Die Beste Zeit Ausgabe 5

Page 1

DIE BESTE ZEIT Das Magazin für Lebensart Wuppertal und Bergisches Land

Licht fangen Pierre Bonnard Von der Heydt-Museum Wuppertal Karl Heinz Steckelings

August/September 2010 - 3,50 Euro

Der glücklichste Mensch A. Steffens Portrait des Sammlers

Zweimal „Tod in Florenz“ Opernhaus Wuppertal

Ein Mond für die Beladenen Da ist Musik drin Hochschule für Musik und Tanz Schauspielhaus Bochum

Von Wuppertal in die Welt Bodo Berheide: Die Figura magica

Karl Otto Mühl Eine amüsante Erzählung

Neue Kunstbücher Vorgestellt von Thomas Hirsch

Eleni - von Kai Schubert Wuppertaler Bühnen

Japan in einem Atemzug Michael Zeller

Kulturnotizen von Frank Becker und Andreas Rehnolt

1


Spielzeit 2010/2011

WUPPERTAL SPIELT!

START IN DIE SAISON

ERÖFFNUNGSPREMIEREN

11. September 2010 14:00 Uhr //// AM SCHAUSPIELHAUS

Ab 18. September 2010 //// KLEINES SCHAUSPIELHAUS MACBETH Tragödie von William Shakespeare

Gratis, drinnen und draußen.

Ab 19. September 2010 //// OPERNHAUS LA BOHÈME Oper von Giacomo Puccini

THEATERFAMILIENFEST

20:00 Uhr //// HISTORISCHE STADTHALLE OPERNGALA*

Ab 1. Oktober 2010 //// OPERNHAUS DER KIRSCHGARTEN

22:00 Uhr //// KLEINES SCHAUSPIELHAUS ERÖFFNUNGSPARTY*

Komödie von Anton Tschechow

* Bitte Tickets reservieren Jetzt das Spielzeitbuch anfordern: info@wuppertaler-buehnen.de

WUPPERTALER BÜHNEN

Oper //// Schauspiel

wuppertaler-buehnen.de

TICKET-HOTLINE (0202) 569 44 44

Impressum „Die beste Zeit“ erscheint in Wuppertal und im Bergischen Land Auflage 4.000 Exemplare Erscheinungsweise: 5 mal pro Jahr Verlag HP Nacke KG - Die beste Zeit Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal Telefon 02 02 - 28 10 40 E-Mail: verlag@hpnackekg.de V. i. S. d. P.: HansPeter Nacke und Frank Becker

Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt. Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser Beiträge zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich. Umschlagabbildung: Pierre Bonnard, Die weiße Tischdecke, Von der Heydt-Museum © VG Bild-Kunst, Bonn 2010

Kürzungen bzw Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann keine Gewähr übernommen werden. Nachdruck – auch auszugsweise – von Beiträgen innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder Unterlassungen keine Haftung übernommen.

Ein Künstler wird im Gegensatz zum Dichter oder Musiker zum Marktobjekt gemacht. Und es ist nicht sehr befriedigend zu wissen, dass ein Bild, das eigentlich ein geistiges Konzentrat ist, als Wertobjekt gehandelt wird. [Anselm Kiefer]


Editorial Liebe Leserinnen, liebe Leser, in den Iden des Juli ein Editorial zu schreiben, ist mit den Füßen im Wasser ein Vergnügen. Allzu leicht ersetzt sonst in diesen Sommertagen die Transpiration die Inspiration. Mit dem Einläuten der Sommerpause gilt für die Diskussion um die Zukunft der Wuppertaler Bühnen Marcel Reich-Ranickis Lieblingszitat: „ ... Und so sehen wir betroffen/Den Vorhang zu und alle Fragen offen“ (Der gute Mensch von Sezuan). Spätestens mit Beginn der neuen, ambitionierten Spielzeit der Bühnen am 2. September­ wochenende wird die notwendige Diskussion über das vorliegende Actori-Gutachten wieder an Fahrt gewinnen. Ausgehend von der Fragestellung des Aufsichtsrates der Wuppertaler Bühnen: „Wieviel Theater kann sich Wuppertal zukünftig für einen jährlichen Zuschuss von 8,38 Mio. Euro leisten?“, haben die Münchner Kulturconsulter drei rechnerisch mögliche Szenarien entwickelt: Erhalt beider Sparten auf niedrigstem Niveau oder Konzentration auf Sprech- oder Musiktheater, verbunden mit der Darstellung der Möglichkeit von Kompensation für den Verlust der jeweiligen Sparte. Im Januar wird zudem das Ergebnis einer Untersuchung der Zusammenarbeit im Bereich Theater & Konzerte im Bergischen Städtedreieck vorliegen, welches vom Land mit 90 % bezuschusst wird. Die neue Landesregierung will die Sicherung der kommunalen Theater- und Orchesterlandschaft gleichfalls unterstützen und prüfen „... inwieweit und auf welchem Wege dazu die Erhöhung des Landesanteils möglich und notwendig ist.“ Dabei möchte man „strukturelle Erneuerungen und sinnvolle Kooperationen“ unterstützen. Die gleichfalls bedrohte Theaterlandschaft des Ruhrgebiets beabsichtigt zunächst mit einer Potentialanalyse seiner Theater in die neue Spielzeit zu starten, um bei Erhalt der kulturellen Vielfalt Möglichkeiten der Zusammenarbeit auszuloten, was ich sehr aufmerksam verfolge. Die Wuppertaler Kulturverwaltung wird im Herbst durch ein entsprechendes Diskussions­ angebot den Versuch unternehmen, der Theaterdiskussion im Tal Struktur zu geben. Jenseits der Bühne ist die Wuppertaler Kulturszene dank einer Entscheidung der Politik, die gesetzten Finanzziele in Teilen nicht durch Kürzungen, sondern eine Verbesserung der Einnahmesituation zu erreichen, bis auf weiteres gut davongekommen. Im Gegensatz zu anderen Städten gibt es keine Einschränkungen des Bibliotheksangebotes und eine Förderung der freien Kulturszene wird in unveränderter Höhe fortgesetzt. Außerdem wird im Herbst eine auf Wuppertaler Anregung in Auftrag gegebene Bestands­ analyse zum Thema Kultur-und Kreativwirtschaft im Bergischen Städtedreieck der Bergischen Entwicklungsagentur vorgelegt werden können, worüber ich sehr froh bin. Erstmals wird dann qualitativ und quantitativ Klarheit darüber herrschen, welchen Stellenwert die Kreativen im bergischen Wirtschaftsleben einnehmen. Wer seine Stärken stärken möchte, muss sie auch kennen und auch die IHK begrüßt eine solche, überfällige Potentialanalyse. Salomon Bausch zeichnet für das kürzlich öffentlich vorgelegte Konzept der Pina Bausch Stiftung Pina lädt ein - Ein Archiv als Zukunftswerkstatt verantwortlich, welches von der Stadtverwaltung uneingeschränkt unterstützt wird. Ich bin zuversichtlich, dass es gelingen kann die Gespräche zwischen Land, Bundeskulturstiftung und Stadt Wuppertal zu einem guten Abschluss zu führen, auch wenn wir zur Verwirklichung dieses Zukunftsprojektes zwingend auf die großherzige Unterstützung Dritter einmal mehr angewiesen sein werden. Freuen Sie sich zunächst auf den Herbst mit Bühnen & Orchester, die Bonnard - Ausstellung im Von der Heydt-Museum ab dem 14. 09. und die Ausstellung Licht fangen im Historischen Zentrum zur Geschichte der Photographie im 19. Jhdt. aus der Wuppertaler Sammlung K. W. Steckelings, der bedeutensten ihrer Art in Deutschland. Ihnen wünsche ich einstweilen eine erholsame Sommerfrische und viel Vergnügen bei der Lektüre von HP Nackes und Frank Beckers Die beste Zeit – es lohnt sich. Ihr Matthias Nocke Beigeordneter der Stadt Wuppertal 3


Barbara Neusel-Munkenbeck und die Urne “moi“

1/8

Keine Angst vor Berührung In den schwersten Stunden lassen wir Sie nicht allein.

seit 1813

Alles hat seine Zeit. Berliner Straße 49 + 52-54 · 42275 Wuppertal · www.neusel-bestattungen.de Tag RL_Anz_NL_A4_01.indd 1

4

und Nacht 66 36 74 19.03.2009 12:50:56 Uhr


Inhalt Heft 5 August/September 2010

Pierre Bonnard – Magier der Farbe

Der glücklichste Mensch

Von der Heydt-Museum, Wuppertal von Beate Eickhoff

Andreas Steffens Portrait des Sammlers

Seite 6

Zweimal „Tod in Florenz“

Da ist Musik drin

„Eine florentinische Tragödie“ 
und „Gianni Schicchi“. Opernhaus Wuppertal

Begegnungen in der Hochschule für Musik und Tanz Köln Standort Wuppertal von Marlene Baum

Seite 14

Von Wuppertal in die Welt Bodo Berheide: Die Figura magica von Susanne Buckelsfeld

Licht fangen Karl Heinz Steckelings: Filme­macher, Photograph und Sammler von Heiner Bontrup

Seite 18

Vorgestellt von Thomas Hirsch

Seite 50

Kulturnotizen von Frank Becker und Andreas Rehnolt Seite 23

Seite 26

Seite 28

Japan in einem Atemzug Michael Zeller - Siebzehn Silben sind so lang wie ein Atemzug

Seite 49

Seite 21

Was Bodos Frau zum Geruch... ... von Fräulein Tückmantel sagte Eine amüsante Erzählung von Karl Otto Mühl

Sinfonieorchester Wuppertal von Antje Riewe

Neue Kunstbücher

Von der Unmöglichkeit der Liebe Eugene O‘Neills „Ein Mond für die Beladenen“ Schauspielhaus Bochum

Seite 45

Nicht nur der offizielle Dienst…

Griechisch und ernst und doch keine Tragödie „Eleni“ - von Kai Schubert Wuppertaler Bühnen

Seite 41

Seite 31

Seite 52


Pierre Bonnard – Magier der Farbe 14. September 2010 – 30. Januar 2011 Von der Heydt-Museum, Wuppertal

Das Abenteuer der modernen Kunst begann mit den Impressionisten. Und schon die Malergeneration, die auf Monet, Renoir und Sisley folgte, machte sich an die Überwindung jenes heftig umstrittenen Malstils, der vielen als zu flüchtig, zu ephemer, zu modisch galt. Auch für Pierre Bonnard war die Wiedergabe der Wirkung des Lichtes oberstes Gebot, doch suchte er – ähnlich wie die Pointillisten – nach einer Malerei, die Bestand haben sollte und unabhängig war von Willkür und Zufall, welche die Erscheinung der Dinge und Menschen in der Realität bestimmen. Das Von der Heydt-Museum Wuppertal widmet diesem „Magier der Farbe“ jetzt eine große Ausstellung, die alle Perioden seines außergewöhnlich reichen Schaffens umfasst und Verbindungslinien zieht zu seinen Künstlerfreunden, zu seinen Vorbildern und zu Künstlern, die von Bonnards Werk beeinflusst waren. Anhand von mehr als 180 Gemälden, Zeichnungen, Graphiken und Photographien werden Bonnards umfangreiches Œuvre und die Stationen seines Werdegangs vorgeführt. Pierre Bonnard (1867-1947) begann seine Karriere zunächst, dem Willen seines Vaters folgend, mit einem Jurastudium, das er 1888 bereits abschloss. Gleichzeitig schrieb er sich an der Académie Julian ein, wo er den Malern Paul Sérusier, Maurice Denis, Gabriel Ibels und Paul Ranson begegnete. Im Jahre 1889 erhielt er die Zulassung für den Besuch der Ecole des Beaux-Arts, wo er Edouard Vuillard traf. Mit Denis und Vuillard teilte er sich 1891 ein Atelier.

Die Dämmerung am Uhlenhorster Fährhaus, Hamburg / Abend am Ufer, 1913, Öl auf Holz, 50 x 65,5 cm, Hamburger Kunsthalle, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2010

6


Der rote Morgenmantel, Le peignoir rouge, 1914, テ僕 auf Leinwand, 63 x 48 cm, Privatsammlung New York, ツゥ VG Bild-Kunst, Bonn 2010

7


Pierre Bonnard – Magier der Farbe Van Gogh, Cézanne und Monet studierte er, der japanische Holzschnitt – wegen der beeindruckenden Vereinfachung der Linie und dem gewagten Gebrauch heller Farben – faszinierte ihn. Gauguin aber war derjenige, der in seinem Freundeskreis den größten Eindruck hinterließ. Mit Anfang zwanzig (1888) war er Mitbegründer einer Künstlergruppe, die sich Nabis nannte, nach dem hebräischen Wort für „Propheten, Erleuchtete“. „Als meine Freunde und ich die Untersuchungen der Impressionisten verfolgten und versuchen wollten, sie weiterzuentwickeln, strebten wir danach, ihre naturalistischen Farb­ eindrücke zu überwinden. Die Kunst ist doch nicht die Natur! Wir gingen strenger mit der Komposition um. Außerdem konnte man noch viel mehr aus der Farbe als Ausdrucksmittel herausholen …“, sagte Bonnard 1937. Gemeinsam war diesen Malern, dass sie das Bild als eine Fläche begriffen, die mit Farben in bestimmten Anordnungen bedeckt ist. Unter dem Einfluss Gauguins bevorzugten sie leuch­ tende Farbpartien in hart gegeneinander gesetzten, oft durch Linien abgetrennten Flächen. Der lineare Stil, den die Nabis pflegten, aber auch ihre Hinwendung zu grafischen Techniken, legt eine Verwandtschaft zu den sich gleichzeitig entwickelnden Richtungen von Art Nouveau und Symbolismus nahe. Den Malern Maurice Denis, Paul Sérusier und Jan Verkade ging es nicht allein um eine Verfestigung des impressionistischen Malstils. Mit den mythologischen und religiösen Motiven, die sie aufnahmen, hatte auch das Sujet bei ihnen eine neue Bedeutung. Bonnard dagegen beobachtet das moderne Leben: Straßenszenen in Paris oder Frauen und Kinder im häuslichen Umfeld. Eine Figur tritt in den Bildern dieser Zeit immer wieder auf, Misia Natanson, die Muse der Nabis, so zum Beispiel in fast fotografischer Nahaufnahme beim Frühstück mit Kindern. Während die Nabis zwischen 1891 und 1899 ihre größten Erfolge hatten, trennte Bonnard sich frühzeitig von ihnen. 1891 stellt er im „Salon des Indépendants“ mit fünf Gemälden aus, 1896 fand seine erste Einzelausstellung in der Galerie DurandRuel statt. Bonnard, der alle Aufträge von der Zeitschriftenillustration über Einbände bis hin zu Theaterdekorationen

8

übernahm, schuf zudem ein umfangreiches druckgrafisches Werk. Berühmt wurden seine Farblithografien. Sein Plakat «France-Champagne» brachte ihm 1891 den großen Erfolg ein, der ausschlaggebend dafür war, dass er seine Laufbahn als Jurist vollends aufgab. Der Maler wohnte zunächst am Montmartre, mit Toulouse-Lautrec stand er in Kontakt. Toulouse-Lautrec und Bonnard, das ist Frankreich zur Zeit der Jahrhundertwende, wobei letzterer das bürgerliche Leben eher in privaten, geradezu intimen Szenen spiegelt. Und seinem großen Malerkollegen Auguste Renoir ähnlich, beschäftigten Bonnard zunehmend eher die zeitlosen Themen: die Landschaft und der weibliche Akt. 1911 kaufte er ein Haus an der Seine, in der Nähe von Giverny, wo Monet lebte. Nicht mehr die Stadt, sondern idyllische Szenen, beschauliche Blumengärten, Segelboote, Akte und Interieurs bevorzugte er nun. Auch das Selbstporträt spielte eine große Rolle. Bekannt ist seine Serie der BadezimmerStücke. Modell war in der Regel seine Frau Marthe, die er bereits 1893 kennen lernte. In den Bildern mit Wanne, Wasser, Tuch und Spiegel erscheint die Badende hell und frisch, in geklärter Atmosphäre und mit kühler Distanz betrachtet. Voyeurismus und weibliche Attraktivität sind nicht sein Thema. Bonnards Innenraumszenen strahlen mehr Ruhe als Leidenschaft aus. Deutlich wird, dass es ihm um die Malerei ging, darum „nicht das Leben abzubilden, sondern die Malerei lebendig werden zu lassen“. Die Betonung liegt bei seinen Bildern auf einem sinnlichen Effekt, der sich ganz auf das Visuelle konzentriert. Seit 1899 reiste Bonnard viel, zumeist mit Vuillard nach England, Belgien, Holland, Spanien und Italien, nach Algerien und Tunesien. Häufig hielt er sich in Südfrankreich auf. 1926 wurde er Mitglied der Carnegie-Jury und er besuchte Pittsburgh, Philadelphia, Washington, New York und Chicago. Ebenfalls 1926, nach zahlreichen Aufenthalten im Süden Frankreichs, kaufte Pierre Bonnard ein kleines Haus in Le Cannet bei Cannes, das er „Le Bosquet“ [Das Wäldchen] nannte. Von 1939 an lebte er dort zurückgezogen bis zu seinem Tode 1947. Die Retrospektive im Von der Heydt-

Plakat für „France-Champagne“ France-Champagne, 1891 Lithografie, 78 x 50 cm Bibliothèque nationale de France © VG Bild-Kunst, Bonn 2010

Die kleine Wäscherin, 1896 Farblithografie, 29,7 x 19,7 cm Szépmüvészeti Múzeum, Budapest © VG Bild-Kunst, Bonn 2010


Der Schleppkahn, um 1892, テ僕 auf Leinwand, 26,5 x 19 cm, Privatsammlung, ツゥ VG Bild-Kunst, Bonn 2010 9


Stehender Akt, Rückenansicht Nu debout vu de dos, 1913 Öl auf Leinwand, 80 x 51 cm, Privatbesitz © VG Bild-Kunst, Bonn 2010

Die weiße Tischdecke (Das Esszimmer), Öl auf Leinwand, 100 x 109 cm Von der Heydt-Museum, Wuppertal © VG Bild-Kunst, Bonn 2010

10


11


Badende am Ende des Tages - Baigneurs à la fin du jour, 1945-1946, Öl auf Leinwand, 48,5 x 59,5 cm, Fotonachweis: Musée Bonnard, Le Cannet, Georges Auclaire, Privatbesitz, © VG Bild-Kunst, Bonn 2010 Museum setzt ein mit den Werken großer Vorbilder, Bonnards Interesse an der zeitgenössischen Amateurfotografie und am japanischen Farbholzschnitt. Der Paravent „Promenade des nourrices, frise des fiacres“ (1899), den als Leihgabe nach Wuppertal zu holen ein großes Glück ist, zeigt seine Begeisterung für die japanische Kunst. Bonnard verbindet traditionelles Kunstgewerbe mit Motiven aus dem modernen Pariser Leben. Zu den großen Formaten der Ausstellung gehört ein demselben Themenkreis entstammendes Bild, das aus Besançon kommende, große Gemälde „Place de Clichy“. Anschaulich vorgeführt wird zugleich, dass Bonnard erstaunlich unabhängig und innovativ auf dem Gebiet von Farbe und Perspektive war. Als einer der ersten Maler benutzte er reine Farben, die er flächig auftrug und Formen, die er in arabeskenWandschirm: Spaziergang der Ammen, Fiakerfries, 1897, 4 Farblithografien im artigen Linien erfaßte. Im Bild der „Der Fünffarbendruck, je 143 x 46 cm, Privatbesitz, © VG Bild-Kunst, Bonn 2010 rote Morgenmantel“ (1914, Privatsamm-

12


lung New York) ist die Figur zweidimensional und abstrahierend vereinfacht in die Bildfläche eingepasst. Ornament und gemusterte Fläche verdrängen jede Individualisierung der Person. Kennzeichnend für Bonnards Kompositionen ist die „bewegliche Perspektive“ in fast kubistischer Manier. Indem er die Zentralperspektive aufgibt, schafft er verwirrende Einblicke in Räume. Motive wie Tische oder Wannen werden unvermittelt und unharmonisch vom Bildrand überschnitten. Die unpathetische Neutralität, mit der Bonnard alles vor uns ausbreitet, ohne durch die Perspektive zu hierarchisieren, fordert vom Betrachter ganze Konzentration auf ein simultanes Sehen. Ein wunderbares Beispiel für Bonnards unkonventionellen Umgang mit Farbe und Perspektive ist auch das Wuppertaler Bild „Die weiße Tischdecke (Das Esszimmer)“ (1925). Bonnard setzt hier keine illusionistischen Mittel ein, vom gegenständlichen und technischen her liegt alles in größter Einfachheit vor uns, mit einer beeindruckenden sinnlichen Präsenz. Paris, die Normandie, Bonnards Garten, die Seine, Stillleben und Tischszenen, der Süden und das Meer – die Ausstellung ist chronologisch und zugleich thematisch geordnet. Die Entwicklung des „Magiers der Farbe“ ist nachvollziehbar, auch wenn keine Zäsuren, keine Brüche im Werkverlauf aufscheinen. Das Verhältnis von Fläche zur Linie verändert sich, die lineare

ohne selbst eine „Schule“ auszubilden, zu einem bewunderten Vorbild u. a. von so bekannten Persönlichkeiten wie Nicolas de Staël oder Mark Rothko.

Umrisslinie wird um 1900 zugunsten einer mehr bewegten Farbform mit aufgelöstem Pinselstrich aufgegeben, die Farbigkeit entwickelt sich von einer gedeckten, tonigen Leuchtkraft um 1894 zu einer intensiven, strahlenden Palette nach 1920. Am Ende steht ein kleinformatiges, spätes Werk „Badende am Ende des Tages“ (1945/46, Privatsammlung). Von der letzten Sonne des Tages werden die Figuren am Strand von Cannes kräftig gelb-orange angestrahlt. Spätestens an diesem Punkt wird Bonnards Leistung offensichtlich, den Impressionismus zu einer farbbetonten, abstrakten Kunst geführt zu haben. Zu seinen Lebzeiten konnte man Bonnard wohl manchmal für altmodisch halten, weil er immer noch figurativ malte und seine Themen schienen keine geistige oder moralische Tragweite zu haben. Wie modern und fortschrittlich er tatsächlich war, kommt heute aber für uns ganz besonders in den großen, späten Interieurszenen zum Ausdruck. Seine gewöhnlichen Räume mit ihren oft disparat erscheinenden Objekten verwandelte er in irritierende Szenen, die die parallelen Situationen in der Wirklichkeit plötzlich auch nur noch als Konstruktionen erscheinen lassen. Es gelang ihm gleichzeitig in äußerst raffinierten Farbkonstellationen die Farbe zum Leuchten und sogar zum Glühen zu bringen. Damit begeisterte er viele Künstlerkollegen und wurde so,

VON DER HEYDT-MUSEUM WUPPERTAL

Beate Eickhoff www.von-der-heydt-museum.de

14.9.2010 - 30.1.2011

Ermöglicht haben diese Ausstellung

Kulturpartner

TZT BUCHEN FÜHRUNGEN JEd online 26 un Tel 0202/563 26 usstellung.de -a rd www.bonna

BONNARD MAGIER DER FARBE

13


14

Joslyn Rechter / Kay Stiefermann


Zweimal „Tod in Florenz“ 
Weltklasseniveau in Wuppertal: „Eine florentinische Tragödie“ 
und „Gianni Schicchi“
 Premiere 20. Juni 2010

„Was sucht der Tod in solch heitrem Haus, da nur ein Weib, ein Gatte und ein Freund ihm Gruß entbieten können …Ich kann ertragen Verachtung, Schande von mancher Art, den schrillen Hohn und offenen Schimpf. Doch wer mir irgend etwas stiehlt, das mir gehört, und wär´s auch nur der schlechteste Teller, davon ich meinen Hunger füttre, setzt Seel und Leib auf Spiel bei seinem Frevel und stirbt!“

Musikalische Leitung: Hilary Griffiths Inszenierung: Johannes Weigand Bühne: Moritz Nitsche Kostüme: Judith Fischer Dramaturgie: Johannes Blum Regieassistenz: Bälazs Värna Inspizienz: Arndt Mädler Fotos: Uwe Stratmann Besetzung Eine florentinische Tagödie: Guido Bardi: Paul McNamara Simone: Kay Stieferman Bianca: Joslyn Rechter Besetzung Gianni Schicchi: Gianni Schichi: Jacek Strauch Lauretta: Banu Böke Zita: Diane Pilcher Rinuccio: Kalle Kanttila Gherardo: Christian Sturm Nella: Dorothea Brandt Gherardino: Malik Karaca Betto von Signa: Dariuz Machej Simon: Thomas Schobert Marco: Olaf Haye Ciesca: Joslyn Rechter Magister Spinellocc: Mario del Rio Amantio de Nicola: Javier Zapata Vera Pinellino: Andreas Heichlinger Guccio: Jochen Bauer Chor der Wuppertaler Bühnen

„Ist die ganze mächtige Welt in dieses Zimmers Umfang eingeengt, und hat drei Seelen als Bewohner nur? So sei der dürftige Raum jetzt eine Weltenbühne, wo Herrscher fall´n und unser tatlos Leben der Einsatz wird, um den Gott spielt.“ - singt der brave Tuchhändler Simone, bevor er sich zum Mord am dreisten Geliebten seiner Gattin entschließt, welcher noch im Tode seine Herkunft bemüht „Nimm mir vom Hals die Würgefinger; ich bin meines edlen Vaters einziger Sohn“ – „Schweig! Dein Vater wird, wenn kinderlos, beglückter sein!“ Und so stirbt der Liebhaber zu einer ungeheuren, hochdramatischen Musik. „Und jetzt zu Dir!“ Der Tuchhändler greift sein Messer und wendet sich seiner Gattin zu, die eben noch von ihrem Liebhaber seinen Tod im Zweikampf („Töte ihn! Töte ihn!“) lauthals forderte, doch da ertönt eine der schönsten Melodien, die jemals ein Komponist für die Oper geschrieben hat, und sie intoniert gänzlich traumverloren, fast exstatisch „Warum hast Du mir nie gesagt, daß Du so stark?“ Nach einem großen, mehrfach geteilten Streichermeer, welches Wagner nicht schöner in Noten gesetzt haben könnte, erwidert er fasziniert „Warum hast Du mir nicht gesagt, daß Du so schön… bist.“ Riesenfortissimo im aufblühenden Orchester, als wären wir in der Walküre erstem Akt (wo der Lenz erblüht) während sich beide in die Arme sinken und sich über der Leiche des gerichteten Nebenbuhlers vereinen. Das hätte sich selbst Wagner niemals getraut! Und die Oper klingt aus in einer Art Erlösungsmotiv, schön wie das der „Götterdämmerung“. Donnerwetter! Mehr an Dramatik kann eine Oper in einer knappen Stunde nicht bieten. Grandiosere Musik ist nie mehr geschrieben worden. Was Zemlinsky hier für ein kompaktes Musikdrama komponiert hat, ist das Ultimo der Gefühle: Liebe, Gleichgültigkeit, Haß, Haßliebe, Betrug, Mord und Verzeihen. Was für ein Welt-Theater - und alles in ein gerade mal 60-minütiges dramatisches Wechselbad der Gefühle gesetzt, welches den Atem raubt.

