goethe Portrait des Klaus Stiebeling

Kulturnotizen Kulturveranstaltungen der Region

ISSN 18695205

Wuppertal und Bergisches Land

1


WIR GESTALTEN ATMOSPHÄRE. Messe- und Eventkonzept für LOGOCOS, einem führenden Hersteller von Naturkosmetika.

Ueberholz. GmbH Büro für temporäre Architektur Telefon: +49 (0) 202 2 80 96-0 www.ueberholz.de

„Die Beste Zeit – Das Magazin für Lebensart“ erhalten Sie ab sofort: Galerie

epikur

epikur

Friedrich-Ebert-Straße 152a 42117 Wuppertal · Tel.: 4 26 52 62 www.galerie-epikur.de

Museums-Shop Turmhof 8 42103 Wuppertal Telefon (0202) 563-6231 www.von-der-heydt-museum.de

Bürobedarf Illert Grabenstraße 4 · 42103 Wuppertal Telefon (0202) 97 65 808 www.buero-illert.de

Bücher Köndgen Werth 79 · 42103 Wuppertal Telefon (0202) 24 800-50 www.koendgen.de

Bahnhofsbuchhandlung im Barmer Bahnhof Winklerstraße 2 · 42283 Wuppertal Telefon (0202) 59 53 85

Wohn- und Objektbeleuchtung

Friseursalon Capilli

Karlstraße 37 · 42105 Wuppertal Telefon (0202) 2 44 34 40 www.lichtbogen-wuppertal.de

Heinrich Wermann-Bruschke Manteuffelstr. 2, 42329 Wuppertal Telefon (0202) 30 13 22

Friedrich-Ebert-Str. / Ecke Laurentiusstr. 12 42103 Wuppertal Telefon (0202) 30 40 01 www.mackensen.de

Umschlagbild: Druckservice HP Nacke KG Mediapartner · Druck · Verlag

Friedrich-Engels-Allee 122 42285 Wuppertal Telefon (0202) 28 10 40 www.hpnackekg.de

Hauptstraße 17 42349 Wuppertal Telefon (0202) 47 28 70 www.nettesheim.com

Immanuelskirche Wuppertal-Barmen 42275 Wuppertal Telefon (0202) 64 19 69 www.immanuelskirche.de

„Improvisation 13“ Wassily Kandinsky, 1910, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe © VG Bild-Kunst, Bonn, 2012

Impressum „Die beste Zeit“ erscheint in Wuppertal und im Bergischen Land Erscheinungsweise: 5 – 6 mal pro Jahr Verlag HP Nacke KG - Die beste Zeit Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal Telefon 02 02 - 28 10 40 E-Mail: verlag@hpnackekg.de V. i. S. d. P.: HansPeter Nacke Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt.

Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser Beiträge zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich. Kürzungen bzw Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann keine Gewähr übernommen werden. Nachdruck - auch auszugsweise - von Beiträgen innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder Unterlassungen keine Haftung übernommen.


Editorial Im Frühling der Literatur Bergische Leseratten wissen es längst – Wuppertal ist eine Literaturstadt. Nicht erst seit den Tagen von Else Laker-Schüler und Armin T. Wegener entstehen hier – „am schwärzesten Fluß der Welt“ – Romane und Gedichte, Erzählungen und Essays von Rang. In ungezählten, zumeist gut besuchten Veranstaltungen der überaus engagierten, lokalen Literaturvereine werden sie dem interessierten Publikum vorgestellt. Literatur in Wuppertal – das meint in der Geburtstadt Friedrich Engels nicht nur belletristische Unterhaltung, sondern mitunter auch politische Aufklärung, mittels künstlerisch gestalteter Sprache. In dieser Tradition startet am 6. Juni 2012 die erste Wuppertaler Literaturbiennale unter dem Motto „Freiheit“. In mehr als zwanzig hochkarätigen Veranstaltungen präsentieren sich an zehn Tagen internationale und regionale Autoren/innen. Die Reihe der Schriftsteller/innen reicht von der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller bis hin zu begeisterten Amateuren, die im Schreiben weit mehr als nur ein interessantes Hobby gefunden haben. Entwickelt wurde die Idee im städtischen Kulturbüro unter der Leitung von Monika Heigermoser. Doch hat man nicht einfach eine weitere Kulturveranstaltung „von oben“ dekretiert. Vielmehr versammelten die Initiatoren sämtliche Literaturvereine der Stadt, dazu Schriftsteller, Verleger, Theaterleute und Literaturwissenschaftler der Bergischen Universität um den sogenannten „Literaturtisch“. Hier wurden dann die konzeptionellen Weichen für das vielfältige Biennaleprogramm gestellt, das von einem fünfköpfigen Beirat und den Mitarbeiter/innen des Kulturbüros organisiert wurde. Das gesamte Programm wird Mitte April offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt. An dieser Stelle sei zunächst nur auf zwei Veranstaltungen hingewiesen, die das Thema „Freiheit“ in besonderer Weise wiederspiegeln. Die Eröffnungsfeier am 6. Juni 2012 im Mendelssohn-Saal der Historischen Stadthalle am Johannisberg hat mit dem Ägypter Chalid-Al-Chamissi und der Syrerin Salmar Yazbek zwei prominente Autoren zu Gast, die sich zusammen mit zahlreichen anderen Schriftstellern und Intellektuellen am demokratischen Aufbruch in ihrer Heimat aktiv beteiligen – dem „Arabischen Frühling“. Im Gespräch mit der Journalistin Asli Sevindim und dem bekannten OrientExperten Michael Lüders erörtern sie die Frage, welcher Stellenwert der Literatur innerhalb dieser Freiheitsbewegung zukommt. Das Schönberg-Orchester der Wuppertaler Musikhochschule, unter der Leitung von Werner Dickel, bringt noch unaufgeführte Werke zeitgenössischer, arabischer Komponisten zu Gehör. Was die jüngste Generation internationaler Theaterautoren unter Freiheit versteht, möchte die „Lesebühne“ zeigen. Am 10. und 11. Juni werden jeweils um 18.00 Uhr im Festsaal der Rudolf-Steiner-Schule von Schauspielschüler/ innen der Folkwang-Universität Essen/Bochum drei, von einer Jury ausgewählte, Stücke in szenischen Lesungen vorgestellt. Vor allem Schüler und Studenten sollten sich keinesfalls die Gelegenheit entgehen lassen, die starken Theatertexte ihrer eigenen Generation kennenzulernen. Der Eintritt ist frei. Die Veranstalter wie auch der „Literaturtisch“ freuen sich auf ein Publikum, das sich an diesen, hoffentlich sonnigen, Frühlingstagen der ersten Wuppertaler Literaturbiennale von den wunderbaren Texten inspirieren lässt, um hernach über die Freiheit, die Literatur und das eigene Leben vielleicht noch einmal ganz neu nachzudenken.

Gerold Theobalt

3


Barbara Neusel-Munkenbeck und die Urne “moi“

Keine Angst vor Berührung

seit 1813

Alles hat seine Zeit. Berliner Straße 49 + 52-54 · 42275 Wuppertal · www.neusel-bestattungen.de Tag

4

und Nacht 66 36 74


Inhalt Ausgabe 14, 4. Jahrgang, April 2012

Von der Heydt-Kunsthalle

Tanztheater Wuppertal Pina Bausch

Beobachtungen – Ausstellung Cornelius Völker von Frank Becker

Neueinstudierung der Aufführung „1980 – ein Stück von Pina Bausch“ Seite 36

Seite 6

… und das Leben wohnt im Herzen

MÉNAGE À TROIS

Aufführung des Stücks „Momo“ von M. Ende beim Kinder- und Jugendtheater von Martin Hagemeyer

Ausstellung Warhol, Basquiat, Clemente in der Bundeskunsthalle Bonn

Stürmische Pferde

Geschichtsbücher, Buchgeschichten

Zur Ausstellung „Der Sturm – Zentrum der Avantgarde“ im Von der Heydt-Museum von Marlene Baum Seite 12

Geschichtsbücher – Buchgeschichten vorgestellt von Matthias Dohmen

Das Bauhaus Fischer

Japan, Ginkgo, Goethe

Architektur im Bauhaus Stil in Wuppertal von Joachim Krug

Seite 18

Portrait des Weltreisenden und Japanfreundes Klaus Stiebeling von Matthias Dohmen

Endstation

Neue Kunstbücher

Tennessee Williams’ Stück inszeniert von Claudia Bauer für die Wuppertaler Bühnen – von Frank Becker

Über die Sparten hinweg… vorgestellt von Thomas Hirsch

Seite 43

Seite 44

Seite 46

Seite 22

528 Werke für Kölner Museen

Kulturnotizen

Spektakuläre Schenkung aus dem Nachlass von Prof. Irene Ludwig an die Stadt Köln

Kulturveranstaltungen in der Region

Seite 48

Seite 25

Kulturnotizen

Ich finde Wuppertal wunderbar Portrait Lutz-Werner Hesse von Marlene Baum

Seite 37

Seite 10

Kulturveranstaltungen in der Region

Seite 51

Seite 31

Wuppertaler Literatur Biennale 2012

Zwischen den Fronten

Vorschau auf die Literatur Biennale zum Thema „Freiheit“ im Juni von Ruth Eising

Die Kriegstagebücher Gerhard Nebels, wiederentdeckt von Michael Zeller von Johannes Vesper

Seite 34

Seite 50

5


6


Beobachtungen Von der Heydt-Kunsthalle Wuppertal-Barmen noch bis zum 27. Mai 2012

linke Seite: Abfluss, 2008, Öl auf Leinwand, 80 x 60 cm Privatsammlung © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 unten: Fenster, 2004, Öl auf Leinwand 160 x 180 cm, Privatbesitz © VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Seit dem 26. Februar und noch bis zum 27. Mai 2012 ist in der Kunsthalle Barmen des Wuppertaler Von der Heydt-Museums eine Auswahl von Arbeiten des an der Akademie Münster lehrenden und in Düsseldorf und New York lebenden Malers Cornelius Völker (*1965) zu sehen. Die Präsentation der Werke aus den Jahren 1990-2010, die zuvor bereits in München (Villa Stuck), Ludwigshafen (Wilhelm-Hack-Museum) und Goslar (Mönchenhaus Museum) gezeigt wurde, erlaubt einen einzigartigen Einblick in die zeitgenössische gegenständliche Malerei Cornelius Völker ist ein herausragender Vertreter des Genres, das sich scheinbar leichtfüßig zwischen Fotorealismus und Pop-Art, klassischem Stilleben und plakativer Malerei bewegt - seine Bilder eine Augenweide.

Was in der Ausstellung eindrucksvoll gezeigt wird, belegt zum einen die genaue, nicht humorfreie Beobachtung, der Cornelius Völker seine Umgebung, die Welt unterzieht, zum anderen seinen hohen Rang als Maler des Augenblicks. Hat ein Thema Völkers Aufmerksamkeit auf sich gezogen, wird es von ihm - oft in konsequenter Serie - mit Ölfarben auf Leinwand ausgeleuchtet, analysiert, porträtiert, präsentiert - ob das Geschirrtücher, Meerschweinchen, Cocktails, Handfeuerwaffen, Schokoladen, Bücher, Pullover, Hände, Schwimmer, Frisuren, Männer, Hände, Himbeeren sind, eine Feuerzeugflamme oder einfach nur Müll, der Inhalt von Völkers Abfalleimer. Völker entreißt das Gewöhnliche der Banalität, unterstreicht durch seine Art der Präsenta-

7


8


Röhm Lady Star, 2009, Öl auf Leinwand, 100 x 105 cm, Privatsammlung

tion die im Alltag steckende gelegentliche Lächerlichkeit, aber auch die Schönheit des Details oder die Wucht der Gefahr. Letzteres zeigen die „Porträts“ der wie Ikonen ins Bild gesetzten Handfeuerwaffen (s.u.). Daß diese Waffen, in Einzelfällen erkennbar, nicht geladen sind, birgt keine Botschaft. Zufall, räumt Völker ein. Cornelius Völkers Bilder faszinieren durch ihre Eindringlichkeit. Natürlich hat ein jeder schon einen Bücherstapel am Boden liegen sehen, vielleicht manch einen bei sich zu Hause, Stapel, die keine Bewegung mehr erfahren. Völkers Bücherstapel (Wuppertal zeigt einen, der Katalog eine Reihe), obwohl anonym, machen neugierig. Zermatschte Himbeeren sind von den Mund wässernder Saftigkeit, und die Tristesse von zum Lüften ins Fenster gelegten Betten berührt zutiefst. Menschen bleiben meist gesichtslos, haben sie aber doch ein Gesicht, ist es jeder Persönlichkeit entkleidet. Sie dienen dem Transport eines Motivs, sind Studien einer Körperhaltung, eines Stimmungsausdrucks, eines Themas. Der zufällige Faltenfall eines Handtuchs wird unter Völkers Pinsel zum Dokument der Kunstgeschichte, mit starkem Bezug zur detailverliebten Malerei des 17. Jahrhunderts. Die Ausstellung in der Kunsthalle Barmen wurde am 26.2.2012, 11.30 mit einer Vernissage eröffnet, bei der Dr. Gerhard Finckh, Direktor des Von der HeydtMuseums Wuppertal und Prof. Dr. Stephan Berg, Intendant des Kunstmuseums Bonn sprachen. Die Ausstellung ist noch bis zum 27. Mai 2012 zu sehen. Cornelius Völkers Bilder laden zum Verweilen ein. Ein Besuch ist ein Gewinn. Zur Ausstellungs-Serie ist ein opulenter zweisprachiger Katalog (deutsch/englisch) mit Texten von Stephan Berg, Michael Buhrs, Magdalena Kröner, Bettina Ruhrberg und Reinhard Spieler erschienen: Cornelius Völker – Malerei/Painting – Werke/Works 1990 – 2010 © 2011 Verlag Schirmer/Mosel, 272 Seiten, gebunden, durchweg farbig illustriert, 25,5 x 29,5 cm - ISBN 978-3-8296-0534-2 49,80 Euro

oben: Meerschweinchen, 2003, Öl auf Leinwand, 40 x 50 cm, Privatsammlung

Frank Becker

linke Seite: Feinripp, 1998, Öl auf Leinwand, 260 x 180 cm, Privatsammlung, alle Abbildungen: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Weitere Informationen: www.schirmer-mosel.com und www.von-der-heydt-kunsthalle.de

9


… und das Leben wohnt im Herzen Beim „Kinder- und Jugendtheater“ handelt Endes „Momo“ sehenswert von Nutzdenken Nach dem Roman von Michael Ende. Inszenierung: Lars Emrich Ausstattung: Laurentiu Tuturuga Musik: Andreas Grimm. Besetzung: Momo: Elvin Karakurt – Gigi Fremdenführer: Tom Raczko Beppo Straßenkehrer: Michael Karp Meister Hora: Udo Dülme Kassiopeia: Marie Speckmann Agent XYQ-384-b/ Polizist: Tim Neuhaus Friseur Fusi/ Grauer Agent 4: Patrick Wasserscheid Maurer Nicola/ Grauer Agent 2: Ralf Stallmann Gastwirt Nino/ Grauer Agent 3: Dino Capozza Ninos Frau Liliana/ Grauer Agent 1: Anna Rauhaus Ninos Tochter Maria/ Grauer Agent 6: Charlott Hoebel Bibigirl/ Managerin/ Grauer Agent 7: Miriam Wunder Kundin Friseursalon/ Grauer Agent 5: Claudia Wunder Franco: Clemens Redeker Paolo: Daniel Hasenmayer Giulia: Alyson Hille.

Das Kinder- und Jugendtheater bringt „Momo“ auf die Bühne, den Kinderbuchklassiker von Michael Ende zum Phänomen Zeit. Eine Schlüsselszene in Lars Emrichs schöner und sehenswerter Inszenierung ist vielleicht diese: Einer der grauen Agenten, die die Menschen zum Zeitsparen überreden, will von dem gefährlichen Mädchen schon sichtlich nervös wissen, was Bibigirl, der vollkommenen Puppe, denn jetzt noch fehlt. Und Momo, das Mädchen, das deswegen gefährlich ist, weil es sich viel mehr für Märchenspiele mit ihren Freunden interessiert als für Puppen mit „endlos“ viel Zubehör, gibt sofort zurück: „Ich glaub‘, man kann sie nicht liebhaben.“ Den grauen Agenten bringt das um den Verstand. Wichtig für diese Inszenierung der berühmten Geschichte um die Zeit ist das deshalb, weil es in dieser Szene ja gar nicht so sehr um Zeit geht. Sondern, grundsätzlicher: um ökonomisches Denken. Die Manie, alles nach Nutzwert zu berechnen, gegen den Wert menschlicher Qualitäten: Das ist das Thema des Abends, und die Ware Zeit eher nur ein Beispiel dafür. Hast gegen Bedächtigkeit, still stehende Zeit: Solche Aspekte des Romans könnte man auch spannend auf die Bühne bringen, doch der Regie geht es um anderes. So sind hier auch beim weisen Meister Hora (Udo Dülme) in seiner geheimen Zeit-Zentrale weniger tickende Uhren zu hören als pochende Herzen. (Die Szene, in der er Momo zu ihren leuchtenden Stunden-Blumen führt, ist dabei wohl einer der schönsten und spektakulärsten Momente des Abends.) Auch sind die grauen Agenten heute in erster Linie Geschäftsleute; Branche: zweitrangig – bis hin zu ihrer schneidigen Chefin (von Anna Rauhaus stark gespielt). Dem armen Beppo Straßenkehrer (Michael Karp) wird weniger Zeitmangel zum Verhängnis als die Tatsache, daß er nichts Einträgliches zu bieten hat, und seinem eloquenten Freund Gigi Fremdenführer (Tom Raczko mit genau dem richtigen jungenhaften Elan) das Umgekehrte: eben

10

daß er einträglich ist. Ökonomisierung hier wie dort. Last not least, im Gegenteil: Auch Elvin Karakurt in der Titelrolle ist in diesem Sinne eine sehr passende Besetzung. Sie gibt strahlend eine vitale Momo, der man auch lautes Lachen gern abnimmt, und hat wenig von dem scheuen Sonderling mit Kulleraugen, als den Radost Bokel aus der Achtziger-Verfilmung die Figur in so manchem Kopf bis heute in Beschlag hält. Zur Stückidee „lebensvoll statt kalkulierend“ paßt das gut. Schwieriger wird es allerdings, wenn es um die besondere Fähigkeit geht, für die Momo allseits so geliebt und gebraucht wird: das Zuhören. Wenn zwei Streithähne wie Maurer Nicola und Wirt Nino (zwei tolle Charakterköpfe: Ralf Stallmann und Dino Capozza) sich allein dank Momos stiller Aufmerksamkeit versöhnen – und auch die hier so impulsive Momo zu diesem Zweck fast unvermittelt verstummen muß: Damit das so recht einleuchtet, bräuchte es wohl doch ein wenig Kulleraugen.

