Die Beste Zeit Nr. 7

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DIE BESTE ZEIT Das Magazin für Lebensart Wuppertal und Bergisches Land

Dezember/Januar 2010-2011 - 3,50 Euro

Pierre Bonnard Die subtile Zerstörung der Illusion

van Goghs Schön – aber falsch

Macbeth Alptraum ohne Schlaf

Eberhard Illner Historisches Zentrum Wuppertal

Performance-Nacht in Wuppertal

Karl Otto Mühl Schlechte Karten

Peter Schmersal Im Hier und Jetzt

Monika Bilstein und der Peter Hammer Verlag

Joseph Beuys Parallelprozesse in Düsseldorf

Kurt Rydl Der Gigant der tiefen Töne

Schöner im Verein Bürgerschaftliches Engagement

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Jean Tinguely Skulpturen bis zum 20. Februar 2011

Dezember bis Februar Fr - So von 10 bis 17 Uhr An Feiertagen geöffnet

Hirschstraße 12 · 42285 Wuppertal www.skulpturenpark-waldfrieden.de

Impressum „Die beste Zeit“ erscheint in Wuppertal und im Bergischen Land Auflage 4.000 Exemplare Erscheinungsweise: 5 – 6 mal pro Jahr Verlag HP Nacke KG - Die beste Zeit Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal Telefon 02 02 - 28 10 40 E-Mail: verlag@hpnackekg.de V. i. S. d. P.: HansPeter Nacke und Frank Becker

Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt. Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser Beiträge zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich. Umschlagabbildung: Peter Frese, Englisches Spinnrad Ende 19. Jahrhunderts Museum für Frühindustrialisierung Wuppertal

Kürzungen bzw Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann keine Gewähr übernommen werden. Nachdruck – auch auszugsweise – von Beiträgen innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages. Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder Unterlassungen keine Haftung übernommen.

Unsere Kulturförderung ist gut für die Sinne. Kunst und Kultur prägen die gesellschaftliche Entwicklung. Die Sparkassen-Finanzgruppe ist der größte nichtstaatliche Kulturförderer Deutschlands. Auch die Stadtsparkasse Wuppertal ist ein wichtiger Partner für Kunst und Kultur in unserer Stadt. Das ist gut für die Kultur und gut für Wuppertal. www.sparkasse-wuppertal.de

Sparkasse. Gut für Wuppertal.

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Editorial Liebe Leserinnen, liebe Leser, Geht es Ihnen ähnlich? Je älter man wird, umso intensiver werden die Gefühle für den Ort, aus dem man stammt. Zurück zu den Wurzeln. Wie die große Mehrheit der Wuppertaler bin auch ich in der Landesfrauenklinik an der Vogelsangstraße zur Welt gekommen. Sehr viel ist seitdem in meinem Leben geschehen. Die Ausbildung zur Opernsängerin, die Reisen mit meinem Mann zu jedem seiner Auftritte – wesentliche Teile davon können Sie in dieser Ausgabe der ‚Besten Zeit‘ im Text ‚Der Gigant der tiefen Töne‘ von Klaus Göntzsche mit den tollen Fotos von Heinz Eschmat erfahren. Zurück zu den Wurzeln – das war auch einer der Gründe, warum mein Mann und ich vor zwei Jahren den Barmer Bahnhof gekauft haben. Dort gibt es einen Laden mit Geschichte, der förmlich nach Vergangenheit riecht – und wo schon mein Urgroßvater Josef Linz im Jahre 1921 Tabakwaren verkauft hat. Heute betreibt mein Bruder Thomas Leipoldt an dieser Stelle mit seiner Familie die Bahnhofsbuchhandlung mit Café – und Tabakwaren, wie unser Vorfahr. Nun verstehen Sie, warum wir an diesem Bahnhof mit Herzblut hängen. Natürlich war auch die Nähe des Opernhauses ein wichtiger Faktor für den Kauf des Bahnhofs. Aber unser Interesse galt immer auch anderen Bereichen: wir sind mit vielen Malern befreundet, ich interessiere mich für Architektur und habe bei der ersten Regie meines Mannes (‚Entführung aus dem Serail‘ in Palma de Mallorca) das Licht gemacht – Licht ist für Künstler immer wichtig! Auch den Bildhauer Alfred Hrdlicka kannten wir persönlich gut. Nach seinem Tode sind seine Werke noch begehrter geworden, als sie vorher schon waren, und Tony Cragg wird weltweit geschätzt – die Werke der Beiden in der Nähe sind ebenso ein Bestandteil der ‚Kulturachse Barmen‘ wie unser Bahnhof. Diesen Begriff – ‚Kulturachse Barmen‘ – gibt es bereits seit 1989, dem Jahr der ‚Wende‘. Nun beginnt ein neuer Abschnitt im Bahnhof Barmen durch die Partnerschaft mit Martina Steimer und ihrem Forum Maximum. Auch streben wir Partnerschaften mit dem Museum für Früh-Industrialisierung und dem Engels-Haus an. Erste Gespräche sind geführt. Eines möchte ich bei dieser Gelegenheit klarstellen: es geht uns nicht um das schnelle Geld. Sonst hätten wir es mit einer Disco leichter gehabt. Wir wollen Kunst machen mit gehobenem Crossover. Die Vielfalt macht es doch nur interessanter! Wir wollen so viel Leben wie möglich – es kann gar nicht genug los sein! Dazu brauchen wir jegliche Unterstützung. Es geht um unser Wuppertal. Ich brenne auf die Kultur – und würde mich sehr freuen, wenn ich Sie anstecken könnte! Christiane Rydl

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Barbara Neusel-Munkenbeck und die Urne “moi“

Keine Angst vor Berührung

seit 1813

Alles hat seine Zeit. Berliner Straße 49 + 52-54 · 42275 Wuppertal · www.neusel-bestattungen.de Tag

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und Nacht 66 36 74


Inhalt Heft 7 Dezember/Januar 2010-2011

Alptraum ohne Schlaf

Von der Heydt-Museum Rezension zu Pierre Bonnard von Stefan Koldehoff

Seite 6

Seite 9

Peter Schmersal Im Hier und Jetzt von Thomas Hirsch

Seite 15

eine Kurzgeschichte von Karl Otto Mühl

- S. 61, sollte unter allem stehen: (c) VG Bild-Kunst, Bonn 2010 für die Werke von Joseph Beuys (die Beuys ist sehr heikel - da NeueWitwe Kunstbücher könnte Ute Klophaus ein Lied von Über Architektur singen) von Thomas Hirsch

Seite 19

Parallelprozesse von Rainer K. Wick

van Gogh

Die Spee-Akademie

Schön aber falsch von Frank Becker

Bildungserfolg im Bergischen von Jan Filipzik

Seite 23

Seite 25

Monika Bilstein und der Peter Hammer Verlag von Frank Becker

Seite 27

Schöner im Verein Bürgerliches Engagement von Antonia Dinnebier

Seite 46

Seite 48

Seite 52

Kulturnotizen

Wuppertaler Performance Nacht von Meike Nordmeyer

Seite 44

Düsseldorfer Heimspiel

Kurt Rydl Gigant der tiefen Töne von Klaus Göntzsche

Seite 40

Schlechte Karten

Eberhard Illner und das Historisches Zentrum von Marlene Baum

zur Macbeth Inszenierung von Martin Hagemeyer

Seite 31

von Frank Becker und Andreas Rehnolt

Seite 55


Die subtile Zerstörung der Illusion Wuppertal misstraut den immergleichen Idyllen: Das Von der Heydt-Museum zeigt Pierre Bonnard