Joslyn Rechter / Kay Stiefermann — hinten: Paul McNamara

15


Joslyn Rechter / Paul McNamara Mehr Musik geht nicht. Mehr Gefühl ist geradezu unmöglich. Was für hochanspruchsvolle Partien und wie brillant ist die Geschichte doch gesponnen! Dazu ein packender Text von Oscar Wilde (bitte demnächst mit Übertiteln, denn jedes Wort ist auch von großer musikdramatischer Bedeutung)! Eine echte Gefahr für Opernfreunde mit Bluthochdruck; aber Hand aufs Herz: kann man zu schönerer Musik sterben? Ich finde nein.   Doch zum Anfang: Tuchhändler Simone kommt sehr spät nach Hause; und trifft einen Fremden bei seiner Gattin „Er ist kein Vetter, er ist kein Verwandter.“ Doch der

16

schlaue Kaufmann, den seine Gattin für einen einfältigen Langweiler hält, entwickelt sich langsam aber zielstrebig zum Racheengel, während es dem arroganten Fürstensohn Guido Bardi immer mulmiger wird. Die Wände rücken bedrohlich näher, die Schwingen des drohenden Todes werden sich über ihm schließen. Er gerät in dieselbe Panik, die ein lebendig Begrabener erleiden muß. Hier gibt es kein Entkommen mehr. Und so ist das Scheingefecht, um spielerisch zu testen, wer den besseren Säbel hat, eigentlich nur das Vorspiel. Und was für ein Vorspiel: Zemlinsky/Oscar Wilde setzen hier in wilder Kühnheit Eros gleich Tod.

Dabei ist die Musik dermaßen feinsinnig und steigerungsfähig, daß jedes auch nur gehauchte Wort seine Entsprechung findet. Manches ist mehr gesprochen als gesungen:   „Was sucht der Tod in so vergnügtem Haus, wo nur ein Weib, ein Gatte und ein Freund ihn grüßen?“ Dazu wunderbar friedvolle kammermusikalisch begleitende Solo-Violine, wie bei einem Kinderschlummerlied, doch auf der selben Tonlage bricht Zemlinsky mit „Oh laß den Tod dort Einkehr halten“ und steigert das Riesenorchester wie bei Wotans Abschied ins schier Unermeßliche „wo man die Ehe bricht, wo keusche Frauen, die ihrer edlen Männer


Zweimal „Tod in Florenz“

Paul McNamara / Kay Stiefermann

Kay Stiefermann / Paul McNamara — hinten: Joslyn Rechter überdrüssig, den Vorhang ihrer Ehebetten lüften und in besudelten, entehrten Kissen der unerlaubten Wollust frönen.“ Uns schaudert. Doch am Ende klingt es wie ein gehauchtes Lebewohl. So stürzt Zemlinsky uns in die unendlichen Welten und Wogen eines musikalischen Rausches, der allerdings, anders als bei Wagner, meist dezent wieder bodenständig retrovertiert.   Dem Wuppertaler Regieteam um Johannes Weigand gelingt eine hochwerktreue Inszenierung; ein Juwel ohne Firlefanz. Man entfacht eine Zündschnur, die allein entlang der worttreuen Linie vom Text und der notengenauen Wahrnehmung der Musik

beständig weiterglimmt und sich in perfekt düsterer Lichtatmosphäre (Sebastian Arens) glühend durch die Herzen und Seelen der Zuschauer brennt. Atemberaubend, spannend, ergreifend und einen Aufregungs-Kollaps fördernd. Besser kann man Musiktheater nicht inszenieren. Irgendwann werden hoffentlich auch die Wuppertaler Opernfreunde begreifen, was für ein sensationelles Stück hier schlichtweg grandios inszeniert wurde, und es wäre zu wünschen, daß nicht nur die von fern, sogar aus Wien angereisten Kritiker lauthals jubeln.   Ich habe praktisch alle deutschen Inszenierungen seit der großen Zemlinsky- Wie-

derentdeckung dieser Oper vor 30 Jahren gesehen, und muß sagen, daß die Wuppertaler Produktion in allen Bereichen jener maßstabsetzenden Hamburger Inszenierung von 1981 (Albrecht/Dresen – Soffel, Riegel & Sarabia - gibt es auch auf CD) das Wasser reichen kann.   Was muß Hilary Griffiths geprobt haben, um diesen Klang aus dem Sinfonieorchester Wuppertal herauszuholen. Was muß diese Oper für eine Herzensangelegenheit für den GMD gewesen sein! Besser kann man diesen Zemlinsky nicht spielen. Zuletzt habe ich solche Qualität in Wuppertal beim „Ring des Nibelungen“ vor 30 Jahren gehört. Es war wirklich ein sensationeller Premierenabend. Hinzu kommen drei perfekte Sänger, welche die Einmaligkeit dieses 5-Sterne-Abends hinreißend unter Beweis stellten, und es sind verteufelt schwere Partien, die da gegen ein Wagner-Orchester gesungen werden müssen. Ein „Bravissimo“ für Paul McNamara (Guido Bardi), Kay Stiefermann (Simone) und Joslyn Rechter (Bianca). Für die ungeheure Leistung, auch der enormen Textverständlichkeit, bekommt Kay Stiefermann einen extra Opernfreund-Stern. Für alle ZemlinskyFreunde ein Muß, geradezu ein Zwang, auch für die weiteste Anreise. Wer noch nie etwas von Zemlinsky gehört hat, wird zum Fan des Komponisten. Versprochen.   Man verzeihe mir das knappe „Post Scriptum“, denn „Gianni Schicchi“ wird ja nun überall rauf und runter gespielt. Eine nette Posse. Gut gespielt, prachtvoll gesungen von einem guten Team und mit großartiger Italianita orchestriert. Wahrscheinlich konnte und wollte man dem Publikum „Blaubarts Burg“ (Bartok) als zweites Stück, welches ich gewählt hätte, kaum noch nervlich zumuten. Da habe ich volles Verständnis. Jacek Strauch war ein Schicchi von Weltklasseformat – nebenbei bemerkt. Also nach Wuppertal fahren, bevor das Theater dort von der Politik weggespart wird. Hier wird heuer und jetzt Weltklasse geboten. Dr. Peter Bilsing Herausgeber der Opernzeitschrift „Der Opernfreund” Pressefotos: Uwe Stratmann Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de

17


Von Wuppertal in die Welt Die „Figura magica” von Bodo Berheide Ein Kunstwerk für die Welt – das hat der Wuppertaler Künstler Bodo Berheide mit seiner „Figura Magica“ geschaffen. Es ist ihm gelungen, eine Form zu finden, die tatsächlich in aller Welt Resonanz erzeugt hat. Die Eisenskulptur, die an ein überdimensionales liegendes Hufeisen erinnert, machte auf allen fünf Kontinenten Station. Nach 18jähriger Reise rund um den Erdball ist sie 2009 schließlich in ihre Heimat

Wuppertal zurückgekehrt. Trotz ihres enormen Gewichts von insgesamt sechs Tonnen und einer Länge von fünf Metern konnte die „Figura Magica“ Grenzen überwinden – geographische und kulturelle, logistische und rechtliche, soziale und künstlerische. Ob Montreal, Matagalpa oder Sydney – stets hat sie auf ihr Umfeld eingewirkt und es verändert. Immer wurde sie aber auch von den Menschen verändert, die sie betrachteten, benutzten, über sie nachdachten und mit ihr arbeiteten. So hat die „Figura Magica“ an Bedeutung gewon-

Vor dem Schauspielhaus in Wuppertal, Foto: Jörg Lange

18

nen, die ihr nun innewohnt, um weiter ihre Wirkung zu entfalten. Denn auch wenn sie am Ende ihrer Reise angelangt ist und seit dem Herbst letzten Jahres vor dem Wuppertaler Schauspielhaus ihren endgültigen Platz gefunden hat: noch immer setzt die „Figura Magica“ Menschen in Bewegung. Im September etwa kommen Künstler aus all jenen Orten, wo Berheides Skulptur auf ihrer Reise Halt gemacht hat, nach Wuppertal, um ihre Arbeiten hier auszustellen und dem Kunstwerk weitere Bedeutungsebenen hinzuzufügen.


Wie kann es gelingen, dass ein und das selbe Kunstwerk den Menschen in Chile und Japan, in Sri Lanka und Togo etwas zu sagen hat? Wie schafft es Berheides „Figura Magica“, überall auf der Welt Dialoge zwischen Menschen anzuregen, neue Einsichten zu vermitteln und kreatives Potential zu wecken? Diese außerordentliche künstlerische Leistung liegt meines Erachtens wesentlich in der denkbar elementaren Form des liegenden „U“ begründet, für die sich Bodo Berheide schon 1978 entschieden hat.

Genauso abstrakt wie ein Schriftzeichen, das sich in vielen Schritten vom Bildhaften abgelöst hat, um in allen erdenklichen Zusammenhängen zum Bedeutungsträger zu werden, ist die „Figura Magica“ als Kunstwerk universal. Sie lässt sich mit einem Aspekt der „ars una“ verknüpfen, der Idee von der Einheit der Künste. Darunter fasste man um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Vorstellung von Kunst als anthropologischer Konstante. Was Berheides Skulptur angeht, lohnt es sich, in diesem Zusammenhang noch einmal einen kurzen Blick in Wilhelm Worringers berühmte Dissertation „Abstraktion und Einfühlung“ von 1907 zu werfen. Worringer ist überzeugt, dass das schöpferische Gestalten eine originär menschliche Betätigung ist, die sich von allen anderen Tätigkeiten unterscheidet und sich kontinuierlich durch die gesamte Menschheitsgeschichte zieht. Die Abstraktion – im Gegensatz zur die Natur nachahmenden Kunst – ist dabei keineswegs das Resultat mangelnden technischen Könnens, wie besonders im 19. Jahrhundert angenommen wurde, sondern Ergebnis eines bewussten schöpferischen Aktes. Abstrakte Formen stellen vielmehr eine unmittelbare Zeichensprache dar, die prinzipiell allen Menschen einen Zugang ermöglicht. Diese Annahme hat Bodo Berheides „Figura Magica“ auf ihrem langen Weg um den Globus eindrucksvoll bestätigt – überall auf der Welt war es Menschen möglich, sich auf das Kunstwerk einzulassen. Eine ebenso wichtige Rolle wie die Form spielt in dieser Hinsicht das Material Eisen, das Berheide für seine Skulptur gewählt hat. Wie viele andere zeitgenössische Künstler, die mit Großplastiken arbeiten, hat Berheide seine Skulptur von einer Spezialfirma nach genauen Anweisungen gießen lassen. Der Künstler war beim Herstellungsprozess zugegen und besonders von den dabei freiwerdenden elementaren Kräften und Substanzen – Feuer, Hitze, Asche – beeindruckt. Sie sind wesentliche Bestandteile des eigentlichen Konzeptes, das Berheide von der „Figura Magica“ entworfen hatte und das während ihrer langen Reise vielfältige Änderungen erfahren hat. Ursprünglich wollte der Künstler mit der in Eisen

Fotos Jörg Lange gegossenen Skulptur auf den heißen, flüssigen Kern des Planeten verweisen, der an der Entstehung des Magnetfeldes unserer Erde beteiligt ist. Die „Figura Magica“ zielte zunächst auf Aspekte des grenzüberschreitenden Umwelt- und Artenschutzes ab und hatte die Intention, eine Energiefeld zu schaffen, das mit dem Verweis auf die Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft eine positive Einstellung zur Mutter Erde bewirken sollte. So verfestigte sich allmählich der Plan, dass die Skulptur die Idee vom achtsamen Umgang mit der Natur auf der ganzen Welt verbreiten sollte. Als erstes Ziel hatte Berheide den Nordpol im Blick, auf den sich die Skulptur hinbewegen sollte, um anschließend den Weg nach Süden anzutreten und auf diese Weise alle fünf Kontinente zu erreichen. Die Energie des Materials sollte sich jedoch auch auf andere Weise verwirklichen, als zunächst beabsichtigt. Von Beginn an war dem Beuys-Schüler Bodo Berheide die „Figura Magica“ Trägermedium eines künstlerischen Prozesses, der sich zu einer die ganze Welt umspannenden sozialen Skulptur ausweiten sollte. Die Struktur der zwischenmenschlichen Kontakte und die wechselnden Formen des Austausches per Post, am Telefon oder später über Internet sind ihm sogar wichtiger als das materielle Werk. Die Abstraktion der

19


U-Form fungiert dabei ganz generell als Instrument einer Kommunikation, deren Verlauf durch den Energiegehalt der gusseisernen Skulptur angestoßen wird. Feuer, Wasser, Erde, Luft – die vier Elemente als Konstanten des Lebens auf diesem Planeten bieten Anknüpfungspunkte für die kulturübergreifende Verständigung: Im Austausch über universale Naturkräfte werden unterschiedliche Auffassungen etwa vom Verhältnis des Menschen zur Natur manifest. Wo auch immer die „Figura Magica“ ihren Platz gefunden hat, unter den Vorzeichen der vier Elemente konzipierte Berheide zur Einweihung der Skulptur Performances, die er jeweils an die kulturelle und geographische Spezifik des Ortes anpasste. So entstand ein gemeinsames Feld für einen lebendigen Austausch, an dem sich bis heute Künstler und Kunstinteressierte aus allen Aufenthaltsorten der „Figura Magica“ beteiligen. Nicht nur Berheide hat seinem Publikum dabei neue Einsichten vermittelt, auch er selbst hat viel Neues über die Skulptur und ihre Wirkung gelernt. Einer der größten Erfolge war der Skulptur nach Stationen in Dublin, Montreal und Bethany, USA, in der Wuppertaler Partnerstadt Matagalpa beschieden. Viele Hindernisse mussten auf dem Weg nach Nicaragua überwunden werden, wo die Skulptur von 1997-1999 blieb. Doch gerade dort, wo das Leben für einen Großteil der Bevölkerung besondere Härten birgt und im Vorfeld starke Zweifel am Sinn von Kunst im öffentlichen Raum bestanden, hat die Skulptur außergewöhnlich nachhaltig gewirkt. Zeitgleich zu ihrer Übersiedelung in den dortigen „Parque de los Monos“ wurde im Rahmen der Städtepartnerschaft eine Druckerwerkstatt eingerichtet, aus der mittlerweile einige hauptberufliche Künstler hervorgegangen sind. Mehrere Workshops haben seitdem dort stattgefunden; der Austausch ist rege, dessen sichtbarstes Zeichen der jährlich erscheinende und gemeinsam produzierte Grafik-Kalender ist. Auf unerwartet fruchtbaren Boden fiel die „Figura Magica“ auch in Japan – nach Aufenthalten in Santiago de Chile und Sydney ein weiterer Höhepunkt der Reise. Hier wurde die Skulptur in ländlicher Ge-

20

gend auf der Insel Ohmishima abgelegt. Eine begleitende Ausstellung erfreute sich großer Beachtung; Eröffnung und Einweihung der Skulptur gerieten zur feierlichen Zeremonie. Es folgten weitere Besuche und Veranstaltungen im Verlauf des sich intensivierenden Kontaktes nach Japan, dessen eindrucksvollstes Ergebnis die intensive Auseinandersetzung von Professor Tetsuya Hasegawas, Wakayama University, mit den Bezügen der Skulptur zur japanischen und deutschen Kulturgeschichte ist. So kehrte die „Figura Magica“ nach weiteren Stationen in Negombo, Sri Lanka und in Lome, reich an Erfahrungen in ihre Heimat zurück. Um sein Werk zu finanzieren, hat Bodo Berheide von Beginn an Kunstanteilsscheine verkauft, Zeichnungen zu günstigem Preis veräußert, Ausstellungen und Konzerte organisiert und so wiederholt das Geld für die jahrelange Weltreise beschafft. Die Skulptur stand damit niemals außerhalb ökonomischer Zusammenhänge, sondern hat wirtschaftliche Strukturen erzeugt, die nicht nur den Fortgang des Projektes garantierten, sondern wie die vielfältigen Austauschprozesse eigentlicher Bestandteil des Werkes sind. Auch in Zukunft soll das so sein: die zwischen den Schenkeln des „U“ befindlichen Haltestangen wurden entfernt, da sie für den Transport nun nicht mehr gebraucht werden. In Scheiben geschnitten, will Berheide sie als Multiple veräußern. Das so gewonnene Geld wird in eine Stiftung überführt, deren Kapital für die Realisierung kreativer gesellschaftlicher Wandlungsprozesse genutzt werden soll. So kann die ganze Stadt von einer Weltreise profitieren, die durch die „Figura Magica“ noch immer Schwingungen erzeugt.

Campus Bethany college, 1997

Insel Onmishima, Japan, 2004

Negombo, Sri Lanka, 2006

Lomé, Togo, 2007

Susanne Buckesfeld Ausstellung „Magische Verbindungen“ vom 15. September bis zum 12. November in der Stadtsparkasse Wuppertal

Fotos USA, Japan, Sri Lanka und Togo: Bodo Berheide

Fotos unten: Jörg Lange


Griechisch und ernst … Eleni. Eine Zuwanderungsgeschichte von Kai Schubert in einer Inszenierung der Wuppertaler Bühnen

Chris Nonnast, Marco Wohlwend

Das Mädchen von Piräus „Ach, das gibt’s auch auf deutsch?“ Diese Frage stellt der junge Grieche Stavros im Schatten der Akropolis seiner Verlobten, nach der das Stück von Kai Schubert „Eleni“ benannt ist. Dem Zuschauer geht es umgekehrt, hat Eleni doch gerade den Schlager „Ein Schiff wird kommen“ angestimmt, dessen griechischer Ursprung hierzulande nicht mehr allzu geläufig sein dürfte. Schon hier wird man in die ungewohnte griechische Perspektive versetzt. Hinzu kommt, daß mit dieser kurzen Szene um das träumende „Mädchen von Piräus“ schon zu Beginn ein Motiv des Abends ebenso artikuliert ist wie sein Tonfall: die Sehnsucht – aber nicht zu gewichtig. Eleni ist die zentrale Gestalt des Auftragswerkes, für das Autor Schubert mit Wuppertaler Griechen Gespräche geführt und vor Ort recherchiert hat. Sie verläßt in den frühen Sechziger Jahren ihre Heimat, um ihrer schwangeren Cousine Nitsa beizustehen – diese ist mit ihrem Mann Dimitris nach Deutschland gezogen, wo er

auf dem Bau arbeitet. Anders als geplant bleibt Eleni für Jahrzehnte. Ihr Verlobter teilt ihr schriftlich mit, daß er eine andere Frau hat. Beim Anwerbestopp von 1973, der die Förderung der Arbeitsmigration in die Bundesrepublik beendete, entscheidet sich die Familie für Deutschland und eröffnet ein Restaurant. Schließlich alt geworden, blickt Eleni auf ihr Leben als Einwanderin zurück und fragt sich auch, wo sie einmal sterben wird. Sehnsüchte Dies ist kurz gefaßt die Geschichte, die exemplarisch ein griechisches Einwanderungsschicksal im Fortgang der Zeit vorstellt. Ernst ist die Inszenierung von Jenke Nordalm geworden, aber nicht depressiv. Warf die wohl populärste Verarbeitung der Thematik, der Schlager „Griechischer Wein“ von Udo Jürgens, trotz ihrer Eignung zum Schunkeln eigentlich ein düsteres Licht auf die Befindlichkeit der Gastarbeiter, so wirkt „Eleni“ ausgeglichen, auch wenn die Protagonisten prägnante Formulierungen für ihre Sehnsucht finden: „Es ist, als

21


… und doch keine Tragödie Julia Wolff, Maresa Lühle, Holger Kraft, Ingeborg Wolff, Marco Wohlwend, Hans Richter

ob ich Hunger hätte und ich weiß nicht worauf.“ Am Ende gibt es einen Streit mit den deutschen Freunden (Maresa Lühle, Holger Kraft) voller Standardvorwürfe auf beiden Seiten (eingeschlossen die aktuelle Wirtschaftskrise); dennoch wird „Eleni“ nicht zur Tragödie. Brillant besetzt Das liegt auch an Chris Nonnast, die der Titelfigur eine positive Grundhaltung verleiht, wenn sie fröhlich mit den Kindern spielt oder aus dem Kaffeesatz liest. Eleni ist doppelt besetzt: Mit Ingeborg Wolff als älterer Frau nimmt ihre Nachdenklichkeit zu, doch niederdrücken läßt sie sich auch jetzt nicht – selbst als am Ende ihr Großcousin Opfer eines fremdenfeindlichen Angriffs wird. Anders ist es bei Cousine Nitsa (Julia Wolff): Sie ist unzufrieden mit ihrer Situation, was sich in Aggressivität gegenüber Kindern und Eleni äußert; schließlich wird sie geisteskrank. Ihren Mann gibt Hans Richter, der vielleicht gerade wegen seines (verglichen mit der Rolle) höheren Alters Stolz und Verletzlichkeit so überzeugend verkörpert. Mit Blick aufs Lebensalter auffällig ist gleichfalls die Besetzung auch des gealterten Stavros mit dem jungen Schauspieler Marco Wohlwend: Nach vierzig Jahren besucht er Deutschland, wenn auch gar nicht primär wegen Eleni, und steht ihr etwas ratlos gegenüber – angesichts des ungleichen Paars (Wohlwend sieht eben nicht aus wie ein Sechzigjähriger) übermittelt sich dem Zuschauer ergreifend dessen ernüchterter

22

Eindruck von seiner einstigen Verlobten: Sie sind sich fremd geworden, und das liegt nicht nur an der Zeit, sondern auch am Ort. Auch das Bühnenkonzept geht auf Eine gesonderte Erwähnung verdient das Bühnenbild von Birgit Stoessel. Agiert wird in einem angedeuteten Gebäude, das komplett aus leeren Bierkästen zusammengesetzt ist. Die mit diesem „Baumaterial“ einhergehenden Assoziationen – billig, austauschbar – passen zu Stückbeginn nicht recht, wo die Kastenstapel (entsprechend dem Schauplatz vor der Auswanderung) die doch nach etwas Erhabenheit verlangende Akropolis darstellen sollen. Doch sobald die Handlung in Deutschland spielt (und das geschieht nach wenigen Minuten), geht das Konzept auf: Nun können die einzelnen Elemente von den Darstellern nicht nur sehr charmant variabel genutzt werden – vom Sitzen bis zum Spannen von Wäscheleinen; vielmehr drückt sich im ständigen Umbau mit diesen eckigen Gebrauchsgegenständen etwas Wesentliches aus: die Vorläufigkeit des geplanten Aufenthalts, der Glaube, man brauche sich ja gar nicht langfristig einzurichten in der Fremde. Diese Ansicht – die optische wie die übertragene – bleibt den Einwanderern bis zuletzt. Aus dem Leben Daß die Handlung von „Eleni“ als Ergebnis von Recherchen vermutlich aus

zahlreichen realen Schicksalen gespeist ist, kann man nur erahnen; man nimmt sie als fiktive Einzelgeschichte wahr. Doch der Schluß der sehenswerten Inszenierung löst das Versprechen ein, konkret an das Leben griechischer Einwanderer in Wuppertal anzuknüpfen: Auf einer Leinwand sind hiesige Griechen in ihrem jeweiligen Umfeld zu sehen, und sie sind wie Eleni: immer noch etwas fremd, doch zuweilen mit einem Lächeln. Martin Hagemeyer Uraufführung am 30. 4. 2010 Inszenierung: Jenke Nordalm Bühne/Kostüme: Birgit Stoessel Fotos: Uwe Stratmann Besetzung: Eleni 1: Chris Nonnast Eleni 2: Ingeborg Wolff Dimitris: Hans Richter Nitsa: Julia Wolff Kostas, Stavros: Marco Wohlwend Tilly: Maresa Lühle Ernst: Holger Kraft

Weitere Informationen unter: www.wuppertaler-buehnen.de


Licht fangen Karl Heinz Steckelings: Filme­macher, Photograph und Sammler

Karl Heinz Steckelings

1933, als in Deutschland das Licht Vernunft ausgeht, kommt ein Junge von Berlin-Dahlem als Adoptivkind zu einer Ronsdorfer Bandweberfamilie nach Wuppertal. Der Junge ist drei Jahre alt und doch haben sich bereits die Bilder des Kinderheimes, in dem er seine ersten Lebensjahre verbrachte, unauslöschlich in seine Erinnerungen gebrannt. Viele Jahre später wird er diesen Ort seiner Kindheit noch einmal aufsuchen und die in der Erinnerung wie auf einem Film belichteten Bilder werden durch die Gegenwart wie in einem photochemischen Prozess entwickelt. Es mag sein, dass dem Jungen die Trennung von seinen leiblichen Eltern das Leben gerettet hat, aber über die Umstände seiner Adoption schweigt Karl Heinz Steckelings bis heute. Denn als Filmemacher und Photograph weiß er um die Macht der Bilder: „Ich will nicht, dass man sich ein Bild von mir macht.“ Und: „Ich mag es nicht, in Schubladen

gesteckt zu werden. Ich will unabhängig sein von der Meinung, die sich andere über mich bilden.“ In einer Zeit, in der Menschen sich vor laufenden Kameras „outen“ und das Intimste nach außen kehren, wirkt Steckelings wie ein Fossil. Doch gerade dieses angenehme Unzeitgemäße, das in Wahrheit sehr zeitgemäß ist, ist es, das sich wie ein roter Faden durch die Lebensgeschichte dieses Bildvernarrten zieht. Als Jugendlicher genießt er in einem Internat in Bad Godesberg eine jesuitische Erziehung, deren Spuren bis heute in der Genauigkeit des Forschens und in einer christlichen Werteorientierung lebendig sind. Obwohl der Krieg traumatische Bilder in dem Jugendlichen hinterlässt, die den heute 80-jährigen zuweilen noch in seinen Träumen heimsuchen, hat er die Kraft, der Versuchung durch den Zynismus zu widerstehen. Dabei helfen ihm neben seiner intellektuellen und künstlerischen Begabung sicherlich auch seine (lebens-)praktischen Fähigkeiten. Nach dem Krieg legt Steckelings als

23


Licht fangen

junger Mann eine Bandwebergesellenund Kaufmannsgehilfenprüfung ab. Er soll in dem elterlichen Betrieb, der 1865 gegründeten Bandweberei, einsteigen. 1958 absolviert Steckelings dann eine Ausbildung zum Industriekaufmann und Textilingenieur. Als die Zeit des großen Sterbens der Bandwebereien einsetzt, entwickelt er ein thermoplastisches Verfahren zum Schneiden von Bändern, konstruiert entsprechende Maschinen und kann so den elterlichen Betrieb wirtschaftlich über Wasser halten. Bis heute arbeitet Steckelings tageweise in diesem Betrieb. Stift der Natur Doch seine wahre Leidenschaft gehört den Bildern, eine Faszination, die schon in der Schulzeit begann: „Ich war neidisch auf künstlerisch begabte Schulkameraden, die das, was sie sahen, mit photographischer Genauigkeit darstellen konnten“, erinnert sich Steckelings. „Unsere Lehrer hatten damals keine Methoden an der Hand, um uns scheinbar weniger Begabte auch dort hinzubringen.“ Die Filmkamera sollte also die Rolle des „Stifts der Natur“, wie die frühe Photographie auch genannt wurde, übernehmen. Vielleicht rührt auch von dort her die Faszination für die technischen Apparaturen wie Guckkasten, Laterna Magica und Camera Obsurca, die als Vorläufer der Photographie die naturalistische Wiedergabe der Wirklichkeit ermöglichten.

