Die Beste Zeit Nr. 15

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DIE BESTE ZEIT Das Magazin für Lebensart

Eine fotografische Zeitreise Fotografien der 50er und 60er Jahre

Ein tiefer Sturz zurück Liliom-Inszenierung – ein Fiasko

El Greco und die Moderne Ich will sie tanzen lassen Ausstellung im Kunstpalast Düsseldorf Erzählung von Safeta Obhodjas

Ausgabe 15, 2012 - 3,50 Euro

Wieder gelesen: Karl Otto Mühl Neue Rubrik – Wuppertaler Autoren Der rezitierend Polizist Portrait Andreas Bialas

Ausstellung Karl Röhrig Von der Heydt-Museum Wuppertal

Elberfelder Barrikadenkämpfe Neue Bücher als Kammeroper Aufstand zu Geschichte und Kunst

Kunst als Erlebnis vermitteln Antje Birthälmer – 25 Jahre tätig

Fresh Widow – Fensterbilder im Kunstmuseum NRW

Kopfstand der Werte Paul Pörtner, Gründer des „Turm“

ISSN 18695205

Wuppertal und Bergisches Land

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Impressum „Die beste Zeit“ erscheint in Wuppertal und im Bergischen Land Erscheinungsweise: 5 – 6 mal pro Jahr Verlag HP Nacke KG - Die beste Zeit Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal Telefon 02 02 - 28 10 40 E-Mail: verlag@hpnackekg.de V. i. S. d. P.: HansPeter Nacke Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt.

Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser Beiträge zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich. Kürzungen bzw Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann keine Gewähr übernommen werden. Nachdruck - auch auszugsweise - von Beiträgen innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder Unterlassungen keine Haftung übernommen.


Editorial Spannender als ein Krimi Ein literarischer Stadtspaziergang während der P.E.N.-Tagung vor zwei Wochen in Rudolstadt: das Schillerhaus. Innen an den Wänden Zitate, auch das bekannte: „Alle Kunst ist der Freude gewidmet, und es gibt keine höhere und keine ernsthaftere Aufgabe, als die Menschen zu beglücken.“ Ein Abend in Wuppertal, im Skulpturenpark von Tony Cragg. Das Literaturhaus Wuppertal e.V. hat zusammen mit dem Skulpturenpark Waldfrieden zu einer ersten Kooperation eingeladen. Rund 160 Besucher eilen in die gläserne Ausstellungshalle. Sie sind gekommen, um den Schauspieler Dietmar Bär zu sehen und zu hören. Oder den Tatort-Kommissar Freddy Schenk? Dietmar Bär liest afrikanische Literatur – passend zur aktuellen Ausstellung von Kunst aus Nigeria in dieser Halle. Zu Beginn noch ein wenig Unruhe im Raum, ein Räuspern, ein Husten – doch schnell herrscht Stille. Fast neunzig Minuten lang. Man hätte die berühmte Stecknadel fallen hören. Auf den Gesichtern der Besucher angespannte Konzentration. Bär liest mit jenem Engagement, das ganz dem Text verpflichtet ist, distanziert, uneitel, klar und klug. So wie alle guten Schauspieler. Man kann es spüren und sehen: sein Vortrag erreicht die Menschen. Aber es ist nicht der Fernsehstar, der die Zuhörer bannt, es ist die Literatur, die alle mitnimmt auf eine unbekannte und keineswegs bequeme Reise. Ngugi wa Thiong’o erzählt von seiner Kindheit in Kenia zu Zeiten der britischen Kolonisation. Der Nigerianer Amos Tutuola von Magie und Mythologie seines Volkes, der Yoruba. Das ist keine leichte Kost, nicht Krimi, nicht Comedy, sondern anspruchsvolle Literatur, die dem Zuhörer Mit-und Nachdenken abverlangt. Dennoch sind diese Zuhörer im Skulpturenpark sichtbar glücklich. Geistige Anstrengung als Voraussetzung für Freude an der Kunst war immer - in unseren Tagen ist sie auch Erholung von den Zumutungen der medialen Verflachung und Verdummung. „Das war ja spannender als jeder Krimi“, sagt eine Zuhörerin am Ende des Abends. Ein schönes Kompliment für Dietmar Bär und die Literatur. Ähnliche Erfahrungen machen wir bei der Reihe „kunsthochdrei“. Ob Ingeborg Wolff, Mechthild Großmann, Barbara Nüsse, Bernd Kuschmann, Bernt Hahn, Thomas Braus – sie alle vermitteln die literarischen Texte mit einer Intensität, die die Zuhörer fesselt – und glücklich macht. Autorenlesungen dagegen sind Literatur pur. Das Literaturhaus Wuppertal e.V. am Haspel war und ist ein guter Ort dafür. So soll es auch in Zukunft bleiben: Autorinnen und Autoren stellen dort ihre Werke vor und diskutieren im Anschluss mit dem Publikum. Nicht selten gab es in den letzten zwölf Jahren auf diese Weise glückhafte, erkenntnisreiche Abende. Die werden Literaturinteressierte mit Sicherheit auch auf der ersten Wuppertaler Literatur-Biennale ( vom 6.-16.Juni) erleben. Neben Schauspielern sind vor allem Schriftsteller aus dem In-und Ausland mit eigenen Texten (zum Thema „Freiheit“) zu Gast. Apropos: ohne sie, die Schöpfer der Romane, Gedichte, Dramen, Komödien, wären alle Schauspielerinnen und Schauspieler arbeitslos. Oder wie Dietmar Bär es im anschließenden Gespräch im Skulpturenpark sagte: „Literatur und Theater sind das Basement.“ So geht er immer wieder als Gast-Spieler zum Theater, zu seinen Wurzeln, zurück. Mit seinem bekannten Namen will er gleichzeitig Menschen ins Theater locken, um so der (Bühnen-) Kunst, die es in Zeiten des großen öffentlichen Sparens immer schwerer hat, zu helfen. Durch rege Teilhabe an den Kulturangeboten in dieser Stadt können alle Bürger helfen, die (über)-lebenswichtige Kultur zu erhalten und zu stärken - „auf das der Mensch sich nicht selber versäume“. (Friedrich Schiller) Ihre Anne Linsel

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Inhalt Ausgabe 15, 4. Jahrgang, Juni 2012

Eine fotografische Zeitreise

Wieder gelesen – Karl Otto Mühl

Ein einzigartiges Archiv zeitgeschichtlicher Fotografien der 50er und 60er Jahre Seite 6 von Frank Becker

„Lass uns nie erwachen“ Neue Rubrik – Bücher Wuppertaler Autoren von Matthias Dohmen

El Greco und die Moderne

Der rezitierende Polizist

Ausstellung im Museum Kunstpalast Düsseldorf bis zum 12. August 2012

Portrait Andreas Bialas von Matthias Dohmen

Seite 44

Seite 46

Seite 12

Ausstellung Karl Röhrig

Neue Kunstbücher

Der „vergessene“ bedeutende Bildhauer ist noch bis zum 17. Juni im Von der Heydt-Museum zu sehen von Gerhard Finckh

Malen mit der Farbe vorgestellt von Thomas Hirsch

Seite 48

Seite 20

Kunst als Erlebnis vermitteln

Kopfstand der Werte

Antje Birthälmer – 25 Jahre im Von der Heydt-Museum von Marlene Baum

Portrait Paul Pörtner, Gründer der Künstlervereinigung „Turm“ von Karl Otto Mühl

Seite 25

Ein tiefer Sturz zurück

Geschichtsbücher, Buchgeschichten

Sybille Fabians Wuppertaler „Liliom“-Inszenierung – Ein Fiasko von Frank Becker

Geschichtsbücher – Buchgeschichten vorgestellt von Matthias Dohmen

Seite 50

Seite 52

Seite 28

Ich will sie tanzen lassen

Kulturnotizen

Eine Erzählung von Safeta Obhodjas

Kulturveranstaltungen in der Region

Seite 53

Seite 31

Elberfelder Barrikadenkämpe

Kopfstand der Werte

als Kammeroper. Aufstand – Uraufführung Musiktheater Wuppertal/Sinfonieorchester Seite 34 von Fritz Gerwinn

Portrait Paul Pörtner, Gründer der Künstlervereinigung „Turm“ von Karl Otto Mühl

Seite 46

Fresh Widow – Fenster-Bilder Das Fenster als Bildmotiv seit Matisse und Duchamp im Kunstmuseum NRW noch bis zum 12. August Seite 38

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Eine fotografische Zeitreise Die Wuppertaler „Lichtbildwerkstatt“ verfügt über ein einzigartiges Archiv zeitgeschichtlicher Fotografien der 50er und 60er Jahre.

Alle Fotos © „die Lichtbildwerkstatt“ Andrea Rompa linke Seite: Hier holten sich die Teens der 50er und 60er heiße Ohren und die begehrten neuen Singles mit 45 UpM unten rechts: Dieser Zeitungs-Kiosk stand an der Ecke Briller Straße/Sophienstraße

Wissen Sie noch? Diese gelegentlich seufzend gestellte Frage bezieht sich natürlich immer auf die sogenannte „gute alte Zeit“. Natürlich weiß man noch, erinnert sich gerne, blättert im privaten Fotoalbum und stellt fest: Tante Emmi und Opa Karl und das Kommunionskind im weißen Kleidchen, mit Kerze sind drin, das Foto vom Laden, in dem man eingekauft hat, vom Schutzmann an der Ecke, vom Tankwart und vom Kino, in dem man „Die Wüste lebt“ gesehen hat, aber nicht. Es kam deshalb einer Sensation gleich, als die Photographenmeisterin Andrea Rompa nach Übernahme des Traditionsbetriebs Foto Schäfer im Kipdorf im Jahr 1996 in einem Verschlag Abertausende von Negativen fand, die nur durch das zufällige Vergessen vor der Vernichtung im Rahmen eines Umbaus bewahrt worden waren. Was da nämlich seit Jahrzehnten schlummerte, waren rare Aufnahmen des Wiederaufbaus im zerstörten Wuppertal, Bilder des Wirtschaftswunders von 1948-1969 mit allen seinen Facetten und dazu unzählige Portraits – zeitgeschichtliche Foto-Dokumente von unersetzlichem Wert. Erinnerungen wurden greifbar.

In jahrelanger akribischer Arbeit sichteten Andrea Rompa und ihre Mitarbeiterinnen die ca. 100.000 (!) Negative, allein ca. 20.000 davon stadthistorisch interessant, und wählten aus den Wuppertal-Motiven und ungezählten Portraits besonders gelungene Arbeiten heraus. Die zogen sie im eigenen Labor und in Handarbeit ab und stellten 120 Bilder zu einer aufsehenerregenden Ausstellung zusammen, die im Jahr 2000 unter großem Publikumsinteresse erstmals im Rex-Theater gezeigt wurde. Da sah man Dokumente der Bausünden an der schönen Architektur von Kaufhof, DeFaKa, Kaiserhof u.a., sowie die verlorene Pracht vom Krieg verschont gebliebener, dann aber kurzsichtigen Stadtplanern zum Opfer gefallener Gebäude wie das Art DecoHaus am Alten Markt. Kulturtempel wie das verschwundene „Thalia Theater“ und das zum Glück erhalten gebliebene „Rex“, das auch mal „Theater ohne Namen“ hieß, wurden besonders gewürdigt. Beim Besuch von Gary Cooper, als dort „High Noon“ aufgeführt wurde, hatte der Fotograf der Fa. Schäfer von gegenüber dabei freies Schußfeld. Die Plattenbar, in der die Teenager

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Das Köbö-Haus mit dem Schwebebahnhof Döppersberg. Damals fuhr noch die Straßenbahn über den Wall.

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Sissi, die junge Kaiserin, 1956 die Filmsensation mit Romy Schneider im Rex-Kino

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Monteure von Ford-Jungmann bei der Arbeit an der „Badewanne“, dem Ford P 3 von 1962 mit heißen Ohren Fats Domino und Elvis Presley gehört hatten, war dabei, die einstige „Gasolin“-Tankstelle auf der Friedrich-Engels-Allee, Zeitungsbüdchen, das Köbo-Haus, Tanzcafés, Dessous-Schaufenster, Geschäftseinrichtungen und vieles andere mehr. Anschließend wanderte die spannende Schau auf Fotopapier gebannter Zeitgeschichte wieder ins Archiv. Lange waren die einmaligen Bilder nicht zugänglich. Seit 2006 ist das Archiv in

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Andrea Rompas neuem Unternehmen „die Lichtbildwerkstatt“, einer Fachwerkstatt für Photographie in der Nordstraße 58, Nähe Karlsplatz/Rathausgalerie, der Öffentlichkeit Zug um Zug wieder zugänglich gemacht worden: In den großen Schaufenstern ist eine ständig wechselnde Ausstellung von historischen Fotografien zu sehen, die auch bestellt werden können. So kann jeder interessierte Wuppertaler bzw. Historiker Bilder der 50er-Jahre-Plattenbar, des alten

Döppersberg, von Warenhausschaufenstern, Autoreparaturwerkstätten mit den herrlichen Autos von damals, Architektur-Details, Geschäftsräumen, Cafés, Straßenszenen, Kinos oder dem Thalia-Theater vom Format 18x24 bis 50x70 mit nach Hause nehmen, sorgfältig von Hand abgezogen. Der Vorrat ist fast unerschöpflich: Mode, Arbeitswelt, Architektur, Verkehr, Restaurants, Theater ein Schaufenster einer unerhört spannenden Epoche, auch weit über das Regionale hinaus


Als die Herzogstraße noch befahrbar war, wurde in den 50er Jahren das DeFaKa (Deutsches Familien Kaufhaus) gebaut.

Café Münster in der Kölner Straße, noch bis in die 80er mit dieser Ausstattung

für Historiker und Nostalgiker interessant. Die von Hand abgezogenen s/w-Fotos können bei der „Lichtbildwerkstatt“ in einem Katalog angeschaut und bestellt werden.

„die Lichtbildwerkstatt“ – Nordstraße 58 – 42105 Wuppertal – Telefon 02 02/75 85 09 00 www.die-lichtbildwerkstatt.com Frank Becker

Damals ein großer Wurf, bald so nicht mehr zu sehen: ein völlig neues Gesicht des VerkehrsknotenpunktesDöppersberg in Elberfeld.

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El Greco und die Moderne Museum Kunstpalast Düsseldorf bis 12. August 2012 Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft des spanischen Königs Juan Carlos I. und des Bundespräsidenten

Die exklusiv im Museum Kunstpalast in Düsseldorf präsentierte Ausstellung „El Greco und die Moderne“ setzt erstmals in Deutschland die Malerei und Bildwelt des 1541 als Domenikos Theotokópoulos auf Kreta geborenen und 1614 in Toledo verstorbenen Künstlers ins Zentrum einer großen Ausstellung. Viele Vertreter der frühen Moderne nennen El Greco als wichtige Quelle der Inspiration und Faszination für die eigene Kunst, darunter so große Namen wie Cézanne, van Gogh, Picasso und Delaunay. Die Ausstellung vereint über 100 Werke – Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen – von ungefähr 38 Künstlern der frühen Moderne mit mehr als 40 bedeutenden Arbeiten von El Greco, vor allem Porträts, Landschaften, religiöse Themen. Neben den Originalen von eigener

Hand stammen zwei Werke der Ausstellung aus der Werkstatt El Grecos. Gezeigt werden so spektakuläre und einflußreiche Meisterwerke wie das einzig erhaltene Tafelbild, in dem sich El Greco mit der griechischen Mythologie beschäftigt, der„Laokoon“ aus der National Gallery of Art, Washington, sowie das aus dem Metropolitan Museum of Art, New York, entliehene Werk „Die Öffnung des fünften Siegels“. Zu den besonderen Highlights der Ausstellung zählt zum Beispiel die Möglichkeit einer gemeinsamen Betrachtung des „Laokoon“ mit Ludwig MeidnersWerk „Drei Klagende in der Apokalyptischen Landschaft“ sowie ein Vergleich der „Kreuzabnahme“ von Max Beckmann aus dem MoMA, New York, mit El Grecos „El Espolio“ aus der Alten Pinakothek, München.

linke Seite: El Greco, Anbetung der Hirten, 1603-05, Öl auf Leinwand, 141 x 111 cm, Museo del Patriarca del Real Colegio de Corpus Christi de Valencia rechts: Max Beckmann, Kreuzabnahme, 1917, Öl auf Leinwand, 151,2 x 128,9 cm, The Museum of Modern Art, © (2012) The Museum of Modern Art/Scala, Florence, © VG Bild-Kunst, Bonn 2012

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Die Leihgaben zur Schau stammen aus den weltweit größten Museen und bedeutenden Sammlungen wie dem New Yorker Museum of Modern Art, dem Museo Nacional del Prado, Madrid, dem Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid, dem Museo del Greco, Toledo, der National Gallery, London, der National Gallery of Scotland, Edinburgh, der Alten Pinakothek, München oder dem Musée du Louvre, Paris. Entdeckt wurde das Werk El Grecos vom deutschsprachigen Publikum um 1910 durch das von Julius Meier-Graefe veröffentlichte Tagebuch „Spanische Reise“. Der Kunsthistoriker und Schriftsteller Meier-Graefe ist El Grecos Gemälden 1908 in Spanien begegnet und hat von diesem, ihn stark beeindruckenden Kunsterlebnis berichtet. Als eine Auswahl von El Greco-Werken aus der Privatsammlung Marczell von Nemes in Deutschland zuerst 1911 in München und im Folgejahr 1912 in Düsseldorf gezeigt wurde, kam geradezu ein „El Greco-Fieber“ unter den jungen Künstlern auf: Maler wie Max Beckmann, Oskar Kokoschka, Max Oppenheimer oder Ludwig Meidner, vor allem aber auch die Vertreter des Blauen Reiter, August Macke, Franz Marc, Albert Bloch und andere, erkannten in dem Alten Meister eine der Vaterfiguren der Moderne: sie nannten ihn in einem Atemzug mit Cézanne. Mit seinen psychologisierenden Kompositionen wurde El Greco für die Avantgardekünstler zu einer Schlüsselfigur. „Franz Marc brachte damals die Erkenntnis vieler Künstler 1912 im Almanach Der Blaue Reiter prägnant auf den Punkt: ‚Cézanne und Greco sind Geistesverwandte über die trennenden Jahrhunderte hinweg.‘“ (Beat Wismer, Generaldirektor) Obgleich das Thema El Greco und die Moderne in der kunsthistorischen Literatur seit 100 Jahren ein geläufiger Topos ist, war eine Ausstellung zu diesem Thema bislang ein Desiderat. Speziell das Spätwerk El Grecos mit seinen übersteigerten Figuren, den aufs Äußerste reduzierten oder ins Endlose ausgreifenden Bildräumen, den traumähnlichen Landschaften, sein manieristisch-ekstatischer Stil sowie das fahlgraue Kolorit, aus dem wenige Buntfarben suggestiv leuchten, erregte große Aufmerksamkeit. Die Düsseldorfer Schau vermittelt einen faszinierenden Einblick in den Kampf um die Moderne und veranschaulicht zudem, dass El Greco, der Meister des spanischen Manierismus, mit seinen außergewöhnlichen Darstellungen von Raum und menschlicher Figur für viele Protagonisten der Avantgarde eine ähnlich prägende Rolle spielte wie der einflussreichste Vertreter der Frühmoderne, Paul Cézanne. Die Ausstellung wird zwei wichtige Aspekte der Rezeptionsgeschichte verfolgen: einerseits wird El Greco, der ab 1910 in Deutschland mit Cézanne als einer der Väter der Moderne gilt, mit jenenVertretern derModerne zusammengeführt - Cézanne, van Gogh, Picasso, Delaunay -, als deren Vorläufer er damals von Kunsthistorikern, Museumsleuten, aber auch von Künstlern selbst erkannt worden ist. Andererseits soll die Wahlverwandtschaft zwischen deutschen und österreichischen Expressionisten wie Max

El Greco, Laokoon, 1610-14, Öl auf Leinwand, 137,5 x 172,5 cm, National Gallery of Art, Washington, Samuel H. Kress Collection 1946.18.1

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oben: Pablo Picasso, Porträt eines Unbekannten im Stil von El Greco, 1899, Öl auf Leinwand, 34,7 x 31,2 cm, Museu Picasso, Barcelona, © Succession Picasso/VG Bild-Kunst, 2012 linke Seite: El Greco, Heiliger Jacobus der Ältere, ca. 1610-14, Öl auf Leinwand, 97 x 77 cm, Museo del Greco, Toledo, Foto: Rebeca García Merino

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El Greco, Die Büßende Magdalena, ca. 1580-86, Öl auf Leinwand, 104,6 x 84,3 cm, © The Nelson –Atkins Museum of Art, Kansas City, Missouri, William Rockhill Nelson Trust, 30-35, Foto: Jamison Miller

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Beckmann, Oskar Kokoschka, August Macke, Franz Marc, Ludwig Meidner, Max Oppenheimer und El Greco, bzw. sein Einfluss auf jene, an ausgewählten Werken vorgestellt und überprüft werden. (Beat Wismer, Generaldirektor) Dass die Ausstellung im Jahr 2012 in Düsseldorf realisiert werden kann, hat für die Stadt und die Geschichte der El Greco-Rezeption eine besondere Bedeutung. Vor 100 Jahren, im Jahr 1912 war eine Auswahl von zehn Gemälden El Grecos im Zusammenhang mit der Ausstellung der ungarischen Privatsammlung Marczell von Nemes in der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf zu sehen. Ebenso wurden einige Bilder El Grecos in der Sonderbundausstellung in Köln zusammen mit Werken von Picasso und van Gogh präsentiert. Somit fand im Sommer 1912 für viele Künstler im Rheinland erstmals die Möglichkeit einer direkten Begegnung mit Werken

von El Greco statt, deren Auswirkungen die Düsseldorfer Schau nun rückblickend mit beleuchtet. Die im Museum Kunstpalast stattfindende Schau bildet einen spannungsreichen Auftakt für die im Jahr 2014 anlässlich des anstehenden 400. Todestags von El Greco geplanten großen Ausstellungen in Madrid und Toledo.

