Die Beste Zeit Ausgabe 4

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DIE BESTE ZEIT Das Magazin für Lebensart Wuppertal und Bergisches Land

Juni/Juli 2010 - 3,50 Euro

Film Tanzträume Anne Linsel, Berlinale 2010

Boros Collection Wuppertaler Kunstmäzen in Berlin

Eingeladen aus Hanna Lemke „Gesichertes“

Franz Kafka - Der Prozess Opernhaus Wuppertal

Neue Kunstbücher vorgestellt von Thomas Hirsch

Rainer K. Wick Die Essenz der Jahre

Retour de Paris Leonce und Lena Von der Heydt-Museum Wuppertal Schauspielhaus Bochum

HÖR ZU - Ein Igel wird 60 Zum runden Geburtstag

Otto Dix - Wald am Morgen Neuerwerbung

Farbe als Motiv Atelierbesuch bei Chr. v. Grumbkow

Hanna Lemke Leben auf dem Sprung

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Barbara Neusel-Munkenbeck und die Urne “moi“

Keine Angst vor Berührung

seit 1813

Alles hat seine Zeit. Berliner Straße 49 + 52-54 · 42275 Wuppertal · www.neusel-bestattungen.de Tag

und Nacht 66 36 74


Editorial Liebe Leserinnen, liebe Leser, seit der Mensch die Schrift erfunden hat, denkt und schreibt er. Eine der Spätfolgen davon ist, dass ich hier sitze und das erste Editorial meines Lebens schreibe. Als Professioneller würde ich mir nun ein Thema suchen, das die Leute heranlockt, oder sonst eines auswählen, das mich besonders bedrängt; aber diese Art von Orientierung ist eigentlich nichts für mich. Für mich ist einfacher, an mir herunterzublicken und zu sehen, wo ich stehe: Da ist heute dieses junge, ambitionierte Magazin hier, das Kultur und Region zusammenführen will zu etwas Lesenswertem, und das hoffentlich weiterhin Leser anzieht, wenn es ihm gelingt, in ihnen das Gefühl zu erwecken, sich selbst hier wiederzufinden und vielleicht neu oder intensiver zu sehen. Wird das so sein? Wenn ich den Blick wieder hebe, versuche ich zu sehen, an wen ich mich hier eigentlich wende. Sind das lauter Einzelne um mich oder eine Gruppe; so etwas wie eine Gemeinschaft? Ein Mensch, der aufs Rednerpodium steigt, wünscht sich bestimmt beides. Aber mit der Gemeinschaft tun wir uns heute oder immer schwer. Wir sind aus vielen Gründen, die leicht zu beschreiben wären, lauter eigensinnige Individualisten geworden, sodass eigentlich jeder seine eigene Partei, seine eigene Kirche, seinen eigenen Verein und seine eigene Gewerkschaft haben müsste. Aufrufe und an die Brust schlagen nützen da nichts, es gibt – zum Glück – auch keine Heils-Vision, die es schleunigst zu verwirklichen gälte und einen schönen Endzustand gibt es sowieso nicht, es sei denn, ein Verblichener könnte uns davon berichten. Besser war es wahrscheinlich nie, denn da haben wahrscheinlich nur Not und Herrschaft die ersehnte Gemeinschaft erzwungen; wer wünschte sich das schon zurück? Und nun marschiert die Kargheit, die Austerity auch noch wie eine graue Armee auf uns zu. Ob uns das enger zusammenführt? Denn die Wahrheit und die Kunst wollen zu Gemeinsamem verbinden – gibt es die überhaupt, die das wollen? Und Kunst und Wahrnehmung, die gehören doch zusammen, darauf setzt auch dieses Magazin? Die Wirklichkeit hat ihre eigene Sprache. Sie tritt unseren Fragen unschuldig lächelnd entgegen, zum Beispiel mit dem Inhalt dieses Hefts. Es will den kulturell Interessierten Menschen unserer Region begegnen und nahe sein, aber gleichzeitig den Blick nach außen richten. Da ist der vielgerühmte Pina-Bausch Film „Tanzträume“ von Anne Linsel und Rainer Hoffmann; in dem sich dokumentierte menschliche Nähe mit künstlerischer Form verschwistert; ein Blick in die Kunstsammlung Boros; ein Report über den Ausflug expressionistischer Gemälde aus Wuppertaler Museumsbesitz nach Paris (und ihre Rückkehr); die Begegnung mit neuen Büchern von Autoren wie Hanna Lemke und Ulrich Land – und vieles andere, Dies alles hat einen Zusammenhang. Und dieses Magazin, das sich der Kunst unserer Zeit verpflichtet fühlt, möchte gebraucht werden, um der Kunst und dem Gemeinsamen zu dienen – solange der Markt es duldet. Und so hat eben vieles mehr mit einander zu tun, als man denkt – und jetzt hebt noch etwas den Kopf, nämlich das Herzerwärmende. Wenn denn die Leute sich dem Wahren, dem Schönen, dem Guten und einander zuwenden (und davon soll man hier lesen können), die Kunst blühend und kühn erfreut, dann fühlen wir uns wohl miteinander und für eine Weile gut aufgehoben in unserer Welt. Ihr Karl Otto Mühl

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Impressum „Die beste Zeit“ erscheint in Wuppertal und im Bergischen Land Auflage 4.000 Exemplare Erscheinungsweise: 5 mal pro Jahr Verlag HP Nacke KG - Die beste Zeit Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal Telefon 02 02 - 28 10 40 E-Mail: verlag@hpnackekg.de V. i. S. d. P.: HansPeter Nacke und Frank Becker

Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt. Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser Beiträge zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich.

Kürzungen bzw Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann keine Gewähr übernommen werden. Nachdruck – auch auszugsweise – von Beiträgen innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder Unterlassungen keine Haftung übernommen.

„Die Kunst kann den Menschen nicht retten, aber mit den Mitteln der Kunst wird ein Dialog möglich, welcher zu einem Menschen bewahrenden Handeln aufruft.“ [Günther Uecker 1983]

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Inhalt Heft 4 Juni/Juli 2010

Film Tanzträume

Eingeladen

Berlinale 2010 Jugendliche tanzen „Kontakthof“ von Johannes Vesper

aus Hanna Lemke „Gesichertes“ Antje Kunstmann Verlag

Seite 34

Seite 6

Die Lüge wird zur Weltordnung

Sifonieorchester Wuppertal

Herbert Neubeckers Bühnenbearbeitung von Franz Kafkas Roman „Der Prozess“ Seite 13 Opernhaus Wuppertal

gestern - heute – morgen Vom Musikerstreit zur Gründung der „Elberfelder Kapelle“, der Ursprung des Sinfonieorchesters Wuppertal Seite 37

Boros Collection

Farbe als Motiv

Wuppertaler Kunstmäzen und Sammler in Berlin von Johannes Vesper

Christian von Grumbkow Atelierbesuch von Thomas Hirsch Seite 16

Eine Farce mit schönen Beinen Anna Bergmann inszeniert in Bochum Büchners „Leonce und Lena“

Ein Igel wird 60 er

Zum runden Geburtstag des HÖR ZU! Redaktions- Maskottchens „Mecki“

Seite 45

Seite 20

Die Essenz der Jahre Rainer K. Wick Fotografische Arbeiten 1968 - 2009

Seite 39

Neue Kunstbücher vorgestellt von Thomas Hirsch

Seite 48

Seite 24

Retour de Paris

„Der Abend kommt als Kubist“

Von der Heydt-Museum Wuppertal Meisterwerke vom Expressionismus bis heute

Eine zeitgenössische Italienische Reise Hörstück für vier Sprechstimmen,

Seite 50

Kulturnotizen

Seite 51

Seite 27

Otto Dix - Wald am Morgen Eine Neuerwerbung im Von der Heydt-Museum Wuppertal von Antje Birthälmer

Seite 29

Leben auf dem Sprung. Hanna Lemke: „Gesichertes“. Ein überraschendes literarisches Debüt.

Seite 31


Tanzträume Jugendliche tanzen „Kontakthof“ von Pina Bausch Ein Film von Anne Linsel und Rainer Hoffmann Am 14. 2. 2010 hatte der Film auf der Berlinale Premiere. 1.600 Besucher sahen ihn im vollbesetzten Friedrichstadt-Palast. Am 7. 3. 2010 fand die Voraufführung des Films vor ca. 1.000 Fans im Wuppertaler Cinemax statt, und seit dem 18. 3. 2010 läuft er in den Kinos, der Film über „Kontakthof“ von Pina Bausch, mit Jugendlichen in Szene gesetzt. 1978, also vor 32 Jahren war Premiere des Tanztheaterstücks in Wuppertal, 2000 kam „Kontakthof mit Damen und Herren ab 65“ (Laiendarstellern) auf die Bühne und 2008 mit Jugendlichen ab 14 Jahren. „Kontakthof“ ist das einzige der über 40 Stücke von Pina Bausch, welches sie auch mit Laien gespielt hat. Alle Gefühle zwischen Himmel und Erde, zwischen Mann und Frau zeige dieses Stück, meint Anne Linsel im Gespräch. Und offensichtlich ist jedermann Tänzer, wird er nur geeigneter Weise gefördert und gefordert. Liebe und Sex, Enttäuschung, Hoffnung, Aggression und vor allem Zärtlichkeit sind Themen für jeden und jede und für alle Altersklassen. Wahrscheinlich erkennt sich das Publikum mit eigenen Problemen und Emotionen in diesem Stück eher selbst wieder als in anderen Stücken Pina Bauschs. Wie Pina Bauschs „Jedermann“ mit den Jugendlichen erarbeitet, eingeübt und schließlich bühnenreif gemacht wurde, haben Anne Linsel (Regie) und Rainer Hoffmann (Kamera) von März bis November 2008 filmisch dokumentiert. Dabei ist Anne Linsel offensichtlich den jungen Tänzerinnen und Tänzern so vertraut geworden und nahe gekommen, dass diese durch die Filmaufnahmen nicht gehemmt wurden, sondern freimütig und offen über ihre Liebes- und Lebenserfahrungen vor laufender Kamera berichtet haben. 43 Mädchen und Jungen verschiedener Nationalitäten im Alter ab 14 Jahren waren von Pina Bausch aus verschiedenen Wuppertaler Schulen aller Schulformen ausgewählt worden. An jedem Samstag wurde unter Jo Ann Endicott und Benedicte Billiet geprobt. Vom ersten Kontakt der Jugendlichen mit der großen Pina Bausch, die sie teilweise zuvor auch dem Namen nach nicht kannten, von ihren ersten Schritten auf der Probebühne bis hin zur gefeierten Premiere im November 2008 wurde das Projekt mit der Kamera sensibel eingefangen. So entstand ein anrührender und bewegender Kinofilm über Pina Bausch, über ihre Arbeitsweise, über das alltägliche Theater - niemand greift wie Pina Bausch in ihren Stücken Alltagssituationen so eindrücklich auf und setzt sie in Bewegung um - und über Jugendliche, die quer durch das gegliederte Schulsystem und unabhängig von ihrer Herkunft ein solches Stück auf die Bühne stellen. „Das Wichtigste, was die Jugendlichen von Pina gelernt haben, ist meiner Meinung nach, dass man mit seinem ganzen Körper Gefühle ausdrücken kann, dass man Traurigkeit zum Beispiel durch Weinen ausdrücken kann aber auch mit Armen und Beinen. Dadurch haben sie eine Sensibilität für Kunst entwickelt und verstehen gelernt, dass Kunst etwas mit dem Leben zu tun hat und nichts Abgehobenes ist“ sagt die Regisseurin. Umgekehrt fasziniert den Zuschauer des Films, wie durch Einübung von Bewegung und Bewegungsabläufen Gefühle und Seelenleben der jungen Tänzerinnen und Tänzer gegenläufig beeinflusst werden. Natürlich ist Bewegung beim Tanzen Ausdruck der Psyche. Das wichtige Ergebnis dieses Projektes für den Zuschauer aber ist, dass umgekehrt durch Einübung tänzerischer Bewegung die Psyche verändert und kultiviert werden kann. Die Wechselbeziehung zwischen Bewegung und Psyche ist Thema dieses Films. Tanzträume sind es und traumhaft ist es, was dieses junge Ensemble und wie es sich bewegt, wie intensiv die Jugendlichen das Stück proben und wieder proben, sich Kritik gefallen lassen, gelobt und ernst genommen werden. Und in der Darstellung von Zärtlichkeit und Aggression, von Hoffnung und Enttäuschung, von Scham, Unsicherheit und Vertrauen merken die Jungendlichen, dass sie im Grunde ihr eigenes Leben tanzen. Dazu macht das Ganze den jugendlichen Darstellern offensichtlich Spaß. Dabei verschwinden die Vorurteile der Hauptschüler gegenüber den Gymnasiasten und umgekehrt, die Vorurteile gegenüber den ausländischen Mitschülern und umgekehrt, natürlich auch die Vorurteile dem anderen Geschlecht gegenüber. So gelingt Integration. Szene aus der Generalprobe 7. Kontakthof 11.08

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Anne Linsel kennt Pina Bausch seit Wüstenhofers Zeiten, ist also seit nahezu 40 Jahren mit ihr und ihrer Arbeit vertraut. Dadurch entsteht die Authentizität des Films und die seltene Möglichkeit, die Probenarbeit bei Pina Bausch einzufangen. Pina Bausch sah diesen Film noch wenige Tage vor ihrem Tod und war nach Angaben von Anne Linsel damit zufrieden. Im Film finden sich wunderbare Großporträts von ihr und im Film äußert sie sich auch zum letzten Mal vor laufender Kamera. Sie wollte nicht, dass ihre Tränen in den Augen gefilmt wurden, als sie den Jugendlichen vor der Premiere für ihr Engagement dankte und auch dafür, dass sie ihr Stück weitertragen. Die tanzenden Teenager hatten soviel Vertrauen zum Kameramann und zur Regisseurin, dass sie sich nicht scheuten, auch persönliche, schlimme Lebenserfahrungen zu erzählen. Eine der Hauptdarstellerinnen ist traurig, dass ihr Vater gestorben ist, als sie 15 Jahre alt war. Wie stolz wäre er, wenn er sie heute auf der Bühne erleben könnte. Eine andere Darstellerin bewahrt ihre Familiengeschichte über die Generationen und erzählt, wie ihr Opa, als sie noch klein war, während des Balkankrieges verbrannte. Nur der Zuschauer des Films erfährt solche Hintergründe und sieht im Film das Stück also ganz anders als der Besucher einer Aufführung im Theater. Für all die jungen Tänzerinnen und Tänzer ist dieses Projekt persönlich eine Riesenchance geworden und hat ihr Leben verändert. Dies wird im Film sehr deutlich. Der Film zeigt auch das Werktags-Wuppertal, wenn junge Tänzer neben der Wupper Basketball spielen, wenn die Schwebebahn samstags die jungen Tänzerinnen zur Lichtburg bringt, dem ehemaligen Kino am Alten Markt, welches vom Tanztheater seit Jahren als Probebühne benutzt wird. Faszinierend die Bilder des Films für den Zuschauer, der Wuppertal nicht kennt: die quietschende Schwebebahn über der Wupper und das weiße Schauspielhaus unter blauem Nachthimmel mit Mond (Nichts ist bekanntlich so schön wie der Mond!). Zur Erstaufführung des Films auf der Berlinale im Friedrichstadtpalast konnte das gesamte jugendliche Ensemble dank einer Spende nach Berlin reisen. Inzwischen wurde der Film auch auf dem 21. Filmfestival von Istanbul mit großem Erfolg gezeigt. Szene aus der Generalprobe 7. Kontakthof 11.08 rechte Seite: Präsentation auf der Berlinale 2010

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Szene aus der Kontakthof-Generalprobe

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Tanzträume

Die Regisseurin und Autorin Anne Linsel

1. Nachbemerkung: Das Schauspielhaus Wuppertal wurde 1967 mit „Nathan der Weise“ eröffnet. Der Architekt des weißen, eleganten Hauses im Wupperbogen an der Kluse war Gerhard Moritz Graubner (1899-1970), der zahlreiche Theater in Deutschland gebaut hat u.a. auch das Bochumer Schauspielhaus. Im Wuppertaler Schauspielhaus begann bekanntlich die Geschichte des Tanztheaters Pina Bausch. Auf die bedeutende Geschichte des Wuppertaler Schauspiels kann hier nur hingewiesen werden. Jetzt fielen Beschlüsse, das Wuppertaler Schauspielhaus zu schließen. Wer kann die Verantwortung dafür tragen? In Deutschland wurden Milliarden für die Rettung von Banken ausgegeben und die Deutsche Industrie muß im Ausland mehr als 100 Mill. Strafe wegen Bestechung und Korruption zahlen. Theater soll und kann nicht Gewinn steigernd oder Gewinn maximierend funktionieren, könnte aber unter Umständen als im modernen Schillerschen Sinne moralische Anstalt die Zukunft der Gesellschaft und damit unser aller Zukunft sichern helfen. Das war in Anne Linsels „Tanzträumen“ über Pina Bauschs „Kontakthof mit Jugendlichen ab 14“ zu erleben. 2. Nachbemerkung: Notizen über Anne Linsel. Anne Linsel lebt und arbeitet als Kulturjournalistin und Publizistin in Wuppertal. Sie hat zwei erwachsene Kinder. Von 1984-1989 moderierte sie das ZDFKulturmagazin „Aspekte“, nach 1989 führte sie die „Sonntagsgespräche“ im ZDF mit Cornelia Froboess, Rolf Liebermann, Jürgen Flimm, Claus Peymann, Bernhard Minetti, Daniel Barenboim u. a.. Von 1989 -2004 war sie Gastgeberin der ZDF-Reihe „Zeugen des Jahrhunderts“ (mit Hilde Spiel, Werner Tübke, Carola Stern, Ernst H. Gombroich, Rolf Boysen u. a.). Für Arte moderierte und konzipierte sie Themenabende u.a. über Joseph Beuys, Pina Bausch und Max Ernst) Sie arbeitet regelmäßig für den Hörfunk (WDR, NDR, DLF) und schreibt Literatur-, Theater-, und Kunstkritik für verschieden Zeitungen und Zeitschriften u. a. für die Süddeutsche Zeitung.