Was dem Direktor des Wuppertaler Von der Heydt-Museums, Gerhard Finckh, gelingt, seit er vor viereinhalb Jahren das Haus übernahm, ist mehr als bemer-

kenswert. Seiner Vorgängerin, Sabine Fehlemann, war die eigene Sammlung meist herzlich gleichgültig. Sie kaufte lieber Ausstellungspakete ein, die auf ihrem

Der Landungssteg von Cannes, Le débarcadère de Cannes, 1928-1934, Öl auf Leinwand, 43 x 56,5 cm, Hahnloser/Jaeggli Stiftung Villa Flora

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Weg durch die Republik dann eben auch in Wuppertal Halt machten. Oder sie ließ für viel Geld Von-bis-Ausstellungen zusammenstellen, in denen Museen aus

anderen Städten ihre mehr oder minder leuchtenden Highlights präsentieren durften. Die Publikumsresonanz blieb über Jahre hinweg trotzdem so übersichtlich, dass der städtische Kulturausschuss irgendwann zur Kenntnis nehmen musste, dass in die Besucherstatistiken auch Cafébesucher und Handwerker mit einberechnet worden waren, die das Museum nur für Renovierungsarbeiten betreten hatten. Gerhard Finckh arbeitet dagegen mit der eigenen Sammlung, zu der großartige Hauptwerke der klassischen Moderne gehören. Wuppertal war vor dem Krieg eine Industriestadt mit progressiven Unternehmern, die bedeutende Privatsammlungen zusammentrugen. In den Villen der Stadt hingen van Goghs letztes Selbstbildnis und Cézannes „Junge mit roter Weste“. Den Einfluss dieser Sammler auf das Kunstklima der Stadt dokumentierte Finckh vor zwei Jahren in der identitätsstiftenden Ausstellung „Der expressionistische Impuls“. Vor allem aber konzentrierte sich der Kunsthistoriker auf das, was er in der eigenen Sammlung vorfand. Einige kleine, kaum museale Ölskizzen von Renoir im Wuppertaler Bestand boten ihm vor drei Jahren Anlass zu einer Renoir-Ausstellung. Der Schritt war mutig, bedeutende Werke fehlten weitgehend - trotzdem strömten die Besucher. Zwei Jahre später wagte sich Finckh an Claude Monet, von dem das Von der Heydt-Museum einige kapitale Bilder besitzt. Wieder reiste er durch kleinere Museen in der Schweiz und in Frankreich und fragte einige bedeutende Werke in den großen Häusern der Welt an, um eine sehenswerte Ausstellung zusammenzusuchen.

©VG Bild-Kunst, Bonn 2010

Die erstklassige Sammlung in Wuppertal nutzte er dabei erneut mit großem Geschick als Verhandlungsmasse: Gibst Du mir Deinen Renoir, bekommst Du meinen Kirchner. Mehrere RouenKathedralen, eine imposante Reihe von Waterloo-Bridge-Bildern und verschiedene bedeutende Landschaftsgemälde ergänzten den Gemäldegrundstock, den das Pariser Marmottan-Museum aus dem Nachlass des Malers zur Verfügung

gestellt hatte, und ließen die erste ernstzunehmende deutsche Monet-Retrospektive seit mehreren Jahrzehnten entstehen. In diesem Herbst nun geht es in Wuppertal um Pierre Bonnard. Der in Paris lebende Kurator Peter Kropmanns hat einen 180 Gemälde, Zeichnungen, Grafiken und Fotografien umfassenden Bilderparcours zusammengestellt, der auf angenehme Weise die Balance zwischen Kunstgenuss und Kunstdidaktik hält. Kabinette zum im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts beliebten Japonismus oder zum Einfluss der Fotografie beschreiben die Inspirationsquellen von Bonnards frühen Gemälden. Danach folgt die Wuppertaler Ausstellung klug jenen Sachthemen, die sich als roter Faden durch sein Oeuvre ziehen: den Familienbildern, die auf dem Wohnsitz in Savoyen, in Arcachon und später in der Normandie entstehen. Den Akten, für die Bonnards Ehefrau, aber auch seine Geliebten Modell stehen. Den berühmten Badewannenbildern, mit denen er das schon von Edgar Degas und Henri Matisse bearbeitete Boudoir-Thema der Klassischen Moderne variierte. Zahlreiche Leihgaben stammen aus einer Privatsammlung aus Marseille, bei der es sich wohl um die Familie des Künstlers handelt; eine zweite Gruppe lieh ein New Yorker Privatsammler aus, der sich erfreulicherweise entschieden hat, die Leinwände ungerahmt an die Wände hängen zu lassen. Kropmanns stellt Bonnard inhaltlich als den Chronisten des ausgehenden bürgerlichen Zeitalters. Zwar sind für ihn die wachsende Großstadt und der Umbruch durch die Industrialisierung anders als bei den Impressionisten - wie gerade in einer fulminanten Schau in Essen zu sehen ist - kein direktes Thema. Auf die Kraft der Landschaft und der Idylle allein will sich aber auch Bonnard nicht mehr verlassen. Er entscheidet sich häufig für den Blick von innen nach außen: durch Fenster, über Balkone und Balustraden, die die Illusion vom ewigen Arkadien eher subtil zerstören. Später werden Spiegel die Grenze zwischen den Sphären markieren. Auch die großen Familienbilder, von

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denen eines zur Wuppertaler Sammlung gehört, sind eigentlich Interieurs mit ungewöhnlicher Lichtführung und Perspektive. Formal allerdings bleibt Bonnard in Wuppertal zeitlebens dem Impressionismus verhaftet, den er zwar variiert, von dem er sich aber bis zu seinem Tod im Januar 1947 nie wirklich trennt. Es sind zu viele Landschaftsbilder, die diesen Eindruck verfestigen. Und es fehlen mehr jener Werke, in denen eine tiefere Wirklichkeit zum Vorschein kommt, die Bonnard als Anhänger der symbolistischen Bewegung ausweist und so schwer in die Kunstgeschichte einordnen lässt. Im kommenden Herbst werden die Verhältnisse im Von der Heydt-Museum dann wieder klarer: Mit Alfred Sisley will Gerhard Finckh als nächstes wieder einen klassischen Impressionisten zeigen. Stefan Koldehoff

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Stehender Akt, Rückenansicht Nu debout vu de dos, 1913 Öl auf Leinwand, 80 x 51 cm ©VG Bild-Kunst, Bonn 2010

Die Wicken Le pois de senteur, 1912 Öl/Leinw., 51 x 77 cm, Privatbesitz ©VG Bild-Kunst, Bonn 2010