24

Doch noch bevor er sich als Sammler und Forscher die Vorgeschichte der Photographie und des Films erschloss, wollte Steckelings – magisch angezogen von der Welt der Bilder – selbst solche produzieren. Alles begann Mitte der 60er Jahre: Mit einem Lottogewinn Geld kauft er sich eine Normal 8-Filmkamera, die teuerste, die zu der Zeit auf dem Markt war. Bei der Qualität will Steckelings keine Kompromisse machen. Ein Grundprinzip seines Lebens. Die Semantik des Films – die Bildkomposition – und die Syntax, den Schnitt, erlernt der Autodidakt u.a. bei dem Wuppertaler Filmproduzenten Gerd Vogelsang. Später wird er auf das professionellere 16 MillimeterFormat umsteigen. Seine Filme schneidet er am eigenen Schnittpult. Systematisch entwickelt er sein Ausdrucksrepertoire und dreht nun Dokumentationen, Kurzund Experimentalfilme, die auf nationalen und internationalen Festivals gezeigt und prämiert werden. Die Wirklichkeit „lesen“ Doch dann beginnt ihn, den Filmemacher, zunehmend das Standbild zu faszi-

nieren, das – vielleicht intensiver noch als die bewegten Bilder - Geschichten erzählen kann. Sechs Selbstbildnisse, die an Kreuzwegstationen erinnern, zeigen die eigene Verletzlichkeit – hin bis zur totalen Kommunikationslosigkeit. „Photographien“, sagt Steckelings, „sagen nicht nur etwas über den Porträtierten aus, sondern immer auch etwas über den Menschen hinter der Kamera.“ In einer Welt, in der unser Bewusstsein immer mehr von einer Bilderflut dominiert werde, müsse der Photograph lernen, die Wirklichkeit zu „lesen“, um ein adäquates (Ab-)Bild der Realität schaffen zu können. Dazu gehört auch, die Wirklichkeit „nicht zu glätten und zu schönen“. Dieser Hang zur bildnerischen Wahrhaftigkeit ist immer ein Kennzeichen der Bilder Steckelings. Besonders beeindruckend zeigt sich dies in der Bildserie zu Pina Bauschs Tanztheater in der Spielzeit 1974/1975. Steckelings ist nicht interessiert am schönen Abbild von schönen Körpern, vielmehr gelingt es ihm, die Intensität des künstlerischen Prozesses zu zeigen, mit dem die junge Choreo-


Ressourcen eine Utopie. Zunächst. Doch aus der Vision wird – gegen viele Widerstände – schließlich ein realer Ort. Karl-Heinz Steckelings ist eben nicht nur Ästhet, Sammler, Visionär, sondern auch ein Macher: Heute beherbergt der frühere Wasserturm in Mülheim an der Ruhr ein in seiner Art einzigartiges Museum zur Vorgeschichte des Films. Gefragt, was er jungen Sammlerinnen und Sammlern heute raten würde, lautet die lakonische Antwort: „Kauft euch lieber einen Hund – des Menschen bester Freund.“

graphin und ihr Ensemble arbeiten - „häufig bis zur völligen Erschöpfung, bis an die Schmerzgrenze.“ Steckelings Lichtbilder sind keine Tanztheateraufnahmen, wie man sie heute sieht, sondern ästhetisch gegen den Strich gebürstet, körnig, schwarz-weiß, atmen sie den Geist der frühen Jahre, als Pina Bausch mit ihrer Compagnie eine völlig neue Ausdruckssprache erfand. Steckelings erinnert sich an die großen Widerstände, die Pina Bausch in jener Zeit – auch in der veröffentlichten – Meinung aushalten musste. „Aber sie ist sich treu geblieben und ist nie von ihrem Weg abgewichen. Dabei half ihr auch ihr starkes Einfühlungsvermögen für die Tänzerinnen und Tänzer. Sie sprach ihre Sprache und die sprachen ihre Sprache.“ Diese Widerständigkeit und Authentizität atmen auch die Theaterphotographien Steckelings’ aus jener Zeit. „Ein Bild muss immer das Gegenteil von allgemeingültig sein, man muss es ‚ertragen’“. Neben der Film- und der photographischen Arbeit beginnt sich Karl Heinz Steckelings immer mehr für die Vorgeschichte von Film und Photographie zu interessieren. Er will den Dingen auf den Grund gehen, und das heißt hier, aufzubrechen zu einer langen Fahrt in die Historie. Diese Reise in die Vergangenheit wird zu einem reichen Fischzug durch internationale Antiquitätenmärkte, Sammlungen und Auktionen. Paris,

Amsterdam, Prag und viele andere Weltorte: Keine Reise ist zu weit bei der Jagd nach dem Objekt der Begierde. Mehrere Tausend Exponate zur Vorgeschichte der Photographie und des Films trägt Steckelings aus der ganzen Welt zusammen: Camera Obscura, Laterna Magica, Guckkästen, Schattenspiele, Daumenkino und Mutoskop – ein einzigartiger Kosmos der Technik, bis hin zu jenem magischen Moment, als die Bilder laufen lernten. Dazu unzählige Photographien aus der Frühzeit dieses Mediums. Dass eine solche Sammlung einen eigenen Ort braucht, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit und ist doch in den Zeiten immer knapper werdender finanzieller

Leuchtender Stein Doch damit ist die Fülle der von Steckelings zusammengetragenen Exponate noch lange nicht erschöpft. Unter dem Titel „Licht fangen“ wurden bis vor kurzem zahlreiche Ausstellungsstücke aus der Sammlung “S“ im Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts in Baden-Baden gezeigt wie die Kodak No. 1 (1889) als erste Amateurkamera, Geheim- und Spezialkameras zur Herstellung von Stereoskopien und Panoramaansichten sowie zahlreiche Graphiken und frühe Bildbeispiele: „Zentraler Punkt der Sammlung jedoch ist immer das Bild.“ Ausgestellt wurden auch Lithophanien, „durchscheinende Steine“, aus Porzellan. Erst das Licht, das durch eine feine Gravur fällt, bringt das Motiv magisch zum Vorschein. Lithophanien gelten als Vorstufe zur Photographie. Der Erforschung dieser „leuchtenden Steine“ hat Karl-Heinz Steckelings die letzten 16 Jahre seines Lebens gewidmet. Gerade hat er eine über 400 Seiten starke Monographie nach intensiven Studien zu diesem Thema abgeschlossen. Was ihn wohl bewegt hat, so tief wie wohl kein anderer zuvor in diese Materie einzusteigen? Vielleicht ist er, der in dunkler Zeit Geborene, eine „lithophane“ Persönlichkeit, einer der Licht fangen musste, um innerlich zu überleben, einer, der die Wahrheit zum Scheinen bringen muss, damit es hell werde - in sich selbst und in anderen. Heiner Bontrup Fotos: K.-H. Krauskopf

25


26

Vorgeschmack... Anja Schneider - Foto Š Matthias Horn


Von der Unmöglichkeit der Liebe Eugene O‘Neills „Ein Mond für die Beladenen“ Koproduktion mit dem Maxim Gorki Theater Berlin Premiere am 2. 6. 2010 in den Bochumer Kammerspielen Regie: Armin Petras Bühne: Armin Petras, Patricia Talacko Kostüme: Patricia Talacko Fotos: Matthias Horn Besetzung: Josie Hogan (Anja Schneider) Phil Hogan (Thomas Anzenhofer) James (Jim) Tyrone Jr. (Christian Kuchenbuch) T. Stedman Harder (Alexander Maria Schmidt)

Kleine Fluchten - Anja Schneider - Foto © Matthias Horn

Anja Schneider Superstar Die Szene mutet idyllisch an: Ein Bergpanorama, im Vordergrund ein hübsches Blumenbeet, Heugabel, Gitarre, Melone, ein Gewehr, ein Schlagzeug (!?) – wenn da nicht zwei Männer wären, die diese Idylle mit Filzstift-Sternchen bemalen. Auftritt der Bewohner, Hillbillies wie aus dem Bilderbuch: Phil (Thomas Anzenhofer) im Unterhemd, mit Strick als Gürtel der Jeans und speckigem Hütchen – seine Tochter Josie (Anja Schneider) im karierten Hemd, mit plumpen Gummizugjeans. Anzenhofer läßt ketterauchend seine Country-Erfahrung aus dem „Man in Black“ mit einer Ballade zur Gitarre hören, Schneider führt ein Landei vor, das es faustdick hinter den Ohren hat. Unansehnlich und anscheinend sehr einfach gestrickt, offenbar promiskuitiv und dabei glücklos, dennoch in sich ruhend und höchst raffiniert. Anja Schneider übernimmt mit ungeheurer Bühnenpräsenz die Szene, pöbelt, schmollt mit vorgeschobener Unterlippe, zieht sich in ihr kleines Stück Heile Welt im Blumenbeet zurück, scheint sich für ein neues Paar Flipflops bereitwillig dem Landbesitzer Jim (Christian Kuchenbuch) an den Hals zu werfen, von dem Phil seit 20 Jahren das karge Land gepachtet hat. Ihrem Spiel zuzuschauen, ihren Verlegenheitsgesten, Zornesausbrüchen und Schlaumeiereien zu folgen ist faszinierend, reines Vergnügen an hoher Bühnekunst.

Ein Haufen Verlierer Doch Jim, gescheiterter Broadway-Bonvivant, liebt nur zwei Dinge, wenn er auch offensichtlich um Josies Gunst wirbt: Whisky und das Geld, mit dem er sich Whisky kaufen kann. Sein König ist der Alkohol. Kuchen buch läßt mitzittern, jede Hoffnung mit ihm gemeinsam verlieren. Nicht er ist die treibende Kraft, als es um Zweisamkeit geht – das ist Josie, die sich mehr von Ihm verspricht, als er geben kann und will. Resolut und selbstbewußt gibt sie die Richtung vor, muß aber vor der Trunksucht und Jims Unfähigkeit zu lieben scheitern. Selbst der Wandel vom häßlichen Entlein zum glitzernden Stern unter dem Mond der einzigen gemeinsamen Nacht und der geballte Einsatz der besten alten Whiskies als Aphrodisiakum können Jim nicht umkehren. Das rührende Bekenntnis „Ich bin noch Jungfrau, aber nicht weitersagen! Und jetzt willst Du nicht, aber ich will doch so gerne!“ und Josies folgender aufwühlender Monolog an das goldene Leben läßt Schneider/Josie die Sympathien zufliegen. Doch das Unglück ist besiegelt. Längst hat Jim das Land an den Blutsauger Harder (Alexander Maria Schmidt) verkauft, der die Hogans von dort vertreiben wird. Verlierer sind sie alle, denn keiner bekommt, was er eigentlich möchte, nicht Josie, die Liebe will, nicht Jim, der vom süßen Leben träumt, aber eher Hilfe bräuchte, nicht Phil, dem die Söhne weggelaufen sind, weil sie in dem ertraglosen Landkeine Zukunft sahen, ja nicht einmal der skrupellose Harder,

der zwar das Land bekommen wird, aber dadurch auch nicht zufriedener ist. Bilderreiche Inszenierung Armin Petras läßt Schmidt in diversen kleinen eingeschobenen Auftritten die Unverwundbarkeit der Finanzwirtschaft und ihren raffinierten Schwindel mit Ballons, Konfetti und Taschenspielertricks demonstrieren und damit die Macht und Häßlichkeit des Geldes den kleinen Leuten gegenüber zeigen: „Es herrscht Klassenkampf, und meine Klasse gewinnt!“ Das sind starke, brandaktuelle Worte. Die mögliche Liebe Josies und Jims scheitert vor dem Suff und dem Geld, die Wunschwelt der Beladenen liegt im Mond, ihre Zukunft wird ohne Skrupel vom Besitzenden ruiniert und allen solidarischen Erklärungen zum Trotz verraten. Hoffnung? Oh, nein. O´Neill hat „A Moon for the Misbegotten“ 1947 als eines seiner letzten Stücke in tiefem Pessimismus, wenn auch voller zärtlicher Liebe zu den Verlierern der amerikanischen Gesellschaft geschrieben. Petras´ bilderreiche Inszenierung ist fraglos als Parabel auf das Jetzt und Heute zu sehen. Ein beachtlich aktuelles Stück zum Ende der Spielzeit und Elmar Goerdens Intendanz in Bochum. Ab Herbst wird die Inszenierung am Maxim Gorki Theater in Berlin zu sehen sein. Frank Becker Infos: www.schauspielhausbochum.de

27


Was Bodos Frau zum Geruch... ... von Fräulein Tückmantel sagte Eine amüsante Erzählung

Karl Otto Mühl, Foto: Frank Becker

28

Ich werde gleich im Zusammenhang mit meinem Kollegen Bodo und Fräulein Tückmantel auf Gerüche zu sprechen kommen. Diese Sache hatte wahrhaft schicksalhafte Auswirkungen, ja, sie hat sie sogar noch. Wenn ein Geruch – wie hier der von Fräulein Tückmantel – sich so auf das Leben eines Menschen auswirken kann wie auf das von Bodo, und wenn gleichzeitig das Leben seiner Frau völlig davon bestimmt wird, dann lohnt es sich, näher darauf einzugehen. Zumal auch ich nicht von den Auswirkungen verschont geblieben bin.
Zunächst muß ich bemerken, dass mich Gerüche interessieren, die mich an etwas erinnern, oder mein Leben begleitet haben.
Anders ist es mit den Gerüchen, die mein Leben begleitet haben. Die vergesse ich nicht. Das ist der Grund, warum ich inzwischen versucht habe, an Fräulein Tückmantel zu riechen. Sie ist mir jedoch nicht nahe genug gekommen. Heute hatte es den ganzen Tag geregnet. Sowohl im asphaltierten als auch im bloß festgestampften Teil des Fabrikgelän­des bildeten sich Lachen und blinkten mich

an wie ferne Signale, wenn ich aus dem Fenster blickte. Die Wolken stürmten flach über die Landschaft, Regen und Wolken und diesige Luft deckten die Fabrik zu.
Als mein Kollege Bodo nach kurzem, hartem Anklopfen die Tür aufreißt, ist das als wenn ein Steward im Sturm bei schlingerndem Schiff in die Kabine kommt.
Bodo fragt, ob er sich setzen darf. Ich schaue auf die Knö­chel seiner Hand, die so hart angeklopft hat. 
Ich frage ihn, ob er Schwierigkeiten habe.
Ja, doch. Es sind diese Missverständnisse zuhause, die ihn so sehr verwirren, dass er zum ersten Mal in seinem Leben das Gefühl hat, sich falsch zu verhalten, oder besser, die anderen zu einem falschen Verhalten zu veranlassen.
Die Schwierigkeit zuhause gehe von seiner Frau aus, sagte er. Eine kleine, harmlose - so könne man vielleicht sagen -, schon länger zurückliegende Mitteilung von ihm habe ausgelöst, dass sie keine Minute mehr zur Ruhe komme.
Sie rede ununterbrochen von dieser Sache. Wenn er in ein anderes Zimmer ausweiche, gehe sie hinter ihm her und rede weiter mit ihm. Wenn er im Bad sei,


stehe sie vor der Türe und rede. Wenn er von etwas anderem sprechen wolle oder müsse, denn es gebe ja auch noch andere Dinge in der Welt, dann biege sie das Thema sofort um und komme auf diese gewisse Sache zu spre­chen.
Zunächst zu seiner kleinen Bemerkung. Er hatte zu seiner Frau gesagt: „Menschen können tatsächlich wie Obst riechen, ich meine, wie frisches, duftendes Obst.“
„Wie? „Nun, zum Beispiel wie ein aufgeschnittener Apfel. Zum Beispiel die kleine Tückmantel – hat jemand gesagt!
„wer?“
„Du meinst – wer?“
„Ja. Ich frage wer.“
„Ich weiß nicht mehr. Vielleicht die Frau Scheurenbrand von der Lohnbuchhaltung.“
Das glaube sie nicht. Er solle lieber gleich sagen, dass er Fräulein – also sie, die nach Apfel riecht, getroffen habe.
Nun ja. Ganz kurz.
Es ging um einen kleinen Vorfall. Er hatte die neue Kreditoren - Sachbearbeiterin, Silke Tückmantel, im Auto ein Stück mitgenommen. Nun ja, ein Wort gibt das andere, man kommt plötzlich auf den Gedanken, in einer Wirtschaft ein Glas zu trinken. Und dann ist es passiert. 
Fräulein Tückmantel ist ein hübsches Mädchen. Man möchte Bodo beneiden. Man kann Bodo auch verstehen, sie hat so etwas Glitzerndes, Wahnsinniges in den Augen, die von einem sehr hellen, wässrigen Blau sind. Ich kann Bodo freilich nicht sagen, dass ich Silke nicht verstehe. Bodo ist nach meiner Meinung eher hässlich, mit seinen buschigen Augenbrauen unter niedriger, kantiger Stirn, und mit seinem Gesichtsausdruck, der zwischen frecher Gleichgültigkeit, Dreistigkeit und strahlender Selbstgefälligkeit wechselt. Ich merke plötzlich, dass ich etwas gegen Bodo habe.
Auch scheine ich keinen Blick für Möglichkeiten zu haben. Da fängt so ein kleiner Kolibri, Silke Tückmantel, bei uns an, und ich komme nicht einmal auf den Gedanken, dass sie auf Abenteuer aus sein könnte. Wohl aber dieser Bodo. Was kann sie nur an ihm anziehen? Spürt sie, dass er ein wenig verrückt ist, dass er verrückt werden kann, dass er ganz ver­rückt sein kann, wenn es darum geht?
Nur so und nicht anders kann es sein. Ich fürchte, mir fehlt die Fähigkeit, verrückt zu werden. Nur gut, dass man nicht auf ewig so unvollkommen sein muß.
Von dieser Silke Tückmantel hat

Bodo zuhause erzählen müssen. Er hatte sich also verplappert.
Bodos Frau wollte wissen, warum gerade dieses Mädchen... Was war mit ihr? Bodo war ratlos, so ratlos, dass er sich selbst fragte: Ja, wie komme ich nur darauf? Er kratzte sich hinter dem Ohr, schüttelte ratlos den Kopf, aber dann fiel es ihm ein: Die­ses Fräulein Tückmantel lebte allein, fühlte sich in der neuen Firma isoliert, suchte Kontakt. Das habe ihm leid getan. Man müsse diese kleinen Frauen mögen, die sich nach ein bisschen Lebensglück sehnten. Aufmerksam geworden sei er jedoch durch diesen Geruch von ihr, den Apfelgeruch, den Geruch von Reinheit, von Frische – man könne sich nur Gutes dabei denken –
„Hör auf mit dem Unsinn! Das ist einfach ein billiges Parfum,“ schrie Frau Kranepol wütend.
Von diesem Augenblick an begann das pausenlose Reden von Bodos Frau. Es dauerte auch nur wenige Minuten, bis Bodo die Affäre selbst gestanden hatte, diese einzige halbe Stunde, und wer wolle wirklich von sich behaupten, er sei in so einer Situation nicht verführbar?
Unter dem Eindruck des pausenlosen Fragens und Redens seiner Frau gestand Bodo auch weitere Zusammentreffen mit Silke Tückmantel, aber nun sei endgültig Schluss. Wie könne sie nur glauben, da sei noch etwas? Dann würde er doch nicht so offen darüber reden. Außerdem sei es eben nur dieser bewusste Geruch gewesen, also nicht er selbst. Nein, der Geruch. Von sich aus käme er nie auf solche Gedanken.
„Wieso?“ rief Bodos Frau. Sie habe ihn ja schon bei zwei Lügen ertappt. Erstens, über die Sache überhaupt, und dann habe sie erst herausfinden müssen, dass es nicht bei einem Mal ge­blieben sei. Wie solle sie ihm noch glauben? Er habe ihr Vertrauen zerstört.
,,Nein“, rief Bodo, ,,nein. Du musst mir glauben. Sonst hört dieses Gerede ja nie mehr auf. Pass auf, ich sage dir jetzt etwas, damit du siehst, dass ich dir nichts, aber auch nichts verheimliche.“
,,Ja, und was ist das?“
,,Aber das sag ich dir nur, damit du mir endlich glaubst.“
,,Nun erzähl schon.“
Bodo gestand, dass er auch etwas mit Frau Jankow gehabt habe, der Frau, die ihr manchmal hier in der Wohnung die Haare fri­ siere.
Aha. Die auch. Dann solle Bodo auch gestehen, dass er unab­lässig vielleicht

alle paar Tage Frauen gehabt habe.
Bodo beteuerte, nein, so sei es nicht gewesen. Vielleicht würde es ihr Vertrauen in seine Wahrheitsliebe stärken, wenn er ihr noch sage - obwohl er ja gar nicht gezwungen sei, es zu sagen -, dass er einige Male Frau Wendula Schmalz in ihrer Wohnung aufgesucht habe...
Wendula Schmalz half Bodos Frau im Frauenkreis der Arbeiterwohlfahrt. Bodos Frau war die Leiterin des Frauenkreises. Sie könne sich jetzt nirgendwo mehr blicken lassen, nirgendwo, sagte Bodos Frau. ,,Mach dir da keine Sorgen“, erwiderte Bodo beruhigend, ,,von den Frauen, die ich kenne, redet keine. Keine einzige.“
Was das denn nun schon wieder heiße? Offenbar seien es mehr als diese zwei.
Unter dem nunmehr verstärkten Reden und Fragen seiner Frau gestand Bodo insgesamt sechsunddreißig Fälle, diese aber ver­teilt über mehrere Jahre.
,,Also, ich bin soweit, dass ich ausziehen will“, sagte Bodo zu mir. ,,Sie hört keine Minute auf zu reden.“ Er sah mich einen Augenblick lang an und sagte dann: ,,Ob Sie mal mit ihr reden? Doch, so was tut sie. Wenn ich ihr sage, dass Sie hier in der Firma auf meiner Seite stehen, aber mich trotzdem immer ermahnt haben, nichts falsch zu machen?“ Das mit dem Ermahnen muß ich noch nachholen, fiel mir ein.
Während der folgenden Tage fallen mir immer wieder Ratschläge für Bodo ein. Es ist eindeutig, dass er sich ändern muss. Am besten wäre es, wenn er ein völlig anderer Mensch werden könnte.
An einem Abend kommt Bodo wieder in mein Büro. 
Wenn ich ihm Ratschläge erteile, weise ich immer wieder darauf hin, dass ich seine Schwierigkeiten und die Fehler, die er macht, sehr gut verstehe. Vieles davon könnte auch mir passieren. über dieses Eingeständnis freut er sich.
Seine Frau verlange ständig neue Geständ­nisse. Und das mit der Begründung, dass sie seinen bisherige Geständnissen ja nicht trauen könne, dass er ja das Vertrauen gebrochen und sie belogen habe, dass er folgerichtig immer noch unter Verdacht stehe, bis – ja, bis er alles gestanden habe. Bodo hat tatsächlich erreicht, dass ich als neutraler Vermittler hinzugezogen werde. Ich soll abends mit Bodo in ihr Heim kommen. Als wir Drei zusammen sitzen, merke ich, dass sie mich nur als