Martin Hagemeyer

Szenen aus einer Aufführung des Kinder- und Jugendtheater Wuppertal oben: Friseur Fusi erfährt seine „Zeit-Bilanz“ (v.l.: Patrick Wasserscheid, Tim Neuhaus) unten: Gigi fantasiert mit Momo (v.l.: Tom Raczko, Elvin Karakurt) Fotos: Karola Brüggemann


11


Stürmische Pferde „Gib Deiner Zeit Tiere, vor denen man noch lange steht. Die Hufschläge Deiner Pferde mögen hallen bis in die fernsten Jahrhunderte.“ August Macke an Franz Marc 1910

Carlo D. Carrà Die rüttelnde Droschke, 1911 The Museum of Modern Art, New York. Gift of Herbert and Nannette Rothschild, 1966

12

Franz Marc und August Macke lernten sich 1910 kennen und schlossen sofort Freundschaft. Auch wenn Macke mit den Ideen des Blauen Reiter nicht immer einverstanden war, teilte er den Gedanken, das Tier als symbolischen Mittler zu sehen, durch den man mit künstlerischen Mitteln die verloren geglaubte Einheit zwischen Mensch und Natur zurückzufinden suchte. Marcs berühmte Forderung, „Symbole zu schaffen, die auf die Altäre der kommenden geistigen Religionen gehören“, war das Ziel des Blauen Reiter. Wassily Kandinsky hatte den Sieg des Geistigen über den Materialismus postuliert: Der Mensch solle den Blick von Äußerlichkeiten ab- und sich selbst zuwenden. Mit Entdeckungen wie den Röntgenstrahlen, der Radioaktivität, der drahtlosen Kommunikation und des Unbewussten war seit der Jahrhundertwende das Weltbild ins Wanken geraten. Kandinsky schrieb: „Das Zerfallen des Atoms war

in meiner Seele dem Zerfall der ganzen Welt gleich (...). Alles wurde unsicher, wackelig und weich (...).“ Diesem tiefen Gefühl der Verunsicherung angesichts von Erfindungen, die dem Verstehen entzogen waren, setzten Marc und Kandinsky das Programm des Blauen Reiter entgegen. Kandinsky erinnert sich 1930: „Beide liebten wir Blau, Marc Pferde – ich Reiter, so kam der Name wie von selbst.“ Seit Friedrich Nietzsche wurden für zahlreiche Künstler des Expressionismus, Dichter wie Bildende Künstler, zunehmend Tiere zu Bedeutungsträgern. Für die Literatur sei beispielhaft Franz Kafka genannt, der die Verwandlung eines Menschen in ein Tier schildert. Reinhard Piper schrieb 1910 ein Buch „Das Tier in der Kunst“. Selbst die Wissenschaft interessierte sich für Tiere, in Berlin erregte ein Pferd, „Der Kluge Hans“, Aufsehen, weil es angeblich rechnen konnte.


im Von der Heydt-Museum Wassily Kandinsky, Improvisation 13, 1910, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe © VG Bild-Kunst, Bonn, 2012

Auch in der Ausstellung des Von der Heydt-Museums „Der Sturm“ sind zahlreiche Tiere zu sehen, doch besonders häufig finden sich Pferdedarstellungen. Kämen die verschollenen Pferdebilder aus der Zeit hinzu, fiele dies noch mehr auf. Woran liegt das? Dem Pferd ist eine überaus reiche Symbolik eigen, die bis heute in der Kunst lebendig ist. Schon die Bezeichnung „Der Sturm“, die sich wohl Else Lasker-Schüler verdankt, verweist auf die mythische Bedeutung des Pferdes als Wetterross. Seit alters her glaubte man, dieses rasend schnelle Tier bewege die Gestirne. So stellte man sich vor, der Sonnenwagen des Helios werde von den Sonnenpferden gezogen. Wie intensiv diese archaischen Bedeutungsebenen in Künstlern fortleben, zeigt eine Erinnerung von Kandinsky an ein weißes Pferd: „Es ist mir eine Freude, solch einen Schimmel in den Straßen Münchens zu sehen; er kommt jeden Sommer (...). Er weckt in mir die lebendige Sonne.“ In seiner kosmischen Bedeutung als Beweger der Gestirne wurde das Pferd, vor allem aber der Schimmel, vergöttlicht oder zum Attribut von Gottheiten. Diese Symbolik erhielt sich bis in christliche Zeit, da es das Privileg der Päpste war, den Schimmel als Lichtross zu reiten. In der Legende lebt es als Reittier des Heiligen Georg weiter,

und eben dieses Motiv greift Kandinsky auf, um den Aufbruch des Geistigen zu visualisieren. Auch Else Lasker-Schüler und Franz Marc verstanden sich sofort über die kosmische Bedeutung des Pferdes. „Ich denke wie der Mond“, hatte sie 1912 dem Künstler auf seine erste Karte „Der blaue Reiter präsentiert seiner Hoheit sein blaues Pferd“ geantwortet. 1913 sandte ihr Franz Marc seine zweite Postkarte mit dem berühmten „Turm der Blauen Pferde“. Blau ist die kosmische Farbe, und die Pferde sind inmitten von Sternen und einer Mondsichel zu sehen. Die Dichterin bezeichnet sie einfühlsam als „wiehernde Erzengel“. Sie liebte Pferde seit ihrer Kindheit und schwärmte von dem schönen Reitpferd ihrer Mutter. Auch den „Klugen Hans“ kannte sie. Das berühmte denkende Pferd aus Berlin ging 1910 in den Besitz des Elberfelder Kaufmanns Karl Krall über, mit dessen Sohn sie eng befreundet war. Als Beweger galten die dahinjagenden Rosse als Verursacher von Wolken, Sturm, Donner und Blitz. Wotan, der Donnergott, ritt ein achtbeiniges Ross, und himmlische Rosse schüttelten die Blitze aus ihren Mähnen. Franz Marc hatte für das Deckblatt der Schrift des Verlegers Reinhard Piper „Das Tier in der Kunst“ ein Aquarell von Eugène Delacroix „Schimmel vom Blitz

erschreckt“ ausgewählt. Dieser Schimmel ist durch seine exaltierte bizarre Körperhaltung und die wehende Mähne die Verkörperung des Blitzes. 1928 nimmt William Wauer mit seiner kleinen Metallplastik „Der Blitzreiter“, die in der Ausstellung zu sehen ist, genau dieses Motiv auf. Zu der kosmisch-solaren Bedeutung des Pferdes treten Angst, Panik, Tod und Hölle als Gegenseiten. In diesem Sinne jagen dämonische Rosse durch Alfred Kubins Roman „Die andere Seite“ (1908). Marc Chagall malt 1913 „Die fliegende Kutsche“, welche von einem geheimnisvoll grünen Pferdchen mit drei Beinen gezogen wird, wer weiß, wohin? Vielleicht wird daraus eine Höllenfahrt. Eine weitere Bedeutungsebene des Pferdes ist die der Verkörperung der vitalen Instinkte, der Libido, in die das Männliche ebenso eingeschlossen ist wie das Weibliche. Ernst Barlach bedient sich dieser Symbolik in seinem Theaterstück „Der tote Tag“ (1910, in welchem die Mutter das heißgeliebte Pferd des Sohnes tötet. Franz Kafka hat in seiner Schrift „Die Aeroplane von Brescia“ (1909) alle Verkehrsmittel seiner Zeit mit Pferden kontrastiert. Das Pferd als symbolischer Beweger von Gestirnen im Mythos und als lebendiger Beweger des Menschen samt seiner Habe

13


14


oben: Franz Marc, Drei Pferde II, 1913 Neue Nationalgalerie Berlin links: Franz Marc, Die Blauen Fohlen, 1913 Kunsthalle Emden – Stiftung Henri und Eske Nannen und Schenkung Otto van de Loo

über die Jahrtausende, ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch Entdeckungen und technische Erfindungen überflüssig geworden. Dennoch durchjagen Pferde die Werke der Futuristen – gerade weil sich die Bewegungen eines vierbeinigen Tieres ungleich intensiver und rasanter darstellen lassen als die einer Maschine. So gerät „Die rüttelnde Droschke“ von Carlo Carrà (1910) durch die extreme Abstraktion und Aufsplitterung der Formen in der Fantasie des Betrachters gleichsam zu einer ratternden Maschine. Nur Räder und das schemenhafte helle Pferd sind als Gegenstände auszumachen. Doch gerade wenn die Futuristen Pferde mit der Geschwindigkeit der Technik und der Großstadt konfrontieren, kommt ein neuzeitlicher Aspekt der Pferdedarstellung zum Ausdruck: Seit das Pferd als Arbeitstier abgelöst ist durch die Technik, kann man es distanziert wahrnehmen. So wird dieses Tier zunehmend zum Sinnbild des Leidens. Besonders wenn es reiterlos ist, kann das Pferd symbolisch an die Stelle des Menschen treten. Fast alle Pferde von Franz Marc sind ohne Reiter. Auch auf seiner ersten Karte an Else

Lasker-Schüler, in der er sich als blauer Reiter vorstellt, malt er sich neben einem Fohlen stehend so, dass beide Körper verschmelzen. Kandinskys Pferde tragen immer einen Reiter, und gerade darin offenbaren sich zwei Grundstömungen des Blauen Reiter innerhalb des Aufbruchs und der Suche nach dem „Geistigen in der Kunst“, wie Kandinsky es genannt hat: „Gegensätze und Widersprüche – das ist unsere Harmonie.“ Kandinsky sieht in Pferd und Reiter die stürmische Überwindung der Materie, während Marc zur Verinnerlichung zu gelangen sucht und gerade deshalb auf den Reiter verzichtet. Beiden Künstlern geht es darum, die verloren geglaubte Einheit von Mensch und Natur zurückzubeschwören. Vier in der Ausstellung gezeigte Werke von Franz Marc und Wassily Kandinsky mit Pferdemotiven aus dem Jahre 1913 möchte ich eingehender vorstellen. Kandinskys „Improvisation 13“ zeigt, wie das Motiv des Almanachs „Der Blaue Reiter“, den Heiligen Georg auf dem Schimmel. Doch nichts mehr von der Ruhe des Frontispiz des „Blauen Reiter“, hier

15


wird das Bildformat gesprengt von einem gewaltigen nach links sich bäumenden Schimmel mit wenigen dunklen Flecken. Der offensichtlich gerüstete Reiter ist aus der Senkrechten weit nach hinten geneigt, so dass er und das Pferd entgegengesetzte Diagonalen bilden. Lanze und Drache sind nicht gegeben, die Gestalt der Prinzessin ist nur zu erahnen. Wie bei „Lyrisches“ ist die Mähne des Pferdes zu einer Wellenlinie stilisiert. Die einzige ruhige Senkrechte ist der Unterschenkel des Reiters, der die Bildmitte markiert. Alle weiteren Formen des Bildes sind mit Vehemenz gestaltet und kaum gegenstandsbezogen. Die dominante Farbe ist das abgetönte Weiß des Pferdes, die ihm eine beinahe immaterielle Dynamik verleiht. Kraftvolle Linien unterstreichen die Bedeutung des Heiligen Georg als Retter. Fast alle weiteren Farben sind mit Weiß abgemischt und scheinen von Pferd und Reiter weg aus dem Bildformat hinauszudrängen. In „Über das Geistige in der Kunst“ sagt Kandinsky über seine Improvisationen: „(...) hauptsächlich unbewusste, größtenteils plötzlich entstandene Ausdrücke der Vorgänge inneren Charakters, also Eindrücke von der ‚inneren Natur’“. Franz Marc geht im selben Jahr in ähnlicher Absicht ganz anders vor. Drei Bilder in der Ausstellung verdeutlichen das. „Die Blauen Fohlen“ wirken auf den ersten Blick recht beschaulich. Wie fast alle Pferde von Franz Marc erinnern ihre runden Formen, die dunklen Mähnen und die Form der Augen an die Urpferdchen der Höhlenmalereien. Marc hat bewusst darauf verzichtet, bestimmte Pferderassen darzustellen. Auch versteht er sich nicht als Tiermaler im herkömmlichen Sinn, sondern seine Tiere weisen über sich hinaus. Deshalb wirken sie immer hermetisch, dem Betrachter bleibt emotionaler Kontakt verwehrt. Farblich und formal sind sie vollkommen eingebunden in die Natur, wobei auch diese zur Chiffre wird. Im Laufe von Marcs Schaffen werden die Tiere immer wieder zu Trägern von Formen und Farben, die Eigenwert erhalten und unter den Einflüssen von Kubismus und Futurismus zur Abstraktion führen. Der frühe Tod des Künstlers hat diese Entwicklung unterbrochen. Dem Werk ist aus mehreren Gründen eine beunruhigende Spannung eigen, die

16

aus ganz anderen künstlerischen Mitteln resultiert als Kandinskys „Improvisation 13“. Beide Tiere scheinen aus dem Gleichgewicht, das Fohlen vorn ist in leichter Untersicht gegeben, während das hintere in Aufsicht zu sehen ist. Das Tier hinten wendet den Kopf nach rechts und stemmt die Vorderhufe gegen den Boden. Das Fohlen vorn ist aus der Achse nach links gekippt und wendet den hochgeworfenen Kopf mit weit aufgerissenem Auge gegen ein rotes Gestirn am oberen Bildrand. Beide Tiere werden vom Bildformat so eingeengt, dass ein Vorderhuf den Bildrand überschneidet. Links in der Ferne bäumt sich ein weiteres blaues Pferd, das wie erschreckt den Kopf abwendet. Der Hintergrund des Werkes ist kaum definiert, er bildet eine stark abstrahierte karge Farblandschaft aus Rot-, Grün- und Gelbtönen, die in einen hellen Berg unter rotem Himmel am oberen Bildrand gipfelt. Von diesem abgeschnitten erscheint die rote Kreisform eines Gestirns, die in der Flanke des Fohlens wiederkehrt. Auch weite Teile des Bildgrundes sind rot. Zwischen den sich diagonal verschränkenden Beinen der Fohlen kreuzen sich dunkle Linien, die an abgestorbene Bäume erinnern und dem Werk eine zusätzliche Unruhe verleihen, zumal sie mit den runden Formen der Fohlenleiber kontrastieren. Das labile Gleichgewicht der Fohlen, die rote Farbe, der aufgeworfene Kopf des Tieres und das sich bäumende Pferd im Hintergrund verleihen dem kleinen Bild eine unheimliche Atmosphäre. Im selben Jahr malt Marc zwei Fassungen „Drei Pferde“ – eine gänzlich andere Konstellation als die „Blauen Fohlen“. Das ausgestellte Werk zeigt drei Pferde, die das Bildformat fast vollkommen ausfüllen. Am unteren Bildrand liegt ein schlummerndes rotes Pferd, optisch darüber steht ein gleichfalls ruhendes schwarzes Pferd, und links zeigt Marc als Rückenfigur ein gelbes Pferd. Es schaut so aus dem Bild nach links, dass sich Kopf und Hals zwischen den beiden anderen Pferden befinden und die Pferdeköpfe eine Diagonale ergeben. Die drei Pferdekörper bilden eine geschlossene Form, fast als wären sie eine Schicksalsgemeinschaft. Der Bildgrund vorn ist bis auf einige Grashalme stark abstrahiert und nimmt die Farben des roten und des

gelben Pferdes auf. Nach oben/hinten werden die Formen kubischer und differenzierter und lassen einen Teich, Häuser und Berge erkennen. Marc schildert das für Pferde typische Verhalten: Während einige ruhen, hält ein anderes Wache. Dennoch wirken diese Tiere noch weniger beschaulich als die „Blauen Fohlen“, weil zwei von ihnen bis auf die Rippen abgemagert sind. Auch irritiert die dunkle Farbe des stehenden Pferdes, und man fühlt sich an das im selben Jahr entstandene Werk „Das arme Land Tirol“ erinnert. Auf diesem Gemälde und auf „Das lange gelbe Pferd“ sieht man nicht die für Marc üblichen runden, wohlbeleibten Tiere, sondern magere Geschöpfe mit gelängtem Körper, die in Verbindung mit weiteren Werken Marcs als Vorboten der Apokalypse gesehen werden können. Das dritte in der Ausstellung gezeigte Gemälde von 1913, „Stallungen“, ist stark vom Kubismus, Orphismus und Futurismus beeinflusst. Die in Ständern aufgestallten Pferde ergeben eine rhythmische Gliederung, die jedoch zur linken Seite hin an Konsequenz verliert. Schrägen und eine hohe bogenförmige Form deuten eine Bedachung an. Rechts stehen mit der Hinterhand zum Betrachter zwei Pferde, deren gebogene Schweife und zur Seite


Franz Marc, Stallungen, 1913 Solomon R. Guggenheim Museum, New York

gewendeten Hälse Rundungen aufweisen, die in angedeuteten Heuraufen und in dem Bogen in der linken Bildhälfte wiederkehren. Dieser große Bogen scheint sich nach links zu öffnen. Darunter steht parallel zum Betrachter ein rotes Pferd mit zurückgewendetem Kopf. In Kruppe und Widerrist des Tieres wird die Bogenform aufgenommen. Im Hintergrund links ist ein weißes, entgegengesetzt stehendes Pferd zu sehen, dessen Kopf fast ganz hinter einem Balken verschwindet. Formal ist das Werk ein dichtes Gefüge von geometrischen Formen, teilweise spitzen Diagonalen, die ins Bildinnere eindringen, linearen Gebilden, eckigen Formen und solchen, die in der rechten Bildhälfte an Häuser erinnern, während sie in der linken Seite Chiffren für Natur sein könnten. Die Pferde durchbrechen und kontrastieren wegen ihrer Rundungen die strenge formale Gestaltung. Dazu tragen zahlreiche mondsichelartigen Formen bei, die Marc eingebracht hat. Auffällig sind die angedeuteten stark vergrößerten Glieder einer Kette unter der Heuraufe in der Bildmitte. Während die beiden Pferde rechts eingezwängt sind in enge Ständer scheinen sich die beiden Tiere links in Freiheit zu befinden. „Stallungen“ ist Marcs einziges Werk, das Pferde teilweise in einer vom