Zahlreiche Filme entstanden unter ihrer Regie, u. a. über Peter Kowald, Barbara Nüsse, Hanna Jordan, Pina Bausch („Nelken in Indien“, Pina-Bausch-Dokumentation von 2006), Hanna Marron, Pablo Picasso, Tony Cragg. Sie schrieb Bücher - Hilde Spiel: „Die Grande Dame“ (1992), „Weltentwürfe- die Bühnenbildnerin Hanna Jordan“ (2006) - und gab zusammen mit Peter von Matt einen Sammelband über Else Lasker-Schüler („Deine Sehnsucht war die Schlange“- ein Else-Lasker-Schüler Almanach) heraus. Jetzt kam sie gerade zurück von der Aufführung der „Tanzträume“ auf dem 21. Filmfestival Istanbul. Ob sie der Einladung nach Los Angeles folgen wird, wo die „Tanzträume“ demnächst auch gezeigt werden, weiß sie noch nicht. Tanzträume –Jugendliche tanzen „Kontakthof“ von Pina Bausch Buch und Regie: Anne Linsel Kamera: Rainer Hoffmann bvk Originalton: Uwe Dresch, Thomas Keller, Tobias Linsel, Paul Oberle, Tim Dohnke Schnitt: Mike Schlömer Produktionsleitung: Cornelia Kellers Redaktion: Sabine Rollberg Produzent: Gerd Haag Eine TAG/TRAUM Filmproduktion in Co-Produktion mit dem WDR und in Zusammenarbeit mit Arte Deutschland 2009, 89 Min., Kinostart 18. 3. 2010 Gefördert von Filmstiftung NRW, DFFF Deutscher Filmförderfonds, Der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr.-Werner-Jackstädt-Stiftung Johannes Vesper Fotos: K.-H. Krauskopf

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Tanzträume – oben: Szene aus der Kontakthof-Generalprobe – unten: Premiere im Cinemaxx Wuppertal

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Die Lüge wird zur Weltordnung Herbert Neubeckers Bühnenbearbeitung von Franz Kafkas Roman „Der Prozess“ in einer fesselnden Inszenierung von Sybille Fabian

16. 4. 2010 //// Opernhaus Wuppertal Fotos: Joachim Dette Juliane Pempelfort, Gregor Henze

Lutz Wessel (Neffe Lanz, Hauptmann, Auskunftgeber, Prügler) Andreas Ramstein (Rabensteiner, Advokat Huld, Grauhaariger Angeklagter) Statisterie

„Das Verfahren geht ganz allmählich ins Urteil über“

Eine ominöse Macht fasst zu

– Inszenierung: Sybille Fabian – Bühne: Herbert Neubecker – Kostüme: Michael SieberockSerafimowitsch/Sybille Fabian – Dramaturgie: Sven Kleine – Besetzung: Gregor Henze (Josef K.) Sophie Basse (Frau Grubach, Onkel Karl) Juliane Pempelfort (Frl. Bürstner, Das bucklige Mädchen, Leni) Anne-Catherine Studer (Wächter Franz, Frau des Gerichtsdieners, Das Mädchen) Thomas Braus (Wächter Willem, Gerichtsdiener, Der Geistliche) Andreas Möckel (Aufseher, DirektorStellvertreter, Untersuchungsrichter) Daniel Breitfelder (Kaminer, Student Bertold, Maler Titoreli)

Der Bankbeamte Josef K. (Gregor Henze), 30 Jahre alt, ledig, Untermieter bei Frau Grubach (Sophie Basse), wird aus dem Schlaf heraus ohne Anschuldigung, ohne Legitimation, doch auch ohne physische Gewalt von zwei erschreckend martialischen „Wächtern“ (Anne-Catherine Studer, Thomas Braus) verhaftet. Sein selbstbewußter Protest verpufft vor der Autorität des noch martialischeren, zugleich süffisanten Aufsehers (Andreas Möckel), der deutlich macht, trotz seiner Befugnisse untergeordnet zu sein. Wie enorm muß also die „Macht“ darüber sein? Dieses Monströse des Apparats, der hier wirkt, wird unentwegt unterstrichen, ob durch den Vize-Direktor (Andreas Möckel), der K. unter Druck setzt, weil er

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Sophie Basse, Andreas Mรถckel, Juliane Pempelfort


selber der Kontrolle unterliegt, durch den Maler Titorelli (Daniel Breitfelder), der sich anscheinend arrangiert hat oder wen auch immer. Alle sind subaltern. Josef K. muß sich, ohne inhaftiert zu werden, einer ominösen Gewalt unterwerfen, einem rätselhaften Gerichtsverfahren stellen, das nichts anderes als seine Schuld festzustellen hat. Denn dass er eine Schuld trägt, die Schuld, scheint völlig außer Frage zu stehen. Gültige Bühnenbearbeitung von Kafkas Roman Franz Kafkas genialischer, die Schlünde aller Abgründe der Angst vor willkürlicher staatlicher Autorität aufreißender Roman hat schon vor, besonders aber seit der prominent besetzten Verfilmung durch Orson Welles aus dem Jahr 1962 diverse Film-, Opern- und Bühnenbearbeitungen erlebt, schreit jedoch immer noch nach einer über die Zeit gültigen Fassung für die Bühne, denn die Eindringlichkeit des beängstigenden Sujets ist geradezu wie für das Theater gemacht. Oder verlangt jede neue Zeit nach einer neuen Interpretation? Herbert Neubecker hat mit seiner Bearbeitung einen Weg in das Unheimliche der von Ängsten, Pressionen und heimlichen Mächten beherrschten Welt des Josef K. gefunden, der in Auslegung, Personifizierung und direktem Bezug auf die Romanvorlage gültig und zeitlos erscheint, zugleich jeden Zuschauer mit dem eigenen Zwiespalt zwischen Aufbegehren und Unterwerfung, Lust und Schuld, Glauben und Atheismus konfrontiert. Eine (fast) schwarz-weiße Welt Am 9. April hatte Sybille Fabians Inszenierung für die Wuppertaler Bühnen in Zusammenarbeit mit dem Teo Otto Theater in Remscheid dort ihre wenn auch nicht ausverkaufte, jedoch sehr gut besuchte und mit allem Recht gefeierte Premiere. Man kann von einem grandiosen Gesamterfolg sprechen, denn sowohl Neubeckers Fassung als auch die von ihm gestaltete schwarz-weiße schräge Bühne, Fabians überwiegend schwarz-weiße Kostüme,

die dramatischen Klang-Einspielungen, die Choreographie und jede Einzelleistung der außer Gregor Henze mehrfach besetzten Mitwirkenden muß als Perle bezeichnet werden. Farbe kommt durch die brillanten Akteure ins Spiel und blitzt gezielt nur gelegentlich in Form eines (zerquetschten) Apfels und der kommentierten Ausgabe von Schönfelders „Deutsche Gesetze“ auf. Wo alles gepanzert, verborgen, verschlossen ist, überraschen als Andeutung des harmlos Schönen und Begehrenswerten in dieser häßlichen Welt die kaum verhüllten göttlichen Brüste von Josef K.s Zimmernachbarin Frl. Bürstner (Juliane Pempelfort), der er über seine Verhaftung berichtet. Dialog: „Wie war es denn?“ – „Schrecklich!“ – „Das ist zu allgemein.“

Studer). Sein Fragen nach dem Ende der Qual wird ihm vom Auskunftgeber (Lutz Wessel) zynisch beantwortet: „Nur was nicht aufhört weh zu tun, bleibt im Gedächtnis“. Nicht einmal der Geistliche (Thomas Braus), der durch den Glockenschlag der Kathedrale auf den Plan gerufen wird, ist bereit, ihm eine hoffnungsvolle Perspektive zu eröffnen, macht ihm im Gegenteil vor dem Hintergrund einer riesigen Thora-Rolle mit der Türhüter-Parabel das Unvermeidliche klar. Josef K. ringt bis zum letzten dramatischen Moment, auch mit der verzweifelten Suche nach der eigenen Identität („Wer bin ich denn? Wissen Sie, wer ich bin?“) –Das Schlussbild zeigt als Symbol der alles verschlingenden Macht eine riesige Tresortür.

Expressionismus und Silly Walks

„Die Lüge wird zur Weltordnung gemacht“. Schmerzhafte Lehre - aber allzu wahr. Kafkas deprimierende Einsicht ist bis auf den Tag gültig. Eine hervorragende, unbedingt sehenswerte Inszenierung. Am 16. April feierte das Stück in Wuppertal seine zweite Premiere. Im Juni und Juli gibt es noch Aufführungstermine im Opernhaus. Nicht versäumen!

Zug um Zug läßt sich K. bei abnehmendem Aufbegehren in den Sog des mysteriösen Verfahrens ziehen, das immer deutlicher sein Leben bedroht. Der Alptraum der Wehrlosigkeit lähmt ihn, lähmt selbst den Zuschauer, der immer wieder von der Bühne aus als Teilnehmer an dem grausigen Tribunal, dann wieder als Mitangeklagter identifiziert wird. Unbehaglich. Neubecker und Fabian haben den literarischen Expressionismus und bekannte expressionistische Filmbilder aus z.B. „Metropolis“, „Das Cabinet des Dr. Caligari“ hervorragend umgesetzt, dabei aber auch nicht mit listigen Anleihen bei Monty Python gespart. Maschinengeräusche und Choreographien erinnern an Fritz Lang, Zeitlupen des Schreitens an „The Ministry of Silly Walks“. Das Danton´sche Tribunal unter dem brüllenden Untersuchungsrichter (Andreas Möckel) drückt auch den Zuschauer tiefer in den Sitz. Man ahnt: hier gibt es kaum ein Entkommen. Ein Geniestreich.

Frank Becker Fotos: Joachim Dette Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de

Erbarmungslos Josef K. erlebt entsetzt die Erbarmungslosigkeit des geheimnisvollen Systems an der gnadelosen Exekution seiner Wächter, an der Gewalt gegen die Frau des Gerichtsdieners (Anne-Catherine

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Boros Collection

Wuppertaler Kunstmäzen und Sammler in Berlin von Johannes Vesper

Die Hinweise in schwarzer Standardschrift auf den Betonwänden („2. Geschoß A2. Rauchen verboten“) dienten ursprünglich der Orientierung in dem ehemaligen Luftschutzbunker. Seit 1942 steht er in Berlin Mitte in der Nähe des Deutschen Theaters und des Bahnhofs Friedrichstraße mit 180 cm dicken Außenwänden und 320 cm starker Dachplatte aus Blaubeton. Nach Plänen des Architekten Karl Bonatz, dem Nachfolger von Hans Scharoun als Berliner Stadtbaudirektor nach dem Krieg, ist er für die Reichsbahn errichtet worden. 1200 Personen bot er ursprünglich Schutz vor Bombenagriffen und Beschuß. Wie Narben zeugen die Schußlöcher in den Wänden noch heute von der Geschichte des Baus. Die Renaissance-Elemente von Fassade und Dach gehörten zur Konzeption der vorgesehenen Umgestaltung Berlins zur faschistischen Welthauptstadt. Nach dem Krieg wurde der Bunker unterschiedlich genutzt: als Kriegsgefängnis der Roten Armee, als „Bananenbunker“ zu DDR-Zeiten (Lagerung von Südfrüchten durch den VEB Obst-Gemüse-Speisekartoffeln), nach der Wende als Ort von Techno-Musik und wilden Partys. 1996 fand eine Kunstausstellung statt und 2003 kaufte Christian Boros den jahrelang nicht mehr genutzten, ruinösen Klotz. Die umfangreichen Fassaden-Arbeiten führte das Berliner Unternehmen Asta-Natursteine von Irmgard Stankat und Egbert Polanz (beide Ex-Wuppertaler) aus. Christian Boros ist Kommunikationsdesigner (Studium in den 80er Jahren bei Bazon Brock in Wuppertal). Er gründete die Boros Agentur für Kommunikation in Wuppertal (Werbeagentur bzw. inzwischen eine Gruppe von Agenturen) und sammelt zusammen mit seiner Frau Karen Lohmann seit seinem 18. Lebensjahr Kunst der Gegenwart. Den Traum vom eigenen Museum hat er sich mit dem Kauf des Bunkers 2003 und dem anschließenden Umbau erfüllt. Nach den Vorstellungen des Architekten Jens Casper wurden unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes Anbauten entfernt, Betondecken und Innenwände mit Diamantsägen herausgesägt, Wände sandgestrahlt oder auch nur gewaschen. Der Charakter des Bunkers blieb mit Kriegsspuren, Graffiti und im Inneren mit rostigen Türen und Telefonen aus der Kriegszeit erhalten. Selbst Spuren der Latrinen sind im Boden noch sichtbar. So entstanden aus ursprünglich 160 gleichförmigen Räumen 80 Räume unterschiedlicher Größe und unterschiedlichen Zuschnitts (bis zu 20 m hoch), in denen auf 3000 qm in 5 Etagen die gesammelte Kunst ausgestellt wird. Die Besucher werden über 4 doppelläufige Treppenhäuser, die ursprünglich der schnellen Verteilung der Schutzsuchenden im Bunker dienten, durch das Gebäude geleitet. Also auch im Innern Renaissance-Elemente, gilt doch die doppelläufige Treppe als eine Erfindung Leonardo da Vincis. Oben auf dem Bunker entstand eine bungalowartige, ringsum verglaste Dachwohnung von 450 qm Wohnfläche, die nur über einen privaten Aufzug erreichbar ist. Der Legende nach genehmigte das phantasievolle Bauamt Berlins die Dachwohnung auf dem Bunker als unterkellertes Einfamilienhaus. Seit 2008 ist die Sammlung Boros der Öffentlichkeit zugänglich. Der Besuch ist nur nach Voranmeldung im Rahmen einer Führung möglich. 157 Kunstwerke von 21 Berliner Künstlern oder Künstlern, die zeitweise in Berlin gearbeitet haben, sind ausgestellt. In der aktuellen Ausstellung finden sich vorwiegend Objekte und Installationen. Dabei wurden die Objekte teilweise von den Künstlern ortspezifisch in den Räumen installiert. Gleich beim Betreten des Bunkers schlägt ernst und tonlos über dem Besucher eine Kirchenglocke aus Flandern von Kris Martin, und im Nebenraum glänzt sein silberner Schädel (tatsächlich sein eigener, computertomographisch vermessen, in Bronze gegossen und anschließend versilbert). Ein aktuelles Stilleben. Wem schlägt hier die Stunde? Die schwarz glänzende, begehbare Holzskulptur Monika Sosnowskas paßt kaum in die kleinen Räume. In der schwarzen Enge im Innern verliert man kurz die Orientierung. Bei der Berliner colour sphere von Olafur Eliasson, von dem sich 20 Werke im Bunker befinden, werden Raum und Betrachter durch eine sich drehende Kugel aus farbigen Glasdreiecken in farbiges Licht getaucht. Eliassons an einem Kabel aufgehängter Ventilator brummt und fliegt wie eine Hummel durch einen 20 m hohen Raum.

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Die überlebensgroße Schmerztablette von John Bock mag eher an all die Kopfschmerzen und Schwierigkeiten erinnern, die mit dem Umbau des Bunkers verbunden waren, weniger an Befindlichkeiten des Besuchers. Anselm Reyle transformiert banale Gegenstände mit Farbe und Licht zu Kunstwerken (z.B. Wagenrad, Heuwagen, Strohballen) und wirft so die Frage auf, was denn Kunst sei. Ist Kunst, was im Museum steht? Ist Kunst das, worüber Medien schreiben? Ist Kunst, was auf dem Kunstmarkt gehandelt wird? Aus der Beantwortung dieser Fragen ergäbe sich, wer den Kunstbegriff prägt.

Anselm Reyle, links: „Life enigma“, 2008 rechts: „ohne Titel“, 2008, Foto: Noshe

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Für seine schräg liegenden, schwarzen Stelen hat Santiago Sierra nicht den Zutritt untersagt für: „unordentliche und stinkende Menschen, Raucher, Alkoholiker, Drogensüchtige, Witzbolde und Zyniker” (wie 2007 in London). Nein, alle

sollten sich hier ansehen, unter welchen Mühen sein Kunstwerk entstand. Mit Diamantschneidern wurde die Betonmauer aufgesägt, die ausgesägten Mauerteile auf dem Boden sind als Spuren der Mühen sichtbar geblieben. Der vom Künstler beanspruchte sozialkritische Bezug seiner Arbeiten wird deutlicher durch Schwarzweißfotografien älterer Aktionen, die jedenfalls zu Diskussionen über die Funktion der Kunst, ihren Mißbrauch und über Geschmack anregen. Das Fahrrad von Robert Kusmirowski ist als reine Kunst nur anzusehen, ein Trugbild, hergestellt aus Pappmaché, Gips und Garn und nicht zu gebrauchen. In einer Vitrine daneben sieht man „alte“ Schwarzweiß-Fotos eines historischen Radfahrers auf seiner Tour zwischen Paris und Leipzig. Auch hier Täuschung, denn es handelt sich um den Künstler selbst.


Santiago Sierra, „Konstruktion und Installation von teerbeschichteten Formen“, 2002, 75 x 75 x 800 cm, angeordnet in 2 Räumen, Foto: Noshe Der Patient im Krankenhausbett, die täuschend echt erscheinende Wachsfigur in weißer Krankenhausbettwäsche unter kaltem Neonlicht (Temporarily Placed von Elmgreen und Dragset), schaute früher aus dem Hamburger Bahnhof auf die Charité und wurde jetzt hier abgestellt. Anfangs sorgte er ehemals für Aufregung, als Gäste des gegenüberliegenden Hotels beim Blick durch das Fenster auf den im Bunker vergessenen armen Kranken Polizei und Notarztwagen gerufen hatten. Kunst des 21. Jahrhunderts in einem Riesenbunker aus dem 2. Weltkrieg, in den kein Geräusch der Großstadt hineindringt und aus dem kein Blick heraus möglich ist, dessen Pforten mit Findlingen verschlossen nicht passierbar scheinen, Architektur, die auch nach dem Umbau den Größenwahn der Nazidiktatur wi-

derspiegelt, Kunst, die nur nach Voranmeldung angesehen werden kann: Ist das die aktuelle Situation der zeitgenössischen Kunst? Kann sie im Bunker gerettet werden? Kann sie nur dort überleben? Nein, solche Fragen sind falsch gestellt. Hier wird durch das Engagement und die Leidenschaft des Sammler-Ehepaares Boros ein historisches Gebäude, welches an sich einen wenig erfreulichen Aspekt der Berliner Stadtgeschichte widerspiegelt, in wunderbarer Weise für die zeitgenössische Kunst genutzt. Die historischen Hinweise auf den Bunkerwänden dienten ursprünglich zur Orientierung der durch Luftangriffe gefährdeten Berliner Bevölkerung. Zur Orientierung des Kunstfreundes in der zeitgenössischen Berliner Kunstszene erschien bei Hatje/Cantz 2009 als Begleitbuch ein opulenter Band, in welchem die Geschichte des Bunkers, seines Umbaus

sowie die Sammlung Boros umfassend dargestellt werden. In informativen und authentischen Beiträgen äußern sich der Architekt Jens Caspers zu seinem Projekt und Annette Schryen zur Sammlung Boros. Mit den Fotos von Noshe und Andreas Gehrke werden Bunker und Sammlung kühl und sachlich dokumentiert. Texte in Deutsch und Englisch. Die Ausstellung soll übrigens im Laufe des Jahres 2010 wechseln. Boros Collection/Bunker Berlin Herausgegeben von/Edited by Boros Fondation gemeinnützige GmbH © 2009Hatje/Cantz Verlag Ostfildern, 218 S., ISBN 978-3-7757-2478-4

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Sina KieĂ&#x;ling (Lena) 20


Eine Farce mit schönen Beinen Anna Bergmann inszeniert in Bochum Büchners „Leonce und Lena“

Nachmärz Nehmen wir mal an, Sie hätten noch nie Georg Büchner (1813-1837) gelesen, keines seiner Dramen auf der Bühne gesehen und schon gar nicht die intelligente, an Zeitkritik reiche Komödie „Leonce und Lena“ aus dem Jahr 1836. Nehmen wir außerdem an, dass Sie sich durchaus für Politik und Satire interessieren, sehr wohl eine geschliffene Farce von einer klamaukigen Klamotte zu unterscheiden wissen und die muffige Idylle der deutschen Spitzweg-Kleinstaaterei mit der ihr angemessenen ironischen Distanz sehen. Wie Büchner eben. Da hätten Sie aber im Bochumer Schauspiel bei der Premiere am 10. April einen ganz falschen Eindruck vom Vermögen des jung verewigten Vormärz-Dramatikers bekommen. Anna Bergmann machte in ihrer Inszenierung von „Leonce und Lena“, die Gestern und Heute – im Grunde ein guter Gedanke – mutig mischte, flache Witzchen und bemühte Gags auf Kosten der Idee.