Katalog: Zur Ausstellung erscheint im Verlag Hatje Cantz ein reich illustrierter Katalog mit ca. 400 Seiten. Buchhandelspreis: 49,80 Euro Sponsoren der Ausstellung: Kunststiftung NRW Kulturstiftung der Länder UBS Kulturpartner: wdr 3 Öffnungszeiten: Montag 13 bis 18 Uhr Dienstag, Mittwoch, Freitag, Sonntag 10 bis 20 Uhr Donnerstag, Samstag 10 bis 21 Uhr Stiftung Museum Kunstpalast Kulturzentrum Ehrenhof Ehrenhof 4-5, 40479 Düsseldorf www.smkp.de

Oskar Kokoschka, Verkündigung, 1911, Öl auf Leinwand, 83 x 122,5 cm, Museum Ostwall, Dortmund; Foto: Jürgen Spiler, Dortmund, © Foundation Oskar Kokoschka / VG Bild-Kunst, Bonn 2012

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Ausstellung Karl Röhrig noch bis zum 17. Juni 2012 im Von der Heydt-Museum

unten: Familie Kann (Autofahrt), 1932 Holz und Aluminium rechte Seite: Sonntagsspaziergang, 1932 Holz und Aluminium

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Barlach, Lehmbruck, Kollwitz sind die Namen, auf die sich die Erinnerung an bedeutende Bildhauer der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland reduziert hat. Das Gros der deutschen Bildhauer ist aus dem kollektiven Gedächtnis geschwunden. Dabei gab es in der Zeit zwischen 1900 und 1950 in Deutschland viele Bildhauer, die der Erinnerung wert wären: Hans Arp, Rudolf Belling, Hermann Blumenthal, Ernesto de Fiori, Otto Freundlich, Ludwig Gies, Karl Knappe, Moissei Kogan, Gerhard

Marcks, Edwin Scharff, Toni Stadler, Hans Uhlmann und Christoph Voll, um nur einige wenige Namen zu nennen. Dazu gab es eine Reihe von Malern, die sich auch auf dem Sektor der Bildhauerei mit außergewöhnlichen Ergebnissen hervortaten, wie Max Beckmann, Max Ernst, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee, Oskar Schlemmer oder Franz Marc. Könnte man „Vergessensein“ und „unbekannt geblieben“ steigern, träfe dies am allermeisten auf den Bildhauer Karl Röhrig zu. Die Gründe für seine


Erfolglosigkeit und den fehlenden Nachruhm sind vielfältig: Röhrig schuf seine wichtigsten Werke, die, die ihn weit herausheben aus der Vielzahl anderer und ihn zu einem der bedeutenden Bildhauer des 20. Jahrhunderts machen, zwischen 1928 und 1945, also in jenem Abschnitt der deutschen Geschichte, als Kunst aufgrund der Weltwirtschaftskrise zu kurz kam und danach durch die Herrschaft der Nationalsozialisten unterdrückt wurde; Röhrig konnte seine wichtigsten Werke in dieser Zeit nicht

öffentlich zeigen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Untergang des „Dritten Reichs“ begannen das Informel und die Pop-Art den Markt zu erobern; sozialkritische, realistische, abbildend gegenständliche Kunst stand da auf verlorenem Posten. 1886 in Eisfeld, einer Kleinstadt im Herzogtum Sachsen-Meiningen geboren, besuchte Röhrig zunächst die „Modellier- und Zeichenschule“ von Carl Rommel, lernte dann an der Industrieschule Sonneberg, arbeitete danach

in verschiedenen Porzellanfabriken der Region als Modelleur und studierte von 1909 bis 1911 an der königlich-sächsischen Kunstgewerbeschule in Dresden. Ob er dort eine Verbindung hatte zu den Künstlern der „Brücke“, die sich 1905 in Dresden gegründet hatte, ist nicht bekannt. Auch zu anderen jungen Künstlern, - Otto Dix besuchte dort seit 1910 die Kunstgewerbeschule, 1909 bis 1912 studierte George Grosz an der Dresdner Akademie, und der Bildhauer Christoph Voll lernte von 1911 an im

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Atelier des Dresdner Bildhauers Albert Starke -, scheint Röhrig keinen Kontakt gehabt zu haben. Von 1911 an studierte er an der Kunstgewerbeschule München, seit 1912 an der Münchner Akademie bei Erwin Kurz, einem Schüler Adolf von Hildebrands. Aus dem Ersten Weltkrieg, Röhrig war in Frankreich und Russland eingesetzt worden, kehrte der Künstler radikalisiert zurück: In seinen Tagebüchern, die er ab 1918 führte, wird deutlich, wie sehr es ihm jetzt um eine tief empfundene Humanität und um soziale Gerechtigkeit ging, wie sehr er sich nicht nur als Mensch, sondern auch als Künstler, nach einer ganzheitlichen Integrität sehnte und um eine idealisierte Vollkommenheit des Menschseins kämpfte. Wenn er in den für ihn in wirtschaftlicher Hinsicht äußerst schwierigen Zwanziger Jahren allerlei Auftragsarbeiten wie Kriegerdenkmäler, Porzellanmodelle und Keramikfiguren, Tapetenentwürfe, auch Kunst-am-Bau-Gestaltungen ausführte, so wird in seinen Tagebuchaufzeichnungen dabei immer deutlich, mit welcher inneren Distanz er zu diesen Aufträgen stand, mit welcher Skepsis er sein eigenes Handeln und vor allem das Zeitgeschehen betrachtete. Erst Mitte der Zwanziger Jahre trat Röhrig nach vielen, aus heutiger Sicht eher konventionellen, der Hildebrand-Schule und einem moderaten Art-Deco verpflichteten Arbeiten, mit den 10 bis 15 Werken auf den Plan, die ihm einen Platz im Kreis der bedeutenden Bildhauer des 20. Jahrhunderts sichern sollten. Die Reihe beginnt mit der kleinen, nur 35 cm hohen, weißen Porzellanfigur eines „Zeitungslesers“, die er 1926 für Rosenthal schuf. Im Tagebuch notierte er dazu unter dem 21. Februar 1926: „Zeitungsleser fertig! Ich versuche den

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Sozialismus mit meinem Formideal zu vereinen – schweres Geschäft.“ Es scheint, als habe sich Röhrig für seinen „Zeitungsleser“ an dem gemäßigten Kubismus eines Edwin Scharff orientiert. So ist der wesentliche Schritt, den Röhrig mit dem „Zeitungsleser“ unternahm, der Versuch, sich vom Münchner Traditionalismus zu lösen und zu einer für ihn neuen Formgebung vorzustoßen. Picasso, Braque, Archipenko, Laurens, Lipchitz und der Deutsche Rudolf Belling waren Röhrig in dieser „kubistischen“ Raumauffassung weit voraus, aber Röhrig ging es nicht nur um eine formale Veränderung, er strebte nach nichts Geringerem als dem Versuch, den „Sozialismus“ in seinen Werken sichtbar zu machen. Röhrigs Werke spiegeln ab 1926 eine Parteinahme für die Benachteiligten wider: 1926 entstand die Holzfigur eines „Alten Mannes“, 1927 ein „Hl. Sebastian“, 1928 die „Bäuerin mit Huhn“, 1930 die „Schwangere Frau“, 1932 eine nachdenkliche „Mutter mit Kind“, 1940 ein „Holzsammler“. Alle diese Menschen erscheinen als fragend, zweifelnd, niedergedrückt oder, wie der „Hl. Sebastian“, verletzt. Es kommt in diesen Skulpturen eine kraftvolle Empathie zum Ausdruck, ohne dass Röhrig dabei in ein hohles Pathos verfallen wäre. Von Zweipersonenskulpturen ausgehend fand Röhrig den Weg zu mehrfigurigen Gruppen. 1932 notierte er in sein Tagebuch: „Ich mache (…) einen Spaß: Familie Kann, Holz.“ Die beiden Skulpturengruppen „Sonntagsspaziergang“ und „Autofahrt“, in welchen sich Röhrig auf die Familie Kann bezieht, sind nicht nur komisch anzusehen, sondern an Sarkasmus kaum zu überbieten. Neu ist in diesen kleinplastischen Figuren nicht nur die Verwendung verschiedener Materialien, sowie die Betonung Der Mann von der Winterhilfe, 1933 Holz und Aluminium rechte Seite: Zwei Männer im Gespräch, 1932, Holz


ihres genrehaften Charakters, neu ist der Ansatz, die Figuren als Abbilder des realen Lebens, bewusst lächerlich zu machen. Röhrig gelingt es hier, der nach seiner Ansicht „verspießerten“ Gesellschaft und der verlogenen Moral seiner Zeit einen Spiegel vorzuhalten. Otto Dix hatte 1922 in einer kleinen Arbeit das Thema „Sonntagsspaziergang“ in betont naiver Manier gestaltet, dagegen spitzte Röhrig dieses bürgerlichste aller Themen 1932 in einer Weise zu, die nur zynisch zu nennen ist. Röhrig erweist sich mit dieser Pointierung Künstlern wie Georg Grosz, Otto Dix, Karl Hubbuch oder Josef Scharl als ebenbürtig. Mit diesen kleinformatigen „Karikaturen“ trat Röhrig nicht nur gleichberechtigt neben die bekannten sozialkritischen Malergrößen seiner Zeit, er schuf mit diesen kleinen Skulpturen auch in formaler Hinsicht einen neuen Typus, der zwar in den 30er und 40er Jahren keine Nachfolge fand, da Röhrig seine Figuren nicht öffentlich zeigen konnte, der aber das „environment“, wie es später bei den amerikanischen Künstlern Ed Kienholz und George Segal in Lebensgröße überaus bedrückend auf den Plan trat, antizipierte. In dem kleinen Werk „Der Mann von der Winterhilfe (Wir haben geholfen)“ erreicht Karl Röhrigs Klarsichtigkeit ihren Höhepunkt. Er zeigt hier den reichen Mann, der in dem Bewusstsein, sich mit einem kleinen Obulus für das Winterhilfswerk nicht nur eine Anstecknadel, sondern auch einen Heiligenschein und einen Freibrief für seine Börsenspekulationen, – in Röhrigs Diktion „Schiebungen“ -, erkauft zu haben, dickbäuchig, mit Zigarre im Mund einherschreitet. Dies ist kein „freundlicher Onkel“, der freudig und großzügig spendet,

es ist vielmehr ein Mann, der zu befehlen weiß, ein Herr, der sich mit einer kleinen Spende und dem überdeutlich sichtbar getragenen Spendenabzeichen einer lästigen Pflicht entledigt. In dieser Skulptur zeigt Röhrig denjenigen, der sein Fähnchen zur rechten Zeit in den Wind hängt, denjenigen, der aus dem Elend der Menschen seinen Profit zieht und der die Menschheit bereits wieder in den nächsten Krieg treibt. Der Tagebucheintrag vom 18. Juni 1933 verdeutlicht diese Sicht Röhrigs: „… Das deutsche Volk in seiner Not hat sich einreden lassen, es sei eine geistige Angelegenheit, eine geistige Not, unter der wir leiden und die Jongleure des Systems sagen: Volk und Gott, kehrt bei Euch ein und betet, geht wieder in die Kirche, besinnt Euch auf die schöne Zeit vor 1914, werdet national, hasst die Franzosen, die Engländer, die Polen, die Amerikaner, hier werdet ihr Kraft sammeln, alles zu überwinden, zu den Waffen! Das ist das Gesicht des Nationalsozialismus, der Geldsack ist wieder mal gerettet! ...“ Röhrig bedient sich in dieser Skulptur des Prinzips der Collage, wie es aus den Gemälden von Grosz, Dix oder Georg Scholz bereits

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bekannt war: den „Heiligenschein“ des Mannes bildet der Boden einer Sammelbüchse des Winterhilfswerks, die Anstecknadel, die hier auch als Parteiabzeichen interpretiert werden kann, ist eine Nadel, die der Spender als Nachweis für seine Spendentätigkeit erhielt, die Zeitung in der Manteltasche des Mannes ist auf der Seite der Börsenkurse „aufgeschlagen“. In Anlehnung an die Gemälde von Grosz und Dix lässt sich die Skulptur Röhrigs als „veristisch“ bezeichnen, da sie dieselben Stilelemente aufweist. Die Collageelemente und das gewählte Thema, die kompromisslose Anprangerung der herrschenden Zustände in der Figur des wohlhabenden Bürgers als Parteigänger der Nazis, heben die Figur heraus aus der Masse der Belanglosigkeiten und dem, was das Dritte Reich von den Künstlern verlangte. Mit seiner Skulptur „Der Mann von der Winterhilfe“ steht Karl Röhrig weit außerhalb der Nazi-Kategorien und auch weit jenseits dessen, was in der deutschen Bildhauerei der 30er Jahre formal und inhaltlich erwähnenswert wäre. Schon seit den Zwanziger Jahren versuchte Karl Röhrig dem deutschen Elend zu entkommen, er lernte zu diesem Zweck Englisch und bewarb sich in den USA genauso wie in Afrika und der Sowjetunion um eine Stelle, doch konnte er die Mittel für eine Emigration nicht aufbringen. 1943 wurde er stattdessen in einem „kriegswichtigen“ Betrieb eingesetzt, 1944 noch einmal zum Militärdienst eingezogen. Im November 1944 geriet er in der Nähe von Straßburg in amerikanische Gefangenschaft und verbrachte das Jahr 1945 in verschiedenen Gefangenenlagern im Süden Frankreichs. Seine Heimkehr nach München schilderte er in einem Brief an einen Kriegskameraden: „… Wenige Tage vor Weihnachten 1945 spuckte uns ein Lastkraftwagen am Tor des zerstörten Münchener Hauptbahnhofs aus. Eine halbe Stunde später stand ich mit meinem Sack vor meinem zerstörten Atelier und niedergebrannten Haus.“ Die furchtbaren Erfahrungen des Kriegs und des notwendigen persönlichen Neubeginns mit 60 Jahren verarbeitete Karl Röhrig in einer Skulptur, wie es sie

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in diesen späten Vierziger Jahren nur einmal gibt, dem „Mann mit Sack“. In dem „Mann mit Sack“ gelang Karl Röhrig die überzeugende Übersetzung seiner persönlich erlebten Situation in ein allgemeingültiges Kunstwerk von Rang. Dieser Heimkehrer aus einem Krieg, „der nicht der seine war“ (A. Andersch), erstarrt beim Anblick seines zerstörten Ateliers. Aber der Mann ist nur einer von vielen, die in diesen Jahren genauso verarmt und hilflos dastanden und den Kampf mit den Verhältnissen von Neuem aufnehmen mussten. So ist Röhrigs „Mann mit Sack“ weit mehr als nur die Umsetzung eines persönlichen Nullpunkt-Erlebnisses, er ist ein allgemeingültiges Symbol für den ersten Moment nach der Katastrophe. Karl Röhrig hatte sich seit dem Erlebnis des Ersten Weltkrieges als von humanistischen Idealen geprägt verstanden, nach dem Zweiten Weltkrieg schloss er sich der „Deutschen Friedensgesellschaft“, der „Internationale der geistig und kulturell Schaffenden“ an. Das verhalf ihm zwar zu einer kleinen Ausstellung in einem Pavillon im Alten Botanischen Garten in München und zum Auftrag über zwei Reliefwände für das DGB-Haus, aber nationale oder gar internationale Beachtung fand er mit seiner Kunst nicht. Zwar veranstaltete die auf „realistische Kunst“ spezialisierte „Neue Münchner Galerie“ 1972 eine Retrospektive zu Röhrigs Oeuvre, doch war die Galerie zu diesem Zeitpunkt ein Ort, der von der konservativen Münchner Presse weitgehend ignoriert und vom „bürgerlichen“ Publikum gemieden wurde. Selbst die erste umfassende Retrospektive zu Leben und Werk Karl Röhrigs, die 1982 im Münchener Stadtmuseum stattfand, brachte für die Bekanntheit Röhrigs nicht den Durchbruch. So ist Karl Röhrig bis heute einer der wichtigsten und zugleich einer der unbekanntesten Bildhauer Deutschlands geblieben. Gerhard Finckh

Mann mit Sack (Heimkehrer), 1945 Eichenholz


Wie kann ich Kunst als Erlebnis vermitteln ? Antje Birthälmer – 25 Jahre im Von der Heydt-Museum

Foto: Frank Becker

Genau 25 Jahre ist es her, dass Antje Birthälmer, heute stellvertretende Direktorin des Von der Heydt-Museums, 1987 unter Sabine Fehlemann ihre Tätigkeit in Wuppertal begonnen hat. Bereits während sie in Köln Kunstgeschichte, Archäologie und Völkerkunde studierte, begeisterte sie sich für das Von der HeydtMuseum und referierte über Bilder aus der Sammlung. Besonders liebte sie die „Felsenküste bei Etretat“ von Gustave Courbet und die „Landschaft bei Etretat“ von Camille Corot, über den sie promoviert hat. 1987 bewarb sie sich für die Stelle einer wissenschaftlichen Assistentin im Von der Heydt-Museum – das war die Zeit des großen Umbaus, während die Sammlung in ein Depot in Unterbarmen ausgelagert war. Umso spannender war es für die junge Kunsthistorikerin, sich trotzdem einen Überblick über die Bestände zu verschaffen und die Neuhängung der Werke nach dem Umbau zu begleiten.