Menschen geschaffenen Umgebung zeigt. Auffallend ist auch die farbliche Gestaltung. Die häufig mit Weiß abgemischten prismatischen Farben kontrastieren mit dem roten und dem weißen Pferd in der oberen Bildhälfte links. Immer wieder durchlichten helle Gelb- und Grüntöne das Werk und verleihen ihm im Zusammenspiel mit geometrischen Formen die Wirkung von Prismen oder Kristallen. Alle drei Werke aus diesem für Marcs künstlerisches Schaffen besonders reichen Jahr 1913 zeigen sehr verschiedene Pferde. Auf der Suche nach der verlorenen geglaubten Einheit mit der Natur durch die „Animalisierung der Kunst“, wie Marc es nannte, hatte er erkannt, dass er auf seine Tiere verzichten musste, um zur reinen Selbsterkenntnis zu gelangen: „Die Kunst überwindet die Natur, sie ist die Brücke ins Geisterreich.“ Davon könnte „Stallungen“ Zeugnis geben. Bedenkt man, dass auch das verschollene Werk „Turm der Blauen Pferde“ im selben Jahr entstanden ist, wird umso deutlicher, wie unterschiedlich Marc seine Pferde gestaltet hat. Sie sind nicht um ihrer selbst willen gemalt, sondern weisen über sich hinaus. Else Lasker-Schüler schreibt anlässlich des frühen Todes ihres Freundes: „Der Blaue Reiter ist gefallen,

ein Großbiblischer (...). Er war der, welcher die Tiere noch reden hörte, und er verklärte ihre unverstandenen Seelen.“ Bemerkenswert ist, dass wir uns gegenwärtig, hundert Jahre nach dem Expressionismus, in einer Zeit vergleichbarer Erschütterungen befinden. Wider greift die Kunst verstärkt auf Tiermotive zurück und bedient sich besonders des Pferdes. Den Anfang dazu hat nach dem Zweiten Weltkrieg Marino Marini gemacht mit seinen erschütternden, „Miracolo“ genannten, verzweifelt sich aufbäumenden Pferden, deren Reiter im Begriff sind zu stürzen. In der zeitgenössischen Kunst ist der Reiter abgestiegen, wie schon bei Franz Marc, aber die Pferde sind gebrochene Tiere, die stürzen oder am Boden liegen. Davon zeugen beispielsweise Werke von Norbert Tadeusz, Emil Schumacher oder Berlinde De Bruyckere. So ist der eingangs zitierte Wunsch von August Macke in Erfüllung gegangen, wenngleich das utopische Programm des Blauen Reiter gescheitert ist. Es bleibt spannend, in welcher Form das Pferd als Symbol fortleben wird. Marlene Baum

17


18


Das Bauhaus Fischer in Wuppertal Architektur in Wuppertal wird geprägt von großbürgerlichen Fabrikanten-Villen, bescheideneren bergischen Wohnhäusern mit ihren Schieferfassaden und natürlich vom Nachkriegsbaustil der 50er bis 70er Jahre, der dem Erfordernis geschuldet ist, der ausgebombten Bevölkerung preiswerte Wohnungen anzubieten. Nur eine kleine Gruppe von Wuppertalern kennt Gebäude, die in der Tradition der Bauhaus-Architektur geplant und erstellt wurden.

Eines dieser Häuser ist das Gebäude, das 1926 bis 1927 an der Oberen Lichtenplatzstraße von dem Architekten Hans Heinz Lüttgen entworfen und in die Tat umgesetzt wurde. Bauherr war damals der jüdische Rechtsanwalt Dr. Walter Fischer, der allerdings in seherischer Voraussicht bereits im Sommer 1933 mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten Deutschland verließ und sich mit seiner Familie in Palästina – damals britisches Mandatsgebiet – niederließ. Er hat sein Haus, das 1939 von der Familie des Flugpioniers Gottlob Espenlaub(„Villa Espenlaub“) übernommen wurde, nie wieder gesehen. Espenlaub war im Dritten Reich ein Regime treuer Flugzeug- und Automobilfabrikant, der auf Grund seines technischen Wissens den Nationalsozialisten für den erhofften „Endsieg“ zuarbeitete. Noch heute ist die „Villa Espenlaub“ in den Köpfen der Menschen, nicht die „Villa Dr. Fischer“.

Bis 1981, als das Gebäude von Dr. Hans Günther Golinski und Dr. Hans-Jürgen Schwalm erworben wurde, ist das Bauhaus Fischer - innen und außen – zum Teil bis zur Unkenntlichkeit verändert und „modernisiert“ worden. Vor dem Einzug der heutigen Eigner stand das Haus sieben Jahre lang zum Verkauf, was natürlich auch nicht zu seiner inneren und äußeren Attraktivität beigetragen hat. Es steht seit 1989 unter Denkmalschutz. Behutsam und unter Verwendung der wenigen vorhandenen Einbauelemente (Treppengeländer, Wandschränke, Fußböden) stellten Golinski und Schwalm den ursprünglichen Zustand wieder her, besonders was die Farbgebung innen und außen betrifft. Möbel aus der Zeit, als die Familie Dr. Fischer das Haus bewohnte, waren nicht mehr vorhanden. Das rosa Mauerwerk außen wurde rekonstruiert, ebenso das Blau der Fensterrahmen und - -kreuze. Im Inneren fanden die heutigen Besitzer nur

Außenansichten des Hauses aus verschiedenen Perspektiven

19


20


Blick ins Treppenhaus

Einrichtungsdetails

Durchblick

linke Seite oben: das Esszimmer,

Gebäude nähert. Keine Säulen oder Stuckornamente zieren das Mauerwerk. Die Haustür ist eine `Tür`, kein Tor. Heute kann in Dessau der Bauhausstil wieder studiert werden Er kam in der Zeit , als die Villa Dr. Fischer gebaut wurde, bei der Bevölkerung gar nicht gut an. Das erhöht errichtete Gebäude in den Barmer Anlagen wurde mehr oder weniger als Schandfleck angesehen. Noch zu sehr war die Villen-Architektur, die auch in der äußeren Gestaltung der Reihenbebauung aus der damaligen Zeit erkennbar ist, in den Köpfen der Menschen der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Die Räume der BauhausArchitektur haben eine „normale“ Höhe und sind von überschaubarem Ausmaß. Sie haben einen ausgeklügelten Lichteinfall, die Fenster sind aber nicht überdimensioniert, die Wärmeisolierung entspricht heutigem Standart. In ihrem wieder hergestellten „Urzustand“ sind alle Zimmer einer Etage, wie ursprünglich geplant, durch Türen mit einander verbunden, ohne dass ein jeweils separater Eingang vom Korridor her fehlt. Eine „Arme- Leute“- Aufteilung ist nicht erkennbar, was auch ein Lastenaufzug von der Küche in die oberen Etagen deutlich macht. Eine „gutbürgerliche“ Familie findet reichlich Platz, ohne dass die Zimmer Dimensionen von Sälen annehmen.

Das Bauhaus Fischer ist in die Umgebung eingebettet. Man schaut in die Barmer Anlagen. Unmittelbar hinter dem Haus grenzt ein zum Grundstück gehörender veritabler Baumbestand auf über 2.000 qm Fläche an das Gebäude an., so dass ein Übergang zum „öffentlichen “ Wald kaum erkennbar ist.

unten Ansicht des Musikzimmers

wenige Spuren vom Bauhaus Fischer aus dem Jahre 1927. In einem der Erdgeschossräume entdeckten sie die hebräische Inschrift in lateinischen Buchstaben „mene, mene Tekel ll – Pharsin“, was ungefähr „Gewogen, gewogen und zu leicht befunden“ bedeutet. Neben den menschlichen Dimensionen und der Vielfarbigkeit im Inneren präsentiert sich das Bauhaus Fischer heute in geschmackvoller Farbigkeit, gepaart mit einer dezenten und edlen, aber wohnlichen Möblierung einschließlich Bildern und Kunstgegenständen verschiedener Epochen und Kulturen. Der 1919 unter anderem von den Architekten Walter Gropius und Mies van der Rohe initiierte Bauhausstil wendete sich bewusst vom bis dahin in Deutschland „für die bessere Gesellschaft“ praktizierten Monumentalstil ab und verwirklicht ein Wohnen mit „menschlichem Antlitz“ . Der desaströse Ausgang des Ersten Weltkriegs (1914- 1918) hat wohl mit dazu beigetragen. Den Hauseingang sieht man nur, wenn man sich dem

Joachim Krug Fotos:Torsten Krug

21


22


Endstation Claudia Bauer richtet in Wuppertal Tennessee Williams´ „Endstation Sehnsucht“ zugrunde. Inszenierung: Claudia Bauer Bühne/Kostüme: Patricia Talacko, Bernd Schneider Musik: Smoking Joe Besetzung: Blanche DuBois (Sophie Basse) Stella Kowalski (Anne-Catherine Studer) Stanley Kowalski (Holger Kraft) Mitch (Lutz Wessel) Eunice (Amber Schoop) Steve (Marco Wohlwend) Pablo (Hendrik Vogt), sowie Götz Vogel von Vogelstein und Claudia Schulz linke Seite: Sophie Basse, Holger Kraft vorne Sophie Basse v.l.n.r.: Hendrik Vogt, Marco Wohlwend, Holger Kraft, Lutz Wessel hinten: Götz Vogel von Vogelstein

Es ist ein wunderbares Theaterstück, voller Poesie einerseits, von brachialer Kraft und durchaus Brutalität zum anderen, berührend und den Zuschauer mitnehmend, wenn, ja wenn es von einer Inszenierung ernst genommen wird. Tennessee Williams hat mit „Endstation Sehnsucht“ (A streetcar named desire) eines der schönsten, dramatischsten Stücke der amerikanischen Theaterliteratur geschrieben, tief die Seelen seiner Figuren am unteren Rand der Gesellschaft ausgelotet – ein Meisterstück über Sehnsüchte und Verlierer. Von den Wuppertaler Bühnen wurde es zuletzt vor 12 Jahren mit der hervorragenden Eike Gercken als Blanche DuBois unter der zwiespältigen Regie von Paolo Magelli und vom TiC mit der grandiosen Petra Koßmann 1998 in einer mustergültigen Inszenierung von Thomas Spielmann aufgeführt. Nun dieser Deutungsversuch von Claudia Bauer, deren Wuppertaler „Macbeth“-Inszenierung noch vielen in Erinnerung sein wird. In das Klima der Perspektivlosigkeit, in dem Blanches Schwester Stella (facetten-

reich: Anne-Catherine Studer) und deren brutaler Mann Stanley (wuchtig: Holger Kraft) in einem verkommenen Viertel von New Orleans leben, tritt die einst großbürgerliche Blanche DuBois (überzogen: Sophie Basse) als in die letzte Station auf der Flucht vor ihrem verpfuschten Leben ein: alkoholabhängig, nymphomanisch, verlogen, verbrannt. In der beklemmenden Enge und in der feuchten Hitze Louisianas prallen Haß, Habgier, Begehrlichkeiten und Gewalt aufeinander, keinem Gefühle – und werden brutal zertreten. So will es das Stück. Man ahnt zwar, daß Claudia Bauer nach einer modischen Übersetzung dafür gesucht hat – gefunden hat sie sie aber beileibe nicht. „Die Sanften müssen schimmern“, dieses Zitat der Blanche findet in keinem Moment von Claudia Bauers Inszenierung seinen Niederschlag. Hingegen setzt sie auf en face zum Publikum gebrüllte Dialoge, Stroboskop-Effekte, gewollt schrille Gestalten (ZZ Top und Rockabilly lassen grüßen) auf Klamotte, überzogene Gewalt, ein paar nackte Männer-Ärsche und eine Bühnen-Ausstattung, die zwar

23


so ärmlich ist wie die Welt der Kowalskis und ihrer Nachbarn, aber diese Botschaft dennoch nicht vermittelt. Anne-Catherine Studer läßt als Stella das Wechselbad der Gefühlslagen einer Frau aufscheinen, die sich in fataler Abhängigkeit von ihrem brutalen Mann längst aufgegeben hat, Lutz Wessel gibt den aggressiv gehemmten Mitch bis hin zum Vergewaltigungsversuch einfühlsam und Holger Kraft, der Brutalo vom Dienst der Wuppertaler Bühnen, wird seiner Rollenzuweisung gerecht. Sophie Basse kann die gebrochene Blanche zwar vorführen, doch nicht überzeugend vermitteln. Sie leidet sie wie ausnahmslos alle anderen Rollen an einer regelrechten Inszenierungswut Bauers. Die wenigen leisen Momente, die diese Blanche dem Publikum öffnen könnten, gehen in unverständlichem Geflüster unter. Allein ihre Schlußszene berührt. Aber da ist es für diese Inszenierung sowieso längst zu spät. Es ist ein Jammer um das vorzügliche Stück, das mehr Liebe und wirkliche, nicht plakatierte Leidenschaft verdient hätte. Hier konnte man am lebenden Beispiel sehen, wie eine Über-Inszenierung mit hochfliegenden inszenatorischen Ambitionen (ich unterstelle, daß es die gab) ein solides Stück trotz - mit einigen Ausnahmen - guter Darsteller völlig zugrunde richten kann. Claudia Bauer hat das gründlich besorgt. Schade um ein Drama, einen Klassiker, der ohne Schnickschnack seine Wirkung am besten entfaltet. Es gibt übrigens in den knapp zwei Stunden keine Pause – das Theater wird wissen warum… Weitere Informationen: www.wuppertaler-buehnen.de Frank Becker Fotos: Uwe Stratmann

oben v.l.n.r.: Amber Schoop, Sophie Basse Mitte: vorne: Sophie Basse, Holger Kraft hinten: Anne-Catherine Studer unten v.l.n.r. Hendrik Vogt, Marco Wohlwend, Holger Kraft, Lutz Wessel

24


528 Werke für Kölner Museen Die Stadt Köln erhält spektakuläre Schenkung aus dem testamentarischen Nachlass von Prof. Irene Ludwig: „Von 1957 an hat es uns angespornt, in Museen durch unsere Erwerbungen Akzente zu setzen, und vollends nach 1968 wurde uns bewusst, was uns vorantrieb: Mit unseren Taten wollten wir Informationslücken schließen. Wir wollten in die Öffentlichkeit bringen, was Bewegung auslöste und den Blick erweiterte“, so beschrieb Peter Ludwig die Motivation des Ehepaars.

Natalja Gontscharowa Porträt Michail Larionow 1913, Öl auf Leinwand 105 x 78 cm Museum Ludwig, Köln / Sammlung Ludwig © VG Bild-Kunst, Bonn 2011 Foto: Museum Ludwig Köln/RBA

Nach dem unerwarteten Tod von Prof. Dr. h.c. mult. Irene Ludwig im November des vergangenen Jahres ist nun das Testament der bedeutenden Mäzenin eröffnet worden. Die Stadt Köln erhält aus ihrem Nachlass spektakuläre Schenkungen und Dauerleihgaben für das Museum Ludwig und das Museum Schnütgen. Insgesamt 528 Werke aus dem Besitz von Prof. Ludwig bereichern auf Dauer die Kölner Sammlungen. Oberbürgermeister Jürgen Roters, der heute im Historischen Rathaus die Schenkungen bekanntgab, zollte der Kölner Ehrenbürgerin Respekt und Dankbarkeit für diese Entscheidung. „Die Stadt Köln und alle heutigen und künftigen Kunstinteressierten dieser Stadt werden sich bei jedem Museumsbesuch mit großer Dankbarkeit an diese außerordentlich großzügige Schenkung von Prof. Irene Ludwig erinnern. Damit vollendet sich eine außergewöhnliche und vertrauensvolle Beziehung zwischen Köln und dem Stifterpaar Ludwig ganz im Sinne der Stifter. Ziel ihrer Liebe zur Kunst war es auch, andere Menschen am Erlebnis Kunst teilhaben zu lassen. Dank ihres Engagements gehört das Museum Ludwig zu den bedeutendsten internationalen Museen für moderne Kunst. Das Schnütgen-Museum konnte seine bedeutende Sammlung um wertvolle Stücke ergänzen. Wir werden dieses einmalige Geschenk in Ehren halten.“ Irene und Peter Ludwig verband stets eine intensive und enge Beziehung mit der Stadt Köln. Angeregt durch einen Besuch der Ausstellung der Sammlung Haubrich im Jahr 1946 in der alten, zum Teil zer-

störten Universität, begann das Ehepaar Ludwig 1957, Werke für öffentliche Sammlungen zu erwerben. Erste Leihgaben aus diesen Ankäufen kamen dem Museum Schnütgen in Köln bereits 1963 zugute. Über ein halbes Jahrhundert dauerte das außerordentliche Mäzenatentum dieses engagierten Sammlerpaares, innerhalb dessen es den Kölner Museen unzählige Werke von höchster Qualität zur Verfügung stellte. Einen Höhepunkt dieser unvergleichlichen Liebe zur Kunst bilden dabei sicher die Sammlungen des Museum Ludwig Köln. Mit der Schenkung von etwa 400 Werken gaben Irene und Peter Ludwig 1976 den Anstoß zur Gründung des Museum Ludwig. Seit weiteren großzügigen Schenkungen insbesondere in den Jahren 1994 und 2001 – mit dem Beginn der Amtszeit von Direktor Kasper König übereignete Irene Ludwig 774 Werke Pablo Picassos – kann das Museum Ludwig heute die bedeutendste Sammlung der Pop Art außerhalb der USA und die drittgrößte Sammlung Pablo Picassos sein Eigen nennen und zählt damit zu einem der wichtigsten Museen für moderne und zeitgenössische Kunst weltweit. Dieser besonderen Verbindung sowie ihrem engen und freundschaftlichen Kontakt zum Museum Schnütgen verlieh die Kölner Ehrenbürgerin Irene Ludwig auch in ihrem Testament größten Nachdruck und bedachte das Museum Ludwig Köln und das Museum Schnütgen mit spektakulären Schenkungen: Die Stadt Köln erhält das Eigentum an sämtlichen Werken der vor- und nachrevolutionären russischen bzw. sowjetischen Avantgarde, die zum Zeitpunkt des Todes von Irene Ludwig als Dauerleihgabe dem Museum Ludwig überlassen waren. Darunter befinden sich Hauptwerke u.a. von Kasimir Malewitsch, Alexander Rodtschenko und Natalia Gontscharowa. Insgesamt handelt es sich um 473 Werke, darunter 130 Gemälde, Skulpturen und Objekte, 153 Grafiken, 190 Fotografien von 84 Künstlern.

