Die beste Zeit Nr. 13

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DIE BESTE ZEIT Das Magazin für Lebensart Wuppertal und Bergisches Land

Von der Heydt-Museum Vor dem Gesetz Der Sturm - Zentrum der Avantgarde Skulpturen der Nachkriegszeit

Ausgabe 13, 2012 - 3,50 Euro

Begegnung von Kunst und Natur Die Musikreihe Klangart

Neues Stück – letztes Stück Das letzte Stück von Pina Bausch

Mein Leben ist ein Tango Mäzen, Unternehmer, Politiker Das CaféADA – Ort der Begegnung Portrait von Eberhard Robke

Haunted by Objects Zvi Goldstein-Ausstellung K20

Magischer Heiler und Erzähler Tanzträume Axel Munthes Villa San Michele Das Buch zum Film

Wo bleibt die Schildkröte? Koreanische Oper in Wuppertal

Im Andenken an Irene Ludwig Kulturnotizen Kulturveranstaltungen der Region Exponate aus der Privatsammlung

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„Die beste Zeit“ erscheint in Wuppertal und im Bergischen Land Erscheinungsweise: 5 – 6 mal pro Jahr Verlag HP Nacke KG - Die beste Zeit Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal Telefon 02 02 - 28 10 40 E-Mail: verlag@hpnackekg.de V. i. S. d. P.: HansPeter Nacke Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt.

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Umschlagbild: Szenenfoto aus dem Stück „Wie das Moos auf dem Stein“ des Wuppertaler Tanztheater Pina Bausch Foto: Karl-Heinz Krauskopf Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser Beiträge zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich. Kürzungen bzw Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann keine Gewähr übernommen werden. Nachdruck - auch auszugsweise - von Beiträgen innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder Unterlassungen keine Haftung übernommen.


Editorial Von dünnem Eis und hohen Rössern Es ist, liebe Leser, schon ein Kreuz mit Leuten, die im Rausch ihrer Aufgaben vergessen, wer sie eigentlich sind, was sie in der Öffentlichkeit vertreten und wie sie in der Medienlandschaft auftreten. Wohin solche Fehleinschätzungen in Verbindung mit Überheblichkeit führen können, zeigt derzeit die Affäre um unseren Bundespräsidenten Christian Wulff. Dort geht es um den Verdacht der Vorteilsnahmen und evtl. der Gewährung solcher, um den Verdacht, diesen oder jene aus welchen Gründen auch immer vorzuziehen und andere um deren Vorteil willen vielleicht zu benachteiligen. Die Öffentlichkeit nimmt, und besonders die Medien, wenn sie betroffen sind, ein solches Verhalten übel, denn reglementieren und bevormunden läßt sich kein Presseorgan. Ähnliche Auswüchse gibt es auch im ganz Kleinen, nicht so beleuchtet wie ein Skandal um einen Spitzenpolitiker, tagtäglich im Bereich der mittelständischen Wirtschaft und – jetzt komme ich zum Punkt - leider auch in der Kultur. Einen solchen Fall will ich hier beleuchten, denn es ist schon ärgerlich, wenn dabei eine in öffentlicher Hand befindliche Kultureinrichtung der Stein des Anstoßes ist, deren bestellte Geschäftsführung glaubt, nach Gutsherrenart unter dem vermeintlich unantastbaren Namen und Mythos einer verstorbenen Choreographin selbstherrlich Privilege an einige vergeben zu dürfen, dafür andere mit Geringschätzung und Ausgrenzung zu behandeln. Wer jetzt noch nicht ahnt, um wen/was es sich handelt, sei aufgeklärt: es geht um das selektive Behandeln von Pressevertretern (hier unserer Fotografen) durch die Damen/ Herren, die das Wuppertaler Tanztheater leiten, welches sich mit dem Namen „Pina Bausch“ schmückt. Da haben anscheinend, durch welche Leistung auch immer, einige Fotografinnen, Fotografen und Medien ein Exklusivrecht auf Fotografie und Berichterstattung, während andere nach Gutdünken gnädig herangewinkt oder abgewiesen werden. So hat man mit geradezu beleidigender Wertung seiner künstlerischen Arbeit dem Fotografen des Magazins „Die Beste Zeit“ für die Probenarbeit zur nächsten Neuproduktion des Tanztheaters Wuppertal sozusagen „die Linse verboten“ – es sei kein Platz mehr für ihn frei. Plätze für andere scheinen hingegen dauerhaft frei zu sein. Zweierlei Recht? Das riecht nach Vetternwirtschaft und Monopolvergabe und kann keinesfalls hingenommen werden. Die Verantwortlichen haben sich auf ein hohes Roß geschwungen und scheinen zu vergessen, daß das Eis, über das sie in stolzer Haltung reiten, sehr dünn ist. Hier ist die Aufsicht über das Tanztheater Wuppertal gefordert, nämlich die Politik und die Verwaltung dieses mit öffentlichen Geldern betriebenen Vorzeigeprojektes der Stadt Wuppertal. Lesen Sie heute noch einmal in „Die Beste Zeit“ einen Bericht über das Tanztheater Wuppertal mit Bildern unseres Fotografen Karl-Heinz Krauskopf (DGPh). Wer weiß, ob wir dazu noch einmal Lust haben werden.

Ihr Frank Becker

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Barbara Neusel-Munkenbeck und die Urne “moi“

Keine Angst vor Berührung

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Alles hat seine Zeit. Berliner Straße 49 + 52-54 · 42275 Wuppertal · www.neusel-bestattungen.de Tag

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und Nacht 66 36 74


Inhalt Ausgabe 13, 4. Jahrgang, Januar 2012

Von der Heydt-Museum

Begegnung von Kunst- und Naturschönem

Ausstellung „Der Sturm – Zentrum der Avantgarde“ von Antje Birthälmer

Die Musikreihe Klangart ging erfolgreich in die dritte Runde Seite 36 von Heiner Bontrup

Seite 6

Neues Stück - letztes Stück

Eine verlockende Lektüre

Zur Aufführung des letzten Stücks von Pina Bausch „Wie das Moos auf dem Stein“ von Heiner Bontrup

Das Tor zur Welt – Die Fluxus-Bewegung aus dem Buch von Stella Baum

Mäzen, Unternehmer, Politiker

Zvi Goldstein - Haunted by Objects Ausstellung K20 Grabbeplatz Kunstsammlung NRW Düsseldorf

Seite 40

Seite 10

Annäherungen an ein Portrait von Eberhard Robke von Matthias Dohmen

Seite 16

Wo bleibt die Schildkröte?

Neue Kunstbücher

Mr. Rabbit and the Dragon King Koreanische Oper im Wuppertaler Schauspielhaus - von Fritz Gerwinn

Ein Thema knapp gefasst vorgestellt von Thomas Hirsch

Seite 43

Seite 45

Seite 18

Vor dem Gesetz

Geschichtsbücher, Buchgeschichten

Skulpturen der Nachkriegszeit und Räume der Gegenwartskunst Museum Ludwig

Geschichtsbücher – Buchgeschichten vorgestellt von Matthias Dohmen

Seite 47

Tanzträume Jugendliche tanzen Kontakthof von Pina Bausch – Das Buch zum Film

Seite 48

Seite 23

Mein Leben ist ein Tango Seite 26 TANZTRÄUME

Das CaféADA als Ort der Begegnung von Marlene Baum

TANZTRÄUME

Magischer Heiler und Erzähler

Kulturnotizen

Axel Munthe und der Traum von San Michele von Heiner Bontrup

Kulturveranstaltungen in der Region Seite 31

Zwischen den Fronten

Museum Ludwig Köln Exponate aus dem Wohnhaus von Irene und Peter Ludwig

Seite 51

Seite 33

Die Kriegstagebücher Gerhard Nebels, wiederentdeckt von Michael Zeller von Johannes Vesper

Seite 50

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Der Sturm – Zentrum der Avantgarde Von der Heydt-Museum Wuppertal 13. März bis 11. Juni 2012 Ein Überblick über die kommende Ausstellung

Franz Marc, Die Blauen Fohlen, 1913 Kunsthalle Emden – Stiftung Henri und Eske Nannen und Schenkung Otto van de Loo

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Vor einhundert Jahren, am 12. März 1912, eröffnete Herwarth Walden seine Galerie „Der Sturm“ in Berlin. Hiermit begann ein faszinierendes Kapitel in der Geschichte der modernen Kunst. Schon im ersten Jahr entwickelte sich die Galerie zu einem führenden Forum der Moderne in Deutschland und mit dem „Ersten Deutschen Herbstsalon“ 1913 stieg „Der Sturm“ dann zur Drehscheibe der Avantgarde Europas auf. Hier waren die großen Bewegungen der Kunst vertreten: vom expressionistischen Aufbruch bis zu den unterschiedlichen Tendenzen der

20er Jahre spannte sich der Bogen. Die Künstler des „Blauen Reiter“, die Futuristen, die Kubisten und die Vertreter der neuen konstruktiven Bestrebungen stellten im „Sturm“ aus. Damals heftig umstritten, gelten sie inzwischen als Klassiker der Moderne, und viele der damals gezeigten Werke befinden sich heute in den großen Museumssammlungen der Welt. Den Ausgangspunkt unserer Beschäftigung mit dem Thema bildeten die Wuppertaler Beziehungen zum „Sturm“, die vielfältig sind. So war


Oskar Kokoschka, Bildnis Herwarth Walden, 1910 Staatsgalerie Stuttgart © Fondation Oskar Kokoschka / VG Bild-Kunst, Bonn, 2011

Herwarth Walden in erster Ehe mit der aus Elberfeld gebürtigen Else Lasker-Schüler verheiratet. Sie hat wohl auch den Namen der Zeitschrift „Der Sturm“ geprägt, der dann für die Galerie übernommen wurde. Unsere Ausstellung folgt sodann den großen Entwicklungen: Diese beginnen schon 1909 mit der Zusammenarbeit zwischen Herwarth Walden und dem Wiener Publizisten Karl Kraus. Kurz nach der Gründung der „Sturm“Zeitschrift im März 1910 wurde der in Wien als „Oberwildling“ berüchtigte Kokoschka Mitarbeiter der Redaktion. 1910 organisierte Walden auch die erste Einzelausstellung Kokoschkas, die in der Berliner Galerie Paul Cassirer stattfand. Ein zentrales Werk dieser Schau war Kokoschkas Walden-Porträt; dessen Charakterisierung brachte Kurt Hiller in seiner „Sturm“-Besprechung knapp und treffend auf den Punkt: „Herwarth Walden, dahineilend, als Kulturkämpfer auf dem Posten.“ Zu den weiteren von Kokoschka in Berlin

Henri Rousseau, Die fröhlichen Spaßmacher (The Merry Jesters), 1906, Philadelphia Museum of Art, The Louise and Walter Arensberg Collection, 1950

porträtierten Persönlichkeiten gehörte der Dichter Peter Baum. Er stammte aus einer Wuppertaler Fabrikantenfamilie und war mit Else Lasker-Schüler schon seit ihrer Kindheit bekannt. In Berlin sind sie einander wiederbegegnet, und Peter Baum gehörte von Anfang an zum engeren „Sturm“-Kreis. Die Künstler des „Blauen Reiter“ standen im Mittelpunkt der ersten Ausstellung des „Sturm“ im März 1912. Auf Kandinsky, Marc, Macke und ihre Künstlerfreunde hatte allerdings vorher schon Richart Reiche mit Ausstellungen im Barmer Kunstverein aufmerksam gemacht. Waldens Urteil über Kandinskys Kunst „Das stärkste, was Morgen heute bietet“ ließe sich als Motto über das gesamte Ausstellungsprogramm des „Sturm“ stellen. Hauptwerke von Kandinsky, Marc, Macke, Münter, Jawlensky, Werefkin und des amerikanischen Malers Albert Bloch aus den Ausstellungen des „Sturm“ bilden auch Schwerpunkte der Wuppertaler Retrospektive, darunter

z. B. sieben Bilder Kandinskys, davon allein vier aus seiner ersten „Sturm“Kollektiv-Ausstellung von 1912. Auch die zweite, den italienischen Futuristen Boccioni, Carrà, Russolo u. a. gewidmete Ausstellung im „Sturm“ im April/Mai 1912 setzte ein Signal für das Neue: Die rhythmisch-dynamischen Kompositionen der Futuristen revolutionierten die Kunst durch ein neues ästhetisches Konzept, die „Schönheit der Schnelligkeit“. Der „Erste Deutsche Herbstsalon“, den Walden gemeinsam mit Kandinsky, Marc und Macke organisierte, erweiterte das Blickfeld auf die internationale Kunstszene. Dem naiven „Zöllner“ Rousseau, in dem Kandinsky einen Gegenpol zu seiner Abstraktion erkannte, war sogar eine besondere Gedächtnisausstellung innerhalb des Herbstsalons gewidmet. Neue Namen begegneten hier mit Feininger und Mense. Delaunay, der bereits 1912 eine Einzelausstellung im „Sturm“ erhalten hatte, war einer der am stärksten repräsentierten

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Künstler. Unsere Werkauswahl umfasst fünf Beispiele von seinen orphistisch aufgefassten Großstadtbildern, die großen Einfluss auf Marc, Macke, Feininger u. a. ausübten, bis zu den abstrakten Kreisformen, die er erstmals im Herbstsalon vorstellte. Ebenfalls im Herbstsalon ausgestellt waren repräsentative Großformate der Pariser Kubisten Metzinger und Gleizes; parallel hierzu war die Variante des Prager Kubismus mit Beispielen u. a. von Otakar Kubin, Emil Filla und Otto Gutfreund zu sehen. Chagall, bereits im Herbstsalon vertreten, erhielt 1914 seine erste große Einzelausstellung im „Sturm“. Fortan waren Werke von ihm ständig in der Galerie zu sehen und Walden erwarb u. a. „Die fliegende Kutsche“ für seine Privatsammlung. Weitere russische Künstler im Herbstsalon waren Alexander Archipenko, Georges Yakoulov, Michail Larionow, Natalija Gontscharowa und Sonia Delaunay-Terk. Auch als Forum für Künstlerinnen spielte der „Sturm“ eine wichtige Rolle: Neben den bekannten Malerinnen Münter, Werefkin, Gontscharowa und Delaunay-Terk stellten weitere interessante Frauen im „Sturm“ aus, darunter die niederländische Malerin Jacoba van Heemskerck. Erstmals wieder vereinigt in unserer Retrospektive sind Werke der Belgierin Marthe Donas, die 1920 von ihrem Freund Archipenko in den „Sturm“ eingeführt wurde. In der Zeit des Ersten Weltkriegs setzte Walden sein Programm fort. Weiterhin wurden die „feindlichen Ausländer“ Kandinsky und Chagall ausgestellt. An der neu gegründeten „Sturm“-Bühne verwirklichte Lothar Schreyer seine Vorstellung einer expressionistischen Bühnenkunst, deren Darsteller, Marionetten gleich, als kosmische Wesen erscheinen sollten. Eines der prägnantesten Bildnisse Waldens, die Büste von William Wauer, ist 1917, mitten im Krieg, entstanden. Johannes Itten, Wassily Kandinsky, Herbst II (Autumn II), 1912, The Phillips Collection, Washington, © VG Bild-Kunst, Bonn, 2011

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Albert Gleizes, Fußballspieler (Football Players), 1912/13, National Gallery of Art, Washington, Alisa Mellon Bruce Fund, 1970.11.1, © VG Bild-Kunst, Bonn


Georg Muche, Rudolf Bauer, Thomas Ring, Johannes Molzahn u. a. brachten neuartige esoterische Impulse in den „Sturm“ ein. UmbrĂźche zeichneten sich nach dem Krieg auch hier ab. Auf die Aufhebung alter Ordnungen zielte Schwitters mit seiner 1919 im „Sturm“ präsentierten dadaistischen Merz-Kunst ebenso wie Puni mit der spektakulären „Flucht der Formen“ in seiner Schau 1921. Deutsche Konstruktivisten wurden im Januar 1920 mit einer Ausstellung von Schlemmer, Baumeister und Dexel präsentiert. Ab Anfang der 20er Jahre war der „Sturm“ eine wichtige Anlaufstelle fĂźr die aus osteuropäischen Ländern emigrierten KĂźnstler. Die ungarischen Konstruktivisten stellten ihre Konzepte vor: LĂĄszlĂł MoholyNagy stellte seine Idee eines dynamisch-konstruktiven Kraftsystems vor, Lajos KassĂĄk, LĂĄszlĂł PĂŠri und SĂĄndor Bortnyik präsentierten Arbeiten mit einer neuartigen Bildarchitektur. Der polnische KĂźnstler Henryk Berlewi zeigte „Mechano-Faktur“-Arbeiten, die durch Schablonen erzeugte Strukturen aufweisen. Mit Max Hermann Maxy war auĂ&#x;erdem ein interessanter rumänischer KĂźnstler vertreten. Einen letzten Akzent setzten die Vertreter der belgischen Avantgarde, Pierre-Louis Flouquet und Victor Servranckx, mit

Robert Delaunay, Die drei Fenster, der Turm und das Rad (The Three Windows, the Tower and the Wheel), 1912, The Museum of Modern Art, New York Š L & M Services B.V. The Hague 20110403

Ausstellungen im „Sturm“ 1925 und 1928. Um diese Zeit war der „Sturm“ in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Nach mehreren Reisen in die Sowjetunion emigrierte Walden, der inzwischen ein Anhänger des Kommunismus geworden war, 1932 nach Moskau, womit die Geschichte dieses epochalen Gesamtkunstwerks, das auf ganz Europa ausstrahlte, endete. 1941

wurde Walden verhaftet und ein Opfer des stalinistischen Terrors; er starb am 31. Oktober 1941 im Lager Saratow/ Wolga. (Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt des Von der HeydtMuseums Wuppertal und des Instituts fßr Kunstgeschichte an der HeinrichHeine-Universität Dßsseldorf.) Antje Birthälmer

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Neues Stück - letztes Stück Wenn ein neues Stück von Pina Bausch auf die Bühne kam, hieß es Neues Stück. Ein Name würde sich später schon finden. Denn das Werk war immer ein Work in Progress. Wie das Leben selbst, das wir leben, sich immerzu neu erfinden muss, um wahres Leben zu sein. Da Pina Bausch bei allem Wandel, der notwendig ist, sich selbst treu geblieben ist, war das auch 2009 so. Kaum jemand ahnte, dass ihr Neues Stück ihr letztes Stück sein würde. Ihr Tod überraschte viele, auch Filmemacher Wim Wenders, der an einem Portrait des Tanztheaters Pina Bausch arbeitete. Als er von ihrem Tod erfuhr, konnte er sich nicht vorstellen, den Film zu vollenden. Mit dem Tod Pina Bauschs schien alles vorbei. Bekanntermaßen vollendete Wenders den Film dann doch; er wurde zum cinematographischen Vermächtnis ihres Lebenswerks. Der Titel des Films lautet: „Pina. Tanzt. Tanzt, sonst sind wir verloren.“ Kein zufällig gewählter Titel. Denn darin schwingt ein Dennoch, ein Trotz, ein Widerstand gegen alle Kräfte des Verfalls, gegen die Macht der Verhältnisse, gegen jede Form der Resignation, vielleicht sogar gegen das Sein zum Tode. Eine Haltung zum Leben wurde deutlich, vergleichbar der Alexis Sorbas’ in Nikos Kazantzakis’ gleichnamigen Roman, der im Augenblick seiner größten Niederlagen tanzt. Und diese Kraft zum Widerstand, die in Pina Bausch selbst lag und die sie mit aller Energie in ihre Stücke legte, übertrug sich nun auch auf Wenders und seinen Film.