29


Zuhörer braucht. Die milde Rolle des Vermittlers hat sie mir nicht zugestanden. Sie hört nicht zu. Für sie bin ich Bodos Komplice; nur mühsam und verächtlich verschont sie mich mit direktenVorwürfen.
Es ist immer wieder dasselbe, was die beiden sagen. Sie hört nicht auf mit Vorwürfen und Fragen, sagt Bodo. Frau Kranepol sagt dann; er hat sie betrogen, sie kann nichts anderes mehr denken, sie kann sich schließlich doch nicht damit abfinden, oder?
Plötzlich bleibt ihr Blick an mir haften: Wieso hat er gerade mir alles erzählt? Habe ich alles die ganze Zeit gewusst? Glaube ich etwa, es sei schön für eine Frau, wenn alle anderen wissen, dass sie betrogen wird? Und wie es mit mir stehe? Habe ich Kinder, ist meine Frau zufrieden? Warum bringt mich Bodo mit? Ich muss ja ein großartiger Mensch sein, wenn ich anderen helfen kann.
Das hätte ich nicht behauptet, sage ich trotzig. Bodo habe mich gebeten, und so weiter.
Bodo blickt betreten vor sich hin. Er kann sie nicht zurückhalten, und er ist es wahrscheinlich gewöhnt, von ihr bloßgestellt zu werden.
Zum Schluss habe ich dann doch noch einen Ratschlag versucht. Diese Besessenheit, mit der sie rede, ja, Besessenheit, die sei das Gefährliche. Keiner kommt an einen Besessenen heran, und darum kämen sie beide nicht näher zueinander. Sie streift mich nur mit einem verächtlichen Blick. 
Sie werde Erkundigungen über mich einziehen, sagt sie. Ich käme ihr merkwürdig vor, ja, merkwürdig. Am besten wäre es, wenn sie mit meiner Frau reden könne. Jetzt sitze ich zuhause in meinem Arbeitszimmer. Ich bin auf jemand gestoßen, der mir das Gefühl genommen hat, ich sei ein schätzenswerter, ausgleichender Mensch. Karl Otto Mühl

30

Karl Otto Mühls schriftstellerische Anfänge reichen in die Dreißigerjahre zurück, als in der Wuppertaler Lokalpresse erste Geschichten von ihm erschienen. Auch während seiner Ausbildungszeit schrieb er weiter. Während der Kriegsgefangenschaft verfasste er Einakter und Possen für das Lagertheater, daneben Privates. 1944 machte er in den USA die Bekanntschaft des ebenfalls kriegsgefangenen Schriftstellers Tankred Dorst, mit dem er ab 1947 Mitglied in der Wuppertaler Künstlergruppe Der Turm war. Nach dem Wiedereintritt ins Berufsleben Ende der Vierzigerjahre pausierte Mühl lange Jahre als Schriftsteller; erst ab 1964 begann er erneut, in seiner Freizeit literarische Texte zu verfassen. Seinen Durchbruch erlebte er 1974 mit dem Theaterstück „Rheinpromenade“, das mit seiner kritisch-realistischen Schilderung eines kleinbürgerlichen Schicksals im Zeittrend lag und zahlreiche Aufführungen an deutschen Theatern erlebte. Mühl ist in erster Linie Dramatiker, er verfasste aber auch autobiografisch geprägte Romane, Kinderbücher, Gedichte und Hörspiele. Karl Otto Mühl ist seit 1977 Mitglied des Verbandes Deutscher Schriftsteller und seit 2000 des deutschen P.E.N.-Zentrums.

Auszeichnungen 1976 Eduard-von-der-Heydt-Kulturpreis der Stadt Wuppertal. 2006 Literaturpreis der Enno und Christa Springmann-Stiftung Werke Rheinpromenade. Rosenmontag. 1974 Siebenschläfer. Darmstadt [u.a.] 1975 Kur in Bad Wiessee. Frankfurt/Main 1976 Wanderlust. Frankfurt/Main 1977 Hoffmanns Geschenke. Frankfurt/Main `78 Die Reise der alten Männer. Frankf. 1980 Trumpeners Irrtum. Darmstadt [u.a.] 1981 Verbindlichen Dank. Frankfurt/Main 1992 Fremder Gast. Frankfurt/Main 1995 Ein Neger zum Tee. Wuppertal 1995 Fernlicht. Wuppertal 1997 Jakobs seltsame Uhren. Wuppertal 1999 Das Privileg. Wuppertal 2001 Inmitten der Rätsel. Gedichte 1997 bis 1999. 1. Auflage. Nordpark, Wuppertal 2002, ISBN 3-935421-10-9 (Mit einem Vorwort von Jörg Aufenanger). Hungrige Könige. Roman. 1. Auflage. NordPark-Verlag, Wuppertal 2005, ISBN 3-935421-05-2. Nackte Hunde. Roman. 1. Auflage. Nordpark, Wuppertal 2005, ISBN 3-935421-06-0.


Michael Zeller Siebzehn Silben sind so lang wie ein Atemzug Basho

Japan in einem Atemzug 1. Auf dem Flug nach Japan, meinem ersten, lernte ich den Kollegen Basho kennen. Vor dreihundertfünfzig Jahren hat er gelebt. Das zählt wenig in der Literatur. Östlich von Murmansk und Archangelsk (die Weite Sibiriens drohte mir noch) begegnete ich seinem Namen im Reiseführer. Basho sei ein Meister des Haiku gewesen. Einen einzigen Vers nur gönnte ihm (und mir) das Buch:

Ein reisendes Herz verweilt nie an einem Ort beim warmen Feuer

Ein Vers nur. Der aber zündete. Denn ich verweilte hier ja wahrhaftig nicht beim warmen Feuer. Ich befand mich an einem Ort, der die quälendsten Alpträume gebiert. In einer Blechkapsel eingeschweißt und festgezurrt, Wade an Wade mit den fremdesten Menschen der Welt, zehntausend Meter weggehoben vom Boden der Erde (das zählt wenig in unserer Zeit), riß dieser bescheidene Vers einen Raum vor mir auf, ohne das Luftschiff im mindesten zu gefährden: Die Weite, die raumlose Weite von Poesie. Da sprach jemand mit einer lakonischen Nüchternheit, die auch nach dreihundert Jahren auf den ersten Blick überzeugte. Als könnte es gar nicht anders gesagt sein. Und doch vibrierend vom Schlag eines Herzens.

Wie einfach gebaut war dieses kleine Ding! Auf drei Zeilen, mit fünf und sieben und fünf Silben gefüllt: darauf mußte alles Platz haben, was zu sagen ist: Gedanke wie Gefühl. Wie mochte das funktionieren, dieses Fünf – Sieben – Fünf, in meiner Sprache, fragte ich mich, eingezwängt in dieser Alptraumkapsel. Der körperlichen Bewegungsfreiheit so gut wie beraubt, gefesselt, um jedes Abschweifen zu verhindern, war meine Schreibsituation haikuartig karg. Auf der Speisekarte irgendeiner Mahlzeit kritzelte ich mit dem Bleistiftstummel aus der Hosentasche, im abgedunkelten Dösen um mich herum, dem nächtigen Himmel nah wie selten sonst und unter mir das schlafende Sibirien – hier brachte ich meinen ersten Versuch zu Papier, auf Bashos Spuren:

Fliegend zu reisen über die Weiten der Welt macht die Beine taub

Im Mangel wird Reichtum deutlicher sichtbar. Wie viel Platz doch auf so einer abgegessenen Speisekarte ist! An Prosa wäre nicht zu denken. Aber für einen zweiten Haiku, gleich hinterher, reichte es leicht.

Das Land unter dir wie ein Spielzeug zu ahnen Schon bist du ein Zwerg

31


Der Körper vergessen, der Kopf war auf Reisen. Schon wollte er, vorlaut wie er ist, einen Triumph der Poesie über die Materie feiern, da drängte sich, vielleicht wegen der versuchten Gewichtsverlagerung auf die andere Pobacke, gequält die Frage durch meine betäubten Glieder: Warum tust du dir das überhaupt an, dieses Unterwegssein?

Außer Haus zu sein im fremden Bett zu schlafen ist Last dir wie Glück

Jetzt endlich war sie randvoll, die Speisekarte. Doch die Finger meiner linken Hand waren angeworfen. Eins, zwei, drei, vier, fünf. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben. Noch einmal bis fünf. Sie standen mir nicht mehr still, solange ich in Japan war. 2. Und selbst nach der Rückkehr, auf dem Flughafen von Paris, blieben sie rege, die silbensetzenden Finger. Die Trauer des Verlustes war zu fassen, der Enttäuschung. Halb zu Stein geworden der Körper nach zwölf Stunden Flug – nur die Zählhand war munter geblieben. Laut sind sie und plump Europas Menschenkinder Die Rückkehr macht klein Dann mein Willkommensgruß in der Heimat:

O der ranke Wuchs der Japaner, alt wie jung Hier Butterfässer

Mein letztes japanisches Wort. „Last wie Glück“ des Reisens: Diesen unerfreulichen Vergleich hätte ich mir sparen können, wenn ich es vor Wochen in den eigenen vier Wänden ausgehalten hätte.

Ein reisendes Herz verweilt nie an einem Ort beim warmen Feuer

3. Angekommen. Ich hatte Boden unter den Füßen, war wieder ein freier Mann. Der Boden hier heißt Japan. Zum ersten Mal

32


war ich in diesem Land. Kein Wiedererkennen, Vergleichen mit früher. Alles war ohne Maßstab. Der Zugang geschah spontan, das Angezogensein wie die Abstoßung. Beides lief über die Sinne, wie sie von den Erfahrungen meines bisherigen Lebens vorgespurt und ausgerichtet sind, geschärft oder erlahmt. Was quer zu diesen Erfahrungen stand, berührte mich als Fremdheit. Die erste Befremdung, bereits im Flughafen, lösten die Mullbinden aus, die die Menschen hier vor dem Mund tragen. Der quadratische weiße Lappen über Nase und Mund. Das, was das Gesicht eines Menschen ausmacht – verschwunden. Keine Personen sah ich – Patienten. Jeder zweite, so kam es mir vor, lief damit herum. Des Menschen Antlitz hinter Tüll zu verstecken Gesund soll das sein? Für jemanden, der es gewohnt ist, unausgesetzt in den Gesichtern seiner Mitmenschen zu lesen, gierig geradezu, war das natürlich mehr als eine Störung. Ich fühlte mich von diesen Angsthasen betrogen, verzieh es ihnen nicht, dass sie mich mit leeren Händen dastehen ließen. Ich habe mich geärgert, machte mich lustig darüber. Gewöhnen mochte ich mich an diesen Anblick nie. Jedesmal löste der weiße Gesundheitsfetzen etwas in mir aus.

Eine ganze Reihe von Tagen hat es gebraucht, ehe ich ihm eine andere Seite abgewann. Da mir Mund und Nase vorenthalten waren, blieben meiner Neugier nur die Augen übrig. Darin lag eine Chance. Und es hat mich versöhnt. Manchmal geschieht es das Geheimnis des Schleiers als Maske vorm Mund Über die Augen, dem Eingang der Seele nach alter Rede, gelang es mir, wenn auch erst spät, die Mundbinde hinzunehmen und in einen anderen Bereich vorzudringen. Einen höheren vielleicht. Über dem Mullrand dunkelbraunes Augenpaar verführt zum Träumen 4. Dass ich meine Eindrücke in diesem fremden Land vom ersten Augenblick an in Bashos Manier festhielt, dem Zufallsbekannten aus dem Flugzeug, vor dreihundert Jahren zur Form geworden in einen mir unvertrauten Kulturkreis, war so selbstverständlich, dass ich darauf keinen Gedanken verschwenden mußte. Es geschah beiläufig. Wie das Einatmen der hiesigen Luft.

Die Kürze des Haiku kommt gerade dem Reisenden zugute. Der Bleistiftstummel, mit aufgestecktem Radiergummi, ist mir immer zur Hand, ein Schnitzel Papier liegt überall herum. Beim Gehen, im Stehen, beim Fahren in der vollgestopften Stadtbahn – nirgendwo machte das Schreiben Umstände. Ein schlanker Vorgang. Und er saß hautnah am Leben. Das Maß der siebzehn Silben wie angegossen. Als übte ich es schon ein Leben lang. Ein Glücksfall natürlich (es überraschte mich keine Sekunde lang), dass mir in einer internationalen Buchhandlung Bashos Buch „Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland“ in die Hände fiel, der Bericht seiner letzten langen Fußreise. Ein Büchlein zudem, das bequem in die Gesäßtasche der Hose paßte. Ab jetzt gingen wir zu zweit durch dieses Land, Schritt vor Schritt, der alte Meister und sein stümperhafter Lehrling. Dass uns dreihundert Jahre trennen sollten, hielt ich für eine Arabeske aus Zahlen. Gryphius, Bashos schlesischer Zeitgenosse, wäre mir vermutlich ferner gewesen. Poesie kennt keine Grenzen, von Zeit so wenig wie zwischen Orten. Es ist Luftraum. Krähen im Gespräch hinweg über unsren Kopf Was meinen sie bloß?

Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland zählt Basho „Fünf, sieben und fünf“ 5.

Laut sind die Krähen auf ihrem Posten oben geben den Ton an Die Krähen! Kein Tier ist in Japan gegenwärtiger als diese schwarzen schweren Vögel. (Nichts da von landesüblicher Zierlichkeit.) Überall trifft man sie in den Städten. Vor allem: Man hört sie. Ihrem trocken Kehlschrei zeigt sich selbst der zünftigste Autolärm an einer Kreuzung nicht gewachsen (wobei sich die Zurückhaltung des japanischen Verkehrsteilnehmers auch bei der Benutzung der Hupe glücklich bewährt).

33


Frühmorgens kann man das nächtliche Wirken der Krähen bewundern: Die Plastiksäcke in den Vorgärten aufgerissen und der Müll raumfüllend über die ganze Straße verteilt. Dem Hausbewohner, der eilig zur Arbeit will, hebt sich bei dem Anblick der Magen an den Hals.

Gierige Krähen belästigen das Viertel als Müllpolizei

6. Die Reise war so geplant, dass sie in die Phase der Kirschblüte fällt. Diese zehn Tage, Höhepunkt des japanischen Kalenders, geben dem Land sein schönstes Aussehen, das Idealbild seiner selbst. Darauf fiebern die Menschen hin, Alte und Junge, und freuen sich, wenn es so weit ist, an der weißen Pracht über ihren Scheiteln, in den Parken, an den Straßen, freuen sich auf ihre ruhige, nach innen gekehrte Art. Und ziehen hinein in die Parke, immer in Gruppen: Kollegen, Nachbarn, Freunde, die Familie, mit Kind und Oma und reich bestücktem Imbißkorb. Sake fehlt so gut wie nie, das Sakrament des Erblühens zu feiern. So rasten sie unter dem Himmel aus Weiß, den anderen, tieferen hat ihnen das dichte duftige Gezweig weggesperrt. Keiner scheint ihn zu vermissen. (Ehrensache, dass nach dem Gelage kein Krümel und

34

kein Fetzchen Papier am Boden zurückbleiben.) Dir selbst, dem Fremden, der nie dergleichen erlebt hat, kommen die Stunden abhanden, du sitzt da, auf engstem Raum neben anderen (in ständigem Wechsel), bist stumm und sprachlos vor Glück, nippst an deinem Sake-Gläschen, Stunde um Stunde, du spürst sie nicht, vergißt dich selbst, und schwer nur findest du den Weg hervor unter dem Zauberdach, das dich halten will bis zuletzt, trittst hinaus in Freie, in eine Leere, die dir so vielleicht noch nie begegnet ist, so ohne Geheimnis, entblättert, blütenlos. Vorbei. Mußt morgen wiederkommen.

Weißer Wolkenduft Scheinst nicht von dieser Erde Wie faß ich dich nur?

Unter Kirschenblühn - Krähen krächzen Lufthoheit freut Sake noch mehr

Auf Plastikplanen unter dem Kirschblütendach Picknick auch werktags

Zur Nacht kämmt sie sich Kirschblüten aus ihrem Haar Weiß auf Schwarz. Glänzend

Und dann, lang befürchtet, das Ende. Morgen gibt es kein Heute mehr. Jetzt müssen wir alle wieder ein ganzes Jahr lang auf das weiße Wunder warten. (Ich viel länger.)

Weiß taumelt die Luft Die Kirschblüte regnet ab Kein Mai wird sie sehn

Die Kirschblüte – ach! Grün sind alle Zweige jetzt Am Boden das Weiß

7. Der Dichter Yoshida Kenko lebte, lese ich, von 1282 bis 1350. Diese Daten decken sich mit denen Dante Aleghieris, des Florentiners, der auch, zuletzt, im Unterwegssein sein Zuhause fand. Kenko sagte: „Irgendwohin eine Reise zu machen, ist so erfrischend wie ein Erwachen aus dem Schlaf. Wandert man in den ländlichen Gegenden und den Bergen, wo da oder dort ein Dorf versteckt liegt, aufmerksam umher, so entdeckt man tausend Dinge, die das Auge noch nie gesehen hat.“ Für Städte gilt das nicht minder. Das Fahren mit Tokyos Stadtbahnen:


Nirgendwo wurden meine bisherigen Lebens- und Reiseerfahrungen derart wirksam außer Kraft gesetzt, auf den Kopf gestellt, zerfetzt, immer wieder und jedes Mal wieder anders. Die Enge in den Abteilen war atemberaubend, aber nicht eng genug, das Skandieren meiner linken Hand zu bremsen, und geschrieben habe ich dort, meine ich, auch. Irgendwo über den Köpfen, in der Luft.

tieftraurige Elegie vorgesagt hat, stumm, nur für sich – „die Regel schreibt vor, nichts von dem, was den Zauber dieser Berge ausmacht, anderen zu verraten. Dieser will auch ich mich fügen: ich lege meinen Pinsel nieder und berichte nicht weiter ...“

Millionen pendeln Tokyos Stadtbahn ist geleckt Wie im Wohnzimmer!

Der dunkle Anzug weißes Hemd und Krawatte Voll ist die Stadtbahn

Es trifft nicht ganz, aber ein wenig fühle ich mich bei Bashos „Regel“ an das Goethesche „Sag es niemand, nur dem Weisen“ erinnert und spreche den Vers leise zu Ende.

Kein Abfall zu sehen Niemand frißt hier aus Tüten Fahren heißt Fahren

8. Basho ist – wundert sich einer? – klüger mit der Kirschblüte umgegangen als der Novize aus dem Westen. (Überhaupt habe ich im Gespräch mit Japanern immer das leicht beklemmende Gefühl, vorlaut zu sein, vorschnell, und regelmäßig die letzte entscheidende Wendung des Gedankens zu verpassen, im Halbfertigen steckenzubleiben.) Statt selbst die Kirschblüte zu beschreiben (eitles Unterfangen), erinnert Basho sich an das Gedicht eines Früheren, des Priester Gyoson-sojo, und zitiert es im Stillen (also nicht auf dem Papier seines Reiseberichts):

Wenig zu sehen mit aufgerissnen Augen Vorrecht des Fremden

hinein. Der Fluß Kamo-gawa mit all seinen Kanälchen – kirschblütenverhangen in diesen Tagen – quert die Stadt. Klein ist sie nicht. Lange Wege sind zu gehen. Kyoto ist auch eine moderne Großstadt von annähernd anderthalb Millionen Einwohnern.

Jetzt, beim Überlesen, fallen mir – als Widerklang – zwei Verse Rainer Maria Rilkes aus seinen „Sonetten an Orpheus“ ein: Zu der stillen Erde sag: Ich rinne Zu dem raschen Wasser sprich: Ich bin. 9. Tausende und mehr Tempel erfreun Kyoto Nicht einer zu viel

Fahrräder sind leicht zu leihen. Sie machen den Gast unabhängig und frei. Angenehm spürt er die samtwarme Frühlingsluft auf der Haut, die Lust, in die Pedalen zu treten, dem Körper Bewegung zu gönnen. Trotz des ungewohnten Linksverkehrs radelt es sich mühelos durch den großstädtischen Werktagsverkehr dahin, von Tempel zu Tempel, durchaus von einem Ende der Stadt zum anderen. Als Radfahrer ist man der schwächste unter den Benutzern der Straße, weil der langsamste. Doch wie mit ihm hier umgegangen wird – ohne Schwere, so kommt es dir vor, als läge ein Schutzschild um deine Schultern. Kein Drängen, Hupen, Drohen, Geschrei. In weichen Bögen umkurven sie das menschengetriebene Gefährt, Personenwägen, Busse, selbst die Taxifahrer zeigen Manieren. Wenn ich mir vorstelle, ich führe auf dem Rad durch Köln oder Neapel –

Über die ganze Stadtebene verteilt liegen sie, die Tempel der alten Kaiserstadt, wachsen die Hänge hoch bis in die Berge

In seinen Hausteich schrieb der Meister das Gedicht aus Wasser und Stein

So viele sie sind doch geschmeidig wie hier fließt kein Verkehr sonst

Nur wir beide mögen dies als schönste Trauer tragen: Denn du Bergkirsche blühst und keiner weiß es und auch ich kenne niemand, der mich kennt Basho beläßt es nicht dabei, vor der Tradition zurückzutreten und das eigene Wort ungesagt zu lassen (eine schreckliche Überwindung für einen Schreibenden). Es scheint weniger aus Bescheidenheit geschehen zu sein als aus der Erkenntnis, dass jedem Wort, das in die Welt tritt, im Kern auch immer ein Verrat innewohnt. „Die Regel schreibt den Bergasketen vor“, notiert Basho, nachdem er sich Gyosons

35


Einen Verkehrsunfall habe ich in den Wochen nicht erlebt. Die Autos, zierlich wie alles hier, sehen samt und sonders aus, als kämen sie frisch vom Band. In der Nähe der Tempel selbst wird es schwieriger für den Radler. Derart dichte Menschenmengen umschließen ihn, drängen von allen Seiten in den Hauptstrom hinein, unüberschaubar, und kommen ihm gleichzeitig entgegen, dass man das Rad besser schiebt und bald stehen läßt. Die Tempel, die in den Reiseführern besonders empfohlen werden, sind natürlich rettungslos überlaufen, die Eintrittsgebühren entsprechend saftig. Die Gehrichtung durch diese herrlichen Gärten sind vorgegeben, und sie sind eingeschränkt. Irgendwo wird immer etwas repariert. Den tief in mir sitzenden Stachel, gegen den Strom zu schwimmen, habe ich mir beim zweiten oder dritten Versuch gezogen. Vor solchen Massen gibt es kein Entrinnen. Selbst Kafkas Maus bliebe hier ohne Chance. Auch in den Zen-Hallen kommt man nicht zur Ruhe. Der Blick hinaus auf

36

die Anlage aus Stein, Kies, Sand und ein paar kurz gehaltenen Büschen. Die Menschen sind irritiert von solcher Kargheit, vielleicht auch enttäuscht. Statt Ruhe über sich kommen zu lassen, flüchten sie aus der Gegenwart des Jetzt und Hier und knipsen ihre Fotos ab, in der Erwartung, damit etwas festzuhalten, für später. Das, was sie im Moment verstreichen lassen, soll in irgendeiner Zukunft eingeholt werden, als blasses Abbild. Nirgendwo könnte es weniger fotogen sein als im Angesicht eines Zen-Gartens, und umso heftiger wird das Aussichtslose geübt. Immer wieder wird man bedrängt, muß raumfordernden Verrenkungen ausweichen, kommt selbst kaum zu sich und hat keine Möglichkeit, den Raum zu füllen mit der eigenen Wenigkeit und ihrer inne zu werden. Der Flüchtigkeit unseres Seins. Die Knipser dulden das nicht. Die Ruhe des Zen wird püriert, bis sie nicht mehr da ist, damit sie aufs bunte Bild paßt. Irgendein Stein, zwei bizarr verdrehte Zweige, ein paar vom Rechen gezogene Linien im

Sand, und davor die kleine Toshiko, mit Schleife im Haar. Das war – ja, wo war das noch gleich: In Kyoto vielleicht? Doch es gibt auch Tempel, selbst in der alten Kaiserstadt, die in den Reisebüchern vergessen sind. Die Eintrittsgebühr ist deshalb niedriger oder entfällt ganz. Du bist für dich, kannst sitzen und schauen auf das wenige, das so ein ZenGarten bietet. Wenig und alles. Bis deine Wirbelsäule sich meldet und dich an die Grenzen deines Ichs erinnert.

„Zazen“ heißt Sitzen Sitzen. Und Denken geschieht Einfaches ist schwer

Ja, wenn du tanzen könntest! Den Körper aufheben! Dir aber bleiben nur ein paar Wörter, siebzehn Silben genau. Zum Träumen reicht es.