25


Kasimir Malewitsch Suprematistische Komposition 1915, Öl auf Leinwand, 66,5 x 57 cm Museum Ludwig, Köln / Sammlung Ludwig Foto: Museum Ludwig Köln/RBA

Darüber hinaus erhält die Stadt Köln 26 Werke aus der Ausstellung „Von Matisse bis Morimura“ aus dem Herbst 2000 im Museum Ludwig, darunter Arbeiten der Klassischen Moderne und der Pop Art von Georges Braque, Edgar Degas, Paul Klee, Fernand Léger, Henri Matisse, Robert Rauschenberg, Kurt Schwitters und Jasper Johns. Diese Werke kamen im Rahmen der Ausstellung als Dauerleihgaben ins Haus und ergänzen unterschiedliche Schwerpunkte der Sammlung. Nicht zuletzt erhält das Museum Ludwig als Dauerleihgabe acht Gemälde und eine Zeichnung aus dem Privatbesitz von Irene Ludwig. Darunter befindet sich der erste Ankauf des Ehepaars Ludwig im Bereich der Klassischen Moderne: ein Frühwerk von Karl

26

Hofer, „Nach dem Bade“, aus dem Jahr 1912. Außerdem Werke von August Macke, Fernand Léger, Henri Matisse, Lyonel Feininger, Alexej von Jawlensky, Roy Lichtenstein, Jasper Johns und Jackson Pollock. Die Stadt Köln erhält außerdem das Eigentum an 20 Dauerleihgaben, die zum Zeitpunkt des Todes von Irene Ludwig dem Museum Schnütgen überlassen sind, dazu zählen u.a. ein Ottonisches Reliquienkästchen aus Niedersachsen um 1000-1050, ein Memento Mori aus der Westschweiz um 1520 sowie die jüngst übergebenen sechs Glasmalereien aus dem ehemaligen Kreuzgang des Klosters Altenberg, Köln 1505-1520.


Das Museum Ludwig besitzt nun dank dieser Schenkung zahlreicher zentraler Werke der Russischen Avantgarde eine der bedeutendsten Sammlungen außerhalb Russlands. Isabel PfeifferPoensgen, Vorsitzende des Kuratoriums der Peter und Irene Ludwig Stiftung, betont noch einmal die enge Verbindung des Ehepaars Ludwig zur Stadt Köln und mahnt gleichzeitig die damit verbundene Verantwortung an: „Vor 35 Jahren haben Peter und Irene Ludwig ihre erste große Schenkung an die Stadt Köln an die Bedingung der Gründung eines Museums für moderne und zeitgenössische Kunst geknüpft. Mit der testamentarischen Verfügung und der damit verbundenen Schenkung dieser unvergleichlichen Sammlung zeigt sich erneut die tiefe Verbundenheit Irene Ludwigs mit der Stadt Köln sowie ihr dieser Stadt entgegengebrachtes Vertrauen. Das bedeutet gleichzeitig eine oben: Roy Lichtenstein Cup and Saucer I (Tasse und Untertasse) 1977, Bronzeguß 1/3, bemalt 1/3 75 x 46 x 17,5 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2011 Foto: Museum Ludwig Köln/RBA

unten: Jasper Johns Zero to Nine (Null-Neun) 1959, Enkaustik und Collage auf Leinwand, 53,8 x 88,9 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2011 Foto: Museum Ludwig Köln/RBA

Verpflichtung, das Museum Ludwig mit allen notwendigen Mitteln für eine dauerhafte wissenschaftliche Aufarbeitung, Pflege und Präsentation der Sammlung auszustatten. Das Museum Ludwig zählt dank der Schenkungen von Peter und Irene Ludwig international zu den bedeutendsten Museen für moderne und zeitgenössische Kunst, das in einem Atemzug mit dem Museum of Modern Art in New York oder dem Centre Pompidou in Paris genannt werden kann. Dieses enorme kulturelle Kapital sollte genauso wie die damit verbundene Verantwortung fest im öffentlichen Bewusstsein verankert sein.“ Kulturdezernent Prof. Georg Quander hebt noch einmal die Bedeutung Irene Ludwigs für die Stadt Köln hervor: „Irene Ludwig war im Hinblick auf ihre mäzenatische Großzügigkeit eine Ausnahmeerscheinung. Nicht nur, dass sie sich zusammen mit ihrem Mann Peter sowohl für alte wie auch für moderne Kunst begeisterte, sie verstand es gleichsam als ihren kulturellen Bildungsauftrag, diese Kunst durch Schenkungen und Dauerleihgaben an die Kölner Museen einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Irene Ludwig

:

27


links: Warwara Stepanowa Collage aus „Gaust Tschaba“, 1919, Futuristisches Buchobjekt, Gouache auf Zeitungspapier, 17,5 x 27,5 cm Museum Ludwig, Köln, Sammlung Ludwig © VG Bild-Kunst, Bonn 2011 Foto: Museum Ludwig Köln/RBA unten: Georges Braque Le table de Bar Stout (Der Tisch in der Bar Stout), 1912-13, Öl auf Leinwand, 35,7 x 28,6 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2011 Foto: Museum Ludwig Köln/RBA

gebührt unsere größte Hochachtung und unser tiefster Dank für diese einzigartige Schenkung aus ihrem testamentarischen Nachlass. Ihr Name wird stets mit dem kulturellen Reichtum dieser Stadt verbunden sein, ihr Wirken und ihre Großzügigkeit finden im Museum Ludwig und dem Museum Schnütgen eine lebendige Fortführung.“ Prof. Kasper König, Direktor des Museum Ludwig, ist hocherfreut über die Schenkung und weiß um die damit verbundene Herausforderung: „Die Sammlung russischer Avantgarde ist in jeder Hinsicht von unschätzbarem Wert. Sie beinhaltet absolute Meisterwerke von Künstlern wie Malewitsch oder Gontscharowa, die ganze folgende Künstlergenerationen geprägt und inspiriert haben. Diese großzügige Schenkung aus dem Legat von Irene Ludwig hat unsere Hoffnungen bei weitem übertroffen. Wir verstehen sie als herausragende Zuwendung genauso wie als große Aufgabe, diese einzigartige Sammlung zu pflegen, zu bewahren und dem Publikum zugänglich zu machen.“ Dr. Dagmar Täube, kommissarische Direktorin des Museum Schnütgen: „Es ist ein großes Glück für das Museum Schnütgen, dass Frau Prof. Ludwig dafür gesorgt hat, dass die dem Museum bisher als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellten Stücke auch nach ihrem Tode nun für immer mit dem Haus verbun-

28


links: Alexandra Exter Synthetische Darstellung von Dieppe 1912 – 13, Öl auf Leinwand 129 x 200 cm Museum Ludwig, Köln / Sammlung Ludwig © Archives Exter-Lissim, Nakov, Paris Foto: Museum Ludwig/RBA unten: Paul Klee Ein centrifugales Gedenkblatt 1923, Gouache auf kreidegrundiertem Zeitungspapier auf weißem Karton kaschiert, 54,7 x 41,7 cm Foto: Museum Ludwig Köln/RBA

29


den bleiben und ihm auch zukünftig besonderen Glanz geben werden. Zusammen mit dem Harrach-Diptychon aus dem 8. Jahrhundert, das dem Museum Schnütgen als Dauerleihgabe erhalten bleibt, werden diese Stücke stets an ihre großzügigen Stifter erinnern und wir werden ihnen ein ehrendes Andenken bewahren.“ Zur Sammlung der Russischen Avantgarde Innerhalb von 20 Jahren hat das Ehepaar Ludwig eine der weltweit bedeutendsten und umfangreichsten Sammlungen im Bereich der Russischen Avantgarde aufgebaut. Diese beinhaltet über 450 Werke, die gezielt für das Museum Ludwig erworben und als Dauerleihgaben in die Sammlung integriert wurden. Diese außergewöhnliche Sammlung ermöglicht einen tiefen Einblick in die verschiedenen avantgardistischen Bewegungen zwischen 1905

und den 1930er Jahren, darunter die Petersburger Organische Schule, der Neoprimitivismus, der Kubofuturismus, der Rayonismus, der Suprematismus und der Konstruktivismus. Über 70 Künstler dieser Zeit sind in der Sammlung häufig mit Spitzenwerken vertreten. Dazu zählen Künstler wie Alexandra Exter, Natalia Gontscharowa, Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky, Michail Larionow, El Lissitzky, Iwan Puni, Alexander Rodtschenko, Warwara Stepanowa, Nikolai Suetin. Es wurden aber auch ganze Werkkonvolute erworben, wie bei Kasimir Malewitsch (über 60 Werke) und Alexander Rodtschenko (135 Werke). Die Sammlung spiegelt damit eine große Vielfalt an Fragestellungen wider und zeigt auch, wie viele künstlerische Positionen sich mit allen Facetten des Lebens auseinandersetzten. So reicht dieses Konvolut von der bildenden bis zur angewandten Kunst und enthält wichtige Beiträge aus den

Bereichen Malerei, Skulptur, Graphik, Fotografie, sowie Projekte und Entwürfe zu Architektur und Raum, Theater und Tanz, Möbeln und Alltagsobjekten, Künstlerbüchern und Plakaten. Die umfangreiche Sammlung der russischen Avantgarde wurde erstmals in zwei Ausstellung in der Josef-HaubrichKunsthalle Köln 1986 und 1993 gezeigt und wird derzeit in der Projektreihe „Russische Avantgarde“ neu aufgearbeitet. Bisher entstanden in der Reihe zwei Kataloge, „Der Kubofuturismus und der Aufbruch der Moderne in Russland“ sowie „Kasimir Malewitsch und der Suprematismus in der Sammlung Ludwig“, und weitere werden folgen. www.museum-ludwig.de

Sparkassen-Finanzgruppe

Unsere Kulturförderung ist gut für die Sinne.

Kunst und Kultur prägen die gesellschaftliche Entwicklung. Die Sparkassen-Finanzgruppe ist der größte nicht-staatliche Kulturförderer Deutschlands. Auch die Stadtsparkasse Wuppertal ist ein wichtiger Partner für Kunst und Kultur in unserer Stadt. Das ist gut für die Kultur und gut für Wuppertal. www.sparkasse-wuppertal.de

Sparkasse. Gut für Wuppertal.

30

S


Ich finde Wuppertal wunderbar „Ich finde Wuppertal wunderbar,“ sagt Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse ganz ungefragt, „und wenn einem etwas fehlen sollte, braucht man nur eine halbe Stunde zu fahren – was will man mehr!“

Kaum jemand ist in musikalischen Angelegenheiten so vielseitig und so viel erfahren wie Lutz-Werner Hesse. Seit 2009 ist er geschäftsführender Direktor des Standorts Wuppertal der Hochschule für Musik und Tanz Köln, er ist im Vorstand des Vereins der Freunde und Förderer dieses Standortes, Vorsitzender der Konzertgesellschaft Wuppertal, Mitgestalter der Reihe Kunsthochdrei, einer Kooperation des Von der Heydt-Museums, des Literaturhauses und der Musikhochschule, er leitet (noch) die Bergische Biennale Neue Musik, hält regelmäßig Einführungen zu den Sinfoniekonzerten in der Stadthalle, die sich großer Beliebtheit erfreuen, ist leidenschaftlicher Dozent für Musikwissenschaften und Tonsatz – und ganz nebenbei ist er doch eigentlich Komponist.

Da wegen dieser zahlreichen Verpflichtungen das Komponieren zu kurz kommt, wird Hesse im Sommer die Leitung der Bergischen Gesellschaft für Neue Musik abgeben: „Ich stelle mir die Frage, ob eine solche überhaupt noch notwendig ist, ob die ‚Neue Musik’ nicht längst ihren Weg in den Konzertbetrieb genommen hat?“ Lutz-Werner Hesse ist Rheinländer. Er ist geboren in Bad Godesberg, in Mönchengladbach aufgewachsen und hat in Köln studiert. Deshalb liebt er das rheinische Temperament samt Karneval. Sein musikalisches Schlüsselerlebnis war eine Sinfonie von Gustav Mahler, die er als Schüler im Konzert gehört hat. Danach begann der Dreizehnjährige Unterricht im Instrument Waldhorn zu nehmen und „wüste, unrealistische Partituren zu schrei-

31


ben“, wobei ihm „meist nach fünf Minuten die Puste ausging.“ Ein hilfreicher Musiklehrer brachte ihn wieder auf den Boden der musikalischen Tatsachen zurück, was immerhin einige Stücke für das Schulorchester zur Folge hatte sowie die Genehmigung der Eltern, Schulmusik, Komposition und Latein zu studieren. Sein Lehrer für Komposition in Köln war Jürg Baur, der – Ironie des Schicksals - besonderen Wert auf Kammermusik legte. Doch seit dem Studium ist für Hesse die Orchestermusik wieder der eigentliche Schwerpunkt. 1986 gewann er den GEMA-Wettbewerb, dessen Preis darin bestand, dass das Stück gedruckt und aufgeführt wurde – ein eindrückliches Erfolgserlebnis für einen jungen Komponisten! Bereits während der Referendarzeit war klar, dass Hesse nicht in den Schuldienst gehen würde, so kam er 1984 nach der Promotion als Dozent für Musikwis-

senschaften und Musiktheorie an die Musikhochschule Wuppertal. 2002 folgte die Ernennung zum Professor. 2008 zog der Standort Wuppertal um in das neue Domizil in der Sedanstraße 15, das heutige „Günter Wand-Haus“. Hesse ist passionierter Dozent. Auch als geschäftsführender Direktor möchte er den Kontakt mit den Studierenden nicht missen: „Sie konfrontieren uns häufig mit Dingen, die außerhalb des eigenen Blickfeldes liegen, und das ist oft sehr anregend. Die Glücksmomente entstehen im Umgang mit den Studenten.“ Diese Wertschätzung beruht offensichtlich auf Gegenseitigkeit: Einmal übernahm Hesse einen Kurs mit jungen Sängerinnen, die wohl nicht immer ganz einfach sind. Sie haben bei ‚studiVZ’ eine „Gruppe der Hesse-Fans“ gegründet und Äußerungen ihres Dozenten publik gemacht: „Da war

Wolf Erlbruch, Günther Weißenborn und Lutz-Werner Hesse während einer Probe

32

ich überrascht, was ich alles gesagt haben soll“, sagt Hesse. So habe er offenbar in einer kontroversen Diskussion um verschiedene Komponisten geäußert: „Den idealen Komponisten können wir uns nicht backen. Wir müssen mit denen Vorlieb nehmen, die wir haben.“ Oder in einer (etwas trägen) Gehörbildungsstunde: „Ich meine den Ton ‚des’, Frau X., ‚des’ wie Desinteresse“. Lutz-Werner Hesse bezeichnet sich selbst als Sprachfetischisten und legt großen Wert auf angemessene Formulierungen. Es kommt vor, dass Studenten, die sich musikalisch bereits vor der Aufnahmeprüfung qualifiziert haben müssen, in Spezialgebieten Hervorragendes leisten. „Das stellt für den Dozenten eine große Herausforderung dar. Das ist auch gut so, denn im Idealfall werden die Studierenden besser als ihre Dozenten.“ Darum begegnet man sich in der Musikhochschule,


anders als in einer Universität, in gewisser Weise auf Augenhöhe. Da das neue Haus ideale Räumlichkeiten bietet, reisen sogar Studierende eigens aus Köln an, um hier zu üben – vielleicht aber auch, weil sie den „Wuppertaler Geist“ schnuppern möchten, von dem man in Köln vernommen hat. Dieser Wuppertaler Geist dürfte zum einen mit der überschaubaren Größe des Hauses zusammenhängen, denn jeder kennt jeden, so dass Sprechstunden kaum nötig sind, weil man sich ohnehin sieht. Sicher resultiert dieser besondere Geist aber auch aus der guten Zusammenarbeit zwischen den Dozenten und der Hochschulleitung. Sie alle sind als Künstler sehr besondere Persönlichkeiten, und jeder trägt zu dem hohen Niveau des doch recht kleinen Hauses bei: „Dafür, dass wir so klein sind, machen wir hier verflixt viel.“ So viel, dass beim letzten Hochschulkonzert im Mendelssohn-Saal in der Stadthalle 150 Besucher nach Hause geschickt werden mussten, weil der Saal bereits übervoll war. Was Lutz-Werner Hesse besonders auszeichnet, ist seine Ruhe und Zugewandtheit, sein rheinischer Humor, seine ganz und gar integre, der Sache dienliche authentische Einstellung, weshalb er in so mancherlei Konflikten zu vermitteln vermag. So liegt ihm besonders die Konzertgesellschaft am Herzen wegen der Erhaltung des Wuppertaler Sinfonieorchesters in der jetzt bestehenden Form, ohne Fusion. Die Konzertgesellschaft ist gerade 150 Jahre alt geworden. Bis 2004 war sie Veranstalter für die Konzerte des Sinfonieorchesters,

während sie heute „nur“ noch Mitgliederkonzerte veranstaltet und das Orchester vor allem finanziell unterstützt. Sie vertritt in Wuppertal gegenüber der Politik die öffentliche Meinung und ist ein wichtiger Vermittler zwischen dem Orchester, seinen Förderern und der Stadt Wuppertal. Dem Komponisten Lutz-Werner Hesse bleibt bei diesen anspruchsvollen Tätigkeiten für seine eigentliche Profession leider viel zu wenig Freiraum. Das letzte Werk für großes Orchester waren 2006 die „Variationen ohne Thema“. So besonderes dieser Titel für ein Musikstück ist, so ungewöhnlich sind auch häufig die Besetzungen von Hesses Arbeiten. Zum Beispiel hat er ein rasantes Stück für das traditionelle chinesische Instrument GuZheng und Orchester geschrieben. Sein erfolgreichstes Werk, die Komposition „Vita di San Francesco – elf Stationen aus dem Leben des Heiligen Franziskus von Assisi“ für Orgel und 13 Gongs, hatte bereits über 40 Aufführungen. Hesses Werke entstehen häufig als Aufträge, durch Anregungen oder für bestimmte Musiker. So komponierte er in Zusammenarbeit mit Ursula und Günther Weißenborn die Musik zu dem Buch „Die Werkstatt der Schmetterlinge“ von Wolf Erlbruch. Beruf und Privatleben sind bei einer Tätigkeit, die Leidenschaft und Profession verbindet, nicht von einander zu trennen, „manche Konzerten besuche ich aus persönlichen Gründen, andere wiederum aus beruflichen.“ Lutz-Werner Hesse ist nicht nur Ohren- sondern auch Augenmensch.