Alle Fotos aus dem Stück „Wie das Moos auf dem Stein“ (2009) von Karl-Heinz Krauskopf

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Pina Bausch hat den Tanz für uns neu erfunden. Sie hat ihn aus den überkommenen Traditionen des Klassischen Balletts befreit und uns gezeigt, wie wir mit Körpern – ohne auch nur einen Satz zu sagen – Geschichten erzählen können. Und dass in der Sprache des Tanzes das Eigentliche unserer Existenz sichtbar werden kann. Ihre Stücke sind getanzter Existentialismus. Sie hat uns gezeigt: Die Hölle, das sind die anderen, aber auch wir selbst. Aber ebenso sehr können wir einander Segen sein und Erlösung. Pina Bausch hat uns in ihren Stücken vom ewigen Kampf der Geschlechter erzählt, von unseren Sehnsüchten, Wünschen, Hoffnungen, aber ebenso auch von unseren Enttäuschungen, Niederlagen, Verletzungen. Ihre Tanz-Geschichten waren komisch und tragisch, brutal und ironisch. Und zugleich auf eine sehr subtile Art auch politisch. Immer aber hat sie uns Mut gemacht, weiter zu gehen. Dass sich die Welt und auch das Verhältnis der Geschlechter verändert hat, hat Pina sehr genau registriert. In ihrem letzten Neuen Stück erzählt sie auch von diesem Wandel. Doch zugleich wurde ihr das Mittel, mit dem sie erzählt, immer mehr zum Thema: der Tanz selbst. Selten ist das deutlicher geworden als in ihrem letzten Neuen Stück. Dort feiert sie den Tanz, die Anmut der Körper und der Bewegungen, die Leichtigkeit des Scheins. Die Überwindung der realen und sozialen Gravitationskräfte. Sie kehrt damit vielleicht zurück zu dem, was der Tanz von Anbeginn war: die Erfindung der Schönheit aus dem Geiste der Musik. Und jetzt, da Pina Bausch tot ist? Jetzt müssen wir tanzen. Sonst sind wir verloren.

Heiner Bontrup Fotos: Karl-Heinz Krauskopf

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Zvi Goldstein – Haunted by Objects K20 GRABBEPLATZ Kunstsammlung NRW, Düsseldorf bis 26. Februar 2012

Alle Fotos: Zvi Goldstein - Haunted by Objects Installationsansicht K20 Grabbeplatz Foto: Achim Kukulies © Kunstsammlung NRW

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Die Ausstellung Haunted by Objects ist das bisher größte Projekt des 1947 geborenen konzeptuellen Bildhauers und Autors Zvi Goldstein. Als einer der ersten Künstler hat der in Jerusalem lebende Goldstein seit den späten 1970er Jahren eine künstlerische Position außerhalb, aber in Beziehung zu westlichen Kulturzusammenhängen entwickelt und die Herausforderung der globalisierten Welt mit seinem Werk angenommen. Weit über 850 höchst unterschiedliche Objekte von der Antike bis zur Gegenwart aus verschiedensten Kulturen, von der byzantinischen Münze bis zur afrikanischen Maske, sowie Bilder bilden in Haunted by Objects einen dichten, komplexen und hybriden Kosmos. Ausgangspunkte der „Weltreisen im Innern meines Kopfes“ sind 62 Textpassagen aus Room 205, dem neuen Buch des Künstlers. Es schildert in einer mit unterschiedlichen Elementen durchsetzten poetischen Sprache einen einminütigen Flashback in einem Hotelzimmer kurz nach dem Erwachen. Der Text ist Ausdruck eines Bewusstseinszustandes zwischen Tagtraum,

Fantasie und Halluzination, in dem Fragmente des eigenen Lebens mit künstlerischen, kulturellen und philosophischen Überlegungen zu einem „Kaleidoskop“ vereint sind. In einem großen Raum und bei abgedunkelter Beleuchtung erscheint jedes der Textfragmente in einem Cluster von Objekten, die sich in jeweils unterschiedlicher Weise auf diese Texte beziehen und so alle Wände überziehen. Die große Fülle der Gegenstände und die assoziationsreiche Sprache der Texte erlauben unendlich viele Einzelbeobachtungen und Verknüpfungen, ohne dass ein vorgegebenes System festen Halt und eindeutige Bezüge liefert. Manches bietet sich in höchster Klarheit dar, anderes entgleitet an den Rändern dem Zugriff. Gemäß Goldsteins künstlerischer Leitlinie gehen „Phantasie und Theorie, Konzept und Ästhetik, Kontext und Ontologie, Biografie und Ideologie“ eine gleichberechtigte Einheit „zwischen kulturell zentralen und peripheren Existenzen“ ein. Als Ganzes ist Haunted by Objects der großartige Versuch eines Künstlers,


der eigenen Faszination durch kulturelle Objekte und den in ihnen aufgehobenen Geschichten und Weltsichten Ausdruck zu geben. Gleichzeitig stellt die Arbeit die geläufigen museologischen Ordnungen in Frage und es gelingt ihr, das Bild einer multidimensionalen Welt in der Epoche der Globalisierung zu zeichnen. Zvi Goldstein wurde 1947 in Transylvanien (Rumänien) geboren, emigrierte in den späten 1950er Jahren nach Israel und studierte dort Kunst, bevor er für zehn Jahre nach Mailand ging. Hier entwickelte er sein politisches, ästhetisches und anthropologisches Denken und schuf erste, mit Sprache, Fotografie und Film operierende konzeptuelle Arbeiten, die in Italien und Deutschland ausgestellt wurden. Unzufrieden mit dem westlichen Diskurs der Postmoderne machte er jedoch 1978 Jerusalem als Ort auf der Grenze zwischen Okzident und Orient zur geografischen und konzeptuellen Basis seiner Kunst. Er gehört damit zu den ersten Künstlern, die sich Ende der 1970er Jahre mit den Konsequenzen der sich abzeichnenden Globalisierung für die zeitgenössische Kunst auseinander zu setzen begannen. Seit den 1980er Jahren hat Goldstein in den wichtigsten Museen Israels und in bedeutenden Ausstellungshäusern und Galerien Europas und Nordamerikas ausgestellt. Er nahm an den Biennalen von Venedig, Sydney, Istanbul, São Paulo, Shanghai und Herzliya sowie an der documenta in Kassel teil. Der Künstler lehrt als Professor an der Bezalel Academy for Art and Design in Jerusalem und Tel Aviv. Besonders in den 1990er Jahren führten ihn ausgedehnte Reisen zu hermetischen Gemeinschaften und vom Westen wenig beeinflussten Kulturen in Afrika und Asien. Mit seinem ersten Buch On Paper (Köln 2004) hat Goldstein seinem Werk eine neue, zusätzliche Dimension gegeben. Sein zweites Buch Room 205 (Köln 2010) ist ein Langgedicht, das in unterschiedlichen Schreibstilen und auf wechselnden Bewusstseinsebenen einen einminütigen Flashback beschreibt, in dem sich Erlebnisse, Spekulationen und Halluzinationen mit konkreten Beobachtungen und Objekten verschränken. Mehr Information unter www.kunstsammlung.de

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Wo bleibt die Schildkröte? Mr. Rabbit and the Dragon King im Wuppertaler Opernhaus Der Drachenkönig des Südmeeres ist krank und kann nur durch die Leber eines Hasen geheilt werden. Also macht sich der treueste aller Untertanen, Buchhalter Sumpfschildkröte auf, an Land einen Hasen zu fangen... Eine turbulente und tiefsinnige Satire auf Beamtenhochmut, Karrieresucht und Gesundheitswahn. Dies ist die Geschichte einer P’ansori, einer koreanischen Oper. P’ansori, ist eine jahrhundertealte Form vokaler Musik und von der UNESCO als einer der ‚Kulturschätze der Welt‘ offiziell anerkannt. Es ist eine Art „Erzähltheater“: ein einzelner Sänger (oder Sängerin) trägt einen längeren epischdramatischen Text vor und wird dabei von einem Musiker auf einer Faßtrommel begleitet. Er singt und spielt also die Geschichte gleichzeitig. Achim Freyer, gerade von der Fachzeitschrift Opernwelt zum „Regisseur des Jahres“ gewählt, hat aus dieser traditionellen Form etwas aufregend Neues gemacht, ohne deren besondere Aura zu verfälschen. Er gestaltete unter Verwendung koreanischer Bildwelten und eigener Bildphantasien eine neue Bühnenästhetik, in der beide Formen sich gegenseitig erhellen und eine faszinierende gemeinsame Sprache als Brücke zwischen Ost und West sprechen.

Ja, wo bleibt die Schildkröte? Wieso erscheint sie nicht im Titel? Sie spielt nämlich auch eine ganz wichtige Rolle, als treueste Untertanin ihres Drachenkönigs und als Tigerbändigerin – durch die einfache Drohung, ihm in den Schwanz zu beißen (in welchen wohl?). Schließlich zeigt sie am Schluss ungewöhnliche Hartnäckigkeit, weil sie nicht glauben will, kräftig getäuscht worden zu sein. Doch der Reihe nach: Dreimal spielte das Koreanische Nationaltheater das Stück mit dem seltsamen und unvollständigen Titel, das als Pansori-Oper bezeichnet wird. Auf die Bühne gebracht hatte es der bekannte Regisseur Achim Freyer, bekannt für seine hintersinnigen und lebendigen Inszenierungen, der auch im Opernhaus anwesend war und fröhlich Sekt trank. Und man wurde nicht enttäuscht. Das Opernhaus war fest in koreanischer Hand. Die Autokennzeichen verraten, dass die Besucher von weit her gekommen waren. Wer sich schon eine halbe Stunde vorher zur Einführung (ausgezeichnet und informativ durch Matthias R. Entreß) eingefunden hatte, bekam mit, wie Pansori-Gesang in Korea im Original funktionierte. Ein einzelner Sänger, nur von einem Trommler begleitet, erzählt die Geschichte sprechend, auf alle möglichen Arten singend und vor allem mit vielen gestischen und mimischen Mitteln. Einzelnes Requisit ist ein großer Fächer. Koreaner müssen Meister der Konzentration sein, denn so ein Stück mit nur einem

Darsteller-Erzähler dauert im Original um die sechs Stunden. Auch in Korea wurde seit Beginn des 20. Jahrhunderts begonnen, den Text auf mehrere Personen zu verteilen, auf die Bühne zu bringen, daraus eine Art Oper zu machen, die Changgeuk genannt wird, alles verbunden mit einer Musik, die für europäische Ohren sehr ungewöhnlich klingt. Achim Freyer hatte seine Pansori-Oper schon auf drei Stunden gekürzt, trotzdem wirkte der erste Teil, wegen vieler philosophisch-weltanschaulicher Passagen gelegentlich etwas lang (einige Zuschauer, vor allem mit jüngeren Kindern, waren nach der Pause nicht mehr anwesend). Der zweite Teil war dagegen äußerst kurzweilig. Im Stück ist der Pansori-Sänger eine überdimensionale Dame in einem blauen Kleid, die das Stück beginnt und immer wieder eingreift, und aus deren Kleid immer wieder handelnde Personen hervorkommen. Alle Personen hantieren auch mit Fächern, die Gesichter sieht man allerdings nicht, weil alle Personen Masken tragen. Einige davon erinnern an Picasso und machen darauf aufmerksam, dass immer wieder Elemente der Moderne in das Stück eingebaut sind, ebenso wie Verfremdungen, Aktualisierungen, ironische Brechungen. Das Stück: Der Drachenkönig des Südmeeres, Urquelle alles Meereslebens, ist krank, offensichtlich durch Umweltverschmutzung, denn überall liegen und hängen leere Plastikflaschen. Sein Kostüm, sehr fantasievoll wie alle anderen Kostüme,

Inszenierung, Bühne, Kostüme und Licht: Achim Freyer (Foto)

Textfassung: National Theatre of Korea Übersetzung: Esther Lee und Matthias R. Entreß

Alle Fotos und obenstehender Einführungstext: Pressematerial der Wuppertaler Bühnen

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erscheint so, als ob zwei Personen darin steckten: die Füße sind ganz weit vom Kopf entfernt. Die Hofschranzen bemühen sich um den kranken König; offensichtlich sind Yin und Yang nicht im Gleichgewicht. Etliche Ärzte erscheinen, der Zuschauer erhält einen Kurzkurs in traditioneller chinesischer Medizin, leicht ironisiert, weil man die unendlich vielen kleinen Anteile nicht etwa in einem großen Topf mit genügend Wasser, sondern mit genau 1,8 Liter Wasser abkochen muss und dann 20, 30 oder 40 mal nehmen muss. Das hilft dem König aber nicht, obwohl ein gläsernes Tablett mit vielen Medizinflachen plötzlich frei in der Luft schwebt und man beiläufig erfährt, dass es in diesen Breiten nicht etwa vier, sondern fünf Himmelrichtungen gibt. Die Einnahme der Leber eines Hasen soll das Mittel sein, das den Drachenkönig heilen kann. So einer lebt aber dummerweise auf der Erde. Jemand muss also hin und

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ihn bewegen, zum König zu kommen und seine Leber zu opfern. Keiner der höheren Hofschranzen will das tun. Also kommt hier die dritte Hauptperson ins Spiel: Buchhalter Schildkröte wird bemüht und erklärt sich auch bereit. Da erscheint aber seine warnende Mutter, die ihn tränenreich abhalten will, sich auf die gefährliche Reise zu begeben, er sei schließlich Einzelkind in der dritten Generation (kleiner Seitenhieb auf die chinesische Bevölkerungspolitik). Als die Schildkröte sich aber weiter entschlossen zeigt und auf den Ruhm verweist, den sie erringen wird, erscheint auf einmal die komplette Familie Sumpfschildkröte und schickt ihn begeistert auf die weite Reise. Da im Südmeer aber keiner weiß, wie ein Hase aussieht, werden in einer ironischen Aktualisierung alle mögliche Maler bemüht, neben zwei Hofmalern Ai Weiwei, Andy Warhol, Dürer und Picasso. Alle versagen, Weiwei bringt nur ein großes X zustande, erst Picasso gelingt es, einen erkennbaren

Hasen auf die Leinwand zu bringen, den die Schildkröte dann auch mitnimmt, um oben auf der Erde das richtige Tier erkennen zu können. Oben, in der Oberwelt, (wir sind immer noch im ersten Teil!) stellen sich die Tiere vor und suchen einen König, werden aber vom Tiger gestört. Der ist besonders fantasievoll dargestellt, nämlich durch zwei Personen, eine bildet Kopf und Vorderleib, die zweite das Hinterteil, vorne ist der herausragende Penis, hinten der Schwanz mit einer Art Morgenstern wie bei einem Dinosaurier. Die Schildkröte muss, bis sie beim Hasen angelangt ist, allerlei lebensgefährliche Abenteuer bestehen. Auch der Tiger würde sie zu gern (als Sumpfschildkrötensuppe!) fressen. Und wie gewinnt die Schildkröte? Indem sie dem Tiger androht, ihn kräftig in sein edelstes Teil zu beißen. Der Hase lässt sich dann von der Sumpfschildkröte bereden, mit in die Unterwasserwelt zu kommen. Dass seine Leber


gebraucht wird, wird ihm natürlich nicht gesagt. Gelockt wird er mit der Aussicht, unten ausgerechnet militärischer Ausbildungsleiter zu werden, in einer Welt, in der es keine Waffen oder Gewalt geben soll, anders als in der Oberwelt. Der Hase rudert bei der Fahrt nach unten zu schnell und muss von der Schildkröte korrigiert werden, damit die beiden überhaupt voran kommen. Inzwischen geht es dem Drachenkönig immer schlechter und er verlangt die Hasenleber. (Übrigens unterbricht erst an dieser Stelle eine Pause das Stück.) Und als der Hase angekommen ist, ist er sehr erstaunt, dass er nicht militärischer Ausbildungsleiter wird, sondern in einer Welt, die keineswegs so friedlich ist wie versprochen, sein Leben für eine Medizin hergeben soll. Der Hase, überall wenig geachtet und immer auf der Flucht, beweist jetzt seine Schlauheit und seinen Einfallsreichtum. Zuerst behauptet er, kein Hase, sondern ein Hund zu sein, das finden König und