Während des Umbaus wurden die Schätze des Von der Heydt-Museums auf Reisen durch die ganze Welt geschickt, und Antje Birthälmer übernahm einige wichtige Aufgaben hinsichtlich der Organisation und Betreuung. Das war nicht immer ganz einfach, so musste sie in Tel Aviv den Museumsdirektor in der Nacht aus dem Bett klingeln, weil vorgesehen war, die Transportkisten mit den kostbaren Bildern im Flugzeug übereinander zu stapeln, statt sie einzeln stehend zu transportieren. U. a. nach Rio de Janeiro zur Ausstellung „Deutscher Expressionismus. Hauptwerke aus dem Von der Heydt-Museum“, anlässlich des 500. Jahrestages der Entdeckung Brasiliens, sollten die Bilder sogar getrennt von den Kurieren verschickt werden – diese Komplikationen sind jedoch Kleinigkeiten angesichts der großen Erfolge der damals weltweit gereisten „Wanderausstellungen“. Parallel dazu lag für Antje Birthälmers Tätigkeit der Schwerpunkt in der

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Aufbereitung der reichen graphischen Sammlung, deren ältere Blätter noch auf Karteikarten inventarisiert waren: „Heute platzt das Depot aus allen Nähten, und noch immer sind nicht alle Werke digital erfasst.“ Unter ihrer Leitung entstanden zahlreiche Ausstellungen wie z. B. 1993 „Sittenbilder des 18. Jahrhunderts. Graphik von Hogarth und Chodowiecki“ und im selben Jahr „Deutsche Graphik des Klassizismus und der Romantik“, oder 1996 „Brücke und Blauer Reiter“ mit Graphiken aus der Sammlung, und, in Zusammenarbeit mit Bettina Ruhrberg, die Ausstellung „Pioniere der Moderne. Kabinettstücke aus der Schenkung Von der Heydt“. Auch die umfangreichen graphischen Bestände des Museums von Lovis Corinth, Hans Thoma, Max Liebermann und Max Slevogt wurden aufgearbeitet, zum Teil noch Arbeiten hinzu ersteigert und in Ausstellungen 2004 und 2005 präsentiert. „Vergangene Welten“ mit Graphik von Dürer, Callot, Rembrandt bis Richter, aus der Sammlung Lohmann, war 2006 die letzte dieser großen, der Graphik gewidmeten Ausstellungen. Die Kunst des Expressionismus bildete stets einen wichtigen Schwerpunkt von

Antje Birthälmers beruflicher Tätigkeit im Von der Heydt-Museum, z. B. auch mit den Ausstellungen der „Straßenszenen“ von Ernst Ludwig Kirchner (1994), Conrad Felixmüller (1997) und Adolf Erbslöh und seinen Zeitgenossen (aus dem Bestand des Museums, 2000). Auch zur modernen Kunst konnte Antje Birthälmer interessante Ausstellungen realisieren, wie etwa mit der Amerikanerin Marcia Hafif, einer Vertreterin der monochromen Malerei (1994), oder mit dem Bildhauer Stephan Balkenhol; dazu kamen von ihr betreute Ausstellungen wie „5 Künstler – 5 Räume“ (1994, 1995) oder „Begegnungen“ (1996) mit verschiedenen Positionen der Gegenwartskunst. Ihre Arbeit macht Antje Birthälmer besonders viel Freude, weil sie nicht auf bestimmte Bereiche festgelegt ist, wie das in großen Häusern eher der Fall ist. Die Tätigkeiten sind vielseitig: Bestandskataloge erstellen, Ausstellungen vorbereiten, wissenschaftlichen Anfragen nachgehen, Katalogbeiträge schreiben, Kataloge erstellen sowie Vorträge zu halten. „Hinzu kommt die Provenienzforschung, die zunehmend an Bedeutung gewinnt und oft sehr kompliziert ist. Woher kommt ein

Foto: Antje Zeis-Loi, Medienzentrum Wuppertal

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Foto: Jörg Lange

Kunstwerk? Wo soll man bei der Suche ansetzen? Durch wessen Hände ist es gegangen, in welchen Ausstellungen ist es gezeigt worden?“ Intensive Provenienzforschung erforderte auch die große Ausstellung anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Museums 2002, als alle Schenkungen der Familie Von der Heydt präsentiert wurden. Zum ersten Mal war „hier der Versuch unternommen, ursprünglich mit dem Museum verbundene Sammlungen der Familie Von der Heydt zu rekonstruieren.“ Seit sie 1996 zur stellvertretenden Museumsleiterin ernannt wurde, hat Antje Birthälmer auch die Gemäldesammlung zu betreuen und große Ausstellungen zu kuratieren. Da hat sich seit dem Amtsantritt von Gerhard Finckh 2006 einiges geändert: Er hat die umfangreichen Sonderausstellungen in die oberen Etagen des Hauses verlagert, weshalb die Sammlung nicht mehr dauerhaft präsentiert werden kann und „nur“ noch teilweise und in wechselnder Zusammenstellung zu sehen ist. Hinzu kommt die Idee, Gemälde und Graphik gleichzeitig auszustellen. Antje Birthälmer sieht das als Bereicherung: „Durch die Vermischungen der Sparten


werden die Ausstellungen wesentlich spannender und lebendiger.“ Die Konzeption und Durchführung der großen Ausstellung „Der Sturm. Zentrum der Avantgarde“ (2012) stellte für Antje Birthälmer eine besondere Herausforderung dar: Drei Jahre lang dauerten die Vorbereitungen. Dazu gibt es mehrere Vorgeschichten, von denen nur einige wenige erwähnt seien: Anlässlich der umfangreichen Schau „Der expressionistische Impuls“ von 2008 hat sich die Kuratorin intensiv mit den Persönlichkeiten auseinandergesetzt, welche die Tradition des Sammelns und Ausstellens in Barmen und Elberfeld geprägt haben und nach wie vor prägen. Zugleich ist es eine Tradition des Von der Heydt-Museums, immer wieder Sammlungen aus Wuppertal zu präsentieren, zuletzt 2009 in der von Antje Birthälmer kuratierten Ausstellung „Privat“, die Wuppertaler Sammler der Gegenwart vorstellte. Dass die Ausstellung „Der Sturm“ in Wuppertal gezeigt werden kann, ist ein Glücksfall, denn Herwarth Walden hat seine Galerie 1912, vor genau 100 Jahren, mit Künstlern eröffnet, deren Werke teilweise zuvor in Barmen zu sehen waren. Er war in erster Ehe mit der aus Elberfeld gebürtigen Dichterin Else Lasker-Schüler verheiratet. Der Bezug zu Wuppertal ist also gegeben, die Frage war, was die Berliner Museen anlässlich dieses Jubiläums beabsichtigt hatten. Dort begrüßte man das Wuppertaler Vorhaben, und die Nationalgalerie und die Berlinische Galerie waren ebenso zu einer Zusammenarbeit bereit wie das Kunstmuseum Bern, an das Nell Walden, die zweite Frau von Herwarth Walden, einen Teil ihrer Sammlung abgegeben hatte. Die Wuppertaler Ausstellung war bei weitem nicht so umfangreich geplant, wie sie sich heute präsentiert, das ergab sich erst während der Vorbereitungen. Schritt für Schritt ging Antje Birthälmer vor: „Welche Künstler und welche Werke waren im ‚Sturm’ zu sehen? Welche davon sind besonders bedeutend? Wo befinden sich diese Werke? Wie finde ich den roten Faden? Wie lässt sich die Geschichte des ‚Sturm’ nachzeichnen durch Kunstwerke? Wie können wir durch die Gegenüberstellung von Werken zugleich die Atmosphäre der Zeit lebendig machen und die vielfältigen künstlerischen Entwicklungen Revue passieren lassen?“

Hinzu kommt, dass man heute aus konservatorischen Gründen Kunstwerken nur ungern Reisen zumutet: „Umso spannender wird es, wenn ein Museum Exponate für eine Ausstellung benötigt. Da muss man sich vorher vergewissern, ob eine Zusammenarbeit überhaupt möglich ist und nach Lösungen suchen, falls ein Werk nicht ausgeliehen werden kann.“ Bei den Vorbereitungen zu dieser Schau hat das Von der Heydt-Museum vor allem im Ausland viel Unterstützung gewonnen. „Besonders schön war, dass sich die Kuriere, die ihre Bilder begleitet haben bis sie an ihrem Platz an der Wand hingen, von der Bedeutung der Ausstellung überzeugt zeigten und ‚ihre’ Werke in bester Gesellschaft fanden. Herwarth Walden und der ‚Sturm’ sind durch die herausragenden, in alle Welt verstreuten Kunstwerke bestens bekannt.“ Hinzu kommt das Engagement des Instituts für Kunstgeschichte der HeinrichHeine-Universität Düsseldorf. Andrea von Hülsen-Esch hat mit ihren Mitarbeitern zahlreiche Wissenschaftler aufgefunden, die im Katalog zu ihren jeweiligen Fachgebieten referieren. Während eines „Sturm-Symposions“ in Berlin hatten sich bereits verschiedene interessante Kontakte ergeben, doch zahlreiche „Lücken“ bedürfen noch der Aufarbeitung. Umso mehr Freude macht der wissenschaftliche Austausch anlässlich der Ausstellung, wie zum Beispiel hinsichtlich osteuropäischer Künstler, die Herwarth Walden besonders geschätzt hat. Spannend ist auch, welche Fügungen sich manchmal ergeben bei der Suche nach

Foto: Jörg Lange Künstlern und Kunstwerken. So war zunächst nicht bekannt, dass die belgische Künstlerin Marthe Donas unter dem Pseudonym „Tour Donas“ ausgestellt hat. Ein bedeutendes Werk „Die Musik“ war zwar als Titel bekannt, doch wusste man nichts über den Verbleib. Erst über einen belgischen Sammler konnten andere Kontakte nach Brüssel hergestellt werden, durch den sich nicht nur dieses und weitere Bilder von Marthe Donas fanden, sondern auch das letzte Porträt, das Edmund Kesting 1932 von Herwarth Walden gemalt hat, bevor dieser nach Russland ging. Das Aufspüren und die Möglichkeit, solche Werke ausleihen zu können, sind für die Kuratorin natürlich „besondere Glücksfälle.“ Wuppertal darf Antje Birthälmer anlässlich ihrer 25jährigen Tätigkeit im Von der Heydt-Museum danken für zahlreiche Vorträge, kunstwissenschaftliche Texte und überraschende und außergewöhnliche Ausstellungen, die mehrheitlich an die Bestände des Museums anknüpfen und immer wieder Künstler, Sammler und Sammlungen aus dieser Stadt vorstellen. Antje Birthälmer ist es zu verdanken, dass künstlerische und historische Zusammenhänge nicht nur durch Ausstellungen, sondern auch in wissenschaftlichen Katalogen aufgearbeitet werden, die ebenso fundiert wie anschaulich sind und Bürgern und Besuchern die „Kunstgeschichte“ dieser Stadt lebendig machen und bewusst erhalten. Marlene Baum

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Ein tiefer Sturz zurück Sybille Fabians Wuppertaler „Liliom“-Inszenierung: Ein Fiasko Regie: Sybille Fabian Bühne: Herbert Neubecker Kostüme: Michael Siebenrock-Serafimowitsch Besetzung: Thomas Braus (Liliom) Julia Wolff (Julie) Silvia Munzon-Lopez (Marie) Gregor Henze (Frau Muskat) An Kuohn (Frau Hollunder) Ficsur/Berkovics (Marco Wohlwend) Wolf Beifeld/Linzmann/ Stadthauptmann (Hendrik Vogt)

Fotos: Uwe Stratmann

Am Anfang ist das Inferno. Unter tosenden elektronischen Maschinengeräuschen muß im fahlen blauen Licht eines Kolumbariums ein aller Individualität entkleideter, zur Nummer 164720 degradierter Liliom die wortlosen Höllenqualen eines Verdammten durchleiden. Dante, Goya, Bacon standen Pate bei diesem gewaltigen 10-minütigen Vorspiel, das in Super-Zeitlupe und in dem großartigen Bühnenbild von Herbert Neubecker ein beeindruckendes Kabinettstück von Thomas Braus ist. Das war’s dann aber auch, denn damit war das Pulver der Inszenierung restlos verschossen. Man hätte gehen können. Geifern, Brüllen, Onanie Für das, was Sybille Fabian anschließend aus Franz Molnars „Vorstadtlegende“ vom augenblitzenden Schiffschaukel-Schieber und seiner dumm-unglücklichen Geliebten Julie gemacht hat, gibt es im Amerikanischen ein passendes Wort, welches sich hier aus Höflichkeit verbietet. Aber denken darf man es immerhin (Read my lips). Von den

weiß geschminkten, überwiegend (halb-) nackten, an Seele und Leib verkrüppelten Figuren wird unter konvulsivischem Zucken gebrüllt, zotig geröhrt, gegreint, Julie (Julia Wolff) zerrt sich, auch für den Zuseher schmerzhaft, unentwegt den Zwickel in die Scham, Marie (Silvia Munzón-Lopéz) simuliert schreiend einen Orgasmus (Meg Ryan kann’s besser), gewalttätige Polizisten onanieren angesichts ihrer brutalen Macht, mit Gasmasken vermummte Uniformierte schießen ins Publikum und küssen sich anschließend, An Kuohn agiert als Frau Hollunder geil geifernd, Gregor Henze gibt eine grölend ordinäre, wie der Antichrist hinkende Weiberrolle als Frau Muskat im Mieder und zum bitteren Ende dieser grauenhaften Inszenierung muß die arme Julie – keiner weiß warum – aus ihrem Schoß ausbluten. Genug ! Zurück in die 70er Das war ein tiefer, sehr tiefer Fall zurück in die Pubertät des Blut- und Sperma-Theaters der 70er Jahre. Hermann Nitsch und Otto

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Mühl feierten eklige Urständ’. Das Wuppertaler Schauspiel, das zu dieser ins Theater der Nachbarstadt Remscheid ausgelagerten Premiere gerade mal 60 Zuschauer ins 619 Plätze bietende Teo Otto Theater lockte, tat sich in seiner ohnehin fragilen Situation damit keinen Gefallen. Auch durch die dramaturgischen Brüche und Verstümmelung (Sven Kleine) des von Alfred Polgar grandios ins Deutsche übertragenen ungarischen Originals von Franz Molnar muß diese Inszenierung unverständlich bleiben, ist inhaltlich allenfalls Eingeweihten zugänglich. Das Stück erklärt sich in dieser Inszenierung dem unvorbereiteten Zuschauer, der ohne Schauspielführer aufgeschmissen ist, nicht, setzt auf abgeschmackte, völlig abgedroschene Effekte und quält endlich nur noch. Sahen wir nun „Liliom“ oder war es „Woyzek“? Ein ideenloses Armutszeugnis, ein dramaturgischer Bankrott. Da schüttelt den Kopf, wer nicht Claque ist oder schon nach 15 bzw. 30 Minuten gegangen – zehn Prozent der ohnehin wenigen Mutigen taten das türenschlagend. Seufzend blieb der Rezensent. Das Stück dauert 100 quälende Minuten und hat keine Pause. Man wird wissen warum. Dabei hätte Thomas Braus als Bild von einem Saukerl, gebeutelt zwischen Kotzbrocken und Opfer, eine Menge zu bieten gehabt und Julia Wolff genauso in der Rolle der zarten, mißbrauchten Pflanze. Was für eine Verschwendung. Auf jeden Schrecken ein Bier! Da kann man eigentlich nur Liliom zitieren: „Hau ab, du wortloses Grauen!“ und „Auf jeden Schrecken ein Bier!“ Theater braucht Publikum. Theater spielt für Publikum. So gewinnt man es nicht, sondern verprellt es und erweist besonders dem am Rande seiner Existenz balancierenden Wuppertaler Schauspiel einen Bärendienst. Für diese Inszenierung verleiht der Rezensent der Musenblätter Sybille Fabian ein selten vergebenes Prädikat – das, was für Hollywood die Goldene Himbeere ist: den Musenblattschuß. Für ganz Mutige: Die Wuppertaler Premiere ist am 19. April 2012 im Opernhaus Weitere Infos: www.wuppertaler-buehnen.de Frank Becker

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Ich will sie tanzen lassen Fast den ganzen Winter verbrachte ich wie gefesselt an meinem Schreibtisch; meine Produktivität ging gegen Null. Ein glückliches Ende der Kurzgeschichte „Joanna“ ließ sich einfach nicht finden. ‚Jetzt reicht es mir! Ich bin total erschöpft’. Eines Morgens begann es in mir zu rebellieren. ‚Wo war dein schlechtes Gewissen früher, als du die armen Kreaturen in deinen Geschichten haufenweise in die Klemme getrieben und dort gelassen hast? Warum muss gerade Joanna am Ende ihrer Story mit einem Hoffnungsschimmer gesegnet werden!?’ Wenn ich eine rationale Erklärung hätte...

Safeta Obhodjas Foto: Simone Fiedler-Roidl

Mit dem „Jobben“ in Kunsthäusern stockte ich nicht nur mein Einkommen auf. Es passierte ab und zu, dass ich heimlich und kostenlos die Veranstaltungen und Aufführungen genießen durfte, deren Eintrittskarten für meine Verhältnisse ein Vermögen kosteten. Als einen Gewinn betrachtete ich die Bekanntschaften mit den Künstlern, die oft launisch wie das Wetter im Tal waren. Ihr Vertrauen kam mir aber zugute, weil ich ihre Geschich-

ten immer in meinen Texten verwenden konnte. Joanna war für mich ein besonderer Fall. Ich hatte sie vor einem Jahr kennengelernt, als ich im Foyer während der ersten Aufführung des Tanzstücks „Die Kunst der Verführung“ die Garderobe hütete. Der Saal war brechend voll und dieses Mal gab es keine Chance, mich hineinzuschleichen und einen Platz in den letzten Reihen zu ergattern. Im Theater tummelten sich geladene Gäste, Politiker und Journalisten, weil diese Premiere der Höhepunkt der Saison war. Nachdem die Türen geschlossen und der Vorhang geöffnet worden waren, hatte ich wieder Zeit für mich. Das war eine Möglichkeit, die Ausstellung in einem der Probesäle zu besichtigen. Im Ausstellungsraum war es dunkel, so bemerkte ich die anwesende Person nicht sofort. Ich hatte eine Taschenlampe dabei und entschied mich, die Exponate nur mit sparsamem Licht zu bewundern. Jedoch: Die andere Besucherin hatte die gleiche Idee, und plötzlich wurde die Ecke, in der einige Mosaiken ausgestellt

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waren, durch einen Lichtstrahl erleuchtet. Im Halbdunkel erahnte ich eine schlanke, weibliche Gestalt, die vor einem Bild stand. ‚Wer kann das sein? Vielleicht ein Mädchen, das aus dem Ensemble geflogen ist’, dachte ich mitleidig. Ich fühlte mich aber nicht nur als Liebhaberin, sondern auch als Hüterin der Kunstschätze und durfte die andere Besucherin dort nicht allein lassen. Deshalb machte ich das Licht an und begrüßte sie höflich. Überrascht zuckte ich ein bisschen zusammen, weil ich einer Frau gegenüber stand, deren müde, faltenreiche Gesichtszüge nicht zu ihrem schön gebauten, schlanken Körper passten. Sie verhüllte ihre Schultern mit einem Schal aus besticktem Plüsch und wandte sich ab von mir. Ich konzentrierte mich nur scheinbar aufs Gemälde, das die Szenen einer Tanzaufführung darstellte, nahm aber jede ihrer Bewegungen wahr. „Wie spät ist es?“, fragte sie plötzlich. Ich warf einen Blick durchs Fenster auf die Kirchturmuhr. „Zwanzig nach acht.“ „Jetzt läuft die Szene mit den zwei Schönheiten und einem Gockel“, sagte sie. „Er gockelt herum und genießt den erbitterten Streit zweier Freundinnen, die seinetwegen Nebenbuhlerinnen geworden sind.“ Sie mimte nacheinander zwei Streithähne, so humorvoll, dass ich laut lachen musste. „Auf der Bühne genau wie im wahren Leben. Sind Sie auch Tänzerin?“ „Ja, Tänzerin und Choreografin.“ „Gehören Sie auch dazu?“, ich zeigte Richtung Saal. „Ich bin Joanna. Die Premiere ist mein Werk, aber ich gehöre nicht dazu.“ ‚Das ist mir bekannt’, dachte ich. ‚Nach jeder schöpferischen Höhe kommt ein Flug in die Tiefe.’ Sie widmete sich wieder den Bildern und murmelte etwas vor sich hin. Die gute Akustik des Raums machte mir ihre Worte verständlich. „Das ist das dritte Mal, dass ich diese Gemälde bestaune. Das Bild hier erinnert mich an einen Vorhang auf der Theaterbühne in Malaga und an meinen großen Erfolg. Das war ein wunderschöner Vorhang aus einem beige-braunen Brokat.“ Ich kam einige Schritte näher, um ihrer Geschichte lauschen zu können.