So ist es eine glückliche Fügung, dass seine Frau, Ines Pröve-Hesse, Künstlerin ist, und ihre Werke einen visuellen Kontrast zur Musik darstellen: „Ich lebe inmitten der bildenden Kunst, denn die Arbeiten meiner Frau umgeben mich zu Hause und in der Hochschule.“ Und: „Ich kann mir keinen schöneren Beruf und kein reicheres Leben vorstellen, als das, was ich habe. Damit meine ich nicht materiellen Reichtum, sondern den Reichtum, den die Familie, die Freunde, die Menschen, die mit mir sind, und natürlich die Musik bieten!“ Marlene Baum Fotos Uwe Schinkel

Textilmarkt Schloss Lüntenbeck 17. – 20. Mai 2012, 11–18 Uhr Modenschau täglich 12 Uhr

Tageskarte: 3 € | Dauerkarte: 5 € | Kinder bis 12 Jahre frei Schloss Lüntenbeck | 42327 Wuppertal | www.schloss-luentenbeck.de

33


Wuppertaler Literatur Biennale 2012

Herta Müller, © Fotograf Paul Esser

Im Juni 2012 ist Wuppertal Literaturstadt. Vom 6. bis 16. Juni 2012 findet erstmalig die Wuppertaler Literatur Biennale statt. Mit diesem neu geschaffenen Literaturereignis begegnet Literatur einem gesellschaftlich relevanten Aspekt in seiner Vieldeutigkeit und Vielschichtigkeit: Im Jahr nach dem „Arabischen Frühling“ ist es „Freiheit“.

Christoph Ransmayr, © Ch. Ransmayr

Chalid al Chamissi, © Markus Kirchgessner

Internationale und nationale Autoren werden in Wuppertal lesen und diskutieren, u. a. Herta Müller, Christoph Ransmayr (Österreich), Chalid al Chamissi (Ägypten), Samar Yazbek (Syrien), Michael Kleeberg, Abbas Khider (Irak), Margriet de Moor (Niederlande), Artur Becker und Dariusz Muszer (Polen), Hermann Schulz, Michael Zeller und John von Düffel. Die Eröffnung der ersten Wuppertaler Literatur Biennale, am 6. Juni 2012 (19:30 Uhr, Mendelsohnsaal der Stadthalle Wuppertal) steht im Zeichen der arabischen Demokratiebewegung, der zur Zeit wohl eindrucksvollsten Verkörperung einer Sehnsucht nach Selbstbestimmung und politischer Freiheit. Eingeladen wurden die syrische Autorin Samar Yazbek und der ägyptischen Autor Chalid al Chamissi. Sie lesen kurze Texte, vor allem werden sie aber erzählen und über die Ereignisse in ihren Ländern diskutieren. Junge MusikerInnen der Musikhochschule Wuppertal präsentieren Stücke von aktuellen Komponisten aus dem arabischen Raum.

eingeladen, der mit ganz unterschiedlichen Veranstaltungen öffentlich wird. Im „Generation Slam“ treten Karl Otto Mühl, Christiane Gibiec und Hermann Schulz gegen die junge Generation mit André Wiesler, David Grasshoff und Jörg DegenkolbDegerli an. In der der „Langen Nacht der kurzen Texte“ wird eine Auswahl zahlreicher Autoren der Region Bergisches Land unter Federführung von Friederike Zelesko die neue Literaturzeitschrift Karussell vor. „Vom Stehen über den Dingen“ lautet der literarische Spaziergang, zu dem Ulrich Land Kollegen eingeladen haben und dem das Publikum zahlreich folgen soll. Und in der „Nacht der Poeten: Die Freiheit, die ich meine“ lesen AutorInnen aus ganz NRW anlässlich der Jahrestagung des Verbands deutscher Schriftsteller in Wuppertal. Eine literarische Begegnung der polnischen und deutschen Autoren Dariusz Muszer, Artur Becker und Michael Zeller findet zur „Freiheit des Dichtens“ statt. Die richtungweisenden Wuppertaler Autoren und Vordenker Friedrich Engels, Else Lasker-Schüler und Armin T. Wegner und deren Texte zum Thema Freiheit werden in einer Lesung durch den Schauspieler Rolf Becker vorgestellt. Über „Kirchen und Freiheit“ diskutieren der Künstler Johannes Stüttgen und der Autor Michael Kleeberg mit den Wissenschaftlern Prof. Helmut Zschoch

Es wird gelesen, geslamt, zitiert und diskutiert So vielschichtig das Thema „Freiheit“ ist, so facettenreich wird das Programm der ersten Biennale sein: Die junge wie auch die etablierte Autorenszene Nordrhein-Westfalens wurde zu einem literarischen Dialog

34


Thema: Freiheit NEU zur Wuppertaler Literatur Biennale 2012

KA RUS SELL Bergische Zeitschrift für Literatur

Ausgabe 1/2012 9,00 Euro

Samar Yazbek

Margriet de Moor, ©J ohn Foley/Hanser-Verlag

Prof. Jürgen Baurmann. „Die Freiheit des Worte, die Freiheit des Verlegens“ ist das Thema der Verlegerrunde, die mit Christoph Links (Ch. Links Verlag), Lucien Leitess (Unions Verlag), und Lutz Kliche (Herausgeber/Lektor) und den AutorInnen Katja Behrens und Hermann Schulz zusammentritt.

Alle Literaturinstitutionen der Stadt Die Wuppertaler Literatur Biennale wurde von allen Literaturinstitutionen Wuppertals gemeinsam geschaffen, was die Initiatoren durchaus mit Stolz erfüllen darf. Beteiligt daran sind das Literaturhaus Wuppertal e.V., die Goethe Gesellschaft/Wuppertal, die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft, die Armin T. Wegner Gesellschaft, der Verband Deutscher Schriftsteller/Bergisches Land und NRW, die GEDOK Bergisches Land, die Universität Wuppertal/Fachbereich Germanistik und das Kulturbüro der Stadt Wuppertal. „Der Literatur Gehör verschaffen und Lesen als zeitgemäß, lustvoll und bereichernd erleben“ sind deren Ziele. Darüber hinaus soll die Biennale eine Begegnungsplattform für Literatur- und Buchinteressierte, für AutorInnen und Verlage sein.

Endstation Freiheit Eine weitere herausragende Veranstaltung ist die international besetzte „Lesebühne für junge Dramatik“: Endstation Freiheit, unter dieser Überschrift präsentiert die „Lesebühne für Junge Dramatik“ im Rahmen der Wuppertaler Literatur Biennale drei bislang noch nicht aufgeführte, aktuelle Stücke junger Theaterautoren: Michel Decar (Deutschland), Miranda Huba (Kanada) und Thomas Paulmann (Deutschland).Ausgewählt wurden deren Beiträge von einer Jury, der Prof. Dr. John von Düffel (Universität der Künste, Berlin), der Wuppertaler Schauspielintendant Christian von Treskow und der Dramatiker Gerold Theobalt (Folkwang Universität der Künste, Essen/ Bochum) angehörten. „Die Lesebühne der Jungen Dramatik“ geht auf eine Idee von Gerold Theobalt zurück. Für deren Realisierung kooperieren die Wuppertaler Bühnen, die Folkwang Universität der Künste, die Bergische Universität Wuppertal, die Universität der Künste (Berlin).

Ab 17. April 2012 wird das gesamte Programm veröffentlicht, auch über www. wuppertaler-literatur-biennale.de. Dann können Eintrittskarten zu allen Veranstaltungen über www.wuppertal-live.de gebucht werden. Die Eintrittspreise liegen zwischen 3 Euro und 12 Euro. Es gibt auch gebührenfreie Veranstaltungen.

Wu p p e r t a l e r L i t e ra t u r B i e n n a l e 2 0 1 2

1

Prosa | Lyrik | Essay von Marlene Baum, Eugen Egner, Christiane Gibiec, Arnim Juhre, Karl-Otto Mühl, Karla Schneider, Hermann Schulz, Andreas Steffens, Michael Zeller u. v. a. Karussell Bergische Zeitung für Literatur Nr. 1/2012 ab Juni im Buchhandel Herausgeber: Verband Deutscher Schriftsteller (VS), Region Bergisch Land und die Autorengemeinschaft Literatur im Tal Mit freundlicher Unterstützung durch Kulturbüro der Stadt Wuppertal ISBN 978 - 3 - 942043 - 85 - 4 Verlag HP Nacke Wuppertal 115 Seiten, 9.– Euro

Ruth Eising

35


Tanztheater Wuppertal Pina Bausch 32 Jahre nach der Uraufführung in Wuppertal und rund ein Jahrzehnt nach dem letzten Gastspiel in Athen am Herodes Atticus studiert das Tanztheater Wuppertal „1980 - Ein Stück von Pina Bausch“ neu ein Nach gefeierten Neueinstudierungen von „Two Cigarettes in the Dark“ vergangene Spielzeit und „Der Fensterputzer“ im November 2011 arbeitet die Kompanie derzeit an der Neueinstudierung von „1980- Ein Stück von Pina Bausch“, uraufgeführt am 18. Mai 1980 am Schauspielhaus Wuppertal. Es folgten zahlreiche Gastspielreisen ins In- und Ausland ua. in die DDR, nach Amerika, Japan und Hong Kong. Zuletzt gespielt wurde das Stück 2001 in Athen im Herodes Atticus und im selben Jahr in Wuppertal. Nach dem Tod von Rolf Borzik, dem langjährigen Bühnen- und Kostümbildner von Pina Bausch, war 1980 das erste Stück, bei dem Peter Pabst als Bühnen-

36

bildner mitwirkte. Und Marion Cito, die bereits mit Rolf Borzik zusammengearbeitet hatte, übernimmt 1980 die Arbeit an den Kostümen und entwickelt seine ästhetische Linie weiter. Zur Besetzung der Uraufführung zählten damals ua. Lutz Förster, Mechthild Großmann, Nazareth Panadero und Jean-Laurent Sasportes. Sie gehören heute noch, teils als Gäste, zur Kompanie und werden auf der Bühne zu sehen sein. Auch jüngere Tänzer des Tanztheaters lernen derzeit einzelne Rollen aus „1980“. Die Probenleitung für die Neueinstudierung haben Dominique Mercy und Lutz Förster übernommen, assistiert von Bénédicte Billiet, die früher selbst viele Jahre in dem Stück tanzte. Nach der Aufführungsserie in Wuppertal wird „1980 - Ein Stück von Pina Bausch“ mit 19 Tänzern, einem Zauberer, einem Geiger und einem Barrenturner mit 12 Vorstellungen im April/Mai in Paris am Théâtre de la Ville gespielt.

Opernhaus Wuppertal „1980-Ein Stück von Pina Bausch“ Donnerstag 5. und Samstag 7. April 2012, 19:30 Uhr Sonntag 8. April und Montag 9. April (Ostern) 18:00 Uhr Karten 15 / 30 / 40 / 50 Euro Tickets: www.pina-bausch.de Reservierungsstelefon: 0202 569 44 44 Der Vorverkauf beginnt am 9. 2. 2012 1980- Ein Stück von Pina Bausch Inszenierung und Choreographie Pina Bausch Bühne Peter Pabst Kostüme Marion Cito Dramaturgie Raimund Hoghe Mitarbeit Hans Pop Dauer 3h 35min Probenleitung: Lutz Förster, Dominique Mercy Musikalische Mitarbeit Neueinstudierung: Matthias Burkert

copyright Foto: Ulli Weiss


MÉNAGE À TROIS Ausstellung Warhol, Basquiat, Clemente in der Bundeskunsthalle Bonn noch bis 20. Mai

Andy Warhol, Jean-Michel Basquiat und Francesco Clemente, New York, 1984, © Beth Philipps, Courtesy Galerie Bruno Bischofberger, Zürich

Die New Yorker Kunstszene der 1980er Jahre ist legendär. Sie ist vital, kreativ und medial offener denn je, sie bietet gerade jungen Talenten eine Spielfläche voller Möglichkeiten. Traditionen werden hinterfragt auf der Suche nach Innovation, und so bringen die Künstler mit Graffitis die Kunst auf die Straße und lassen in den Ateliers Alltägliches in ihre Kunst Einzug finden, die Malerei steht im Vordergrund. Drei der einflussreichsten Künstler dieser Zeit, Andy Warhol (1928–1987), Jean-Michel Basquiat (1960–1988) und Francesco Clemente (geb. 1952), werden in dieser Ausstellung vorgestellt – mit Einzelwerken, die das unterschiedliche künstlerische Temperament belegen und einen Einblick in die individuelle Haltung geben, und vor allem mit den legendären Collaborations als Zeugnisse der Unterschiedlichkeit, aber auch der gegenseitigen Wertschätzung, entstanden in einer intensiven Arbeitsphase zwischen 1983 und 1985. Während Andy Warhol, wichtiger Vertreter der Pop-Art, das Grafische und Serielle in der Kunst in einem klaren, oft kühl wirkenden

Stil ausführt, wirkt das Werk des jungen Jean-Michel Basquiat mit seiner wütendausdrucksvollen Geste, einer Mischung aus Symbolen, Piktogrammen und Buchstaben, die aus den Graffitis kommen, wie ein temperamentvoller Gegenpol zu Warhols Arbeiten. Die Gemälde Francesco Clementes, ein Vertreter der Transavanguardia, wirken wiederum traumhaft, mystisch und fast surreal. Warhol ist 1983 bereits 55 Jahre alt und blickt auf eine erfolgreiche Karriere zurück u.a. mit der Factory, dem Interview-Magazin, The Velvet Underground, Studio 54 ...) und sein Werk ist malerisch klar definiert, er nutzt das kollektive Bildgedächtnis, Ikonen der Kunstgeschichte und Medien. Basquiat, damals 23 Jahre alt, steht am Anfang seiner dynamischen Malerei, nachdem er sich bis 1979 als SAMO durch seine Graffitis (gemeinsam mit Al Diaz) einen Namen gemacht hatte. Er überträgt, samplet direkt und ungefiltert Bestehendes seiner Generation in eine neue Ästhetik. Clemente, damals 31-jährig, kommt aus

37


38


linke Seite: Andy Warhol, Big Campbell's Soup Can, 19c (Beef Noodle), 1962, Kaseinfarbe und Bleistift auf Leinen, 178 x 137 cm Daros Collection, Schweiz © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. oben: Jean-Michel Basquiat Brown Spots (Portrait of Andy Warhol as a Banana), 1984, Acryl und Ölkreide auf Leinwand, 193 x 213 cm Sammlung Bischofberger, Schweiz © The Estate of Jean-Michel Basquiat / ADAGP, Paris, 2011 unten: Andy Warhol Mao, 1973, Acryl und Siebdruck auf Leinwand, 67 x 56 cm, Privatsammlung, Courtesy Galerie Andrea Caratsch, Zürich © The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. einer anderen Tradition. Er zieht erst 1981 nach New York und hat unter anderem während seiner längeren Indienaufenthalte gemeinschaftliches Arbeiten als Verschmelzung geistiger Haltungen für sich entdeckt. Seine Themen sind Fragen nach dem Innen und Außen, dem Selbst und den Anderen, dem Körperlichen und Psychischen. Auch die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Schriftstellern, von der in der Ausstellung zwei Werke zu sehen sind, zeigt ein anderes Verständnis der Kollaboration. So zeichnet sich die Zusammenarbeit von Warhol, Basquiat und Clemente – laut Keith Haring 1988 eine Art „körperliche Konversationen“ – dadurch aus, dass sich drei sehr unterschiedliche Künstler mit bereits klar ausgeprägten Profilen, Interessen und Themenkreisen begegnen. Jeder der drei begann mit vier Gemälden und einer Zeichnung, die in der Folge zu einem der beiden anderen Künstler transportiert wurden, wodurch jeder auf das bereits Gezeichnete, Gemalte oder Gedruckte reagieren konnte. Die Zusammenarbeit war intensiv und äußerst produktiv. Aufgrund der außerordentlich differierenden künstlerischen Handschriften können die jeweiligen künstlerischen Beiträge deutlich unterschieden werden: Warhols Siebdrucke, Basquiats Ölkreidezeichnungen und Xerokopien und

39


Ausstellungsansicht – Foto: David Ertl, Š Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland 40


41


Francesco Clemente Portrait of Andy Warhol 1982-1987 Aquarell auf Papier 36,2 x 50,8 cm Sammlung Alba und Francesco Clemente © Francesco Clemente nung aus den konträren malerischen Gesten. In ihrem Facettenreichtum spiegeln die Collaborations die Zeit, die (Pop-)Starrolle, den Ruhm und das neue Selbstverständnis der Künstler, die (kunsthistorische) Vorbilder, Alltägliches und Zeitgenössisches mit einer frischen, neuen Selbstverständlichkeit ‚benutzen‘; sie spiegeln ihre Wertvorstellungen, ihre Traditionen, ihre unterschiedlichen Weltsichten und ihre gegenseitige Faszination. Clementes malerische Visionen. Für alle drei spielt Sprache und Schrift eine große Rolle. Der gegenseitige Einfluss – vor allem bei Warhol und Basquiat – prägte aber auch die individuellen Werke, und so beginnt Warhol nach mehr als 20 Jahren wieder mit der Hand zu malen und Basquiat in der Folge mit der Siebdrucktechnik zu arbeiten. Die Gemeinschaftsbilder zeigen deutlich, wie sensibel die drei Künstler auf den Beitrag der anderen reagierten