Ich bin noch Archivar der alten Garde Eberhard Illner und das Historische Zentrum Wuppertal mit dem Museum für Frühindustrialisierung

1774 ritt der 25 jährige Goethe von Düsseldorf nach Elberfeld, um dort Johann Heinrich Jung, genannt Stilling, wieder zu sehen. Die beiden hatten sich in Straßburg kennen gelernt, wo Jung-Stilling Medizin studierte. Er ließ sich zunächst als praktischer und dann als Augenarzt in Elberfeld nieder. Goethe hat ihm dringend geraten, seine „Lebensgeschichte“ aufzuschreiben, deren ersten Band er dann ohne Jung-Stillings Wissen herausgab. 1789 hat sich dieser in seinem Buch „Häusliches Leben“ an seine Eindrücke vom Wuppertal erinnert: „Den Sommer übersieht man das ganze Thal zwey Stunden hinauf, bis an die Märkische Gränze, mit leinen Garn wie beschneyt, und das Gewühl von thätigen und sich glücklich nährenden Menschen ist unbeschreiblich: alles steht voll einzelner Häuser; ein Garten, ein Baumhof stößt an den andern und ein Spaziergang durch dieses Thal ist paradiesisch.“ An diese Beschreibung könnte man beim Betrachten des Modells denken, das sich im Museum für Frühindustrialisierung in Barmen befindet.

Im Alter erinnert sich Goethe in „Dichtung und Wahrheit“: „Wir besuchten Elberfeld und erfreuten uns an der Rührigkeit so mancher wohlbestellten Fabriken. Hier fanden wir unseren Jung, genannt Stilling, wieder (.....). Die betriebsame Gegend gab einen beruhigenden Anblick, weil das Nützliche hier aus Ordnung und Reinlichkeit hervortrat.“ Goethes Lebenszeit von 1749 bis 1832 entspricht ziemlich genau der Zeit der Frühindustrialisierung. Zwölf Jahre vor seinem Tod wurde Friedrich Engels in Barmen geboren, und 1804 rollte die erste mit Dampfkraft betriebene Eisenbahn. Goethe war ein sehr genauer Beobachter der rasanten Entwicklungen seiner Zeit. In „Wilhelm Meisters Wanderjahre“, einem seiner Spätwerke, klingt es nicht mehr nach „beruhigendem Anblick“: „(...) es war nicht zu leugnen, das Maschinenwesen vermehre sich immer im Lande und bedrohe die arbeitsamen Hände nach und nach mit Untätigkeit.“ Weiter heißt es: „Das überhandnehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich, es wälzt

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Museumsstationen Spinnen und Weben

Jacquardwebstuhl, 19. Jahrhundert sich heran wie ein Gewitter, langsam, langsam; aber es hat seine Richtung genommen, es wird kommen und treffen.“ Diese radikalen Veränderungen durch die Industrialisierung werden im „Historischen Zentrum“ in der Engelsstraße in Barmen anschaulich. Das Museum ist zwar den meisten Wuppertalern ein Begriff, doch viele haben diese überaus interessanten Häuser noch nie besucht. Es lohnt sich, in die Geschichte des Wuppertales einzutauchen und zu sehen, wie unsere Vorfahren gelebt, gedacht und vor allem gearbeitet haben und wie die Industrialisierung dieses Tal bis heute prägt.

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Eberhard Illner leitet seit 2008 mehrere städtische Institutionen: das Stadtarchiv, die Naturwissenschaftlichen Sammlungen des (leider eingelagerten) Fuhlrottmuseums und das Historische Zentrum in Barmen samt Kalktrichterofen Eskesberg und den Manuelskotten. Illners Vorgänger, Michael Knieriem, hat dieses Museum so benannt, weil es das Engels-Haus, das Museum für Frühindustrialisierung mit seinen Außenstellen und neuerdings den Ankerpunkt Industriekulturrouten und ein Bistro umfasst, in dem jedermann willkommen ist. Illner wirkt in seiner aufgeschlossenen Art

gar nicht so, wie man sich einen „Archivar der alten Garde“ vorstellen würde. Dessen Tätigkeit schildert er folgendermaßen: „Vormittags wurde archiviert und nachmittags schrieb man wissenschaftliche Beiträge. Akten versteht man eigentlich nur, wenn man das historische Umfeld kennt. Neben dem Ordnen, Erschließen und Verzeichnen von Akten gehört ebenso zu den Tätigkeiten eines Archivars wie Beiträge zur Stadtgeschichte zu schreiben. In sofern ist der Archivar auch Stadthistoriker.“ Mit dem Wuppertal ist Illner seit langem verbunden: In seiner Dissertation über „Bürgerliche Organisierung in Elberfeld 1775 bis 1875“ hat er sich mit den Vereinen in dieser Zeit befasst und deren religiöse, politische und soziale Bedingungen anschaulich aufgearbeitet. Dieses Werk entstand 1981 in einem Zimmer im Engels-Haus - damals konnte Illner nicht ahnen, dass er hier einmal Hausherr sein werde. Nach der Promotion führte Illners Weg zunächst an das Stadtarchiv Marburg und dann nach Koblenz ans Bundesarchiv. „Das war die Zeit, in der ich am meisten gelernt habe, zum Beispiel wurden dort die Hitlertagebücher auf ihre Echtheit geprüft.“ 1986 ging er an das Historische Archiv der Stadt Köln und übernahm dort die Abteilung Sammlungen, Photographie und Nachlässe. 1990 – 1995 leitete er ein Projekt zur Zeitzeugenbefragung und zur Quellendokumentation des kulturellen Lebens der Stadt Köln nach 1945. Über den im Kulturarchiv bereits bestehenden Bestand von etwa 300 Archiven hinaus kamen in den folgenden Jahren mehr als 400 Projekte hinzu. Dazu gehörten unter anderem die Nachlässe des Komponisten Jacques Offenbach, des Literaturwissenschaftlers Hans Mayer, des Schriftstellers Heinrich Böll und des in Elberfeld gebürtigen Dirigenten Günther Wand. Daraus ergab sich die Zusammenstellung einer Projektgruppe, die sich aus ganz unterschiedlich qualifizierten Mitarbeitern aus den verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen konstituierte, darunter Kunst, Musik, Literatur und Philosophie. Auch ein großes Fotoarchiv gehörte dazu, und seither gilt Illners besonderes Interesse diesem Medium. Das Kölner Archiv war