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„Tanz, Tanzen, Schweiß, Übungen, Proben, Reisen, Bühnen, Applaus, Zugaben, nicht enden wollende Wiederholungen, das alles kannte ich seit meiner Kindheit. Daraus bestand mein ganzes Leben. Wenn ich dieses Bild an der Wand dort umdrehe, sehe ich die hellen Streifen als meinen Weg. Immer holprig, immer schwierig zu besteigen. Rechts befinden sich die Erinnerungen aus der Privatkiste und links aus dem Beruf. Allerdings ist meine Privatsphäre noch viel dünner bestückt als das hier zu sehen ist: einige Liebschaften, eine aufgelöste Verlobung, ab und zu Besuch bei meiner Mutter, die mich mit ihrer Kochkunst verführt. Nach dem „Hotel Mama“ stand immer das Hungern auf dem Programm. Jedes Gramm mehr bedeutete Ärger mit Programmdirektoren und Choreografen. Die Liste der Theater, an denen ich ein Engagement hatte, ist ziemlich lang, weil ich ständig nach neuen Herausforderungen suchte. Drei Jahre hatte ich das Engagement im hiesigen Tanzhaus. Aber die Leiterin warf mich raus, weil ich ständig versuchte, meine eigene Choreographie durchzusetzen. Ich war nicht immer fügsam und tanzte in der Reihe wie ein Kettenring. Danach schloss ich mich einem Ensemble an, das mir mehr Chancen für Soloauftritte anbot. Nicht so oft, wie ich es mir wünschte, aber immerhin hatte ich zwei bis drei Mal pro Saison die Bühne nur für mich. Wie zum Beispiel in Malaga. Für meinen zehnminütigen Soloauftritt wurde ich in dieser Stadt wie ein Star gefeiert. Ein begeisterter Kritiker schrieb in der Zeitung: Und dann erschien Joanna auf der Bühne. Am Anfang waren es ganz langsame Bewegungen, die man kaum wahrnehmen konnte. Es schien, als ob in Bauch und Hüften der Tänzerin leise Eruptionen entstünden, die ihren Körper sanft erschütterten. Ihre entblößten Arme schwankten und schlugen wie Vogelflügel ohne Knochen. Die Eruptionen in ihrem Körper wurden immer stärker, das Wirbeln erfasste nacheinander ihre Brüste und Hüften, dann ihren Bauch; sie bebten und zitterten, als ob im Körper Feuer und Eis aufeinandergeprallt wären“. In Malaga blieben wir leider nur einen Monat.

Der Körper ordnete sich meinen Wünschen unter, so dass ich nicht einmal daran dachte, wie die Jahre ihre Spuren bei mir hinterließen. Ich dachte, ich würde noch eine Ewigkeit vor mir haben, weil sich keine junge Tänzerin mit mir messen konnte. Aber eines Tages wurde ich einfach ausgemustert und nach Hause geschickt, obwohl ich kein richtiges Zuhause hatte. Wohin sollte ich gehen? Ich stieg in einen Zug und landete wieder in dieser Stadt, aus der ich einmal vertrieben worden war. Es gab nur eine Adresse, zu der ich gehen konnte. Ich klopfte an die Tür des Tanztheaters. „Darf ich bei euch wieder tanzen?“ „Dafür bist du zu alt“, entschied die Chefin prompt. Aber sie hatte mich und meinen Eifer von damals nicht vergessen. „Du kannst aber Choreografin werden. Ich biete dir zwei Semester Nachschulung, weil dir die pädagogischen Kenntnisse fehlen. Dann werden wir weiter sehen.“ „Diese Chance nahm ich an. Ich konnte mir ein Leben außerhalb des Theaters nicht vorstellen. Zwei Semester Schule plünderten mein Sparkonto. Zum Glück hielt die Leiterin Wort und stellte mich ein. Nicht fest, weil ich seitdem immer nur den Vertrag für ein Projekt bekomme. Der Hungerlohn reicht gerade für eine Studentenbude mit einer Badewanne ohne Dusche, in einer Gegend, in die abends kein Bus mehr hinfährt. Aber ich muss glücklich sein, in meinem Alter diese Arbeit zu haben, das sagen alle, die ich kenne. Solange ich mit den jungen Tänzern übe und übe und übe, schaffe ich es, alles andere zu verdrängen. Was denkst du, wie viele Male wir die Szenen wiederholen müssen, bis ich das Beste aus ihnen heraushole. Als eine gute Pädagogin versuche ich auch den jungen Leuten zu helfen, sich in ihrem Alltag zurechtzufinden und Streitigkeiten und Feindseligkeiten zu begraben. Ich baue die Überleitungen zwischen den Szenen, führe die Tagebücher der szenischen Entwicklung und ertrage die Schikane der Vorgesetzten. Ich muss ruhig bleiben, wenn sie mitten in die Probe hineinplatzt und alles, was wir machen, schrecklich findet. Sie bereue, mich je angestellt zu haben, weil ich ihr Werk mit meiner Schlamperei zerstöre. Sie überlege, ob sie meinen Vertrag


‚Willst du jetzt das Künstlerleben Joannas neu erfinden und dich als eine Glücksmacherin profilieren?‘, verspottete mich dieselbe raue Stimme aus meinem Unterbewusstsein. ‚Wer spricht von profilieren! Es ist mein bitterer Ernst, etwas für Joanna zu tun.‘ Doch Wollen und Können sind Meilen entfernt. Das Ideen-Karussell für ein glückliches Ende beginnt sich von neuem zu drehen: ‚Ich schenke ihr ein Kunstwerk aus der plastischen Chirurgie. Mit einem verjüngten Gesicht könnte sie eine neue Karriere als Tänzerin starten ... Oder ich arrangiere ein Treffen mit ihrem ExVerlobten, der sie nie vergessen konnte. Ach was! Warum soll ich ihr einen Greis aufhalsen? Eine Liebesgeschichte mit einem jungen Tänzer wäre nicht schlecht. Blödsinn, wie kann sich Joanna einen so teuren Jüngling leisten?‘ Tagelang suchte ich nach einer glücklichen Wendung in Joannas Karriere. Vergeblich. ‚Diese Drehungen machen mich wahnsinnig!‘ Etwas in meinem Kopf zog so heftig an der Bremse, dass ich erschüttert herunterfiel und auf einem leeren Feld landete. Ich hatte keine Lust wieder aufzustehen. Doch meine Gedanken ließen mich nicht in Ruhe: nach einer Weile hieß es wieder. ‚Raff dich auf! Jetzt stell dir den Ausstellungsraum vor, wo du nach dem Treffen mit Joanna drei Mal alleine warst. Was hast du auf den Bildern „Tänzer bei der Probe“ gesehen? Kannst du dich daran erinnern?!‘

Natürlich konnte ich mich an jedes einzelne erinnern. Auf mehreren Gemälden tanzte Joanna mit einem älteren Herrn zusammen und das tanzende Paar wurde von einigen Damen im Hintergrund bewundert. „Kunst der Verführung – ein Besuch bei Joannas Senioren-Tanzensemble“, lautete die Überschrift des Triptychons. Ob das alles nur meine Phantasie war oder diese Bilder tatsächlich existierten, spielte jetzt keine Rolle. Ich öffnete eine neue Datei auf meinem PC, um ihre Darstellungen in die Rettung meiner Figur einfließen zu lassen. Ich hatte die Idee, meine Geschichte der realen Joanna zu senden. Wer weiß, ob sie damit etwas anfangen kann? Safeta Obhodjas

Safeta Obhodjas wurde 1951 in Pale, in der Nähe von Sarajevo, in eine bosnischmuslimische Familie hineingeboren. Sie hat in Sarajevo studiert und gearbeitet und mit ihrer Familie in Pale gelebt. 1980 begann sie mit den Veröffentlichungen ihrer Prosa. In zahlreichen Werken stellte sie moderne Frauen Bosniens vor, in ihrer ganzen Zerrissenheit zwischen Moderne und Tradition in einer patriarchalischen und tief gespaltenen Gesellschaft. Ende 1992 musste sie unter dem Druck der serbischen Nationalisten ihre Heimat verlassen. Seitdem lebt sie in Deutschland, in Wuppertal, und hat ihre schriftstellerische Tätigkeit zweisprachig fortgesetzt. In Bosnisch und Deutsch. Im NordPark Verlag Wuppertal sind zwei ihrer Werke erschienen: Das Audiobuch „Ketten reißen nie von selbst“ und der Erzählband „Frauen aus der Karawane Sinais“. Im LIT-Verlag, Münster, der 2007 das Buch „Legenden und Staub – auf christlich-islamischen Pfaden des Herzens“ publiziert hat, wird demnächst in der AT-Edition ihr Jugendroman „Mert ein Deutschtürke im Abseits“ erscheinen. www.safetaobhodjas.de

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Dies hat nicht nur den positiven Nebeneffekt, dass sich die Abgabefrist für die jährlichen Steuererklärungen verlängert. Zusätzlich

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für die nächsten Monate verlängern solle. Mit alldem habe mich abgefunden, das gehört dazu, das ist meine Last auf dem mühsamen Weg zur Premiere. Und dann kommt der große Tag! Das ist ein Abend, an dem sie mich wie einen Gegenstand in einer Ecke abstellen. Für eine Lorbeerkrone sind die anderen Köpfe und für die Blumen andere Hände bestimmt. Das Rampenlicht ist so nah und doch so weit weg, weil ich nicht dazu in der Lage bin, unserer Königin den Erfolg streitig zu machen. Die Tänzer dürfen sich um sie scharen und den Jubel des Publikums mit ihr genießen. Das ertrage ich nicht mehr länger, diese Gewissheit, dass ich nur einen Beitrag zum Ruhm der anderen geleistet habe. Ich will weg, weg ... Ich will nichts sehen und nichts hören.“

geben wir bereits bei der Erstellung der Erklärung Hinweise, wie sich die Steuerlast minimieren lässt.

Susanne Schäfer Steuerberaterin

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Elberfelder Barrikadenkämpfe als Oper „Aufstand“ Oper und Stadtführung Kammeroper von Enver Yalcin Özdiker Text von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel Musikalische Leitung: Tobias Deutschmann Inszenierung: Christian von Treskow Bühne und Kostüme: Dorien Thomsen Dramaturgie: Johannes Blum Mit: Olaf Haye, Dorothea Brandt, Kristina Stanek, Christian Sturm, Marek Reichert, Rolf A. Scheider, Annika Boos, Philipp Alfons Heitmann Sinfonieorchester Wuppertal

Fotos der Aufführung: Uwe Stratmann

„Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“ steht in Riesenlettern oben über der der Bühne. Die Aufführung zeigt, dass es nicht so ist und wohl nie so war. Realistische und symbolische Handlungselemente ergänzen sich: Der Oberst, der in seiner Rolle tot auf dem Tisch gelegen hat, hilft beim Umbau der Bühne, der Revolutionär Anton legt sich in die Barrikade und zeigt dadurch erst, dass er hier erschossen wurde, während Engels auf dieser Barrikade sitzt und eine Teetasse hält. Er kommt ganz besonders schlecht weg in diesem Stück, weil die Praxis seiner Meinung nach nicht der Theorie entspricht. Das Bühnenbild markiert die drei großen Szenen des Stücks: zuerst stehen auf der Bühne Einzeltische, die werden dann zu einer großen Tafel zusammengeschoben, über der ein Kronleuchter hängt; in der dritten großen Szene werden diese Tische dann zu einer Barrikade umgebaut. Jede Großszene besteht wiederum aus vielen Einzelszenen, in denen die Wünsche, Ansichten und Taten der handelnden Personen deutlich gemacht werden. Der aus der Türkei stammende Autor Feridun Zaimoglu hat zusammen mit Günter Senkel ein Libretto geschrieben, das den Elberfelder Aufstand von 1848 zum Thema hat, aber nicht nur Geschichte beleuchtet, sondern das Aufeinandertreffen von Individualität und Politik in den Mittelpunkt stellt.

Beide Töchter des Elberfelder Tuchfabrikanten Gottfried Jansen (Olaf Haye) verlieben sich in den falschen Mann. Graziella, die ältere (Kristina Stanek), hat sich in den preußischen Major Robert von Arrenberg (Marek Reichert) verliebt, obwohl sie politisch demokratische Ideen vertritt; deshalb wird sie auch als rote Suffragette beschimpft, sie steht ihrem Vater so gegenüber wie eine Achtundsechzigerin vor 40 Jahren ihren Eltern. Sie übernimmt auch in der Liebe die Initiative, sehr zum Verdruß des verklemmten Oberst, der soviel Tatkraft von einer Frau nicht erwartet. Susanne, die zweite Tochter (Dorothea Brandt), ist dagegen zuerst konservativ und angepasst, hat sich aber in den revolutionären Arbeiter Anton (Christian Sturm) verliebt – Emotionen sind eben stärker als gesellschaftlicher Stand. Sie verlässt aber ihr Elternhaus, geht mit Anton. Die Entwicklungen der Barrikadentage sind für beide tödlich. Die beiden Männer sterben noch früher, der Oberst als erstes Opfer des Barrikadenkampfes (alle, auch Anton haben auf ihn geschossen), Anton fällt im weiteren Verlauf der Unruhen. Engels erscheint in diesem Zusammenhang als blutleerer Theoretiker. Gesellschaftliche Heuchlerei wird auch hier gezeigt, wenn am Schluss klar wird, dass das Dienstmädchen (Annika Boos) schon lange die geheime Geliebte des Vaters ist und das auch ganz selbstver-

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ständlich findet. Die sehr schlüssige und gut nachvollziehbare Inszenierung besorgte der Wuppertaler Schauspielintendant Christian von Treskow. Die Musik dieser Kammeroper stammt von Enver Yalcin Özdiker, der wie Zaimoglu aus der Türkei stammt, aber seit 2004 in Deutschland lebt. Irgendwelche Anklänge an türkische Musik hört man aber überhaupt nicht, der Komponist bedient sich des gesamten Spektrums der avantgardistischen Musik. Zwar erscheint es zuerst so, als unterstütze die Musik den Gesang kaum; bei aufmerksamem Zuhören wird aber deutlich, dass sie den Gestus der Handlung wiedergibt und unterstützt. Auch wird nicht nur gesungen, sondern auch zur Musik gesprochen: dabei fällt schon auf, dass eher Gefühlsmäßiges angesprochen ist, wenn gesungen wird, und dadurch die Gefühle intensiviert werden, und gesprochen, wenn die Handlung weitergeht oder vorangetrieben wird. Es gibt Andeutungen eines Trauermarsches und eines aggressiven Geschwindmarsches, aber auch aperiodische Klangflächen (hier fallen besonders Akkordeon und Cembalo auf), denen wiederum stark rhythmisch geformten Passagen gegenüberstehen. An Wendepunkten schweigen die Musiker ganz und aus den Lautsprechern dringt bedrohlich wirkende elektronische Musik. Es ist anstrengend, dieser Musik zu folgen, aber allemal lohnend. Hoch zu loben sind die Musiker des Wuppertaler Orchesters, die diese Musik unter Leitung von Tobias Deutschmann eingeprobt haben und dabei ihren Instrumenten alle möglichen neuen und ungewöhnlichen Klangfarben entlocken mussten. Während des Stückes sind sie den Blicken der Zuschauer fast ganz entzogen, weil sie von einem Rollo abgetrennt hinter der Spielfläche agieren. Danach dürfen sie verdientermaßen zusammen mit den Sängern den Applaus des begeisterten Publikums entgegen nehmen. Fast noch höher einzuschätzen ist die Leistung der Sänger, da von dieser so gearteten Musik kein Klavierauszug herzustellen ist und auch kein Instrument die Melodiestimme mitlaufend unterstützt. Wie der Dramaturg Johannes Blum in seiner Einführung berichtete, lagen hier bei den Proben sehr große Schwierigkeiten, die aber offenbar mit viel kreativer Arbeit hervorragend gelöst wurden. Die Drama-

Stadtführer Rainer Rehfuss vor einer modernen Barrikade an der Stelle der alten. Foto: Fritz Gerwinn turgie des Wuppertaler Theaters hatte sich zu dieser Oper einiges einfallen lassen. Am 20. 5. 2012 hat eine Lesung des Autors Feridun Zaimoglu stattgefunden, im Anschluss an die vorletzte Aufführung des Stücks. Weiter gab es am 12. 5. 2012 eine Stadtführung zum Thema der Oper. Der Wuppertaler Historiker Rainer Rehfuss führte eine interessierte Schar von Interessenten durch die Elberfelder Innenstadt. Man besuchte nicht nur die Orte des Geschehens, sondern erfuhr auch viele Details, die über den eigentlichen Aufstand weit hinausgingen. Begonnen wurde am Laurentiusplatz, auf dem das preußische Militär lagerte, von Düsseldorf per Zug und vom Bahnhof Steinbeck zu Fuß kommend. In diesem Zusammenhang wurde deutlich, dass es 1848 noch keine Verbindung zwischen dem heutigen Hauptbahnhof und dem Bahnhof Steinbeck gab, denn der Johannisberg lag noch dazwischen. Wuppertal hatte damals also zwei Kopfbahnhöfe. Den Teilnehmern wurde im Verlauf der Führung sehr schön klar gemacht, welche große Bedeutung die Stadt Elberfeld als Industriestandort und Arbeiterhochburg im damaligen deutschen Reich hatte und dass die Preußentreue im Wuppertal – trotz der barrikadenkämpfe im Mai 1848 - erheblich höher war als auf der katholisch ge-

prägten Rheinschiene. Deutlich wird das an der Geschichte, wie die Düsseldorfer Königsallee zu ihrem Namen kam: Nachdem die Düsseldorfer den preußischen König bei einem Besuch in der Stadt mit Pferdeäpfeln beworfen hatten, boten die Düsseldorfer Stadtväter dem König reumütig als Buße an, ihre Lindenallee in Königsallee umzubenennen, was in Berlin leutselig angenommen wurde. Bei der Darstellung der Elberfelder Ereignisse wurde auch klar, dass das militärische Vorgehen der Preußen in dieser Situation mehrfach ungeschickt und taktisch falsch war. Dagegen wurde die Rolle von Friedrich Engels in diesem Zusammenhang ausdrücklich gelobt, der ja in der Oper – offensichtlich der Theatralik geschuldet – sehr schlecht wegkommt. Einer der entscheidenden Orte war die Stelle der Elberfelder Hauptbarrikade an der Einmündung der Herzogstraße in den Wall, direkt unterhalb des Hauses des Bürgermeisters (hier ist heute ein Schuhgeschäft im Erdgeschoss) und beobachtet vom Preußenadler auf dem Rathaus (heute von-der-Heydt-Museum): hier wurde der preußische Offizier erschossen, und hier sind auch der Gedenktafeln für die zu Tode gekommenen Arbeiter ins Pflaster eingelassen. Fritz Gerwinn