42

und das Bestehende respektierten, modifizierten oder wenig übermalten; der respektvolle Umgang der Künstlern untereinander, die Wertschätzung und selbstverständliche gegenseitige Akzeptanz ist in den Werken ablesbar. Das Künstlerische impliziert Einmaligkeit und vor allem Individualität – die eigene Handschrift. Die Gemeinschaftswerke der drei Künstler brechen spielerisch mit dem Begriff der Individualität, ohne die Autorenschaft zu leugnen, und beziehen ihre Span-

Katalog

MÉNAGE À TROIS Warhol, Basquiat, Clemente Format: 24,5 x 28 cm 256 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, Hardcover gebunden Museumsausgabe: 29 Euro Buchhandelsausgabe (englisch und deutsch): 45 Euro Kerber Verlag, Bielefeld ISBN 978-3-86678-627-1 www.bundeskunsthalle.de


Geschichtsbücher, Buchgeschichten Vorgestellt von Matthias Dohmen

Nichts dazugelernt: Er war „Karriere-Diplomat der alten Schule“ (S. 621), Wipert von Blücher, deutscher Gesandter in Finnland von 1935 bis 1944, dem es 1918/19 darum ging, „möglichst viel von der alten Ordnung in die ungewollte Republik“ hinüberzuretten (S. 49 f.). Blücher, von der Führung in Helsinki sehr geachtet – immerhin war Finnland das letzte Land, „das sich aus einer wie auch immer gearteten militärischen Bündnisverpflichtung mit dem Deutschen Reich löste“ (S. 12) -, brachte kein Verständnis für finnische Eigenständigkeiten auf. Der Judenvernichtung stand er nicht in Opposition gegenüber, auch wenn Augstein 1987 das Gegenteil beschwor und der in die USA geflohene Ernst Herzfeld nach dem Krieg eine Ehrenerklärung für den Diplomaten abgab (S. 375-390). Wer einen typischen Vertreter des preußisch-deutschen Adels studieren und spannende Jahre intensiver deutsch-finnischer Beziehungen vor Augen geführt bekommen möchte, demjenigen sei die dicke Schwarte von Michael Jonas dringendst ans Herz gelegt. Michael Jonas, NS-Diplomatie und Bündnispolitik 1935-1944. Wipert von Blücher, das Dritte Reich und Finnland, Paderborn/ München/Wien/Zürich: Ferdinand Schöningh 2011 (= Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart). 687 S., 74,00 Euro

Finnland ein Zufall: 1809 wird Suomi ein autonomes Großfürstentum im Rahmen des russischen Reiches, und zwar als eines der Ergebnisse der Napoleonischen Kriege. Seine heutige Gestalt als unabhängiger Staat verdanken die Finnen dem Ersten Weltkrieg und der russischen Revolution 1917. Sie könnten, wären die Dinge ein wenig anders gelaufen, „zufriedene Schweden“ oder Russen sein. So beschreibt es der renommierte Historiker Matti Klinge in dem von Jan HeckerStampehl, Bernd Henningsen, Anna-Maija Mertens und Stephan Michael Schröder herausgegebenen Sammelband „1809 und die Folgen“. Die deutsch-finnischen literarischen Beziehungen der letzten 200 Jahre untersucht der an der Universität Vaasa lehrende Christoph Parry. Überzeugend und mit vielen Details arbeitet er die Bedeutung der Literatur für die Bildung der finnischen wie der deutschen Nation heraus. Er macht auch um die unverhohlenen Sympathien, die Nazi-Deutschland bei Entscheidungsträgern wie Intellektuellen in Helsinki besaß, keinen Bogen. Jan Hecker-Stampehl et al. (Hrsg.), 1809 und die Folgen. Finnland zwischen Schweden, Russland und Deutschland, Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag 2011 (= Schriftenreihe des Finnland-Instituts in Deutschland, 12). 311 S., 29,00 Euro

Keine Heimat: Eine erschütternde Bilanz seiner Leidenszeit in Stalins UdSSR, zu DDR-Zeiten euphemistisch „Teilnahme am sozialistischen Aufbau in der UdSSR“ geheißen, hat der renommierte, 2006 verstorbene Wolfgang Ruge in seinen ironisch-sarkastisch „Gelobtes Land“ genannten Erinnerungen gezogen. Wer jemals im heutigen Russland das Vaterland aller Werktätigen gesehen hat, wird diese Autobiographie mit Beklemmung lesen. Das nachmalige Mitglied der Akademie der Wissenschaften wird 1917 in ein kommunistisches Elternhaus hineingeboren, emigriert 1933 nach Moskau, wo er sehr schnell mit der „tschistka“, der ersten Stalinschen Parteisäuberung, Bekanntschaft schließt. Im Waggon Nr. 14 wird er mit anderen Deutschen und mit unliebsamen Sowjetbürgern weit nach Osten transportiert. Am 26. April 1956 kehrt er mit Frau und Kind nach Deutschland zurück, sieht auf dem Weg in die DDR-Hauptstadt „angespannt aus dem Fenster“ und versucht, „Anzeichen eines sozialistischen Wandels zu entdecken“ (S. 440). Vergeblich. Heimat wird die DDR dennoch für den couragierten „Faust“-Liebhaber. Wolfgang Ruge, Gelobtes Land. Meine Jahre in Stalins Sowjetunion, Reinbek: Rowohlt 2012. 489 S., 24,95 Euro

43


Japan, Ginkgo, Goethe Annäherungen an ein Porträt von Klaus Stiebeling

Ein Weltreisender von früh an, der in Europa wie in Ostasien zu Hause ist: Klaus Stiebeling, der zahlreiche in Japan wie in Deutschland entstandene Exlibris sein eigen nennt, die 1998 in der Stadtbibliothek ausgestellt waren, eine Reihe wertvoller „Ginkgonalia“ gesammelt hat, die in einem Langenberger Antiquariat zu bewundern sind, und der derzeit nach weiteren Zeugnissen der Woensam-Gruppe Ausschau hält, die man sich 2014 in der Stadtbibliothek wird anschauen können, erblickte am 1. Januar 1939 in Wuppertal das Licht der Welt. Kindheit und Jugend verbringt er auf dem elterlichen Bauernhof, den der Vater 1955 verkauft, als sich herausstellt, dass Sohn Klaus in die weite Welt strebt und mit der heimischen Scholle wenig anzufangen weiß. Nach der Volksschule macht er die Mittlere Reife. Ihr schließt sich die erste der beiden Berufsausbildungen an, die er beim Wuppertaler Verlag W. Girardet absolviert. Jetzt darf er sich Verlagskaufmann nennen. Erste Reisen führen ihn nach Skandinavien. In Finnland schließt er Freundschaft mit dem Schriftsteller Robert Crottet, dessen Bücher man heute noch bei Amazon bestellen kann. Die Titel heißen etwa „Verzauberte Wälder. Geschichten und Legenden aus Lappland“ oder „Negri. Tagebuch einer Katze“. Es folgt 1961 die Berufsausbildung Nummer zwei. In der Buchhandlung Nettes-

links: Hierhin kehrt er immer wieder gern zurück: Klaus Stiebeling in seiner Stammkneipe im Tokioter Stadtteil Asagaya. Foto: privat rechts: Unser Japanenthusiast vor einem buddhistischen Tempel in Onomichi, wo der Streifen „Die Reise nach Tokio“ des Regisseurs Yasujiro Ozu entstanden ist, den Wim Wenders den „besten Film aller Zeiten“ genannt hat. Foto: Tsutae Ikuno ganz rechts: Sammlers Glück: Stiebeling beim Betrachten einer Woensam-Grafik über die Schulter geschaut. Foto: Dohmen

44

heim, deren Hauptgeschäft in Elberfeld vor ein paar Jahren dem Druck der Filialketten nicht mehr standhielt, lernt er, wie man Bücher verkauft. Auch dicke Schwarten mit bunten Abbildungen der Werke großer Meister, die später eher in sein Fach schlagen. Wieder lockt die weite Welt: 1963 und 1964 unternimmt er mit gerade Mitte 20 seine erste Weltreise, während der er sich neun Monate in den USA aufhält und 36 US-amerikanische Bundesstaaten kennenlernt. Drei Monate verbringt er auf dem Stückgutfrachter Dragor Maersk, der zwischen den USA, Japan und Südamerika pendelt. Und dann das Land der aufgehenden Sonne selbst: Ein halbes Jahr hält sich Klaus Stiebeling in Japan auf. Plötzlich weiß er: Hierhin kehre ich noch einmal zurück. Für zwei Jahre arbeitet er Anfang der 1960er-Jahre in der Buchhandlung Nettesheim, bevor es ihn wieder nach Übersee zieht. Wieder nach „Nippon“, aber diesmal auf dem Landweg. Vier Monate dauert die Reise über den Vorderen Orient, Indien, Nepal und Thailand. Per Schiff geht es von Bangkok nach Yokohama. Von 1967 bis 1973 arbeitet er im Sanshusha-Verlag, der sich auf Deutschsprachiges spezialisiert hat: Lesetexte, deutsche Gram-


matiken, Wörterbücher. Deutsch kann Stiebeling ja, das Japanische lernt er schnell. Den umtriebigen Wuppertaler drängt es dann selbst ins Geschäft: Er gründet die Europe Art GmbH, mit der er sich einen Namen beim Import von Kunstbüchern und Druckgrafik aus Deutschland, Österreich und der Schweiz macht. Daneben organisiert er Ausstellungen europäischer Grafikkünstler. Als er mit Unterbrechungen 30 Jahre in Japan verbracht hat, kehrte er mit seinem Sohn, der mittlerweile studiert, in seine Vaterstadt zurück. Dem Fernen Osten hält er die Treue und gründet Mitte der 1990erJahre den Deutsch-Japanischen Freundeskreis Wuppertal. Er wohnt im Katernberg, und wer ihn bei Abwesenheit anruft, hört auf dem Anrufbeantworter eine Ansage in Deutsch und auf Japanisch. Die Katze lässt das Mausen nicht. Stiebeling hat sein Lebtag gesammelt – zum Beispiel Exlibris und Dinge, die ein Licht auf den japanischen Ginkgo-Baum und den deutschen Klassiker Johann Wolfgang von Goethe werfen. Und auszustellen, war ihm nie fremd. Seit wenigen Jahren findet man im zweiten Stock des Velbert-Langenberger Antiquariats „Im Honnes“, Hellerstraße 12, zwei ineinander übergehende Räume,

in denen man Devotionalien aller Art rund um den Dichterfürsten, Teller und Tassen, Vasen und Fingerhüte, Kerzenleuchter und Aschenbecher sowie – hier beginnt Stiebelings Reich – Literatur, darunter „Goethe und der Ginkgo: Ein Baum und ein Gedicht“ von Siegfried Unseld, das man heute ebenfalls noch bei Amazon bekommt, kunstgewerbliche Artikel und Gebrauchsgegenstände mit dem Ginkgomotiv bestaunen kann: Gebäcktabletts im Jugendstil und Tassen, Gläser und Spiegel, Bilder und Grafiken sowie – hervorstechend – die Utensilien für eine Teezeremonie. In den „Musenblättern“ (www.musenblaetter.de) hat der Vielleser beschrieben, wie er persönlich auf den Ginkgo kam: „Irgendwann stößt man unweigerlich auf Goethes Gedichte und auf den West-östlichen Divan. Dort findet man Ginkgo biloba, und wenn man etwas mehr über die Entstehung des Gedichtes erfahren möchte, liest man die Geschichte der wunderbaren Liebe zwischen Goethe und Marianne von Willemer.“ Ein Baum und die Beziehungen zwischen Japan und Deutschland: Die ungewöhnliche Buchstabenfolge kg im Namen des sagenumwobenen Baums stammt wohl, hat Stiebeling herausgefunden, aus der Zeit des ausgehenden 17. Jahrhunderts, als der deutsche Arzt und Forscher Engelbert Kaempfer

sich die japanische Bezeichnung transkribieren ließ, die in lateinischen Buchstaben aber eigentlich „Ginkyo“ geschrieben werden müsste. Durch ein Missverständnis oder einen Übertragungsfehler sei daraus wohl die Schreibweise entstanden, die wir heute kennen. Goethe war sich übrigens unschlüssig, wie das Wort korrekt auszusprechen sei: Ginko (richtig) oder Gingo (falsch). Mit der Woensam-Gruppe machte Stiebeling erst vor rund einem Jahr Bekanntschaft, als ihm der befreundete Künstler Jordan Boehm von der „Woensam-Presse“ erzählte, einem Kreis von Grafikern, der seine besten Jahre in Wuppertal hatte. Das ließ ihn nicht los, zumal er einige Monate später beim Studium eines Pforzheimer Auktionskataloges erneut auf diese Gruppe stieß und daraufhin einige Bücher und Grafiksammlungen dieser Künstlervereinigung erwarb. Zu der nach einem berühmten Grafiker des 16. Jahrhunderts und Dürer-Zeitgenossen benannten Gruppe gehörten so bedeutende Köpfe wie Conrad Felixmüller sowie aus dem Bergischen der seinerzeitige Leiter der Werkkunstschule, Wilhelm Geißler, Walter Wohlfeld und Willi Dirx. 2014 wird es in der Stadtbibliothek die Retrospektive einer fast dem Vergessen anheimgefallenen und doch für die Kulturgeschichte der Stadt so wichtigen Gruppe geben. Matthias Dohmen

45


Neue Kunstbücher Über die Sparten hinweg... Vorgestellt von Thomas Hirsch … was gemeinhin eher abwertend für mangelnde Entscheidungsfreude steht, meint hier wertneutral ein Phänomen der zeitgenössischen Kunst. Es gibt natürlich nach wie vor die reinen Maler, die spezialisierten, entsprechend ausgebildeten Fotografen und die ganz in ihre Tätigkeit vertieften Bildhauer, doch auch dann sind diese Medien klar zuordbar. Mittlerweile aber ist die Verfügbarkeit und Kreuzung aller Sparten selbstverständlich. Die Handschrift legitimiert den Zugriff auf die Sparten, und der Künstler reagiert mit Offenheit... Eine der wichtigen medialen Grenzgängerinnen im deutschsprachigen Raum ist die Österreicherin Eva Schlegel, deren Kunst indes äußerst puristisch ist. Anlässlich ihrer letztjährigen Ausstellung im MAK Wien ist beim Verlag für moderne Kunst eine Monographie erschienen, welche über die Dokumentation hinaus frühere Arbeiten einbezieht und so das Werk weiter kontextualisiert. Eva Schlegel, die Tafelbilder, Objekte, Videos und Rauminstallation realisiert, wurde 1960 in Tirol geboren, etwa um 1990 wird sie mit ihren Werken und Ausstellungen weiter bekannt, 1995 vertritt sie Österreich auf der Biennale Venedig, gemeinsam mit den dekonstruktivistischen Architekten

Eva Schlegel, in between, 200 S. mit ca. 150 Farbabb., Broschur mit Folienumschlag, 32 x 24 cm, Verlag für moderne Kunst, 39,- Euro

46

von Coop Himmelblau. Das ist schon ein Hinweis auf das Wechselverhältnis von Repräsentanz und Entzug in ihrer Kunst und auf eine Fragilität der Verhältnisse, die ihre Kunst bis heute kennzeichnet. Sie hält Dinge fest, die vergänglich sind, und zwar so, dass sie stabil bleiben. So printet sie Wolkenhimmel-Fotografien auf Bleiflächen. Und sie entzieht kollektivem Wissen die Erkenntnis. Sie setzt Schrift auf Trennscheiben, aber die Schrift ist unleserlich, wirkt wie verflossene Tinte. Zu einem Kunst am Bau-Projekt hat sie komplexe Spiegelsituationen entworfen, die den Raum erweitern und unseren Standpunkt relativieren. Weiterhin hebt sie in ihren Fotos und filmischen Sequenzen, die Menschen zeigen, die mit ausgebreiteten Armen fliegen und stürzen, alle Anmutungen von Schwerkraft auf. In einem Ausstellungsraum des Wiener MAK ragten große weiße Ballons in dichter Masse von der Decke und versperrten einen Durchgang, so dass der Betrachter wie in eine Höhle, gar einen Körper eintrat. Mehrere Werkgruppen thematisieren die weibliche Perspektive – alles vereint aber ein Zustand, in dem das Gewusste nicht mehr gewiss ist. Vorgetragen ist dies in einem Grundton, der sich durch dieses Werk in seinen unterschiedlichen Ausformungen zieht und den der Katalog sehr klar vermittelt, dabei auch einigen eleganten Aufwand unternimmt, etwa mit dem Folienumschlag und den unterschiedlichen Papiersorten. Der Schweizer Christian Waldvogel lässt in seiner konzeptuell angelegten Kunst den Menschen mit seiner Befindlichkeit erst einmal beiseite; er widmet sich der Erde und dem Universum. Seine Arbeit bewegt sich im Grenzbereich von Kunst und Wissenschaft, mithin ließe sich eher von Projekten reden. Neun seiner „Gedankenexperimente“ seit 2004 sind jetzt in einer umfangreichen Monographie zusammengefasst, die, vor zwei Jahren erschienen, immer noch aktuell ist, aufgrund der langwierig angelegten Arbeitsweise des Künstlers, der darin verhandelten Überlegungen, die sich etwa mit der Erdrotation, dem Blick des Universums auf das Universum und der Entstehung der Erde beschäftigen, und weil wir eben sonst kaum etwas über Waldvogel wussten. Christian