Regie: Anna Bergmann Bühne: Matthias Werner Kostüme: Claudia Gonzalez Espindola Dramaturgie: Dietmar Böck Choreographie: Katja Uffelmann Klang-Design: Heiko Schnurpel Fotos: Birgit Hupfeld Besetzung: Bernd Rademacher (König von Popo) Ronny Miersch (Prinz Leonce, sein Sohn) Sina Kießling (Prinzessin Lena von Pipi) Sebastian Kuschmann (Valerio) Michael Lippold (Die Gouvernante) Katja Uffelmann (Rosetta) Maximilian Strestik (Zeremonienmeister, Eskimo) Manfred Böll (Präsident) - Statisterie

Sina Kießling (Lena), Michael Lippold (Die Gouvernante) und Ronny Miersch (Leonce)

Sina Kießling (Lena) und Ronny Miersch (Leonce)

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Katja Uffelmann (Rosetta), Ronny Miersch (Leonce) und Sebastian Kuschmann (Valerio)

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Eine Farce mit schönen Beinen Nackte Hintern, Flashman und nicht Osgood Fielding III Da ist Lena der Name eines Parfums, Leonce eine Jeans-Marke und die (klein)staatliche Verwaltung findet nicht statt. Büchners 1836 á jour gebrachte Anlehnung an Shakespearsche Muster der Staats- und Verwechslungskomödien ist unübersehbar. Anna Bergmann schafft es aber trotz einiger durchdachter Ansätze, Matthias Werners Bühnenbild und guten Personals nicht, den Pipi-Popo-Witz Büchners umzusetzen, wenn es auch an Popos und Penissen nicht mangelt. Wir werden wohl nie erfahren, weshalb Valerio (Sebastian Kuschmann), Vertreter des Branchentelefonbuchs Gelbe Seiten, sich urplötzlich im Wohnzimmer des Prinzen (Ronny Miersch) auszieht, dadurch des Prinzen Vertrauter wird, jener es ihm nachtut und beide (nichts gegen schöne Körper) dann nackt wie die California Dream Boys am Balkenwerk dortselbst herumklettern. Einen knackigen Hintern zeigt übrigens auch Mlle. Uffelmann, wenn sie widerwillig als Rosetta für Leonce tanzt. Gekokst wird großzügigst, und Whisky wird in ungeheuren Mengen gesoffen, ohne dass ein Koma eintritt. Nobody is perfect Auch werden wir keinen Hinweis darauf finden, wieso (ich greife hier weit voraus) Valerio später als „Flashman“ in der Arktis zur Melodie von „This Guy´s in Love“ einen immerhin witzigen Paarlauf mit Silver-Girl (Michael Lippold, al. Gouvernante) hinlegt, die wiederum (mein Gott!) gar keine Dame ist, sondern – welche Überraschung, wir haben es bis dahin wirklich nicht gemerkt... – ein Mann! Und als sie/er sich schließlich dem verliebten Valerio (Sebastian Kuschmann ist neben Bernd Rademacher nahezu – dazu später ein Wort – die einzige Offenbarung in dieser Inszenierung) als Penisträger offenbart, wartete das Publikum atemlos auf die letzte Plattitüde, den Schlußsatz aus „Some like it hot“ : „Nobody is perfect“. Aber den konnten sich Bergmann/Böck noch gerade so verkneifen. Polnareff und schöne Beine Was bekommen wir? Einen koksenden, cholerischen Leonce, billiger Michel PolnareffVerschnitt und veritables Arschloch, das unbedingt (hallo Pete Townshend!) seine Gitarre zertrümmern muß, dazu eine Lena (Sina Kießling) als Paris Hilton-Kopie, kaum weniger aggressiv und ebensowenig liebenswert wie ihr künftiger Gatte. Wir haben zwei KlischeeSchwuchteln (Alexander Ritter, Sebastian Zumpe), die sich um die Garderobe des Königs kümmern, zwei lächerliche Quentin-Tarantino-Killer-Typen, einen Eskimo am Südpol (!) - oder wie erklären Sie es sich, dass im Hintergrund Pinguine über die Leinwand spazieren, während vorne ein Iglu entsteht? -, eine tanzbegabte Haushofdame Rosetta (Katja Uffelmann), Schlittenhunde, Polarlichter und Partyvolk. Womit wir beim eigentlich Erfreulichen der Inszenierung sind. Denn unter dem Strich bleibt das Fazit: Alles in allem ein Stück der schönen Beine. Mit denen wirft die Inszenierung üppig um sich, die Statisterie scheint dankenswerterweise geradezu danach ausgesucht. Und für die Beine zeichnet zum einen Prinzessin Lena, die stets - selbst in der (Ant)Arktis - kurzgeschürzt über die Bühne schreitet und gleitet, vor allem aber die bezaubernde Statisterie, die hier explizit erwähnt werden muß. Denn „Die erste von links“ und die dritte von rechts (mit dem violetten Kleidchen) waren die optischen Offenbarungen des Abends. Durch sie bekam der langatmige Abend seinen versöhnlichen Reiz. Striche dringend angeraten Nun wollen wir aber, abgesehen von den schönen Mädchenbeinen (für die Herren) und den leckeren Männer-Popos (für die Damen) nicht die ganze Inszenierung für mißlungen erklären. Bernd Rademacher lieferte als König von Popo in der Schlußsequenz, der „Automaten“-Hochzeit, eine herrliche, humorvolle Interpretation ab. Erbarmungslos das in die Länge Ziehen des Stückes, das mit 2 Stunden 20 Minuten angekündigt, nach 2 Stunden 50 Minuten endete. Das ist trotz der schönen Beine um einiges zu viel. Energische Striche scheinen hier dringend angeraten. Das Premieren-Publikum verhielt sich reserviert. Auch wenn die übliche Claque anderer Meinung zu sein schien. Frank Becker Weitere Informationen unter: www.schauspielhausbochum.de

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Die Essenz der Jahre Rainer K. Wick Fotografische Arbeiten 1968 - 2009

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Rainer K. Wick ist ein Weltreisender, der rund um den Erdball mit seiner Kamera beeindruckende, bewegende Impressionen festgehalten hat. Sein Lebens- und Berufsweg hat den Kunsthistoriker und Kunstpädagogen, der mit einer Arbeit über Happening und Fluxus promovierte, 1986 an die Universität Wuppertal geführt, wo er nach Stationen in Köln und Essen als anerkannte Kapazität und beliebter Dozent den Lehrstuhl für Kunstund Kulturpädagogik zu hoher Blüte führte. Wick: „Es ging mir immer darum, die Kunst selbst in den Mittelpunkt des künstlerischen Lehramtes zu rücken. Damit erhielten die künstlerisch-praktischen wie auch die fachwissenschaftlichen Studienanteile eine deutliche Aufwertung, ohne dass dabei die didaktischen Aspekte aus dem Blickfeld gerieten. Neben der Vermittlung grundlegender Techniken und handwerklicher Fähigkeiten muß der Prozeß künstlerischer Selbstbildung, also

der Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen in seiner Begegnung mit Mensch und Welt, im Mittelpunkt des Kunststudiums stehen.“ Zum Ende seiner Lehrtätigkeit war in Wuppertal die vorläufige Bilanz seines fotografischen Lebensweges als offene Ausstellung zu sehen. Der am 30.10.09 emeritierte Lehrer und Fotokünstler zeigte erstmalig in einer Werkschau Bilder seiner über ertragreiche Jahrzehnte intensiv betriebenen fotografischen Studien. Rainer K. Wick erzählt mit seinen Bildern Geschichten, reizt gelegentlich zur Auseinandersetzung. Die Fotografien Wicks überzeugen durchweg durch den ästhetischen, oft beinahe sachlichen Blick auf das Gezeigte. Prof. Dr. Rolf Sachsse, Fototheoretiker und Designhistoriker aus Saarbrücken: „Wer wie Rainer K. Wick beinahe alles über eine bedeutende Kunstschule wie das Bauhaus und dessen päd-


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agogische Konzepte weiß, und wer damit auch weiß, was die Fotografie für diese Schule bedeutete, der kann nicht umhin, sowohl selbst zu fotografieren als auch die dabei entstandenen Aufnahmen in den Zusammenhang seiner Forschungen und Hochschullehre zu stellen.“ Wick ist Zeit- und Kulturzeuge, ein Chronist, der Fluxus und Grenzüberschreitungen erlebt, Menschen und Ideen im Bild festgehalten hat. Wer seine Portraits von ganz normalen Menschen aus Kulturkreisen rund um die Erde sieht, seine bei mitunter Wucht dennoch zärtlichen, ästhetischen Akte und seine von der Liebe zum Augenblick erzählenden Schatten- und Konturen muß dahinter einen stillen Poeten mit der Kamera vermuten. Sicher liegt man da nicht falsch. Als Dokument dieser schwarz-weißen fotografischen Bilanz erschien ein hohen Ansprüchen genügender Bildband, der den Bogen über mehr als 40 Jahre sensibler Arbeit mit der Kamera, vor allem aber mit dem Auge und dem Herzen zeigt. „Korrespondenzen“ ist der von Rolf

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Sachsse ausgewählte und im Verlag Müller + Busmann erschienene Band betitelt, der wie die Hängung der Ausstellung logische und überraschende Gegenüber zeigt. Mal ist es wie auf dem Titel die Begegnung von ungegenständlichem Licht- und Schattenspiel mit einem strengen, doch zauberhaften Akt, dann wieder ergänzen sich Portraits von Personen der künstlerischen Zeitgeschichte, Reiseimpressionen aus Asien und Südamerika und architektonische Details. Die kühle Erotik der Akte trifft auf Foto-Graphik oder Entsprechungen der Kulturgeschichte, Gestern begegnet Heute. Das Buch gehört in jede anständige Bibliothek mit Gewicht auf die zeitgenössische Fotografie. Das „Sonntagsfoto“ aus diesem schönen Band, erscheint regelmäßig im Online-Kulturmagazin „Musenblätter“ www.musenblaetter.de

Frank Becker Fotos: Rainer K. Wick

Rainer K. Wick - Korrespondenzen © 2009 Verlag Müller + Busmann, 160 Seiten mit 144 ganzseitigen Tafelabbildungen - Format 16 x 21 cm, 19,80 Euro ISBN: 978-3-928766-92-0 Es erscheint eine Vorzugsausgabe in 50 Exemplaren mit zwei Originalfotos, arabisch nummeriert und signiert, zum Preis von 60,– Euro. Wick@uni-wuppertal.de


Retour de Paris Von der Heydt-Museum Meisterwerke vom Expressionismus bis heute

Franz Marc, Fuchs, 1911 Öl auf Leinwand, 50 x 63 cm

Mit der Ausstellung „Retour de Paris“ kehrt die Sammlung ins Von der HeydtMuseum zurück. Während in Wuppertal die Monet-Ausstellung im Mittelpunkt stand, fanden Meisterwerke aus der Von der Heydt-Sammlung in den zurückliegenden Monaten immer wieder als Werbemotive Verbreitung: Mit dem Fuchs von Franz Marc warb das Sprengel Museum in Hannover für seine Ausstellung „Marc, Macke und Delaunay“ , Das „Selbstbildnis als Krankenpfleger“ von Max Beckmann wurde im Madrider Museum Thyssen-Bornemisza für die Ausstellung „1914. Die Avantgarde und der große Krieg“ publikumswirksam eingesetzt. Das Musée Marmottan Monet, Paris, zeigte parallel zu unserer Monet-Schau 40 expressionistische Werke unseres Museums unter dem Titel „Fauves

et Expressionnistes. Chefs d’oeuvre du Musée von der Heydt“. Das „Mädchen mit Pfingstrosen¡ von Jawlensky war großformatig am Museumsgebäude zu sehen. Nachdem die Ausstellung unserer Meisterwerke in Paris mehr als 100.000 Besucher angelockt haben, sind die Fauvisten und Expressionisten nun wieder zurück, für die das Von der Heydt-Museum berühmt ist! Seit dem 2. April ist wieder eine Auswahl hochkarätiger Werke aus eigenem Besitz zu sehen. Lag der Schwerpunkt der Sammlungspräsentation im zurückliegenden Jahr auf Werken des 19. Jahrhunderts, so erweist sich die aktuelle Neupräsentation nun für den Besucher als Zeitreise durch die Kunst des 20. Jahrhunderts. Die chronologische Hängung beginnt mit

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Cézanne, Gaugin und van Gogh. Es folgen die Fauvisten und deutschen Expressionisten. Nicht allein die Franzosen oder der ausgezeichnete Bestand an expressionistischer Malerei und Grafik machen aber den Ruhm der Von der Heydt-Sammlung aus. Gerade auch die Malerei, die zwischen den beiden Weltkriegen entstand, ist in einer Vielfältigkeit zu erleben, wie sie in kaum einem anderen Museum zu finden ist. Die Maler der Neuen Sachlichkeit gehören dazu, darunter Otto Dix, Georg Scholz oder Heinrich Maria Davringhausen, die Gemälde aus dem Künstlerkreis der Kölner Progressiven genauso wie die verschiedenen Konzepte gegenstandsloser Kunst. Im Shed-Saal wird die Malerei der fünfziger Jahre (Nay, Schumacher, Brüning)

mit den vielen Variationen figurativer und abstrakter Malerei konfrontiert, die in der 2. Jahrhunderthälfte entstand. Klapheck, Robert Indiana, Warhol und Polke gehören hier zu den illustren Namen. Und es sind natürlich viele der großen, singulären Künstlerpersönlichkeiten, die sich jeder Kategorisierung, entziehen: Max Beckmann steht für die erste Jahrhunderthälfte, Francis Bacon für die zweite, und weder auf die erste noch auf die zweite Jahrhunderthälfte lässt sich Picassos Oeuvre festlegen. Es ist auch im vergangenen Jahr gelungen, die Sammlung zu erweitern. Erstmalig wird das Gemälde von Otto Dix „Wald am Morgen“ präsentiert, entstanden 1940 am Bodensee, wohin Dix, der unter den Nazis als „entarteter Künstler“ galt, sich

ab 1936 zurückgezogen hatte. Das Gemälde wurde dem Museum erst kürzlich aus Privatbesitz geschenkt. Eine Auswahl von Arbeiten Otto Dix’ aus der grafischen Sammlung erweitert den Einblick in das Schaffen dieses engagierten Künstlers. Und noch ein weiterer Schatz der grafischen Sammlung, der an andere Museen ausgeliehen war, ist wieder ausgestellt: die Aquarelle von Paul Klee. Die erste Dekade des 21. Jahrhunderts spiegelt sich in weiteren Neuankäufen und Dauerleihgaben. Dazu gehören Stücke aus dem bereits im vergangenen Jahr gezeigten „Klaus Rinke-Block“, sowie die Künstler Henrik Schrat, Daniel Behrendt, Daniel Lergon, Jan Albers und Tilo Baumgärtel. Bei der Heterogenität heutiger Kunst legitimiert sich das Konzept, die Sammlungserweiterung auf den bereits im Museum vertretenen Richtungen von Figuration und Abstraktion aufbauen zu lassen. Ausstellung: 2. 4.2010 - 1. 8.2010 Zur Neupräsentation ist ein neuer Publikumsführer erschienen

Edvard Munch Mädchen mit rotem Hut, um 1905 Öl auf Holz, 58 x 46,5 cm

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Verbannt in die Landschaft Otto Dix in der inneren Emigration am Bodensee

Mit dem Bild „An die Schönheit“ (1922) besitzt das Von der Heydt-Museum eines der bekanntesten Werke von Otto Dix. In der aktuellen Präsentation der Sammlung ist es mit zwei weiteren Gemälden zu sehen: Dem Bildnis des Elberfelder Juweliers Karl Krall (1923) und einem Bild, dass erstmalig öffentlich gezeigt wird. Der „Wald am Morgen“ von 1940 (Mischtechnik auf Holz, 100 x 75 cm) ist eine der prominentesten Neuerwerbungen für die Sammlung. Das künstlerische Lebenswerk von Otto Dix (1891 Untermhaus bei Gera – 1969 Singen/Hohentwiel) ist vielseitig und durch überraschende Wandlungen gekennzeichnet. In den zwanziger Jahren entwickelte

Dix, einer der Hauptvertreter der Neuen Sachlichkeit, unter dem Eindruck der sozialen Probleme der Weimarer Republik seinen veristischen Realismus. Neugierig auf das „elementare Ereignis Krieg“ hatte er sich 1914 freiwillig als Soldat gemeldet: „Der Krieg war eine scheußliche Sache, aber trotzdem etwas Gewaltiges. Das durfte ich auf keinen Fall versäumen. Man muss den Menschen in diesem entfesselten Zustand gesehen haben, um etwas über den Menschen zu wissen.“ Als Frontsoldat in Flandern, Frankreich, Polen und Russland erlebte Dix den Krieg aus nächster Nähe. Einerseits fasziniert, andererseits schockiert vom Inferno der Gewalt verarbeitete er seine Erlebnisse in Bildern wie „Der Schüt-

Otto Dix, Wald am Morgen, 1940, Mischtechnik aus Holz, 100x75 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2010

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zengraben“ (1923) und in der Radiermappe „Der Krieg“ (1924). Nach den Erfahrungen der Kriegshölle war Dix desillusioniert und nicht bereit, sich ideologisch einspannen zu lassen: „Ich schloss mich keinem politischen Programm an, ertrug wahrscheinlich diese Phrasen nicht. Wenn die nur kamen und uns was erzählen wollten, war es schon aus bei mir.“ Er hatte die „Untiefen des Lebens“ gesehen, das dämonische Wesen des Menschen durchschaut und war zugleich überzeugt von der Kraft der menschlichen Instinkte. Mit seiner drastischen, expressiven Schilderung der Realität setzte er den bürgerlichen Wertvorstellungen das Vitalitätsprinzip des Hässlichen entgegen. In der Konfrontation mit dem Hässlichen offenbarte Dix die Zwiespältigkeit und existenzielle Spannung des Daseins. Im Hinterhofmilieu und im Nachtleben der Großstadt fand er eine Fülle von Anregungen für gesellschaftskritische Themen, u. a. für seine Bordellbilder. Auch begegnete er im Großstadtmilieu proletarischen Typen und Vertretern der Bohème, die ihn als Modelle für Porträts interessierten. Mit seziererischem Blick durchleuchtete Dix die von gesellschaftlichen Gegensätzen geprägten Verhältnisse der „goldenen Zwanziger“ und entwickelte hierbei eine besondere Vorliebe für die Darstellung des Dekadenten und Morbiden. Für seine sorgfältige und detaillierte, sogar überdeutliche Wiedergabe der stofflichen Erscheinung orientierte er sich an den alten Meistern Baldung Grien, Cranach, Dürer und Grünewald. Von ihnen übernahm er um 1925 auch die bis etwa 1945 beibehaltene Kombination aus Temperamalerei und Lasurtechnik. Nach Stationen in Düsseldorf und Berlin trat Dix 1927 eine Professur an der Akademie in Dresden an. So kam er in die Stadt zurück, wo er seine künstlerische Laufbahn 1910-14 zunächst als Schüler an der Kunstgewerbeschule begonnen und dann 1919-22 als Student an der Kunstakademie fortgesetzt hatte. 1933 wurde Dix von der nationalsozialistischen Regierung seines Lehramtes mit der Begründung enthoben, „dass sich unter seinen Bildern solche befinden, die das sittliche Gefühl des deutschen Volkes aufs schwerste verletzen und andere, die geeignet sind, den Wehrwillen des deutschen Volkes zu beeinträchtigen.“ 1934