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Fresh Widow Fenster-Bilder seit Matisse und Duchamp Bis zum 12. 8. 2012 Kunstmuseum NRW, K20

linke Seite: Henri Matisse, Rotes Interieur, Stillleben auf blauem Tisch, 1947, Öl / Lw, 116 x 89 cm, Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, © Succession H. Matisse/ VG Bild-Kunst, Bonn 2012 unten: Brice Marden, Zweites Fensterbild, 1983, Öl auf Leinen, 5-teilig, 61 x 229,6 cm, Daros Collection, Schweiz, © Brice Marden

Mit mehr als 100 Kunstwerken aus den vergangenen 100 Jahren spürt die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen einem der beliebtesten Motive der Kunst nach: dem Fenster. In den Bildern vom „Zimmer mit Aussicht“ markiert es die Schwelle zwischen Innen- und Außenraum. Die Beobachtung, dass der Blick auf ein Bild dem durch ein offenes Fenster gleiche, schrieb der Renaissance-Gelehrte Leon Battista Alberti bereits 1435 in seiner Abhandlung über die Malerei nieder. Er schuf damit eine Metapher, die Jahrhunderte lang die Vorstellung von einem Bild prägte, das durch die Regeln der Zentralperspektive organisiert ist und – wie das Fenster – einen Ausschnitt, den Teil eines Ganzen sichtbar macht. So diente das Motiv seit jeher auch der Reflexion über das Medium Malerei selbst. Die Ausstellung Fresh Widow. FensterBilder seit Matisse und Duchamp in K20 Grabbeplatz zeigt, wie Künstler seit Robert Delaunay oder Henri Matisse in ihren Fenster-Bildern eine Malerei erprobten, die nicht mehr allein dem Abbilden von Wirklichkeit verpflichtet ist. Die Leihgaben aus dem In- und Ausland werden dabei durch neun bedeutende Werke aus dem Besitz

der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen ergänzt, so zum Beispiel Matisses Interieur rouge, nature morte sur table bleue (1947), Jeff Walls Morning Cleaning, Mies van der Rohe Foundation, Barcelona (1999) oder Gerhard Richters 7 Stehende Scheiben (2002). Das Fenster blieb auch im 20. Jahrhundert ein beliebtes Bildmotiv, immer häufiger aber wurde es isoliert gezeigt, ohne Bindung an eine Architektur, ohne Ausblick in eine Landschaft, ohne sehnsüchtig in die Ferne schauende Rückenfigur. Mit dem verkleinerten Nachbau eines französischen Fensters, dessen Scheiben mit schwarzem Leder abgeklebt und damit undurchsichtig sind, markierte Marcel Duchamp 1920 so lakonisch wie eindringlich den Abschied vom Ausblick: Fresh Widow verkündet mit seinem sprachspielerisch auf „French Window“ bezogenen Titel programmatisch diesen Verlust und öffnet den Weg zu Neuem. Das Fenster erblindet oder – wie in den Bildern von René Magritte – zerspringt sogar. Immer häufiger verweigert es fortan den Blick auf die Welt, um einer neuen Bildwirklichkeit Raum zu geben. Mit seiner 1912 entstandenen Bildergruppe Les fenêtres (Die Fenster), in denen

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Installationsansicht „Fresh Widow.“ (31. 3.-12. 8. 2012), K20 Grabbeplatz, Foto: Achim Kukulies, Düsseldorf 40


Gegenständliches wie die Silhouette des Eiffelturms nur noch schemenhaft erkennbar ist, schafft Robert Delaunay Kompositionen jenseits der wirklichen Welt. Auf der Bildfläche entsteht eine neue Realität aus Farbe und ihren Wirkungen, die sich erst im Auge des Betrachters vollendet. Zu den wohl radikalsten Gemälden von Henri Matisse gehört Porte fenêtre à Collioure von 1914, das der surrealistische Autor Louis Aragon als „eines der geheimnisvollsten Bilder“ beschrieb, die je gemalt wurden. Erstmals 1966 ausgestellt, hat es seither viele Maler nachhaltig beeindruckt. Von 1950 an konzentrierten sich Künstler wie Ellsworth Kelly, Robert Motherwell, Eva Hesse, Gerhard Richter, Christo, Brice Marden, Günther Förg, Isa Genzken, Toba Khedoori, Jeff Wall, Sabine Hornig und Olafur Eliasson ausgehend vom Motiv des Fensters auf grundlegende Fragen und Phänomene von Kunst: auf die reduzierte Form des Fensters und seine formale Ähnlichkeit mit dem Raster und der gerahmten Bildtafel, auf die Rahmung und damit das Leken des Blicks, auf Transparenz und Spiegelung, Licht und Schatten, auf das Verschleifen von Öffnung und Fläche und schließlich auf die Befreiung von jeder Materialität. Ellsworth Kelly etwa steht beispielhaft für die zahlreichen Künstler, die in der Auseinandersetzung mit dem Fenstermotiv zu einer eigenen Bildsprache gefunden haben. Er vollzog mit seinen zunächst als Konstruktionen bezeichneten Windows 1949 die Wendung von der abbildenden Malerei zu einer auf die Form konzentrierten Kunst. Christos zwischen 1964 bis 1968 entstandene Store Fronts und Show Cases präsentieren sein großes Thema des Zeigens und Verhüllens, und sie stehen am Anfang seines Wegs zu den Großprojekten, die er seit 1968 mit Jeanne Claude realisiert hat. Isa Genzkens Fensterskulpturen sind isolierte Architekturelemente, die auf ihren filigranen Stahlsockeln sowohl Einblicke als auch Auf- und Ausblicke ermöglichen. Als „Versuchsandordnung“ versteht Olafur Eliasson seine Arbeit Window projection (1990), die ausschließlich aus der Reflexion eines auf die Wand gestrahl-

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Marcel Duchamp, Fresh Widow, 1920/1964, Modell eines französischen Fensters, Holz bemalt, Glas, Leder, 77,5 x 45 x 10,2 cm, Foto: Israel Museum, Jerusalem by A. Avital

René Magritte, Lob der Dialektik, 1937, Öl/Lw, 65,5 x 54 cm, National Gallery of Victoria, Melbourne, 1971, © VG Bild-Kunst Bonn 2012

ten Fenster-Motivs besteht. Als Raum im Raum konstruiert Sabine Hornig ihren Raum mit großem Fenster und verstrickt den Ausstellungsbesucher in verwirrende Seherlebnisse, wenn sich das fotografierte Bild mit den Spiegelungen und Durchsichten auf der reflektierenden Oberfläche verschränkt.

Stellvertretend für die vielen filmischen Arbeiten zum Thema, die seit den 1950er-Jahren entstanden, ist zudem Front Windows (2008–09) von Jochem Hendricks zu sehen. Die Gemälde, Zeichnungen, Objekte, Skulpturen, Fotografien und Projektionen in der Ausstellung Fresh Widow. FensterBilder seit Matisse und Duchamp stehen stellvertretend für

Ellsworth Kelly, Fenster IV, 1950, Öl auf Leinwand und Holz, 2-teilig, 66 x 159,7 cm, Privatsammlung, © Ellsworth Kelly

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Gerhard Richter, 7 Stehende Scheiben, 2002, Glas / Stahl, 234 x 167 x 336 cm, Kunstsammlung NRW, erworben 2006, © Gerhard Richter 2012, Foto: Achim Kukulies

Robert Delaunay, Fensterbild, um 1912-1913, Öl / Lw, beidseitig bemalt 64,5 x 52,5 cm (Bild), Kunstsammlung NRW, Düsseldorf

die verblüffende Vielfalt und Verschiedenartigkeit der seit 1912 entstandenen „Bild“- Entwürfe. Eindrucksvoll zeugen sie von einem beharrlichen Arbeiten an Bildproblemen, die in den Zonen zwischen gegenständlicher und abstrakter Malerei, zwischen Bildraum und Fläche, zwischen Ausschnitt und Ganzheit, Öffnung und Verschließen, zwischen Bild und Objekt angesiedelt sind.

Katalog Museumsausgabe, Hatje Cantz Verlag, 288 Seiten mit ca. 180 farbigen Abbildungen zum Preis von 36,00 Euro Stiftung Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Grabbeplatz 5, D-40213 Düsseldorf, www.kunstsammlung.de

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Wieder gelesen Karl Otto Mühl

Warum immer nur Neuerscheinungen besprechen? Unter dem Titel „Wieder gelesen“ wird diese Zeitschrift in Zukunft über Wuppertaler Autoren ohne erkennbaren Anlass schreiben außer dem einzigen, dass sich die Lektüre ihrer Bücher lohnt. Wenn dann noch ein hiesiger Verleger seine Hand im Spiel hat, ist unser Glück – fast – vollkommen. „Brunnen“ heißt das Gedicht: „Manchmal holt man ein Wort heraus aus der Tiefe zieht es hoch und sieht die ganze Welt hängt daran“.

Karl Otto Mühl wurde am 16.2.1923 in Nürnberg geboren. 1929 folgte der Umzug der Familie nach Wuppertal. Dort Ausbildung zum Industriekaufmann. 1941 Kriegsdienst in Afrika, Gefangenschaft in Ägypten, Südafrika, USA, England. Im Februar 1947 Rückkehr nach Wuppertal, wo er sich der Künstlergruppe »Der Turm« anschließt, der auch Paul Pörtner angehört. Erste Kurzgeschichten werden 1947/48 veröffentlicht. Am Carl-Duisberg-Gymnasium holt er 1948 das Abitur nach, danach Werbeund Verkaufsleiter in Maschinen- und Metallwarenfabriken. Erst in der Mitte der 60er Jahre gelingt es ihm wieder, kontinuierlich zu schreiben. Zwischen 1964 und 1969 entsteht der Roman »Siebenschläfer« (veröffentlicht 1975), mit den Theaterstücken »Rheinpromenade«, »Kur in Bad Wiessee«, »Die Reise der alten Männer« gelingt ihm der Durchbruch. Seitdem veröffentlichte Karl Otto Mühl dreizehn Theaterstücke, zahlreiche Fernsehfilme, Hörspiele und Romane. Die Stadt Wuppertal verlieh ihm 1975 den Eduard von der Heydt-Preis.

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Es stammt aus der Sammlung „Lass uns nie erwachen“, die im Jahr 2008 bei Nordpark erschienen ist, dem Verlag, in dem Karl Otto Mühl seit der Jahrtausendwende neue – und ältere – Werke veröffentlicht, darunter sich auch eine Neuauflage seines wohl wichtigsten Romans, „Der Siebenschläfer“, der erstmalig 1975 im renommierten Hermann-Luchterhand-Verlag erschien. Günter Blöcker – auch ein Name, der noch einen Klang hat – schrieb seinerzeit in der „Frankfurter Allgemeinen“ über die Veröffentlichung: „Es ist das Buch eines Unabhängigen und damit allerdings etwas, das die Welt in der Regel am wenigsten zu schätzen weiß.“ Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft, Währungsreform, ein Arbeitsplatz, beruflicher Erfolg, der Wunsch, sich im Leben einzurichten: Mühl setzt ein Bild der Jahre 1947 bis 1957 zusammen, das er aus dem Blickwinkel eines mittleren Angestellten betrachtet, der nachdenklich genug bleibt, um sich am Schluss der großen Karriere zu verweigern. Die große Desillusionierung kommt am Ende des Romans: „Ich kenne das alles schon. Man muss sich damit abfinden, nie der ganz Richtige für die Firma zu sein. Die meisten Chefs glauben, einmal den ganz Richtigen zu finden.“ Wuppertal beschreibt er darin als einen „steinernen Wurm, der sich durch ein langes, waldiges Tal schlängelt“. Dort wächst die Titelgestalt auf, in Deutschlands braunen Jahren. Der Autor blickt für uns

zurück. So fragt der „Pimpf“ einen Lehrer besorgt: „Herr Studienrat, wenn man aber nicht blond ist oder keine blauen Augen hat? Wird man dann noch was?“ Die Antwort: „Aber natürlich, Junge. Es gibt doch auch das Geistig-Nordische. Denk nur an Kant, was war das für ein großer, klarer, nordischer Geist im Deutschen Osten, und dabei ganz klein von Gestalt.“ „Der Siebenschläfer“ ist das Mittelstück einer lockeren Trilogie, die mit dem Roman „Die alten Soldaten“ ihren Abschluss findet und deren erster Band „Nackte Hunde“ heißt. Für die Schilderung einer Jugend im Dritten Reich hat Mühl nach eigener Darstellung „autobiographisches Material“ verwendet, das er „mit der Freiheit des Romans“ verbunden hat. Er führt sehr eindringlich die Wirkungen der nationalsozialistischen Propaganda vor, die eine große Wirkung auf die Masse der Jugendlichen ausübte, zumal die wenigsten von ihnen zu Hause „gegenaufgeklärt“ wurden: „Der Staat hatte Feinde, zuallererst natürlich die Juden und die Kommunisten. Aber auch alle möglichen anderen Gruppen, welche die Macht der Regierung unterminieren wollten. Sie trafen sich an geheimen Orten und fügten sich keiner Ordnung. Und dann waren da noch die warmen Brüder, die Schwulen.“ Im „alten Soldaten“ beschreibt Mühl Krieg, Gefangenschaft und Nachkriegszeit durch die Brille seines Protagonisten Willy Caspers. „Ein Roman von großer emotionaler Tiefe, wenn auch sachlich in der Sprache und klar in der Struktur“, bemerkte der Rezensent der Internetplattform „Musenblätter“ im Erscheinungsjahr 2009. Die Zeit in humaner britisch-amerikanischer Kriegsgefangenschaft, die dem kurzen Kriegseinsatz auf den nordafrikanischen Schlachtfeldern folgen, bilden den Kern der Veränderung in Caspers’ Leben. „Karl Otto Mühl weiß menschliche Schicksale und Begegnungen ungemein fesselnd zu beschreiben, seine Figuren sind lebendig, farbig, hautnah.“ Fesselnd, lebendig und farbig sind auch seine weiteren Romane, Erzählungen und nicht zuletzt seine Arbeiten für Funk und Fernsehen sowie seine Theaterstücke, von denen die „Rheinpromenade“ das bekannteste ist. Sie lief vor vier Jahrzehnten auf rund 70 Bühnen der ganzen Republik und machte den ungemein produktiven Autor – wie sagt man so schön – über Nacht


berühmt. Dass er wie andere Schriftsteller auch den Zenit der Popularität überschritten hat, darf man bedauern. Sein derzeitiger Verleger, Alfred Miersch, knüpft aber an die für das Jahr 2013 angekündigte Wiederaufführung des Stücks in Köln die Hoffnung, dass sich auch Feuilletons überregionaler Blätter des produktiven Chronisten der Bundesrepublik erinnern. Eine umfangreiche Bibliographie des Mitglieds der Autorenvereinigungen PEN und Verband der Schriftsteller findet sich auf der Homepage des Westfälischen Literaturbüros (www.wlb-unna.com). Miersch, der hauptsächlich in den 1980-er Jahren selbst mit Gedichten und Kurzgeschichten hervorgetreten ist (etwa mit „Lauter Helden“, 1981, „Afrika liegt weiter südlich“, 1985, oder „Falscher Hase“, 1991) und 1982 den „Hungertuchpreis“ der Stadt Frankfurt am Main entgegennehmen konnte, rühmt das „gute Verhältnis“ zwischen ihm als Verleger und dem im Uellendahl lebenden Autor. Er habe vielfältig an der Geschichte der Stadt mitgeschrieben – nicht zuletzt im Rahmen der Künstlergruppe „Der Turm“, zu der weiterhin

Tankred Dorst, den er in der Kriegsgefangenschaft kennen lernte, Paul Pörtner, Robert Wolfgang Schnell, der Maler Wolfgang vom Schemm und der Schauspieler Harald Leipnitz gehörten. Der im Krisenjahr 1923 geborene Mühl, verheiratet, drei Töchter, selbst Sohn eines Werkmeisters, in seinem Brotberuf Exportsachbearbeiter, Verkaufsleiter und Exportchef eines metallindustriellen Betriebes, besitzt die Gabe der (Selbst-) Ironie. In seinen „Geschichten vom Sonntag und anderen Tagen“, die unter dem Titel „Stehcafé“ 2010 im Nordpark-Verlag erschienen sind, gibt es eine Story „Morgen mit Liebeserlebnis“. Der Held der Geschichte, schon fortgeschrittenen Alters, schäkert mit einem jungen Mädchen im Schwimmbad und, nach getanem Sport, auf dem Parkplatz, bevor sich die Wege der beiden trennen. Am Ende, der Grund wird nicht ganz klar, erzählt er daheim seiner Frau von der Begegnung. Sie sagt dann: „Es gibt nur einen Weg der Heilung. Du musst sie treffen. Aber vergiss deine Tabletten nicht.“ Matthias Dohmen

Karl Otto Mühl: Lass uns nie erwachen. Gedichte – NordPark Verlag, 76 S, 2008, 10,50 Euro ISBN 978-3-935421-21-8 Sparkassen-Finanzgruppe

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Der rezitierende Polizist Andreas Bialas, ein Mann mit langem Atem und vielen Seiten

„Wenn auch Bücher nicht gut und nicht schlecht machen, besser oder schlechter machen sie doch.“ Jean Paul