Untertanen aber viel besser (noch ein kleiner Seitenhieb: es wird ja immer wieder behauptet, dass Chinesen alles essen, was vier Beine hat.). Es verfängt auch nicht, als er vorgibt, ein Kalb oder ein Fohlen zu sein. Dann legt sich der Hase auf den Tisch und bittet den Henker, ihn aufzuschneiden; der könne dann lange suchen, denn er habe gar keine Leber. Der Henker und die mit überdimensionalen Esswerkzeugen am Tisch sitzenden Hofschranzen stimmen dem begeistert zu, doch der König, dem es ständig besser zu gehen scheint, lehnt das ab, auch weil ihm der Hase immer sympathischer wird. Er bietet ihm sogar das Du an, so dass es weitergeht mit „Drägi“ und „Hasi“. Dieser wird immer kühner und behauptet, seine Leber in der Oberwelt gelassen zu haben, eingewickelt in ein Blatt und an einem Baum hängend, um dort in der Sonne zu trocknen. Den Einwand, das gäbe es nicht, kontert er mit dem Hinweis: Ich habe drei Löcher, eins fürs große Geschäft, eins fürs kleine Geschäft

und eins, um die Leber rein- und raus zu nehmen. Auch der mehrfach wiederkehrende Henker und die hungrig ihre Messer und Gabeln schwingenden Hofschranzen können nicht verhindern, dass der Drachenkönig den Hasen und die Schildkröte wieder nach oben schickt, im die am Baum hängende Leber zu holen. Oben angekommen, triumphiert Hasi und verhöhnt die brave Schildkröte. Als diese nicht glauben kann, getäuscht worden zu sein und den Hasen mehrfach bittet, ihm doch seine Leber zu geben, wird sie von diesem, der vorher so schöne hehre Geschichten erzählen konnte, als „inzestuöser Hurensohn“ beschimpft. Schließlich entleert sich der Hase geräuschvoll aus allen drei Löchern (die Leber bleibt aber im Hasen!), packt alles in einen Sack und wirft es der Schildkröte zu. „Damit kannst du deinen König heilen!“ Ob es damit gelungen ist? Damit ist das Stück zu Ende. Unterschiedliche Sprachebenen werden

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gemischt. Vor allem im zweiten Teil dominieren Witz und Derbheit, das Tempo steigert sich und auch das Vergnügen des (leicht gelichteten) Publikums. Über die Musik, z.T. übernommen, z. T. von Freyer in Auftrag gegeben, lässt sich wenig sagen, weil sie unbekannt und ungewohnt ist. Für meine Ohren verband sie sich aber zunehmend mit der Sprache und den Aktionen auf der Bühne. Zudem war die Handlung durch die punktgenaue Übertitelung (auf deutsch und koreanisch) hervorragend nachzuvollziehen, so dass man sich voll auf das koreanische „Gesamtkunstwerk“ konzentrieren konnte. Wer nicht da war, hat ein wundervolles und anregendes Theaterereignis verpasst. Der Wuppertaler Musikintendanz ist sehr zu danken, dass sie dieses Stück nach Wuppertal geholt hat. Fritz Gerwinn

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Vor dem Gesetz Skulpturen der Nachkriegszeit und Räume der Gegenwartskunst Museum Ludwig Köln bis zum 22. April 2012

Die Frage nach den grundlegenden Bedingungen des Menschseins ist von zeitloser und gleichsam dringlicher Bedeutung. Tagtäglich sind Menschenrechtsverletzungen und Angriffe auf die menschliche Würde zu beobachten - die medialen Bedingungen erlauben dabei einen scheinbar immer gründlicheren Blick. Die Ausstellung Vor dem Gesetz widmet sich in ebenso konzentrierter wie umfassender Weise dem zentralen Thema der menschlichen Existenz und ihrer Verletzlichkeit. Mit großer Unmittelbarkeit verbildlichen die Skulpturen der Nachkriegszeit und Räume der Gegenwartskunst die Auseinandersetzungen mit der Conditio Humana. Die gemeinsam mit der Siemens Stiftung organisierte Schau ist die letzte programmatische Ausstellung von Kasper König am Museum Ludwig. Titelgebende Parabel und Metapher für das Thema der Ausstellung ist Kafkas gleichnamige Kurzgeschichte. Sie erzählt, wie ein Mann vom Lande um Einlass in das Gesetz bittet. Ein Türhüter verwehrt ihm den Zugang und vertröstet ihn immer wieder auf einen möglichen späteren Zeitpunkt. Der

Mann vom Lande bleibt sein ganzes Leben lang in wartender Position vom Gesetz ausgeschlossen. Der sich über die Jahre nicht verändernde Türhüter ist dabei die überzeitliche statuenhafte Gegenfigur zum alternden Individuum, das der Mann vom Lande verkörpert. Bemerkenswert ist im Vergleich zu anderen Definitionen Kafkas Entwurf des Gesetzes als Raum, der betretbar und endlich ist, zu dem es einen Zugang oder von dem es einen Ausschluss gibt. Die Ausstellung greift dieses Gedankenbild auf und entwickelt eine die gesamte zweite Etage umspannende Raumsituation, in der die 28 künstlerischen Positionen sehr dezidiert ihren eigenen Ort definieren. Vor dem Gesetz vereint figurative Skulpturen der Nachkriegszeit mit aktuellen Positionen und spannt damit einen Bogen über die vergangenen sechzig Jahre. Die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs stellt eine zentrale Zäsur im Hinblick auf Menschenrechte und Menschenwürde dar, die ausschlaggebend für das heutige Verständnis wurde und Niederschlag im ersten Artikel des Deutschen Grundgesetzes fand. Vor

Andreas Siekmann Dante und Vergil gehen durch die Welt, 2011 Ausdrucke auf Papier und Multiplex, Modell, Mechanik Maße variabel Im Besitz des Künstlers Foto: Achim Kukulies © VG Bild-Kunst, Bonn 2011

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diesem Hintergrund bilden die Werke der Nachkriegszeit, die den geschundenen, verletzten und gefährdeten Menschen in großer Direktheit zeigen, den argumentativen Kern der Ausstellung. Statuen von Germaine Richier, Gerhard Marcks oder Alberto Giacometti geben dem traumatisierten Menschen Gesicht und Körper und finden eine künstlerische Ausdrucksform für die Sprachlosigkeit der Zeit. Sie bilden den Ausgangspunkt für die Betrachtung der zeitgenössischen Installationen von Künstlern wie Phyllida Barlow, Paul Chan oder Zoe Leonard. Im Gegensatz zu ihren historischen ‚Vor-Bildern' haben diese Werke die figürliche Darstellung des Menschlichen weitgehend aufgegeben. In häufig räumlicher Dimension und unter Verwendung der unterschiedlichsten Materialien nähern sich

die Künstler den immer weiter aufgesplitterten und komplexen Bedingungen der menschlichen Gegenwart. Die Ausstellung Vor dem Gesetz zeigt nicht nur die anhaltende Aktualität und Aussagekraft figurativer Nachkriegsskulptur, sondern schärft durch den historischen Kontext vor allem den Blick für das humanistische Potential für Gegenwartskunst. In einer Zeit zunehmender Verunsicherung und Schnelllebigkeit scheint die Auseinandersetzung mit einer Kunst notwendig, die mit Ernsthaftigkeit auf der Kategorie des Menschlichen insistiert. Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog im Verlag der Buchhandlung Walther König mit Beiträgen von Penelope Curtis, Friedrich Wilhelm Graf, Kasper König, Thomas Macho und Thomas D. Trummer.

KünstlerInnen: Pawel Althamer, Carl Andre, Phyllida Barlow, Joseph Beuys, Karla Black, Monica Bonvicini, Reg Butler, Paul Chan, Fritz Cremer, Jimmie Durham, Katharina Fritsch, Alberto Gia-cometti, Candida Höfer, William Kentridge, Marko Lehanka, Wilhelm Lehmbruck, Zoe Leonard, Giacomo Manzù, Gerhard Marcks, Marino Marini, Henry Moore, Bruce Nauman, Germaine Richier, Ulrich Rückriem, Thomas Schütte, George Segal, Andreas Siekmann, Andreas Slominski, Ossip Zadkine Eine gemeinsame Ausstellung des Museum Ludwig Köln und der Siemens Stiftung bis 22. April 2012 Weitere Informationen unter www.museum-ludwig.de

Bruce Nauman Carousel, 1988 Stahl und Aluminium Höhe: 213,4 cm, Durchmesser: 550,5 cm Gemeentemuseum Den Haag Foto: Achim Kukulies © VG Bild-Kunst, Bonn 2011

Pawel Althamer Bródno People, 2010, Verschiedene Materialien, 252 x 600 x 165 cm Sammlung Goetz, Foto: Achim Kukulies © Pawel Althamer, Courtesy Samml. Goetz linke Seite: Marko Lehanka Ohne Titel (Bauerndenkmal), 1999 Verschiedene Materialien (Holz bemalt, Elektrik, Glühlampen, Möbelhund, Kugelschreiber, Bootslack, Bergwiesenheu, Sense, Kompostgabel, Ton, Draht, Hirse, Stoffzigaretten, Montierlampe, Stoff, Kunsthaare, Kunstleder, Einmachglas, KG-Rohr), 453 x 80 x 88 cm Fondazione Sandretto Re Rebaudengo, Turin Foto: Achim Kukulies, © Marko Lehanka

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Mein Leben ist ein Tango Das CaféADA als Ort der Begegnung

Mitten in Wuppertal, in einer der „ungeschminkten“ Gegenden am Fuße der Nordstadt, hat sich seit zwanzig Jahren ein Ort der besonderen Art etabliert, das CaféADA.

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Kaum habe ich die unscheinbare Türe des Windfangs geöffnet, fühle ich mich aufgenommen in eine andere Welt: Eine Bar, schlichte dunkle Holztische mit Teelichtern, Caféhausstühlen und einer Tanzfläche, an deren Rückwand auf einer kleinen Empore, wie aus einem Stück von Pina Bausch vergessen, ein Klavier lehnt. Nur wenige Gäste sind zu sehen – noch ist die Tanzfläche leer. Mehmet Dok probiert am Mischpult den Sound, die wehmütige Stimme eines Tangosängers klagt durch den Raum. Jetzt habe ich Gelegenheit, Menschen zu sprechen, denen es tatsächlich gelungen ist, sich ihren Traum zu verwirklichen: Mehmet Dok, der sich für einen Augenblick zu uns gesellt, aus der Türkei, Inhaber des CaféADA, Jean Lau-

rent Sasportes aus Frankreich, Mitglied des Tanztheaters Pina Bausch, der einen Teil des Kulturprogramms gestaltet, der Mitinitiator Yener Sözen, aus der Türkei, Jurist, Carmen aus Andalusien und César aus Argentinien, beide seit fast zwei Jahren als professionelles Tanzlehrerpaar für Tango Argentino engagiert. Farbige Scheinwerfer rücken dezent ins Licht worum sich hier alles dreht – den Tanz, sei es argentinischer Tango, Salsa, oder Rembetika. Heute ist Tangosalon, allmählich füllt sich die Tanzfläche mit Paaren, die sich dem Argentinischen Tango hingeben, und das auf hohem Niveau. Man spürt sofort, hier geht es weniger ums Essen oder Reden, sondern um den Tanz.


Mehrmals in der Woche kommen sie hierher aus dem gesamten Ruhrgebiet, ja, aus Holland – Verkäufer, Intellektuelle, Vertreter, Lehrer, sogar Pfarrer, Menschen aller Altersstufen, Anfänger und Fortgeschrittene. Wuppertal ist zur Hochburg des Tango geworden, seit Mehmet Dok, Jean Laurent Sasportes und Yener Sözen 1992 das CaféADA eröffnet haben. Jean Laurent Sasportes und Mehmet Dok hatten sich bereits im Vorgängercafé des ADA kennengelernt. Schon damals kamen sie gern hierher, „wir haben uns wie auf einer Insel gefühlt, man dachte, man sei geographisch weit weg.“ Jean Laurent Sasportes hat die obere Etage als Probenraum genutzt und ihm war klar, dass

dies der ideale Raum für Aufführungen, Konzerte und Ausstellungen sei. Als Mehmet Dok das Lokal übernahm, sahen sie die Zeit gekommen, ihre Vorstellungen von einem Ort der Begegnung in die Tat umzusetzen: Die Idee war ein Tangosalon. Die Initiatoren waren sicher, dass Wuppertal gerade wegen seiner Offenheit der geeignete Ort sei, ihre Träume Wirklichkeit werden zu lassen, und so war es – „Diese Stadt hat uns das möglich gemacht“, meint Mehmet Dok. ADA ist türkisch und bedeutet „Insel“, das Inselgefühl, die Vorstellung, an einem ganz und gar außergewöhnlichen Ort zu sein, hat man noch immer, obgleich oder gerade weil der Raum so schlicht ist. Es liegt an der besonderen Atmosphäre des

CaféADA und an den Menschen, die man dort treffen kann. Ursprünglich befand sich hier in der Wiesenstraße ein Möbellager mit einer Diskothek und einem darüber liegenden Veranstaltungssaal. Man tanzte auf unebenem Betonboden mit herausstehenden Eisenträgern, während das Regenwasser vom Dach in bereitgestellte Wassereimer tropfte. Das alles konnte der Begeisterung für den Tango wenig anhaben, doch als das CaféADA einem Supermarkt weichen sollte, wussten dies namhafte Persönlichkeiten der Stadt Wuppertal zu verhindern. Mit Landesmitteln konnte das ADA bis 2007 seine Räumlichkeiten erweitern und professionalisieren, ohne sein besonderes Flair zu verlieren. Ein öffentlicher Platz

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Mein Leben ist ein Tango mit Parkflächen, Boulebahn und Außengastronomie entstand, und wenn es das wuppertaler Wetter zulässt, kann man sogar draußen tanzen. So hat der Tango seinen Platz im CaféADA gefunden: Die ersten Tangokurse waren schnell ausgebucht. Pina Bausch kam oft mit ihren Tänzern, „hier war sie immer entspannt, hier konnte sie ganz privat sein“, sagt Yener Süzen. In ihrem Stück „Bandoneon“ 1980 wurde zwar Tango musiziert, aber nicht getanzt. Als sie für „Nur Du“ 1996 den berühmten argentinischen Tangotänzer Tete Rusconi engagierte, gab es im CaféADA die ersten Tangoworkshops. Carsten Heveling erinnert sich an den Humor und an den Stolz von Tete Rusconi, der seine Herkunft als echter „Porteno“ nie verleugnete und nicht mehr zu bremsen war, wenn er sich eine Tanguera geschnappt hatte und zu tanzen begann, und alle hingerissen waren.

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Tango tanzen ist Ausdruck eines Lebensgefühls, einer Überzeugung, einer Philosophie. „Mein Leben ist ein Tango“, zitiert Carmen eine argentinische Redensart. Tatsächlich spiegelt der Tango das Leben – das eines Einzelnen, eines Paares oder der Gesellschaft. Parallel zum Blues und zum Jazz in New Orleans hat sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den finstersten Hafenvierteln von Buenos Aires und Montevideo entlang der Mündung des Rio Plata aus dem Elend und der Einsamkeit der Einwanderer aus aller Welt der Tango Argentino entwickelt. Und deshalb kann man weder beim Blues noch beim Tango fragen, welcher denn nun der ursprüngliche sei. Die Einwanderer brachten ihre eigenen Tänze und ihre Instrumente mit, und so haben zum Beispiel Einflüsse afrikanischer Musik, die kubanische Habanera oder der deutsche Walzer Eingang gefunden in den Tango. Die ursprünglichen

Instrumente waren Geige, Flöte und Gitarre, bis aus Deutschland das Bandoneon hinzu kam. Weil unter den Einwanderern erheblicher Frauenmangel herrschte, wurde der Tango häufig von Männern getanzt. César erzählt, dass daher einer der Männer die Rolle der Frau übernehmen musste – und erst, wenn dieser sich bedingungslos führen ließ, konnte er zum wahren Tanguero aufsteigen. Es war wohl auch so, dass Männer vorsichtshalber untereinander übten, um sich vor den Frauen nicht bloßzustellen. Argentinischer Tango ist eine wehmütige, melancholische Musik und wie der Blues Ausdruck von Gefühlen wie Verlassenheit, Liebesschmerz oder Heimweh. Doch wie im Blues ist die Melancholie nie hoffnungslos oder Selbstzweck, sondern immer zugleich Ausdruck ungebrochener Hoffnung und Lebenslust – irgendwie muss es weitergehen. Während der Militärdiktatur war in


Argentinien das Tangotanzen verboten, da den Machthabern das enge Miteinander von Menschen aller Schichten auf der Tanzfläche bedrohlich erschien, doch seit etwa fünfzig Jahren erlebt der Argentinische Tango weltweit ungeahnten Aufschwung. Er unterscheidet sich vom Tango als Standardtanz durch den weichen Fluss der Bewegungen, die choreographische Freiheit und die Tanzhaltung. Wie der Jazz entwickelt er sich ständig weiter und spiegelt durch immer neue Stilarten gesellschaftliche Veränderungen. Auch wenn „Tango“ sich nicht aus dem lateinischen tangere = berühren ableitet, was umstritten ist, bedeutet dieser Tanz ebenso die reale körperliche Berührung wie deren strengste Stilisierung. César ist sich sicher, dass allein schon die enge Umarmung, in der Tango Argentino getanzt wird, für viele Menschen „ein Schritt ins Ungewisse ist. Wir alle sehnen uns nach körperlicher Nähe, doch fällt es

uns zugleich schwer, die sichere Distanz aufzugeben. Wer umarmen kann, kann auch Tango tanzen.“ Die Umarmung zweier Menschen birgt Möglichkeit und Herausforderung zugleich. Sie ist elementarer Ausdruck nach emotionalen Bedürfnissen wie Ruhe, Wärme, Nähe, Trost, Freude, Lust, Liebe, sie kann am Beginn einer Beziehung stehen aber auch an deren Ende. Sie kann sogar Ausdruck von In-Besitznahme, Feindschaft, Kampf, ja, Tod sein. Der Reiz des Tango Argentino liegt in den Gegensätzen wie intensiver körperlicher Nähe und zugleich disziplinierter Körperhaltung, Selbstbewusstsein bei gleichzeitiger Selbstvergessenheit, geladener Spannung bei gleichzeitiger Leichtigkeit, oder dem Fluss der großen Bewegung und deren Verzögerung bis zum abrupten Innehalten, von Virtuosität und Intimität. Diese Gegensätze in Harmonie zu überführen, bewirken die herbe Eleganz und

den erotischen Zauber des Tango Argentino. Carmen und César möchten nichts von der viel zitierten Leidenschaft wissen, die sich angeblich im Tango ausdrückt, schon gar nicht im Tango Argentino; hoch geschlitzte Kleider und eitle Effekte sind dessen Sache nicht, zumal dieser nur ein kleiner Teil der umfassenden Kultur des Tango in Argentinien ist. Mit Sexualität hat der Tango Argentino nichts zu tun. „Tango Argentino bedeutet eine ständige Suche nach der Vervollkommnung von Bewegungen, das wird nie langweilig und dauert ein ganzes Leben“, ergänzt César. Tango tanzen vollzieht sich in bestimmten Ritualen: Carmen sagt, dass früher selbstverständlich immer der Mann geführt hat, die Frau folgte seinen Vorgaben. Heute, im Zeitalter der Emanzipation ist das anders, auch im Tanz gibt die Frau nicht unbedingt nach, sie darf sogar eigene Vorschläge einbringen. Umgekehrt muss der moderne Mann