Tanzen wär die Kunst bis in die Fingerspitzen standhaft zu bleiben


10. Gewandert sind die Dichter früher in Japan, über Monate hinweg, einen Strohkorb auf dem Rücken, den Stecken in der Faust, an den Füßen leichte Sandalen, Sommer wie Winter. Meist war ein Reisegefährte dabei, auch er natürlich Dichter. Unterwegs schloß sich der eine oder andere für eine Weile an. Zum Übernachten wurde eine Herberge aufgesucht, oder man stieg bei Freunden ab, Kaufleute meist und also betucht, die selbst gerne dichteten und denen es eine Ehre war, den Wanderdichter bei sich zu bewirten zu dürfen und von ihm dafür im Schreiben von Versen unterwiesen zu werden. Abends saß man beisammen: der Gast oder zwei, der Hausherr und ein paar ausgewählte Freunde, bei Kerzenlicht und Sake, und dichtete. Ganze Ketten von Gedichten entstanden. Die Zahl der Silben wechselten, mal vierzehn, mal siebzehn. Einer dieser Wanderdichter war Basho. Mehrere Fußreisen von ihm sind bezeugt. Wie näher am eigenen Leib als auf Straßen und Wegen und Pfaden könnte man das Leben erspüren, seinen Wandel im Augenblick? Die Züge der Landschaft, die Gesichter der Stämme und ihre Sprachen, das Spiel von Helligkeit und Dunkel früh und am Abend, den klimatischen Wechsel von Herbst in den Winter? Ein reisendes Herz verweilt nie an einem Ort beim warmen Feuer Bequem war es nicht, immer unterwegs zu sein. Ein karges, eingeschränktes Leben. Hitze und Kälte und Regen. Müdigkeit des Körpers, der Seele. Angst vor Räubern in einsamer Gegend, vor Tieren. Die Anstrengung des Gehens in Bastsandalen, über Felsgestein, durch schlammiges Gelände, nur auf Sicht orientiert. Und wenn sich dann noch eine Erkältung in die Knochen schlich. Manchmal gab ein großherziger Gastgeber einen Führer mit für einen Tag, wenn die Gegend zu unwegsam war.

Die, die lieber „beim warmen Feuer“ sitzen, nennen eine solche Existenz entbehrungsreich. Doch die Mühen sind nicht umsonst, sie werden belohnt. Man ist nah dran am Leben, mit der eigenen Haut. Nah an Mensch und Ding, nah an der Natur, nah an Stein und Sein. Zwischen Himmel und Erde, Begeisterung und Niedergeschlagenheit, Seligkeit und Verzweiflung. Wandern als Lebensform. Man erwandert das Leben und erwandert sich selbst. Auf kürzestem Weg wird das Außen zum Innen, lösen Trennungen sich, wird alles eins. Durch die eigene Person hindurch und über sie hinaus. Grenzen sinken nieder, im Gehen Schritt für Schritt, verlieren ihren Sinn. Mögen die anderen, die „beim warmen Feuer“ sitzen, sie pflegen und hüten und verteidigen. Dem Dichter liegt anderes am Herzen. Er ist längst wieder auf der Walze. Das Ziel war im Gehen. Doch ohne Kompaß war Bashos Wandern und das seiner Kollegen im alten Japan keineswegs. „Gedichtskopfkissen“ hieß das Ziel. „uta-makura“ hat, vermute ich, bis heute im Land eine gewisse Aura bewahrt und treibt immer noch Dichter hinaus auf die Straße. Als „Gedichtskopfkissen“ wird eine Landschaft von besonderer Schönheit bezeichnet, Orte, die in der Literatur schon oft

„besungen“ worden sind, wie es bei uns im 19.Jahrhundert hieß. Deshalb war dieser locus amoenus ein Kissen, eine Kopfstütze. Von früheren Dichtern entdeckt und geschaffen, festgehalten im Wort, suchten die Wanderpoeten diese „Gedichtskopfkissen“ auf, die sie noch nie gesehen hatten und gleichwohl doch genauestens kannten – aus den Gedichten ihrer Vor-Gänger. Basho und die Seinen waren nicht unterwegs, um Neues zu entdecken, irgendwo der erste zu sein. Ganz das Gegenteil. Sie wollten das Bekannte erfahren, das ihnen im Vers Vertraute. War der schöne Ort erreicht, das Ziel aller Mühen und Entbehrungen, wurden die Gedichte zitiert, laut oder im Kopf, die hier entstanden waren, vor fünfzig, hundert, vor dreihundert Jahren. Weit reichte die Kette ins Vergangene hinab. Dann erst – erst dann erhob der Dichter seine eigene Stimme, am Ort, wo er stand wie so viele schon vor ihm, und pries das, was er gerade in diesem Augenblick erlebte, teilte das Empfinden, das schon durch so viele Köpfe und Herzen gegangen war. Das hätte entmutigen können, und durchaus nicht an jedem „Gedichtskopfkissen“ fiel Basho etwas Eigenes ein. Aber meistens zündete der Funke doch. Und es geschah ein Gedicht, meist in Anlehnung an eines der früher hier entstandenen oder mehrere. Ein Weiterspinnen von Gedanken und Gefühlen über Jahrhunderte hinweg. Communio im Wort. Der Wanderdichter war angelangt. Er konnte sicher sein: Eines Tages, mochte er auch schon nicht mehr in diesem Leben sein – irgendeiner stünde eines Tages wie er genau an diesem Platz und erfuhr den flüchtigen Augenblick des Jetzt in diesen Worten wieder, die ihm gerade in den Sinn gekommen waren. Abends, in der Herberge, saß Basho nieder, griff zu Pinsel, Tusche und Papier und hielt das vor Ort im Kopf Geschriebene fest. Für sich, für spätere, wann immer. Sein Bund mit der Ewigkeit. Damit kann man gehen. Und gehen und gehen.

37


So ist es mit der Muschel Geht schwer auseinander – wie wir im scheidenden Herbst 11.

Vom Shinkansen aus glüht weiß das Dach des Fuji verdreht mir den Kopf

Basho berichtet, wie er mit seinem Weggefährten Sora, Dichter wie er, im Gebirge einen Paß überquert. „’Von hier aus bis zur Grenze der Provinz Dewa stehen hohe Berge wie Trennwände, fast unpassierbar; die Wege sind unsicher, so dass man sie ohne die Hilfe eines Ortskundigen nicht bewältigen kann!’ sagte unser Gastgeber, und daher vertrauten wir uns einem kräftig aussehenden Burschen an, der einen Krummsäbel umhängen hatte und einen Eichenstecken trug. ‚Ausgerechnet an einem Tag, der uns Böses bringen kann!’ sagte er, und wir strauchelten entsprechend eingeschüchtert hinter ihm drein. Unser Gastgeber hatte recht behalten, es gab nichts als hohe Berge und dichte Waldungen, durch die keine Vogelstim-

me drang. Durch Waldesdunkel und wucherndes Gestrüpp führte der Pfad – es war uns, als schritten wir durch die Nacht. Wir erlebten die Stimmung von Tu Fus Gedichtworten: ‚... aus Wolkenrändern wirbelte Nebelstaub...’ Schritt für Schritt zwängten wir uns durchs dichte Bambusgrasgewirr, zerteilten es mühsam, und nur so konnten wir uns langsam einen Weg bahnen. Wir staksten über Wildbäche und suchten unseren Halt über manchen Felsen kletternd, während kalter Schweiß über unsere Körper rann. Erst als wir die Ländereien von Mogami erreichen, hatten wir es hinter uns. ‚Dieser Weg hält sonst immer Unvorhergesehenes bereit. Euch unversehrt bis hierher geführt zu haben, ist ein großes Glück!’ sagte freudestrahlend der Bursche, der uns gebracht hatte. Dann trennten wir uns von ihm. Aber noch lange nachher spürte ich das kalten Grauen, das seine ersten Worte in mir hinterlassen hatten. Angst schnürte mir die Brust zusammen.“ 12.

Die Kruste so dünn Im Erdinneren gärt es Japans Schlaf ist leicht

Die schlanke Inselwelt, die Japan ist, haben Vulkane geschaffen. Das Land ist ursprungsnah, die Vulkane leben noch. Hier bebt die Erde, wie zu Beginn der Zeiten. So gut es den Menschen möglich ist, hat die Architektur sich darauf eingestellt. Aber immer wieder kocht es im Inneren der Erde hoch, die dünne Kruste zerbricht wie eine Oblate. Ein Stück Küste reißt es ins Meer, Berge bersten, Städte versinken in Schutt und Asche. Bis in unsere Tage hinein. In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat ein Erdbeben Teile der Stadt Kobe verschlungen, sechstausend Menschen fanden den Tod. Was sagt eine solche Zahl? Genug immerhin, dass ich die Fahrt mit dem Schnellzug Shinkansen hier unterbreche. Kobe heute. Eine Stadt wie andere. Was hatte ich erwartet? Keine Spuren geblieben von der Zerstörung, die Katastrophe restlos überbaut. Ein neues Hafengelände posiert mit erfreulich abwechslungsreicher Architektur: Hotels als Hochhäuser, schmucke Einkaufsstraßen und –passagen. Großzügig angelegt Erholungsplätze am Rand des Wassers, auf denen sich – heute ist Sonntag – die Eltern mit ihren Kindern ergehen. Die Herzen geöffnet. Sonne setzt allem ihren Glanz auf. Wahrscheinlich ist es dieser Tage schöner, als es jemals hier war. Der Schrecken damals restlos verzehrt. Kein Gedenkstein, keine Inschrift. Für wen auch? Die Menschen der Stadt wissen es. Sie muß keiner erinnern. Sie nutzen die neugeschaffenen Räume, freuen sich daran. Das ist ihre Stadt. Die Sonne. Das Meer, glatt und ruhig. Ein solcher Friede. Der Kopf muß mir einreden, dass er trügerisch sei. Es sind immer die, die von außen kommen, die Fremden, Unbetroffenen, die sich Sorgen machen. Ohne jede Haftung. Morgen sind sie anderswo. Und die Einheimischen? Die hier leben wollen und hier leben müssen? Sie leben.

38

Land und die Menschen Auf Vulkane gegründet ahn ich ein Zittern


13. „Berge stürzen ein, neue Flüsse quellen hervor, Wege vergrasen, in die Erde versunkene Steine werden unsichtbar, Bäume altern und erstehen als junge Triebe verwandelt wieder – so ändern sich die Zeiten und wechseln Menschengenerationen: die verbleibenden Spuren sind meist fraglicher Natur. ‚Das Land ist verwüstet – Berge und Flüsse aber blieben unversehrt – über Burgruinen grünt, wenn der Lenz kommt, nur noch Gras!’ Diese Gedichtworte gingen mir durch den Kopf. Meinen Bambushut unter mir ausgebreitet saß ich da, vergoß Tränen – und vergaß die Zeit:

Sommergras ...! Von all den Ruhmesträumen die letzte Spur“

So steht es in Bashos Bericht von seiner letzten Wanderreise. 14. Den Vulkanen sei Dank!

Neben dem Gehweg dampft es über dem Rinnsal Fort mit Schuh und Strumpf

Heißes Wasser quillt aus dem Herzen der Erde dir vor die Füße

„Die Nacht verbrachten wir in Iizuka, einem Heißquellenort. Wir stiegen unverzüglich ins heiße Bad. Zwar hatten wir uns regelrecht eingemietet, bekamen aber lediglich eine armselige, heruntergekommene Schlafstätte: auf dem kahlen Fußboden lagen nur dünne Binsenmatten ausgebreitet. Es gab keine Leuchte, und wir mußten , bevor wir uns niederlegen konnten, unser Nachtlager beim Schein der offenen Feuerstelle einrichten. Tief in der Nacht kam ein Gewitter auf mit Donner und Blitz; es goß in Strömen, so heftig, dass es von der Decke troff. Zu allem Überfluß gab es auch noch Flöhe und Moskitos, die uns zerstachen. Ich konnte kein Auge schließen. Mein altes chronisches Leiden stellte sich wieder ein – die Schmerzen raubten mir fast die Besinnung.

Als der Morgen graute - die ersten Anzeichen konnte man endlich am Himmel dieser so kurzen Sommernacht ablesen - , brachen wir auf. Wie die Brandung, die auch nach einem Sturm anhält, litt ich noch lange unter den Nachwirkungen meines nächtlichen Anfalls: es wollte und wollte mir nicht besser gehen. Wir liehen uns Pferde und gelangten zur Wechselstation Kori. Von hier aus lag unser Reiseziel noch in sehr weiter Ferne, und bis dahin mit einem solchen Leiden durchzuhalten? Es wurde mir angst und bange bei diesem Gedanken. Schließlich aber befand ich mich auf einer Wanderübung, ein Wanderer durch weit entlegene Provinzen, der um der Erleuchtung willen der Welt entsagt und sich auch die Idee der Vergänglichkeit stets vergegenwärtigt und der die Möglichkeit, unterwegs zu sterben, hinnimmt als Bestimmung des Himmels.“ Bald ist Basho am Ziel. 15. „Steigbügelschliff“ – ein Wort von vier Silben, aus einem Haiku, fast eine Verszeile lang. Steigbügelschliff? Die Wanderpoeten im alten Japan, auch Basho, waren auf manchem Weg zu Pferde unterwegs, gemietet oder ausgeliehen, wenn ihnen jemand freundlich gesonnen war. „Steigbügelschliff“: Der Hohlweg, den es zu durchqueren galt, war derart eng, dass

der Reiter mit seinen Steigbügeln rechts wie links an der Bergwand entlangscheuerte und dabei Spuren im Gestein hinerließ, flüchtige Kratzer. Abends dann, den Pinsel in der Hand, fanden sie sich ein, diese vier Silben, und kamen aufs Papier. Jetzt etwas haltbarer gemacht, für eine Weile oder, wie hier, für ein Drittel Jahrtausend (bis jetzt). Das war doch einen Sake wert, heut Abend.

In weitem Bogen das Schwert aus der Scheide und kein Klingenstreich!

16.

Leg den Bogen an den Pfeil, atme und ziel, spann Dann laß es sinken

Von dem Priester-Dichter Noin-hoshi, 989 geboren, erzählt man sich, er sei nicht gerne gereist. „Es heißt, er habe sich lange Zeit vor den Augen der Welt verborgen und die Hände zum Bräunen aus dem Fenster gestreckt, um vortäuschen zu können, er sei auf Reisen gewesen.“

Sie blättert nicht ab die Kamelienblüte Ganz stürzt sie vom Zweig

17. Ein Haiku Bashos, von seiner Hand. Michael Zeller Erstveröffentlichung Musenblätter 2009 Fotos: Jürgen Kasten

39


Michael Zeller ne, darunter so erfolgreiche Titel (mit mehreren Auflagen) wie Follens Erbe, Die Sonne! Früchte. Ein Tod, Die Reise nach Samosch oder Café Europa. Seit 1990 hat der Autor sein literarisches Augenmerk verstärkt auf den östlichen Teil Europas gelenkt, vor allem auf Polen. Ein Jahr hat er in Krakau gelebt. Daher rühren die „Krakauer Geschichten“ Noch ein Glas mit Pan Tadeusz.

Foto: Ryszard Kopczynski Seit seinem literarischen Debüt 1978 (mit dem Roman Fehlstart-Training) hat Michael Zeller ein außerordentlich vielgestaltiges Werk geschaffen. Neben Gedicht-, Erzähl- und Essaybänden sind das vor allem seine bisher acht Roma-

Auszeichnungen (Auswahl): Stipendium, Worpswede (1984/85). Writer in residence, New York (1988/89), Stadtschreiber in Lauenburg/ Elbe (1995/96). Kulturpreis Schlesien des Landes Niedersachsen (1997), Literaturpreis der Robert-Bosch-Stiftung (1997), Poetikdozenturen an den Universitäten Mainz (1993/94) und Erfurt(2001/02), Artist in residence, Erfurt (2001), Preis der Springmann-Stiftung, Wuppertal (2003), Literaturpreis der mittelfränkischen Wirtschaft (2004), Von der Heydt-Preis der Stadt Wupper-

tal (2008). Er war zu Poetikdozenturen eingeladen an den Universitäten Erfurt, Mainz, New York.. Zuletzt sind von ihm erschienen 2010 Wir machen den Pott voll Erzählung, zusammen mit Schülern einer Duisburger Realschule (PENProjekt RUHR 2010) 2009 Falschspieler. Roman 2009 Die Soester Fehde. Schauspiel (Uraufführung August 2009) 2009 Der Schüler Struwe. Erzählung 2009 Saskia leuchtet. Erzählung (zusammen mit Schülern) 2010 im Herbst, Gerhard Nebel, Zwischen den Fronten. Kriegstagebücher Wiederentdeckt, ausgewählt und mit einem Nachwort von Michael Zeller Umfassendere Information im Netz unter www.michael-zeller.de

Nie mehr ein Konzert verpassen!

Werden sie doch einfach Abonnent! detaillierte informationen zu den Konzerten und den Vorteilen der Abonnements finden sie in unserem Jahresprogramm 2010/2011, das sie an der Konzertkasse erhalten oder unter www.sinfonieorchester-wuppertal.de

VVK und Abonnements über topticKet: tel. 02 02. 569 44 44, www.wsw-online.de/topticket

40


Der glücklichste Mensch Andreas Steffens - Portrait des Sammlers Ich war überglücklich, meine Sammlung wieder zu haben und sie endlich in meinem Palazzo aufhängen zu können. (Peggy Guggenheim)

Andreas Steffens Schriftsteller und Philosoph 1957 in Wuppertal geboren

„Das muß ich Ihnen erzählen!“ Diesen, oder einen ähnlichen Satz hat jeder schon zu hören bekommen, der von einem passionierten Sammler durch dessen Sammlung geführt worden ist. Sammeln ist ein Vorwand für Erzählungen. Sammler sind eigentlich Geschichtenerzähler. Das erfährt besonders, wer mit den Objekten ihres Interesses handelt. Die Kunden kauften auch, um zu sprechen. Um das, was sie bewegte, vor jemandem auszubreiten, der nicht nach Zeiteinheiten bezahlt wurde, wie Rechtsanwälte oder Psychotherapeuten. Der kluge Händler hört geduldig zu, bis er der Kaufbereitschaft seines Kunden sicher sein kann; der kluge Kunde redet nicht länger, als die von seinem Verkaufsinteresse bemessene Bereitschaft des Händlers dauert. Natürlich hörte Jillian den Kunden nur so lange zu, wie sie Kunden waren. Das bedeutete nicht, dass sie jedes angebotene Stück kaufen mussten. Hatten die Kunden sehr lange kein Stück mehr gekauft, erwateten sie nicht, dass Jillian ihnen noch zuhörte. Wenn Kunden nicht mehr sammelten, wenn sie ihre Interessen einem anderen Gebiet zuwandten oder nicht mehr über die entsprechenden finanziellen Möglichkeiten verfügten, merkte Jillian das zuerst daran, dass die Gespräche kurz wurden (1). Die Emotionen, die Erinnerungen, die Wünsche, Begebenheiten, Erfolge und Mißerfolge, kurz: die Geschichten, die mit ihm verbunden sind, machen den wirklichen und einzigen - Wert jedes Stückes jeder Sammlung aus. Auf den Besitz kommt es nur wenigen Sammlern an; den meisten um so mehr darauf, davon berichten zu können, wie sie ihn erlangten. Das Glück des Sammlers ist nicht das Besitzen. Es ist das Entdecken. So besteht eine Sammlung zwar aus einer Ansammlung von Fundstücken, welcher Art und welchen Genres auch immer, sie ist eine Versammlung von Gegenständen, von Materie; aber was sie ausmacht, sind nicht die Gegenstände selbst. Es ist deren Auszeichnung mit Bedeutung. Ein beliebiger, irgendwo aufgelesen und einer Sammlung einverleibt, verwandelt sich in das materielle Symbol eines im Leben seines Entdeckers wichtigen Augenblicks: er ist zum wertvollen Gegenstand als dessen Memorial geworden. Eine Sammlung stellt materielle Medien von Erinnerungen an besondere Momente in der Geschichte einer Leidenschaft zusammen. Gleich was einer sammelt, er sammelt immer Zeugen seiner Biografie. Das setzt den Sammler auf die Zeitschwelle. Er markiert sie. Wo er agiert, fließt Vergangenheit in Zukunft über. Denn die Objekte seines Triebes sind Gegenstände vergangener Lebenssituationen; sein Ziel aber ist deren Bewahrung für eine Zukunft, in der sie für ihre eigene als vergangene Zeit zeugen werden. Der Sammler macht die Gegenwart seines Lebens zur Schwelle dieser Rettung. Sein Gedanke ist, dem Kunstwerk das Dasein in der Gesellschaft zurückzugeben, von der es so sehr abgeschnürt worden war, dass der Ort, an dem er es auffand, der Kunstmarkt war, auf dem es, gleich weit von seinen Verfertigern wie von denen, die es verstehen konnten, entfernt, zur Ware eingeschrumpft, überdauerte (2). Deshalb sind Sammlern Besucher meistens willkommen. Sofern diese bereit und fähig sind, die Bedeutsamkeit zu beglaubigen, deren Zeugnisse ihnen dargeboten werden. Ich rang nach Luft: ich wusste, dass man, um sich bei einem Kunstsammler einzuschmeicheln, seine Sammlung preisen muß (3). Besucher geben Gelegenheit zur Erinnerung, zur Vergegenwärtigung dieses wirklichen Wertes alles dessen, was einer zusammengetragen hat. Sie lassen die Geschichten wieder lebendig werden. Und sie werden sie zu hören bekommen. Da ist jedem nur zu wünschen, an einen Sammler zu geraten, der sich aufs Erzählen auch versteht. (Oder, falls nicht, an einen, der nur eine kleine Sammlung herzuzeigen hat, oder zum großen Bericht gerade nicht aufgelegt ist.)

41


Erzählen heißt nicht nur, immer auch von sich zu sprechen. Handelt es sich um Erzählungen, in denen der Erzähler selbst vorkommt - und Sammler erzählen nur von sich selbst - , so heißt es, nach der Integration aller Erzählungen zu suchen, die es von einem geben kann: nach der eigenen Biografie. Wenn eine Episode, ein kleines Stück aus dem Leben, erzählbar geworden ist, weil die einzelnen Erlebnisse selbst den Zug der Erzählbarkeit an sich haben und gleich-

42

sam darauf warten, Teil einer geschehenen und womöglich auch erzählten Geschichte werden zu dürfen, dann kann auch das Lebensganze geschichtlich werden, muß es vielleicht sogar. Die Teile fordern die Realisierung dessen, wozu sie disponiert sind: ihre Integration in ein abgeschlossenes Ganzes (4). Der Sammler ist ein synthetischer Archäologe seiner eigenen Biografie vor der Zeit, indem er auf dem Weg durch sein Leben als sein eigener Archivar

die ihm wesentlichen Bruchstücke und Zeugnisse zusammenführt, aus denen seine Biografie nach der Vollendung seines Lebens sich fügen wird. Der Sammler umgibt sich mit Gegenständen, die für die Lebensmomente einstehen, die seine Biografie bilden. Zeigt er seine Sammlung her, so zeigt er sich selbst. Je aufmerksamer sein Besucher sich im Zuhören beweist, desto enger wird dessen Beziehung zum Erzähler sich in


der Folge gestalten können. Wer es nun versäumen sollte, bei dieser und jener Wendung des Berichtes zwar diskret, aber nachdrücklich einzuhaken und interessiert nachzufragen, dessen Sympathiewert wird sogleich erheblich sinken. Sammler umgeben sich mit Menschen, die ihrer Leidenschaft nützlich sein können. Danach prüfen sie neue Beziehungen. Und schlagen sie aus, wenn sie sich in dieser Hinsicht als tumb erweisen. Man muß ihre Leidenschaft nicht

aktiv teilen, das wäre auch gar nicht erwünscht, bedeutete es doch Konkurrenz im Jagdrevier; aber durch tätiges Interesse beglaubigen. Wer sammelt, ist unterwegs. Immer. Man kann es nicht zu Hause. Denn Sammeln heißt, in den Räumen der Welt Verstreutes zusammentragen: Vieles, was vorher zerstreut war, wird so bewegt, daß es nachher beisammen ist (5). Und es ist ganz gleich, womit einer gerade beschäftigt ist. Ergibt sich eine Verbindung, bietet sich eine Spur hin zu einem Objekt, das in die Sammlung gehört, so wird der Sammler ihr immer nachgehen, im Extremfall jede ihn gerade leitende Pflicht außer Acht lassend. Es gibt Sammler, die nur dort ihren Geschäften nachgehen, wo sich auch Gelegenheiten zur Pirsch finden lassen. Sammeln ist eine menschliche Urtätigkeit. Es war einmal lebensnotwendig. Auf Nahrungssuche zu gehen und alles einzusammeln, was die Natur in einem bestimmten Umkreis um die ersten primitiven Behausungen, Höhlen und Hütten herum hergab, und sich nur halbwegs als eßbar erwies, war die Grundtätigkeit unserer Urvorfahren zur Bedürfnisbefriedigung, bevor sie die erste große Kulturschwelle in der Menschheitsentwicklung erreichten, und sie überschritten, indem sie den Ackerbau erfanden. Seine Herkunft aus der Beschaffung rarer Lebensmittel hat sich darin erhalten, daß Gegenstand des Sammelns immer Besonderes, Wertvolles, Seltenes, Luxuriöses ist, oder daß etwas dadurch, daß es gesammelt wird, Auszeichnung als Besonderheit erfährt. Die großen Sammler sind meist durch die Originalität ihrer Objektwahl ausgezeichnet (6). Sammler sind in diesem Sinne ‘primitive’ Menschen: sie kultivieren eine Leidenschaft immer wieder aufs neue, ohne die es eine Menschheit nie gegeben hätte. Sie bewähren ein menschliches Urvermögen, das auch in jeder späten Kultur lebendig bleiben muß, soll sie ihre Grundaufgabe weiter erfüllen können, Menschen das zu verschaffen, dessen sie zum Leben bedürfen. Und das ist nie das, was die physischbiologischen Grundbedürfnisse, Essen, Trinken, Schlafen, Fortpflanzung,

erfüllt. Der erlebbare Wert des Lebens, das den Willen zu seiner Fortsetzung aufrechterhält, liegt immer jenseits der Grundbedürfnisse. Deren Erfüllung ist vorausgesetzt. Wo sie problematisch oder unmöglich wird, ist das Leben sinnlos. Jede Anstrengung zu deren Gewährleistung hat die Aufhebung dieser Sinnlosigkeit zum Ziel. Überspitzt gesagt: Nicht die Armut ist unmenschlich, sondern daß sie einen davon abhält, sich um das zu kümmern, wofür einer sein Leben hat. Es bleibt sinnlos, wenn es nicht gelingt, Denken, Empfinden und Handeln Ziele zu geben, die jenseits der Bedürfnisbefriedigung liegen. Welche es sind, ist ganz gleichgültig. Wenn sie sich nur bilden. Es kann noch so beschwerlich sein, es bleibt sinnvoll, solange einer die Kraft aufbringt, sich mit Leidenschaft um Dinge zu kümmern, die Wert nur für ihn besitzen. Denn in diesem Wert versammeln sich alle Fähigkeiten eines Menschen, die ihm gestatten, ein wertvolles Mitglied einer Gemeinschaft zu sein. Das Individuum ist nicht der Gegensatz zur Gesellschaft, sondern die Voraussetzung ihres Funktionierens. Auf diese Personengebundenheit kommt alles an. Den Wert eines Stücks in einer Sammlung bestimmt die intimpersönliche Beziehung, die sein Besitzer zu ihm hat. Sein Wert erfüllt sich in der Bereicherung der Person, die es durch Bestätigung, durch Stimulanz, durch emotionale Aktivierung leistet. Und wenn es nur der triviale Stolz ist, sich dies alles ‘leisten zu können’. Für den wahren Sammler aber spielt das keine Rolle, denn für ihn steht ganz außer Frage, daß er sich auch leisten kann, was er haben ‘muß’, denn immer handelt es sich um ein Müssen, um ein unabweisbares Bedürfnis jenseits der elementaren Bedürftigkeit. Und wenn die Mittel, es zu erwerben, nicht vorhanden sind, werden sie beschafft werden, ganz fraglos und in unerschütterlicher Selbstverständlichkeit. Eine Leidenschaft schafft sich Wirklichkeiten, in denen sie sich erfüllen kann. Der Ursprung der modernen Sammlung in den adligen Kuriositätenkabinetten des Barock erinnert an den Ursprung