Dort sieht man ihn öfter: In einer Galerie

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Er läuft und läuft und läuft. Halbmarathon. Und liest. Viele, viele Bücher. Vollmarathon. Vertritt einen Wuppertaler Wahlkreis im nordrhein-westfälischen Landtag, wo er für die SPD als kulturpolitischer Sprecher in Erscheinung tritt. Von Beruf Polizist. Deklamiert Bertolt Brecht und Else LaskerSchüler. Aber vielleicht der Reihe nach. Andreas Bialas erblickte 1968 im sächsischen Schlema die Welt, einem Ort, wie er in seiner Vita schreibt, „der damals noch real existierenden DDR“. Als er sechs Jahre jung ist, kann die Familie legal in den Westen ausreisen. Nach dem Abitur landet er für vierzehn Jahre bei der Bundeswehr, absolviert zwischendurch ein Pädagogikstudium und zwei Auslandseinsätze in Sarajewo beziehungsweise im Kosovo und ist am Ende bei der Militärpolizei, Kompaniechef (kommissarisch, weil kein Berufssoldat). Auf dem Balkan hat er gelernt, „wozu ein Mensch fähig ist, wenn er unkontrolliert und ungestraft sein Unwesen treiben kann“. In dieser Zeit tritt er dem Bundeswehrverband, später der Gewerk-

schaft der Polizei und der SPD bei, nachdem er bei seinem Ortsvereinsvorsitzenden Klaus Mittler, den er als seinen „politischen Ziehvater und Freund“ bezeichnet, auf einem Bierdeckel den Eintritt in die SPD beantragt hat. Dokument ist Dokument. Nach der Bundeswehr geht er zur Polizei – doch zuvor macht er das zweite, das Studium zum Diplomverwaltungswirt. Dann der normale Streifendienst. Und Bücher, Bücher, Bücher. Andreas Bialas: „Ich lese seit meiner frühesten Jugend. Bücher waren für mich immer selbstverständlich.“ Den Weg zur Literatur ebnete ihm sein Deutschlehrer, den Weg zur Lyrik fand er im Verlauf eigenen Schreibens. Seine Bibliothek umfasst die stolze Zahl von rund 6.000 Büchern, darunter etwa 400 Bände Lyrik, die er „wohl nicht alle in einem Leben“ wird lesen können. Welche Bücher er in Buchhandlungen und Antiquariaten, „zu Fuß“ und im Internet erwirbt? Fragen wir ihn selbst: „Ich lese so ziemlich alles, was einen literarischen Anspruch erhebt. Querbeet.“ Eine Liste der Bü-


cher, die er in den letzten Jahren verschlungen hat, befindet sich auf seiner Homepage (www.andreas-bialas.de). „Am liebsten: Shakespeare, Max Frisch, Gabriel José García Márquez, Edgar Hilsenrath, Philip Roth, Wuppertals berühmte Tochter Else LaskerSchüler, Bertolt Brecht, Kazuo Ishiguro, aber auch die Klassiker wie Fjodor Dostojewskij, Lew Nikolajewitsch Tolstoi, Émile Zola, Victor Hugo, Thomas Mann und Heinrich Mann, Umberto Eco, Hermann Hesse, John Steinbeck, die Weimarer Klassiker Goethe und Schiller.“ Und und und. Vom Lesen zum Rezitieren war der Weg nicht weit. Irgendwann gab er in seinem SPD-Ortsverein Gedichte zum Besten, wobei das Deklamieren durchaus angenehme Begleiterscheinungen haben kann. „Zu Hause“, bekennt er mit einem leichten Schmunzeln, „lese ich oftmals laut Erzählungen vor, um mich vor der Küchenarbeit zu drücken.“ Jedenfalls wirkt er so authentisch und bringt die message eines Gedichts so überzeugend herüber, dass er auch ander-

wärts nachgefragt wird. Zu den bisherigen Höhepunkten seiner öffentlichen Auftritte zählen eine Lesung mit Texten von Klaus Kinski, die er gemeinsam mit dem Schauspieler Olaf Reitz von der Kanzel der Elberfelder Diakoniekirche bestritt, und in der Konsumgenossenschaft Münzstraße eine von ihm selbst zusammengestellte und choreographierte Revue „Verbrannte und verbannte Dichter“, bei der er, von zwei verschiedenen Stellen eines großen Kellergewölbes aus, Texte von Brecht, Erich Mühsam, Else Lasker-Schüler und anderen einerseits und „offizielle“ Reden bei den Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 andererseits vortrug. So einprägsam das eine, so beklemmend das andere. Zuvor hatte er sein Vorlesetalent bei regelmäßigen Auftritten in Schulen oder beim legendären „Engels-Fest“ der Wuppertaler SPD geschärft. So ist es kein Zufall, dass er kürzlich das Kulturforum der Wuppertaler Sozialdemokratie begründete. Und wenn man ihn nicht am Rednerpult im Düsseldorfer Landtag, am Infostand

seines Ortsvereins oder mit einem Buch in der Hand antrifft, läuft er. Halbmarathon. Diese Methode der Freizeitbeschäftigung hat er sich zugelegt, als er, sich das Rauchen abgewöhnend, dem Essen um so mehr zusprach und vorübergehend an Leibesfülle deutlich zunahm. In seiner Heimatstadt ist politisch als langjähriger SPD-Werbeobmann hervorgetreten, der so manchen Wahlkampf organisiert hat und die Mitglieder immer wieder neu zu motivieren versucht, an die Öffentlichkeit zu gehen. Auf dem Hin- oder Rückweg, in Schwebebahn oder Bus, kann man ja, wäre sein Ratschlag, lesen. Wie heißt es noch in einem arabischen Sprichwort: Ein Buch ist ein Garten, den man in der Tasche trägt. Text und Fotos: Matthias Dohmen Auf der vom Kulturforum der Sozialdemokratie initiierten Veranstaltung „Engels goes China“: Der Moderator Andreas Bialas MdL

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Neue Kunstbücher Malen mit der Farbe Vorgestellt von Thomas Hirsch „Eine Wiederentdeckung der Langsamkeit“, heißt es im Vorwort des Buches der Malerin Cecily Brown zu ihren Ausstellungen in der Kestnergesellschaft Hannover und im GEM Den Haag 2010/11. Das überrascht, schließlich ist Cecily Brown Anfang der 2000er Jahre bekannt geworden mit fulminanten Farbschlachten, in denen sich Körper in Bewegung – nämlich beim Geschlechtsakt – abzeichneten. War nicht alles an dieser Malerei monumentale Sinnlichkeit und Tempo? Cecily Brown, die 1969 als Tochter des Kunstschriftstellers David Sylvester in London geboren wurde und heute in New York lebt, stand damit in der Tradition von Lucian Freud. Davon löst sie sich in den aktuellen Bildern, die im vorliegenden, im Snoek Verlag publizierten Buch „Based on a true story“ reproduziert sind. Das Buch liefert einen Überblick über die Malerei von 2007 bis 2010. Es zeigt Ausstellungsansichten, die folglich ein Gefühl für die Größe und die Wirkung im Raum vermitteln, Bilddetails, die zeigen, wie Cecily Brown mit Farbe umgeht, und natürlich ganzseitige Abbildungen einzelner Gemälde. Sujet ist nun vor allem die Landschaft mit Naturausschnitten, weitestgehend abstrakt als flirrende und rinnende Buntfarbigkeit, die des Wechsels von Nah- und Fernsicht bedarf. Auch hier also geht es um Energie, Metamorphose, gerade noch Bildwerdung, weiterhin um Eingeschlossen-Sein der Farbe und die Verschränkung des Bildraums mit der Fläche. Natürlich wäre an de Kooning zu denken, vielleicht auch an Per Kirkeby, aber Cecily Brown zerfetzt die Gegenständlichkeit und delegiert die Sensation ganz an die Splitter der Farbe und deren Duktus. Im Buch wird dies unterschiedlich gut vermittelt. Der erste Text ist frei fluktuierend, ärgerlich in seinem semi-wissenschaftlichen Getue, das die Malerei von Cecily Brown nur gelegentlich trifft und Binsenwahrheiten aufstellt. Der zweite Text von Kathrin Meyer aber ist punktgenau; zusammen geht es schon. Im Rahmen dessen, was ein Buch an visueller Vermittlungsarbeit für großformatige malerische Malerei zu leisten vermag, werden die Qualitäten dieser Bilder anschaulich.

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Ruhe, deren Tuymans Bilder bedürfen. Die Reproduktionen sind zu sehr in erklärende Texte und Bildbeschreibungen eingebunden, dadurch auseinander gerissen. Sie verlieren an Demonstration und Stille. Daneben ist, ebenfalls im Deutschen Kunstverlag, ein weiteres Buch zu Tuymans erschienen, das vorführt, wie man richtig mit dieser Malerei umgeht. Genauer gesagt, es ist ein feines Büchlein. Text, Grafik und Abbildungen bilden eine Einheit und

Cecily Brown – Based on a true strory, 104 S. mit 40 Farbabb., Leinenband, geprägt, 28 x 24 cm, Snoek Verlag, 29,80 Euro Das, was sich Cecily Brown bisweilen noch zu beweisen scheint – dass sie malen kann –, das braucht Luc Tuymans längst nicht mehr, hat er auch nie nötig gehabt. Alles Zögern, Zweifeln ist Teil seiner realistischen Malerei. Seinen Bildern liegt ein langer Prozess des Denkens und Bedenkens zugrunde. Daher gibt es nicht so viele Werke, jedes ist etwas Besonderes und im doppelten Sinne kostbar, obwohl der Maler gerade 54 Jahre alt ist. Der Titel von Cecily Browns Buch „Beruht auf einer wahren Geschichte“, den wir vom Film her kennen, trifft hier, bei Tuymans, erst recht zu. Seine Malerei entsteht in pastellfarbenen Tönen; sie schließt kein Sujet aus. Die Bilder sind in der Regel Einzelstücke, wenngleich sich stilistische und thematische Zusammenhänge einstellen. Luc Tuymans, der in Antwerpen lebt, gilt schon seit Anfang der 1990er Jahre als weltweit respektierter Künstler mit einer Malerei, die Zeitgeschichte thematisiert und Erinnerungsarbeit leistet, dazu aus medial vermittelten Vorlagen einzelne Ausschnitte unscharf oder abstrakt fokussiert. Er hat also eine kritisch reflexive Malerei entwickelt, die sich über ihre Mittel jedes Mal von neuem Rechenschaft ablegt. So explosiv die Bilder von Cecily Brown sind, so diskret und sparsam ist die Malerei von Tuymans. In deutscher Sprache ist nun der Katalog zu seiner Tournee durch Amerika erschienen, der das Werk seit den späten 1980er Jahren bis 2008 umspannt. Nur leider fehlt diesem Werküberblick die

Paul de Moor: Luc Tuymans – Bilder auf Eis, 62 S. mit 21 Farbabb., Hardcover mit Leinenrücken, 24,5 x 16 cm, Deutscher Kunstverlag, 16,80 Euro sie handeln von den Anfängen in Tuymans Leben als Künstler, geschrieben von Paul de Moor in der Ich-Form. Im wahrsten Sinne des Wortes ein Jugendbuch und geschrieben schon für Jugendliche, liefert es bemerkenswerte Einsichten in das Entstehen von Kunst und im besonderen die Kunst von Tuymans. Übrigens ist der Titel „Bilder auf Eis“ eine geglückte Metapher für seine Kunst. Einen anderen Zugang zur Kunst unternimmt eine Monographie zu Bernd Zimmer. Zimmer, der heute in Bayern lebt, wurde in den späten 1970er Jahren als einer der Protagonisten der Berliner „Jungen Wilden“ bekannt. Freilich passte seine Malerei nie so recht dazu. Zwar entsteht sie in einem expressiven Duktus, aber ihr Ding ist nicht die Selbstbespiegelung des Malers und ihr Sujet sind keine


Menschen. Sie wendet sich stattdessen der Landschaft und landschaftlichen Phänomenen zu und das in großer Konsequenz bis zum heutigen Tag. Eines seiner Themen ist die Erfassung der Wüste, der er sich seit den 1990er Jahren widmet. Ein Buch im Präsenz Verlag stellt diese Bilder zwischen 1993 und 2002 vor, und zwar im Kontext von Literatur. Manchmal ärgert das etwas, denn trotz der großzügigen Abbildungen ist man doch immer etwas abgelenkt, die

Wüste ist. Vielleicht sieht man dann die Bilder von Bernd Zimmer etwas differenzierter, die doch zunächst so gleich in ihrer Horizontalbewegung, in den glühenden Rot- und Gelbtönen oder bei Nacht in Braun- und Blautönen wirken. Einsetzend zu den Füssen, geben sie der Landschaft Konturen, indem sie diese in kantige Pinselstriche fassen. Zu Zimmers Leistungen gehört auch, unseren Ort

wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Berlin ernannt – und alles zählte 1933 nicht mehr mit Hitler als Reichskanzler. Liebermann zog sich völlig zurück, seine Bilder wurden aus öffentlichen Sammlungen entfernt. Was soll man über dieses Katalogbuch sagen? Es ist souverän umgesetzt, sachlich und informativ, eine gute Hinführung. Aber wenn man etwas über Malerei und das Ereignis der Farbe erfahren will – und dazu hat ein Künstler wie Liebermann sehr, sehr

inmitten der Landschaft, die hier ausbleibende Natur ist, zu bestimmen: Er zeigt Größe und Kleinheit in einem Moment der Schutzlosigkeit. Zu sehen und zu lesen ist dies in einem Verschenk-Buch im guten, seriösen Sinne, mit durchweg wichtigen Beiträgen.

Bernd Zimmer: Wüste, 128 S. mit 48 Farbabbildungen, gebunden mit Schutzumschlag, 32 x 24 cm, Präsenz Verlag, 39,95 Euro Malerei für sich zu erfahren. Aber die literarischen Texte, die von der Bibel über Goethe bis hin zu Christoph Ransmayr reichen, lehren uns, wie mannigfaltig

Einer der Ahnen der Malerei von Bernd Zimmer bis hin zu Cecily Brown ist Max Liebermann. Zuletzt stellten die Deichtorhallen Hamburg und die Bundeskunsthalle in Bonn diesen Maler an der Schwelle zum 20. Jahrhundert mit seiner pastosen sorgfältigen Malerei vor. Liebermann war Genremaler, Porträtist und Landschaftsmaler. Besonders bekannt sind seine späten lichtdurchfluteten Impressionen im Wannseegarten aus den 1920er Jahren. Viel berührender sind freilich die tonigen, u.a. 1873/74 in Paris und später Amsterdam und ab 1884 in Berlin entstandenen Milieustudien, die das soziale Leben schildern. Max Liebermann (1847-1935) kam zu Lebzeiten zu großem Ruhm. 1897 wurde er Professor der Königlichen Akademie der Künste zu Berlin, 1920 Präsident der Akademie der Künste. 1927

R. Fleck (Hg.), Max Liebermann - Wegbereiter der Moderne, 222 S.mit 100 Farb- u. 50 s/w-Abb., Hardcover mit Leinenrücken, 29 x 22,5 cm, DuMont, 29,95 Euro viel mitzuteilen – so ist man bei der „Wahren Geschichte“ von Cecily Brown doch besser aufgehoben.

Kultur, Information und Unterhaltung im Internet Täglich neu – mit großem Archiv Literatur – Musik – Bühne – Film – Feuilleton – Museen – Comic – Fotografie – Reise Unabhängig, werbefrei und ohne Maulkorb www.musenblaetter.de

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Kopfstand der Werte Er hat ihn gegründet, den TURM, die Künstlervereinigung. 1946, inmitten einer Trümmerstadt. Er hieß Paul Pörtner und hatte deformierte Füße.

Paul Pörtner

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Als er 1946 den Torquato Tasso inszenierte, schrieb der Rezensent Grischa Barfuß über die Inszenierung: „Der Turm ist zusammengebrochen und hat die Türmer unter sich begraben.“ Zu mir sagte Paul Pörtner: „Ich habe in meinem Leben nur schlechte Kritiken gehabt, immer nur schlechte.“ Er verkaufte zeitweise Bohnerwachs, aber er heiratete in eine Industriellenfamilie. Er verließ seine Familie eines Tages, aber er hing an seinen Kindern, die bekannte Autorinnen und Autoren, Filmer und Pädagogen wurden. Ein Buch, das seine Tochter schrieb, heißt „Mein Vater und andere Betrüger“. Ich denke, dass die Tochter, Milena Moser, den Titel mit einem Augenzwinkern wählte. Oder sie hat übersehen, was hinter seinem Verhalten und kleinen Schwindeleien steckte: Die Unfähigkeit, Nein zu sagen und die Weigerung, Schmerzliches mitzuteilen. Und vielleicht ist das auch die Erklärung für seine Eskapaden, die hauptsächlich darin bestanden, dass er schwärmerische Verehrerinnen hatte. So wie ich ihn kenne, konnte er nicht lügen. Ich weiß, das Letztere ist wahrscheinlich ein Defekt. Ich kenne mehrere Menschen, die so pathologisch sind, dass sie nicht lügen können, aber ich denke immer, dass sie ganz nahe am Herzen Gottes wohnen. Bevor ich aus seinen Lastern Tugenden mache, gebe ich zu, dass er für Frau und Kinder wahrscheinlich ein geliebtes Irrlicht war. Sicher konnte er nicht mit Geld umgehen (Er hat später doch ein kleines Vermögen hinterlassen), sicher war er unzuverlässig, wenn es nicht gerade um Literatur ging, natürlich begeisterte er sich ununterbrochen für andere und neue Menschen und natürlich Frauen. Aber richtig gesündigt gegen das Achte Gebot hat er wohl selten. Sein Laster war eher die Begeisterung. Mir fällt zu dieser Art von Charakter ein, dass Evelyn Waugh eine Figur schilderte, die auch so ohne Zuverlässigkeit und Willenskraft war („No power of will, schreibt er). Diesen Menschen sah der Autor (durch eine andere Figur) als Heiligen an, der sich mit seinem Laster in Demut annahm. Heute sehe ich da bei Pörtner Vergleichbares. Und natürlich kommt hinzu, dass er ein treuer und hingebender Freund war. Er regte jeden in unserer Künstlergruppe an, die er begründet hatte. Es war der

TURM. Er ermutigte jeden von uns, von dem er den Eindruck hatte, dass er sich ehrlich bemühte. Und er schrieb. Er schrieb, er kritzelte Tag und Nacht. Er schrieb in seinem Zimmer, er schrieb unter dem Sonnenschirm in der Badeanstalt, er schrieb im Zugabteil, wenn er zum Studium nach Köln fuhr. Allzu lange hat er nicht studiert, aber er hat damals den französischen Expressionismus in den Vordergrund gerückt. Regisseure, Schauspieler, Autoren, Komponisten, sie nahmen ihn alle ernst und kamen zu den abendlichen Treffen im Farbenlädchen seines kriegsblinden (!) Vaters, darunter auch Tankred Dorst, Harald Leipnitz, Fritz Meis, Arnfried Saddai, Rosel Schäfer, Kurt Niederau, Charles Wirtz und ich. Wir alle waren und blieben Freunde. Alles, was ich in dieser Schilderung sagen will, ist, dass seine Laster (Gutes Essen war sein einziges offensichtliches Laster) für mich heute auf dem Kopf stehen. Es waren auch Tugenden. Einige spürte ich schon damals, vor fünfzig Jahren. Er begann ein Studium, ich ging in eine Behörde, in der ich mich langweilte. Mein Vorgesetzter wies mir einen Schreibtisch zu und verlangte, dass ich acht Stunden am Tag Verordnungen durchlesen sollte. Es gab keine Unterbrechung, keine Abwechslung. Nach drei Monaten ging ich weg. Aber das ist eine andere Geschichte. Um etwas Geld zu verdienen, kochte und rührte Pörtners Mutter in einem großen Kessel, der in einem sehr kleinen Schuppen stand, Bohnerwachs, das sie in kleinere Behälter füllte. Die verkaufte und lieferte Paul dann aus. Kunden waren außer einigen Firmen hauptsächlich Behörden. Als sich die Einnahmen als unzureichend erwiesen, wurde er Reiseleiter. Das funktionierte mindestens ein Jahr. Währenddem saß ich in einem Büro in der Industrie und stellte einen Katalog mit Ersatzteilen zusammen. Ich hatte zu leiden unter den Bemühungen eines Kollegen, der mit Alternativvorschlägen die Geschäftsleitung davon überzeugte, dass er es besser konnte als ich (was stimmte). Ich verdiente zweihundertfünfzig Mark im Monat. Ihn dagegen sah ich immer wieder mit reizenden, quirligen, jungen Mädchen, die Klavierspielen gelernt hatten, oder Schauspielunterricht nahmen, oder Schauspielerinnen waren. Solche Mädchen lernte ich nicht kennen.