Christian Waldvogel, Earth Extremes, 494 S. mit ca. 250 Abb., Hardcover, 31,5 x 21 cm, Scheidegger & Spiess, 69,- Euro Waldvogel ist ein wissenschaftsorientierter, in den Lüften und unter der Erdoberfläche umher schweifender Landart-Künstler. Er wurde 1971 in Austin geboren. Er hat in Rhodes Island und Zürich studiert, wo er heute als Architekt, Musiker und Künstler lebt. International trat er auf der Architekturbiennale Venedig 2004 in Erscheinung. Die künstlerische Umsetzung seiner Recherchen findet überwiegend in Form von Fotos, die in unterschiedlicher Materialität gedruckt sind, und Videoprojektionen statt – und nun auch als Buch. Dieses gibt aber nie den Charakter des dokumentierenden Werkzeugs auf und hält doch in der Typographie und mittels reiner Fotostrecken ausgesprochen sinnliche Erfahrungen bereit, vergleichbar zum Katalog zu Eva Schlegel. In der Kunstbuch-Produktion sind eben derzeit einige Standards und Maßnahmen gefragt, die Luxus und Großzügigkeit kennzeichnen. Oder sind bestimmte technische Verfahren heute leichter, billiger umzusetzen? Ein weiterer Typus im aktuellen Kunstbuchmarkt – weg vom „klassischen“ Katalog – hängt gewiss mit den veränderten Produktionsweisen der Kunst selbst zusammen. Das betrifft die aktuellen Bücher von Simon Wachsmuth und Klara Liden im Kerber Verlag, der zu recht einen guten Ruf für die gegenwärtige


Simon Wachsmuth, Aporia/Europa, 104 S. mit 39 Farbabb., Hardcover, 23,5 x 16,5 cm, Kerber, 24,80 Euro

Andreas Niemeyer WP/StB

Thomas Pintzke StB

Klara Liden, 200 S. mit 11 Farb- und 89 s/w-Abb., Hardcover in Leinen, 25 x 17 cm, Kerber, 29,80 Euro Bei Klara Liden ist die Darstellung als Buch komplizierter und dafür freilich ausgesprochen konsequent, sichtlich hat sie selbst mitgearbeitet. Klara Liden wurde mit semi-exhibitionistischen Performances bekannt, sie hinterfragt festgefügte Strukturen und Verhaltensmuster unserer Zivilisation und entwickelt dazu ortsbezogene Installationen sowie Videos und grobkörnige Diaprojektionen. Mit ihren genauen Beobachtungen im Reservoir tagtäglicher Fußnoten zählt sie seit einiger Zeit zu den angesagten jungen Künstlern. 2011 war sie für den Preis der Neuen Nationalgalerie in Berlin nominiert, kurz zuvor hat sie den Kunstpreis der Volksbanken Raiffeisenbanken gewonnen, und zur begleitenden Ausstellung im Bonner Kunstverein ist auch das Katalogbuch bei Kerber erschienen. Auch hier setzt Liden ihre Strategie des fokussierenden Ausschnitts und latenten Mysteriums fort: Sie zeigt die einzelnen lichtdurchfluteten Fotografien ihrer Projektionen, die Strecken der Annäherung und vermeintlichen Abschweifung sind, unterbrochen von ihrer Sammlung von Abfalleimern, die im neutralen Showroom zu Objekten werden. Ein Buch also, das nichts anderes zeigt als eine Ausstellung in Form eines Buches – ein gelungenes Künstlerbuch zu einem etwas überschätzten künstlerischen Werk.

Katrin Schoenian WP/StB

Dr. Jörg Steckhan RA/WP/StB

Peter Temmert WP/StB

Anke Jagau RA/StB

Susanne Schäfer StB

www.rinke.eu Unternehmensberatung – Steuerberatung – Wirtschaftsprüfung

Peter Krämer WP/StB

RINKE TREUHAND GmbH Wirtschaftsprüfungs-/Steuerberatungsgesellschaft Wall 39 – 42103 Wuppertal – 0202 2496-0

Szene besitzt. Beide Künstler arbeiten, bei bestimmten medialen Präferenzen, mit einem hohen Maß an Vorüberlegungen und Beobachtungen zu unserer Gesellschaft in einer reduzierten Formensprache, die sich nun auch in den Büchern widerspiegelt. Simon Wachsmuth, der 1964 in Hamburg geboren wurde, in Wien studiert hat und heute in Berlin lebt, ist vor allem durch seine Teilnahme an der documenta 2007 bekannt. Ebenso wie Klara Liden, die 1979 geborene, auch in Berlin lebende Schwedin, ist er primär mit Beteiligungen an thematischen Ausstellungen im internationalen Kunstgeschehen präsent. Wachsmuths Arbeiten artikulieren sich als Film, Fotografie, Malerei und Objektkunst; sie thematisieren kritische Verlust-Stellen von Kultur- und Zeitgeschichte. Bezug und Anlass können ein Gemälde aus der Kunstgeschichte ebenso wie eine Pressemeldung sein, welche er etwa als Zeitungsausschnitt in ein abstraktes Gemälde montiert hat. Wie aber vermittelt ein Buch dieses Werk in seiner vordergründigen Nüchternheit, relativen „Farblosigkeit“ und dem Hingebungsvollen der künstlerischen Umsetzung? Im vorliegenden Band, der zur Ausstellung in der Galerie im Taxispalais in Innsbruck erschienen ist, gelingt das durch eine Folge fotografischer Bilder, Detailaufnahmen und Überblicksansichten: Das Buch leistet grundsolide Vermittlungsarbeit.

Stephan Schmacks StB

Matthias Aprath WP/StB

VIEL MEHR ALS NUR STEUERN

47


Kulturnotizen Dieseltag im Industriemuseum 14. April 2012, 11:00 Uhr LVR-Industriemuseum, Schauplatz Solingen Gesenkschmiede Hendrichs / Solingen Dieselmaschine Während des gesamten Tages wird wieder der historische 200 PS starke Herford-Dieselmotor in Betrieb genommen. Er treibt einen 635-kg-Fallhammer an, auf dem schwere Scheren geschmiedet werden. Von 11 - 12 und 14 - 16 Uhr ist der Fallhammer in Betrieb und Sie können dem Schmied über die Schulter schauen.

Um 15 Uhr gibt es eine Sonderführung (im Eintritt enthalten) unter dem Motto "Diesel und Dampf - Antriebssysteme in der Gesenkschmiede Hendrichs". Der Rundgang veranschaulicht die Bedeutung und Funktionsweise des zentralen Kraftantriebs durch die Dampfmaschine bzw. den Dieselmotor. Anschließend wird der stufenweise Wandel hin zum elektrischen Einzelantrieb an konkreten Beispielen aufgezeigt. Die an vielen Stellen noch vorhandenen Spuren und Relikte vergangener Antriebsarten werden im Hinblick auf die Gesenkschmiede und die Solinger Schneidwarenindustrie erläutert. Weitere Termine: 20.10.2012 Uhr | LVR-Industriemuseum, Schauplatz Solingen - Gesenkschmiede Hendrichs / Solingen Komödie: Willkommen in Deinem Leben 15. April 2012, 15:00 Uhr TalTonTHEATER / Wuppertal Die Diagnose trifft ihn unvorbereitet: Als Charlie erfährt, dass er an amyotrophischer Lateralsklerose erkrankt ist und wahrscheinlich nur noch achtzehn Monate zu leben hat, rast er ziellos mit dem Auto davon. Er hadert mit dem

48

„Willkommen In Deinem Leben“ (Kiki; die Liebe!) Schicksal und stellt fest, dass er noch gar nicht richtig gelebt hat. Statt selbst zu schreiben, ist er ein mittelmäßiger Lektor geworden, und auf die große Liebe seines Lebens wartet er noch immer. Konfus und desorientiert, wie er ist, nimmt er ganz gegen seine Gewohnheiten in der Wüste von Arizona einen Anhalter mit: Wally, einen reichlich schrägen Typen! Wally hat hier schon auf Charlie gewartet - denn er ist sein Tod. Sein persönlicher Tod. Das erklärt er dem verstörten Charlie, als die beiden nach einer Panne zu Fuß durchs Niemandsland gehen. Mitten in der Wüste finden sie ein trostloses Motel,

in dem die Herzensgute Nell seit dem Tod ihres Mannes den kranken, alten Schwiegervater pflegt. Gäste verirren sich selten hierher, nur Mechaniker Travis kommt hin und wieder mit seinem Abschleppwagen vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Die Abgeschiedenheit dieses Ortes scheint Charlie ideal, um vor seinem Tod

noch den Roman seines Lebens zu schreiben, und so bleibt er auch, als der Wagen schon längst repariert ist. Dass es für sein Verweilen noch einen anderen Grund gibt, wird klar, als plötzlich die blinde Kiki auftaucht: die Liebe Unsichtbar und unhörbar für alle außer Charlie, liefern sich sein ungeduldiger, sarkastischer Tod und Kiki, die Verkörperung seiner ersten großen Liebe zu Nell, von nun an ein ebenso witziges wie anrührendes und philosophisches Duell. Mit unglaublicher Leichtigkeit macht McKeever aus einem ernsten, ja existenziellen Thema eine Komödie über Lebensfreude und den Mut zur Liebe. Mehr als originell in der Anlage, meisterhaft geschrieben und traumhaft zu spielen. Klangart 2012 >MANDINKA< Ablaye Cissoko & Volker Goetze Am Freitag, 11. Mai 2012, 19 Uhr findet das 1. Konzert der diesjährigen KLANGART-Reihe im Skulpturenpark Waldfrieden statt. Ein Stegharfenspieler aus dem Senegal und ein Trompeter aus dem Bergischen Land bilden ein außergewöhnliches Duo. Im Senegal traten Ablaye Cissoko <http://www.ablayecissoko.com/> und Volker Goetze 2001 gemeinsam als Vorgruppe für Youssou N’Dour <http:// www.youssou.com/> auf. Trotz aller kultureller Unterschiede entdeckten sie manche musikalische und persönliche Gemeinsamkeiten. Ablaye Cissoko <http://www.ablayecissoko.com/> ist Virtuose auf der Kora, einer 21-saitigen Stegharfe und lebt in der Tradition des Griot, eines singenden Geschichtenerzählens. Der in New York


Adresse: Skulpturenpark Waldfrieden, Hirschstraße 12, 42285 Wuppertal, Tel. 0202/4789812-0 oder info@skulpturenpark-waldfrieden.de

Ablaye Cissoko und Volker Goetze ©Cissoko/Goetze lebende Jazz-Trompeter Volker Goetze interessiert sich seit Jahren für westafrikanische Musik und reagiert mit seinen Improvisationen auf Cissokos Erzählungen. Aus der Zusammenarbeit wuchs eine Freundschaft, die zum gemeinsamen kulturellen und sozialen Engagement <http://www.tostan.org/> und auch zur Produktion eines Films führte, der die Legende eines Griots zum Inhalt hat. Für Cissoko und Goetze sind Respekt für den kulturellen Hintergrund des Anderen und ein Aufeinander-Hören beste Voraussetzungen für einen fesselnden Dialog, den der senegalesische Künstler so ausdrückt: „Aus unserer Verschiedenheit wächst eine Kraft“. KlangArt: Bedeutende Jazz- und Weltmusiker folgen auch 2012 der Einladung in den Skulpturenpark Waldfrieden. Im vierten Jahr hat sich KlangArt als Folge von herausragenden Konzertereignissen etabliert, die von Kunst- und Musikfreunden mit Begeisterung wahrgenommen werden. Im Herzen Wuppertals, umgeben von seiner reizvollen Wald- und Wiesenlandschaft, strahlt der Skulpturenpark Waldfrieden eine zauberhafte Atmosphäre aus. Ab Mai bis August 2012 präsentiert KlangArt ein internationales Musikprogramm, das sich jenseits des Mainstreams bewegt. Der Spannungsbogen reicht vom zeitgenössischen Jazz bis hin zur Neuen Musik und Weltmusik. Für alle KlangArt Konzerte sind noch Tickets an der Abendkasse erhältlich, alternativ bei www.nrw-ticket.de <http:// www.nrw-ticket.de/> , Ticket-Hotline 0180-5001812 und im Skulpturenpark Waldfrieden.

Maske Igbo, Nigeria, Holz, teils farbig gefasst, H. 18 cm. ©Skulpturenpark Waldfrieden

der westlichen Moderne ihre formalen Erfindungen als Instrumente der Selbstfindung und -behauptung in einer Gesellschaft einsetzen mussten, der sie sich nicht mehr als zugehörig empfanden, ist der Erfindungsreichtum in der afrikanischen Kunst gerade an ihr erfolgreiches Funktionieren innerhalb der Gesellschaft gebunden. Afrikanische Objekte sind fest verknüpft mit sozialen, spirituellen und religiösen Funktionen, deren Ablauf sie kontrollieren, regeln und bestimmen. Für diese systemstabilisierende Aufgabe haben afrikanische Künstler immer wieder neue, klar identifizierbare, eindrucksvolle, überwältigende und bisweilen einschüchternd eindringliche Formen erfunden. In der Ausstellung im Skulpturenpark Waldfrieden werden 35 Objekte aus dem Südosten Nigerias befreit von ihrem Ursprungskontext als überzeugende Skulpturen präsentiert. Die Kuratoren Anthony Cragg und Dierk Dierking haben sich zu dieser klaren Präsentationsform entschieden, um die formale Qualität der Skulpturen deutlich zu machen und ihr kulturübergreifendes Potenzial freizusetzen. Skulpturenpark Waldfrieden, Hirschstraße 12, 42285 Wuppertal Der Park ist von März bis November Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Im Anschluss an den Besuch des Parks sollte man eine Pause im Café Podest einplanen, ein schöner Platz unter Bäumen, genauso wie der Park fernab vom Lärm der Großstadt.

Maske Ogoni, Nigeria, Holz, H. 15 cm. ©Skulpturenpark Waldfrieden

Maske Igbo, Nigeria, Holz, farbig gefasst/Metall, H. 40 cm ©Skulpturenpark Waldfrieden

Ausstellung Skulpturen und Masken aus Nigeria 14. April bis 15. Juli 2012 Die Völker Nigerias sind berühmt für ihre künstlerische Schaffenskraft. Eine Auswahl von Skulpturen, die in den letzten beiden Jahrhunderten entstanden und die zum Großteil erstmals in einer Ausstellung zu sehen sein werden, zeigt der Skulpturenpark Waldfrieden mit „Skulpturen und Masken aus Nigeria“ vom 14. April bis 15. Juli 2012. Der erhebliche Einfluss afrikanischer Skulpturen auf die Entwicklung der Kunst des 20. Jahrhunderts gründet sich auf eine Paradoxie. Während die Künstler

49


Kulturnotizen Termine Literaturhaus Wuppertal e.V. 17.04.2012 - 19:30 Uhr Drei Preisträger lesen aus ihren Werken An diesem Abend sind Marion Poschmann (Ernst-Meister-Lyrikpreisträgerin 2011), Daniela Seel (Thalia-Förderpreis 2011) und Jan Skudlarek (Westfälischer Förderpreis 2011) im Literaturhaus Wuppertal zu Gast und gestalten gemeinsam eine Lesung. 24.04.2012 - 19:30 Uhr Karla Schneider: Die Schreibmaschine Karla Schneider wurde in Dresden geboren und lebt seit 1979 in Wuppertal. Seit 1989 schreibt sie erfolgreich Romane und Kinderbücher. Die Autorin stellt ihren angefangenen Roman „Die Schreibmaschine“ vor.

Karla Schneider [Quelle: Boje-Verlag]

25.04.2012 - 18:30 Uhr „Kunsthochdrei“: Karl Röhrig Zur Ausstellung des Bildhauers Karl Röhrig im Von der Heydt-Museum spricht Museumsdirektor Dr. Gerhard Finckh. Die Schauspielerin Barbara Nüsse liest „El Greco malt den Großinquisitor“ von Stefan Andres. Dazu erklingt Musik von Paul Hindemith. 08.05.2012 - 19:30 Uhr Prominente Wuppertaler lesen: Andreas Bialas In der beliebten Reihe des Literaturhauses ist diesmal zu Gast: Andreas Bialas, Landtagsabgeordneter und Kulturpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Er präsentiert an diesem Abend Texte „passend zum Datum“. 22.05.2012 - 19:30 Uhr Lesung mit Dorothea Müller und Wolf von Wedel Die Autorin Dorothea Müller liest Prosa und fragt: „Erfindet ein Schreiber Geschichten, oder kommen sie zu ihm, damit er sie festhält und ihnen Gestalt gibt?“ Wolf von Wedel zeigt in „Deutschlandhymnus“ wie sich Privates im Politischen spiegelt, Familiengeschichte in der Geschichte einer Nation. 30.05.2012 - 19:30 Uhr Bangemachen gilt nicht - auf der Suche nach der Roten Ruhr-Armee Der Roman von Jürgen Link spielt zwischen den 1960er Jahren und dem

Beginn des 21. Jahrhunderts. Er entwirft eine Art von kollektiven Lebensbericht einer Gruppe von Achtundsechzigern aus dem Ruhrgebiet. 10.06.2012 - 11:30 Uhr „Freiheit“ im Spiegel der polnisch/deutschen Literatur Die Autoren Michael Zeller (Wuppertal), Artur Becker und Darius Muszer (Polen) lesen eigene Texte und diskutieren über den Begriff der "Freiheit" im Angesicht der politischen Ereignisse vor und nach dem Zusammenbruch des Kommunismus. 27.06.2012 - 18:30 Uhr „Kunsthochdrei“: Bella Italia – Malerei und Fotografie Zur Ausstellung im Von der HeydtMuseum spricht Dr. Beate Eickhoff. Die Schauspielerin Ingeborg Wolff liest Texte zur Fotografie in der Literatur. Sopranistin Anja Kiel singt italienische Lieder und Arien. Sie wird begleitet von Eri Uchino am Klavier. 29.06.2012 - 19:30 Uhr Mechthild Großmann liest: Hagel auf Zamfara Der Anlass ist eine Ausstellung afrikanischer Kunst aus Nigeria im Skulpturenpark Waldfrieden: Die Schauspielerin Mechthild Großmann liest Erzählungen der nigerianischen Autorin Sefi Atta, die zu den originellsten und außergewöhnlich talentierten Autoren Afrikas zählt. Friedrich-Engels-Allee 83, 42285 Wuppertal, www.literaturhaus-wuppertal.de

Kultur, Information und Unterhaltung im Internet Täglich neu – mit großem Archiv Literatur – Musik – Bühne – Film – Feuilleton – Museen – Comic – Fotografie – Reise Unabhängig, werbefrei und ohne Maulkorb www.musenblaetter.de

50


Günter Wand-Tage 2012 Vom 8. bis zum 10. Mai 2012 finden in der Musikhochschule die „Günter Wand-Tag“ statt. Der große Dirigent wurde im Jahr 1912, also vor einhundert Jahren in Elberfeld geboren und starb vor 10 Jahren. Seit 2010 trägt das Gebäude der Musikhochschule den Namen „Günter Wand-Haus“. Das ist Anlass genug, um an das Schaffen des großen und erst spät international berühmt Gewordenen zu erinnern.