43


des Sammelns in der menschlichen Eigenschaft der Neugierde. Der Trieb, Seltsamkeiten anzuhäufen, folgte dem erst allmählich zu Bewußtsein gekommenen Impuls, etwas zu erfahren, was noch unbekannt war. Die Sammlung steht ein für die Entdeckung, daß es ein Lebenswert ist, sich darum zu bemühen, etwas in Erfahrung zu bringen, was vorher noch nicht gewußt wurde. Die versammelten Gegenstände repräsentieren ein Wissen, dessen Aneignung das eigene Leben erweitert, indem es seinen Erfahrungshorizont ausdehnt. So gehorcht jede Sammeltätigkeit einem nur dieser Person, die ihr nachgeht, eigenen Trieb, über den sie sich selbst oft gar keine Rechenschaft geben könnte, der einfach da ist, wie man seine Nase hat und die Ohren nun einmal geformt sind, wie sie sind, ohne daß man darüber nachdächte. Es ist da, es wirkt, und man folgt. Der Sammler nimmt die Sprache beim Wort und ‘bringt in Erfahrung’, in seinen Erfahrungsraum, was an den Dingen haftet, mit denen er sich umgibt. Wie die Werkzeuge die Reichweite und Gestaltungskraft der Hände erweitern, so erweitern die Kunstwerke als materielle Dokumente der Wahrnehmungsverarbeitung einer besonderen Individualität den Erfahrungshorizont ihrer Betrachter und Besitzer. Mehr noch als in ihrer exemplarischen Auszeichnung durch den Wert des ‘Sehenswerten’ (7) macht dieses Motiv das Zusammentragen einer Kunstsammlung zur höchsten Form des Sammelns. Was Sammeln seinem Wesen nach ist, zeigt sich nicht am Anfang, sondern am Ende, nicht am ökonomischen ‘gathering’ von Nahrungsmitteln, die wir zum Leben brauchen, sondern im ästhetischen ’collecting’ von Kunstwerken, die wir betrachten wollen. Wie diese die Anschauungs-, Ausstellungs- und Sammelgegenstände schlechthin sind, so ist der Kunstsammler das Urbild des Sammlers, der Prototyp des ‘homo collector’. Kunstsammeln ist Sammeln in seiner reinsten und höchsten Form: Sammeln par excellence (8). Sich Kunstwerke als Medien einer eigenen Wahrnehmungserweiterung zu verschaffen, ist das fruchtbarste Sammelmotiv des Besitzenwollens. Diesen

44

Willen zu verwirklichen, im Extremfall um jeden Preis - ‘Sammlerpreise’ sind immer imaginär, willkürlich und ohne Bezug zum materiellen Wert des betreffenden Objekts; sind Strafen einer unverständigen Umwelt, die sie einer ihr unverständlichen Leidenschaft dadurch auferlegt, daß sie sie zu eigenem Vorteil ausnutzt - , bringt die Sammlung hervor. Da er immer bereit ist, jeden Preis für das zu zahlen, was er haben muß, legt der Sammler es immer darauf an, es so billig wie möglich zu bekommen: seine eigene Wertschätzung findet sich desto intensiver bestätigt, je geringer der Vorbesitzer dessen, was er im Begriff ist zu erwerben, es achtet. Nur für den Sammler gilt buchstäblich: Geld spielt keine Rolle. Deshalb kann kein Sammler genug von ihm haben. Es ist unbedingt erforderlich für die Überwindung jenes Widerstandes, ohne die ein entdecktes Stück, das in die Sammlung gehört, keinen Eingang in sie finden darf. Nichts ist für den Sammler so wertlos wie das Stück, das seine Sammlung krönen sollte, das er nicht selbst findet und jeden Widerstand überwindend an sich bringt, sondern geschenkt bekommt. Er wird es annehmen, und ihm in der Sammlung seinen Platz geben. Aber es ist nur noch ein Platzeinräumen, ein schon unwilliges Dulden, und bald wird er das so lange begehrte Objekt mit Verachtung strafen. Er wird es schließlich dafür hassen, daß es sich ihm verweigert hat, indem es sich nicht von ihm, sondern einem anderen finden ließ, der es ihm zuführte. Aus dem Motiv der Selbsterweiterung, zu dem die ziellose Neugierde kultiviert wurde, stammt auch die für jede Sammeltätigkeit charakteristische Dynamik. Der Sammler hat in seiner Leidenschaft eine Wünschelrute, die ihn zum Finder von neuen Quellen macht (9). Sammeln ist eine prinzipiell unabschließbare Tätigkeit. Sammeln heißt, zu dem, was schon gefunden wurde, immer noch ein weiteres Stück desselben dazu haben zu wollen. Die unendliche Variationsvielfalt des Selben ist die eigentliche Herausforderung des Sammlers. Er will wissen, welche Varianten es von dem, was ihn fasziniert, geben kann. Ist sie durch die Natur seines Sammelgebie-

tes begrenzt, wendet er alles daran, Vollständigkeit zu erreichen - in der Hoffnung, eines Tages auf ein Stück zu treffen, dessen Existenz unbekannt war. So sind in den grafischen Kunstsammlungen die Stücke die wertvollsten, die kein Werkverzeichnis kennt. Es ist nicht nur die Gewissenhaftigkeit eines Mannes, der sich einen Konservator von Schätzen weiß, es ist auch der Exhibitionismus des großen Sammlers, der Fuchs veranlasst hat, in jedem seiner Werke ausschließlich unveröffentlichtes Bildmaterial, fast ausschließlich seinem eigenen Besitz entstammendes, zu veröffentlichen. Die Suche nach dem Einzigartigen erfordert Maßlosigkeit. Allein für den ersten Band der >Karikatur der Europäischen Völker< hat er nicht weniger als 68ooo Blätter kollationiert, um rund fünfhundert davon auszuwählen. Kein Blatt hat er jemals öfter als an einer einzigen Stelle reproduzieren lassen (10). Der Sammler will finden, was es nicht gibt. Denn er sucht in jedem Fund, was ihm ebenso wie allen anderen auch am unbekanntesten ist: sich. Indem er das ihm Wertvolle um sich versammelt, sammelt er sich zu sich selbst. Gelingt ihm das, ist er der glücklichste Mensch. 1) Ernst-Wilhelm Händler, Welt aus Glas. Roman, Ffm 2009, 184 2) Walter Benjamin, Eduard Fuchs, der Sammler und Historiker, in: ders., Angelus Novus. Ausgewählte Schriften 2, Ffm 1966, 302-343; 333 3) Bruce Chatwin, Utz. Roman, München 1989, 57 4) Manfred Sommer, Sammeln. Ein philosophischer Versuch, Frankfurt/M 1999, 302 5) a.a.O., 8 6) Benjamin, a.a.O., 333 7) vgl. a.a.O., 77-85 8) a.a.O., 84 9) Benjamin, a.a.O., 332 10) Benjamin, a.a.O., 323 Andreas Steffens Fotos: Frank Becker


Da ist Musik drin Begegnungen in der Hochschule für Musik und Tanz Köln / Standort Wuppertal „Günter Wand-Haus“

Variation I: Instrumentalisten Das bescheidene Schild „Günter Wand-Haus“ übersieht man fast beim Betreten des neuen Domizils der Musikhochschule in der Sedanstraße 15. Dafür blickt der Maestro im Frack auf den Besucher vom Treppenabsatz – seit dem 30. Juli ist er Namenspatron der Hochschule geworden. Auch der in Elberfeld geborene berühmte Dirigent hat einst als Student an der Musikhochschule Köln begonnen. In Wuppertal ist diese aus dem Konservatorium hervorgegangen, das 1972 an die Musikhochschule Köln angeschlossen wurde. Bis vor zwei Jahren behalf man sich in Elberfeld an der Friedrich-Ebert-Straße in einer für diese Straße typischen Gründerzeitvilla mit Hinterhof und zurückliegenden Nebengebäuden mit morbidem Charme. Der Umzug nach Barmen in das ehemalige Amtsgerichtsgebäude mit großzügigem Anbau hat die Hochschule zu einem noch professionelleren Ort der Musikerausbildung gemacht. Kaum hat man das Haus betreten ist man mitten in der Musik – sie dringt aus jeder Türritze und erfüllt Flure und Treppenhäuser. Beim Wachdienst und Werkschutz, wie sich die Pförtner nennen, türmen sich die Behältnisse für die großen Instrumente. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen von Dozenten und Studenten, die ihren Studienausweis gegen den Schlüssel für einen Übungsraum tauschen; mal wird ein Klavier benötigt, mal ein Flügel, manchmal geht es auch ohne, ein Student möchte sich nur 10 Minuten Einspielen oder Einsingen vor dem Unterricht, der andere bucht gleich noch einmal zwei Stunden für den Nachmittag dazu. Der Pförtner nennt alle mit Namen, kennt ihre Instrumente, ihre Sorgen und Bedürfnisse und hat für jeden eine fröhliche Bemerkung. Inzwischen beherrscht er elf Sprachen, so behauptet er wenigstens, denn die Hochschule hat internationales Flair, doch die Sprache der Musik ist universal.

Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse, im Treppenhaus des Günter Wand-Hauses, dem neuen Domizil der Musikhochschule

45


Sofort spürt der Besucher die besondere Atmosphäre dieses Hauses, die gleichermaßen von Freude, Harmonie und intensiver Arbeit geprägt ist. Zwei junge Geigerinnen erzählen mir, dass sie sich hier sehr wohl fühlen, jeder kennt jeden, die Dozenten verstehen sich untereinander, und die Stimmung am kleinen Standort Wuppertal mit etwa 220 Studierenden ist sehr entspannt und ungezwungen. Michael Lang studiert Klavier im Studiengang Bachelor of Music. Er findet „die Hochschulleitung extrem gut. Gabriele Amend, die das studentische Sekretariat und das Prüfungsamt leitet, begrüßt die Neulinge gleich mit dem Namen, den sie sich mit den Bewerbungsfotos eingeprägt hat. Man fühlt sich getragen, weil man von Anfang an verständnisvoll und hilfreich betreut wird, und das ist einzigartig.“ Der theoretische Unterricht bei Professor Dr. Lutz-Werner Hesse, Komponist und seit 1 ½ Jahren Geschäftsführender Direktor, ist alles andere als grau, sondern spannend und lebendig. Langs Vater ist Klavierlehrer und hat den Sohn fünf Jahre unterrichtet. Nach dem Lehrerwechsel stellten sich dann nach der anfänglich unbefangenen Spielfreude Blockaden ein, „eine Art musikalischer Pubertät: Die Leidenschaft geht zurück, doch neue Stücke geben neue Ziele und neues Feuer. Jetzt übe ich bedächtiger, überlegter und frage mich, wie kann ich sinnvoll üben. Wenn dann eine Stelle gelingt, stellt sich ein Glücksgefühl ein. Das Musikstück ist die Herausforderung, doch die Zufriedenheit mit dem Ergebnis muss hart erkämpft werden.“ Michiko Tashiro, eine junge Pianistin aus Japan, nimmt mich mit in das Zimmer von Professor Scherrer. Zwei Flügel und ein großer Spiegel gehören zur Ausstattung. „Den Spiegel mögen die Studenten weniger, aber die Kontrolle ist wichtig“, so Professor Scherrer, weil er auf diese Weise den Spieler aus der Sicht des Publikums beobachten kann. Michiko spricht sehr gut Deutsch. Sie hat im Alter von vier Jahren in Japan mit dem Klavierunterricht begonnen und dort eine Schule besucht, auf der sie Deutsch als Fremdsprache wählen konnte: also hatte sie schon früh im Sinn, in Deutschland zu studieren. Sie hat bereits Auslandserfahrung sammeln können, da sie zwei Jahre

46

Mareike Löffler, Akkordeon mit dem Dozenten Helmut Quakernack mit ihren Eltern in den USA gelebt hat. Obgleich bei der Bewerbung Deutschkenntnisse vorausgesetzt werden, gibt es bei einem Ausländeranteil von 40% Sprachprobleme. Sprachkenntnisse sind nicht nur wichtig für die zahlreichen theoretischen Fächer wie Gehörbildung, Harmonielehre, Musikgeschichte oder Musikdidaktik. Besonders wichtig ist es, sich mit dem Dozenten differenziert und sensibel über die künstlerischen Ansprüche des jeweiligen Werkes, die Interpretation und die technische Ausführung verständigen zu können. Die Sprache der Studierenden untereinander ist Deutsch, und in den theoretischen Fächern hilft man sich gegenseitig. Man hilft sich nicht nur, man erzieht sich auch gegenseitig, Dünkel oder Konkurrenzkämpfe gib es nicht, und gerade das, so meinen die beiden Geigerinnen, ist das Schöne am kleinen Standort Wuppertal. Den Bachelor of Music oder den Bachelor of Music in Education kann man in acht Semestern erwerben, in kürzerer Zeit ist das Studium an einer Musikhochschule allein wegen der Anzahl der Fächer und der Übungszeiten nicht zu schaffen. Dazu kommt ein Instrument im Nebenfach, das nur den Pianisten erspart ist. Alle anderen müssen das Klavier als Akkordinstrument belegen, mit Ausnahme der Gitarristen, Mandolinisten und Akkor-

deonisten. Die beiden letztgenannten Instrumente kann man übrigens nur am Standort Wuppertal studieren. Der aufbauende Masterstudiengang benötigt noch einmal zwei Jahre. Zur Eignungsprüfung können sich nur junge Menschen bewerben, die bereits intensiven Vokal- oder Instrumentalunterricht hatten, entweder in der Schule oder privat. Wichtige Vorarbeit leisten auch häufig die musischen Gymnasien. Die Eignungsprüfungen sind unterschiedlich in den Anforderungen, je nachdem welcher Abschluss angestrebt wird. An die angehenden Musikpädagogen (Bachelor of Music in Education) werden weniger hohe Anforderungen im künstlerischen Vorspielen gestellt, dafür müssen sie während der Prüfung mit den Mitbewerbern ein Stück einstudieren. Dazu kommt u. a. die gefürchtete Prüfung in Gehörbildung – für die meisten ein Stolperstein - , die jedoch wiederholt werden darf. Die Eignungsprüfung, so die beiden Geigerinnen, ist für alle hart, drei Stücke muss jeder vorbereiten, davon dürfen zuweilen nur 10 Minuten vortragen werden, aber in Wuppertal bekommt man sogar einen Vorbereitungsraum zur Verfügung gestellt. Professor Christian Roderburg, Dozent für Schlagzeug, stellt bei Eignungsprüfungen oft unterschiedliche Leistungen fest. Im Zweifelsfall empfiehlt er dem


Das Hochschulorchester Bewerber, den Lehrer zu wechseln und erneut vorzuspielen. Die Lebensläufe der Studenten sind höchst unterschiedlich, so konnten auch einige, die erst auf dem zweiten Bildungsweg in die Schlagzeugklasse gekommen sind, ihr Hochschulstudium erfolgreich absolvieren. Seit 1991 hat Roderburg 45 Schlagzeuger ausgebildet, die alle weitgehend mit ihrer Berufstätigkeit zufrieden sind. Gegenwärtig sieht er zurückgehende Bewerberzahlen, weil angesichts der Finanznot der Städte Stellen an Musikschulen und Orchestern reduziert werden und auch die Konzertangebote freier Veranstalter zurückgehen. Dennoch möchte er seinen Studenten Mut machen und lehrt sie auch, flexibel zu sein und „sich zu vermarkten“. Schlagzeuger haben nicht nur ein äußerst reichhaltiges Instrumentarium zu beherrschen, sondern sie benötigen auch ein gutes Gehör und eine gute Klangvorstellung, z.B. zum Einstimmen der Pauken. Um ein Vibraphon oder ein Marimbaphon mit zwei oder vier Schlägeln zu spielen, braucht es ein genaues Koordinationsvermögen der Bewegung. Rhythmus hat überhaupt viel mit Körpergefühl, mit Raumgefühl zu tun. Verspanntheit ist ein verbreitetes Problem, doch lassen sich durch richtiges Üben und die richtige Art der Spieltechnik einiges bewirken. Der Beruf des Schlagzeugers erfordert viel Flexibilität. Roderburg selbst wusste als

Günter Wand-Haus, Haupteingang Musikstudent noch nicht so recht, „wo die Reise hingehen sollte.“ Er hat viel unterrichtet, Musik gemacht, als Aushilfe im Orchester gespielt und experimentiert: „Man muss schon ein bisschen verrückt sein und lernen, sein Leben zu organisieren“. So mussten einmal beim Spiel in einer Kirche die großen Schlaginstrumente per Seilzug nach oben geschafft werden, weil sie nicht durch die enge Wendeltreppe zur Orgelempore passten. Seit das Studium nicht mehr ausschließlich „klassisch“ orientiert ist, hat der Schlagzeuger nicht nur zu lernen, sich in allen Stilarten zu bewegen, sondern auch; die zahlreichen Percussionsinstrumente samt ihren unterschiedlichen Spieltechniken zu beherrschen. Abgesehen von den theoretischen Fächern ist für die Studenten Klavier als Nebenfach obligatorisch, da es als Akkordinstrument für die Musikalität und das Umsetzen der theoretischen Kenntnisse unerlässlich ist. Salome Amend ist mit 19 Jahren sicher eine der jüngsten Studentinnen an der Musikhochschule. Auch sie kommt aus einem musikalischen Elternhaus. Als die Fünfjährige anlässlich eines Tages der offenen Tür einer Musikschule die Pauken mit ihrer spannenden Pedaltechnik kennenlernte, hat sie es sich in den Kopf gesetzt, Schlagzeug zu lernen. Sie hat sich durchgesetzt und zunächst im Gruppenunterricht mit Handperkussion

und später im Einzelunterricht bei Uwe Fischer-Rosier, Dozent an der Musikhochschule, gelernt. Er hat ihr Talent in besonderer Weise gefördert. Salome muss über 200 Perkussionsinstrumente aus allen Erdteilen beherrschen, denn seit dem 20. Jahrhundert ist die Schlagmusik international. Die Literatur für diese Instrumente ist erst etwa 70 Jahre alt und hat sich vor allem durch das Aufkommen des Jazz durchgesetzt. Dimitri Schostakowitsch war der erste Komponist, der 1928 eine Bühnenmusik für „Die Nase“ (nach Gogol) ausschließlich für Schlaginstrumente komponiert hat, Edgar Varèse folgte 1929/31 mit „Ionisation“, das für 13 Spieler besetzt ist, die mehrere Instrumente bedienen. Auch Salome hat im Alter von 15 Jahren den Lehrer gewechselt und für sich den Jazz entdeckt, der bis heute ihre Leidenschaft ist. Musik hatte für sie immer den höchsten Stellenwert, das mussten sowohl ihre Freunde verkraften als auch die Schule, in der sie wegen der Konzerte häufig gefehlt hat. Es gab auch keinen Sport, denn „Musik macht mich glücklich.“ So hat sie sich nach dem Schulunterricht erst einmal durch Schlagzeugspielen erholt. Geübt wird mit individuell angepasstem Gehörschutz aus Silikon. Zum Ausgleich für anstrengendes Üben helfen Entspannungstechniken, die für alle Studenten Teil des Lehrplanes sind. Probleme mit dem Auswendigspielen hat

47


sie nicht – beim Spiel mit zwei oder vier Schlägeln hat man ohnehin keine Zeit in die Noten zu schauen. Salome Amend möchte lieber unterrichten und als freie Musikerin arbeiten, denn im Orchester fürchtet sie Druck und Konkurrenzkämpfe. Was macht ein Schlagzeuger in den langen Pausen? „Wenn man das Stück nicht gut kennt, muss man zählen“, sagt Salome, „aber die Pausen sind sehr wichtig, auch sie sind Musik, und man muss die Spannung halten.“ Als Musiker möchte und muss man konzertieren, und für ein Konzert benötigt man Publikum. Deshalb finden während des Semesters neben internen Konzerten mehrmals wöchentlich öffentliche Konzerte in unterschiedlichsten Zusammensetzungen statt, vom reinen Violinabend bis zum Dozentenkonzert, Opernabenden und großen Sinfoniekonzerten. Aufgetreten wird ganz professionell in schwarzer Kleidung und Lederschuhen, für jedes Konzert gibt es ein Programm und manchmal wird es vom Dozenten oder von den Studierenden moderiert. Diese Konzerte sind immer ein besonderes Erlebnis voller Überraschungen, nicht nur, weil sie hohe künstlerische Qualität bieten. Neben der klassischen Musik hat die Neue Musik einen wesentlich höheren Stellenwert als in herkömmlichen Konzerten. Auch lassen sich Dozenten und Studenten immer etwas Neues einfallen. So kann man selten gespielte Stücke in ungewöhnlichen Besetzungen erleben. Professor Albrecht Winter hat das Hochschul-Salonorchester ins Leben gerufen, ein studentisches Ensemble mit vielfältiger Besetzung, das die Ausbildung sinnvoll ergänzt. Der Erfolg und die Begeisterung waren so durchschlagend, dass sich inzwischen aus Absolventen der Hochschule das professionelle „Salonorchester O là là“ gegründet hat. Salomes Bruder Raphael ist der Sologeiger, Michiko Tashiro spielt Klavier. Salonmusik und Operettenarien sind, was die musikalischen Anforderungen angeht, mitnichten leichte Muse, denn sie erfordern höchste künstlerische Fertigkeiten und fördern die Vielseitigkeit und die Spielfreude der Studierende der Posaunenklasse

48

jungen Musiker. Die Tradition der Treppenhauskonzerte, die im alten Domizil noch mehr oder weniger im Verborgenen entstanden ist, wurde unlängst im neuen Treppenhaus fortgesetzt – mit viel mehr Publikum und Experimenten mit ungeahnten Klangmöglichkeiten.

auch in der Mensa.“ Ausgerechnet während des Gespräches mit Salome Amend im Schlagzeugkeller herrschte dort zufällig absolute Ruhe! Vollkommen still wird es jeden Tag um 22.00 Uhr, wenn der Wachdienst alle Türen verschließt. Bis zum nächsten Morgen, wenn Stille und Musik erneut einander ablösen.