nicht nur ausgezeichnet wegen seiner besonderen Bestände, sondern dort arbeiteten Doktoranden und Habilitanden aus der ganzen Welt. Dank dieser Zusammenarbeit hat sich ein reger wissenschaftlicher Austausch entwickelt, und es sind wichtige Freundschaften entstanden. Diese überaus lebendige Tradition des wissenschaftlich tätigen Archivars wurde seit den 80er Jahren zunehmend abgebaut. Im Zuge der Rationalisierung von Arbeitsplätzen galten Archivare als „überflüssige Paradiesvögel.“ Heute nennen sie sich Public Records Manager und beschränken sich auf die reine Aktenverwaltung, ohne auf die Inhalte zu schauen. So ist es für die Stadt Wuppertal ein Glücksfall, mit Eberhard Illner einen so überaus vielseitigen Museumsleiter berufen zu haben. Was hat Illner vorgefunden? Da ist besonders zu erwähnen die alte Freundschaft zu Michael Knieriem, der das Museum bis 2003 so gestaltet hat, wie es sich gegenwärtig präsentiert. Gemeinsam mit Knieriem hat Illner zahlreiche Projekte verwirklicht, wie z.B. die große Ausstellung „Michels Erwachen“ im Haus der Jugend 1998. 2007 konzipierte und organisierte Illner auf Grund eines wissenschaftlichen Gutachtens eine Veranstaltung über den Kunstsammler Dr. Eduard Freiherr von der Heydt als Person der Zeitgeschichte in der Historischen Stadthalle Wuppertal. „Das Museum für Frühindustrialisierung ist Michael Knieriems Werk“, sagt Eberhard Illner. Knieriem hat dafür gesorgt, dass die ehemalige Kannegießersche Fabrik, die zuletzt den Wuppertaler Bühnen als Lager gedient hatte, als Museum hergerichtet wurde und später noch die Remise der benachbarten ehemaligen Spedition hinzugewonnen werden konnte. „Er ist Forscher mit dem besonderen Talent, Objekte so zu präsentieren, dass sie den Betrachter ansprechen“. Anne Roerkohl, Spezialistin für Filmdokumente und historische Dokudramen, entwickelte gemeinsam mit Knieriem das Präsentationsmodell für das Museum. Dazu gehören einige besondere Attraktionen, die den Besucher sofort fesseln: Durch einen „Zeittunnel“ hindurch schreitend erfährt man anschaulich die Abhängigkeit und Bestimmtheit des modernen Menschen durch die Uhr. Diese Strenge der Zeit-

Englisches Spinnrad Ende des 19. Jahrhunderts

Kontor eines Textilunternehmers planung ist die Folge der Mechanisierung im 19. Jahrhundert, denn die Maschine arbeitet nur dann effektiv, wenn sie so intensiv wie möglich eingesetzt wird. Dazu sind absolute Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit der Arbeiter unerlässlich. So lange sie zu Hause arbeiteten, konnten die Heimwerker ihre Zeit weitgehend selbst bestimmen; das änderte sich mit dem Aufkommen der Fabriken. Nun unterliegt der Arbeitnehmer dem Diktat der Stechuhr. „Zeit ist Geld“ wird der neue Wahlspruch. Der moderne Mensch hat sich daran gewöhnen müssen; wir können uns kaum mehr vorstellen, dass vor dem

Zeitalter der Industrialisierung die Zeit in jedem Dorf eine andere war. Am Ende des „Zeittunnels“ erwartet den Besucher ein besonderes Erlebnis. Nachdem man einen stockfinsteren Raum betreten hat, wird es plötzlich sehr hell, und man findet sich umgeben von zahllosen laut ratternden Webstühlen, es wird unerträglich heiß, der Holzfußboden vibriert, und man begreift, dass hier durch multimediale Animation die Arbeitsbedingungen in einer Weberei des 19. Jahrhunderts eindrucksvoll simuliert werden. Nur der unerträgliche Geruch nach heißen Tierfetten, mit denen die

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Maschinen geölt wurden, fehlt. Jetzt ist der Besucher sensibilisiert für die unmenschlich harten Arbeitsbedingungen zu Beginn der Industrialisierung. Man erfährt anschaulich, wie rasant sich die Mechanik der Spinn- und Webmaschinen weiter entwickelt hat. Kinder wurden als besonders billige Arbeitskräfte eingesetzt, weil manche Maschinen „kinderleicht“ zu bedienen waren. Wegen ihrer geringen Körpergröße mussten Kinder, unter den laufenden Maschinen kriechend, den Boden sauber halten und unter Lebensgefahr Reparaturen durchführen. Wie lebendig diese schlimmen Lebensumstände vermittelt werden, kann man zum Beispiel an einem ganz normalen Vormittag im November erleben: Kurz hintereinander besuchen drei Schulklassen das Museum für Frühindustrialisierung. Als außerschulischer Lernort ist es sehr beliebt, und Führungen sind lange im Voraus ausgebucht. Neben einer Pädagogin, die an drei Tagen ins Museum abgeordnet ist, helfen engagierte ehrenamtliche Mitarbeiter. Schülern einer vierten Klasse wird hautnah vermittelt, wie der Alltag ihrer Altersgenossen im Zeitalter der Frühindustrialisierung ausgesehen haben könnte: Kann man sich vorstellen, jeden Tag 30 Kilometer zwischen ratternden Webstühlen auf Holzschuhen zurückzulegen? Oder wie mühsam es ist, einen großen Korb voller Baumwolle zu tragen? Ein Junge bekommt die „Güte“, das kellenartige Gerät der Bleicher, in die Hände und soll das schwere Holz so schwingen, dass sich das Wasser darin 18 Meter weit über das Garn ergießen könnte, und das 14 Stunden am Tag! Die Kinder erfahren auch, wie gefährlich es war, wenn eine brennende Öllampe umfiel und die hölzernen Böden und Treppen Feuer fingen! Man hat später Holztreppen durch steinerne ersetzt, denn die häufigsten Unfälle von Kindern im Textilgewerbe passierten durch Verbrennen und Ertrinken. 8o% der Bevölkerung verdiente mit Spinnen und Weben den kargen Lebensunterhalt, Männer, Frauen und Kinder. Eine Gruppe älterer Schüler referiert zu ausgewählten Themen. Am Beispiel eines Modells des Gebietes um das EngelsHaus in der ursprünglichen Bebauung mit Bleicherwiesen erläutert eine

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Schülerin, dass Friedrich Engels’ Urgroßvater dort Arbeiterhäuser errichten ließ und wie die Heimwerker allmählich zu Fabrikarbeitern wurden. Friedrich Engels schreibt 1892, dass die „kaufmännischen Kapitalisten“ die Arbeitskraft gleichsam einkauften „die einstweilen noch ihr Produktionsinstrument besaß, aber schon nicht mehr den Rohstoff. Indem er so dem Weber rechtmäßige Beschäftigung sicherte, konnte er dagegen den Lohn des Webers derart drücken, dass ein Teil der geleisteten Arbeit unbezahlt blieb.“ Aus England kam das „Trucksystem“ (engl. Truck = Tausch). Die „Kölner Zeitung“ schreibt 1845: „Mancher arme Familienvater, der kaum Brot für Frau und Kinder hat, ist genötigt, in schönen, teuren Kleidern einherzugehen, da er wohl Tuch und Seide für Kleider, aber kein Geld und Brot zu erhalten weiß.“ Ein weiteres Erlebnis ist eine Videoinstallation der Wupper. An einem Brückengeländer stehend schaut man auf die Wupper und folgt den Veränderungen, die der Fluss über Jahrhunderte durchlaufen hat: Zunächst ist sie klar und voller Leben, im 19. Jahrhundert verschmutzt sie zunehmend, verfärbt sich, je nachdem welche Abwässer aus den Fabriken und Färbereien ihr zugemutet wurden, um während der Bombenangriffe auf Wuppertal im Zweiten Weltkrieg buchstäblich in Flammen zu stehen. Man erfährt von den Unterschieden im Leben, Arbeiten und Glauben zwischen Arbeitern und Großbürgern, indem man Einblick nehmen darf in ihre Wohn- und Arbeitsstätten. Die technischen Neuerungen des Transportwesens durch die Erfindung der Eisenbahn und die Anfänge des sozialen Verantwortungsbewusstseins der Bürger bilden den Abschluss der Dauerausstellung. Auch ein Museum unterliegt dem Zahn der Zeit, so ist die 2003 noch topmoderne Museumstechnik mittlerweile überholt. Illner hat zahlreiche Pläne für sein Haus. Ihm als Historiker sind einige Text- und Filmbeispiele zur Frühindustrialisierung nicht authentisch genug, weil sie sich, da die historische Quellenlage desolat ist, den tatsächlichen Gegebenheiten nur annähern können. Auch die akustische Dauerbeschallung in der