Carmen und César

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unter Umständen erst wieder lernen, seine Dame zu führen. César meint, als Lehrer entdecke man schnell die Persönlichkeit des Tänzers und könne ihm helfen, sich zu befreien und Selbstvertrauen zurückzugewinnen, selbst wenn das zuweilen viel Zeit und Geduld erfordert. Ein Tangotänzer, der das CaféADA von Anbeginn begleitet hat, erzählt, dass natürlich der Mann die Frau auffordert, doch „besonders in argentinischen Tangosalons steht das auch der Frau zu, allerdings gilt es für den Mann, blitzschnell auf einen Wimpernschlag zu reagieren. Wer in ein Tangolokal kommt, signalisiert Tanzbereitschaft. Früher, als hier noch alle an einem langen Tisch saßen, war das einfacher, man tanzte mit verschiedenen Partnern. Allerdings muss man erst die Tänze mit dem Kavalier der Dame abwarten und dann herausfühlen, ob man mit ihr tanzen darf. Sie schon nach ein oder zwei Tänzen an den Tisch zurückzuführen wäre sehr unhöflich. Wie eine Frau sich anfühlt weiß man vorher nie, sie kann gut trainiert aber ganz hart sein oder sehr wohlbeleibt und trotzdem tanzen wie eine Feder.“ Tango Argentino ist eine Kommunikation besonderer Art, es gibt weder Smalltalk noch Keep Smiling. Die Tänzer geben sich der Musik und dem Fluss der Bewegung schweigend hin. „Wenn man Glück hat, so erlebt man für ganz kurze Augenblicke das Gefühl der vollkommenen Übereinstimmung, dann kann man eigentlich nach Hause gehen,“ sagt der Tangotänzer. Aber diesen Moment der Seligkeit möchte man immer wiederfinden, auch dann, wenn es viel Mühe und Enttäuschungen kostet. Doch dafür gibt es ja die Kurse und die professionellen Lehrer! Der Tango verbindet zwar die Menschen, aber gerade deshalb kann er manchmal auch zum Prüfstein für Beziehungen werden. Carmen und César beobachten, dass die Paare schnell merken, ob es stimmig ist oder nicht. Der Tangotänzer sagt dazu: „Ich kann mit einer Frau frühstücken und Kinder großziehen, aber es kann sein, dass ich mit ihr keinen Tango tanzen kann.“ So kann es passieren, dass Beziehungen zerbrechen oder entstehen. Auf dem Parkett zählen weder Alter, Geschlecht, Herkunft oder Einkommen, sondern allein die Qualität des Tanzens.

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Im Laufe der letzten 15 Jahre haben immer wieder namhafte Lehrer unterrichtet, und jeder von ihnen hat den Tango weitergebracht, so dass sich das CaféADA den Ruf als Kulturstätte für die Entwicklung des Tango erworben hat. Dazu trägt auch das inzwischen zur Tradition gewordene Tangofestival in der Historischen Stadthalle bei, dessen Veranstalter Carsten Heveling ist. Mit dem CaféADA und neuerdings dem Barmer Bahnhof als weitere Austragungsorte ist es eins der größten Festivals der Welt. Immerhin kommen fast 90% der Besucher von weit her, und darauf darf Wuppertal stolz sein. Heveling ist übrigens einer der ganz wenigen Fachleute für die Restaurierung des klassischen Tango-Bandoneons und war im ADA einer der Organisatoren der ersten Stunde. 1998 wurde der Verein „Mare“ e.V. gegründet. Vorsitzender ist Yener Sözen; der verstorbene Musiker Peter Kowald war einer der Gründungsmitglieder. „ADA“ ist also die „Insel“, gleichsam umgeben vom „MARE“ der kulturellen Vielfalt. Es war die Idee von Mehmet Dok und Jean Laurent Sasportes, über die Tanzkurse hinaus ein breites kulturelles Programm anzubieten. Sasportes hat die künstlerische Leitung für Theater- und Tanzveranstaltungen inne. Sein Vorrat an Ideen ist unerschöpflich! Neben den etablierten Häusern wünschte er sich eine kleinere Bühne, auf der man experimentieren kann, etwa wie im Tanzhaus in Düsseldorf. So bietet das CaféADA jungen Tänzern und Choreographen ein Forum für interdisziplinäres Arbeiten. Die Reihe „Ikonoclaste“ (Bildersturm) meint das Ausbrechen aus künstlerischen Normen. Der Höhepunkt des vierten „Ikonoclaste“ 2011 war die Aufführung „carte blanche“ mit Choreographien von und mit Tänzern des Tanztheaters Pina Bausch. Neben Aufführungen gibt es Jazzkonzerte, Ausstellungen, und vieles mehr. Unlängst hat die WDR-Bigband unmittelbar nach ihrem ersten Konzert den Wunsch geäußert, einen neuen Termin zu erhalten; Peter Brötzmann tritt hier auf, und man arbeitet mit der Musikschule zusammen. Leider fehlt es immer an Geld, und immer gibt es zu viel Bürokratie. So ist der Verein dankbar, dass ehrenamtlichen Mitarbeiter

helfen, das Programm zu bewältigen und die technische Abteilung des Wuppertaler Tanztheaters Unterstützung leistet, - und zuweilen finden sich Sponsoren. Mehmet Doks Haus ist multikulturell, man spricht Deutsch, Englisch, Spanisch und natürlich Türkisch, denn die Mitarbeiter kommen aus verschiedenen Ländern. Auf meine Frage, wie sich Tango und muslimischer Glaube vereinbaren lassen, schaut er mich überrascht an: “Eigentlich sind alle Religionen mehr oder weniger körperfeindlich, Religionen spielen im CaféADA überhaupt keine Rolle.“ Immerhin ist der Tango 2009 zum Weltkulturerbe ernannt worden. Kulturarbeit ist im ADA die Begegnung mit sich selbst und mit anderen, die durch den Tango vermittelt wird. „Die Symbiose war von Anfang an da, der Geist des Hauses und der Tango gehören zusammen“, sagt Yener Sözen. So erzählt Mehmet Dok stolz, das CaféADA sei gleichsam Pinas Bauschs Wohnzimmer gewesen, und man habe sich wie eine kleine Familie gefühlt. Tatsächlich ist die Tangogemeinde wie eine Familie, jeder ist willkommen, jeder hilft jedem, jeder kann hier tun was er möchte, schweigen, reden, lesen, spielen, arbeiten, essen oder eben tanzen. Für einen Stammgast der ersten Stunde, der nicht zum Tanzen sondern als passionierter Zuschauer kommt, ist dieses Haus „ein Ort hoher künstlerischer Qualität und Authentizität, der jenseits ausgetretener Kulturpfade künstlerische Besonderheiten bietet, die sonst nirgends zu haben sind. Man wird sofort von der einmaligen Atmosphäre des Hauses umfangen und verlässt es nie ohne bereichert worden zu sein. Hier treffen die verschiedenartigsten Menschen zusammen, man muss sich nur einlassen, dann passiert immer etwas.“ Das alles macht der Tango möglich. Von diesem Tanz hat Tete Rusconi gesagt: „Wir verlieren den Tango, wenn wir ihn nicht respektieren.“ Darum braucht man im CaféADA keine Sorgen zu haben, man braucht nur hinzugehen. Informationen unter www.cafeada.de

Marlene Baum Fotos CaféADA


Magischer Heiler und Erzähler Axel Munthe und der Traum von San Michele

Etruskische Sphinx / Loggia der Villa Axel Munthe

Er verfügte über einen inneren Kompass, der ihn mit untrüglicher Sicherheit durch seinen Lebensweg leitete. Wie nur wenige Menschen hörte er auf seine innere Stimme, der er mit unbedingter Konsequenz folgte. Nur so konnte er den unglaublich erscheinenden Lebenstraum verwirklichen, „seine“ Villa San Michele in Anacapri wider alle praktische Vernunft zu errichten. Die Verwirklichung seines Lebenstraumes glaubte er durch den frühen Verlust seines Augenlichtes bezahlen zu müssen. Tragischerweise konnte er aufgrund dieser Erkrankung nicht soviel Lebenszeit auf seiner Traum-Insel Capri verbringen, wie er es sich erhofft hatte. Als Axel Munthe 1949 in Stockholm im Alter von 92 Jahren starb, fand man in seiner Tasche ein Ticket nach Capri, so als habe er geahnt, dass der Tod, gegen den er als Arzt gekämpft und mit dem als Autor gerungen hatte, ihn bald ereilen würde. Er wollte wohl dort sterben, wo er das größte Glück

seines Lebens gefunden hatte: 1875 hatte er im Alter von nur 18 Jahren die Insel besucht und war ihrem Charme erlegen. Er hatte die Vision, auf der Insel eine Villa zu errichten und dort zu leben. Zwölf Jahre und eine erfolgreiche Karriere als „Modearzt“ später hatte er sich diesen Traum verwirklicht: ein lichtdurchflutetes Haus in schwindelerregender Lage, hart am Abgrund und mit Blick auf Neapel, Sorrent und den Vesuv. Eng verwandt mit der Gabe, auf die eigene innere Stimme hören und ihr folgen zu können, ist die Fähigkeit, die Triebfedern und Lebensmotive anderer Menschen zu erkennen. Sein Erfolg als Arzt beruhte zu großen Teilen auf diesem „tiefen Blick“, mit dem er in die Seelen der Menschen schaute und das komplexe Zusammenspiel von Körper und Psyche intuitiv ergründete. Er konnte sich ebenso in seine Patienten aus der Hautevolee – darunter gekrönte

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Häupter – versetzen wie in diejenigen, die aus den untersten und ärmsten Schichten kamen und die er ohne Bezahlung behandelte. So gelangen ihm auf geradezu magische Weise unerwartete Heilerfolge, die seinen Namen als „Modearzt“ begründeten. Gerade aus Perspektive der Faszination für ein einfaches und bäuerliches Leben konnte er die Überspanntheiten und Neurosen seiner Patienten aus der High Society verstehen und heilen.

Nicht nur wissenschaftliche Methode, sondern vor allem die magische Fähigkeit zur Einfühlung machten ihn zu einem überaus erfolgreichen Arzt. Magisch war auch sein Verhältnis zur Natur und insbesondere zu den Tieren, die er über alles liebte. Die Hunde und Affen, mit denen er lebte, waren ihm Freunde und Wegbegleiter, zu denen er eine größere Nähe empfand als wohl zu irgendeinem Menschen. Und unter den Menschen

waren ihm die vermeintlich einfachsten die liebsten. Diese hatte er auf Capri gefunden. Dieser tiefe Blick und das Gefühl für die Beseeltheit der Natur, die er sich als Mensch und Arzt in einer Zeit zunehmender Wissenschaftsgläubigkeit bewahren konnte, machten ihn zugleich zu einem Schriftsteller, der hinter die Fassaden der „objektiven“ Wirklichkeit schauen konnte. Er war ein großer Fabulierer und noch hinter seinen unwahrscheinlichsten Geschichten, die er erzählte, steckte ein großes Körnchen Wahrheit. Wohl deshalb konnte „Das Lied von San Michele“ mit weltweit etwa 30 Millionen verkauften Exemplaren eines der erfolgreichsten Bücher der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden. So wie „seine“ Villa San Michele zwischen Himmel und Erde schwebt, so schwebt auch dieses Buch zwischen Dichtung und Wahrheit. Doch gerade in diesem Schwebezustand enthält die Autobiographie Axel Munthes einen reichen Schatz an Weisheit und Poesie. Er war weder der größte Arzt noch der größte Schriftsteller, den die Welt je gesehen hat; aber er war einer der Menschen, die wie nur wenige andere – durch alle Wechselfälle des Lebens – sich selbst treu geblieben sind. Leben, Beruf und schriftstellerisches Werk sind bei ihm eins, verschmelzen zu einem Gesamtkunstwerk. Gerade in unseren postmodernen Zeiten, in der wir uns selbst in der Beliebigkeit des „Anything goes“ zu verlieren drohen, kann daher das „Das Buch von San Michele“ für den heutigen Leser Kompass und Orientierung sein, den Mut und die Konsequenz zu haben, den ganz eigenen Weg zu gehen. Heiner Bontrup Text und Fotos

Hermes / Loggia der Villa Axel Munthe

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Im Andenken an Irene Ludwig Museum Ludwig Köln Exponate aus dem Wohnhaus von Irene und Peter Ludwig bis zum 24. Juni 2012

Candida Höfer Eupener Strasse Aachen IV 2011 2011, C-Print, 152 x 189,6 cm © Candida Höfer, VG Bild-Kunst, Bonn 2011

Vor einem Jahr, am 28. November 2010, starb unerwartet Frau Prof. Dr. h.c. mult. Irene Ludwig. In ihrem Testament verfügte sie aus ihrem Nachlass spektakuläre Schenkungen und Dauerleihgaben für das Museum Ludwig und das Museum Schnütgen. Insgesamt 528 Werke aus dem Besitz von Prof. Ludwig bereichern nun auf Dauer die Kölner Sammlungen. Neben dem herausragenden Konvolut von Werken der Russischen Avantgarde verfügte Irene Ludwig auch, neun Werke aus ihrem privaten Haus als Dauerleihgabe an das Museum Ludwig zu geben. Darunter befindet sich der erste Ankauf des Ehepaars Ludwig im Bereich der Klassischen Moderne: ein Frühwerk von Karl Hofer, „Nach dem Bade“, aus dem Jahr 1912. Außerdem Werke von August Macke, Fernand Léger, Henri Matisse, Lyonel Feininger, Alexej von Jawlensky, Roy Lichtenstein, Jasper Johns und Jackson Pollock.

Anlässlich ihres ersten Todestages hat das Museum Ludwig einen Raum mit jenen Werken eingerichtet, die aus dem Privathaus von Peter und Irene Ludwig stammen und nun erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden. Ergänzt wird diese Präsentation durch drei Werke von Candida Höfer, die die privaten Räume des Ehepaars Ludwig dokumentieren. „Von 1957 an hat es uns angespornt, in Museen durch unsere Erwerbungen Akzente zu setzen, und vollends nach 1968 wurde uns bewusst, was uns vorantrieb: Mit unseren Taten wollten wir Informationslücken schließen. Wir wollten in die Öffentlichkeit bringen, was Bewegung auslöste und den Blick erweiterte“, so beschrieb Peter Ludwig die Motivation des Ehepaars. Diese Sammelleidenschaft prägte aber auch ihr direktes privates Umfeld. Im 1953 gebauten Wohnhaus waren die sich heute im Museum Ludwig

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befindlichen Kunstwerke Teil eines beeindruckenden Gesamtensembles von Kunstschätzen aus allen Kontinenten und aus den unterschiedlichsten Zeiten. Darüber hinaus ließen Peter und Irene Ludwig beim Bau alte Türen, Glasscheiben, Gitter und Keramikkacheln als Spolien in die Architektur einsetzen. Bevor die Kunstwerke in ihren neuen Aufenthaltsort im Museum Ludwig gebracht wurden, beauftragte die Peter und Irene Ludwig Stiftung die Kölner Künstlerin und Fotografin Candida Höfer, die Innenräume des Hauses in ihrem Originalzustand zu dokumentieren. Drei dieser Aufnahmen hat Candida Höfer in einem repräsentativen Format vergrößert. Diese Werke wurden von der Peter und Irene Ludwig Stiftung für das Museum Ludwig erworben und sind ebenfalls erstmals zu sehen. Seit den frühen 1980er Jahren fotografiert Candida Höfer (geb. 1944) öffentliche Räume wie Museen, Bibliotheken, Wartesäle, Zoos und Kurhäuser. Die Aufgabe solcher Räume ist es normalerweise, mit ihrer Einrichtung, Architektur und Beleuchtung zu repräsentieren. Zwar ändert Höfer keines der drei Elemente bei ihrer Arbeit, aber sie wechselt die Perspektive auf die in der Regel menschenleeren Räume. Auf diese Weise vermeidet sie, die Repräsentationsfunktion fotografisch zu wiederholen, sondern deckt stattdessen die Geschichte und die heutige Wertschätzung der Orte auf. In ihrer Reihe „Sammlerräume im Rheinland“, die sie seit mehr als zehn Jahren verfolgt, zeigt Höfer darüber hinaus, wie Privatleute mit ihren Kunstwerken leben. Der unverwechselbare Stil von Candida Höfer macht auch den besonderen und außergewöhnlichen Umgang der Eheleute Peter und Irene Ludwig mit ihrer Kunst sichtbar, wählten sie doch immer bewusst Konstellationen, in denen die Werke in den Dialog mit anderen Kunstobjekten geraten: Die kristalline Struktur eines FeiningerGemäldes korrespondiert mit perspektivischen Konstruktionen auf niederländischen Kacheln des 17. Jahrhunderts, oder Mackes „Elisabeth und Walterchen mit Wolf“ hängt in unmittelbarer Nähe einer Madonna mit Kind aus dem 12. Jahrhundert.