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erhielt er Ausstellungsverbot. Ende 1933 zog Dix sich zunächst auf Schloss Randegg bei Singen im Hegau zurück, bevor er sich 1936 in Hemmenhofen bei Radolfzell am Bodensee niederließ. Er behielt jedoch weiterhin ein privates Atelier in Dresden, das mit den dort befindlichen Bildern die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs überstand. Bei den Aktionen der „entarteten Kunst“ 1937 und 1938 wurden zahlreiche Werke von Dix beschlagnahmt, ein Teil davon wurde 1939 im Hof der Feuerwache in Berlin verbrannt. Der „Schützengraben“, 1937 als „gemalte Wehrsabotage“ in der Ausstellung der „Entarteten Kunst“ in München gezeigt, war 1939 vermutlich nicht von dem Autodafé betroffen, gilt jedoch seitdem als verschollen. Als Reaktion auf den Druck der politischen Ereignisse und die Verfolgung seiner Kunst vollzog Dix einen Wandel in der Wahl seiner Themen. Neben einzelnen religiös-allegorischen Kompositionen, wie dem im Dresdner Atelier zurückgelassenen Gemälde „Die sieben Todsünden“ (1933) mit Hitler als symbolischer Figur des Neides, schuf er, angeregt durch die malerischen Stimmungen am Bodensee, auf der Höri und im Hegau, zahlreiche Landschaftsbilder. Weitere Anregungen fand er bei Reisen ins böhmische Mittelgebirge und ins Riesengebirge. Die Komposition und die Malweise seiner Landschaftsbilder zeigen wiederum enge Anlehnungen an die altdeutschen Meister, an Albrecht Altdorfer und die Donauschule, sowie auch Anspielungen auf Caspar David Friedrich und die Malerei der deutschen Romantik. Die Hinwendung zur Landschaftsmalerei war für Dix keine freiwillige Entscheidung, sondern – mangels der Gelegenheit zu „Deutungen von Menschen“, die ihn mehr interessiert hätten – der Weg in die innere Emigration. Er sei in die Landschaft „verbannt“ worden, sagte er später: „Ein schönes Paradies. Zum Kotzen schön … Die Schönheit der Natur, in die ich verbannt bin; ich gehöre doch gar nicht dahin … ich müsste in der Großstadt sein. Ich stehe vor der Landschaft wie eine Kuh.“ Mit Streifzügen durch die Natur und über zeichnerische Erkundungen mit Feder und Silberstift näherte er sich der Landschaft innerlich an. In seinen Gemälden verband er reale Landschaftsmotive mit Erfindungen der Phantasie. Dix wollte die Landschaft

nicht abbilden, sondern strebte nach Steigerung und Überhöhung der Wirklichkeit. Darüber berichtet er 1939: „Ich scheue mich heute nicht, die Ufer des Bodensees mit Felsen und Gebirgen zu versehen, die es hier gar nicht geben kann. Aber schließlich ist der künstlerische Ausdruck das wesentliche, nicht die ‚Naturwahrheit‘.“ Zu unserem Bild wurde Dix wohl im Wald von Hemmenhofen inspiriert. Neben dem „Wald am Morgen“ entstand im selben Jahr auch ein Bild „Wald am Abend“. Die Reihe der Waldlandschaften hat Dix noch bis 1942 fortgesetzt. Bewusst hat er hierfür „starke dunkle Farben“ gewählt und dabei „das Grün aus dem Blau (Himmel) entwickelt“. Wie durch die Lupe betrachtet, sind Wurzeln, Äste, Blätter, Gräser und Farne in ihren Einzelheiten erfasst. Mit dem „Wald am Morgen“ malte Dix eine geheimnisvolle Landschaft, die zugleich verschlossen wirkt und Unheimliches zu bergen scheint. Tatsächlich schimmern durch die Linien und Konturen von Gräben und Felsen, von Astwerk, Laub und Wurzeln entfernt Erinnerungen an die bizarren Formationen der zerfetzten Leiber von toten Soldaten und der aufgewühlten Erde auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs. Mit den Landschaftsbildern wollte Dix wohl nicht nur sein inneres Refugium gestalten, sondern durch die trügerische Idylle gleichzeitig auf die aktuelle Bedrohung der Welt hinweisen. Möglicherweise sah er in die Landschaft innere Bilder hinein: die paradiesische Natur als Schauplatz einer neuen Apokalypse – ein alptraumhaftes Szenarium. Neben den Phantasielandschaften hat Dix häufiger Ansichten der Ortschaften Randegg, Hemmenhofen, Allensbach und Reichenau sowie den Blick über den Untersee auf das gegenüberliegende Schweizer Ufer mit den Dörfern Mammern, Steckborn und Berlingen gemalt. Kennzeichnend für seine Auffassung dieser Landschaftsansichten ist ebenfalls die geradezu unwirklich-romantische Stimmungshaftigkeit der Natur. „Wald am Morgen“ wurde dem Museum Anfang 2010 geschenkt. Es befand sich seit 1940 in Privatbesitz, zunächst in Köln, dann in Wülfrath, und war in dieser Zeit nie öffentlich ausgestellt. Antje Birthälmer


Leben auf dem Sprung. Hanna Lemke: „Gesichertes“. Ein überraschendes literarisches Debüt.

»Was ich von Beruf bin?«, wiederholte ich. Ich wollte fast lachen, so altmodisch kam mir die Frage vor. Ich fragte eher, und wurde immer nur gefragt: »Was machst du?«, was auch nicht besser klang; die Frage eines Kindes auf der Suche nach einem anderen, das sich weniger langweilt als es selbst. Marcels Grinsen sah aus wie auf Stillstand geschaltet, als hätte er eben einen Witz erzählt und würde darauf warten, dass ich die Pointe verstand. Erst in dem Moment begriff ich, dass es ein Witz war, einer auf Franks Kosten, auf seinen Versuch, ein Gespräch zu eröffnen, und wie um den Witz weiterzuerzählen, sagte ich: »Ich bin Sekretärin.« Dieser kurze Dialog zwischen drei Menschen, die sich in einer Berliner Kneipe treffen, hätte im Wohlstandsdeutschland der 1960er und 70er Jahre auch nach noch längerem Nachsinnen niemals ein Witz sein können. Damals liefen die Stellenan-

gebote jungen, gut ausgebildeten Leuten nur so hinterher, was aus heutiger Sicht fast unglaublich erscheint. Die Frage nach dem Beruf wäre kaum verfänglich gewesen und hätte bloß Interesse signalisiert. In heutigen Zeiten des massiven Stellenabbaus in

Hanna Lemke, Foto: Markus Schädel

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nahezu allen Bereichen stellt jedoch selbst die offenere, nicht allein auf den Beruf bezogene Frage nach dem, was man denn so macht, ein gefährliches Mienenfeld dar, drohen Jobverlust und Arbeitslosigkeit doch Menschen aller Schichten und Altersstufen. Mit der mangelnden finanziellen und gesellschaftlichen Anerkennung oder der intellektuellen Unterforderung der Tätigkeit, mit der man recht oder schlecht den Lebensunterhalt zu verdienen versucht, geht unweigerlich die Abwertung des eigenen beruflichen Tuns durch das Allerweltswort „machen“ einher. Längst nicht mehr trifft es nur die sogenannte Generation Praktikum, die sich nach dem Abschluss des Studiums, das heute standardmäßig mit Auslandsaufenthalten und ersten Erfahrungen in der Praxis des angestrebten Berufs einhergeht, von einem unbezahlten Arbeitseinsatz zum anderen hangeln. Aus jener Generation der Endzwanziger stammen jedoch die Protagonisten des Erzählbandes „Gesichertes“ von Hanna Lemke, die in 18 kurzen Geschichten von mehr oder weniger flüchtigen Begegnungen berichtet, wie sie etwa auf Partys, zwischen Mitbewohnern in Zweck-WGs und zufällig gemeinsam im Zug Reisenden typisch sind, deren Wege sich kreuzen und dann wieder auseinander gehen. Das Debüt der 1981 in Wuppertal geborenen Schriftstellerin trifft damit das Lebensgefühl von jungen Erwachsenen heutiger Zeit sehr genau, doch ist das Buch auch für ältere Leser spannend, die nicht gerade neugierig darauf sind, die Welt noch einmal mit den Augen jener zu sehen, welche den größten Teil des Lebens noch vor sich haben. Denn was Lemke in ihrer sehr klaren, konzentrierten Sprache wie im oben zitierten Dialog zu fassen vermag, betrifft letztlich Menschen jeden Alters: Im Fokus der teils nur wenige Seiten umfassenden „Stories“ steht die Auswirkung fehlender, unklarer oder gescheiterter Lebensentwürfe auf zwischenmenschliche Beziehungen. Die Instabilität von Identitäten, Beziehungen, Arbeits- und Wohnverhältnissen ist zu Beginn der Erwachsenenlebens zwar besonders virulent – und ihrer vermeintlich größeren Freiheit wegen vielleicht auch (noch) gewollt, sie betrifft in einer sich dramatisch wandelnden Gesellschaft wie der unsrigen jedoch eine breite Leserschaft. Die Frage, ob es das jetzt gewesen ist, was man da eigent-

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lich macht, stellt sich nicht nur mit 25, und die Erkenntnis, dass die Designerküche mit Mann und Kind kein Garant für Glück ist, kann auch noch mit 45 kommen. Tatsächlich geht es in „Gesichertes“ um eine existenzielle Unsicherheit, die dem Leben grundsätzlich zu eigen ist, im funktionierenden Sozialstaat der letzten Jahrzehnte jedoch, zumindest in beruflicher Hinsicht, beinahe in Vergessenheit geriet. In wenigen Worten das Wesentliche zu sagen und dennoch einen starken erzählerischen Sog zu erzeugen, macht das große literarische Talent Hanna Lemkes aus. Dabei sind es die Zwischentöne, auf die sich Lemke so gut versteht, um das Verhältnis der Protagonisten zueinander präzise zu charakterisieren, ohne das Eigentliche je zu benennen. In der Tradition amerikanischer Kurzgeschichten stehend, sind die Geschichten wie beiläufig aus dem Leben gegriffen, obwohl sie im höchsten Maße konstruiert sind. „Ich habe immer geglaubt, meine Geschichten seien nicht erzählenswert“, gibt Lemke freimütig zu, „es war anstrengend, mich dazu durchzuringen, dass sie ihre Daseinsberechtigung haben.“ Dass dem so ist, belegen allein schon ihre sorgfältig komponierten ersten Sätze, mit denen Lemke direkt ins Herz der Geschichte führt und gekonnt die Neugier ihrer Leser weckt. So lakonisch und alltäglich die im Laufe der Erzählung dicht gewebten Dialoge zwischen den Protagonisten zunächst auch wirken, handelt es sich tatsächlich um höchst kunstvolle, doch niemals künstlich wirkende Wortwechsel, deren literarische Qualität gerade in ihrer Bruchstückhaftigkeit liegt. Akribisch feilt Lemke so lange an jedem einzelnen Satz, bis nichts hinzuzufügen noch wegzunehmen ist, um das Gemeinte treffend zum Ausdruck zu bringen. Der Grad der Konzentration, den die Autorin so erreicht, vergegenwärtigt die emotionale Komplexität menschlicher Beziehungen und lässt ihre Figuren ungeachtet der Kürze der Textform außerordentlich plastisch hervortreten. Trotz aller Reduktion steht Lemke auch dem Pathos nicht abweisend gegenüber, doch tritt es in wohltuend zurückhaltendem, manchmal auch ironischem Gewand auf. In dieser schriftstellerischen Reduktion belässt Hanna Lemke viel Raum für die ei-

genen Deutungen ihrer Leser. Die wenigen, eindringlichen Sätze am Ende ihrer Erzählungen lassen den Ausgang des Geschehens meist offen, sie stellen einen neuen Anfang dar, aus dem jeder und jede eigene Schlüsse zur weiteren Entwicklung der Figuren ziehen kann. Selbst das Geschlecht des erzählenden Ichs ist – wie das einer von Hanna Lemkes Figuren – nicht eindeutig festgelegt, so dass selbst männliche Leser, wie die Kritik eines Rezensenten zeigt, sich mit der Erzählstimme identifizieren können. Zwar entsprechen die Kurzgeschichten deutlich der Erfahrungswelt der in Berlin lebenden Lemke, doch handelt es sich keineswegs um eigene Erlebnisse oder Vorbilder aus dem Freundes- und Bekanntenkreis, die sie literarisch verarbeiten würde. Alle Situationen sind ausgedacht und entspringen ihrer Vorstellungskraft, auch wenn es sich um Themen handelt, über die sie viel nachdenkt. „Ich mag das Gefühl am Schreibtisch zu haben, dass mir alles gerade einfällt“, erläutert Lemke ihre Arbeitsweise. Den Geschichten liegen zwar Situationen, Stimmungen und Gefühle aus ihrem eigenen Erleben zugrunde, die sie sensibel registriert, um sie in eine literarische Form umzuwandeln, mit deren Erzählerin sie nicht vollständig identisch ist. Doch dem autobiographischen Schreiben steht sie kritisch gegenüber, weil dafür nur die Realität als Maßstab gilt, nicht aber die literarische Qualität des Textes selbst. Neben Anregungen aus dem Hauptstadtleben orientiert sich Lemke jedoch auch an literarischen Vorbildern. So stellen die reduzierten Kurzgeschichten des Schweizers Peter Stamm einen wichtigen Impuls für ihr Schaffen dar. So ungewöhnlich gefestigt der literarische Stil Hanna Lemkes schon jetzt erscheint, verlief ihr bisheriger Lebensweg nicht immer in gesicherten Bahnen. Nach dem Abitur am Wuppertaler Gymnasium Kothen ging sie zunächst nach Siegen, um an der dortigen Universität ein literaturwissenschaftliches Studium zu beginnen. Als sie dort an einer Schreibwerkstatt teilnahm, wurde ihr klar, dass ihre Leidenschaft dem eigenen Schreiben gilt. Sie brach das Studium ab und bewarb sich am renommierten Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Über das mühelose Bestehen der dortigen Aufnahmeprüfung freute sie sich riesig, und auch wenn das Studium dort nur „so la la“


gewesen sei – gelernt hat sie dort trotzdem etwas: die intensive Arbeit an eigenen und fremden Texten hat ihr Lese- und Schreibkompetenz vermittelt, wovon sie für das literarische Schreiben neben ihrer Empfindsamkeit für Menschen und Situationen sehr profitiert. Mit dem Diplom in der Tasche nach Wuppertal zurückzukehren, kam für Lemke allerdings nicht infrage, auch wenn sie die Stadt sehr mag und allein durch den guten Kontakt zu ihren Eltern noch mit ihr verbunden ist. „In Berlin fühle ich mich einfach besser aufgehoben, ich habe dort mittlerweile ein Netzwerk und es gibt Orte, die für mich sehr wichtig sind“, meint Lemke zu diesem Thema. Verständlich, denn nicht zuletzt gibt es noch andere Wuppertaler Schriftstellerinnen, die ihre literarische Karriere von Berlin aus begonnen haben – auch wenn Hanna Lemke mit ihrem erfrischend unkoketten Lachen ablehnen würde, sie trete in die Fußstapfen von jemandem wie Else Lasker-Schüler. Sicher ist allerdings, dass ihr verheißungsvolles Debüt auch auf das nächste Buch hoffen lässt, an dem Lemke bereits arbeitet.

Hanna Lemke Geboren 1981 in Wuppertal, lebt in Berlin. 2002-2006 Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. 2005 Teilnahme am 13. open-mike Literaturwettbewerb der Literaturwerkstatt Berlin. 2006 Stipendium in der Autorenwerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin. 2007 Stipendiatin des Klagenfurter Literaturkreises.

Hanna Lemke: „Gesichertes“ Antje Kunstmann Verlag, München 2010 17,90 EUR

Susanne Buckesfeld

Veröffentlichungen (Auswahl): Die Verstecke. In: Tippgemeinschaft. Jahresanthologie der Studierenden des Deutschen Literaturinstituts 2003. Valvoline 2003. Manila. In: Tippgemeinschaft. Jahresanthologie der Studierenden des Deutschen Literaturinstituts 2004. Valvoline 2004. Kachori. In: Kanal 4. Literatur im Zug. Hessischer Rundfunk. November 2004. Gesichertes. In: 13. open mike. Internationaler Wettbewerb junger deutschsprachiger Literatur der Literaturwerkstatt Berlin. Allitera 2005. Stella. In: Sprache im technischen Zeitalter. Heft 181, 2007.

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Eingeladen aus Hanna Lemke „Gesichertes“ Antje Kunstmann Verlag

Als Holm versuchte, mir zu erklären, wovor er Angst hatte, erzählte er eine Filmszene nach. »Da ist also dieser Mann«, sagte er. »Er kommt nach Hause, als Zuschauer weiß man schon, er lebt allein. Der Mann zieht seine Jacke aus, geht in die Küche, öffnet die Balkontür. Es sieht ganz normal aus, als würde er das immer so machen, wenn er heimkommt. Und er setzt Wasser auf, steht vor dem Wasserkocher, wartet. Dann geht er zum Balkon. Und geht auf den Balkon und springt. Er springt runter«, sagte Holm, »er springt über die Balkonbrüstung, als wäre das eine leichte Hürde, einfach so. Einfach so.« Wir saßen im Dunkeln vor Holms Laden, und ich lauschte auf Holms heisere Stimme; wie alles, was er sagte, immer kleiner wurde, bevor es in der Nacht verschwand. Er hatte ganz von alleine angefangen zu erzählen, in einem ruhigen, schweren Tonfall. Ich hatte ihn noch nie so lange reden gehört. Im Winter hatte Holm einen Zettel in sein Ladenfenster gehängt: Aushilfe gesucht. Es war mir im Vorübergehen aufgefallen, der Zettel blieb noch tagelang hängen. Von meinem Küchenfenster aus konnte ich Holms Laden sehen, der eingerichtet war wie ein Wohnzimmer, mit zwei dunkelgrünen Sofas, Sesseln und einer altmodischen Schrankwand. Ich hatte Holm schon oft dort gesehen, wenn er abends auf einem der Sofas lag und es dunkel wurde. Im Laden war meist noch Fernseherlicht, spät erlosch auch das. Aber Holm verließ den Laden nicht. »Wofür brauchst du eine Aushilfe?«, fragte ich, als ich den Laden betrat, zum ersten Mal überhaupt. Ich hatte Holm wieder auf dem Sofa liegen gesehen, jetzt stand er auf. Er deutete um sich, in den Raum hinein.