Ausstellung ist veraltet. Es gibt inzwischen die Möglichkeit einer punktgenauen Beschallung, die wesentlich präziser ist und keine Mitbesucher stört. Illner wünscht sich eine technisch sichere und einfache elektronische Steuerung für sein Haus: „Ich will das Museum technisch vereinfachen, so dass es absolut zuverlässig und kostengünstiger funktioniert. Statt des Einsatzes von Beamern mit begrenzt haltbaren sehr teuren Birnen gibt es heute LCD – Technik, die selbst in taghellen Räumen scharfe Bilder liefert.“ Auch für das Engels–Haus hat Illner neue Pläne. Für den unbefangenen Betrachter ist es nicht leicht, dieses Haus mit den revolutionären Ideen des berühmten Sohnes der Stadt in Verbindung zu bringen. Es ist auch nicht das Geburtshaus von Friedrich Engels, das 1943 den Bomben zum Opfer fiel, sondern das im Stil des Bergischen Spätbarocks erbaute bürgerliche Wohnhaus von Friedrich Engels’ Großvater Johann Caspar. Als die Stadt das Haus in den 60er Jahren erwerben konnte, war es völlig verwahrlost, weil man es nach dem Krieg in Kleinstwohnungen aufgeteilt hat. Das Gebäude muss dringend saniert werden, da es z.B. für Menschen mit körperlichen Einschränkungen kaum zu begehen ist. Hinzu kommt ein aktueller Aspekt: Die Stadt Trier hat sich dank einer großzügigen Zuwendung der Friedrich–Ebert–Stiftung dem Zeitgeist angepasst und das Geburtshaus von Karl Marx renoviert: 50% aller Gäste kommen aus China! Für die Chinesen sind Marx und Engels ebenso bedeutend wie für uns Goethe und Schiller. Einmal mehr zeigt sich, wie eng historische, gesellschaftliche und religiöse Aspekte miteinander verflochten sind, denn vor den politischen Umwälzungen seit 1989 hätte es diese Perspektive des Stadtmarketings noch nicht gegeben. Hier könnten sich bedeutende Möglichkeiten für die touristische Aufwertung von Wuppertal eröffnen. Illner beklagt, dass die Besucher chinesischer Gruppen vielfach unkoordiniert seien, zum Beispiel stünde plötzlich an einem Freitag Abend ein Bus mit Gästen aus China vor dem Haus, von deren Ankunft niemand etwas gewusst hat. Zum Glück war der Hausherr noch anwesend und konnte die Besucher durch das Museum führen. Wie schön wäre es, wenn


diese in Wuppertal übernachten könnten und ein touristisches Programmpaket vorläge! Der dazu unerlässliche Internetauftritt ist für 2011 vorgesehen. Das Engels–Haus verfügt über 30 Jahre alte Schaukästen zur Biografie von Friedrich Engels, die jedoch mehrheitlich Kopien beinhalten und nach Vorstellungen moderner Museumskonzeptionen veraltet sind. Skurril wie sie sind, haben sie inzwischen selbst musealen Charakter. „Mit Kopien kann man heutige Besucher kaum abspeisen, doch an die Originalquellen heranzukommen, ist fast unmöglich“, sagt Illner. Auch hier ist viel zu tun, jedoch in Zeiten der finanziellen Knappheit leider nur in ganz kleinen Schritten. Das repräsentative Engels-Haus mit seinen wunderschön ausgestatteten Räumen wird erfolgreich für Vorträge oder private Veranstaltungen wie Hochzeiten genutzt, und den Keller kann man für Feierlichkeiten mieten. Dass es Büroräume enthält und eine Wohnung ist in Illners Augen unangemessen, denn wertvolle Ausstellungsflächen gehen so verloren. Also gibt es auch für diesen Teil des Historischen Zentrums neue Pläne. Neu ist der „Ankerpunkt der Industriekulturrouten“ im Museumsbistro auf dem ehemaligen Speditionsgelände. Die Idee dazu ist europäisch und hat sich für Wuppertal anlässlich der Regionale in Zusammenarbeit mit dem Bergischen

Geschichtsverein und den regionalen und internationalen Netzwerken zur Industriekultur konkretisiert. Ähnlich wie für das Ruhrgebiet gibt es auch im Bergischen zahllose Möglichkeiten für die verschiedensten Unternehmungen. Man kann Touren und Führungen buchen und nach Wunsch für das gesamte Bergische Land zusammenstellen, da die Museen kooperieren. Die Mitarbeiter des Ankerpunktes arbeiten auch an neuen Informationstafeln für historisch bedeutende Orte in der Stadt. Im Rahmen dieses einmaligen Projektes ist Rainer Rhefus dabei, zusammen mit ehrenamtlichen Mitarbeitern in bestimmten Quartieren der Stadt Informationen von geschichtsinteressierten Bürgern zu sammeln. Diese werden wissenschaftlich ausgewertet und aufgearbeitet. Inzwischen gibt es 13 Routen mit Schildern und Stelen; manch einem fallen die kleinen blauen Tafeln auf, die immer häufiger im Stadtbild zu entdecken sind und von der Vergangenheit erzählen. Zur Zeit ist man dabei, die Nordbahntrasse zu beschildern. Illner hat ein weiteres Projekt: Im Fundus des Museums lagern vielerlei Dokumente und Originalobjekte aller Art und Größe aus vergangenen Zeiten, die dringend restauriert werden müssten. Dazu gehören Schriften, Stiche, Möbel, Uhren, Ferngläser, Maschinen und Bauteile. Illner plant