Roy Lichtenstein Still Life with Pitcher and Apple 1972 Öl und Magna auf Leinwand 152 x 114 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2011

Alexej von Jawlensky Stilleben mit braunem Krug 1909 Öl auf Pappe 71 x 58 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2011

Karl Hofer Interieur (Nach dem Bade), 1912 Öl auf Leinwand, 146,5 x 114 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2011 linke Seite: Candida Höfer Eupener Strasse Aachen II 2011

2011, C-Print, 152 x 123 cm © Candida Höfer, VG Bild-Kunst, Bonn 2011 bis 24. Juni 2012 Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag: 10 – 18 Uhr jeden 1. Donnerstag im Monat: 10 - 22 Uhr http://www.museum-ludwig.de/

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Begegnung von Kunst- und Naturschönem Die Musikreihe Klangart ging erfolgreich in die dritte Runde

Linke Seite: Mola Sylla und Childo Thomas unten: Omar Sosa 'Afreecanos'

Mitten im Herzen Wuppertals, in den 70er und 80er Jahren eines der Zentren des europäischen Free Jazz, hat sich nun schon im dritten Jahr mit „Klangart“ eine außergewöhnliche Musikreihe etabliert, die auf magische Weise das Publikum anzieht. Es ist die wohl einmalige Melange aus Kunst, Musik und Natur, die die Besucher von Klangart so in ihren Bann zieht. Hoch über dem Tal mit einem wunderbaren Blick bis hin zu den gegenüberliegenden Höhenzügen liegt inmitten eines großen Parks die im anthroposophischen Stil erbaute Villa des Industriellen Kurt Herberts. Nach dem Tode des Großunternehmers lagen Villa und Park lange in einem Dornröschenschlaf – bis der in Wuppertal lebende britische Bildhauer Tony Cragg diesen Ort für sich entdeckte. Zwischen altem Baumbestand und exotischen Pflanzen begegnen Besucher heute Skulpturen Craggs und anderer international renommierter Künstler. Besonders intim und fein sind die Konzerte im gläsernen Pavillon, in dem Musik auf Bildende Kunst trifft. Die gläserne Haut des Kubus wirkt wie eine Membran, die den Austausch von Kunst- und Naturschönem ermöglicht.

Vom Frühjahr bis zum Spätsommer spannte die von Dieter E. Fränzel kuratierte Musikreihe mit insgesamt neun Konzerten einen musikalisch weiten Bogen von Jazz über Improvisierte bis hin zur Weltmusik. Den Auftakt bildete das Konzert des New Yorker Avantgarde Saxofonisten Rob Brown. Ekstatisch und kompromisslos energetisch lotete er im Zusammenspiel mit dem Cellisten Daniel Levin die klanglichen Spektren ihrer Instrumente bis an den jeweils äußersten Rand aus. Mit Saadet Türköz, Conny Bauer und Martin Schütz begegneten einander drei herausragende artistische Musiker – und dennoch bot ihr Konzert mit dem treffenden Titel „Song Dreaming“ weit mehr als Instrumentalakrobatik, sondern war getragen von der Magie des Gesangs Saadet Öztürks, die Weisen aus ihrer Heimat Kasach-

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Marilyn Mazur stan sowie traditionelle Gesänge aus Armenien und der Türkei in freie Improvisation transponierte und zugleich in musikalische Poesie verwandelte. Artistisch und – im Wortsinne – atemberaubend waren die Soli des Posaunisten Conny Bauer, die sicherlich in den Grenzbereich des technisch Machbaren führten. So wie Saadet Türköz waren auch die Pianistin Irène Schweizer und der Perkussionist Pierre Favre musikalische Wegbegleiter des viel zu früh verstorbenen Wuppertaler Wegbereiters des Free Jazz Peter Kowald. 1968 gründeten Favre und Schweizer gemeinsam mit Peter Kowald und dem englischen Saxophonisten Evan Parker ein Quartett. Ihrem gemeinsamen Freund Kowald widmeten die beiden Protagonisten der Freien Improvisierten Musik ihr Konzert. „Man muss nur lang genug das Gleiche machen“, sagte Pierre Favre schmunzelnd angesichts des lang anhaltenden und begeisterten Applaus’. In den späten 60er Jahren

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war diese Musik noch auf Unverständnis und zum Teil auf offene Ablehnung gestoßen. Doch es war sicherlich nicht nur der lange Atem, sondern auch die herausragende musikalische Qualität der beiden Musiker, die sie und ihre Art der Musik erfolgreich machten; im Skulpturenpark beeindruckte insbesondere, wie sich der Dialog der beiden zu einer rhythmischen Strömung von hoher Dichter und Energie vereinigte.

klassisch stringenter Klangarchitektur und improvisatorischer Fantasie, in der Geist und Swing des Originals zuweilen noch nachschwingt. Äußerst fein gewoben waren auch die Arrangements einer der zurzeit wohl interessantesten und innovativsten deutschen Jazzformationen. Das Nils Wogram Septet schaffte einen gewaltigen Spagat zwischen zum Teil mit feiner Ironie formulierten musikalischen Kopfgeburten und wilden Bebop-Explosionen.

Auf den Spuren John McLaughins und Joe Zawinuls, die Anfang der 1970er Jahre die Fusion von Jazz und Rock vorantrieben und damit unzählige Crossover-Projekte initiierten, wandelte das „Radio.String.Quartett.Vienna“. Das Streichquartett – allesamt klassisch ausgebildete Musiker – arrangiert Kompositionen der Jazzrock-Veteranen so, dass sie wie kammermusikalische Ausflüge in die Neue Musik klingen: eine zum Teil frappierende Balance zwischen

Ein Hauch des großen alten Jazz durchwehte den Skulpturenpark beim Auftritt des Open Air-Konzerts der großen Perkussionistin Marylin Mazur, bekannt durch ihre Zusammenarbeit mit Giganten des Jazz wie Miles Davis, Gil Evans, Wayne Shorter und Jan Gabarek. In ihrem Konzert mit ihrer derzeitigen Formation „Marylin Mazur’s Group“ entführte sie die Zuhörer in ihren „Celestial Circle“ und übersetzte die Rhythmen der Natur – Schmetterlings-


schlag und Vogelflug – in Perkussion und Jazz. Rhythmisch komplex, filigran und energiegeladen zugleich, setzte Mazur Drumset und Schlagwerk nicht nur perkussiv, sondern auch melodiös ein, ein wunderschöner Herzschlag, der die Gruppe zu einem im besten Sinne einfachen und zu Herzen gehenden musikalischen Ausdruck trieb. Marylin Mazurs Spiel wirkte zugleich hoch artistisch und tief inspiriert. Ein absoluter Höhepunkt war der zu Recht sowohl von Publikum und Kritik gefeierte Auftritt des kubanischen Tastenmagiers Omar Sosa, der tags zuvor in Dresden mit dem „Echo Jazz“ für seine gemeinsam mit der NDR Bigband eingespielte CD „Ceremony“ ausgezeichnet worden war. Im Skulpturenpark präsentierte er mit seinem Quintett „Afreecanos“ eine magische musikalische Mixtur, zusammengebraut aus afrokubanischer Musik und World Musik. Ein das Publikum immer wieder in Erstaunen versetzendes, mitreißendes instrumentales und vokales Geflecht, in denen die Klangwelten Kubas, New Yorks, des Senegals und Mozambiks aufstrahlten. Selten hat der Rezensent „Round Midnight“ schöner und „jetziger“ gehört. Der senegalesische Sänger Mola Sylla intonierte im Falsett die Melodielinie des Standards im Duett mit

dem Saxofonisten Leando Saint-Hill sanft und zu Herzen gehend, getragen von wenigen und sparsam gesetzten Akkorden Omar Sosas, der das Entscheidende aussparte und gerade so innerlich hörbar machte. Große Kunst. Nach einem Ausflug mit dem englischen Portico Quartett in einen ebenso poppigen wie exotisch angehauchten „Post Jazz“ fand Klangart einen überaus würdigen Abschluss mit dem Auftritt der Fado-Sängerin Cristina Branco. Von allen Sängerinnen, die auf den Spuren des portugiesischen Blues wandeln, erinnert ihre Stimme am stärksten an die der 1999 verstorbenen ungekrönten Königin des Fado, an Amália Rodriguez, die Melancholie und durchbrechende Lebensfreude so unnachahmlich miteinander verbinden konnte. Branco knüpft an diese Fado-Tradition an, entwickelt aber das musikalische Erbe ihres Heimatlandes behutsam weiter, indem sie ihn mit Elementen des Bossa Nova und des Tangos kombiniert. Die Sängerin beeindruckte das Publikum nicht nur mit ihrem Gesang, sondern auch durch ihren ganz eigenen Charme, mit dem sie die Zuhörer (und hier darf man wohl auch sagen: Zuschauer) in den Bann zog.

Omar Sosa

Cristina Branco

Heiner Bontrup Fotos: Karl-Heinz Krauskopf

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Eine verlockende Lektüre Das Tor zur Welt Die Fluxus-Bewegung in der Rückschau

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»Ich denke, hier ist Happening, da kann man machen, was man will«, meinte ein Gast, den man höflich aus der Galerie führte. Er hatte Happening verwechselt mit einer willkommenen Gelegenheit, bei der man alles kurz und klein schlagen kann. Die Happeningbewegung entwickelte sich in New York in Opposition zur akademisch erstarrten Attitüde des »Informel«. Die jungen Künstler hassten »malerische Qualität« und »edle Lichtführung«. Sie entdeckten stattdessen die Ästhetik der Autofriedhöfe, der Schrotthalden und der Slums. Sie stellten das hergebrachte Schöne in Frage und die gewohnten Normen auf den Kopf. Ihre Kunst war nicht mehr das, was sie sein sollte, nämlich »schön«, sondern schockierend, obszön, grausam, politisch, langweilig, aggressiv und immer interessant. Die Happeningkunst erweiterte das Bewusstsein eines jeden, der sich auf sie einließ. Auch in der unerwarteten Entwicklung der Musik war sie ein eye-opener. Dazu ein Beispiel: Der Ungar György Ligeti sagte ein Konzert von acht Minuten Dauer an. Das geladene Publikum saß gespannt, als er sich an den Flügel setzte. Doch statt zu spielen, blieb er unbeweglich sitzen. Die Leute fingen an zu tuscheln, zu kichern, zu krähen, zu scharren und zu pfeifen. Schließlich wurde wütend geschimpft, und die Türen knallten. Pünktlich nach acht Minuten war das Konzert beendet. Die Musik hatte nicht Ligeti gemacht – sondern das Publikum. Bazon Brock forderte 1962 den berühmten Zoodirektor Grzimek auf, ihn gleich den anderen Primaten auszustellen (Säugetier, aufrecht …). Bedingung war: Gute Behandlung, dreimal täglich Futter, Unrat ’raus, Schreibmaschine/Papier und zehn Zigaretten. Der Professor, dem der Sinn dieser Aktion verborgen blieb, lehnte ab. Wuppertal wurde durch Rolf Jährling ein wichtiger Platz für Happenings. Angetan mit einer elenden Jacke, auf deren Rücken in fetten Lettern »PRISONER OF WAR« gedruckt stand, strandete er 1945 in Wuppertal. Er war Architekt und fand zunächst bei seinem großen Kollegen Heinz Rasch Arbeit und in den Trümmern von Elberfeld ein armseliges Zimmer. Schnell lernte er Freunde, Autoren, Tänzer und Schauspieler kennen, und sein Zimmer wurde zum Ort heißer Diskussionen, Lesungen und bald auch Ausstellungen. Aus dieser ungezwungenen Situation heraus ergab sich nach und

nach eine nebenberufliche Galerietätigkeit, und Jährlings unsterbliches Verdienst war es, dass er als erster Galerist in Deutschand junge ausländische Künstler einlud, um hier ihre Werke vorzustellen – in der Galerie Parnass. Man kann sich heute unseren Hunger nach internationaler Kunst gar nicht mehr vorstellen. Der erste Künstler war 1950 der Amerikaner Todd Webb, Shinkichi Tajiri 1951 der nächste, 1952 folgte mit Alexander Calder ein Höhepunkt. Die Galerie Parnass war das Tor zur Welt für uns, allerdings für die Mehrzahl der Kritiker ein Ort des Schreckens. Jährling kam mit der Happening-Bewegung 1957 in Köln mit Karlheinz Stockhausen in Berührung. Er lernte den jungen Koreaner Nam June Paik kennen, der gerade bei Wolfgang Fortner sein Musikstudium beendet hatte. Die Examensarbeit hatte er in ein Happening umfunktioniert: Vier Stunden saß er meditierend vor seinen Heften, dann stand er auf, klatschte ein rohes Ei an die Wand, gab die leeren Blätter ab und war durchgefallen. Der deutsch/französische homme de lettre, Jean-Pierre Wilhelm, schrieb über Paik: » … er befreit die Musik von jeder Systematik, er gibt uns den reinen Klang; dazu gehört auch das Scheppern von leeren Blechdosen auf Asphalt.« Paik sagte in den frühen 60er Jahren voraus, dass Künstler sehr bald »mit Transistoren, Kondensatoren und mit Laser arbeiten werden, wie heute mit Pinsel und Violine.« Jährling erkannte Paiks Qualität und lud ihn zu einer Schau, die 1963 stattfand und für die er ein Jahr Vorbereitung brauchte. Die Firma Ibach spendierte ihm damals zwei alte Klaviere, die er total umbaute. Eines dieser Instrumente heißt »Klavier Intégral«, es steht heute im Museum für Moderne Kunst in Wien. Auf das andere Klavier musste Joseph Beuys während der Eröffnung der Schau mit einem Hammer einschlagen. Das Publikum war entsetzt und wollte ihn daran hindern, bis man merkte, dass diese Zerstörung Teil des Konzeptes war. Die Ausstellung hieß »Exposition of Music-Electronic Television«. Paik hatte Jährlings großes Haus mit Objekten vollgestopft, in der Badewanne von Jährlings Mutter lag zum Beispiel eine grausig zugerichtete Schaufensterpuppe unter Wasser, die Beine mit hochhackigen Schuhen ragten heraus. Vor der Haustür hing ein blutiger Kuhkopf, und ein Journa-


list schrieb: »Gründlich schockiert der Koreaner N. J. Paik die Gäste der exzentrischen ›Galerie Parnass‹ schon am Eingang mit einem bluttriefenden Stierschädel, an dem vorbei man sich ins Innere der Gruselhöhle winden muss. Kommt man später heraus, wirkt er schon vertraut.« Auch war von »Kunstterrorismus« die Rede, sogar die Polizei wurde bemüht. Für Paik jedoch wurde die Schau zum internationalen Durchbruch. Seine Arbeiten finden sich in allen bedeutenden Museen der Welt. Die Schau stand – wie üblich – vier Wochen. In dem Durcheinander empfing Jährling ungerührt seine Bauherren, und die Angestellten saßen wie immer an ihren Tischen. Im selben Jahr folgte Wolf Vostells berühmtestes Happening. Er hatte diese Kunstrichtung in New York kennen gelernt und wurde zu einem ihrer einfallsreichsten Vertreter. Die geplanten Aktionen für »9 Nein-Décoll/agen« waren sehr schwer zu realisieren, denn sie fanden an sieben verschiedenen Orten statt und mussten mit diversen Behörden abgestimmt werden. Der große Konvoi (Akteure und Gäste) wurde von der Polizei durch die Stadt begleitet. Der Präsident der Bundesbahndirektion erteilte die Erlaubnis, dass zwei Lokomotiven auf dem Rangierbahnhof in Vohwinkel einen quer zum Gleis stehenden Mercedes zerquetschen durften. Und in der Abenddämmerung kletterten wir in Küllenhahn einen Steinbruch herunter und erschraken tief, als mit ohrenbetäubendem Knall ein im Fels postierter Fernseher zerschossen wurde. Später wurden wir in einer düsteren Fabrik hinter Gitter gesperrt, während Wachhunde aufgeregt durch die Gänge hechelten. Ungewohnte und makabre Erlebnisse schüttelten unsere Gemüter durcheinander. Einige waren auch sehr komisch: In einem Gartenhäuschen wurde die (vielgehasste) bild-Zeitung mit Pfeffer und Parfüm gewürzt, im Starmixer gerührt, und der Akteur versuchte den grauen Brei zu essen. Vor genau 30 Jahren fand dann das wohl berühmteste europäische Happening statt: »24 Stunden«. In die Galerie Parnass hatte Jährling geladen: Joseph Beuys, Bazon Brock, Eckart Rahn, Nam June Paik mit Charlotte Moorman, Tomas Schmit und Wolf Vostell als Akteure. »24 Stunden« ging in die Kunstgeschichte ein und ist nach wie vor Gegenstand von Studien und Publikationen.