„Das einzige, was ich in diesem Haus manchmal vermisse,“ sagt eine der jungen Geigerinnen, „ist die Stille, denn hier ist immer überall Musik, überall ist es laut,

Marlene Baum Fotos: Christian Nielinger


Nicht nur der offizielle Dienst ... Oder: Was auf einen Orchester­ musiker sonst noch zukommt

Sinfonieorchester Wuppertal, Foto: Andreas Fischer Das Tätigkeitsfeld der Mitglieder des Sinfonieorchesters Wuppertal beschränkt sich keineswegs auf die Arbeit in der Historischen Stadthalle und im Orchestergraben des Opernhauses, nicht allein auf die Abenddienste und die unzähligen Proben. Wollte man dies aufrechnen, wollte man die Vorbereitung, das tägliche Üben hinzunehmen, wäre das zu leistende Pensum ein noch imposanteres. Nicht zu unterschätzen ist es, wenn in Konkurrenz zu den heute fast nur noch jettenden Großen des Konzertlebens solistische Leistungen geboten werden, die durchaus mit hohen internationalen Maßstäben mithalten können. Erinnert sei hier daran, dass auf die jeweils Ersten ihres Instruments im Orchester Aufgaben zukommen wie etwa ein Violinkonzert von Bartók, Beethoven, Mozart, Sibelius oder Tschaikowsky, wie ein Violoncellokonzert von Hindemith oder Lalo, ein Trompetenkonzert von Haydn oder ein Oboenkonzert von Albinoni, auch so anspruchsvolle Aufgaben wie die Solopassagen etwa in Bachs Brandenburgischen Konzerten. Nicht genug damit, was das Arbeitsgebiet unserer Orchestermusiker betrifft. Eine Rundfrage hat dies besonders unter dem Gesichtspunkt des Pädagogischen deutlich gezeigt. Erfahrungen wollen

und müssen weitergegeben, die Liebe zum Beruf will und muss ständig neu gepflanzt werden. So sind viele Mitglieder des Wuppertaler Sinfonieorchesters als Dozenten an der Hochschule für Musik Köln (Standort Wuppertal), der Folkwang Universität der Künste Essen, der Bergischen Musikschule und an Musikschulen benachbarter Städte tätig. Und sie unterrichten soweit es die Zeit erlaubt auch privat, betreuen Laienmusikgruppen und geben ihr umfangreiches Wissen weiter. Welche beachtlichen Resultate erreicht werden können, demonstriert vor allem das Education-Team des Orchesters mit ihren zahlreichen Projekten wie regelmäßigen Klassenbesuchen in Vorbereitung auf die Schulkonzerte, Organisation der Familien- und Schulkonzerte sowie die Organisation und Durchführung der Schulorchesterprojekte (Bolero 2006, Carmen 2008, West Side Story 2011), bei denen Profis mit Schülern gemeinsam musizieren. Sie sind zudem ständige Ansprechpartner für Lehrer, Eltern und Kinder. Neben den Einladungen unserer Orchestermitglieder mit anderen Orchestern auf Reisen zu gehen, die etwa bei großen romantischen Opern oder Sinfonien auch bei Werken der neueren Literatur auf Verstärkung angewiesen sind, geben sie regelmäßig mit ihrem Chefdirigent

Toshiyuki Kamioka Gastspiele im Inund Ausland. Tourneen führten unter anderem nach Paris, Breslau, Turin und Rom. Neben jährlichen Veranstaltungen in Mailand und einem Konzert in Ravello mit dem Weltklasse-Saxophonisten Branford Marsalis stand die Saison 2007/08 besonders im Zeichen der großen Japan-Tournee: In Tsukuba, Yokohama und Tokio spielte das Sinfonieorchester Wuppertal fünf ausverkaufte Konzerte in beeindruckenden Konzerthallen des Landes. Im Oktober 2010 wird das Orchester auf seine 2. Konzertreise nach Japan gehen. Dort gibt es an 13 Tagen 10 Konzerte und wird auch erstmals in der berühmten Suntory Hall in Tokio auftreten. Last but not least die Kammermusik, der sich eine Vielzahl von Orchestermusikern mit großer Leidenschaft widmen und deren Programme sich stets durch eine persönliche Note auszeichnen. Zu unterscheiden ist hier zwischen Ensembles, die ausschließlich oder vorwiegend aus Orchestermitgliedern bestehen und solchen, in denen ein einzelnes Orchestermitglied gleichsam die Funktion der künstlerischen Leitung oder auch „nur“ der verantwortungsvollen Mithilfe übernommen hat. Antje Riewe

49


Neue Kunstbücher Vorgestellt von Thomas Hirsch Die Sekunde davor Wann hat sich die Reportagefotografie im allgemeinen Bewusstsein als eigenständige Form von Bild etabliert und seit wann wird sie als Genre der Kunst rezipiert? Ein wichtiger historischer Schritt in Richtung künstlerischer Wertschätzung war gewiss die Gründung der Agentur MAGNUM in Paris 1947 durch Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, George Rodger und David Seymour. MAGNUM war Fotojournalismus vom Besten, radikal in den Themen und Arbeitsgebieten (etwa die Kriegsfotografie von Capa) und exzellent in der bildnerischen Umsetzung (CartierBresson). Weniger bekannt ist hierzulande der Beitrag von George Rodger (19081995), der in seiner Arbeit immer auf Reisen war. So war er während des

George Rodger, Unterwegs 1940-1949. 160 S. mit 62 s/w-Abb., Hardcover, 24 x 16 cm, Hatje Cantz, 24,80 Euro Zweiten Weltkriegs u.a. für LIFE in 61 Ländern als Kriegsberichterstatter tätig – und beschloss danach, traumatisiert durch die Erfahrungen bei der Öffnung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen, nie wieder kriegerische Konflikte zu fotografieren. Nach der Gründung von MAGNUM begab sich Rodger 1949/50 auf eine ausgedehnte Reise durch Afrika und

50

den Vorderen Orient, mit der Kamera als stetem Begleiter und wie in den Jahren davor mit einem Tagebuch im Gepäck. Aber waren anfangs die Texte wichtiger und die Fotografien gewissermaßen souveräne Illustration, so wechseln bald die Rollen: Nun liegt die Bedeutung vor allem in den fotografischen Aufnahmen, diese enthalten alle Informationen und vermitteln noch ethnologische Beobachtungen. Die Texte stellen den Kontext her, in einer bemerkenswerten sprachlichen Befähigung. Das feine Buch, das mit dem Untertitel „Unterwegs. 19401949“ bei Hatje Cantz erschienen ist, funktioniert jedenfalls als Lese- wie auch als Fotobuch. Sehr unprätentiös in der Aufmachung, stellt es Rodger mit seinem wichtigsten Jahrzehnt vor, in dem er das Genre wechselt und mit seinen Bildern tatsächlich veritable Kunstwerke schafft. Dazu trägt seine Intensität des Erlebens bei. Nie sind seine Fotografien Sensationsjournalismus (der uns heute in den Tageszeitungen so auf die Nerven geht!), sondern sensible Vermittlung aufgrund von Betroffenheit. George Rodger wird mit all dem, was er relativ jung geschaffen hat, zu einem Wegbereiter für die Nachkriegsfotografie. Zu zwei der wichtigsten Fotojournalisten der deutschen Geschichte nach 1945 sind unlängst ebenfalls wichtige Monographien erschienen. Die Fotos beider Journalisten, die zunächst für Zeitschriften entstanden, gehören längst zu unserem kollektiven Gedächtnis – ja, sie prägen unsere Wahrnehmung bzw. Erinnerung der Geschichte. Josef Heinrich Darchinger (geb. 1925) ist als Fotograf des Spiegels und der Zeit der Chronist des deutschen Wiederaufbaus, und Harald Schmitt (geb. 1948) hat im Auftrag des stern den Wandel des Ostblocks über Jahrzehnte dokumentiert. Darchinger ist als Fotograf überschauend, gelassen. Schmitt hingegen der Mann für die Sekunde, oft spürt man eine gewisse Gehetztheit, das Besondere des Augenblicks. Darchinger hat in seiner Fotografie auf Wiedererkennung gesetzt – oft auch

in Farbe fotografiert –, damit tragen seine Fotos heute einen gewissen nostalgischen Ton. Seine Fotos sind geradezu „klassisch“ komponiert. Harald Schmitt fotografiert bis heute überwiegend in s/w. Er lässt Unschärfen zu, geht extrem nah heran und provoziert dadurch eine gewisse Sympathie für die Menschen, mit denen wir fast leiblich konfrontiert sind. Der zeithistorische Hintergrund – ein bahnbrechendes Ereignis im Fluss der Geschichte – erschließt noch die Besonderheit von Szene und Situation. „Fotografien vom Ende des Staatssozialismus“ lautet der Untertitel seines Buches, das die Bilder ganzseitig setzt. Die Unterschiede in der Herangehensweise dieser beiden Fotografen werden an

Josef Heinrich Darchinger, Wirtschaftswunder. Deutschland nach dem Krieg 1952-1967. 285 S., durchgehend farbig und s/w bebildert, geb. mit Schutzumschlag, 26 x 31 cm, Taschen, 29,99 Euro einer historischen Situation und Einstellung vom 13. Dezember 1981 deutlich, also einmal aufgenommen von Darchinger, einmal von Schmitt. Nach einem dreitägigen Gipfel, der eine Annäherung von Bundesrepublik und DDR mit sich brachte, reist Bundeskanzler Helmut Schmidt mit dem Zug ab. Symbolisch ist die Handreichung: Schmidt reicht seinen gestreckten Arm aus dem Fenster heraus, Honecker streckt seinen entgegen. Darchinger fotografiert den Augenblick, in dem Honeckers Hand in der von Schmidt liegt, als entschiedene Geste, zugleich gliedert die daraus entstehende Diagonale das Bildformat. – Harald Schmitt aber fotografiert eine Sekunde


bei Harald Schmitt mit einer Ausstellung u.a. im Martin Gropius-Bau in Berlin verbunden. Hannes Kilian fotografiert grundsätzlich in s/w und er zieht alle Register der handwerklichen MĂśglichkeiten: im Ausschnitt, in der Perspektive, in der Lichtdramaturgie, im All-Over oder der BildfĂźllung durch Reihung und Staffelung. Damit arbeitet Kilian explizit auf einen Stil hin, hinter dem der Wille nach Ausdruck und Verdichtung steht. Freilich, manchmal drängt die formale Raffinesse die Deutlichkeit der inhaltlichen Aussage an den Rand – immer aber ergibt sich daraus eine bemerkenswerte Spannung von Form und Inhalt. Hannes Kilian ist also ein Fotograf, der am und mit dem Beispiel deutscher Gesellschaft dafĂźr schärft, Wirklichkeit in ihrer FlĂźchtigkeit zu sehen, das Besondere zu entdecken – und es uns dann auch leichter macht, Fotografie-KĂźnstler vom Kaliber eines Harald Schmitt richtig zu „lesen“. Also, man muss genau hinsehen bei solchen Fotos, die sich voller HintergrĂźnde und mit ihren Anspielungen erst allmählich entschlĂźsseln.

Einem anderen Fotografen schon. Hannes Kilian (1909-1999) steht gänzlich in kĂźnstlerischen Traditionen, per se schon durch sein zentrales Betätigungsfeld, dem er sich Ăźberwiegend von Stuttgart aus gewidmet hat und fĂźr das er als groĂ&#x;er Meister der Fotografie gilt: das Ballet mit seinen Eigenschaften der Bewegung, des innigen Ausdrucks im Zusammenspiel von Gestus und Mimik, in der LichtSchatten-Dramaturgie. Dass er aber auch ein herausragender Chronist deutschen Lebens und ein bemerkenswerter Porträtfotograf ist, das belegt jetzt die Monographie, die vor einigen Monaten bei Hatje Cantz erschienen ist. Ăœbrigens war sie wie

davor. Da sind die Arme noch getrennt und Honecker hält mit spitzen Fingern ein (Husten-?) Bonbon – nun erklärt sich auch der winterliche Anzug und das Verschmitzte in den Gesichtern weiter. Zugleich trägt die Geste etwas ZĂśgerliches. Darchinger zeigt das VersĂśhnliche, Schmitt hingegen das Getrennte, FragwĂźrdige ... Generell, Darchinger hat nicht die Härte von Schmitt, es geht ihm um das direkte Bildgeschehen, während Schmitts Fotografie in der Betrachtung immer komplexer wird und mit UntertĂśnen arbeitet. Damit ist Schmitt dem Kunstwerk schlieĂ&#x;lich doch näher – aber darum geht es dem groĂ&#x;en Nachkriegsfotografen Darchinger gar nicht.

Hannes Kilian, hrsg. Klaus Honnef. 352 S. mit 342 Duplex-Abb., geb. mit Schutzumschlag, 30,7 x 25 cm, Hatje Cantz, 39,80 Euro

Harald Schmitt, Sekunden, die Geschichte wurden. 256 S. mit ca. 230 ganzseitigen Abb., Broschur, 28,5 x 21 cm, Steidl, 18,- Euro

 Â?Â?Â? Â? ­­ Â? Â?  Â? € Â? Â?  Â‚ ƒƒƒ „ …ƒ ­­ † „ ‡ ˆ „ …ƒ ­­ †

51


Eric Richards & Astrid Demtröder

Konzerte im Landhotel Jammertal In the summertime – unter diesem Motto startet das Landhotel Jammertal in den Monaten Juli und August eine Serie mit außergewöhnlichen Künstlern. Die Aufführungen finden jeweils Mittwoch, ab 20.30 Uhr, statt. Am 28. Juli, dreht sich alles um irische, schottische und englische Folksongs. Vorgetragen werden dabei von Ralf Weihrauch (Akkordeonist und Sänger) auch Balladen, die selbst in den Ursprungsländern nicht zum alltäglichen Repertoire gehören. Den Auftakt im August macht am 4. das Spirit of Louis Armstrong-Trio, das ursprünglich am 17. Juni auftreten sollte, aber wegen der Fußball-Weltmeisterschaft verschoben wurde. Eberhard Dodt (Gitarre), Anselm Vogt (Gesang) und Rainer Matz (Trompete) lassen noch einmal die weltberühmten Songs des Altmeisters aufleben. Zu einem Boogie Woogie-Abend laden am 11. August der Recklinghäuser Thomas Nowak (Gesang und Piano) und Holger Seemann (Schlagzeug). Mit einem Jazz- und Bluesabend geht die Sommersaison im Jammertal am 18. August in die Schlussphase. Das Duo Astrid Demtröder (Gesang) und dem in England geborenen Pianisten Eric Richards begeistert mit Jazz-Standards, Latin, Blues und Pop-Songs.

Den Schluss macht am 25. August der Recklinghäuser Gitarrist Ingo Marmulla mit Band. Die Truppe mit Casper van Meel (Kontrabass) und Dominic Brosowski (Schlagzeug) lässt erneut den Jazz und Blues aufleben. Wie immer ist die Veranstaltungsreihe, die aufgrund der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 ins Leben gerufen wurde, für Hotelgäste kostenlos. Für weitere Besu-

52

Ingo Marmulla

Kulturnotizen

cher bietet sich die Möglichkeit, diesen Abend mit einem Dinner-Büffet (ab 18 Uhr) zu kombinieren. Weitere Auskünfte unter 02363 3770 oder www.landhotel-jammertal.de Natur wird Kunst - Georg Arends Die Staudengärtnerei Arends-Maubach in Wuppertal – Ronsdorf ist eine der ältesten in Deutschland. Ihr Gründer Georg Arends (1863-1952) hinterließ der Nachwelt etwa 350 neue Züchtungen und darüber hinaus auch ein riesiges Archiv an Pflanzenzeichnungen und vor allem Fotografien auf Glasplattennegativen. Diese Sammlung ruht, von der Öffentlichkeit kaum beachtet, bis heute im Archiv der Gärtnerei. Die über tausend Glasplattennegative entstanden in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts. Das Von der Heydt-Museum hat jetzt aus diesem großartigen Fundus neue Abzüge erstellen lassen, die das Zentrum der Ausstellung „Natur wird Kunst – Georg Arends“ bilden. In der Geschichte der Pflanzendarstellungen stehen Naturwissenschaft und Kunst sehr nahe beieinander. Für den Botaniker entscheidend war seit der Antike die genaue Abbildung der Pflanze – ein Bereich, in dem eine naturalistische Darstellungsweise besonders wichtig ist. Seit der Entwicklung der Fotografie in der Mitte des 19. Jahrhunderts fand deshalb gerade dieses Medium wegen seiner Präzision und „Unbestechlichkeit“ eine weite Verbreitung und löste die Zeichnung teilweise ab. Dies bedeutete eine Weiterentwicklung in der Darstellung der Botanik, die sich so besonders schön in den Bildern der Staudengärtnerei Georg Arends ablesen lässt. Die Schwarz-Weiß-Fotografien aus

der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigen verschiedene Pflanzen, vorrangig Georg Arends´ Hauptzüchtungsgruppen, Primeln, Astilben, Azaleen, Rhododendren und Steingartengewächse. Aber auch Gesamtauf-nahmen der Gärtnerei haben die Fotografen von einer Leiter oder von dem hohen Schornstein aus erstellt. Manche der Fotos dienten auch als Vorlage für den jährlichen Preiskatalog der Gärtnerei. Die Fülle des Archivs übersteigt jedoch bei weitem die reine Zweckdienlichkeit: Sie zeugt von der Begeisterung für die Fotografie, von der Leidenschaft vergängliche Blüten in Bildern festzuhalten, von der Akribie eines Züchters und Gärtners und dem Wunsch, all seine Pflanzen in Abbildungen zu erfassen.

Georg Arends unter Blutbuche, heiter; Juni 1928; Schwarz-Weiß-Fotografie; Staudengärtnerei Arends Maubach Ein Teil des Archivs besteht aus Farbfotografien, die damals noch selten und zudem sehr teuer waren. Sie zeigen den hohen Stellenwert, den die Fotografie für Georg Arends hatte. Hier wurde an Material nicht gespart. Die Pflanzen werden so gezeigt, wie sie sind: gestochen scharf - auch in hoher Auflösung, ohne Verfremdungseffekte. Ein gespanntes Leintuch dient oft als Hintergrund, welches von Helfern gehalten wurde, die auf den Fotos teilweise noch zu erkennen sind. An feinen Schatten erkennt man eine professionelle Ausleuchtung. Dabei überzeugen die Bilder vor allem durch die in einem Bildausschnitt eingefangenen


Ausbildungszeit von 1882 – 1884 in der „Höheren Lehranstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau“ in Geisenheim (bei Wiesbaden). Hierin widmete sich Georg Arends der Darstellung exotischer Pflanzen und der Erfassung aller damals bekannten Apfelund Birnensorten. In diesen Bildern wird das botanische Interesse noch deutlicher als bei den Fotos: Wir sehen die Pflanze oder Frucht als Objekt ohne Hintergrund dargestellt, die Blüten sind teilweise abgetrennt und im Detail, in der Aufsicht und Ansicht, gezeigt. Dieses Abtrennen und Danebenlegen der Blüte ist oft so geschickt komponiert, dass es dem Betrachter erst beim genaueren Hinsehen auffällt. Weiterhin wird der Eindruck einer ganzen, lebenden Pflanze vermittelt. Und Rhododendron racemosum; 1913; Schwarz-Weiß-Fotografie; Staudengärtnerei Arends Maubach Strukturen. Der klare Blick auf sich wiederholende Elemente weckt Assoziationen zu den Fotografien von Albert Renger-Patzsch. Die Bilder können nicht immer eindeutig einem Fotografen zugeordnet werden. Viele tragen keinerlei Hinweis auf den Fotografen. Der größte Teil der Fotos stammt wohl von Georg Arends´ Söhnen Erich (1894-1967) und Werner (1896-1967). Von Georg Arends´ Hand stammen die Aquarelle und Zeichnungen, die den zweiten Schwerpunkt unserer Ausstellung bilden. Sie entstanden während seiner

Georg Arends: Pfirsichroter Sommerapfel; Ohne Jahr; Aquarell mit Deckfarbe; Staudengärtnerei Arends Maubach doch wirkt dieses Sezieren wie ein leiser Hinweis auf die botanische Intention der Abbildung.

Wir freuen uns außerordentlich über den Fund des Bildarchivs Georg Arends, der die Forschung zur wissenschaftlichen Pflanzendarstellung an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhunderts sicher beflügeln wird und hoffen, dass auch unsere Besucher an dieser Entdeckung ihre Freude haben werden. Von der Heydt Museum 24.08. 2010 – 02.01.2011 Turmhof 8 D-42103 Wuppertal www.von-der-heydt-museum.de Das Theater ist auf der Straße Ausstellung in Leverkusen erinnert an die Happenings von Wolf Vostell Wer sich bis 15. 8. 2010 dem Portal von Schloß Morsbroich in Leverkusen nähert, kann leicht über ein rostiges Bahngleis stolpern, auf dem quer zur Fahrtrichtung ein alter, schwarzer, zerbeulter Mercedes 170 plaziert wurde. Ein Großfoto im Hintergrund bettet die Inszenierung in ihren historischen Kontext ein, erinnert an ein spektakuläres Ereignis, das im Jahr 1963 in Wuppertal stattfand. Gegenstand der unter dem programmatischen Titel „Das Theater ist auf der Straße“ firmierenden Ausstellung sind fünfzig Happenings des Fluxuskünstlers Wolf Vostell (1932-1998), oder genauer, was davon übrig geblieben ist: Konzepte, Happening-Partituren und -Notationen, Einladungen und sonstiges dokumenta-

Unsere Kulturförderung ist gut für die Sinne. Kunst und Kultur prägen die gesellschaftliche Entwicklung. Die Sparkassen-Finanzgruppe ist der größte nichtstaatliche Kulturförderer Deutschlands. Auch die Stadtsparkasse Wuppertal ist ein wichtiger Partner für Kunst und Kultur in unserer Stadt. Das ist gut für die Kultur und gut für Wuppertal. www.sparkasse-wuppertal.de

Sparkasse. Gut für Wuppertal.

S

53


Foto: Rainer K. Wick risches Material, Fotos, Filme und das, was Vostell selbst als Happening-Fallouts bezeichnet hat, also Relikte, die im Rahmen von Aktionen, die zwischen 1958 und 1988 stattgefunden haben, entstanden sind. Davon zeugen gleichermaßen seine Plakatabrisse, Objektbilder, Druckgrafiken und Happenings, mit denen er in den sechziger Jahren zum bedeutendsten europäischen Vertreter dieser Kunstform wurde. In diesem Sinne zu den „klassischen“ Happenings des Künstlers gehören die „9 Nein-dé-coll/agen“, die am 14. September 1963 in Wuppertal stattfanden. Ausgehend von Rolf Jährlings Galerie Parnass wurden die Teilnehmer mit einem Bus durch die Stadt transportiert und erlebten u.a., wie auf dem Rangierbahnhof Vohwinkel eine Dampflok mit ihren Puffern einen PKW demolierte, wie in Mixern eine Bildzeitung gemahlen, wie in einem nächtlichen Steinbruch ein Fernsehgerät zur Explosion gebracht und wie Plastikspielzeug auf Elektrokochern geschmolzen wurde. Dies und vieles mehr breitet die Leverkusener Ausstellung auf zwei Etagen mit Hilfe von umfangreichem dokumentarischen Material aus dem Happening Archiv Vostell in Malpartida de Caceres aus. Die Ausstellung wird von einem reich bebilderten Katalog begleitet. Sie wird von Oktober 2010 bis Februar 2011 im Museo Vostell Malpartida in der Nähe der spanischen Stadt Cáceres in Extremadura gezeigt. Das Theater ist auf der Straße. Die Happenings von Wolf Vostell Museum Morsbroich, Leverkusen (bis 15. 8. 2010) www.museum-morsbroich.de Katalogbuch im Kerber Verlag, 24 × 30 cm, 344 Seiten, deutsch/spanisch ISBN 978-3-86678-431-4, in der Ausstellung € 30,-, im Buchhandel € 44,80

54

Eva Bertram: „2 Ein Kind – 1998-2009“ Fotografien von Eva Bertram mit einem Essay des Wuppertaler Philosophen Andreas Steffens. Eva Bertram hat in ihrem Fotoprojekt „2 Ein Kind“ über einen Zeitraum von elf Jahren das Aufwachsen und die Entwicklung ihrer Tochter mit der Kamera verfolgt, in Schnappschüssen und Inszenierungen festgehalten. Ein auf den ersten Blick unverfängliches, an die Idee eines Familienalbums erinnerndes Vorhaben. Beim genauen Betrachten hingegen wirkt die öffentliche Präsentation des Kindes unangenehm, ja peinlich, dringt man doch mit Auge und Verstand uneingeladen (vom Kinde, notabene) in die intime Welt dieses kleinen Menschen ein, dem durch die Mutter die Selbstbestimmung genommen wurde. Mehr noch: Eva Bertram – eine interessante Fotografin, wie ihr Band „Inseln“ belegt - reißt mit ihrem Buch dem Kind den Schleier des Geheimnisses der Kindheit vom zarten Gesicht, exponiert das Mädchen auf beinahe voyeuristische Manier.

der 1797 in seinem „Hyperion“ schreibt: „Ruhe der Kindheit! himmlische Ruhe! wie oft steh´ ich stille vor dir in liebender Betrachtung, und möchte dich denken! (...) Ja! ein glücklich Wesen ist das Kind, solang es nicht in die Chamäleonsfarbe der Menschen getaucht ist. - Es ist ganz was es ist, und darum ist es so schön. Der Zwang des Gesetzes und des Schicksals betastet es nicht! im Kind ist Freiheit allein. - In ihm ist Frieden! es ist noch mit sich selber nicht zerfallen. Reichtum ist in ihm; es kennt sein Herz, die Dürftigkeit des Lebens nicht. Es ist unsterblich, denn es weiß vom Tode nichts. Aber das können die Menschen nicht leiden. Das Göttliche muß werden, wie ihrer einer, muß erfahren, daß sie auch da sind, und eh es die Natur aus seinem Paradiese treibt, so schmeicheln und schleppen die Menschen es heraus, auf das Feld des Fluchs, daß es wie sie im Schweiße des Angesichts sich abarbeite. Aber schön ist auch die Zeit des Erwachens, wenn man nur zur Unzeit uns nicht weckt.“ Frank Becker Eva Bertram – „2 Ein Kind - 2 One Child“ Gestaltung von Eva Bertram, Hans Schumacher, Text von Ulrich Pohlmann, Andreas Steffens (Deutsch, Englisch) © Hatje Cantz 2010, 160 Seiten, 76 farbige Abb., 21,70 x 25,10 cm, gebunden, 29,80 Euro, ISBN 978-3-7757-2621-4

Selbst Andreas Steffens´ einfühlsamer, in die Tiefe des Themas Kindheit gehender Essay „Fotografie der Kindheit, Kindheit der Fotografie“ vermag dieses bedrückende Gefühl nicht zu mildern. Wo er die Geschichte einer/der Kindheit sieht, die „Bildkunst einer ästhetischen Tochterkonstitution“, ein „Dokument, das verewigt, was zum ersten Mal war“, sehe ich den kaum zu ertragenden Diebstahl einer ungestörten Kindheit mit all ihren Wandlungen. Mir fällt dazu Friedrich Hölderlin ein,