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und ich entschloss mich, nichts mehr zu sagen, bis er was auch immer über mich entschieden hätte. Er hatte etwas an sich, das mir gefiel. Er wirkte übermüdet und überlegen, und ich wusste nicht, was es war. »Ich will, dass immer jemand hier ist«, sagte er schließlich. Er ging nach hinten, neben der Schrankwand war eine Tür, die er öffnete. »Komm«, sagte er, »ich zeige dir den Rest. Das ist nämlich meine Wohnung«, sagte er, als wir auf dem Flur hinter dem Ladenraum standen. Er klang selbst nicht ganz überzeugt davon in diesem Moment, aber dann öffnete er die Tür zu einem weiteren Raum, in dem ich ein Bett stehen sah. Holm zeigte mir auch das winzige Bad und die Küche. »Komm«, sagte er wieder, auf dem Küchentisch stand ein Monster von italienischer Kaffeemaschine, die Holm mit ruhigen Handgriffen bediente, so langsam, als solle es eine Vorführung für mich sein. »Zucker?«, fragte er und gab mir, obwohl ich den Kopf schüttelte, drei Löffel in den Kaffee. »Bist du interessiert an dem Job?«, fragte er, er dehnte das Wort, Jooob, als wolle er sich damit über irgendetwas lustig machen, und ich war mir nicht sicher, vielleicht über mich. »Wie sieht es denn aus mit dem Geld?«, fragte ich. »Wie viel brauchst du?«, fragte er. »Zehn Euro die Stunde?«, fragte ich. Ich dachte nicht, dass er Ja sagen würde. »Wann kannst du anfangen?«, fragte er noch, und schwieg, als ich sagte: »Ich weiß immer noch nicht so recht, wofür du eigentlich eine Aushilfe brauchst. Sofort«, sagte ich dann.

»Für den Laden«, sagte er. »Das ist ein Laden?«, fragte ich. »Es soll sogar ein Café sein«, sagte er. »Aber hier ist doch nie jemand«, sagte ich. »Doch, manchmal ist hier jemand«, sagte er. »Wer denn, du?«, fragte ich. »Ja, ich«, sagte Holm.

Holm hatte kleine blaue, immer müde Augen, er sah immer leicht beunruhigt aus und angegriffen und so, als ginge er etwas nachlässig um mit sich selbst. Er war heiser oder verschnupft, fiebrig oder hustete, er trug meistens einen Schal und saß auf dem Sofa wie einer, der sich gerade wirklich ausruhen muss. Die grauen zwischen seinen aschblonden Haaren, die Falten auf seiner Stirn waren nicht zu übersehen.

Er schaute mich an, als wolle er, ohne zu fragen, etwas über mich herausfinden,

Drei Abende die Woche war ich in Holms Laden; am Anfang blieb er oft für eine


halbe Stunde bei mir. Dann war es, als wäre ich sein Gast und Holm sehr besorgt um mein Wohl, er brachte mir zu trinken und Schokoladenkekse und, einmal, Sandwichs mit Avocado- und Thunfischpaste. Im Mülleimer in der Küche sah ich später die abgeschnittenen Toastbrotränder liegen, und ich fühlte plötzliches Mitleid, als ich an Holm dachte, wie er am Küchentisch saß und die Sandwichhälften behutsam aufeinanderpresste. Er gab mir den Schlüssel zum Laden, damit ich abschließen konnte, wenn ich ging; er gab mir auch den Schlüssel zur Kasse, einer kleinen Schatulle mit Schloss, die hinter einer der Bücherreihen im Regal lag. »Nimm dir dann einfach, was du brauchst«, sagte er. Es war klar, dass er nicht weiter über Geld reden wollte, und die Kasse war immer gut gefüllt. Allein im Laden versuchte ich mir vorzustellen, dass es mein Wohnzimmer wäre, es gelang mir ganz gut, mit der Zeit bestens. Weil ich keinen eigenen Apparat hatte, schaute ich bei Holm viel fern, ich hörte mich durch seine CDs, ich mochte die dunkelgrünen Sofas, in denen man schnell versank. Es lag immer eine Decke bereit für den Fall, dass ich fror, an der Kühlschranktür hing der Zettel vom Pizzaservice. Ich erzählte niemandem von Holm, von meinem Job bei ihm. Ich hätte nicht gewusst, was ich dazu hätte sagen sollen; dass ich allein fürs Herumsitzen bezahlt wurde, wäre mir in dem Moment wie etwas sehr Fragwürdiges vorgekommen. Ich hatte keine Ahnung, wo Holm seine Abende verbrachte. Niemand kam in den Laden, wenn er nicht da war, auch das Telefon klingelte nicht. »Ich will, dass immer jemand hier ist«, hatte er gesagt, und offensichtlich war das der ganze Zauber. Manchmal trafen wir uns noch, wenn er zurückkam, bevor ich ging. »Alles klar?«, fragte er mich, und ich sagte: »Klar«, ich sagte: »Alles bestens«, ich sagte: »Wie sollte es anders sein.« Holm sah erschöpft aus, mehr noch als sonst, und er winkte nur ab, wenn ich fragte: »Und bei dir?« Er ließ sich auf das Sofa fallen, er sagte mit geschlossenen Augen: »Du kannst jetzt gehen«, als würde er mich aus einer Pflicht entlassen, dankbar, und trotzdem fühlte

ich mich wie weggeschickt. Ich begann, tagsüber in den Laden zu gehen. Ich ging, wenn ich vermutete, dass Holm nicht da war, ich ging, sagte ich mir, nur um einen Kaffee zu trinken, um in der Küche nach Schokoladenkeksen zu suchen, um mich ins Schaufenster zu stellen und ein wenig auf die Straße zu schauen. Ab und an sah ich dort zwei Mädchen im Grundschulalter, sie wohnten in der Nachbarschaft und spielten auf dem Gehsteig, ihre Rufe drangen auch zu mir, wenn ich in meiner Wohnung war. Sie schauten mich an, als hätte ich mich zu ihrer Beurteilung ausgestellt, und als ich ihnen zuwinkte, lachten sie nur und rannten davon. »Du bist da?«, fragte Holm, als er mich das erste Mal außerhalb der Zeiten im Laden antraf. Er sah erstaunt aus, aber nicht so, als würde es ihn stören, und ich begann, auch abends auf ihn zu warten, bis er heimkam mitten in der Nacht. »Du musst nicht so lange bleiben«, sagte er einmal und dann nichts mehr, und ich hätte es gerne gehabt, dass es nun so war, wie er es sich beim Gedanken an eine Aushilfe in seinem Laden vorgestellt hatte, wenn wir nach seiner Heimkehr noch ein Bier miteinander tranken, stumm, und auf dem Fernsehbildschirm die Softpornos und Call-in-Shows und die uralten Filme an uns vorbeiflimmerten. Holm sah bleich aus, verschwitzt, wie in Panik, als er eines nachts im Frühjahr in den Laden gestolpert kam. Etwas war nicht in Ordnung mit seinem Gesicht; es war, als würde ich ihn im Zerrspiegel sehen oder eine Fratze. Aber es war Holm, der schwankte, der ein paar ins Nichts fassende Bewegungen machte, der sagte: »Kannst du mich alleine lassen, bitte, kannst du mich bitte, bitte alleine lassen.« Er ging nach hinten, und ich hörte noch, wie er sich übergab, mühsam würgend und hustend. Von meinem Küchenfenster aus schaute ich zum Laden hinüber, es blieb dunkel dort, während die Straßenlaternen erloschen und die ersten Leute mit ihren Hunden aus den Häusern kamen. Am nächsten Tag hing ein Zettel an der Ladentür, auf den Holm sehr klein und mit krakeliger Schrift »wegen Krankheit geschlossen« geschrieben hatte, als wäre es eine private Notiz oder eine Nachricht

nur für mich. Ich schloss die Tür trotzdem auf. Holm lag im hinteren Zimmer auf seinem Bett wie aufgebahrt, gerade auf dem Rücken, die Decke glatt über sich gebreitet, die Hände gefaltet, und als er mit mir sprach, hatte er immer noch denselben klagenden, anklagenden Tonfall wie in der vergangenen Nacht. »Hör zu«, sagte er, »es war nicht so gedacht, dass du hier dein Leben verbringst, also kannst du den Schlüssel einfach auf dem Küchentisch liegen lassen, ja?« Der Zettel blieb einen Monat lang an der Ladentür hängen, und ich sah Holm die ganze Zeit nicht. Dann saß er eines Abends wieder auf einem der Sofas und schaute fern. Ich ging sofort zu ihm. »Ich war bei meiner Familie«, sagte er, als ich sagte, ich hätte mir schon Sorgen um ihn gemacht. »Bei deiner Familie?«, fragte ich, und es musste geklungen haben, als hätte ich bislang angenommen, er habe gar keine Familie. Holm wiederholte, meinen erstaunten Tonfall imitierend: »Ja, bei meiner Familie.« Ich hatte mich neben ihn aufs Sofa gesetzt, und er schaltete sich mit der Fernbedienung durch die Programme, den Daumen auf dem Knopf, einen Kanal pro Sekun de, nach drei Durchläufen schaltete er den Fernseher aus. »Es läuft nichts«, sagte er, und wenn Holm jemals, dachte ich, eine klare Aussage über uns hatte treffen wollen, dann war es wohl diese. Als es Wochen später endlich wärmer wurde, fuhr Holm mit einem Sprinter vor, aus dessen Laderaum er Bistrotische und Stühle hievte. Von meinem Küchenfenster aus sah ich zu, wie er sie vor dem Laden aufstellte und sich breitbeinig und mit einem selbstzufriedenen Lächeln in die Sonne setzte, als hätte er etwas vollbracht, auf das er stolz sein könne. »Ist es nicht herrlich«, sagte er, als ich zu ihm kam. Ich nickte. Holm brachte auch eine Schiefertafel, die er drau ßen neben der Tür an das Schaufenster lehnte und auf die er »Bier und Kaffee« schrieb, mit drei Ausrufezeichen dahinter. Die beiden Nachbarschaftsmädchen kamen um die Ecke, sie flüsterten miteinander, Holm reichte mir seine Sonnenbrille und ging in den Laden. Das kleinere der beiden Mädchen kam auf mich zu und sagte in einem

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Tonfall, dem man das Vorherüberlegte anhörte, und so fordernd, dass es wie ein Befehl klang: »Gibt es auch noch etwas anderes als Kaffee und Bier!« »Ich schau mal«, sagte ich. Auf dem Weg zur Küche sah ich Holm in dem hinteren Zimmer auf dem Bett liegen, den Arm über das Gesicht gelegt. Im Kühlschrank fand ich kleine Flaschen mit roter Limonade, die ich den Mädchen mit Strohhalm servierte. Sie saßen ruhig auf ihren Stühlen. Es war, als würden sie so tun, als seien sie erwachsen; als würden sie es spielen, ohne es zu merken. Sie kicherten, als ich Holms Sonnenbrille aufsetzte, die viel zu groß war für mein Gesicht, und nachdem sie beide mit ihren Strohhalmen eine Weile auf den Böden der Limonadeflaschen herumgeschlürft hatten, sagte das kleinere Mädchen sehr laut: »Zahlen bitte!« »Ihr seid eingeladen«, sagte ich, und, weil ich mir nicht sicher war, ob sie wussten, was das hieß: »Ihr müsst nichts bezahlen.« Bevor sie gingen, fragte das kleinere Mädchen mich, ob sie die Flaschen behalten dürften. Ich nickte und sah ihnen hinterher, als sie, immer noch wie im Spiel, davongingen. Holm wachte seufzend auf. Er drehte sich weg von mir, zur Seite, ich legte mich neben ihn und presste mich an seinen Rücken. Es war kaum Platz und fast so, als müsse ich mich an Holm festhalten,

um nicht herunterzufallen vom Bett. Ich atmete den süßlichen, dumpfen Geruch von Holms Schläfrigkeit ein, der sich vom Ansatz seiner Haare in die Kissen gelegt hatte, ich atmete tief, dann stand ich wieder auf und blieb stehen, vor seinem Bett, während Holm sich umdrehte, mich anschaute; er blieb liegen, er wusste überhaupt nicht, was er jetzt tun sollte oder sagen, das sah ich ihm an. Wir saßen weit voneinander entfernt an diesem Abend, und es war fast schon Nacht, wir saßen auf den Stühlen an den Tischen vor dem Laden. »Er springt über die Balkonbrüstung, als wäre das eine leichte Hürde«, sagte Holm. Im Laden brannte noch ein kleines Licht, ich trank rote Limonade. »Einfach so. Einfach so.« Holms Stimme war leise geworden. »Und das Schlimme daran war«, fuhr er fort, »oder vielleicht nicht das Schlimme, sondern einfach: der Punkt, dass man nicht verstanden hat, wann der Mann diese Entscheidung gefällt hat. Es war, als gäbe es diesen Moment gar nicht. Es war vielmehr so, als wäre ihm plötzlich etwas klar geworden. Wie eine Eingebung.« Er schwieg, dann sagte er noch: »Und das Schlimme, also das wirklich Schlimme an dem Film war, es war ein totaler Kitsch, am Ende schreibt der inzwischen erwachsene Sohn des Selbstmörders an seinen Adoptivvater, der übrigens der Bruder des Selbstmörders ist, eine Post karte, auf

der steht: Du hattest recht, das Leben ist wirklich schön.« Die rote Limonade war bitter, sie schmeckte fast wie Campari. Im Nachhinein war ich erstaunt, dass die Nachbarschaftsmädchen sie so schnell ausgetrunken hatten. Ich meinte zu spüren, wie meine Zunge rauer wurde, bei jedem Schluck, ich meinte zu spüren, wie es Holm ging, wie er dort saß, mit seinen fettigen Haaren, seiner Müdigkeit, Holm, nie gut erholt, Holm, mit den dunklen Gedanken, und ich meinte zu wissen, was ich jetzt sagen sollte, aber er stand auf. »Du hast dir jetzt auch lang kein Geld mehr genommen «, sagte er. Er zog sein Portemonnaie aus der Hosentasche, und ich sah zu, wie er die Scheine auf den Tisch blätterte, Fünfziger, Zwanziger. »Das ist für dich«, sagte er, und als ich mich nicht bewegte, nahm er das Geld und reichte es mir. Und als ich mich immer noch nicht be wegte, kam er zu mir, packte meine Hand und drückte die Scheine hinein. »Das bekommst du«, sagte er. Er ließ meine Hand los, und wir sahen zu, wie sie ganz schlaff wurde und wie mein Arm hinuntersank und wie die Scheine zu Boden fielen, zwischen unsere Füße, und wie sie dann, getrieben von einem leichten Wind, der ich weiß nicht woher kam, über den Bürgersteig wehten, bis auf die Höhe der Ladentür, und weiter, darüber hinaus.

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Sinfonieorchester Wuppertal gestern - heute – morgen Vom Musikerstreit zur Gründung der „Elberfelder Kapelle“, der Ursprung des Sinfonieorchesters Wuppertal

Sinfonieorchester Wuppertal Foto: Antje Zeis-Loi

Mannigfaltig wie die Geschichte der im Jahre 1929 auf dem Wege einer kommunalen Neugliederung gebildeten „Bergischen-Metropole“ Wuppertal, ist die des professionellen orchestralen Klangkörpers dieser Stadt. Elberfeld und Barmen, von Textil- und Maschinenindustrie geprägte Städte, die mit den kleineren Nachbarstädten zur heutigen Großstadt Wuppertal zusammengeschlossen wurden, hatten zunächst kein eigenes Orchester. Erst der Spohr-Schüler Julius Langenbach gründete 1849 die nach ihm benannte Kapelle, zu einer Zeit, in der Barrikadenkämpfe das Elberfelder Stadtbild prägten und die Cholera das Tal heimsuchte. Nun konnten städtische Singvereine auf ein mehr oder minder fest organisiertes Orchester zurückgreifen, das übrigens vom Gastronom und Theateragenten Abraham Küpper organisiert und mitfinanziert wurde. Mit Ende der Saison 1861/62 machte sich allerdings unter den Musikern der „Langenbachschen Kapelle“ finanzielle Unzufriedenheit breit. Achtzehn der etwa dreißig Musiker streikten und trennten sich von dem ohnehin künstlerisch inkompetenten Küpper. 1831 hatte Abraham Küpper das alte Wirtshaus auf dem Johannisberg übernommen, in dessen „Festsaal“ ca. 1.000 Personen Platz fanden. Die dort stattfindenden Konzertabende gelten als Grundstein der musikalischen Tradition auf dem Johannisberg. Unter der Leitung von Richard Schulz bildeten die achtzehn Instrumentalisten ein eigenes Orchester: die „Elberfelder Kapelle“, der Ursprung des heutigen Sinfonieorchesters Wuppertal. Drei Jahre leitete Schulz die „Elberfelder Kapelle“. Ihm folgte 1865 Willy Gutkind, der bis 1883 im Amt blieb und eng mit Hermann Schornstein und (seit 1879) Julis Buths vom Elberfelder Gesangverein, wie auch mit Anton Krause vom Barmer

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Antje Riewe

GRACE

MERCURY

Toshiyuki Kamioka übernimmt das Orchester Heute ist das Sinfonieorchester Wuppertal als A-Orchester klassifiziert und kann auf ein fast 150-jähriges Bestehen zurückblicken. Die 88 Musikerinnen und Musiker werden seit 2004/05 von Professor Toshiyuki Kamioka geleitet. Das Repertoire erstreckt sich vom Barock bis in die Moderne, immer wieder werden zeitgenössische Werke in enger Zusammenarbeit mit den Komponisten uraufgeführt.

Seit über einem Jahrhundert spielt das Sinfonieorchester Wuppertal in der Historischen Stadthalle am Johannisberg. Auch heute noch bietet dieses Domizil dem Orchester eine bemerkenswerte Akustik. Die Historische Stadthalle zählt als Glanzstück des Jugendstils zu den besten Konzertsälen Europas. Hier finden pro Saison mit den Sinfoniekonzerten, Chorkonzerten, Kammerkonzerten und verschiedenen Sonderkonzerten über 40 Konzerte des Sinfonieorchesters statt. Neben der Arbeit als Konzertorchester begleitet das Sinfonieorchester Wuppertal in der Saison zahlreiche Opernvorstellungen im frisch renovierten Wuppertaler Opernhaus. Seit vielen Jahrzehnten besteht diese traditionelle und sehr gute Zusammenarbeit zwischen den Wuppertaler Bühnen und dem Sinfonieorchester Wuppertal. Seit einigen Jahren widmen sich die engagierten Musiker des Sinfonieorchesters verstärkt der jungen Generation von Konzertbesuchern. Neben Schulkonzerten präsentieren sich die Musiker besonders in Familienkonzerten als Orchester zum Anfassen. In Lehrer-Workshops sowie bei Schulbesuchen in Kammerbesetzung werden Schüler und Lehrer auf die Konzerte vorbereitet.

CADMO

Singverein zusammenarbeitete. Wobei die 1861 gegründeten „Concertgesellschaften“ von Elberfeld und Barmen mit zunächst 177 Mitgliedern eine wesentliche Stütze bedeuteten. Das Niveau des jungen Orchesters wurde bewusst gesteigert durch die Verpflichtung von Solisten und Dirigenten wie Clara Schumann, Josef Joachim, Johannes Brahms und Max Bruch. Viele Dirigenten begannen in Wuppertal ihre musikalische Laufbahn - darunter bis heute weltbekannte Namen wie Hans Knapperbusch, Erich Kleiber, Otto Klemperer, Hermann von Schmeidel und Hans Weisbach, der besonders als Bruckner-Spezialist internationales Ansehen gewann.