Man muss sich hüten, Happening mit Chaos und spontaner Zerstörungswut zu assoziieren. Wenn etwas zerstört wird, so ist es geplant. So gaben wir für »24 Stunden« einen alten Staubsauger her. Unerwartet kam er später nicht nur zurück, er war sogar repariert! Jeder der sechs Akteure hatte einen eigenen Raum, das Publikum wanderte hin und her oder setzte sich auf den Boden und sah zu. Vostell hatte im Gartensaal hohe Gestelle bis unter die Decke gebaut, in denen junge Leute eingepfercht lagen. Er selbst hantierte auf dem Boden liegend mit ekelhaften Fleischbrocken – zusammen ergab dies die Simulation einer KZ-Situation. Bazon Brocks Aktion hieß »Spuren des Lebens«. Aus Alltagsgegenständen der Familie Jährling schuf er ein Environment, an der Wand schrieb ein unsichtbares Gerät während der 24 Stunden einen Satz. Brock selbst saß auf Jährlings Schreibtisch und plauderte angeregt mit den Besuchern, falls er nicht zufällig auf dem Kopf stand. Beuys hockte auf einem unbequemen Kasten, umgeben von Knochen, Drähten, einem Notenständer, einer Brottrommel voll Fett – lauter Dingen, mit denen er arbeitete. Auffallend war ein giftgrüner Hase aus Puddingpulver. Tags zuvor musste seine Eva den Pudding kochen. Beuys wurde kribbelig, weil er nicht fest werden wollte. Schließlich rief er wütend, was damals ganz ungehörig war: »Oetker ist Scheiße!« Seine Aktion hieß: » … und in uns … unter uns … landunter, 24 Stunden.« Das Publikum drängte sich um ihn und verfolgte seine Handlungen – auch eine unserer Töchter, die sich »wegen Grippe« in der Schule abgemeldet hatte. Leider entdeckte ihr Lehrer sie im Regionalfernsehen … Paik hatte sich in der Diele der Villa eingerichtet. Er arbeitete zusammen mit der amerikanischen Cellistin Charlotte Moorman, die zwei Jahre vorher in New York das Annual Festival der Avantgarde gegründet hatte. Die Instrumente, die Paik zum Musizieren benötigte, lagen um das Klavier verstreut: Stacheldraht, Löffel, Sirenen, Papiere, ein altes Kofferradio, ein Küchensieb, Dosen, enorme Büstenhalter, ein gerupftes Huhn und andere Gegenstände. Das Happening dauerte von 0 Uhr bis 24 Uhr; die ganze Zeit durchwacht hat vermutlich nur Beuys. Eventuell noch die junge

Wuppertaler Fotografin Ute Klophaus, für die das Ereignis zum Beginn einer einzigartigen Karriere wurde: Sie heftete sich an die Fersen von Beuys und dokumentierte fortan jede seiner europäischen Ausstellungen, Installationen und Aktionen. Für die Galerie Parnass bedeutete das aufregende Ereignis zugleich das Ende. Büro, Galerie und Wohnung wurden aufgelöst und das Haus verschlossen. Jährling ging nach Afrika, Wuppertal hatte einen Glanzpunkt verloren! Die einst brisante, geschmähte und verhöhnte Kunstform interpretiert man heute gelassen und erkennt die fruchtbaren Spuren, die sie in Musik, Literatur, in Theater, Kino und Tanz hinterlassen hat. Wir in Wuppertal brauchen nur an Pina Bausch zu denken. Vor 30 Jahren war jedes Happening noch Anstoß zu wütenden Diskussionen. Ein Journalist brachte die Stimmung auf den Punkt mit dem Ausruf: »Den Unfug sollte man verbieten!« Textauszug mit freundlicher Genehmigung TOP Magazin

Stella Baum Kunst ist unwiderstehlich Feuilletons

NordPark

Stella Baum Kunst ist unwiderstehlich Feuilletons Herausgegeben von Marlene Baum und Donat de Chapeaurouge November 2011, Euro 15,00 [D] Englische Broschur, 188 S. Nordpark Verlag ISBN: 978-3-935421-76-8

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die Baums eine avantgardistische Kunstsammlung aufzubauen, wozu selbstverständlich Kontakte zu Künstlern, Galeristen, Museen und Sammlern gehörten. Von 1970 bis 1979 war Stella Baum im Vorstand des Kunst und Museumsvereins Wuppertal. 1976 und 1980 publizierte sie die Bücher »Der verborgene Tod. Auskünfte über ein Tabu« und »Plötzlich und unerwartet. Todesanzeigen«. In der Folgezeit schrieb sie regelmäßig für das Frankfurter Allgemeine Magazin und andere Zeitschriften. 1976 wurden Stella und Gustav Adolf Baum zu den ersten Ehrenbürgern der neu gegründeten Bergischen Universität in Wuppertal ernannt. Stella Baum starb 2006. Stella Baum, 1921 in Porz bei Köln geboren, ist in Köln und Wuppertal aufgewachsen. Nach dem Abitur arbeitete sie im Forschungslabor von Gerhard Domagk bei I. G. Farben. 1944 heiratete sie Gustav Adolf Baum, das Ehepaar hatte vier Kinder. In den 50er Jahren begannen

Stella Baum – eine Frau voll Witz und Ironie und einem beneidenswerten Schreibtalent, das sie erst in fortgeschrittenem Alter nutzte. Dann aber gleich für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, den SPIEGEL, EMMA und den Fischer Verlag.

TANZTRÄUME Jugendliche tanzen „Kontakthof“ von Pina Bausch. Das Buch zum Film von Anne Linsel und Ulli Weiss Verlag HP Nacke Wuppertal, 2011 120 Seiten, 23 x 17 cm, Softcover ISBN 978-3942043-81-6, 19,80 Euro Verlag HP Nacke KG - Friedrich-Engels-Allee 122 42285 Wuppertal - Telefon 0202 - 28 10 40 verlag@hpnackekg.de

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Mit Neugierde schaute sie in die Nischen der Gesellschaft, hinterfragte Tabuisiertes und Ungewöhnliches, schrieb über Tod und Prostitution. Entscheidend waren die Begegnungen mit der zeitgenössischen Kunst, die Freundschaft mit Künstlern der Avantgarde, ihren Galeristen und Museumsleitern. Stella und Gustav Adolf Baum förderten Künstler wie Joseph Beuys und Klaus Rinke – nicht nur durch Ankäufe –, als deren Werke noch weitgehend unbekannt waren. Der Kauf von Kunst war Stella Baum wichtiger als der Erwerb einer ersten Waschmaschine. Die Erlebnisse mit Künstlern und Galeristen sind höchst amüsant zu lesen. Sie vermitteln einen lebendigen Blick auf die Zeit der sechziger und siebziger Jahre, als die deutsche Kunstavantgarde, sowohl die heutigen »Großmeister« als auch ihre Galeristen, laufen lernte.


Mäzen, Unternehmer, Politiker Annäherungen an ein Porträt von Eberhard Robke

An Fabrikanten, die sich für Kunst interessieren, an Politiker, die in die Wirtschaft gehen, oder an Kultur-Politiker ist man gewöhnt. Warum soll ein Mensch nur eindimensional gestrickt sein? Aber jemanden zu finden, der sein Leben lang, wenn auch mit unterschiedlichen Gewichtungen, ein erfolgreicher Unternehmer, ein geachteter Kunstmäzen und ein homo politicus war und ist, geschieht nicht alle Tage. Ein Wuppertaler, der sich in der Welt auskennt und immer wieder in die Heimatstadt zurückgekehrt ist: Eberhard Robke wurde am 25. November 1936 in Wichlinghausen geboren und lebt heute am Katernberg. Sein Vater, der als Kriegsgefangener 1945 auf einem Transport in die UdSSR verhungerte, besaß ein Malergeschäft. 1957 starb die Mutter. Eberhard Robke geht, familiär bedingt, mit der Mittleren Reife vom Gymnasium ab, studiert aber berufsbegleitend Volks-

und Betriebswirtschaft an einer Wuppertaler Akademie. „Berufsbegleitend“ heißt in diesem Fall, dass er 1958 bis 1960 als rechte Hand und Prokurist von Johannes Rau tätig war, dem damaligen Geschäftsführer des Jugenddienst- (und heutigen Peter-Hammer-) Verlages. Mit dem befreundeten „Bruder Johannes“ kreuzen sich noch oft die Wege: Robke ist Raus Nachfolger als Jungsozialistenchef, beide gingen in die damalige Gesamtdeutsche Volkspartei und erhielten am selben Tag, dem 1. Juni 1957, vom SPD-Ortsverein Wichlinghausen ihr Parteibuch überreicht, Rau war sein Trauzeuge, der Altbundespräsident besucht 2002 das von Robke nach der Wende übernommene und konsolidierte Glaswerk Ernstthal. Aber wir greifen vor. Gemeinsam mit Dr. Willfried Penner kommt Robke 1969 in den Rat der Stadt, dem er 15 Jahre angehören wird, davon 1982 bis 1984 in herausgehobener

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Funktion als Vorsitzender der SPDFraktion. Drei Jahrzehnte, von 1964 an, besitzt er im Kulturausschuss des Rates Sitz und Stimme. Beim Amtsverzicht von Oberbürgermeister Gottfried Gurland 1984 trägt ihm die SPD dessen Nachfolge an, doch Robke, zu sehr eingespannt in den Verpackungsbetrieb Pohli, sagt ab. Irgendwann Mitte der 1960er Jahre – Rau strebte ja ebenfalls nach Höherem – war Robke der Verlag, bei dem er Persönlichkeiten wie Helmut Thielecke, Hermann Ehlers, Gustav Heinemann und Adolf Scheu kennenlernte, „zu klein“ geworden. Erfolgreich und ausgewählt unter 40 Bewerbern, trat er 1963 bei dem Verpackungsgroßhändler Pohli ein. „Seniorpartner sucht Nachfolger“ stand über der in der FAZ, der „Welt“ und dem „Generalanzeiger“ geschalteten Anzeige. Der neue Mitgesellschafter bewies eine glückliche Hand: Betrug der Umsatz 1966 rund 2,7 Millionen DM, beläuft er sich heute auf 136 Millionen Euro. 1981 lässt sich Robke bei Pohli als alleiniger Geschäftsführer in die Pflicht nehmen, als der Seniorpartner verstirbt. Das Unternehmen wächst und wächst. Dann die Wende. Hat er bisher nur mit Glasflaschen gehandelt, steigt er nun in deren Produktion ein und übernimmt 1993 den in die roten Zahlen gewirtschafteten Volkseigenen Betrieb (VEB) Glaswerk Ernstthal in der gleichnamigen thüringischen Gemeinde. Es wird eine Erfolgsstory für Robke, seine Tochter Bettina, die am Aufbau des Unternehmens von Anfang an beteiligt ist, die Belegschaft und die ganze Region. Als glücklich erweist sich auch Robkes Engagement für den Kunst- und Museumsverein, den er 21 Jahre geleitet hat. Zu seiner Verabschiedung am 22. August 2009 fanden Oberbürgermeister Peter Jung, der Direktor des Von-der-HeydtMuseums, Dr. Gerhard Finckh, und der Nachfolger im Amt des KMV-Vorsitzenden, Dr. Joachim Schmidt-Hermesdorf, lobende Worte für den Kunstkenner. Auf dem Cover der Einladungskarte sieht man Eberhard Robke vor dem Gemälde

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„Harlekin“ von Alfred Leithäuser, einem Künstler, der, 1898 in Barmen geboren, in München lebte und arbeitete, 1978 den Von-der-Heydt-Preis der Stadt Wuppertal erhielt, bevor er ein Jahr später starb. Bereits Robkes Eltern – die Mutter war weitläufig mit dem Maler verwandt – besaßen einen Leithäuser. Mittlerweile hat die Renate und Eberhard Robke Stiftung eine ganze Reihe von Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen dem Museum oder dem Kunstverein übereignet, zuletzt noch, in der (Kunst-) Öffentlichkeit stark beachtet, Arbeiten er Georgierin Tamara K. E. und des Dänen Per Kirkeby. Der Geschichten sind viele. Wie diejenige, in der die hochbetagte Inge Erbslöh, Tochter von Adolf Erbslöh, dem Vonder-Heydt-Museum rund 200 Grafiken des Meisters schenken wollte. Also machen sich die damalige Direktorin Sabine Fehlemann und der seinerzeitige KMV-Vorsitzende Robke aus Wuppertal beziehungsweise aus Italien auf den Weg nach München. Wir schreiben das Jahr 1997. Eberhard Robke kann lebhaft schildern, wie nervös die Museumschefin wurde und darauf bestand, „dass wir die Mappen gleich mitnehmen“. In der

bayerischen Landeshauptstadt wurden dann zwei Koffer erstanden, die groß genug waren, die wertvollen Grafiken aufzunehmen, und ab ging es im Flieger nach Düsseldorf. Sicherlich ist Eberhard Robkes Leben in den letzten Jahren ruhiger und beschaulicher geworden. Manchen Abend sitzen Waltraud und Eberhard Robke im Wohnzimmer und lesen sich abwechselnd Romane und Abhandlungen vor – zur Zeit von Giuseppe Tomasi di Lampedusa bis Heinrich Heine. Seit 2007 ist er zum zweiten Mal verheiratet, nachdem zwei Jahre zuvor seine erste Frau verstorben war. Aber noch heute lässt er sich werktäglich die Umsatz- und weitere Zahlen von Pohli und der Glashütte auf seien iPad spielen, verfolgt die Politik in Wuppertal und darüber hinaus über die Lektüre von Zeitungen und Zeitschriften, lässt sich, so er sich zu Hause aufhält, keine größere Vernissage in seiner Heimatstadt entgehen. Man kennt ihn: im Rathaus, im SPD-Ortsverein, als Unternehmer und als Mäzen. Bleib uns noch lange erhalten, Eberhard.

Matthias Dohmen


Neue Kunstbücher Ein Thema, knapp gefasst Vorgestellt von Thomas Hirsch Manche Kunstbücher haben etwas ausgesprochen Pragmatisches, das sich fast konträr zur Erwartung des Bilderreichen, fein Gestalteten gerade in diesem publizistischen Genre verhält. Die Bilder sind dann eher als Teil des Ganzen reproduziert und die Grenze zwischen Feuilleton und Wissenschaft ist mitunter schwer zu ziehen. Dem Metier des Kunstbuches hat nur bedingt gut getan, dass die Grafiker eine solche Macht über ihren Look gewonnen haben und die Museumsleute und Kunsthistoriker wohl bereitwillig ihre Begeisterung für das Einzelbild aus der Hand gegeben haben. Das scheint auch dem Katalogbuch „Gesamtkunstwerk Expressionismus“, erschienen bei Hatje Cantz anlässlich einer Ausstellung auf der Mathildenhöhe Darmstadt, zugrunde zu liegen. Aber hier basiert die Integration der Bildenden Kunst in den Text- und den grafischen Korpus auf einer profunden inhaltlichen Idee. Vorgestellt wird die Epoche des Expressionismus in Deutschland mit allen ihren Gattungen, neben der Bildenden Kunst mit der Literatur, dem Theater, dem Film, dem Tanz und der Architektur, auch der Musik und dem Design. Eine Intention ist, die Wechselwirkungen und Parallelentwicklungen der Gattungen herauszuarbeiten. Als Maß dient die Zeitspanne von 1905 bis 1925, also die Zeit vor und zwischen den Kriegen, der wirtschaftlichen Zusammenbrüche und der glanzvollen Feste des großstädtischen Bürgertums zwischen Neuerfindung des

Gesamtkunstwerk Expressionismus, 512 S. mit 467 Abb., geb. mit Schutzumschlag, 31 x 25,6 cm, Hatje Cantz, 58,– Euro

Individuums und rauschhafter Erfahrung. Strukturiert wird das Buch durch 16 Textbeiträge, die sich auf einzelne Aspekte konzentrieren. Die Abbildungen aus den unterschiedlichen Genres verhalten sich als atmosphärischer Bilderbogen, integriert sind auch Beispiele der Literatur. Auch wenn die Artikel, die meisten von echten Spezialisten, gelungen sind und die Auswahl der Abbildungen hilfreich ist, so wirkt das Buch im ganzen doch leicht chaotisch. Bei aller Stringenz im komparativistischen Ansatz und der Hinwendung zum Lese-Buch: Vielleicht hätte man den Bildern mehr Raum lassen sollen: als Struktur, zur Beruhigung, zur visuellen Verdeutlichung, als Werke für sich... Demgegenüber zeichnet sich das Katalogbuch „Die Entdeckung des Menschen“ im Hirmer Verlag durch Gelassenheit und Großzügigkeit aus – auch wenn es selbst ebenfalls nur bedingt den Kunstwerken den hinreichenden Platz einräumt, diese vielmehr in den Text eingliedert. Als Abschiedsausstellung von Karl Schütz, dem bisherigen Direktors des Kunsthistorischen Museums Wien, konzipiert, widmet sie sich dem Porträt in der deutschen Kunst um 1500 mit den Meistern Lucas Cranach, Albrecht Dürer und Hans Holbein im Gravitationszentrum, um das herum weitere Künstler mit exzellenten Werken vorgestellt sind. Auch hier folgt der Ablauf einzelnen Texten; zu den Autoren gehören Stephan Kemperdick und Johannes Sander – also auf das Hochkarätige der Kunstwerke wird mit der Liste maßgeblicher Experten reagiert. Tatsächlich setzt das Buch an einem zentralen Thema der Kunstgeschichte an: an der Emanzipation der Kunst an der Schwelle von der Gotik zur Renaissance. Das Porträt erweist sich nun als wichtiges Genre; dargestellt sind nicht mehr ausschließlich biblische Szenen und kirchliche Persönlichkeiten, sondern auch die weltlichen Fürsten und reichen Patrizier als Auftraggeber sowie wissenschaftliche, gesellschaftliche Größen und (vor allem bei den Zeichnungen) das Bürgertum. Zum Ausdruck kommt das erstarkte Selbstbewusstsein des Bürgertums und die weitere Etablierung des Künstlers als autonomer Berufsstand. In diesen Kunstwerken nun ist der Mensch Individuum; festgehalten werden Wahrheit und Idealisierung, im Hinblick auf die spätere Erinnerung. Oder gesellschaftlicher Stand

Dürer – Cranach – Holbein, Das deutsche Porträt um 1500, 350 S. mit ca. 340 Farbabb., geb., Hardcover, 28,5 x 24,5 cm, Hirmer, 39,90 Euro wird vor Augen geführt; dann wieder zeigen die Künstler Schönheit und die Schönheit und Weisheit des Alters. Zwischen idealtypischer Stilisierung vor neutralem Grund und präzisem Realismus entfaltet sich um 1500 ein Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten. Das Buch zur Ausstellung trägt Züge einer Enzyklopädie, auch weil es sich nicht auf Malerei beschränkt, sondern Skulptur, Zeichnung, den Kupferstich und die Glyptik einbezieht – und mit einem Mal wird deutlich, was für einen Schatz an Kunst man hier, zusammengefasst zwischen zwei Buchdeckeln, vor sich hat. Ausgestellt waren die Meisterwerke – mit etwas unterschiedlicher Gewichtung – außer in Wien in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München 2011/12. Der Spagat zwischen ästhetischer Anschaulichkeit und Präzision der wissenschaftlichen, aber verständlichen Vermittlung gelingt nun im Buch. Aber sind es nicht vielleicht doch die Themenausstellungen heutiger Kunst, die sich ganz den schönen Dingen widmen können, bei denen Opulenz und grafische Finesse einen weiteren – inhaltlichen – Sinn machen könnten? Freilich sind die Ausstellungen selbst oft eine zweischneidige Sache. Auch Künstler, die eigentlich zu einem Thema wenig bis nichts zu sagen haben und dieses vielleicht nur mit einer Arbeit aufgreifen, werden zu einer derartigen Schau eingeladen. Und dies führt in der Folge

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dazu, dass wir bestimmte Künstler lediglich von Themenausstellungen zu sehr unterschiedlichen, manchmal auch schwammig formulierten Themen bzw. Fragestellungen kennen. Die Gefahr der Beliebigkeit ist also groß. Dem ist auch die Ausstellung „Weltraum. Die Kunst und ein Traum“ – gleichfalls zu einer Ausstellung in Wien, und zwar in der dortigen Kunsthalle – ausgesetzt. Aber im Katalog nimmt die zeitgenössische Kunst nur einen Teil der Darstellung ein. In der multimedial angelegten Ausstellung müssen sich die Arbeiten der Künstler von Michael Snow bis Mariko Mori und Björn Dahlem gut gemacht haben und die verschiedenen Aspekte zum Kontext zwischen Recherche und Einfühlung, Ironie und Utopie verdichtet haben. Zwar sind Charles & Ray Eames hier vertreten, aber die ZERO-Künstler oder, für die jüngere Kunst, Björn Melhus sind ausgelassen, vielleicht auch vergessen worden... Wichtig ist die Kontextualisierung im Katalog, der noch der Mythisierung der Astro- und Kosmonauten oder den Aspekten der Aufhebung der Schwerkraft nachgeht und eine Anthologie literarischer Texte bereithält. Der Clou aber ist die Gestaltung. Attraktiv im Goldumschlag mit dunkelblauer Schrift, entspricht das Buch instinktiv dem Themenbereich Weltraum und Raumfahrt. Und es gehört mit zu den schönsten Kunstbüchern des vergangenen Jahres.