Ausstellung zur Glaskunst des Art Déco in Frankreich Düsseldorf - Das Glasmuseum Hentrich im Grünen Gewölbe der Düsseldorfer Tonhalle zeigt bis zum 31. Oktober Glaskunst des Art Déco in Frankreich. Als René Lalique und die Brüder Schneider ihre jeweiligen Glasfirmen 1909 und 1909/10 gründeten, war die Ära des Jugendstils vorbei, aber ein neuer Stil noch nicht in Sicht. Entsprechend unkonventionell, frisch und einzigartig nehmen sich die Werke dieser beiden Unternehmen aus, hieß es am Freitag. Noch den Werten des Art Nouveau und der „École de Nancy“ verhaftet, entstanden in den Verreries Schneider knallbunte Gläser in handwerklicher Fertigung vor dem Ofen. Lalique hingegen, der selbst


Ausstellung „Outdoor and outside“ in Recklinghausen Recklinghausen - Unter dem Titel „Outdoor and outside“ ist in der Kunsthalle Recklinghausen eine Ausstellung des japanischen Künstlers Tadashi Kawamata zu sehen. Kawamata schafft Installationen, die auf ihre Umgebung, auf die Geschichte und Funktion eines Ortes oder eines Gebäudes reagieren. Trotz ihres eindeutig skulpturalen Anspruchs lehnten sich die Kunstwerke meist eng an eine architektonische Formensprache an und hätten eine konkrete Funktion, hieß es beim Start der Schau weiter. Auf dem Vorplatz der Kunsthalle errichtete der 1953 in Hokkaido geborene Künstler ein überdimensionales Turmmodell, das symbolisch den Blick von oben auf die Region ermöglicht. In einer parallelen Ausstellung zeigt die Kunsthalle - ausgehend von einem Sammlungsschwerpunkt der Recklinghäuser Museen - auch die unterschiedlichen Facetten der Outsiderkunst im Ruhrgebiet. Zu

Andreas Niemeyer WP/StB

Thomas Pintzke StB

Katrin Schoenian WP/StB

Dr. Jörg Steckhan RA/WP/StB

Peter Temmert WP/StB

Susanne Schäfer StB

Stephan Schmacks StB

VIEL MEHR ALS NUR STEUERN

Unternehmensberatung – Wirtschaftsprüfung – Steuerberatung – Personalvermittlung – Marketing

Ausstellung über „Riten des Lebens“ im Neanderthal-Museum Mettmann - „Riten des Lebens“ lautet der Titel der neuen Sonderausstellung im Neanderthal-Museum in Mettmann. Präsentiert werden Bilder des schwedischen

Peter Krämer WP/StB

RINKE TREUHAND GmbH Wirtschaftsprüfungs-/Steuerberatungsgesellschaft Wall 39 – 42103 Wuppertal – 0202 2496-0

zu den erfolgreichsten Schmuckkünstlern des Art Nouveau gehört hatte, öffnete sich ganz den modernen maschinellen Herstellungsmethoden, nutzte sie aber für schillernd opalisierende, meist farblose Luxusobjekte. Die Schau gibt einen Überblick aus den Beständen des Glasmuseums zum Werk der beiden maßgeblichen Hersteller. Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Internet: www.glasmuseum-hentrich.de

Fotografen Anders Ryman. Entscheidende Momente, mit denen neue Lebensabschnitte beginnen, werden laut Museum überall auf der Welt zelebriert. Der Fotograf bereiste insgesamt sieben Jahre lang die Welt, um solche Rituale festzuhalten und zu dokumentieren. Die Ausstellung ist bis zum 1. November terminiert. Ziel des Fotografen war, alle bewohnten Kontinente, alle Weltreligionen und alle Lebensphasen mit einzubeziehen und dabei auch Modernes sowie Traditionelles zu verminden. Die Aufnahmen zeigen Rituale aus insgesamt 14 Ländern. Zu sehen sind Rituale etwa von der Segnung eines Neugeborenen in einem kleinen spanischen Dorf bis zur SonnenaufgangsZeremonie der Apachen in Arizona, vom Initiationsritual der südafrikanischen Xhosa bis zur Hochzeitsfeier in Tokio. Zu sehen ist nicht nur die enorme kulturelle Vielfalt der Menschheit. Die Bilder zeigen die Menschen in den emotionalsten Momenten ihres Lebens sowie das allen gemeinsame menschliche Bedürfnis, die Schritte entlang des Lebensweges feierlich zu begehen. Das Museum ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Internet: www.neanderthal.de

55


sehen sind Exponate von der Naive über die Werke psychisch Kranker bis hin zu zeitgenössischen Erscheinungsformen „randständger“ Kunst wie etwa Graffiti oder Street Art, die wie Kawamata den öffentlichen Raum besetzen. Die Ausstellung ist bis zum 5. September terminiert. Die Kunsthalle ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Internet: www.kunst-re.de Simone Veil erhält den diesjährigen Heine-Preis der Stadt Düsseldorf Die mit 50.000 Euro dotierte Auszeichnung wird im Dezember übergeben Düsseldorf - Die französische Publizistin und Politikerin Simone Veil ist die diesjährige Preisträgerin des renommierten Heinrich-Heine-Preises der Stadt Düsseldorf. Die Auszeichnung zählt zu den bedeutendsten Literatur- und Persönlichkeitspreisen in Deutschland und ist mit 50.000 Euro dotiert, teilte ein Sprecher der NRW-Landeshauptstadt am Freitag mit. Der Heine-Preis wird seit 1972 verliehen. Telefonisch über die Entscheidung der Jury informiert, sagte Veil nach Angaben der Stadt: „Ich fühle mich sehr geehrt und nehme den HeinePreis mit Freuden an.“ Der Preis wird im Dezember - rund um Heines 213. Geburtstag in Düsseldorf überreicht. Laut Jury erhält Veil die Auszeichnung für ihr politisches und kulturelles Lebenswerk, „in dessen Zentrum das Wachsen und der Zusammenhalt Europas stehen.“ Zeit ihres öffentlichen Engagements sei die Preisträgerin für die Menschenrechte und die Verständigung der Völker eingetreten. Damit habe sie „ganz im Sinne Heinrich Heines dazu beigetragen, Europa eine Seele zu geben.“ Der Heine-Preis wird, wie es in den Bestimmungen heißt, durch die vom Rat der Stadt Düsseldorf eingesetzte Jury „an Persönlichkeiten verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, für die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt fördern, der Völkerverständigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehörigkeit aller Menschen verbreiten“. Veil wurde am 13. Juli 1927 in Nizza als Tochter des jüdischen Architekten André Jacob und der Yvonne Steinmetz

56

geboren. 1944 wurde ihre Familie von der Gestapo verhaftet und deportiert. 13 Monate lang war sie in den Konzentrationslagern von Auschwitz und Bergen-Belsen inhaftiert. Die Mutter kam in Auschwitz um, ihr Vater und der Bruder wurden nach Litauen geschafft, wo sie vermutlich ebenfalls ums Leben kamen. Nach dem Krieg studierte Veil Jura in Paris. Ihren Berufsweg begann sie 1957 im französischen Justizministerium. 1970 wurde sie als erste Frau Generalsekretär des „Conseil supérieur de la magistrature“, der höchsten Verwaltungsinstanz der französischen Richter. Einen ersten Höhepunkt erreichte ihre politische Karriere 1974, als sie als Gesundheitsministerin in die Regierung Jacques Chirac kam. Sie war der erste weibliche Minister Frankreichs seit 1958. Von Juli 1979 bis 1982 war sie Präsidentin des Europaparlaments. In die französische Regierung kehrte Veil 1993 zurück. Unter Premierminister Edouard Balladur übernahm sie das schwierige Ressort Soziales, Gesundheit und Stadtpolitik. Sie erhielt als Staatsministerin protokollarisch den ersten Rang nach dem Premierminister. Sie wurde 2008 in die Academie Francaise aufgenommen und ist die fünfte Frau in der 1635 gegründeten Institution. Zu den bisherigen Heine-Preisträgern gehören unter anderem Carl Zuckmayer, Walter Jens, Max Frisch, Hans Magnus Enzensberger, Elfriede Jelinek und Amos Oz. Museum Ahlen zeigt „Kunst im Widerstreit“ Ahlen - „Kunst im Widerstreit“ lautet der Titel einer Ausstellung im Kunstmuseum Ahlen, die bis 24. Oktober Werke der so genannten „verschollenen Generation“ der Künstler präsentiert. Die ausgestellten Arbeiten von insgesamt 28 Künstlern verbinde ein vergleichbares Schicksal, hieß es in einer Ankündigung des Museums. „Innere und äußere Emigration, Verfolgung, Diffamierung in den Propaganda-Ausstellungen „entarteter“ Kunst oder auch die Zerstörung ihres Werkes im Zweiten Weltkrieg“, so die Aussteller. Die Exponate stammen aus der Sammlung Schlenke. Der Sammler hat es sich seit gut 30 Jahren zum Ziel gesetzt,

die Erinnerung an die Schrecken des Krieges und der Diktatur wachzuhalten. Die zentrale Rolle in seiner Sammlung spielt Felix Nussbaum. Dessen Wunsch folgend: „laßt meine Bilder nicht sterben, zeigt sie den Menschen“, verstehe sich die Sammlung als Mahnung, die Kuratoren der Schau. Den Schwerpunkt der Kollektion bilden Kunstwerke aus der Zeit der 1930er und 1940er Jahre. Diese werden, um die stilistische Kunstentwicklung der jeweiligen Künstler aufzuzeigen, durch Werke der 1920er Jahre und der Nachkriegszeit ergänzt. Die Arbeiten, unter anderem von Peter August Böckstiegel, Karl Hofer, Rudolf Levy, Oskar Moll, Hanns Hubertus Graf von Merveldt und Clemens Wieschebrink, sind dem Expressionismus und der Neuen Sachlichkeit verpflichtet. Die Künstler widmen sich Bildsujets wie Landschaft, Porträt oder Stilleben, ohne das Leid oder existenzielle Ängste bildhaft zu machen. Zu sehen ist unter anderem das Bild „Trauernde Frauen“ von Hannah Höch aus dem Jahre 1945. Die Ausstellung ist dienstags, mittwochs und freitags von 14 bis 18 Uhr, donnerstags von 14 bis 20 Uhr sowie samstags und sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Internet: www.kunstmuseum-ahlen.de


Museum Schloß zeigt „Higlights der Graphischen Sammlung“ Mönchengladbach - Das Städtische Museum Schloß Rheydt in Mönchengladbach zeigt seit dem 4. Juli „Highlights der Graphischen Sammlung“ des Hauses. Nach Angaben des Museums läuft die Schau bis zum 3. Oktober. Die umfangreiche Sammlung ruhe meist - der Öffentlichkeit verborgen - in lichtdichten Schubladen im Museums-Magazin, hieß es weiter. Unter den mehr als 5.000 Blättern befinden sich neben Zeichnungen und Aquarellen Blätter aus Handschriften, seltene Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen. Ein Querschnitt durch die Vielfalt der Sammlung werde den Besuchern der Ausstellung einen Eindruck von der Bedeutung und des Umfangs der Museumsbestände vermitteln, hieß es weiter. Das Museum ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Internet: www.schlossrheydt.de Ausstellung zum Thema Reißverschlüsse in der Kunst Krefeld - Das Krefelder Haus der Seidenkultur zeigt bis zum 17. Oktober die Ausstellung „The-zip-association Ausstellungs-Podium für Bewegung in Kunst.“ Darin geht es um den Siegeszug des Reißverschlusses, der 1923 in der Wuppertaler Firma RiRi begann. Zu sehen sind in der Schau über 40 Exponate, die zeigen, was internationale Künstler

mit dem Thema Reißverschluß verbinden. Die in den Niederlanden lebende deutsche Künstlerin und Designerin Ursula Pahnke-Felder hatte die Idee, Kunstaktionen rund um Alltagsgegenstände zu konzipieren. Die Ausstellung ist jeden ersten und dritten Sonntag im Monat von 14 bis 18 Uhr sowie jeden vierten Donnerstag im Monat von 16 bis 19 Uhr und nach Vereinbarung geöffnet. Internet: www.seidenkultur.de Nixdorf-Museum zeigt Schreib­ maschinen von Schriftstellern

Paderborn - „Schriftsteller und ihre Schreibmaschinen“ lautet der Titel einer Ausstellung im Paderborner Nixdorf-Museum. Die Schreibmaschine von Bertold Brecht etwa hieß „Erika“, Franz Kafka benutzte seine „Oliver 5“, Erich Kästner schrieb auf einer „Gossen Tippa“, hieß es in einer Mitteilung des Museums. Viele berühmte Schriftsteller hatten demnach ein besonderes Verhältnis zu ihrer Schreibmaschine. „Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken“, erklärte etwa im Jahr 1882 Friedrich Nietzsche, der als einer der ersten überhaupt eine Schreibmaschine nutzte. Das Museum widmet diesem Thema nun eine kleine Ausstellung im Museumsshop. Hier sind insgesamt 18 Schreibmaschinenmodelle, wie sie von berühmten Autoren benutzt wurden, zu sehen. Darunter befindet sich auch ein Original: Die

Columbia Bar-Lock von Hans Fallada, bei der die häufig benutzten Buchstaben E, R und S kaum noch zu erkennen sind, da Q aber fast gänzlich unberührt ist. Die kleine Schau zeigt nach Angaben des Museums die gesamte Geschichte der Schreibmaschine, von den ersten Modellen bis hin zum industriellen Standardprodukt. Das Museum ist dienstags bis freitags von 9 bis 18 Uhr sowie samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Weitere Informationen unter: www.hnf.de Zentralbibliothek Köln würdigt Heinrich Böll mit Ausstellung Köln - Unter dem schlichten Titel „Wortwelten“ würdigt die Zentralbibliothek der Stadt Köln bis zum 28. August den Schriftsteller und Nobelpreisträger Heinrich Böll. Die Schau finde aus Anlaß des 25. Todestages von Böll in Kooperation mit der Böll-Stiftung und der Erbengemeinschaft Heinrich Böll statt, so ein Sprecher Kölns. Im Fokus stehen die farbigen Strukturskizzen und Romanschemata des Kölner Ehrenbürgers, hieß es weiter. Darüber hinaus würdigt die Ausstellung auch die Übersetzungsarbeit von Bölls Ehefrau Annemarie, die am 23. Juli ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte. Als Übersetzerin zahlreicher englischsprachiger Autoren wie etwa J.D. Salinger, Bernhard Shaw, Patrick White und Judith Kerr habe Annemarie Böll wesentlich zur Verbreitung und literarischen Auseinandersetzung mit diesen Autorinnen und Autoren in Deutschland beigetragen, so die Aussteller. Die Ausstellung ist dienstags und donnerstags von 10 bis 20 Uhr, mittwochs und freitags von 10 bis 18 Uhr sowie samstags von 10 bis 15 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet. Museum Ludwig in Köln zeigt Roy Lichtenstein Köln - Unter dem Titel „Kunst als Motiv“ präsentiert das Kölner Museum Ludwig bis zum 3. Oktober eine Ausstellung zum Werk des Pop Art Meisters Roy Lichtenstein. Der 1997 verstorbene Künstler schuf nach Motiven aus der Comic- und Konsumwelt Gemälde, die er aus Punkten und Farbflächen zusammensetzte. In der Ausstellung sind nach Angaben des Museums vom Mittwoch nun

57


noch ganz andere Seiten seines Oeuvres zu entdecken. Gezeigt werden etwa 100 Exponate, überwiegend großformatige Gemälde sowie begleitende Zeichnungen und Skulpturen.

Darin wird nach Angaben der Kuratoren die Auseinandersetzung Lichtensteins mit kunsthistorischen Stilrichtungen von Expressionismus und Futurismus bis Bauhaus, Art Déco oder der Landschaftsmalerei Ostasiens nachvollziehbar. Werke und stilistische Eigenarten von Künstlerheroen wie Monet, Matisse, Mondrian und Dalí tauchen als Themen und Versatzstücke auf, „von Lichtenstein gleichermaßen ironisch wie meisterhaft in seiner eigenen Bildsprache interpretiert,“ hieß es. Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, jeden ersten Donnerstag im Monat von 10 bis 22 Uhr geöffnet. Internet: www.museum-ludwig.de Ausstellung in Bochum zeigt Helden und andere Leitbilder im Ruhrrevier nach 1945 Bochum - „Kumpel Anton, St. Barbara und die Beatles“ lautet der Titel einer Ausstellung im Industriemuseum Zeche Hannover in Bochum, die seit dem 17. Juli Helden und andere Leitbilder im Ruhrrevier nach 1945 präsentiert. Die bis zum 10. Oktober laufende Schau ist nach Angaben des Museums eine Begleitausstellung zur Kulturhauptstadtjahr-Schau „Helden. Von der Sehnsucht nach dem Besondern“, die noch bis Ende Oktober in Hattingen zu sehen ist. Deren Motto „Wandel durch Kultur - Kultur durch Wandel“ sei bereits in der Nachkriegszeit ein wichtiges Anliegen in der Industrieregion Ruhrgebiet gewesen, hieß es in der Ankündigung der Ausstellung - genauso wie das Ziel, Kultur für alle Menschen zugänglich zu machen. Im Mittelpunkt der Schau stehen deshalb die kleinen

58

„Helden“ des Ruhrgebiets: Laienmaler, Hobbymusiker und Arbeiterdichter ebenso wie Kulturpolitiker aus Bergbau, Gewerkschaft und Kommune. Die Ausstellung, die die Kulturgeschichte des Reviers zwischen 1945 und 1966 beleuchtet, stellt auch die zentralen Leitbilder der populären Kultur der Region vor: Symbolfiguren wie Kumpel Anton und die Heilige Barbara oder internationale Film- und Musikikonen, wie die Beatles. Zwei Ereignisse aus dem Jahr 1966 bilden den Abschluß: das Einsetzen der Strukturkrise und der Auftritt der Beatles in Essen - sicherlich Zufall, aber gleichzeitig Symbol für einen erneuten Wandel in der Kultur, so die Aussteller weiter. Die Ausstellung ist mittwochs bis samstags von 14 bis 18 Uhr und sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Internet: www.lwl-industriemuseum.de Bilderbuchmuseum Troisdorf würdigt den Sammler Wilhelm Alsleben Troisdorf - Unter dem Titel „Wir jubeln“ würdigt das Bilderbuchmuseum in Troisdorf bei Bonn den Sammler und Stifter Wilhelm Alsleben. Anlaß sei der 100. Geburtstag Alslebens, so Museumsleiterin Maria Linsman vor der Eröffnung der Ausstellung. Anfang der 1980er Jahre stiftete Alsleben seine aus Tausenden von Bilderbüchern und rund 350 Illustrationen bestehende Sammlung dem damals im Aufbau befindlichen Museum. Die bis zum 15. August laufende Schau zeigt anhand der ausgestellten Original-Illustrationen und Bilderbücher eine repräsentative Auswahl aus der Sammlung Alsleben, die den Grundstock des musealen Illustrationsbestandes des Bilderbuchmuseums bildet. Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Internet: www.troisdorf.de Schauspiel Köln erneut zum besten NRW-Theater gewählt Jährliche Kritikerumfrage des Magazins „Theater-Pur“ sieht das Ballett der Deutschen Oper am Rhein an der Spitze der Tanztheater von Rhein und Ruhr Essen/Köln/Düsseldorf - Das Schauspiel Köln mit seiner überaus

erfolgreichen Intendantin Karin Beier ist von Theaterkritikern erneut zum besten Sprechtheater NRW gewählt worden. Nach Angaben des in Essen erscheinenden Magazins „Theater-Pur“ führt Beier auch als Regisseurin mit ihrer Produktion „Die Schmutzigen, die Häßlichen und die Gemeinen“ auch die beste Inszenierung in der zu Ende gehenden Spielzeit 2009/2010 an. Mit einigem Abstand folgt in nach Ansicht der Kritiker das Essener Grillo-Theater mit seinem scheidenden Intendanten Anselm Weber auf dem zweiten, das Schauspielhaus Bochum mit seinem scheidenden Intendanten Elmar Goerden auf dem dirtten Platz. Das Ballett der Deutschen Oper am Rhein wählten die Kritiker nach Angaben des Theatermagazins an die Spitze der NRW-Tanztheater. Beim Musiktheater steht einmal mehr das Essener Aalto-Theater auf Platz Eins. Auf Platz Zwei und Drei folgen die Deutsche Oper am Rhein und Wuppertal. Der von den Kritikern am meisten geschätzte Mann am Pult in NRW blieb auch in der auslaufenden Spielzeit Stefan Soltesz vom Aalto-Musiktheater in Essen. Fast jedes Theater an Rhein und Ruhr, von Aachen bis Bielefeld oder von Münster bis Bonn findet mit einzelnen guten Leistungen in der Umfrage Erwähnung. Auch einige freie Bühnen im Land erhielten mehrfach gute Leistung bescheinigt. An der jährlichen Kritikerumfrage von „Theater-Pur“ beteiligen sich etwa 15 Theaterkritiker von Tageszeitungen, Magazinen und Rundfunksendern. Elmar Goerden lockte in seiner 5-jährigen Bochumer Intendanz rund 910.000 Theaterbesucher Bochum - Ende Juni endete nach fünf Jahren die Intendanz von Elmar Goerden als künstlerischer Leiter des traditionsreichen Bochumer Schauspielhauses. Der in weiten Strecken relativ glücklos agierende Theatermann konnte in 3.656 Vorstellungen rund 910.000 Zuschauer im Theater begrüßen. In der vergangenen Spielzeit 2009/2010 kamen etwa 186.000 Gäste. In Erinnerung bleiben sicherlich die Regiearbeiten von Burghart Klaußner - allen voran die deutsche Erstaufführung von Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“


mit Imogen Kogge und Felix Vörtler in zwei Hauptrollen. Höhepunkte waren sicherlich auch die beiden musikalischen Stücke „A Tribute to Johnny Cash“ mit Tomas Anzenhofer und „A Tribute to Quentin Tarantino“ mit Oliver Möller in der Hauptrolle. Die Johnny Cash-Produktion brachte es auf über 60 Vorstellungen und deutlich über 25.000 Zuschauer. Auch die Produktion „A Tribute to Quentin Tarantino“ lief bombig. Weitere Publikumserfolge waren „I hired a contract killer“, „König Lear“ und zuletzt „Nora“. Goerden setzte zudem in seiner fünfjährigen Intendanz mehrfach Akzente durch ungewöhnliche Theaterformate oder Festivals. Von Anfang seiner Intendantentätigkeit in Bochum stand Goerden ein wenig im Schatten des deutlich kleineren Essener Grillo-Theaters. Dort war Intendant Anselm Weber zeitgleich extrem erfolgreich und verdrängte die Bochumer Bühne von dem jahrzehntelang besetzten ersten Platz der Theater im Revier. Weber tritt nun in der Spielzeit 2010/2011 die Nachfolge von Goerden in Bochum an. Der Westen leuchtet in Bonn Bonn - Unter dem Titel „Der Westen leuchtet“ präsentiert das Kunstmuseum Bonn bis 24. Oktober eine groß angelegte Ausstellung, die quasi eine Stand-

ortbestimmung der Kunstlandschaft des Rheinlandes darstellt. Die Ausstellung stellt die wichtigsten Künstlerinnen und Künstler der älteren Generation (von Richter bis Gursky) mit jeweils neuen Arbeiten vor und verknüpft sie mit zentralen Werken der jungen Nachwuchskunst zu einer Gesamtübersicht von mehr als 30 Positionen.

Die Auswahl aus der Generation der älteren Künstlerinnen und Künstler und die Festlegung der neuen Arbeiten wurde kuratorisch durch das Wissenschaftlerteam des Kunstmuseums Bonn betreut. Die Auswahl der Nachwuchsgeneration nahmen die international bereits arrivierten Künstler selbst vor. Die Aufteilung der kuratorischen Verantwortung zwischen Künstlern und Kunsthistorikern versteht sich nach Angaben des Kunstmuseums „als bewußtes Zeichen gegen das Fantasma des omnipotenten Kurators und als Anerkennung der prioritären Leistung der Künstlerinnen und Künstler.“ In der Schau vertreten sind unter anderem Bernd & Hilla Becher, Joseph Beuys, Anna und Bernhard Johannes Blume, Tony Cragg, Isa Genzken, Andreas Gursky, Georg Herold, Jürgen Klauke, Imi Knoebel, Marcel Oden-

bach, Albert Oehlen, Blinky Palermo, Sigmar Polke, Gerhard Richter, Ulrich Rückriem, Thomas Schütte, Katharina Sieverding, Rosemarie Trockel, Timm Ulrichs. Aus der jüngeren Künstlergeneration sind Arbeiten von Thomas Arnolds, Martina Debus, Simon Denny, Chris Durham, Claudia Fährenkemper, Natascha Sadr Haghighian, David Hahlbrock, Benjamin Houlihan, Bernd Kastner, Christian Keinstar, Erinna König, Gereon Krebber, Ursula Neugebauer und Michail Pirgelis zu sehen. Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags von 11 – 18 Uhr sowie mittwochs von 11 - 21 Uhr geöffnet. Internet: www.kunstmuseum-bonn.de Texte: Andreas Rehnolt Auswahl und Redaktion: Frank Becker

NEU Manuela Sanne - Ariane Rudolph

Tuffi — eine elefantastische Geschichte

Überall im Buchhandel erhältlich. www.edition.koendgen.de

gebunden, 36 Seiten ISBN 978-3-939843-12-2 12,95 €, Edition Köndgen Bilderbuch, ab 4 Jahre

59


Der Tipp f체r alle ab 60 Mit dem B채renTicket sind Sie im ganzen VRR-Gebiet unterwegs, rund um die Uhr und in der 1. Klasse.

Weitere Infos im MobiCenter Tel.: 0202 569-5200 60 www.wsw-online.de


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.