eine Ausstellung dieser Stücke und sucht Paten, die sich der Restaurierung „ihres“ Objektes annehmen. Als Gegenleistung erhält der Pate ein Namensschildchen und einen Eintrag, und er kann das Stück für berufliche Zwecke ausleihen, z.B. zur Schaufenstergestaltung oder zur Werbung. Dabei geht es Illner weniger um Sponsoren als vielmehr um die persönliche Beziehung, die der Pate zu „seinem“ Stück entwickeln soll. Engagement und bürgerliche Verantwortung, aber auch Freude am jeweiligen Gegenstand sind gefragt. Möge dieser Plan breite Resonanz finden! In den schönen Räumen für Wechselausstellungen möchte Illner mit einer Reihe von Themenausstellungen das Museum als technik- und kulturgeschichtlichen Erlebnisort präsentieren. Dass dieser Plan aufgeht, hat Illner bereits mit zwei großen Ausstellungen bewiesen, deren erste, „expedition materia“, in Zusammenarbeit mit der Junior Uni und einigen Technologieunternehmen durchgeführt wurde. Die zweite, „Licht fangen“, präsentiert die einzigartige Sammlung von Karl Heinz Steckelings zur Geschichte der Fotografie. Die Bewältigung solcher umfangreichen Aufgaben ist angesichts von Stellenabbau und leeren Kassen nur mit Hilfe engagierter freier und ehrenamtlicher Mithelfer und großzügiger Sponsoren möglich. Erfreulicherweise kann das Museum seit

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2008 über 25% mehr Besucher verzeichnen, dazu kommen Gäste zu über 89 weiteren Veranstaltungen wie Vorträgen, Tagungen und Diskussionen oder etwa dem „public viewing“ in Kooperation mit dem WDR Köln. Illner wünscht sich noch mehr Interesse bei Familien und möchte die Attraktivität des Museums – parallel zur Dauerausstellung - durch Wechselausstellungen und durch ein weit gefächertes Programm verbessern. Eberhard Illner hat nicht nur eine Menge guter Ideen, sondern auch ein umfassendes Wissen und die nötige Ausstrahlung. Wenn er Besucher führt, werden die Zusammenhänge klar. Zum Beispiel fragt er, warum sich ausgerechnet im Wuppertal so zahlreiche Sekten gebildet haben, so viele Vereine entstanden sind und vor allem so unverdrossen fleißig gearbeitet wurde, trotz schlimmster Lebensbedingungen. Das hängt mit pietistischen und kalvinistischen Strömungen zusammen: Wer von Gott erwählt oder verworfen ist, liegt bereits fest. Wer erwählt ist, gelangt zu Erfolg und Ansehen. Für die Verworfenen bleibt nichts als die Flucht in Sekten, von denen es bekanntlich im Wuppertal reichlich gegeben hat, die radikale Trennung von der Kirche oder der Alkohol. So heißt es in Otto Hausmanns Dichtung „Mina Knallenfalls“ um 1860: „Ich wurde an der Fuhr erzogen Mein Vater war alkoholkrank meine Mutter strickte Socken (....)“ (Die Fuhr war eine verkommene Straße im Hochwassergebiet der Wupper, an der die Ärmsten der Armen hausten.) Goethe hat die religiösen Eigenarten nicht nur an seinem Freund Jung-Stilling wahrgenommen: “Sein Glaube duldete keinen Zweifel und seine Überzeugungen keinen Spott (...) und seinen Wunderglauben, der ihm so wohl zustatten kam, ließ ich unangetastet.“ 1828 schreibt der Dichter über die evangelischen Predigten von D. Krummacher, Pfarrer zu Gemarke: „In diesem Orte steht Herr Krummacher als Prediger. Sein Publikum besteht aus Fabrikanten, Verlegern und Arbeitern, denen Weberei die Hauptsache ist. (...) Die Weber sind von je her als ein abstrus–religiöses Volk bekannt,(...).“ Weiter heißt es ironisch über die Manipulation der Predigten: „Man könnte

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Das Engels-Haus, so wie es die Wuppertaler kennen

Der Salon im Engels-Haus deshalb diese Vorträge n a r k o t i s c h e P r e d i g t e n nennen; welche sich denn freilich (...) höchst wunderlich ausnehmen.“ Das Historische Zentrum ist ein lebendiger Ort der Geschichtskultur des Wuppertales, die es unbedingt lohnt kennen zu lernen. Die Damen von der Aufsicht erleben das aus ihrer Sicht: Sie erzählen von einem chinesischen Besucher, der auf Empfehlung von Freunden voller Begeisterung den ganzen Tag im Museum verbracht hat. Besonders auffallend ist, wie schnell sich auch unlustige Schüler

motivieren lassen: „Und wenn keine Schulklassen mehr kämen – die würden wir sehr vermissen!“ Marlene Baum Fotos Peter Frese


Im Hier und Jetzt Atelierbesuch bei Peter Schmersal

Peter Schmersal, Foto Thomas Hirsch

In Kreuzberg, das hatten wir schon gehört, sei vieles anders. Obzwar er sein Wuppertaler Atelier an der Platzhoffstraße weiter nutzt, ist Peter Schmersal vor einigen Jahren nach Berlin-Mitte gezogen, auch dort mit Atelier. Aber während sich im Jugenstilhaus in Elberfeld, zwischen Treppenabsätzen und verwinkelten Durchgängen ein dichtes Zueinander aus Arbeits- und Lagerräumen, Situationen für die exemplarische Hängung wie auch das Gewinnen von Abstand eingestellt hat, handelt es sich in Kreuzberg um ein relativ nüchternes Studio. Ein langgestreckter Raum im dritten Stock in einem Industriebau, zweiter Hinterhof. Durch eine eingezogene Wand etwas abgetrennt, folgt ein weiterer Raum, die Vorhänge vor der Fensterfront zum Hof hin sorgen für gleichmäßiges Licht und die Gewissheit, nicht abgelenkt zu werden. Doch auch hier, Peter Schmersal „erlebt“ seine Bilder, setzt sich mit ihnen über den Malvorgang hinaus auseinander. Sie lehnen in kleineren Stapeln neben- und voreinander, mehrere Malereien sind in Arbeit,

weggestellt sind Zustände, bei denen er noch nicht wisse, was er davon halten soll, auch hat Peter Schmersal Bilder von Wuppertal nach Berlin mitgenommen. Und wie in Wuppertal malt er in der Mitte des Raumes auf einer Staffelei, unter welcher der Boden durch ein Lattengerüst etwas erhöht ist. Aus einer anderen Etage ist Klavierspiel zu hören, klassische Musik. Die prosperierende Metropole mit dem pulsierenden Stadtteil Kreuzberg, wo derzeit eine „Aufwertungsmaßnahme“ auf die andere folgt, also ist hier nicht zu empfinden. – Nein, die Malerei in Berlin sei nicht anders als in Wuppertal, sagt Peter Schmersal. Gefunden hat er das Atelier über Kollegen, die ebenfalls hier, auf dem weitläufigen Hofgelände an der Oranienstraße arbeiten. Zwar sind nun die Darstellungen von urbanen Situationen und die Landschaftsstücke, welche in den letzen Jahren in Nordrhein-Westfalen vor allem bei Karsten Greve in Köln und Horst Schuler in Düsseldorf ausgestellt waren, in den Hintergrund getreten. Dies betrifft auch die Porträts, die Schmersal