Weltraum. Die Kunst und ein Traum, 320 S., üwg. farb. Abb., geb., Broschur mit Siebdruck, 25 x 20 cm, Verlag für Moderne Kunst, 40,- Euro

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Oceanomania: Souvenirs of Mysterious Seas. A Mark Dion Project, 192 S. mit farbigen Papieren und durchgehend Farb- und s/w-Abbildungen, geb., Hardcover mit Prägung, 30,4 x 22 cm, Mack, 50,- Euro Schöner ist (nur) „Oceanomania“ – schon im Titel dieses Buches steckt das ganze Programm zwischen Akkuratheit und der Besessenheit, die zur Durchsetzung nötig ist. Die Ausstellung, die im ozeanographischen Museum und dem Nationalmuseum in der Villa Paloma in Monte Carlo zu sehen war, und das Buch sind ein Kunstprojekt des Amerikaners Mark Dion, das nicht mit Reizen und Attraktionen geizt. Es verwebt Kulturgeschichte mit zeitgenössischer bildender Kunst, es stammt aus der Welt der Wunderkammern und Schatzkisten und ist doch eine Sache der Forschungslabore unserer Tage. Gewiss ist es fast eine Umkehrung von „Der Weltraum“ – nun geht es in die Tiefe und hier wird die Idee der Ästhetik weiter getrieben, auch hier wird Gold eingesetzt, als geprägte Schriftfarbe und als Goldschnitt. Mark Dion, der selbst zu den wichtigen Künstlern an der Schnittstelle von Naturwissenschaft und Transformation der Natur gehört, hat ein ernstes Anliegen thematisiert, die Ausbeutung der Meere und das Aussterben der Tierrassen. Schönheit und Zerstörung sind das zentrale Begriffspaar, vorgetragen von Künstlern wie Bernard Buffet, Matthew Barney und Katharina Fritsch und auch mit reichlich Referenztexten, leider alles nur auf englisch. Aber „Oceanomania“ ist fabelhaft. Es ist wahrscheinlich das schönste Buch des vergangenen Jahres.


Geschichtsbücher, Buchgeschichten Vorgestellt von Matthias Dohmen

1.300 Stichwörter auf rund 350 Seiten: „Das Politiklexikon“ von Klaus Schubert, Professor für Politikwissenschaft in Münster, und Martina Klein, Historikerin aus Datteln, informiert den politisch interessierten Bundesbürger kurz, knapp und präzise. Das Werk enthält Begriffe aus der aktuellen Politik, der jüngeren Geschichte und der Ideengeschichte. Leider fehlt ein Register, so dass man etwa den „kalten Krieg“ oder die Friedensbewegung vergeblich sucht und bei „verwandten“ Begriffen fündig werden muss. Eine gedrängte, nützliche Übersicht verschaffen die „Zeitleisten“ zur Geschichte Deutschlands „ab 1945“ beziehungsweise „ab 1949“ sowie zur europäischen Integration. Das arge Problem der Proportionen: Der FDP widmen die Autoren zwei Drittel des Raums, den die SPD einnimmt. Klaus Schubert/Martina Klein, Das Politiklexikon. Begriffe, Fakten, Zusammenhänge, Bonn: J. H. W. Dietz 5. erw. Aufl. 2011. 349 S., 19,90 Euro

Grandios: Ein Rahmenthema sowie Forschungsberichte und Sammelrezensionen vereinigt auch der 51. Band (2011) des „Archivs für Sozialgeschichte“ der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn. 21 Autoren beschäftigen sich mit dem Schwerpunkt „Säkularisierung und Neuformierung des Religiösen“. Der Bogen wird weit gespannt, sowohl thematisch als auch regional und oft vergleichend. So stehen Beiträge über die „katholische Welle der ‚Stunde Null‘“ im NachkriegsDeutschland, -Italien und -Frankreich und dem „Wandel des katholischen Friedensengagements in den USA und der Bundesrepublik“ neben Aufsätzen über „Kirchliche Präsenz in der Fabrik: Das Experiment der französischen Arbeiterpriester“ und der „kirchlichen Wahrnehmung ‚des Islam‘ seit den 1960er Jahren“. Bemerkenswert: die Sammelrezension zur deutschen Vereinigung aus den „Jubiläumsjahren“ 2009 und 2010 sowie der Forschungsbericht „Zur Geschichte des Hörens“. Archiv für Sozialgeschichte. Bd. 51 (2011), Bonn: J. H. W. Dietz 2011. 782 S., 68,00 Euro

Mitunter etwas umständlich und langatmig, aber dennoch verdienstvoll ist die feministisch inspirierte Arbeit der finnischen Autorin Katriina LehtoBleckert über Ulrike Meinhofs „Weg zur Terroristin“. Der Historikerin ging es darum zu zeigen, dass Meinhofs „Leben noch aus etwas anderem bestand als ‚nur‘ der Mitgliedschaft in der berühmt-berüchtigten RAF“ (S. 13). Die bisherige Wahrnehmung „einer intellektuellen Frau“ sei nicht zuletzt im Gefolge der immer wieder nachgebeteten Darstellung ihres Ex-Ehemannes Klaus Rainer Röhl zu sehr männlich geprägt. Über zehn Jahre hat sich Lehto-Bleckert mit Meinhof beschäftigt. Ihrem Anspruch, deren Leben nach entscheidenden Momenten wie dem Sprung aus dem Fenster (und in die Illegalität) 1970 aufzuarbeiten, wird sie nur eingeschränkt gerecht. Gleichwohl: So viel Ulrike Meinhof war noch nie. Katriina Lehto-Bleckert, Ulrike Meinhof 1934-1976. Ihr Weg zur Terroristin, Marburg: Tectum 2011 (= Wissenschaftliche Beiträge, Reihe Geschichtswissenschaft, Bd. 12). 714 S., 29,90 Euro

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Tanzträume Jugendliche tanzen „Kontakthof“ von Pina Bausch. Das Buch zum Film von Anne Linsel und Ulli Weiss.

TANZTRÄUME

TANZTRÄUME

JUGENDLICHE TANZEN

KONTAKTHOF VON

PINA BAUSCH DAS BUCH ZUM FILM VON ANNE LINSEL UND ULLI WEISS

VERLAG HP NACKE WUPPERTAL

Tanzträume Jugendliche tanzen „Kontakthof“ von Pina Bausch. Das Buch zum Film von Anne Linsel und Ulli Weiss Verlag HP Nacke Wuppertal, 2011 120 Seiten, 23 x 17 cm, Softcover ISBN 978-3942043-81-6, 19,80 Euro

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Ein Jahr nach seiner Premiere legt die Wuppertaler Kulturjournalistin Anne Linsel nun das Buch zu ihrem Film „Tanzträume. Jugendliche tanzen ‚Kontakthof’ von Pina Bausch“ mit Fotografien von Ulli Weiss vor. Zahlreichen Aufnahmen, die während der Proben entstanden, sind Originalzitate aller Beteiligten zur Seite gestellt. Zusammen mit Szenefotografien des von Jo Ann Endicott und Bénédicte Billiet einstudierten Stücks geben sie ein berührendes Zeugnis eines der letzten großen Projekte der 2009 verstorbenen Choreographin wieder. Im Zentrum der aufwendig gestalteten Dokumentation steht der Abdruck des letzten Interviews von Pina Bausch vor ihrem Tod. Ein Überblick über die wichtigsten Presse-Stimmen zur Filmpremiere während der Biennale im Jahr 2010 vermittelt die deutschlandweite Begeisterung von „Tanzträume“, die Festivalliste dokumentiert den großen weltweiten Erfolg des Films. „Etwas von sich selber zeigen, sich überwinden...“ Dieses Grundprinzip ihrer choreographischen Arbeit forderte Pina Bausch mit Gewinn auch von ihren jugendlichen Tänzern. Das 1978 uraufgeführte Stück über das stets prekäre Verhältnis zwischen Männern und Frauen wurde im Jahr 2000 M mit Laien, mit Damen und Herren ab 65 m JJahren einstudiert, bevor 2007 die Arbeit mit Schülerinnen und Schülern verschiedem ner Wuppertaler Schulen und Schulformen n bbegann. „Ihr müsst Ihr selbst bleiben, mit aall den Qualitäten und Raffinessen, die ein Mensch hat,“ ermutigte die Choreographin M ddie über 40 Jugendlichen aus Wuppertal, iihre Ängste zu überwinden, etwas auszuprobbieren und das Stück zu ihrem eigenen zu machen. Am Ende der Proben war aus den m JJugendlichen - teilweise mit Migrationshinttergrund -, die sich vorher kaum kannten, – eine feste freundschaftlich verbundene Gemeinschaft geworden. G Pina Bausch kam 1973 auf Bitten ddes damaligen Generallintendanten der Wuppertaler Bühnen nach Wuppertal. Von W Beginn an begleitete Anne Linsel die Arbeit B Pina Bauschs journalistisch; „Kontakthof“ war immer eines ihrer Lieblingsstücke. Das Vertrauen, das in der langjährigen Zusammenarbeit gewachsen war, bildete die Basis für die äußerst sensible filmische Begleitung der Proben zu „Kontakthof“. Zusammen mit Kameramann Rainer Hoffmann hatte Anne Linsel ein Jahr lang


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Flutra Ajvazi, Kira Clemens, Philipp Danisch, Timo Dieckmann, David Erler, Maria Färber, Margarita Fast, Anastasia Friesen, Marvin George, Soeren Keup, Jonas Kieran Kosmoll, Lydia Kumi, Jan Lade, Kim Christin Lörken, Katja Manke, Safet Mistele, Jaqueline Palilla, Lennard Pfennig, Jonas Quatuor, Mona Remfort, Ramona Rexfort, Alexandros Sarakasidis, Katharina Schüller, Andy Sichui, Björn Tappert, Joy Wonnenberg

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exklusiv die Arbeit der Jugendlichen begleitet. Den großen Erfolg der Premiere von „Tanzträume“ erlebte Pina Bausch indes nicht mehr. Die überwiegend farbigen Fotografien von Ulli Weiss spiegeln nicht minder eindrucksvoll die Intensität der Arbeit mit den Jugendlichen wider. Nahaufnahmen der Tanzfiguren sprechen von aufbrechenden Gefühlen; Porträtstudien der konzentrierten Gesichter wechseln mit Ansichten des Ensembles. In ihnen entfaltet sich der große Spielraum zwischen zarter Erotik und kindlicher Verspieltheit, Anmut und Gewalt, Angst und Vitalität, den die jungen Protagonisten überzeugend auszuloten wissen. Nicht zuletzt zeigt die Dokumentation der Inszenierung, wie „Nähe und sogar körperliche Berührungen unter Schülern und zwischen Schülern und Lehrern“, die „fühlbare, einfühlsame Zuneigung [...] ohne jede Zudringlichkeit, Überwältigung oder gar Machtmissbrauch“ (Peter von Becker) möglich sind und trägt damit nicht unerheblich zu einer aktuellen Debatte bei. Anne Linsel lebt in ihrer Geburtstadt Wuppertal. Nach dem Studium der Kunst und Kunstgeschichte arbeitet sie bis heute regelmäßig für den Hörfunk. Sie war für „Die Zeit“ und die „Süddeutsche Zeitung“ tätig und moderierte von 1984-1989 das Magazin „aspekte“ im ZDF. Sie drehte über 20 Dokumentarfilme für WDR, ARD,

ZDF und ARTE. Anne Linsel ist Mitglied des P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland und Gründungsmitglied der Kulturpolitischen Gesellschaft. Sie war Mitglied in diversen Literaturjurys u. a. des Kultusministeriums NRW – Förderpreis NRW Literatur, Künstlerdorf Schöppingen, Ernst-Meister-Lyrikpreis Hagen, NellySachs- Preis Dortmund. 2007 erhielt sie den Preis der Enno-und-Christa-Springmann-Stiftung. Ulli Weiss ist in Bonn geboren und im Rheinland aufgewachsen. Von 1961-1969 hat sie als Angestellte der Deutschen Lufthansa in Bonn und München gearbeitet. 1970 wurde sie Assistentin von Otto Steinert, bei dem sie von 1971-1976 an der Folkwangschule für Gestaltung EssenWerden Fotografie studierte. Ihr Examen machte Weiss über Freie Theater-Ensemble in Europa. Sie zog nach Berlin, wo sie als freiberufliche Fotografin und Bildjournalistin arbeitete. Im Herbst 1976 holte Pina Bausch sie erstmals für Aufnahmen ihres Tanzabends „Die sieben Todsünden“ zum Tanztheater Wuppertal. Seitdem vielfältige kontinuierliche Zusammenarbeit im Bereich Fotografie und Publikationen. 2010 erhielt sie den Enno-und-ChristaSpringmann-Preis. Fotos: Ulli Weiss


Kulturnotizen Wuppertaler Autoren bilden auch im Frühjahr/Sommersemester 2012 einen Schwerpunkt im Programmangebot der Friedrich-Spee-Akademie (FSA) Wuppertal. Das Gesamtprogramm wird wiederum im Arcadia-Hotel neben der Historischen Stadthalle und zwar am 11. März, 16 Uhr, vorgestellt. Den Anfang macht am Dienstag, 20. März, 16 Uhr, Hans Werner Otto. Seine Lesung findet, wie auch alle weiteren, im Kaminzimmer der Mundus- Seniorenresidenz am Laurentius- Platz statt. Es folgt am 10. April, ebenfalls ein Dienstag, am gleichen Ort zur gleichen Zeit Christiane Gibiec, die mit ihrem Krimi „Türkischrot“, der im 19. Jahrhundert in Barmen spielt, seit Anfang 2008 Furore macht. Dritter im Bunde der heimischen Autoren, die im Rahmen der FSA-Reihe zur Lesung eingeladen wurden, ist am 8. Mai der 1956 in Köln geborene Ulrich Land, der in Hattingen lebt. Schließlich kommt am 12. Juni Falk Andreas Funke in der Mundus- Seniorenresidenz zu Wort. Die Lesenachmittage, deren Besuch wie alle FSA-Veranstaltungen kostenlos ist, sind im laufenden Frühjahr-/Sommersemester am zweiten Dienstag in den Monaten März bis Juni 2012, jeweils um 16 Uhr. Im abgelaufenen zweiten Halbjahr 2011 lasen auf Einladung der FSA und auf Anregung des Verbands Wuppertaler Schriftsteller bereits Karl-Otto Mühl, Safeta Obhodjas, Michael Zeller und Hermann Schulz. Ein weiterer literarischer Höhepunkt im FSA- Frühjahrsprogramm 2012 ist am Donnerstag, 10. Mai, 16 Uhr, ebenfalls in der Mundus- Seniorenresidenz, ein Kamingespräch zwischen dem Vorsitzenden der FSA, Jochen Zoerner-Erb und Marlene Baum. Dabei geht es um das von Marlene Baum mitherausgegebene Buch „Kunst ist unwiderstehlich“ ihrer Mutter Stella Baum. Texte aus diesem Buch, das bereits in der „ausverkauften“ City-Kirche vorgestellt wurde, werden von dem Schauspieler Peter Hoffmann gelesen. (Joachim Krug).