Ich beneidete ihn. Er schien frei zu sein, wo ich gefesselt war. Natürlich hatte ich einen sicheren Job und fing nach und nach an, Auslandsreisen zu machen, wurde gelobt, weil ich so treu für zuhause sorgte. War ich nicht der Mann, der mit beiden Beinen im Leben stand? Und an seiner Mutter hing. Verdammt, warum war ich dann bloß nicht zufrieden? Und, obwohl er sicherlich Erfolg haben wollte und nicht zuletzt an sich selbst dachte, er sprach fast nur von Anderen, von Freunden und von künstlerischen Vorbildern. Er freute sich an anderen. Ach so, die Produktivität. Bevor ich mich entschlossen hätte, Künstler zu sein, hätte ich darauf bestanden, sicher zu gehen, dass mir immer etwas einfiel, und das viele Jahre lang. Da mir das niemand garantierte, ließ ich es lieber. Er wagte es, und die innere Not, ich denke, die war dabei, trieb ihn zu immer neuen Experimenten. Er erfand neben Anderen das Mitspielstück. Mit einigen davon war er jahrelang der meistgespielte ausländische Autor in den USA. Und er erfand neben Anderen das O-Ton-Hörspiel. Soviel ich weiß, haben diese Hörspiele wenige gehört. Und wenn, dann ganz selten bis zu Ende. Er verdiente gutes Geld mit diesen Hörspielen. Er war erfolgreich erfolglos. Seine Prosa wurde wenig gelesen. Aber jeder in der Szene kannte ihn, und jeder hatte Wichtiges von ihm erfahren. Einmal gab er mir versuchsweise einen Prosatext, den ich nach Herzenslust bearbeiten sollte. Ich strich alle skurrilen Metaphern heraus, aber er fand beim Durchlesen, dass er sich darin jetzt

nicht wiederfand. Das sei er nicht, und so könne er nicht schreiben. Schreiben-Können war ihm wie uns allen das Wichtigste. Jeder schien einen Eiertanz um seine Produktivität herum aufzuführen. Jobs wurden aufgegeben, Ehen geschieden, Partner verlassen, weil sie die Produktivität behinderten. War es aber so weit, setzte sich der Künstler morgens an den Schreibtisch, so ertappte er sich immer wieder dabei, dass er aufstand, um seine Schuhe zu putzen oder sich eine Zeitung zu besorgen. Es war schon ein Kreuz. Ich bin an dem Haus vorbeigefahren, nein, an dem Platz, wo es stand, das Haus seiner Eltern. Das alte Fachwerkhaus ist abgerissen worden. An manchen Ecken traut sich immer noch kleines Gesträuch aus Mauerritzen. Eine Epoche ist vergangen, eine und einer nach dem anderen sind gestorben. Auch ihn habe ich kurz vor seinem Tod in einem Münchener Krankenhaus besucht. Wir schoben ihn im Rollstuhl im Kellergeschoss durch die dämonischen Gänge mit Röhren an den Wänden. Er war zu einer der nutzlosen diagnostischen Maßnahmen bestellt. Ich hatte ihm einen läppischen Trost mitgebracht, ein befreundeter Arzt hatte Hoffnungsvolles zu seinem Zustand bemerkt. Er hatte immer den Mut zum Scheitern, aber Sterben wollte er nicht. Ich sehe viele Bilder vor mir: Pörtner als Fünfzehnjähriger im Trenchcoat mit Kamera vor dem Bauch. Wir, kleine Lehrlinge und Schüler im Alltag, hatten ein Büro in einer herrschaftlichen Villa, die von der Hitlerjugend genutzt wurde. Dahin waren ich und andere zur Pressestelle kommandiert worden

und verfassten Pressenotizen über Sportfeste und Aufmärsche. Oder, wir trennen uns nach einem Dienstabend, er geht in sein Haus, wo er im Keller mit Freunden englische Jazzmusik, die verboten ist, abhört. Oder ich werde angerufen, seine Mutter sei im Altersheim tot aufgefunden worden. Ich hole ihn vom Flughafen ab und wir fahren zu ihr. Sie sitzt steif wie eine Puppe neben der Badewanne auf einem Hocker. Ich kann nicht erkennen, ob er erschüttert ist. Sie hat ihn als Junge dominiert. Auch später wollte sie seine Kleidungsstücke beim Kaufaussuchen. Schon früh hatte er Strategien gelernt und geübt, um ihr zu entwischen. Oder, ich besuche ihn in Hamburg, wo er als Redakteur arbeitet. Im Nebenzimmer zu seinem Büro steht eine Couch, auf der er sich immer wieder ausruht. Das Herz ist ruiniert. Dennoch gehen wir Essen und Trinken, die Freude lässt er sich nicht nehmen. „Die wollen mich loswerden“, sagt er beiläufig. „Ich sei ein zu bunter Vogel. Aber ich muss ja existieren.“ Wir fanden einen Weg für ihn, der ihn sicherte. Fast dreißig Jahre sind vergangen, seit er starb. Heute ist es diesig. Der Himmel ist durchgehend grau, da ist nicht einmal Gewölk zu sehen. Langsam wird ein Gesicht deutlicher, es blickt mich an, kommt näher. Ich höre ihn flüstern: „Du! Hör zu!“ „Was ist denn, Paul?“ frage ich verwirrt. „Du! Sprich mit denen. Ich will zurück.“ Er liebte das Leben.

Karl Otto Mühl

Schloss Lüntenbeck Kultur hält Hof 17.6. 2012

HOFGOT TESDIENST Ev. Kirchengemeinden Sonnborn und Vohwinkel

22. – 24.6.2012

TOHU WA BOHU – „jazz me, if you can!” Ernst Jandl Tage. Poesie und Musik

29.6.2012

BENEFIZ-KONZERT Lions Club Bergischer Löwe

9. 9. 2012

TAG DES OFFENEN DENKMAL S Themenführung Holz, Wald und Fachwerk

14. / 15.9. 2012

GÖT TERSPEISE (Wuppertal 24 h live) Kulinarische Meile Schloss Lüntenbeck

27. / 28.10.2012

WOGA Wuppertaler Offene Galerien und Ateliers

Veranstaltungen Juni – Dez. 2012

8. / 9. und 15. /16.12.2012 WEIHNACHTSMARK T SCHLOSS LÜNTENBECK Zimt, Glanz und Vivaldi weitere Informationen unter: www.schloss-luentenbeck.de

Schloss Lüntenbeck, 42327 Wuppertal

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Geschichtsbücher, Buchgeschichten Vorgestellt von Matthias Dohmen

Stenographische Protokolle der Sitzungen des Zentralkomitees der KPdSU, Korrespondenzen, Akten und persönliche Unterlagen Stalins hat der bekannte Osteuropaforscher Jörg Baberowski für seine „Verbrannte Erde“, vieles erstmalig, auswerten können. Er entwickelt das Panorama des täglichen Terrors und seine – zum Teil nachträgliche – Rechtfertigung. Es erscheint jedoch zu kurz gesprungen zu diagnostizieren, die Herrschaft des Grusiniers habe sich „am Modell der Mafia“ orientiert. Koestler hat 1932 die „grimmige Schulmeisterei in allem“, die „allgegenwärtige Atmosphäre einer staatlichen Besserungsanstalt“ beklagt. Baberowski beschreibt die „gewalttätigen Exzesse des Stalinismus“ und die „Kultur, die sie ermöglichte“. Dabei unternimmt er das Unmögliche, „keine Geschichte der Sowjetunion, sondern eine Geschichte des Stalinismus“ zu erzählen. Der stalinistische Terror „wurde zwar im Namen kommunistischer Ideen und Vorstellungen begründet und gerechtfertigt, aber nicht motiviert“ (alle Zitate aus dem ersten Kapitel). Das Ei ohne die Henne, die Henne ohne das Ei. Jörg Baberowski, Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt, München: Beck 2012. 606 S., 29,95 Euro

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„Wo keine gemeinsame Vorstellung von der eigenen Geschichte kommunizierbar ist, kann sich auch kaum eine gemeinsame ‚Identität‘ ausbilden“, schreibt der Historiker und Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Andreas Wirsching, auf S. 377. Er unternimmt den Versuch, die letzten 20 Jahre europäischer Entwicklung einzufangen und eine Art Bilanz des „kurzen“ 20. Jahrhunderts zu ziehen. Irgendwie liest sich das Ganze wie ein erheblich zu lang gewordener Zeitschriftenbeitrag. Bankenkrise, die ungelöste Zukunft des Euro, das Unbehagen gegenüber der Brüsseler Bürokratie: Der Autor verwurstet alle Stichpunkte der Entwicklung zu einem Panoramabild über den „Preis der Freiheit“ Europas. Die Quintessenz: Die Krise der Gegenwart wird – das behauptet ja auch die Kanzlerin – durch „mehr Europa“ gebändigt. Kein Wunder, dass er bis zur Abgabe des Manuskripts, wie er im Vorwort auf S. 7 schreibt, ständig der Versuchung erlag, „bis zuletzt noch ganze Passagen umzuschreiben“. Andreas Wirsching, Der Preis der Freiheit. Geschichte Europas in unserer Zeit, München: Beck 2012. 487 S., 26,95 Euro

Zwölf Wanderungen vom Rhein bis zur Eifel beschreiben Gertie Keller und Willy Peter Müller sowie Eddie Meier (Fotos) in ihrem dritten (und letzten) Band „Orte der Muße“. An diesem Wanderführer stimmt einfach alles. Die Texte sind flott geschrieben, die Fotos ausdrucksstark, die Karten übersichtlich. Auf der ein Kapitel abschließenden Seite finden sich detaillierte Informationen über die Anreise und zu ausführlichen Kartenwerken sowie Tipps, wo man einkehren kann (mit Öffnungszeiten). Tour Nr. 6 heißt etwa „Zu Besuch beim Berggeist – Durch die Ville bei Weilerswist“. Differenziert wird in „Orte mit Weitblick“, „Orte am Wasser“ und „Orte mit ‚Spirit‘“, wozu das Radioteleskop Effelsberg, die Insel Hombroich und Bedburg zählen. Dem „Ruf der Wildgänse – Bis an die holländische Grenze“ gilt der abschließende Ausflug. Das Büchlein passt mit den Ausmaßen von 12 zu 20,5 Zentimetern in jede Jackentasche und gibt es (von uns nicht getestet) sogar als E-Book. So viel Service ist anerkennenswert. Die „Vorgänger“ 1 und 2 sind ebenso erhältlich wie eine kompakte Ausgabe in einem Band. Gertie Keller/Willy Peter Müller, Orte der Muße. Bd. 3: 12 Wanderungen und Ausflüge zu zauberhaften Plätzen zwischen Rhein und Eifel, Köln: Bachem 2011. 160 S., 14,95 Euro


Kulturnotizen MKM Museum Küppersmühle für Moderne Kunst in Duisburg Joseph Beuys und Anselm KieferZeichnungen - Gouachen - Bücher 29. Juni bis 30. September 2012 Mit Joseph Beuys und Anselm Kiefer treffen zwei Größen der deutschen Kunst aufeinander, die erstmalig in dieser Konstellation präsentiert werden. Beide haben herausragende, prägnante Arbeiten auf Papier geschaffen, die eine wichtige Rolle im Gesamtwerk der Künstler einnehmen. Rund 170 Werke aus den Jahren 1948 bis 2012 zeigt das Museum Küppersmühle, darunter auch Arbeiten aus dem New Yorker Metropolitan Museum und dem Wiener mumok.

Joseph Beuys, Ohne Titel (Braunkreuz), 1961/62, Sammlung Froehlich, Stuttgart, (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Museum Ludwig Ausstellung Claes Oldenburg 23. 6 bis 30. 9. 2012 Claes Oldenburg zählt zu den großen Namen der Amerikanischen Pop Art. Seine zumeist an banalen Alltagsgegenständen orientierten Skulpturen bergen stets ein Überraschungsmoment, seien es nun die überdimensional großen Lichtschalter oder Eishörnchen aus schlaffen, gefütterten Stoffen oder seine monumentalen Außenskulpturen, die in ihrer direkten, gleichermaßen präzisen wie verspielten Dinglichkeit Orten auf der ganzen Welt gestalterischen Charakter verleihen. Die Ausstellung im Museum Ludwig bietet nun den bislang umfassendsten Überblick zu Oldenburgs künstlerischem Werdegang von den späten 1950er bis in die Mitte der 1970er Jahre. Mit zahlreichen, nur selten in dieser Dichte zu sehenden Exponaten und Werkensembles, beleuchtet sie die Entstehungsgeschichte seines künstlerischen Vokabulars - angefangen mit den historisch bedeutenden Installationen „The Street" und „The Store" sowie den parallel entstandenen Happenings, über die verschiedenen Soft-, Hard-, Ghost- und Giant-Versions seiner Objektskulpturen der 1960er Jahre bis hin zu den Visualisierungen öffentlicher Monumente in Zeichnungen und Collagen. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Konzeptualisierung seines Ansatzes in den 1970er Jahren, in deren Zentrum das „Mouse Museum" steht. Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag: 10 – 18 Uhr, jeden ersten Donnerstag im Monat: 10 – 22 Uhr www.museum-ludwig.de

Museum Folkwang Unsere Zeit hat ein neues Formgefühl Fotografie, Grafik und Plakat der zwanziger Jahre, bis 5. August 2012 Neue technische Möglichkeiten und neue ästhetische Theorien führten in den 1920er Jahren international zu einem ganzen Spektrum neuer Stilrichtungen. Fotografie, Film und illustrierte Zeitschriften faszinierten die Avantgardisten und inspirierten sie zu Experimenten und Erkundungen. Die Künstler der Neuen Sachlichkeit grenzten sich bewusst vom Expressionismus ab, sie wollten die optische Erscheinung der Dinge wiedergeben. In diesem Jahrzehnt erreichte auch der Konstruktivismus seine volle Blüte. Unter dem gemeinsamen Titel Unsere Zeit hat ein neues Formgefühl, widmen sich die Fotografische Sammlung, die Grafische Sammlung und das Deutsche Plakat Museum in drei Ausstellungen dieser innovativen und produktiven Kunstepoche. www.museum-folkwang.de/ausstellungen

Ernst Ludwig Kirchner, Männerkopf (Selbstbildnis), 1926, Farbholzschnitt © Museum Folkwang, Essen

Anselm Kiefer, Die sieben Himmelspaläste, 2007, (c) Anselm Kiefer

Claes Oldenburg, Green Legs with Shoes, 1961, © Claes Oldenburg, Photo: Rheinisches Bildarchiv, Cologne

Aenne Biermann, Drei Eier, 1928, Bromsilbergelatine, © Museum Folkwang, Essen

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Kulturnotizen Vier Wuppertaler Autorinnen lesen Fortgesetzt wird auch im bevorstehenden Herbstsemester der FriedrichSpee-Akademie die Reihe „Wuppertaler Autoren lesen“, die von September bis Dezember jeweils am zweiten Dienstag eines Monats von vier Wuppertaler Schriftstellerinnen gestaltet wird. Durchgeführt werden die Lesungen immer um 16 Uhr im Kaminzimmer der MUNDUS- Seniorenresidenz am Laurentiusplatz, Auer Schulstraße 12. Ein Unkostenbeitrag wird, wie bei der FSA üblich, nicht erhoben. Den Veranstaltungsauftakt bildet am 18. September (ausnahmsweise der 3. Dienstag) Dorothea Müller. Die Wuppertalerin ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller der Stadt. Sie schreibt bevorzugt Gedichte und Kurzprosa – nach eigenen Angaben „gerne zwischen den Zeilen“, Theatertexte sowie Geschichten für Kinder und Jugendliche. Ein besonderes Anliegen Müllers ist die Förderung von Kindern im Bereich ‚kreatives Schreiben’. Beachtenswerte Texte befinden sich in dem Buch „Ich und Du und…“ aus dem Klartext Verlag. Auch Ingrid Stracke ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller. Die Lyrikerin wohnt seit langem in Wuppertal. Öffentliche Auftritte haben „StraßenElse“ (in Anlehnung an ihre Affinität für Else-Lasker Schüler) über Wuppertal hinaus bekannt gemacht. Aus ihren bisher erschienenen zwei Gedichtbänden hat sie schon verschiedentlich in den Medien und bei öffentlichen Auftritten gelesen. Auch hat sie politische Texte an Hauptschulen vorgetragen. Ein Roman-Projekt über Else Lasker-Schüler ist in Arbeit. Sie liest am 9. Oktober. Die hauptberuflich als Sozialarbeiterin tätige Angelika Zöllner schreibt Lyrik, Prosa, Kindergeschichten und Romane. Auch Übersetzungen für’s Theater hat sie schon zu Papier gebracht. Publiziert hat Zöllner im Rundfunk, in verschiedenen Anthologien, auch im Ausland (Slowakei, Griechenland). Für ihre insgesamt sieben veröffentlichten Bücher hat sie bereits diverse Auszeichnungen und Stipendien erhalten. ‚Radio Impuls’ würdigte Angelika Zöllner als „die besondere Wuppertalerin.“ Sie hat fünf Adoptivkinder und liest am 13. November.

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Dorothea Müller

Ingrid Stracke

Angelika Zöllner

Friederike Zelesko Den Abschluss der Lesereihe bildet am 11. Dezember die in Niederösterreich geborene Friederike Zelesko. Nach acht Jahren in London ist sie seit 1969 Wuppertalerin. Bis 2002 war sie hier 25 Jahre Hochschulsekretärin. Zelesko schreibt Lyrik und Prosa, ist Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller und der Künstlerinnengemeinschaft GEDOK. Zahlreiche Beiträge lieferte sie für Literaturzeitschriften, in Anthologien und im Rundfunk. Von 1996 bis 2002 verfasste Zelesko regelmäßige Kolumnen für die Frankfurter Rundschau. Jüngstes Werk ist ihr im Dezember 2011 erschienener Lyrikband „Von den Tafelfreuden“ aus dem NordPark-Verlag mit einem Nachwort von Jutta Höfel und Zeichnungen von Ruth Velser. Präsentiert werden die Autorinnen in der MUNDUS-Seniorenresidenz vom Vorsitzenden des VS Wuppertal, Wolf Christian von Wedel-Parlow.


Osthaus Museum Hagen Markus Lüpertz – Der gemalte Horizont noch bis zum 29. Juni 2012 Der Maler und Bildhauer Markus Lüpertz ist einer der bekanntesten und beliebtesten Künstler Deutschlands. Ausdrucksstark, mit gestischer Wucht und gegenständlichen Bezügen spiegelt sein Werk nicht nur die selbstbewusste Positionierung des Künstlers, sondern auch, vor allem in den zuletzt entstandenen Gemälden, eine intensive künstlerische Befragung des Themas „Natur und Mensch“. Den Reichtum der Malerei und des skulpturalen Werks von Markus Lüpertz macht das Osthaus Museum Hagen mit einer Auswahl von 45 Gemälden, 45 Zeichnungen und 10 Plastiken von 1962 bis 2011 anschaulich. Dabei ist die Präsentation nicht retrospektiv angelegt: Während aus den Sechziger Jahren einige ausgewählte Werke gezeigt werden und ein weiterer Ausstellungsbereich Werke der Achtziger und Neunziger Jahren versammelt, werden die neuesten Arbeiten einen besonderen Anziehungspunkt darstellen. Mit dem Gemälde „Urteil des Paris“ aus dem Jahr 2010 wird eines der Hauptwerke des aktuellen Schaffens zu sehen sein. Es erscheint ein Katalog.