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als lapidares Konstatieren von sichtlicher Wirklichkeit angekommen war... Und im Berliner Atelier stehen an der Schauwand und auf der Staffelei mittelformatige Bilder, die nichts als den leergeräumten Tisch zeigen: als Linienkonstruktion und wie im Gegenlicht, umfasst von einem pastellfarben monochromen Ton. Im Umschlag von Fläche und Raum handelt es sich um Zeichnung und Malerei, Andeutung und Ausformulierung zugleich. Schon darin, wie der Gegenstand selbst isoliert bleibt und der Umraum angelegt

ist, schließen diese neuen Bilder an die anderen Sujets und deren Darstellungsweisen an, auch wenn Schmersal den bildnerischen Vortrag, weiterhin die plastischen Aufwerfungen des Sujets da geradezu umkehrt. Eine gewisse Zeitlosigkeit – welche ja schon die ausschließliche Hinwendung zum „klassischen „ Metier“ der Malerei, allen neuen Medien zum Trotz, kennzeichnet – ist noch den Motiven eigen. Die Dinge auf seinen Bildern gibt es jedenfalls seit Jahrhunderten: Sie sind grundsätzliche Phänomene unseres Daseins, genommen

Matthew Barney as The Loughton Candidate, 2008, Öl auf Leinwand, 115 x 95 cm teils im An- und Ausschnitt und über die Jahre mit immer den gleichen Modellen im Atelier gemalt hat, also im direkten Gegenüber: schnell und voller Risiko, infolgedessen wieder verwerfend und sofort wieder beginnend. Die so entstandenen Bildnisse sind Momentaufnahme und Verdichtung zugleich, von großer Intensität und enormer Präsenz. Der Malvorgang ist als pastose Bewegung festgehalten, in der sich Lichtreflexe manifestieren. Und, könnte eine Gesichtshälfte oder ein Arm einen Menschen repräsentieren? Schmersals Bildnisse stellen in Frage und sind machtvolle Behauptungen, Existenz ist hier sinnliche Erfahrung. Ihn interessiere das physische Gegenüber, bei allen seinen Motiven, sagt Peter Schmersal, sachlich und gelassen im Gespräch, ohne allzu viel Worte sich seiner Sache sicher, aber sich immer wieder neuen Herausforderungen stellend. Als er ganz in Wuppertal gelebt hat, ist er mitunter in die Landschaft hinausgefahren und hat dort unter freiem Himmel gemalt. In Berlin hingegen entfällt erst mal der Gedanke an Bilder mit Landschaft, tritt anderes in den Vordergrund. Aber nach wie vor entstehen Malereien von Blumen und Interieurs, welche etwas Karges, Knappes kennzeichnet. So hat Schmersal noch in Wuppertal immer und immer wieder einen Stuhl, seitlich dahinter eine Sense gemalt, damit zur Metaphorik hin und dann wieder von ihr weggearbeitet, bis er bei der Malerei

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Herbst oder Die Traubenernte (Goya), 2009, Öl auf Leinwand, 100 x 70 cm


aus ihrem Zusammenhang. Hingegen handelt die malerische Schilderung selbst mit Zeit, erlebt als faktische Realität im Hier und Jetzt. – Schon diese Bilder belegen, dass Peter Schmersal, der 1952 in Wuppertal geboren wurde und seit 1990 auf Ausstellungen vertreten ist, einer der wichtigen realistischen Maler hierzulande ist. Bilder der Kunstgeschichte Ein aktuelles Thema sind die Malereien nach Bildern der Kunstgeschichte. Früher eher die Ausnahme und als einzelne in die

Ausstellungen integriert, stellen sie seit einiger Zeit das Hauptanliegen von Peter Schmersal dar. Die Auswahl der Vorlagen, die er im vergrößerten oder verkleinerten Format, aber stets als Ganzes wiedergibt, erfolgt eher intuitiv aus seinem spezifischen Interesse als Maler und in der Hinwendung auf malerische Überlegungen. Sie schließt die zeitgenössische Kunst nicht aus, und in einem Fall bezieht sich Schmersal sogar auf ein Filmstill. Zu sehen ist, wie im Scheinwerferlicht, ein Selbstporträt von Matthew Barney aus

Eva (Lucas Cranach der Ältere), 2008, Öl auf Leinwand, 135 x 95 cm

seinem filmischen „Cremaster“-Zyklus: Aufrecht, in seitlicher Stellung, das Haupt zum Betrachter gewendet. Vielleicht ist Schmersals Malerei überhaupt die angemessene bildnerische Übertragung für den virulenten Surrealismus, aus dem das filmische Werk von Barney seine Energie gewinnt. Ein Unterschied zur Malerei der früheren Werkgruppen liegt auf der Hand. Hier nun ist das „Modell“ bereits eine Reproduktion, etwa aus Zeitungen, welche die Kunstwerke teils in s/w abbilden. Schlussendlich aber ist sekundär, ob der Betrachter das „Vorbild“ (er)kennt. Schmersals Malerei erwächst aus sich heraus und steht für sich. Sein autonomes Zitieren greift dabei unterschiedliche Gattungen der Malereigeschichte auf, mit einem besonderen Interesse für Figurendarstellungen. Als Schwerpunkte erweisen sich die altdeutsche Malerei (Lukas Cranach, Martin Schongauer, Hans Baldung Grien) und die spanischen Meister (Goya und Velázquez). Schmersal hält den Spagat der genauen Wiedergabe und der Freiheit des Malens: mit der Entscheidung zur Veränderung der Farbigkeit wie auch zur Reduktion oder zur Aussparung bis hin zu einem leeren „Fleck“ auf der Leinwand. Natürlich könnte man im einzelnen untersuchen, wie sich die Vorlage aus der Kunstgeschichte verändert hat, welche Partien Schmersal summiert und welche er neu übersetzt hat, also wie er von mal zu mal reagiert. Auch wie er einerseits in der Flächigkeit der fotomechanischen Wiedergabe bleibt, andererseits aber das Vor-Bild bereits als Gegenüber versteht und die Figuren als handelnde, körperhafte Wesen begreift – und wie er das Geschehen als Ereignis im (Farb-) Raum setzt. Zu den großartigsten Beispielen gehört seine Malerei zu „Innozenz X.“ nach Velázquez. Natürlich, sagt Peter Schmersal, habe er Velázquez’ Gemälde im Original gesehen. Die Papst-Darstellungen von Francis Bacon sind ihm ebenso vertraut – und zugleich löst er sich von den motivischen Vorläufern und erfasst das Bild als Malerei und schafft aus dessen konstitutiver Anlage Eigenes. Der Rock des Papstes ist bei Schmersal