Günter Wand, Foto: Chargesheimer An den drei Abenden wird Dr. Wolfgang Seifert, der Wand in den letzten Lebensjahren sehr nahe stand und Verfasser einer großen Biographie ist und ein umfangreiches Filmportrait gedreht hat Einblicke in das Leben und das Wirken Günter Wands geben. Der erste Abend ist dem Leben Wands gewidmet. Hier wird u.a. ein Ausschnitt aus dem letzten Interview gezeigt. Der zweite und dritte Abend beschäftigen sich mit dem künstlerischen Schaffen. Es wird umfangreiche Ausschnitte aus Filmaufzeichnungen von Konzerten das „Schleswig-Holstein-Musikfestivals“ mit Musik von Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Johannes Brahms und Anton Bruckner geben, den Komponisten also, auf die sich der Dirigent Günter Wand in den letzten zehn Lebensjahren konzentriert hat. Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse wird in die jeweiligen Werke kurz einführen. Die Veranstaltungen finden im Konzertsaal der Musikhochschule (Sedanstr. 15) statt und beginnen jeweils um 19.30 Uhr. Im Sommersemester beginnt in der Musikhochschule eine neue Reihe, innerhalb derer Unterricht von Professoren mit Studenten öffentlich stattfindet. Mu-

sikinteressierte haben also die Möglichkeit hinter die Kulissen der Musikhochschule zu schauen. Die „open lectures“ beginnen immer um 17 Uhr und dauern bis 18.30 Uhr. Sie finden im Kammermusiksaal der Musikhochschule (Sedanstr. 15) statt. Die Termine sind die folgenden: Dienstag, 17. April, Thilo Dahlmann, Gesang Dienstag, 8. Mai, Prof. Gerhard Reichenbach, Gitarre Dienstag, 22. Mai, Prof. Manfredo Zimmermann, Blockflöte/ Traversflöte Dienstag, 5. Juni, Prof. Dr. Florence Millet, Klavier Mittwoch, 20. Juni, Prof. Susanne Müller-Hornbach, Violoncello Dienstag, 3. Juli, Willfried RothSchmidt, Klarinette

die Vision des V&A, das mit seiner Präsentation zum Vorbild für viele kunstgewerbliche Museen wurde. Eine Ausstellung der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Zusammenarbeit mit dem Victoria and Albert Museum, London. www.bundeskunsthalle.de

Art and Design for All The Victoria and Albert Museum noch bis 15. April 2012 Das Victoria and Albert Museum (V&A) in London ist das größte Museum der Welt für Kunst und Design. Sein Bestand von über zwei Millionen Werken zeugt von Reichtum und Vielseitigkeit. Die Erfolgsgeschichte des Victoria and Albert Museums begann 1857 mit der Gründung des Vorgängerbaus, des South Kensington Museum. Mit zahlreichen Objekten wird die Entstehungsgeschichte rekonstruiert und

Romy Schneider 6. April bis 24. Juni 2012 Romy Schneider gehört zu den bedeutendsten deutschsprachigen Schauspielerinnen. Ihr Bild hat einen festen Platz im kollektiven Gedächtnis. Nicht nur als „Sissi“, deren Image sie vor allem in Deutschland nie ganz abstreifen konnte, sondern ab den 1970er Jahren vor allem als Star des französischen Kinos. Die Hommage in der Bundeskunsthalle nähert sich Romy Schneider als Star und Privatperson und zeichnet ihren Lebensweg nach: die frühen Rollen, ihre mutige und konsequente berufliche Emanzipation, ihre private Tragödie, die mit ihrem frühen Tod endete. Bilder aus Film, Presse und Privatleben werden mit Filmausschnitten kombiniert. Medieninstallationen zeigen das Wechselspiel zwischen Projektion und aktiver Selbstinszenierung. Zudem präsentiert die Ausstellung zahlreiche Plakate, Kostüme, Briefe, Fanartikel und Fotos von Romy Schneider, ihren Filmpartnern und ihrer Familie. www.bundeskunsthalle.de

Gaslampe, Birmigham, 1848, Messing, vergoldet, Glas, © Victoria and Albert Museum, London

Romy Schneider, 1972; © Eva Sereny / Camerapress / GammaRapho

51


Kulturnotizen Anselm Kiefer aus dem Privatbesitz Grothe 19. Juni bis 16. September 2012 Anselm Kiefer ist einer der bedeutendsten internationalen Künstler unserer Zeit. Seine epischen Werke faszinieren nicht zuletzt durch ihre ungewöhnliche Materialwahl, die die inhaltliche Aussage unterstützt: Dick aufgetragene Farbschich-

Anselm Kiefer, Shebirat Ha Kalim, 1990 Blei, Glas, Kleid, Asche und Frauenhaar auf Holz, 380 x 250 x 35 cm, Privatbesitz Familie Grothe, © Anselm Kiefer, 2011, courtesy Stiftung für Kunst u. Kultur e.V.

ten, Erde, Blei, Lack, Pflanzen, Kleidung oder Haare lassen die Arbeiten über den zweidimensionalen Bildraum hinausgreifen. Parallel zur Documenta13 in Kassel präsentiert die Bundeskunsthalle in Bonn auf über 2000 m[ wichtige Werke des 1945 geborenen Künstlers aus dem Privatbesitz Familie Grothe. Von den Arbeiten Anselm Kiefers hat sich Hans Grothe 2005 beim Verkauf seiner umfangreichen Sammlung nicht getrennt, da die Faszination des Sammlers für die einzigartige künstlerische Haltung Kiefers ungebrochen über die Jahrzehnte anhielt. Erstmalig wird in der Bundeskunsthalle dieses größte Werkkonvolut aus einer privaten Sammlung fast vollständig präsentiert. Eine Auswahl der wichtigsten Werke aus drei Jahrzehnten wurde mit dem Schwerpunkt auf der 2000er-Dekade getroffen – hier belegen Bildensembles aus den Jahren 2010 und 2011 Kiefers großes Interesse am Thema des Panoramas. Es dominieren christlich-jüdische und mythologische Themen im Gegensatz zu den frühen Bildern und Ensembles vor der Übersiedlung des Künstlers nach Frankreich vor 20 Jahren, die sich mit der deutschen Vergangenheit und Mythologie befassen. Das oft beschriebene Pathos in Kiefers Werken erscheint in diesen neuen Arbeiten eigentümlich gebrochen, zurückgenommen und neutralisiert. www.bundeskunsthalle.de

The art of tool making

52

Briller Viertel, Am Buschhäuschen Arm & Reich 11:00 Uhr Wuppertal Touristik / Wuppertal Beschreibung: Hochherrschaftliche Villen der Kaiserzeit in einem Stadtviertel, enge, volle Mietshäuser im anderen – und dazwischen liegt nur eine Straße. Der Spaziergang durch das Briller Viertel und über den Ölberg sagt viel über das Leben im alten Elberfeld, über wohlhabende Textilfabrikanten und arme Weber, über die Geschichte und Folgen der frühen Industrialisierung. Zugabe bei diesem Rundgang: die Besichtigung der Villa Schmits an der Luisenstraße (heute Private Herder-Schule). Treffpunkt: 11.00 Uhr (15.04.) bzw. 14.00 Uhr (13.10.) Bushaltestelle OttoHausmann-Ring, Linien 601, 613 | Ende: ca. 13.30 Uhr nach der Besichtigung der Villa Schmits | Führung: Jürgen Holzhauer | Preis: 9,50 Euro


persönlich kannte. Es ist ein Werk für zwei große Maskenfiguren, einem Sänger, einer Sängerin und einem Schlagzeuger. Termine: 15.04.2012, 22.04.2012, 26.04.2012 Uhr jeweils 18 Uhr Kleines Schauspielhaus / Wuppertal www.wuppertaler-bühnen.de Ölberg, Wuppertal Info & Reservierung: Wuppertal Touristik, Pavillon Döppersberg, 42103 Wuppertal, Telefon: 02 02 /1 94 33 oder 02 02/5 63-22 70 und -21 80, Telefax: 02 02/5 63-80 52, E-Mail: wuppertal touristik@wuppertal-marketing.de Internet: www.wuppertal.de/tourismusfreizeit Kleines Schauspielhaus / Wuppertal Mann, Bühnenwerk von Lothar Schreyer Die bekanntesten Künstler des frühen 20. Jahrhunderts präsentierten sich im Sturm, der Galerie und der Zeitschrift Herwarth Waldens, des Ehemanns von Else Lasker-Schüler: Kokoschka, Kandinsky, Macke, Marc, Delaunay, Chagall, sowie Schlemmer, Baumeister, MoholyNagy, die Dichter Alfred Döblin, Theodor Däubler und August Stramm und die Komponisten Schönberg, Schreyer und Walden selbst. Zeitschrift und Galerie waren nicht nur das geistige Zentrum Berlins, sie waren für rund 20 Jahre die künstlerische Mitte Europas. Im Rahmen der Ausstellung Der Sturm - Zentrum der Avantgarde im von-der-Heydt-Museum ab 13.3.2012 zeigen die Wuppertaler Bühnen im Kleinen Schauspielhaus ein Bühnenwerk von Lothar Schreyer (1886 – 1966). Schreyer war Maler, Schriftsteller und Dramaturg, von 1916-1928 Mitarbeiter bei Herwarth Waldens Zeitschrift "Der Sturm" und 1917 Begründer der "Sturmbühne". Er leitete am Bauhaus in Weimar die Bühnenklasse und die Kunstschule "Der Weg" in Berlin und Dresden. Seine frühen Werke sind Ausdruck eines kultisch religiösen Expressionismus. Das aufgeführte Werk („Mann“) ist in der rekonstruierten Fassung unter der Leitung des Komponisten und Dirigenten Juan Allende-Blin zu sehen, der Schreyer noch

August Macke unterwegs – Die Reisen des Künstlers Noch bis 28. Mai 2012 Aus Anlass des 125. Geburtstages von August Macke (1887 – 1914) widmet sich das August Macke Haus erstmals den zahlreichen Reisen des Künstlers. Seit Jahrhunderten treiben die Faszination des Unbekannten und die Suche nach neuen Impulsen für das eigene Œuvre die Künstler in die Ferne. Auch August Macke spürte die Sehnsucht nach landschaftlich und kulturell reizvollen Regionen und Städten. Obwohl er nur 27 Jahre alt wurde, hat er in seinem kurzen Leben dennoch viele Länder gesehen, denn seit 1904 unternahm er fast jedes Jahr eine oder mehrere Reisen. Erste „Kunstreisen“ führten den jungen Studenten an den Rhein und in die Eifel. Zwei Mal brach er nach Italien auf - das klassische Ziel europäischer Bildungsreisender – und setzte sich in mehreren oberitalienischen Städten mit hochrangigen Kunstwerken vergangener Epochen auseinander: 1905 zusammen mit seinem Freund und späteren Schwager Walter Gerhardt und 1908 in Begleitung seiner Freundin Elisabeth und ihres Onkels Bernhard Koehler. Mehrfach fuhr er nach Holland und Belgien, einerseits um sich hier an

August Macke, Venedig, 1905, Öl auf Leinwand, 38,0 x 51,0 cm, LWL - Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster

der See zu erholen, andererseits aber vor allem der Kunst wegen. Zudem bereiste er die damals wichtigsten Metropolen in Europa - London und Paris. Auch hier standen Museen und Galerien an erster Stelle des Programms. Doch faszinierten ihn auch großstädtisches Flair und Treiben, das er auf sich wirken ließ und künstlerisch verarbeitete. Besonders Paris als führendes Zentrum der avantgardistischen Kunstströmungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bot dem aufstrebenden Künstler bei insgesamt vier Besuchen in den Jahren 1907, 1908, 1909 und 1912 immer wieder neue Inspirationen für sein eigenes Werk und die Gelegenheit, Kontakte zu gleich gesinnten Künstlern wie Robert Delaunay sowie Sammlern und Galeristen zu knüpfen. Berühmt geworden ist August Mackes letzte Fahrt, die Tunisreise, die der orientbegeisterte Künstler im April 1914 – nur wenige Monate vor seinem Kriegstod – zusammen mit den Schweizer Malern Paul Klee und Louis Moilliet unternahm. Erstmals verließ er Europa und tauchte in eine ihm völlig fremde Kultur und Landschaft ein, die er gänzlich neue visuelle Eindrücke von Licht und Farbigkeit abgewann. Ein wichtiger Aspekt fast aller Reisen Mackes ist auch das Vergnügen, einen Urlaub in ausgelassener Gesellschaft von guten Freunden und Familienangehörigen zu erleben und sich mit seinen Reisegefährten intellektuell auszutauschen. Seine Touren gingen dabei nicht zwingend auf eigene Initiative zurück. Häufig wurden sie durch glückliche familiäre sowie freundschaftliche Umstände und Kontakte begünstigt oder erst durch Mäzene aus dem privaten

August Macke, Landschaft mit Feuerspeiendem Vesuv, Postkarte aus Dillingen, 14. Juli 1899, Aquarell, Tusche/Pinsel und Feder, LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, Macke-Archiv

53


Kulturnotizen Kunsthalle Bremen – Kupferstichkabinett – Der Kunstverein in Bremen, LeopoldHoesch-Museum Düren, Erbengemeinschaft Richard W. Koehler, LWL – Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Westfälisches Landesmuseum, Münster. Katalogbuch zur Ausstellung - 20.- Euro Öffnungszeiten Di – Fr 14.30 – 18 Uhr, Sa, So, Feiertage 11 – 17 Uhr Kostenlose Führung sonntags 11.30 Uhr August Macke, Märchenerzähler, 1912, Öl auf Holz auf Karton, 38,5 x 42 cm, Museum Frieder Burda, Baden-Baden Umfeld des Künstlers ermöglicht. Die Ausstellung präsentiert zahlreiche Werke von August Macke, die im Kontext seiner Reisen entstanden, vorrangig Zeichnungen und Aquarelle, die er während seiner Touren anlegte, sowie einige Gemälde. Sie reflektieren, welche Landschaften, Motive und künstlerischen Vorbilder ihn besonders fesselten und inspirierten. Ergänzt werden sie von Dokumenten, Briefen und Ansichtskarten, die August Macke und seine Begleiter während der Reisen an Familie und Freunde schrieben, sowie von historischen Postkarten und Reiseführern, die die Reiseziele des Künstlers veranschaulichen und die Reiseverläufe nachvollziehbar machen. Leihgeber u.a.: Museum Frieder Burda, Baden-Baden, Kunstmuseum Bonn,

August Macke Haus Bonn Bornheimer Straße 96, D - 53119 Bonn Internet www.august-macke-haus.de 100 Tage Kunstreise

ein Projekt von Nicole Bardohl und Bodo Berheide Hintergrund 18 Jahre lang war die Skulptur Figura Magica des Wuppertaler Bildhauers Bodo Berheide auf Weltreise. Jeweils 2 Jahre war die 5m lange und 6 Tonnen schwere Skulptur in 10 Ländern zu Gast, bereiste Irland, Kanada, USA, Nicaragua, Chile, Australien, Japan, Sri Lanka, Togo und Deutschland und ist in dieser Zeit mit vielen Menschen in Berührung gekommen – im wahrsten Sinne des Wortes. Seit 2009 steht die Figura Magica auf dem Vorplatz des Wuppertaler Schauspielhauses und nachdem sie so lange auf Weltreise war, soll die Welt im Jahr 2012 nun für 100 Tage zu ihr kommen.

Die Figura Magica vor dem Wuppertaler Schauspielhaus – Foto: Jörg Lange

54

Um die Idee des künstlerischen Austausches rund um die Figura Magica wieder aufleben zu lassen und zu verjüngen, werden die 10 „Weltkünstler“ aus den jeweiligen Ländern auf junge Künstler treffen. Idee: 10 Länder x 10 Tage Ein Künstler aus jedem Land, das die Figura Magica bereiste, wird ab dem 20. April 2012 für eine Ausstellung in die Wuppertaler Galerie Kunstkomplex kommen und dort auf einen jungen Künstler aus dem jeweiligen Land treffen, sodass Nachwuchskünstler mit den meist schon recht etablierten „Weltkünstlern“ für 10x10 Tage vereint werden. Im Rahmen der jeweils 10-tägigen Ausstellungen wird es unterschiedliche kulturelle Veranstaltungen zu dem jeweiligen Land geben, um so einen künstlerischen Austausch ermöglichen zu können. Geplant sind Tanzperformances, Filmabende, Literaturveranstaltungen und Konzerte. Dies ist eine einzigartige Möglichkeit, junge Kunstschaffende an fremde Kulturen heranzuführen. Wir wünschen uns, dass der „Weltkünstler“ für seine 10 Tage die Themen aus seiner eigenen künstlerischen Arbeit, und/oder kulturellen Erfahrung vorgibt.

Bodo Berheide wird an jedem der 100 Tage um 18:00 Uhr seinen Diavortrag „Die Reise der Figura Magica und der erweiterte Kunstbegriff“ halten.


ANZ TRÄUM T E

JUGENDLICHE TANZEN

KONTAKTHOF VON

PINA BAUSCH DAS BUCH ZUM FILM VON ANNE LINSEL UND ULLI WEISS Verlag HP Nacke Wuppertal, 2011 120 Seiten, 23 x 17 cm, Softcover ISBN 978-3942043-81-6, 19,80 Euro Verlag HP Nacke KG - Friedrich-Engels-Allee 122 42285 Wuppertal - Telefon 0202 - 28 10 40 verlag@hpnackekg.de

55


Der Tipp f체r alle ab 60 Mit dem B채renTicket sind Sie im ganzen VRR-Gebiet unterwegs, rund um die Uhr und in der 1. Klasse.

Weitere Infos im MobiCenter Tel.: 0202 569-5200 56 www.wsw-online.de


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.