Markus Lüpertz: „Mann im Anzug dithyrambisch II“, 1976, © Courtesy of Galerie Michael WernerKunst Öffnungszeiten: Dienstag, Mittwoch, Freitag 10 - 17, Donnerstag 13 - 20 Uhr Samstag und Sonntag von 11 bis 18 Uhr www.osthausmuseum.de

Städtische Galerie Villa Zanders 1 - 2 - 3 - von A – Z grafische Folgen Ausstellung der Artothek bis 24. 6. 2012 1 - 2 - 3 - von A – Z ist eine Ausstellung, die eine Serie von grafischen Folgen von 26 Künstlern - von Barbara Adamek bis Bernd Zimmer - zeigt. Oft wenden sich Künstler Arbeiten zu, die nicht nur in der Vereinzelung, sondern im Zusammenhang einer vom Künstler festgelegten Abfolge wahrgenommen werden sollen. Das Diptychon oder das Paarbild bietet die kleinste Form des Bilddialoges, das Triptychon in Gestalt der Flügelaltäre aus dem Mittelalter die wohl bekannteste. Zahlreiche Künstler wenden sich heute – dem filmischen Prinzip folgend – der Darstellung einer zeitlichen Abfolge,einer Bewegung zu. Da reihen sich die einzelnen Grafiken linear aneinander und legen uns die Leserichtung von links nach rechts auf. Das Künstlerbuch - eventuell als Leporello angelegt - ist eine konsequente Weiterentwicklung dieser Form. Öffnungszeiten: Di-Sa 14 – 18 Uhr Do 14 – 20 Uhr, So 11 – 18 Uhr Städtische Galerie Villa Zanders Konrad-Adenauer-Platz 8, 51465 Bergisch Gladbach, www.villa-zanders.de

Foto: Uwe Stratmann sich zu guter Letzt selbst auflöst. Das Theater verschwindet. Leitung: von Treskow, Linde, Thomsen //// mit Basse, Kraft, Pempelfort, Wessel Vorstellungen: So 10. 6., 18:00 Uhr; So 24. 6., 18:00 Uhr; Mi 27. 6., 20:00 Uhr zum letzten Mal www.wuppertaler-buehnen.de

Andreas Kaiser „Vitrine”, Ausschnitt

LWL-Industriemuseum Textilwerk Bocholt 2.9. - 20.11.2011 I 18.3. - 30.9.2012 Magdalena Abakanowicz – Laura Ford TextilKunst im TextilWerk Ort: Spinnerei Sie sind Meisterinnen ihres Fachs und damit auch einflussreiche Künstlerinnen: Magdalena Abakanowicz und Laura Ford. In Bocholt präsentiert die polnische Künstlerin Arbeiten aus Sackleinen - Material, das lange Zeit auch wesentlicher Bestandteil der textilen Produktion im Münsterland war. Die Figuren der Waliserin Laura Ford erinnern zunächst an Märchen- und Fabelwelten, beziehen sich aber auf soziale Missstände der Gegenwart. Im Vordergrund steht bei Ford die Wiederverwendung vorgefundener textiler Materialien.

Wuppertaler Bühnen / Kleines Schauspielhaus PERPLEX von Marius von Mayenburg Lutz und Juliane kommen nach Hause. Da tauchen Holger und Sophie auf, die behaupten, es sei ihre Wohnung. Kurzerhand werfen sie Lutz und Juliane raus, die jedoch bald als Au-pair-Mädchen und achtjähriger Sohn von Holger und Sophie wiederkehren. Dann wird es bizarr, Realitäten und Identitäten wechseln in schneller Folge, und die Bühnenrealität erweist sich als derart brüchig, dass sie

Magdalena Abakanowicz: Mutants, 1992/1996 Einen Teil der ausgestellten Arbeiten fertigte Laura Ford im Sommer 2011 in der Spinnerei vor Ort an. Sie nutzte dabei

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Kulturnotizen die Ausstellung „Glanz und Grauen – Mode im Dritten Reich“ im LVRIndustriemuseum Ratingen. Gezeigt werden nicht nur elegante Abendkleider, Dirndl und Uniformen. Im Mittelpunkt stehen Alltagskleidung und Notgarderobe im Nationalsozialismus – und die politische Bedeutung vermeintlich banaler Hosen oder Jacken.

Kunstmuseum Bonn Franz M. Jansen Rheinische Expressionisten - Teil 4 20. 4. - 20. 12. 2012 Nach Hans Thuar, Paul Adolf Seehaus und Heinrich Campendonk folgen nun als Teil 4 der Reihe zu den Rheinischen Expressionisten die Werke von Franz M. Jansen.

Öffnungszeiten: Di-Fr 10-17 Uhr, Sa, So, Feiertage 11-18 Uhr, Mo geschlossen LVR-Industriemuseum Hansastraße 18, 46049 Oberhausen Telefon: 02234/9921555 www.industriemuseum.lvr.de

Franz M. Jansen, Promenade, 1925, Öl auf Hartfaser, 76,5 x 95,5 cm Wie viele Maler aus dem Kreis der Rheinischen Expressionisten war auch Franz M. Jansen kein akademisch ausgebildeter Künstler. Schon während seines nicht abgeschlossenen Architekturstudiums begann er autodidaktisch zu malen. Dabei experimentierte er mit vielfältigen Anregungen. Insgesamt hat Jansen auch im Vergleich zu anderen Rheinischen Expressionisten eine stilistisch und inhaltlich besonders komplexe Entwicklung durchlaufen. Ein Bild wie Märchenwald dokumentiert durch seine

Laura Ford: The Great Indoors. auch typische Bocholter Ware und Textilien, die auf den historischen Webstühlen der Museumsweberei produziert wurden. Die Ausstellung ist eine Fortsetzung der Präsentation von 2011. Neu in der Präsentation sind Arbeiten Fords aus der Gruppe „The Great Indoors“, die zuletzt in Amerika zu sehen waren. LVR-Industriemuseum Ratingen 9. 3. 2012 - 27. 1. 2013 Glanz und Grauen Mode im „Dritten Reich“ Mode im „Dritten Reich“ war mehr als Tracht, Dirndl und Uniformen. Was in der NS-Zeit wirklich getragen wurde, im Alltag, auf der Straße oder den Urlaubsreisen und wie das Regime die Auswahl der Kleidung beeinflusste, zeigt die Ausstellung. Die Uniformen der Hitlerjugend oder die fließenden Roben einer Zarah Leander – sie gelten als typisch für die Nazi-Zeit. Dieses Klischee hinterfragt

The art of tool making

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flächige ornamentale Gestaltung den Einfluss des Wiener Jugendstils, mit dem er während seines Aufenthalts in Wien in Berührung kam. Im Frühwerk ist, bestärkt durch die Auseinandersetzung mit dem Werk von Hodler und Munch, ebenso die Wendung zu einer symbolhaften und allegorischen Überhöhung der Bildthemen angelegt, die Jansen in unterschiedlicher Deutlichkeit bis in sein Spätwerk hinein formuliert.

inhaltlich bleibt sich der Künstler treu: stets geht es um eine Auseinandersetzung mit dem urbanen Raum, Architektur, Landschaft und Ökologie, das Baltz als einen subtilen politischen Künstler fern ab von plakativen oder agitatorischen Tendenzen erscheinen lässt. Kunstmuseum Bonn Museumsmeile, Friedrich-Ebert-Allee 2 53113 Bonn, T 0228 77-6260, F -6220 www.kunstmuseum-bonn.de

Die „Extra-Schicht“ gibt es seit dem Jahr 2001. Sie setzt laut den Veranstaltern „in einer Sommernacht im Jahr ehemalige Industrieanlagen, aktuelle Produktionsstätten, Zechen und Halden als Spielorte der Industriekultur kulturell in Szene und verdeutlicht damit den Wandel von der Schwerindustrie zu einer modernen Wirtschafts- und Kulturregion.“ www.extraschicht.de

Kunstmuseum Bonn Lewis Baltz 10. 45. - 2. 9. 2012 Das Kunstmuseum Bonn zeigt die erste Retrospektive eines schon heute legendären amerikanischen Fotografen in einem deutschen Kunstmuseum. Bereits in den frühen siebziger Jahren ist der 1945 geborene Lewis Baltz durch Bilder hervorgetreten, die ihn zu einem der wesentlichen Wegbereitern einer (neuen) künstlerischen Fotografie gemacht haben. Im Alter von 26 Jahren zeigte Baltz mit den „Tract Houses“ seine erste Einzelausstellung in der berühmten New Yorker Galerie von Leo Castelli, zu deren Programm er bis in die frühen neunziger Jahre gehörte. Ebenso nahm Baltz (wie auch Hilla und Bernd Becher) 1975 an der epochalen Ausstellung „New Topographics: Photographs of a Man-altered Landscape“ teil.

Dortmund „Nacht der Industriekultur“ im Ruhrpott Über 50 Orte werden bespielt Die „Nacht der Industriekultur“ öffnet am 30. Juni zum zwölften Mal die Tore alter Industriedenkmäler für die Kultur. 1000 Künstler bespielen bis 2.00 Uhr morgens 53 Orte des Ruhrgebiets. Die Besucher gelangen mit Hilfe von Shuttlebus, Fahrrad, Schiff oder Bahn von Spielort zu Spielort, wie die Ruhr Tourismus GmbH in Dortmund mitteilte. Neun Spielstätten feiern Premiere, so das Mülheimer Theater an der Ruhr mit einer Gespenster-Walpurgisnacht und die Lohnhalle Arenberg in Bottrop, die Besucher auf eine Zeitreise vom Barock in die Zukunft mitnimmt. Die „ExtraSchicht“ der Kultur nimmt

Trägerverein Immanuelskirche Wuppertal Konzert „Das Meer“ wird auf Herbst verschoben Wie der Trägerverein der Immanuelskirche mitteilt, musste das für Samstag, 12. Mai, 20 Uhr an der Sternstraße vorgesehene Konzert unter dem Titel „Das Meer“ verschoben werden. Das poetische Programm über die Sehnsucht, das weiße Schiff und das Meer mit den Improvisationen zwischen Michael Rettig (Klavier), Tao Song (Cello) und den an der Ostsee entstandenen Videos des Künstlers Jobst von Berg soll jetzt im Herbst diesen Jahres in Oberbarmen nachgeholt werden. Der genaue Termin steht noch nicht fest. www.immanuelskirche.de

„Nacht der Industriekultur“ 2011: Aktivisten der „Firebirds“ vom Theater „Titanick“ auf dem Gelände der Zeche Zollverein in Essen. (Foto: picture alliance / dpa)

Manuel Rettich, Foto: Christian Ruvolo

Lewis Baltz, Anechoic Chamber, France Télécom Laboratories, Lannion, France, 1989-1991. Nachdem Baltz anfangs im Hinblick auf seine klare Formensprache als Dokumentarist wahrgenommen wurde, hat sich das Werk des seit 1986 in Paris bzw. Venedig ansässigen Fotografen auf den ersten Blick erheblich gewandelt. An die Stelle umfangreicher Serien von kleinformatiger Schwarzweiß-Fotografie tritt seit den neunziger Jahren die Farbfotografie in großformatigen Einzelbildern. Doch

inzwischen eine europäische Dimension an. Im polnischen Oberschlesien und im ukrainischen Donbass wird zeitgleich am 30. Juni die Vielseitigkeit der Industriekultur gefeiert.

ZAKK Düsseldorf Lesung Harry Rowohlt 20. 6. 2012 20:00 Uhr Harry Rowohlts Bühnen-Shows sind legendär! Sprachbrillante Feuerwerke aus Kolumnen, Briefen, Vierzeilern, Kommentaren, Übersetzungen, Exkursen, Anekdoten und Dialogen mit dem Publikum.

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Kulturnotizen

Harry Rowohlt Einfach genial, wie Rowohlt die Themen der Zeit – relevante und entlegene – durch sein Subuniversum schleust, wo sie hinten meist schräger, relevanter und von neuenThemenkumpeln umstellt herauskommen. Der Übersetzer, Vorlesekünstler, Kolumnist und Gelegenheits-Schauspieler der „Lindenstrasse“ besitzt neben seiner grandiosen Bühnenpräsenz eine Stimme, deren tiefer Sound sich vom Ohr bis in die Magengegend windet und dort für ein angenehmes Kribbeln sorgt. Mit seinem modulationsfähigen Brummbass ist Rowohlt ein Naturereignis. ZAKK - Zentrum für Aktion, Kultur und Kommunikation Fichtenstraße 40, 40233 Düsseldorf, Tel.: 02 11/9 73 00 10, www.zakk.de

Stadthalle Wuppertal, Großer Saal Konzert Stummfilm & Livemusik BERLIN – Sinfonie einer Großstadt 05. 7. 2012 | 20:00 Uhr BERLIN – Sinfonie einer Großstadt Stummfilm von Walther Ruttmann (1927 Musik: Edmund Meisel, bearbeitet von Mark-Andreas Schlingensiepen Sinfonieorchester Wuppertal, LeitungMark-Andreas Schlingensiepen, Konzerteinführung um 19.15 Uhr mit Mark-Andreas Schlingensiepen.

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Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund Andrzej Maciejewski: Garten Eden Stillleben aus Früchten und Gemüsen Noch bis zum 24. 6. 2012 Eine Ausstellung im Rahmen von „Klopsztanga. Polen grenzenlos NRW“ Der polnische Fotograf Andrzej Maciejewski zeigt Stillleben aus Früchten und Gemüsen, die von den Bildern alter Holländer inspiriert wurden. Die Früchte und Gemüse der Serie „Garten Eden“ weisen jedoch einen wichtigen Unterschied auf, sie wurden im Supermarkt gekauft und tragen alle die Marken ihres Herkunftslandes und ihres Produzenten. So entstehen Bilder für das 21. Jahrhundert, die ähnlich schöne und gesunde Früchte zeigen wie die verführerischen Gemälde des 17. Jahrhunderts. Was dort den Stolz auf eine beginnende Globalisierung und die Verfügbarkeit exotischer Waren repräsentierte, stellt der Fotograf für die heute allgegenwärtige Fülle in Frage. Der scheinbar überall existente Garten Eden ist gleichsam angefüllt mit Sündenfallen: Toxide für bessere Ausbeute, Gentechnik für bessere Haltbarkeit und absolute Selektion in der Züchtung für das perfekte Aussehen. Die Klebeetiketten seiner Erzeugnisse wirken wie die Mahnung vor dem Genuss verbotener Früchte.

Museum Ostwal Dortmund Heinz Mack – Zwischen den Zeiten Ausstellung für den Preisträger für Bildende Kunst der Kulturstiftung Dortmund Noch bis zum 29. 7. 2012 (U6 – Oberlichtsaal der Wechselausstellungsfläche im Dortmunder U) Heinz Mack (geb. 1931, Lollar) gehört seit vielen Jahrzehnten zu den international bekannten Künstlern. Im Jahr 2012 ehrt die Kulturstiftung Dortmund Heinz Mack mit ihrem Kulturpreis, der abwechselnd an herausragende Künstlerinnen und Künstler der Musik oder der Bildenden Kunst vergeben wird. Die Ausstellung präsentiert insbesondere unbekannte und selten gezeigte Arbeiten. Licht und Dynamik gehören zu den zentralen Momenten im Schaffen des Künstlers und finden sich deshalb in den unterschiedlichsten Medien: in Skulptur, Malerei, Keramik und Fotografie. Die Räume der Ausstellung sind thematisch gegliedert, und zeigen auch Werke und Objekte, die z. B. in der außergewöhnlichen Sahara-Expedition des Künstlers entstanden sind. Mit Modellen, Zeichnungen und Fotocollagen werden auch Ideen vorgestellt, die aus vielerlei Gründen (noch) nicht realisiert sind oder auch Konzept bleiben.

Andrzej Maciejewski: Still Life with 4030 (New Zealand), 4927 (Italy), 4940 (USA), 3127 (Mexico), 4433 (Panama), 4958 (Mex)

Heinz Mack, Weißer Rhythmus, 1960, Kunstharz, Holz, 80 x 90 x 2 cm, © VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Maciejewski wurde in Warschau geboren und studierte Fotografie in Warschau und Ostrava in Tschechien. Heute lebt er in Ontario. Sein Werk war bereits in Ausstellungen in Deutschland, Kanada, USA und Polen zu sehen. MKK Hansastr. 3. 44137 Dortmund mkk.dortmund.de

Museum Ostwall im Dortmunder U, Leonie-ReygersTerrasse, 44137 Dortmund www.museumostwall.dortmund.de


SAMSTAG 2. JUNI > 19 UHR > OPEN AIR REBEL WOMAN > CHIWONISO SONNTAG 3. JUNI > 19 UHR > OPEN AIR BAHUMAT > HAZMAT MODINE IM SKULPTURENPARK WALDFRIEDEN, WUPPERTAL

SOMMER 2012

Hirschstr. 12 ȓ 42285 :XSSHUWDO ȓ 0202 47898120 www.skulpturenpark-waldfrieden.de/Klangart Tickets sind außer an der Kasse des Skulpturenparks Waldfrieden an Vorverkaufsstellen sowie unter www.derticketservice.de und unter der Tickethotline 01805 280 100 (Festnetzpreis 14ct/Minute) erhältlich.

KA RUS SELL

SAMSTAG 18. AUGUST > 19 UHR > OPEN AIR JAZZ GOES HIPHOP > SQUEEZEBAND SONNTAG 19. AUGUST > 19 UHR > OPEN AIR UKUBA NOMA UNKUNGABI > JASPER VAN’T HOF‘s PILI PILI

NEU

Bergische Zeitschrift für Literatur

zur Wuppertaler Literatur Biennale 2012

Ausgabe 1/2012 9,00 Euro

Wu p p e r t a l e r L i t e ra t u r B i e n n a l e 2 0 1 2

SAMSTAG 14. JULI > 19 UHR > OPEN AIR FADISTA > ANA MOURA SONNTAG 15. JULI > 19 UHR > OPEN AIR FATOU > FATOUMATA DIAWARA

Prosa | Lyrik | Essay

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von Marlene Baum, Eugen Egner, Christiane Gibiec, Arnim Juhre, Karl-Otto Mühl, Karla Schneider, Hermann Schulz, Andreas Steffens, Michael Zeller u. v. a.

Karussell | Bergische Zeitung für Literatur Nr. 1/2012 – 115 Seiten, 9.– Euro – ab Juni im Buchhandel Herausgeber: Verband Deutscher Schriftsteller (VS), Region Bergisch Land und die Autorengemeinschaft Literatur im Tal mit freundlicher Unterstützung durch Kulturbüro der Stadt Wuppertal Verlag HP Nacke Wuppertal ISBN 978 - 3 - 942043 - 85 - 4

TANZTRÄUME Jugendliche tanzen „Kontakthof“ von Pina Bausch. Das Buch zum Film von Anne Linsel und Ulli Weiss Verlag HP Nacke Wuppertal, 2011 120 Seiten, 23 x 17 cm, Softcover ISBN 978-3942043-81-6, 19,80 Euro Verlag HP Nacke KG Friedrich-Engels-Allee 122 42285 Wuppertal Telefon 0202 - 28 10 40 verlag@hpnackekg.de

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Der Tipp f체r alle ab 60 Mit dem B채renTicket sind Sie im ganzen VRR-Gebiet unterwegs, rund um die Uhr und in der 1. Klasse.

Weitere Infos im MobiCenter Tel.: 0202 569-5200 60 www.wsw-online.de


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