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Farbe als Motiv Atelierbesuch bei Christian von Grumbkow von Thomas Hirsch

Christian von Grumbkow in seinem Wuppertaler Atelier, 2010

„Appasionata“, das neue, riesige Gemälde von Christian von Grumbkow ist grandios, überwältigend und vor allem: gelassen. Es strahlt im Foyer der Barmenia Versicherung Ruhe aus, behauptet sich in stiller Größe und zeigt noch den Prozess seiner Entstehung auf. Die fünf gleichgroßen Tafeln, die in der Summe ein deutliches Querformat ergeben, erzählen – jeweils für sich und gemeinsam, vermittelt durch die Übergänge an den Rändern – eine Geschichte der Möglichkeiten von Farbe und ihrer Präsenz. Beiläufig geht es um die Bedeutung von Farbe als reinem Sein zwischen fakturlosem Auftrag und ausgreifendem Gestus mit dichten Partien und luzider Fläche im Zusammenspiel mit der Bildtiefe. Dominierend ist ein leuchtendes Rot, das nie ganz verloren geht, auch wenn es mit gelben und orangefarbenen Flächen wechselt, durchbrochen von dunkleren vertikal orientierten Zonen. Zumal in der „landschaftlichen“ horizontalen Ausrichtung mutet die gesamte Darstellung vielleicht wie eine Gebirgswand im reflektierenden Licht an, aus unmittelbarer Nähe und nach allen Seiten fortsetzbar. Und doch ist sie in ihrer fetzenhaften Struktur mit dem Einschub matt glühender Pigmente völlig gegenstandsfrei und natürlich auch genau komponiert. – Und an ihrem Ort, in der Barmenia? Zu sehen ist Malerei, die sich im Realraum und mit diesem entfaltet und diesem eine vitale Gestimmtheit verleiht, wie gesagt, ohne sich aufzudrängen. Schon das, das Gemälde wirkt längst nicht so groß, wie es tatsächlich ist (2,50 x 12,50 m). Mit diesem Bild sei eine andere Temperierung in der Eingangshalle gekommen, berichtet der Mitarbeiter am Empfang der Hauptverwaltung der Barmenia, dem Neubau in Elberfeld. Die langgestreckte Theke selbst hat sich damit zugleich vom sachlichen Auf-DistanzHalten zum strukturellen Moment gewandelt. Ihre Ausrichtung führt nun das Bild an der Wand fort und leitet in den Seitenflügel des Gebäudes, so dass man nahe an ihm vorbei läuft. Dabei wird deutlich, aus wie vielen Vorgängen es entstanden ist und wie viel sich doch auf der Bildfläche ereignet, jenseits aller Benennbarkeit. Farbe wird zur intuitiven, atmosphärischen Erfahrung, und sie sieht jeden Tag – in Wechselwirkung mit den momen-

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tanen Lichtverhältnissen – anders aus. Christian von Grumbkow erwähnt, dass er die Tafeln von rechts nach links konzipiert hat. Also gegen die Lesekonvention, aber mit der Laufrichtung des Betrachters. „Appassionata“ ist eine raumbezogene Arbeit mit Malerei über Malerei, über ihre schwelgerische Energie, über den Reichtum von Farbe und unser Wahrnehmungsvermögen. Generell, Christian von Grumbkow handelt in seiner gegenstandsfreien, fundamentalen Malerei mit den Gestimmtheiten, welche die Farben tragen, wobei er verschiedene Verfahren miteinander verknüpft. „Appassionata“ ist sein bislang größtes Bild. Natürlich haben die Dimensionen des Foyers eine wesentliche Rolle dabei gespielt; wichtig ist die Größe aber auch als körperhaftes Gegenüber: als Bild, das den Betrachter überwältigt und in dem er aufgeht. Ebenfalls großformatig und in Bezug auf Innenräume hat Christian von Grumbkow an seinem Wohnort Wuppertal vor allem bei zwei weiteren Malereien gearbeitet: „Landschaft“ (1997), seit einigen Jahren kongenial präsentiert bei der Firma pro viel GmbH, sowie beim Hochformat „Red Rain“ (5 x 2,50 m) am Kopfende der Schalterhalle der Sparkasse am Loh in Unterbarmen, das noch unterstreicht, wie sehr seine Malerei mit natürlichem Licht handelt und welche Rolle die Fließbewegungen für die Farbwirkung spielen. Und wie viel schon die Entscheidung für Hoch- oder Querformat bedeutet. Im Atelier in Unterbarmen, im zweiten Stock im Hintergebäude einer Schule. Die Mensa im Erdgeschoss. Zum Hof hin ist die Front von Glasscheiben durchzogen. Mehrere Räumen folgen aufeinander, keine Tür, breite Öffnungen, alles licht. Der Gang durch das Atelier ist ein Parcours mit den Malereien – ein Teil ist gerade von einer Kunstmesse zurückgekommen –, Planschränken mit den Papierarbeiten, dazwischen Stühle, Tische, die Farben. An verschiedenen Stellen lehnen kleinere Bilderstapel, als Werkgruppen bündig zusammengestellt. Grumbkow malt im hinteren Raum. Infolge der Trocknungsprozesse und weil manche Bilder eben ihre Zeit brauchen und erst nach Monaten abgeschlossen sind, arbeitet er an meh-

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Appassionata, 2009, テ僕farbe, Eitempera auf Leinwand, 5-teilig, 2,50 x 12,50 m, Foyer der Barmenia Versicherung, Wuppertal

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reren Werken gleichzeitig. Die Malerei findet im Gegenüber (an der Wand, auf Staffeleien, mit der Möglichkeit, vor und zurück zu treten), aber auch auf Böcken in der Horizontalen statt: in unmittelbarer Hinwendung und um auf der planen Oberfläche ein Verfließen der Farbe zu vermeiden. Von solcher immerwährenden Aktivität kündet nun das Atelier selbst, in aller funktionalen Nüchternheit. Malerei ist keine beschauliche Sache, vielmehr ein Experimentieren und konzentriertes Ausloten unter möglichst objektiven Bedingungen. Christian von Grumbow läuft durch die Räume, schaut schnell noch auf das eine Bild, das fast fertig, aber eben noch nicht ganz abgeschlossen ist. Er geht ein Stück zurück und fächert zwischen den Bildern an der Seite, selbstbewusst und aufmerksam. Natürlich, bei der Bedeutung, welche die Farben für ihn haben: Er male bei Tageslicht; aber bestimmte Schichten ließen sich auch am Abend, unter den Bedingungen des Kunstlichtes auftragen. Je nachdem, wie viel Binder er der Ölfarbe beifügt, verhält sich die Wirkung der Oberfläche zwischen matt und glänzend. Zwar sind die Bahnen ausgreifend gezogen, aber die Malerei zeigt doch immer etwas Entschleunigtes. In der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Ideen und Konzeptionen nimmt Grumbkow Rückgriffe auf bereits erzielte Erfahrungen vor. Wo also anfangen? Christian von Grumbkow wurde 1946 in Oberhausen geboren. Er hat an der Werkkunstschule Wuppertal sowie an der Rietveld-Academie in Amsterdam studiert – in Wuppertal bei Rudolf Schoofs, jenem wichtigen Zeichner, der noch zu einer dynamischen Landschaftsmalerei gefunden hat mit der Leinwand als kraftvoll energiegeladenem Bildfeld, um Natureindrücke zu transzendieren. Im Anschluss an sein Studium ist Grumbkow als Gitarrist und Texter Gründer der Rockband „Hölderlin“, die von Wuppertal aus bundesweite Erfolge feiert. 1977 steigt er aus, um sich fortan auf seine Kunst und auf die Kunsttherapie zu konzentrieren. Seine maßgebliche Galerie, mit der er seither zusammenarbeitet, steht bald fest: die Galerie Epikur in Wuppertal. Auf seine dortige erste Ausstellung 1981 folgen etliche weitere; den neuen Standort von Epikur (Friedrich-Ebert-Str. 152 a)

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weiht Grumbkow am 28. Mai 2010 mit aktuellen Arbeiten ein. Christian von Grumbkow holt Postkarten seiner frühen Malereien hervor, der großformatigen Aquarelle auf Bütten. Sie sind von einer lichthaltigen Transparenz bestimmt. Der Pinselstrich durchzieht die Bildfläche, füllt diese ganz. Aber erst indem Grumbkow inmitten der Farbe stabile konkrete Formen gesetzt hat, definiert sich der Bildraum als Landschaftsraum weiter, und die Formen selbst werden zu Architektur. Innerhalb seiner Werkgenese ist dies die Initialzündung für eine weitere Verselbständigung der Farbe. Die Werkphasen folgen rasch aufeinander. Immer geht es um Malerei, um Farbe und Farben, für die Grumbkow verschiedene Verfahren des Auftrags entwickelt hat. Eine zentrale Maßnahme ist die „Verwischung“ – so auch der Titel einzelner seiner Ausstellungen – die Grumbkow systematisch vorgenommen hat. Er arbeitet mit Unschärfen, strukturiert mit einem Rakel die horizontalen Bahnen. Dann wieder legt er vor die Horizontalen vertikal rinnende Gespinste. Oder er trägt die Farbe wieder ab, so dass nur noch krisselige Partikel stehen bleiben, erkundet so die Nuancen einer Farbe. Wieder in anderen Bildgruppen folgen die Bahnen in chromatischen Schüben

aufeinander. Oder die Farbfläche bricht – in Analogie zu den Affichistes – wieder auf, so dass tiefere Schichten durchlugen. Mitunter suggerieren weiße Schlieren ein Licht, das aus der Tiefe kommt. Schon da schwingt die Vorstellung von Landschaft mit, auf die Grumbkow ohnehin immer wieder zurückkommt. Wesentlich geht es ihm dabei um das Auratische, um die Erfahrung spezifischer Orte in der Natur, etwa auch als Wasserflächen. Die meisten der Bilder sind unbetitelt. Daneben finden sich Malereien, die etwa „Energy“ heißen und von Rot- oder Gelbtönen bestimmt sind. Mitunter verweisen die Titel auf bestimmte Landschaften. Ein großformatiges Bild ist „Vernebelt“ (2006) betitelt. Hier bauen sich Grün-, Blau- und Beige-Töne von unten nach oben auf, im oberen Drittel ist ein Horizont eingeschrieben. Tatsächlich bestehen die Bahnen aus feinen Fransen, ein Blau changiert amorph im Vordergrund. Alles Landschaftliche wird durch die Horizontalorientierung des Farbauftrags unterstrichen. Andere Bilder hingegen arbeiten entschieden mit der Vertikalen, als Schleier schieben sich diese nach innen, überdecken die früheren Schichten und konstituieren so einen flirrenden Bildraum. Dies führt mitunter zu breiten Setzungen von Vertikalen, teils kontrastierend mit horizontalen Bahnen,


Red Rain, 2008, 500 x 250 cm, テ僕, Pigment auf Leinwand, Eingangshalle Stadtsparkasse Wuppertal, Zweigstelle Loh

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Vernebelt, 2006, Öl auf Leinwand, 150 x 140 cm die sich am Rand oder in der Bildmitte befinden. Rahmungen sind seit langem ein zentrales Motiv, welches noch den Blick fokussiert und sozusagen von einem Innen nach Außen leitet. Damit ist auch hier die Idee von Landschaft angelegt, ohne weiter vorgegeben zu sein. Malerei bezeichnet in Grumbkows Bildern beides: Gegenstand und Gegenstandslosigkeit. Schon die Bahnen fasern transparent aus, geben sich als weitere Farbschicht über einem reichen Geschehen zu erkennen. Aber diese Arbeiten verdeutlichen noch ein wesentliches Prinzip, das sich durchgehend in seinem

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Werk findet: Feste, konkrete Formen sind mit unfesten, „weichen“, verfließenden Flächen konfrontiert. Geradezu greifbare, dabei statische Partien sind gegen transparente, quasi immaterielle Partien gesetzt. Farbe ist Material in allen seinen Konsistenzen und sie ist Ziel, mit den Möglichkeiten, welche schiere Malerei bereit hält. Natürlich könnte man auf Traditionen verweisen, in denen sich Christian von Grumbkow bewegt, die von Turner und Monet bis hin zu Joseph Marioni oder Herbert Brandl reichen, aber Tachismus und abstrakten Expressionismus so gar

nicht berühren. Christian von Grumbkow geht es nicht um den individuellen Ausdruck mit ihm als Urheber, sondern um ein allgemeines Sein, um die Transzendierung der Erfahrung von Welt, die uns verbindet, für die Farben stehen. Seine Malerei ist demokratisch und kompromisslos, lebt aus sich heraus und lässt vergessen, wer sie geschaffen hat. In dieser selbstbewussten Bescheidenheit liegt eine große Qualität dieser Arbeiten. Thomas Hirsch Fotos: Jörg Lange


Ein Igel wird 60 Zum runden Geburtstag des HÖR ZU! - RedaktionsMaskottchens „Mecki“ zeigt das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover eine sehenswerte Ausstellung

Er gehört zur jungen deutschen Bundesrepublik so untrennbar wie Konrad Adenauer und Theodor Heuss, Friedel Hensch & die Cyprys, der „Lurchi“ von Salamander, Rudolf Prack und Sonja Ziemann, Bully Buhlan und Otto Normalverbraucher: Mecki, das Redaktions-Maskottchen der Rundfunkzeitschrift HÖR ZU! aus dem Hamburger Axel Springer Verlag. Genau genommen ist die Geburtstagstorte ja schon gegessen, denn bereits im Oktober 1949 trat der fröhliche Igel auf den Plan, als die HÖR ZU! ihn ihren Lesern auf der Titelseite von Heft 43 vorstellte: „Das ist Mecki“. Liebling der Nation mit vielen Vätern Im Handumdrehen wurde Mecki nicht nur zum Liebling des Chefredakteurs Eduard Rhein, sondern auch dem der Leser, besonders der Kinder, nachdem 1951 die Mecki-Puppe der Fa. Steiff auf den Markt gekommen war und die Cartoons sich vermehrt an Kinder wandten. Bekannt aus Puppentrickfilmen der Gebrüder Ferdinand und Hermann Diehl, die von HÖR ZU! anfangs urheberrechtlich übergangen wurden und schließlich die Rechte an den Axel Springer Verlag verkauften, mußte die Figur für den Zeitschriften-Druck jetzt ein graphisches Gesicht bekommen. Dafür konnte der Verlag den Zeichner Reinhold Escher (1905-1994) gewinnen, der bereits erfolgreich für die Witzseite der HÖR ZU! gezeichnet hatte und nun die Grundlage für die bis heute (mit einer kleinen Unterbrechung von 1978-1985) anhaltende Erfolgsgeschichte der Cartoons und Zeichengeschichten um Meckis Abenteuer schuf. An seiner Gestaltung richteten sich die Nachfolger als Mecki-Väter im wesentlichen aus. Wilhelm Petersen ist wohl der bekannteste darunter geworden. Er arbeitete zur Unterstützung Reinhold Eschers einige Jahre gemeinsam mit ihm an den Mecki-Abenteuern. Aber auch die Namen anderer Zeichner haben guten Klang: Heinz Ludwig, Alexander Heß, Rainer Schwarz, Ully Arndt, Harald Siepermann und Peter Hörndl. Heute ist nach 20 Jahren der Regentschaft von Volker Reiche Johann Kiefersauer „amtierender“ Mecki-Zeichner. Nicht nur durch die HÖR ZU!, vor allem durch die 1952-1964 in Buchform erschienenen Reiseabenteuer Meckis und seiner Freunde, zu denen Eduard Rhein die kongenialen Texte schrieb, fanden die Figuren Reinhold Eschers Eingang in das kollektive Comic-Bewußtsein der Nation: der Choleriker und große Individualist Charly Pinguin, der Schrat m it seinen erlesenen Schlafanzügen und die putzigen Goldhamsterchen, später auch Kater Murr und die Ente Watsch. Märchenhafte Reisen Hatte Escher anfangs nur gelegentlich einen Mecki für die Leserbrief- oder die WitzSeite, später ab 1951 in zeitlich unregelmäßigen Intervallen erste (fast) seitenfüllende Zeichengeschichten in Fortsetzungen entworfen, konnte sein Mecki ab Ende 1953 endlich jede Woche mit einer ganzseitigen Folge episch lang angelegter Abenteuergeschichten erscheinen - und wurde Woche für Woche mit Spannung erwartet. Die in 13 Jahrgängen erschienene Buchreihe mit dem Untertitel „Ein märchenhafter Reisebericht,

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aufgeschrieben von ihm selbst“ führte in der Tat in märchenhafte und exotische Welten. Neben Reisen in die Arktis, ins unerforschte Afrika, nach China, ins Indianerland Nordamerika und ins antike Persien besuchten Mecki und seine Freunde Märchenfiguren der Brüder Grimm, von Wilhelm Hauff, Ludwig Bechstein und aus 1001 Nacht. Zunächst im Verlag Hammerich & Lesser in Hamburg - der Verlag gehörte Axel Springers Vater - erschienen, folgten Neuauflagen bei Melzer, Lingen, Bertelsmann, Ullstein und Cormoran. Heute gibt es Nachdrucke einiger Abenteuerreisen und zweier JahrgangsSammlungen von HÖR ZU!-Seiten beim Esslinger Verlag J. F. Schreiber.

Eduard Rhein Sicher ist die werbewirksame, sympathischgemütliche Figur des Mecki, der zu Zeiten, als das noch nicht verpönt war, auch gerne mal ein (Wasser-)Pfeifchen schmauchte, neben der hervorragenden Gestaltung der Programmseiten der damaligen HÖR ZU! für den anhaltenden Erfolg der Rundfunkspäter auch Fernsehzeitschrift („Sieh fern mit HÖR ZU!“) mit verantwortlich. Umso härter muß es für seinen Entdecker und Texter Eduard Rhein (1900-1993) gewesen sein, als er 1965 vom Axel Springer Verlag überraschend die Kündigung erhielt. Sein Name allerdings wird untrennbar mit dem abenteuerlustigen Igel verbunden bleiben. Gleichzeitig mit seiner Autorenschaft für Mecki schrieb Eduard Rhein u. a. unter dem Pseudonym Hans Ulrich Horster diverse erfolgreiche Romane, die z. Z. in der HÖR ZU! in Fortsetzungen veröffentlicht und später verfilmt wurden: „Ein Herz spielt falsch (1950)“, „Der Engel mit dem Flammenschwert (1953)“, „Suchkind 312 (1955)“, „Herz ohne Gnade (1957)“, „Ein Student ging vorbei (1959)“, „Eheinstitut Aurora (1961)“. Die Ausstellung in Hannover, die noch bis zum 11. April zu besichtigen ist, zeigt mehr als 200 Original-Zeichnungen von allen an der Entwicklung der populären Figur beteiligten Zeichnern, dazu auch Unveröffentlichtes, darunter erstmals die letzte Mecki-Geschichte von Reinhold Escher aus dem Jahr 1970. Im Museumsshop ist eine Auswahl von MeckiBüchern erhältlich.