Brecht-Bearbeitung der Wuppertaler Autorin Dorothea Müller „So nett“ Unter diesem Titel hat die Wuppertaler Autorin Dorothea Müller, Mitglied des Verbands deutscher Schriftsteller, das siebte Sonett von Bertholt Brecht bearbeitet. Heraus kam ein nicht ganz so netter, eher sarkastischer Text, den „Die Zeit“ kürzlich unter der Rubrik „Klassische Lyrik, neu verfasst“ veröffentlichte, in der Ausgabe 43 vom 20. Okt. 2011. Ganz anderer Natur ist der Prosatext „Begegnung“, den die Autorin zur Anthologie „Alles ist möglich - auch das Unmögliche“ beisteuerte. Er schildert einen Aufenthalt in der Rehaklinik für Krebskranke. Das Buch ist vor kurzem im St. Benno Verlag, Leipzig erschienen. Verband Deutscher Schriftsteller in ver.di, Bezirksgruppe Wuppertal - Bergisches Land Museum Ludwig Köln Ichundichundich. Picasso im Fotoporträt 24.09.2011 bis 22.01.2012 An der Legende von Picassos schillernder Persönlichkeit haben Fotografien einen großen Anteil. Das Antlitz des Jahrhundertkünstlers ist fast bekannter als sein OEuvre. Trotz der Fülle der existierenden Porträts wurde bislang nicht die Frage nach der Spannung zwischen Picassos Wunsch nach kontrollierter Selbstdarstel-

lung und den Ansprüchen und Vorstellungen der Fotografen gestellt. Erstmals untersucht diese Ausstellung den konzeptionellen Anteil Picassos an den Aufnahmen seiner Person: Wie wirkungsvoll waren die Strategien eines Künstlers, der seine Frauen und seine Arbeit, seine Scharaden und seine politische Haltung öffentlich machte und sein Privatleben in von ihm bestimmten Ausschnitten zur Konsolidierung eines Personenkults benutzte? Ob und in welchem Maß vermochten sich die Fotografen mit ihrer je eigenen fotografischen Bildsprache gegen die dominierende Präsenz des Porträtierten durchzusetzen? Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag: 10 – 18 Uhr jeden ersten Donnerstag im Monat: 10 – 22 Uhr http://www.museum-ludwig.de/ Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund 1 m³ – Fotografien von Christian Diehl 28.01.2012 - 15.04.2012

© Christian Diehl: Fotografie aus dem Projekt 1m³ Halde

Brassai, Picasso vor Henri Rousseaus Portrait „Jadwiga“, 1932 © bpk-Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte

Wie ein Maulwurf gräbt sich Christian Diehl durch Erde. Nicht irgendwelche Erde, sondern einen Kubikmeter Acker, Wald, Halde und Watt. Er hat jeweils genau einen Kubikmeter Erdreich ausgehoben und durchforstet nun den gesamten Bereich nach Fotoobjekten. Nach und nach entsteht so aus einer „repräsentativen Stichprobe“ ein Überblick zu den Wesensmerkmalen des Bodens. Welche Pflanzen und -teile, welche Lebewesen, welche Gesteinsbrocken und welche anderen Details sind dort

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verborgen? Diehl inszeniert mit seiner Kamera eine komplette Durchleuchtung des Fotogegenstandes. Nach den Prinzipien einer sachlichen Fotografie findet eine Art wissenschaftliche Dokumentation mit künstlerischen Obertönen statt. Sie beleuchtet und streift dabei viele Nachbargebiete wie Geologie, Botanik und Zoologie. Die einzelnen Bilder sind Versatzstücke aus einem Ganzen, die wie ein Gefüge direkt und assoziativ aufeinander zugeordnet sind, da als verbindende Klammer immer der Ausgangs- und Sammelpunkt in dem einen, präzisen und nach Lage und Herkommen genau identifizierbaren Erdblock gegenwärtig ist. Jede der Fotografien ist jedoch nicht nur Fragmentbild, sondern gleichzeitig ein herausgehobenes Einzelstück mit allen ästhetischen Aspekten, wie sie zu einem Kunstwerk gehören. 28.01.2012 - 15.04.2012 http://www.dortmund.de Museum Ostwall Das Drama der Farben und Formen Zum 100. Geburtstag Harry Fränkels im Rahmen der Sammlungspräsentation „Der zweite Blick 27.11.2011 - 10.06.2012

Harry Fränkel, Siebdruck VI/68, 1968 Zum 100. Geburtstag Harry Fränkels präsentiert das Museum Ostwall ein Kabinett mit ausgewählten Werken des Dortmunder Künstlers. In zwei aufeinander folgenden Ausstellungen werden vom 27. November 2011 bis 26. Februar 2012 vor allem Holz- und Linolschnitte aus der Nachkriegszeit bis zum Beginn der 1960er Jahre gezeigt. Vom 28. Februar bis 10. Juni 2012 sind Siebdrucke aus den Jahren 1968/69 zu sehen. In seinen frühen, expressiven Holzschnitten verarbeitet Fränkel die Gräuel des Krieges. Nach und nach werden seine Arbeiten jedoch abstrakter; seine Bildsprache ent-

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wickelt einen eigenen Rhythmus. Mitte der 1950er Jahre vollzieht Fränkel den Wechsel von der abstrakten zur absoluten Malerei und setzt Farben und Formen zu spannungsreichen oder harmonischen Kompositionen zusammen. In den Jahren vor seinem Tod entstehen farbintensive Siebdrucke, in denen er u. a. mit optischen Phänomenen und Variationen experimentiert. Weitere Informationen: www.dortmund.de

Stilblüte Schloss Lüntenbeck. Knospe, Spaten und Feines Erstmalig wird am 24./25. März 2012 in Wuppertal der Markt für Gartenkultur, Lebensart & Feines stattfinden. Aus dem Winterschlaf erwachend richten sich die Sinne in den Freiraum. Der Schnee schmilzt, die Pflanzzeit beginnt und die ersten Knospen strecken sich der Sonne entgegen. Die Stilblüte bietet alles, um sich in Haus und Garten auf die kommende Saison einzurichten. Das Angebot des Marktes reicht von Blühendem, Grünem und Dekorativem bis hin zu Möbeln, Werkzeug und Kulinarischem. Die Originalität der Ware ist, neben der Qualität, übrigens das wesentliche Kriterium zur Auswahl der Händler. Die Stilblüte Schloss Lüntenbeck präsentiert hochwertige Produkte zum Thema Gartenkultur aus den Bereichen Pflanzen, Gartengerät, -möbel und -accessoires. Öffnungszeiten: 24./25. März 2012, Samstag und Sonntag von 11 bis 18 Uhr. Eintritt: 4.– Euro. www.schloss-luentenbeck.de Käthe Kollwitz Museum Köln „WO IST DIE NEUE FORM FÜR DEN NEUEN INHALT?" 12. Januar bis 25. März 2012 Der Zusammenhang von Technik und Motiv im Werk von Käthe Kollwitz

Das Käthe Kollwitz Museum Köln öffnet seine Graphik-Schubladen für eine rund 50 Arbeiten umfassende Schau, die auf spannende Weise den für Kollwitz elementaren Zusammenhang von Medium und Motiv nachvollziehbar macht. Präsentiert werden vor allem äußerst seltene Zustandsdrucke in allen von ihr verwandten Techniken – von der Radierung über die Lithographie bis zum Holzschnitt. Die Auflagen der Druckgraphikerin Käthe Kollwitz sind weltweit einem großen Publikum bekannt. Doch darüber hinaus existieren zahlreiche Probedrucke – viele davon Einzelexemplare – mit denen sie die schrittweise Entwicklung eines Motivs über verschiedene Stadien hinweg dokumentierte. Die Frage nach einer dem Inhalt angemessenen Form stellte sich die Künstlerin vor allem gegen Ende des Ersten Weltkrieges. Fast keine Druckgraphik entstand während der erschütternden Kriegserlebnisse, was ihre Ratlosigkeit in diesem Punkt belegt. Erst nach Kriegsende macht sie sich wieder auf die Suche nach der „richtigen“ Technik. So arbeitete sie sich bei dem Gedenkblatt für Karl Liebknecht, dessen Ermordung sich am 19. Januar jährt, oder den Blättern der Folge Krieg über zum Teil mehrere Jahre förmlich an allen Techniken ab, dem Tief-, Flach- und Hochdruck, ehe sie zu einer endgültigen Fassung fand. Die in diesem Prozess entstandenen Zustandsdrucke bilden einen Sammlungsschwerpunkt des Kölner Kollwitz Museums. Die Arbeitsweise der Künstlerin zu erforschen und für Besucher nicht nur nachvollziehbar, sondern wirklich erfahrbar zu machen, betrachtet das Museum als eine seiner wichtigsten Aufgaben. Zu diesem Zweck sind über Jahre hinweg aus aller Welt Zustandsreihen in allen Techniken zusammengeführt worden, die nun erstmals in dieser Gänze zu sehen sein werden.

Zwei Tote, 1920, Holzschnitt Kn 158 IV


Kulturnotizen Durch die spannende Nebeneinanderreihung der Zustände, die dadurch ersichtlichen Verwerfungen und Hinzufügungen, die Veränderungen im Ausdruck, die sich durch unterschiedliche Techniken ergeben – durch all dies erschließt sich dem Besucher das endgültige Werk der Künstlerin in seiner ganzen Tiefe. Weitere Informationen unter: http://www.kollwitz.de/ Mütter. Blatt 6 der Folge „Krieg“, 1921 – Anfang 1922, Holzschnitt Kn 176 III

Die Witwe I, Blatt 4 der Folge „Krieg“ 1921 – Anf. 1922, Holzschnitt Kn 175 Vb für alle Werke der Künstlerin: © VG BildKunst, Bonn 2012

Museum für Kunstund Kulturgeschichte Dortmund 500 Jahre Gerhard Mercator Vom Weltbild der Renaissance zum Kartenbild der Moderne Der Universalgelehrte Mercator (1512–1594) war der erste Kartograph, der die Welt in ihrer Gesamtheit betrachtete und Karten für große Räume wie z.B. Staaten oder Erdteile hochgenau selbst erstellte. Seine bemerkenswerten Fähigkeiten im Kupferstich schufen Globen, Welt- und Detailkarten in bis dahin nie gekannter Qualität. Sein Atlas prägte unser heutiges Kartenverständnis maßgeblich. Die Sonderausstellung ist einzelnen Aspekten Mercators Schaffens und seinen Auswirkungen auf die Kartographie und Navigation bis heute gewidmet.Neben originalen Globen wird an weiteren Exponaten die Entwicklung zum heutigen Globusbild aufgezeigt. Der Mercatoratlas aus dem Jahre 1595 bildet ein zentrales Ausstellungsstück und erschließt sich dem

Gerhard Mercator

Besucher als virtueller Atlas. Spätere Karten dokumentieren die Veränderung der Landschaft, die Verstädterung, die Ausbreitung der Großindustrie sowie den Rückbau und das gegenwärtige Flächenrecycling. Auf der Zeitachse von 1835 bis heute soll dem Betrachter die Karte als Zeitdokument nahe gebracht werden. Stadtpläne spielen spätestens seit der Verbreitung des „Navis“ eine wichtige Rolle im Alltag. Der Wandel der Stadt vom Mittelalter über die Industrialisierung bis zum gegenwärtigen Strukturwandel wird mit Kartenbeispielen nachvollziehbar gemacht. Im alltäglichen Leben kommen Menschen immer wieder mit Karten als Informationsmedium in Kontakt. Dabei

The art of tool making

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dient die Karte als Orientierungsmedium, als Zeitdokument, als Kunstobjekt und natürlich die elektronische Karte als aktuelles, technisches Hilfsmittel. Die Entstehung und Entwicklung dieses Mediums wird in der Sonderausstellung anhand originaler Exponate und vielen Mitmachstationen verdeutlicht und widmet sich auch neuesten Trends wie dem GEO-Caching. Die Ausstellung ist dienstags, mittwochs, freitags und sonntags von 10.0017.00 Uhr, donnerstags von 10-20 Uhr sowie samstags von 12-17 Uhr geöffnet. Internet: www.museendortmund.de/mkk Max Ernst Museum Niki de Saint Phalle - Spiel mit mir 15.1. – 3.6.2012 Niki de Saint Phalle (1930-2002) zählt mit ihrem umfangreichen Schaffenswerk wohl zu den bedeutendsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Sie hat ein faszinierendes Werk hinterlassen, dessen Einfallsund Abwechslungsreichtum seinesgleichen sucht. Bereits die frühen Gemälde der 1950er Jahre, die sich u.a. an naiver Malerei orientieren, sowie die Assemblagen, in denen die Künstlerin Anfang der 60er Jahre alltägliche Gegenstände zu bunten Klebebildern kombiniert, sind Ausdruck dafür. Ausgehend davon entwickelt sie die sogenannten Schießbilder, in denen sie ihre bewegte Biografie verarbeitet. Die mit Farbbeuteln präparierten und mit einem Gewehr beschossenen Reliefs sind jedoch nicht nur ein aggressiver Akt der Zerstö-

Niki de Saint Phalle, Nathalie,1965, Privatsammlung, © 2012 Niki Charitable Art Foundation, Foto: © André Morain

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rung, sondern bilden zugleich Möglichkeiten neuer Bildfindungen. Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags von 11 - 18 Uhr geöffnet. Internet: www.maxernstmuseum.lvr.de

Museum Abteiberg Mönchengladbach — MONICA BONVICINI DESIRE DESIESE DEVISE – Zeichnungen 1986 – 2012 4. März - 20. Mai 2012 Monica Bonvicini (*1965 in Venedig, lebt in Berlin) hat im Laufe von rund 25 Jahren ein gewaltiges Konvolut an Zeichnungen produziert. Es sind Skizzen, Entwürfe, Konzepte, aus denen ihre weltweit bekannten skulpturalen, installativen oder medialen Werke hervor gingen, sowie viele freie Arbeiten, die einen völlig eigenen Part in ihrem Oeuvre ausmachen.Bonvicinis Werk zeichnet generell eine große Varianz zwischen kraftvollen, aggressiven Ausdrucksformen und intimen psychologischen Inhalten wie Verletzbarkeit, Nacktheit, Isolation oder unterdrückter Gewalt aus. Zu diesen Themen tritt eine grundlegende Auseinandersetzung mit der menschlichen Beziehung zu Raum und Architektur. Ihre zeichnerischen Arbeiten intensiveren diese Zusammenhänge zwischen Sexualität, Macht und psychologischem Erleben, indem sie den Körper und den Menschen in die Darstellung einbeziehen, der in ihren großen räumlichen Installationen fehlt. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl aus mehr als 1000 Blättern. Die Größe variiert von kleinen Din A6 Zetteln bis zu großformatigen Bögen. Die Zeichenmaterialien sind Bleistift, Tusche, Deckweiß, wenige Farben und häufig Schablonen. Hinzu treten Collagematerialien, Fotografien und gefundene Drucksachen, die in die Zeichnungen in der für Bonvicini typischen, expressiven Poetik einmontiert sind.

Die Ausstellung wird gemeinsam vom Museum Abteiberg in Mönchengladbach und den Deichtorhallen Hamburg / Sammlung Falckenberg vorbereitet. Weite Informationen: www.museumabteiberg.de

KLANG_ART im Skulpturenpark – Programm-Vorschau 2012 Im vierten Jahr bietet die Konzertreihe > KlangArt im Skulpturenpark < erneut ein Klangspektrum von zeitgenössischem Jazz und Weltmusik, aktuell mit dem Programmschwerpunkt „Klanglandschaften Afrikas“ *: Fr. 11. Mai: Ablaye Cissoko (Senegal) & Volker Goetze (New York) * Sa. 2. Juni: CHIWONISO Trio (Zimbabwe) * So. 3. Juni: HAZMAT MODINE (New York) Sa. 14. Juli: ANA MOURA (Portugal) So. 15. Juli: FATOUMATA DIAWARA & Band (Mali, Elfenbeinküste) * Sa. 18. August: SQUEEZEBAND Chico Freeman sax. (USA) – Dany Martinez git. (Cuba) – Michel Alibo bass (Martinique) - Nino G. vocal (Italien) – Reto Weber percussion (Schweiz) So. 19. August: JASPER VAN’T HOF PILI PILI *

Fatoumata Diawara © Foto Engelhardt Promotion


Urihiwë,Yanomami, © Foto L. Baumgarten Lothar Baumgarten Abend der Zeit – Señores Naturales Yanomami Museum Folkwang 26. November 2011 – 27. Mai 2012 Am Ende der 1970er Jahre lebte Lothar Baumgarten unter den Yãnomãmi des Oberen Orinoco, in den Wäldern der Wasserscheide zwischen Venezuela und Brasilien. Während 18 Monaten teilte er das Leben der Indianer von Kashorawë- und Yapitawëtheri, zwei Yãnomãmi Gemeinschaften die zu klein geworden waren um sich noch gegen ihre zunehmend feindlichen Nachbarn verteidigen zu können. Dieser Umstand machte sie sehr beweglich. Baumgarten kam in Kontakt mit diesen halbsesshaft lebenden Gruppen, als sie gerade näher an den Orinoco gezogen waren um dort gemeinsam ihren neuen, großen Shapono zu bauen und umfangreiche Pflanzungen anzulegen. Er begleitete die jagend und sammelnd durch die Wälder ziehende Gemeinschaft der 84 Yãnomãmi bei ihren täglichen Unternehmungen: Besuchen anderer Shapono zu festlichen Ritualen, der aufwendigen Pflege ihrer politischen Allianzen, dem ihnen bis dahin fremden Bootsbau,

Links: Pfeilspitzen (rahaka), rechts: Zeichnung in einem Skizzenbuch von Lothar Baumgarten, 1979, Wasserfarbe auf Papier © Foto Lothar Baumgarten, Museum Folkwang der täglichen Praxis der Schamanen und kriegerischen Rachezügen gegen ihre neuen und alten Nachbarn. Durch den latent praktizierten Tauschhandel unter den Yãnomãmi entstanden schon bald Notwendigkeiten des Gebens und Nehmens, die Baumgarten von ersten Objekten, zum umfangreichen Konvolut, der hier in Teilen erstmalig gezeigten Sammlung führten. Die während jener Zeit vor Ort gegen Naturalien getauschten ethnographischen Gegenstände und die ganz unerwartete Fülle entstandener

Zeichnungen der Yãnomãmi auf Papier, wie auch die umfangreichen Ton- und Filmdokumente werden in der Präsentation von fotografischen Sequenzen begleitet, die die erlittene Nähe des erlebten Unbekannten sichtbar werden lassen. Wir sehen keine gekauften oder modellierten Bilder, sondern die Unmittelbarkeit des Vertrauten, denn neben aller Fremdheit ist ihnen menschliche Nähe offensichtlich eigen. Diese Ausstellung erzählt von einer Einlassung, der Begegnung und dem Austausch in einem gerade erst dreißig Jahre zurückliegenden Zeitraum. Sie versucht ein Bild einer Gesellschaft zu zeichnen, deren Befindlichkeit und Existenz von unserer Einsicht in ihre Notwendigkeiten abhängt. Auf anschauliche Weise eröffnet und führt diese außergewöhnliche Schenkung der Sammlung Baumgarten / Sugai, an die Stiftung für das Museum Folkwang im Jahre 2010, einen vormals durch Karl Ernst Osthaus, dem Begründer des Museums, aufgenommenen Dialog zwischen alter und außereuropäischer Kunst, durch Kohärenz und Umfang, wie auch in ihrer künstlerischen und kunsthistorischen Würdigung fort. http://www.museum-folkwang.de

24. und 25. März 2012

Stilblüte

Schloss Lüntenbeck

Foto: iStock, Josef Muellek

(Südafrika, Mali, Niederlande, Rußland, Rumänien) Jasper van‘t Hof - keyboards, Smagele Khumalo - vocal, Dra Diarra - percussion, Vasile Darnea - violin, Anton Peisakhov - cello, Eric van der Westen bass, Tineke Postma - sax Information: www.skulpturenpark-waldfrieden.de

Knospe, Spaten und Feines

Öffnungszeiten: 11 bis 18 Uhr | Tageskarte: 4 € | Schloss Lüntenbeck | 42327 Wuppertal | www.schloss-luentenbeck.de

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Der Tipp f체r alle ab 60 Mit dem B채renTicket sind Sie im ganzen VRR-Gebiet unterwegs, rund um die Uhr und in der 1. Klasse.

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