HÖR ZU-Titel aus den Jahren …

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Ein Igel wird 60 Wilhelm-Busch-Museum – Georgengarten – 30167 Hannover Das Museum ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Weitere Informationen unter: www. wilhelm-busch-museum.de Literatur: Eckart Sackmann - „Mecki - Einer für alle“, 1994 comicplus+, Verlag Sackmann u. Hörndl Moritz v. Uslar - „Er läuft und läuft und läuft...“, in: Süddt. Zeitung Magazin 16/1998 Werner Hoof - „Mecki und seine Freunde“, in: Die Sprechblase Nr. 20/1979 Maurice Horn - „The World Encyclopedia of Comics“ diverse Hefte HÖR ZU! - Axel Springer Verlag, 1951-1964 Mecki-Bücher: 1. Mecki im Schlaraffenland 1952 2. Mecki bei den 7 Zwergen 1953 3. Mecki bei den Eskimos 1954 4. Mecki bei den Chinesen 1955 5. Mecki bei den Indianern 1956 6. Mecki bei den Negerlein 1957 7. Mecki bei Prinz Aladin 1958 8. Mecki auf dem Mond 1959 9. Mecki und die 40 Räuber 1960 10. Mecki bei Harun al Raschid 1961 11. Mecki bei Sindbad 1962 12. Mecki bei Zwerg Nase 1963 13. Mecki bei Frau Holle 1964 14. Mecki bei Aschenputtel 14. angekündigt für 1965, jedoch nicht 14. erschienen

Reinhold Escher/Wilhelm Petersen „Mecki - Gesammelte Abenteuer“, © 2009/2010 Esslinger Verlag J. F. Schreiber, zwei Bände (1958 und 1959), je 14,95 Euro Weitere Informationen im Internet unter: www.musenblaetter.de, www.meckiseite. de, www.meckifan und www.hoffmannworld.de

Frank Becker

Plakat zur Ausstellung / Fotos: NN

Mecki-Bücher / Fotos Frank Becker

Se chzig Jahre C omicAbe n te ue r

17. Januar bis 11. April 2010 Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 11 bis 18 Uhr

Wilhelm-Busch-Museum Hannover Deutsches Museum für Karikatur und kritische Grafik

Georgengarten 30167 Hannover www.wilhelm-busch-museum.de

Das Wilhelm-Busch-Museum Hannover / Deutsches Museum für Karikatur und kritische Grafik wird institutionell gefördert durch das Kulturbüro der Landeshauptstadt Hannover.

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Neue Kunstbücher vorgestellt von Thomas Hirsch Von innen nach außen

Tadao Ando, Hg. Y. Nussaume, 192 S. mit ca. 180 Farbabb., geb., 24 x 21,5 cm, Birkhäuser, 39,90 Euro Die Stillsten zuerst. Längst ist der Ruf des 1941 in Osaka geborenen Architekten Tadao Ando in Mitteleuropa angekommen. Von ihm stammt beispielsweise das Museum der Langen Foundation bei Neuss. Unter ausschließlicher Verwendung von Beton und Glas vermitteln seine Bauten Weite und Größe bei gleichzeitiger Nüchternheit. Geradlinige Passagen ermöglichen den Blick vom einen Ende des Gebäudes zum anderen, wobei mehrere Ebenen verschränkt sind. Es muss also nicht verwundern, dass für Ando Piranesi wie auch Josef Albers wichtig waren. Aber Ando handelt stets auch mit dem Außenraum – im Sinne einer Korrespondenz mit Landschaft, Natur, Himmel, Wasser und natürlich Licht, ja, er entwirft mit der Umgebung und klärt diese dadurch. Erst recht vor dem fernöstlichen Hintergrund geht dies mit meditativer Erfahrung einher. – Es ist also nicht einfach, das Werk von Tadao Ando in einem Buch angemessen zu beleuchten. Als Hardcover im eher moderaten Format ist nun bei Birkhäuser eine Gesamtübersicht erschienen, die etwas Handfestes, Praktisches hat und dabei eine Ahnung von der Wirkung der Bauten aufkommen lässt. Und das, obwohl der ausführliche, an der Biographie orientierte Text leider nur in Englisch vorliegt.

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Vieles von dem, was auf Tadao Ando zutrifft, wäre auch für den Schweizer Peter Zumthor zu konstatieren. Auch er arbeitet mit Passagen und Lichtschächten. Er nutzt die volle Höhe aus und wendet sich damit gegen baulichen Funktionalismus. Auch bei ihm geht es um Erfahrungen wie Stille, Größe und Bescheidenheit. Mithin baue er von innen, so schreibt Philip Ursprung im nun vorliegenden Buch des Verlags Scheidegger & Spiess; die Fassade zeichnet sich durch große Schmucklosigkeit und Betonung der (genau gewählten) Materialität aus. 1943 geboren, gehört Zumthor seit seiner Realisation der Therme Vals zu den großen europäischen Baumeistern. Und auch von ihm gibt es in der weiteren Region Bauten: in Köln das „Kolumba“ als Museum der Erzdiözese Köln, und in der Eifel die Feldkapelle in Wachendorf. Man kommt dem Denken und Handeln von Peter Zumthor sehr nahe in dem nun erschienenen Buch bei Scheidegger & Spiess, welches sich von den üblichen monographischen Darstellungen abhebt. Es ist mehr eine Kladde, in Schwarz-weiß und mit vielen leeren Seiten, auf dickem Papier. Vorgestellt werden nicht die Gebäude als solche, sondern vielmehr eigenständige Fotografien, die sich, schon vor Jahren aufgenommen, den Details von drei Architekturprojekten Zumthors zuwenden. Der Fotograf ist Hans Danuser, der von Zumthor ohne Vorgaben dazu eingeladen wurde. Danuser wirft implizit die Frage nach der Vermittlung von Architektur durch die Fotografie auf – weswegen er direkt nach dem Wesen der Architektur strebt und, wie er sagt, deren Körperhaftigkeit zum Ausdruck bringen will. Wie ein zufälliges Schweifen ereignet sich seine Fotografie, dabei ist sie ausgesprochen aussagekräftig und für sich: große Kunst. Dieser grandiose Spezialfall bestätigt die Rolle der (meist anonymen) Architekturfotografie bei der Etablierung der Architektur als Kunstform. Auch auf diesem Feld also übernimmt die Fotografie Funktionen, die einstens der Malerei zukamen. Wobei die Malerei selbst ihr Verhältnis zur Architektur immer wieder neu ausgelotet hat und sich dieser doch mehr von Innen als von Außen zugewendet

Zumthor sehen. Bilder von Hans Danuser, 88 S. mit 24 Triplex-Abb., Hardcover mit Schutzumschlag, 31,5 x 24 cm, Edition Hochparterre bei Scheidegger & Spiess, 35,- Euro hat. In der Geschichte der Malerei gibt es hinreichend Beispiele für die unterschiedlichen Konnotationen des Interieurs zwischen Autonomie, eigener Aussage und unterschwelliger Unterstützung des Gehalts. Die Architektur wurde Staffage oder besaß doch immerhin repräsentativen Charakter oder referentielle Bezüge. Auf der einen Seite sind da die riesigen Kathedralen mit den winzigen Menschlein, die bei Saenredam die Größe der Bauten sinnbildlich vor Augen führen, auf der anderen Seite gibt es die Prachtinterieurs bei Velasquez, die sich mit den Bewohnern zu umfassenden gesellschaftlichen Porträts verdichten. Oder die Fensterblicke der deutschen Romantik, die zwischen metaphysischem Außen und Innen vermitteln ... Eine Auswahl aus den unterschiedlichen Bereichen innerhalb der Kunstgeschichte versammelt nun das kluge und vorbildliche Buch Das Interieur in der Malerei des Hirmer-Verlages. Konzentrieren wir uns nur auf die (gut kommentierten) Bilder – dann erfahren wir genug, übrigens auch zum Verlauf der Kunstgeschichte mit ihren Stilen. Und darüber, wie Räume in ihrer Zeit aussehen.


Karl Schütz: Das Interieur in der Kunst, 383 S. mit 240 Farbabb., geb. mit Schutzumschlag im Schuber, 34 x 28,5 cm, Hirmer, 138,- Euro

Frank Lloyd Wright, Moderne Häuser, Hg. A. Hess, A. Weintraub, 336 S. mit 500 Farbabb., geb. mit Schutzumschlag, 25,5 x 25,5 cm, DVA, 69,95 Euro Dafür lohnt sich aber wieder der Blick zurück zum einzelnen Architekten im 20. Jahrhundert, mit den Mitteln der Fotografie also. Frank Lloyd Wright gilt als einer der Meister des modernen Wohnhauses. Freilich, aus der Ferne Europas, unterstützt noch durch die Prominenz des Bauwerks, wird sein Schaffen wesentlich auf das Solomon R. Guggenheim-Museum und dessen Formensprache reduziert: auf seine spiralige, raumhaltige Anlage, welche die Bewegung des Betrachters bei gleichzeitiger

Transparenz bedenkt, und zwar im öffentlichen Raum, der überhaupt als Domäne Wright’s gilt. Schon das erste Bauwerk, das er konzipiert hat, fällt hierunter: eine Kapelle für die Familie. Etliche weitere teils prominente öffentliche Bauten folgten, die per se auf ein repräsentatives und funktionales Zusammenspiel von Außen und Innen konzipiert werden mussten, in einem Vokabular, dem Wright Zeit seines Lebens treu blieb und das er auch, als er sich 50jährig verstärkt dem privaten Wohnhaus zuwandte, verwandte. Aber was gemeinhin als konservativ galt, bekam nun, im freien Umgang mit den Formen und im privaten Bereich eine andere Wertung und Bedeutung. Auch da baut Wright im Einklang mit der Gesellschaft und in vorsichtiger Reaktion auf die natürliche Umwelt. Aber er entwirft nun „sinnfreie“ komplexe artifizielle Systeme der Verschachtelung, des Geschwungenen, die visionäre Züge tragen und aus den Wohnhäusern temperierte Zonen des Rückzugs schaffen. Als Hauptwerk gilt Haus Fallingwater in Pennsylvania, erbaut 1935. Dieses Wohnhaus bildet den Auftakt zu einer Vielzahl bemerkenswerter Bauten, die jeweils für sich im Überblick und im Detail, aber mit zu wenig Grundrissen, vorgestellt werden. Die Innenaufnahmen sind zu stimmungsvoll, aber vielleicht, wenn es um die Wahrnehmung der Bewohner geht, authentisch. Schon vor knapp einem Jahr ist, in gleich gelungener Aufmachung, bei DVA der Überblick über die öffentlichen Bauten erschienen – somit ordnet sich nach dem 50. Jahrestag des Guggenheim-Museums und dem 50. Todestag von Frank Lloyd Wright 2009 das Werk dieses großen amerikanischen Architekten. Schade ist nur, dass die frühen privaten Wohnhäuser inmitten dieser zweibändigen, fotografisch hervorragend dokumentierten Übersicht vollständig vergessen wurden. – Aber auch hier: Die Rolle der Fotografie für die Vermittlung der Architektur ist eminent und sie ist in ihren guten Beispielen sachlicher, freilich auch ausschließlicher als es der Sinn hervor-

ragender Malerei war. Und da wir nicht einfach durch Japan oder Amerika oder zu den großen Museen zwischen diesen Ländern reisen können, sind die genannten Monografien nicht nur hilfreich, sondern ein Segen.

Frank Lloyd Wright, Bauten für die Öffentlichkeit, Hg. A. Hess, A. Weintraub, 312 S. m. 400 Farbabb., geb. m. Schutzumschlag, 27,9 x 27,9 cm, DVA, 79,95 Euro

Die Anwendung von Intelligenz ist nicht so qualvoll, wie allgemein vermutetet wird. (Werner Schneyder)

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Der Abend kommt als Kubist Eine zeitgenössische Italienische Reise Hörstück für vier Sprechstimmen, Saxophon, Perkussion, Akkordeon und Improvisationsmalerei Gastspiel an den Wuppertaler Bühnen (Kleines Haus) in Kooperation mit Jazz-Age Wuppertal, gefördert durch die Stadtsparkasse Wuppertal Samstag, 3. Juli, Beginn:20.00 Uhr Schauspielhaus (Kleines Haus) Ein Mann, eine Frau. Eine Frau, ein Mann. Die älteste Geschichte der Welt. Zuweilen die schönste. Öfter die traurigste. Noch häufiger die schönste und die traurigste zugleich. Hier wird sie eingetaucht in das Licht Liguriens. Die italienischen Riviera und ihr hügeliges Hinterland bilden die Kulisse für eine abenteuerliche Reise in das je eigene und wahre Ich der beiden Protagonisten. Wirklichkeit und Einbildungskraft verschwimmen: Reiseimpressionen werden zu imaginierten Experimentalfilmen verdichtet, Personen erfunden, die uns so vertraut und bekannt vorkommen, als würden wir sie schon immer kennen: wie Enzo, den Kranführer, der seine Familie mit seinem kleinen Gehalt mühsam über Wasser hält, eine heimliche Geliebte hat und unheimliche Gedichte schreibt. Oder Joey, der Griot und Geschichtenerzähler aus dem Kongo, der das Kunststück fertig bringt, mitten im ligurischen Sommer Regenschirme (!) ohne Zahl an die Badegäste am Meer zu verkaufen. Zufällig am Wegesrand Beobachtetes wird zum Ausgangsmaterial für Gedichte und Reflexionen. Die zeitgenössische italienische Reise ist „Kino-im-Kopf“, ein literarischmusikalisches Roadmovie, das Atmosphäre und Stimmung Liguriens einfängt. Musik, Poesie und Philosophie verdichten sich zu einer Meditation über das Wesen von Zeit und Erinnerung: „Wir müssen im Dunkel unserer Vergessenheit die Geisterschiffe aufspüren, auf denen wir einst segelten. Nur wenn wir in die Vergangenheit schauen, können wir den Horizont unserer Zukunft erkennen.“ In dem Textkonzert schlüpfen Hans Richter (langjähriges Mitglied der Wuppertaler Bühnen) und die Kölner Schauspielerin Sabine Paas in die Rollen der modernen Italienrei-

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senden. In dem Monolog des „Geistes der Erzählung“ und in der Musik – Saxophon, großes Schlagwerk, afrikanische Trommeln und Akkordeon – wird die Landschaft Liguriens als „inneres Bühnenbild“ und Erfahrungsraum der Protagonisten lebendig. Text und Musik werden zu einem Sinn- und Klangraum verwoben, den die Jazz- und Improvisationsmusiker Dietrich Rauschtenberger (Saxophon, Schlagwerk, Perkussion), Ute Völker (Akkordeon) sowie der Trommler Maik Bash-shiti füllen. Die Wuppertaler Malerin und Bildhauerin Ulle Hees hat während der Proben, die in ihrem Atelier stattfanden, Bildsequenzen zu den Stationen der Reise entworfen, die während des Hörstücks als Bühnenbild(er) projiziert werden. Dabei addieren sich die von Hees entworfenen Glasaquarelle – jedes einzelne für sich ein autonomes Kunstwerk durch Projektion und Übereinanderlagerung zu einer Collage. Das letzte Bild schließt gleichnishaft – ähnlich wie das Leben selbst – die vorhergehenden Bilder als Schichten unserer Existenz mit ein. So werden im Dialog der Schauspieler, im Klang der Musik und im Kunstraum der Glasaquarelle die Landschaft Italiens als Spiegelbild der Seele präsent: Die Zeit wird flüssig, wenn die Sonne hinter die Hügel sinkt. Dann beginnt sich die sphärische Perspektive aufzulösen, die Landschaft wird zur Fläche. Die ineinander gewürfelten Häuser

am Hang scheinen in diesem späten Licht ineinander zu fließen: „Der Abend kommt als Kubist.“ Idee, Text und Konzeption: Heiner Bontrup Regie: Hans Richter Sprecher: Hans Richter, Sabine Pass, Dietrich Rauschtenberger, Claudio Li Mura, Heiner Bontrup Musik: Dietrich Rauschtenberger (Saxophon, Schlagwerk, Perkussion), Ute Völker (Akkordeon) Maik Bash-shiti (afrikanische Trommeln) Bühnenbild: Ulle Hees Der „Kubist“ ist nach „German Song“ (mit Wolfgang Schmidtke) und „Jazz unterm Hakenkreuz – die Ernst Höllerhagen-Story“ das dritte Hörstück des Wuppertaler Autors Heiner Bontrup. Im September 2009 wurde das Hörstück in Catania (Sizilien) im Rahmen des XVI. Else-Lasker-Schüler-Forums unter großem Beifall des Publikums im ältesten und schönsten Benedektiner-Kloster Europas (heute ist dort die Universität von Catania) uraufgeführt. Im Anschluss an die Inszenierung wird das gleichnamige Buch vorgestellt, das im Nordpark-Verlag erschienen ist. Redaktion

Ulle Hees: Der Kubist, 2009, Hinterglasmalerei


Kulturnotizen

Einem einführenden Essay von Georg Imdahl über die „Bilder des Ruhrgebiets“ folgt ein 150-seitiger, gerade durch seine Unkommentiertheit beeindruckender farbiger Tafelteil mit Abbildungen ausgewählter Exponate der Museen: Kunstmuseum Bochum, Kunstsammlungen der Ruhruniversität Bochum, Josef Albers Museum Quadrat Bottrop, Museum Ostwall Dortmund, Museum DKM Duisburg, Museum Küppersmühle Duisburg, Museum Folkwang Essen, Kunstmuseum Gelsenkirchen, Emil Schumacher Museum Hagen, Osthaus Museum Hagen, Gustav-Lübcke-Museum Hamm, Flottmann-Hallen Herne, Städt. Galerie Emschertal-Museum Herne, Skulpturenmuseum Glaskasten Marl, Kunstmuseum Mülheim Ruhr, Ludwiggalerie Schloß Oberhausen, Kunsthalle Recklinghausen, Zentrum für Lichtkunst Unna, Märkisches Museum Witten.

Peter Krämer WP/StB

Andreas Niemeyer WP/StB

Thomas Pintzke StB

Katrin Schoenian WP/StB

Dr. Jörg Steckhan RA/WP/StB

Peter Temmert WP/StB

Susanne Schäfer StB

Stephan Schmacks StB

VIEL MEHR ALS NUR STEUERN

Unternehmensberatung – Wirtschaftsprüfung – Steuerberatung – Personalvermittlung – Marketing

Der Band stellt 20 Museen der „Metropole Ruhr“ vor Unter dem Titel „RuhrKunstMuseen. Die Sammlung“ ist zum Kulturhauptstadtjahr RUHR.2010 der erste gemeinsame Sammlungsführer der 20 großen Kunstmuseen des Ruhrgebiets erschienen. Er ist Ausdruck der Gesamtidee eines neuen Netzwerks, mit dem die vielseitige Kunstlandschaft in der Summe der Sammlungen moderner Kunst sichtbar gemacht werden soll.

Glanzstücke Impressionistische Glanzstücke wie u.a. Max Liebermanns Selbstbildnis mit Küchenstilleben, Auguste Renoirs „Lise mit dem Sonnenschirm“, Auguste Rodins Portrait-Plastik „Rose Beuret“ und Henri Matisses Stilleben mit Affodillen eröffnen den Reigen mit Werken von Lehmbruck, Marc, Macke, Kirchner sowie Albers, Nolde, Richter, Stella, Schumacher, Höfer, Tinguely, Turrell, Picasso, Albers, Grieshaber, Klein, Piene, Giacometti, Kiefer, Seliger, Richter, Vostell, Long, Grützke, Maholy-Nagy, Uecker, Stella und vielen anderen mehr. Hinzu kommen Stücke der Antike, Kunst aus Ozeanien und Asiatica. Illustrierte Beschreibungen - wenn man so will Selbstportraits der beteiligten Museen - mit straffen Texten und Bildbeispielen aus Architektur und Sammlungen schließen sich an. So stellt z.B. Ursula Sinnreich das „Zentrum für Internationale Lichtkunst Unna“ vor, ein ungemein reizvolles und spannendes Haus, das ohne die Aufnahme in dieses Sammelwerk vielleicht nur wenigen Spezialisten bekannt geblieben wäre. Auch das Gustav-LübckeMuseum in Hamm mit seinen vielfältigen Sammlungen (allein die Design-Abteilung ist eine Perle), verdient einen Blick mehr. Ellen Schwinzer und Diana Lenz-Weber stellen die Sammlungen vor. Den ungeheuren Schatz des Duisburger Wilhelm Lehmbruck Museums mit seinem Skulpturenpark lernt man mit Christoph Brockhaus kennen und das über 100 Jahre alte, gediegene Geschmacksproben Die „Geschmacksproben“ des kompakten, handlichen Museumsführeres machen Appetit auf die intensive eigene Erforschung der vorgestellten Sammlungen. Zwar sind die Adressen artig angegeben, man findet also hin, doch wurde leider versäumt, die Internet-Seiten der Museen in die Texte einzufügen. Das sollte heute schon Standard sein. Dennoch: ein sehr empfehlenswerter Einstieg in die Museumswelt des Ruhrgebiets. Ruhr Kunst Museen - Die Sammlung © 2010 Hatje Cantz, 272 Seiten, 190 farbige Abbildungen mit alphabetischem Verzeichnis, Format: 22,5 x 16,5 cm, 19,- Euro. ISBN 978-3-7757-2617-7. Informationen unter: www.hatjecantz.de

RINKE TREUHAND GmbH Wirtschaftsprüfungs-/Steuerberatungsgesellschaft Wall 39 – 42103 Wuppertal – 0202 2496-0

Erster gemeinsamer Sammlungsführer der Ruhr Kunst Museen

Frank Becker

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Kulturnotizen Einstürzende Gedankengänge Eifel/Island-Krimi mit Rezepten von Ulrich Land Kripo Trier. Hauptkommissar Dollinger hat Probleme mit seinem Kopf. Ihn plagen nicht nur starke Schmerzen, immer öfter muss er feststellen, dass sein Gedächtnis ihn im Stich lässt. Während Dollinger hartnäckige Tagträume immer wieder nach Island zurückversetzen, wo er mit seiner Tochter alles andere als erfolgreich versuchte, den größten Gletscher zu bezwingen, kann er sich auf wichtige Details der jüngsten Vergangenheit beim besten Willen keinen Reim machen. Dafür schießen ihm jetzt neuerdings auch noch quälende Erinne-

285 Seiten, 14 Euro ISBN 978-3-938568-42-2 Oktober Verlag in der Reihe „Mord und Nachschlag“ Neuerscheinung: 25. März 2010. rungen aus seiner Kindheit messerscharf durchs Hirn. Eigentlich hat er also reichlich mit sich selbst zu tun, als ihm der Tod eines Kindes in die Quere kommt, das eingesperrt in einen Wohnhauskeller mitten in Trier jämmerlich verhungertist. Als kurz darauf die Mutter des Jungen brutal ermordet aufgefunden wird und sämtliche Indizien Dollinger selber zum Verdächtigen machen, da weiß er sich keinen anderen Rat mehr, als die Polizeipsychologin aufzusuchen. Die aber

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kann auch nicht verhindern, dass er vom Dienst suspendiert wird. Was Dollinger jedoch keineswegs davon abbringt, auf eigene Faust weiter zu recherchieren. Schließlich will er auch den geringsten Zweifel an seiner Unschuld aus der Welt schaffen – und vor allem seine Selbstzweifel. Die Polizeipsychologin allerdings erweist sich dabei als wenig hilfreich.

Donnerstag, 20. Mai 2010, 20.00 Uhr Swing | Michael Friedmann & Peter Berlau

Mittwoch, 02. Juni 2010, 20.00 Uhr Literarischer Abend | Michael van Ahlen & Peter Nickel

Ulrich Land, geboren 1956 in Köln, lebt und schreibt in Hattingen. Sein Romandebüt »Der Letzte macht das Licht aus« erschien 2008 im Oktober Verlag. Er ist Verfasser von Lyrik, Prosa, Essays, 40 Hörspielen und über 60 Radiofeatures. Außerdem war er langjähriger Moderator der WDR EinsLive-Hörspiele. Mit Vorliebe lotet er die Ränder des süßen Grauens aus. Krisen und Katastrophen, Süchte und Sehnsüchte: das ist der Stoff, aus dem seine Tinte ist.

Donnerstag, 03. Juni 2010, 20.00 Uhr Gesangsabend | Claudia Duschner & Juriko Akimoto

Donnerstag, 17. Juni 2010, 20.00 Uhr Jazz | Spirit of Louis Armstrong Trio

Ruth Eising

Konzerte im Landhotel Jammertal Im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 hat das Landhotel Jammertal in Datteln das Kulturangebot deutlich erweitert – auch auf internationaler Ebene. Von Jazz und Swing, von Flamenco und Klassik bis hin zur Lesungen bietet die Wellness-Oase mitten im Grünen allen Freunden der gehobenen Unterhaltung ganz besondere Leckerbissen an.

Landhotel Jammertal Familie Schnieder · Naturpark Haard Redder Straße 421 · 45711 Datteln - Ahsen Tel.0 23 63 - 3 77 0 · Fax 377 100 info@jammertal.de · www.jammertal.de


Klangart im Skulpturenpark Waldfrieden

Den Liebhaber dieser Musikreihe ein wohl temperiert zusammengestelltes Programm im Spannungsfeld von zeitgenössischen Jazz, frei improvisierter Musik und Weltmusik auf internationalem Niveau: Sonntag, 30. Mai 2010, 18 Uhr Limpe Fuchs & Zoro Babel Samstag, 19. Juni 2010, 19 Uhr Savina Yannatou & Primavera en Salonico

Dichtung und Musik am Haspel und im Schauspielhaus ein. Am Samstag, 5. Juni, spielt sich alles am Haspel ab. In den Räumen des Literaturhauses und im Hof steigt ein Lesemarathon bis spät in die Sommernacht. Auch für Speisen und Getränke ist natürlich gesorgt. Los geht’s um 14 Uhr mit dem Kinderprogramm. Der bekannte Illustrator Wolf Erlbruch zeichnet, Hermann Schulz und andere Autoren lesen. Ab 16 Uhr tragen Wuppertaler Schriftsteller Lyrik und Prosa vor, u.a. sind Karl Otto Mühl und Michael Zeller dabei. Für Musik sorgen Künstlerinnen der GEDOK. Ab 21.30 Uhr folgt ein Poetry Slam, anschließend tritt Wortakrobat Mitch Heinrich auf.

Sonntag, 20. Juni 2010, 18 Uhr TRIBUT TO CHARLIE MARIANO Bobby Stern, Philip Catherine, Jasper van’t Hof, Dieter Ilg, Aldo Romano Sonntag, 4. Juli 2010, 18 Uhr DEVIL QUARTET Paolo Fresu, Bebo Ferra, Paolino Dalla Porta, Stefano Bagnoli Klangart im Skulpturenpark Waldfrieden Hirschstraße 12, 42285 Wuppertal Telefon 0202-3172989 www.skulpturenpark-waldfrieden.de

Litheraturhaus Wuppertal e.V. Ein Fest für die Dichtung: Leselust von früh bis spät Das Literaturhaus Wuppertal feiert seine zehnjährige Präsenz am Haspel Eine lebendige Literaturszene in der Stadt – dafür macht sich das Literaturhaus Wuppertal stark. Der Verein organisiert Lesungen, Themenabende, Konzerte mit Literatur und vieles mehr. Seit April 2000 ist das Literaturhaus in einem der Haspel-Häuser an der Friedrich-EngelsAllee 83 zu Hause. Ein solches Jubiläum ist ein Grund zu feiern. Am 5. und 6. Juni heißt es daher „Leselust von früh bis spät“. Das Literaturhaus lädt in Kooperation mit den Wuppertaler Bühnen zu einem vielfältigen Programm mit

Wolf Erlbruch

Ingeborg Wolff

Am Sonntag, 6. Juni, geht es von 11 bis etwa 14 Uhr im Schauspielhaus weiter. Wer möchte, kann mit einem Frühstück dort beginnen. Bekannte Schauspieler wie Ingeborg Wolff, Barbara Nüsse und Edgar M. Böhlke lesen Theatertexte. Studentinnen der Musikhochschule Wuppertal gestalten die Musik dazu. Literaturhaus Wuppertal e.V. Friedrich-Engels-Allee 83 42285 Wuppertal Telefon: +49 (0) 202 8 02 32 Telefax: +49 (0) 202 8 992 76 E-Mail: info@literaturhaus-wuppertal.de www.literaturhaus-wuppertal.de

Neuer Kunstverein Wuppertal „Wir laden ein...“ heisst die erste Ausstellung des neuen Kunstvereins Wuppertal und insgesamt 350 Besucherinnen und Besucher füllten über Stunden den Raum im Kolkmannhaus in der Hofaue um die Taufe zu feiern. Die Mitglieder haben hierzu Künstler aus Deutschland, Österreich, Belgien und Frankreich eingeladen

und zeigen zum Auftakt ein vielfältiges Bild zeitgenössischer Kunst. Dazu gehören Armin Bremicker, Ralf Edelmann, Johannes Jensen, Katharina Kern, Peter Mönnig, Virginie Mossé, Laurent Tchedry und Uwe Wölcke. Das Spektrum ist weit gefasst und reicht von dokumentarischen Fortografien über Malerei und Skulptur bis hin zur Installation. Zudem wurde das Eröffnungsprogramm durch Ralf Landfermann, Daniel Schmitt und die Mitglieder begleitet.

Insofern ist die erste Ausstellung auch ein spannender Aufschlag für die zukünftige Entwicklung. Ziel des Vereins ist es ein Forum zu schaffen, Diskussionen zu ermöglichen, und damit dem kulturellen Leben in der Stadt neue Impulse zu geben, auch um Wuppertal als interessanten Kunststandort überregional bekannt zu machen. Geplant sind unterschiedlichste Themen- und Gruppenausstellungen sowie ein umfangreiches Veranstaltungsangebot.

Die aktuelle Show ist noch bis 13.6. zu sehen, Ende Juni folgt dann eine Einzelausstellung des Berliner Videokünstlers Ralf Küster. „Wir laden ein...“, bis 13.6.2010, Neuer Kunstverein Wuppertal, Hofaue 51 (Kolkmannhaus), 42103 Wuppertal, Öffz.: Mi-Fr 17-20, Sa+So 15-18 Uhr, Informationen unter: info@neuer-kunstverein-wuppertal.de oder 0202/2954076 (E. Schönenberg)

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Kulturnotizen „Vorwärts, und nicht vergessen…“ Fluchtpunkt Solidarität „Auf ihr Völker dieser Erde, einigt euch in diesem Sinn: daß sie jetzt die eure werde und die große Nährerin. Vorwärts, und nicht vergessen...“

Zerschossener Wald bei Verdun 1916 © Adolf Erbslöh / VG Bild-Kunst, Bonn 2010

Das Solidaritätslied entstand 1931 vor der Errichtung der faschistischen Hitlerdiktatur. Text: Bert Brecht, vertont von Hanns Eisler Heine-Kunst-Kiosk 01.05. – 30.06.2010 Wuppertal, Wichlinghauser Straße 29a Barbara Held – Tel 0202-475098 Boris Meißner – Tel 02191-73162 Erweiterungsgebäude KUBUS in der Ruine von Haus Weitmar (Red.)

Zweiten Weltkrieg zerstörten Haus Weitmar errichtet. Der Kubus bietet auf einer Fläche von etwa 1.200 m2 (verteilt auf vier Geschosse) u.a. Raum für Wechselausstellungen. Anläßlich der Eröffnung zeigt die Stiftung Situation Kunst dort bis November 2010 die zweiteilige Ausstellung Weltsichten. Landschaft in der Kunst seit dem 17. Jahrhundert.

präsentiert das Osthaus Museum als erstes Museum in Europa. Insgesamt sind 195 Werke der Malerei und Bildhauerei von 1950 bis heute aus der Sammlung Huma Kabakci zu sehen. Die bedeutende Sammlung umfaßt zudem ein großes Konvolut von Fotografien des international hoch geachteten türkisch-armenischen Magnum-Fotografen Ara Güler. In Hagen zeigt eine Auswahl seiner Stadtansichten Momente alltäglicher Schönheit zwischen Dynamik und Wehmut. Ein Katalog zur Ausstellung mit allen gezeigten Werken wird in der Edition Braus erscheinen. Die Ausstellung ist dienstags bis freitags von 10 bis 17 Uhr sowie samstags und sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Internet: www.osthausmuseum.de Alexej von Jawlensky und Josef Albers: Farbe. Abstraktion. Serie

Stiftung Situation Kunst Nevelstr. 29c/Schloßstr. 13 D-44795 Bochum www.situation-kunst.de Osthaus Museum Hagen zeigt Ausstellung über Istanbul

Kubus: Foto © Heide von Berswordt-Wallrabe

Bochum. Situation Kunst ist ein museales Ensemble im Park von Haus Weitmar in Bochum und Teil der Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum. Die Sammlungen umfassen Werke der internationalen Gegenwartskunst sowie alte afrikanische und asiatische Kunst; sie dienen zum einen verschiedenen Fakultäten der Ruhr-Universität als Lehrsammlungen und sind zum anderen der Öffentlichkeit an mindestens zwanzig Stunden pro Woche unentgeltlich zugänglich. Die Stiftung Situation Kunst hat aktuell ein multifunktionales Erweiterungsgebäude „Kubus“ nach den Plänen der Architekten Pfeiffer, Ellermann und Preckel aus Münster in der Ruine des im

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Die Sammlung Huma Kabakci ist im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms Ruhr.2010 bis zum 25. Juli zu sehen Hagen - „Istanbul. Sammlung Huma Kabakci“ ist der Titel einer Ausstellung im Hagener Museum Osthaus im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms Ruhr.2010. In Istanbul - ebenfalls Kulturhauptstadt Europas im laufenden Jahr - hat sich eine junge Kunstszene etabliert, die ebenso aufregend ist wie Paris, Berlin oder New York. 60 Jahre Kunst in Istanbul - nicht nur als Rückblick, sondern auch mit besonderem Augenmerk auf zeitgenössische Kunst

Alexej von Jawlensky Abstrakter Kopf Schicksal - © VG Bild-Kunst

Josef Albers Museum Bottrop 16. Mai – 29. August 2010 Die Ausstellung Alexej von Jawlensky und Josef Albers Farbe. Abstraktion. Serie ist ein seltenes Gipfeltreffen, bei dem sich zwei weithin bekannte Künstler begegnen, deren Gemeinsamkeiten bisher noch nicht wirklich entdeckt worden sind. Obwohl es in den Arbeiten von Josef Albers keinerlei Verweis auf Gegenständliches gibt, setzt die Farbe in ihrer eigenen Dynamik die gemeinsame Klammer zu Alexej von Jawlensky. Erstmals werden


In eigener Sache

Josef Albers - Variant Adobe 1976 - © The Josef and Anni Albert Foundation/VG Bild-Kunst

diese beiden Künstler gemeinsam im Josef Albers Museum in Bottrop gezeigt. Dabei werden etwa 50 Werke von Josef Albers mit ebenso vielen Gemälden von Alexej von Jawlensky präsentiert. Weitere Informationen unter: www.bottrop.de Fotoausstellung mit „Bildern der Arbeit“ in Dortmund

„Bilder der Arbeit - Fotografien aus Europa“ lautet der Titel einer Präsentation in der Deutschen Arbeitsschutzausstellung (DASA) in Dortmund, die ab dem 13. Juni zu sehen sein wird. Fotobegeisterte aus ganz Europa hatten sich im vergangenen Jahr an einem Wettbewerb der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz beteiligt und ihre Bilder eingesandt, hieß es in einer Ankündigung. Aus den insgesamt 1.700 eingesandten Arbeiten zum Motto „Wie sieht Arbeitsschutz für Dich aus?“ zeigt die bis zum 26. September laufende Ausstellung die besten 50 Einsendungen. Sie vermitteln nach Angaben der Veranstalter einen Eindruck vom Verständnis des „Normal-Bürgers“ zu den vermeintlich trockenen Themen Sicherheit und Unfallverhütung. Die Bilder zeigen Humor, Einfachheit und Unschuld, manchmal begleitet von einem Hauch Spannung oder sogar Provokation. Internet: www.dasa-dortmund.de

Das vierte Heft des noch jungen Magazins „Die Beste Zeit“ liegt nun vor denen unter unseren Lesern, die von Anfang an dabei waren und macht jene hoffentlich neugierig, die erst jetzt auf unser Magazin für Lebensart aufmerksam werden. Dass wir es bis hierher geschafft haben und von Heft zu Heft den Standard halten und verbessern konnten, den wir Ihnen regelmäßig anbieten möchten – auf lange Sicht ist ein Rhythmus von fünf bis sechs Heften pro Jahr ins Auge gefasst – verdanken wir dem Engagement Vieler. Autoren, Fotografen und Künstler unterstützen uns mit ihren Arbeiten, Fachleute haben guten Rat gegeben, Leser mit ihren Anregungen wertvolle Beiträge geleistet. Dafür sind wir sehr dankbar. Nachdem wir „Die Beste Zeit“ während der Einführungsphase und derzeit noch zum Kennenlernen an Fixpunkten der regionalen Kultur kostenlos auslegen – auch hierfür sind wir den sehr aufgeschlossenen Partnern verpflichtet – dürfen wir nicht die Wirtschaftlichkeit unserer Idee aus den Augen verlieren. „Die Beste Zeit“ soll, sobald das Vertriebssystem installiert ist, an vielen Verkaufsstellen zum erschwinglichen Preis von 3,50 Euro zu haben sein. Um diesen Preis halten zu können, brauchen wir zum einen Abonnenten, also Sie, liebe Leser. Das Magazin könnte regelmäßig in Ihrem Briefkasten liegen. Dafür sorgen wir. Zum anderen sind wir zur Finanzierung des Projekts auf Partner angewiesen, die uns mit Ihren Inseraten unterstützen. In einer so schönen Umgebung, wie sie „Die Beste Zeit“ mit ihren Berichten aus Kunst und Musik, Literatur und Lebensart, Theater und Tanz (und vielem mehr) bietet, ist jede Annonce gut aufgehoben und erreicht genau die Kunden, die Sie als Inserenten ansprechen möchten. Seien Sie bei „Die Beste Zeit“ mit am Puls der Kultur: als Leserin und Leser, als Abonnent, Anzeigenkunde und Partner. Wir arbeiten für Sie und freuen uns, wenn Sie dabei sind. HansPeter Nacke & Frank Becker

Die Beste Zeit – Das Magazin für Lebensart Druckservice HP Nacke KG Mediapartner - Druck - Verlag Friedrich-Engels-Allee 122 D-42285 Wuppertal

Telefon 02 02 - 28 10 40 Fax 02 02 - 8 31 67 www.diebestezeit.net verlag@hpnackekg.de

Abonieren Sie „Die Beste Zeit“ unter: www.diebestezeit.net - Abonnement

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