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goldgelb flirrendes, leuchtendes Gefieder, noch im Kontrast zum Purpur und zu allem Rot. Das Gesicht wirkt gerade in seiner Längung aufmerksam und unmittelbar. Obzwar etwas seitlicher als bei Velázquez positioniert, ist hier Innozenz X. doch näher am Betrachter. Und erst recht bei Schmersal thront Innozenz X. und vermittelt so geistige Größe. Dazu ist der Umraum weiter abstrahiert, mit dem Pinsel in Farbbahnen gezogen, noch mit der Andeutung möglicher Schatten. Schmersals Gemälde ist eine Malerei über Malerei, eine anregende, hochgebildete Lehrstunde über ihre Gegenwärtigkeit und ihre Präsenz durch die Geschichte hindurch, welche anhand des Motivs in ihrer Historizität unterstrichen ist. Und es ist Porträtmalerei über eine Porträtmalerei – auch hier gilt, was Raimund van Well über Schmersals Malerei vorm menschlichen Modell geschrieben hat: dass es sich um „ein[en] wirklich[en] Beitrag zur Wirklichkeit des anwesenden Menschen“ handle (Kat. Köln 1999, S. 48). Nun aber wird die Frage von Anwesenheit und Abwesenheit auf die Spitze getrieben. Neu angegangen wird die Differenz von Realität und Vorstellung, noch als Nachbild aus der Erinnerung. Und angesprochen ist schließlich das prekäre Verhältnis von Werktreue und Interpretation, von Original und Zitat, unvermittelt und vermittelt: Wie sehr können wir den überlieferten Bildern trauen oder ist nicht erst das neue Bild – fern jeder damaligen Auftragsmalerei, auch mithin „Schönmalerei“ – authentisch? Natürlich fordert Schmersals zeitgenössisches Meisterwerk darüber hinaus zur Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte und deren Konditionen auf. Für andere Bilder wendet sich Schmersal dem Figureninventar der frühen Malerei zu. Mit den Gestalten der klassischen Mythologie und des Alten Testaments kommt augenblicklich eine weitere Reflexionsebene hinzu, die den Kanon der Visualisierung des Nicht-Visualisierbaren anspricht. Schmersal entwirft die überlieferten Figuren als Malerei zwischen Individualität und Typus mit den entsprechenden Attributen. Die Ikonographie und die Symbole – schon die Schlange oder ein Amor – werden für ihn

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Innozenz X. (Velázquez), 2009, Öl auf Leinwand, 80 x 60 cm die Momente sinnlicher Welt auf – auch zu expressiver Anverwandlung, einzigartig da, wo wir nicht damit gerechnet haben. und reich an inhaltlichen Dimensionen. Und mit all dem erweckt Schmersal die Peter Schmersal stellt vom 11. DezemDarstellungsweisen der Kunstgeschichte zu zeitgenössischer Vitalität. Er zeigt ber bis 26. Februar in der Galerie Horst dabei, über welche schiere Kraft und Schuler, Citadellstr. 15 in Düsseldorf aus. Frische Malerei verfügt und dass sich ihre www.horstschuler.com klassischen Themen und Gattungen aus sich heraus regenerieren. Innerhalb der Thomas Hirsch Kette der Motive und Sujets, die Peter © für alle Bilder: Atelier Peter Schmersal, Schmersal im Laufe seiner Tätigkeit Porträt: Thomas Hirsch geschaffen hat, ist die Hinwendung auf die Darstellungen aus der Geschichte der Malerei konsequent und geht noch einen Schritt weiter. Seine Malerei ist Ausdruck von Beobachtungsgabe und rigoroser Vergegenwärtigung, sie bannt Aura und spürt


Der Gigant der tiefen Töne Kurt Rydl und seine Wuppertaler Ehefrau

Ein Bild mit Seltenheitswert: Kurt Rydl zu Hause in Wien.

Die abwechslungsreiche Geschichte des Barmer Bahnhofs hat eine neue Epoche erreicht. Martina Steimer als langjährige Prinzipalin des Forum Maximum im kuscheligen Rex-Theater in Elberfeld wird Pächterin im Barmer Bahnhof. Mit dem Auftritt von Götz Alsmann am 4.Feburar 2011 soll es losgehen. „Forum Maximum im Barmer Bahnhof“ heißt die Stätte der besonderen Unterhaltung. Es trafen sich Partner, deren Interessen für die Kultur absolut kompatibel sind, auch wenn sie aus unterschiedlichen Bereichen stammen. Was die Sache eher spannender gestaltet. Hier die ausgewiesene Fachfrau Martina Steimer für die Kabarett-und Comedy-Szene. Andererseits Christiane und Kurt Rydl als die Besitzer der Immobilie mit dem Focus auf den klassischen Bereich. Wobei wir beim „Bahnhofsvorsteher“ der besonderen Sorte wären. Kurt Rydl war buchstäblich wieder einmal auf der Durchreise. Angehalten hat er an seinem eigenen Bahnhof. Dem Barmer Bahnhof, den er gemeinsam mit seiner Ehefrau Christiane vor zwei Jahren für 540.000 Euro gekauft hat. Er kam Anfang November 2010 von einem Auftritt im „Ring des Nibelungen“ mit der Kölner Oper bei der EXPO in Shanghai und reiste weiter nach

Dresden und Wien, wo er in der Semperoper und in der Staatsoper im „Rigoletto“ von Verdi die Rolle des Mörders Sparafucile spielte. Sein Terminkalender ist gefüllt bis in das Jahr 2014. Allein für 2011 tauchen in seinem Terminkalender in alphabetischer Reihenfolge die Auftrittsorte Amsterdam, Dresden, London, Oviedo, Paris, Turin und Zürich auf. Das Arbeitspensum dieses Mannes ist für einen normalen Menschen kaum vorstellbar und selbst in hochkarätigen Künstlerkreisen eher selten. Aber der Kammersänger Kurt Rydl ist kein „normaler Mensch“ und in fast allen Facetten des Lebens wohl eine Rarität. „Beuteltier, Urviech und Gigant“ sind nur einige der Beschreibungen in den Medien über den Mann, der natürlich mit den legendären „Drei Tenören“ eine CD „Weihnachten der Weltstars“ aufnahm. Rydls Repertoire umfasst ca.100 Partien, 1996 wurde er zum Kammersänger ernannt, im Jahre 1999 zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper und allein bei den Salzburger Festspielen hat der „Megabass“ in 19 Jahren über 200 Vorstellungen absolviert. Beim Wiener Opernball 2010 gab es eine

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sehr persönliche Begegnung mit Kurt Rydl in der Loge von Thomas Gottschalk. Eindrucksvoll zu erleben auf der Homepgage www.kurt-rydl.com. Seit 1973 ist der Wiener Kurt Rydl mit einer Wuppertalerin verheiratet. Es sind enge verwandtschaftliche Bande, die nach Wuppertal geknüpft sind, denn sein Schwager ist Thomas Leipoldt, der Inhaber des „Marktes im Bahnhof Barmen“. Zu Kurt Rydls 60.Geburtstag vor drei Jahren ist ein Buch erschienen. Placido Domingo schrieb das Grußwort und bei der Präsentation in der Dresdner Semperoper hat der Oscar-Preisträger Maximilian Schell aus dem gewichtigen Werk vorgelesen. Jahrelang hat Christiane Rydl für diese 384 Seiten gearbeitet. An solche Entwicklungen war nie zu denken, als sie einst nach gemeinsamen Auftritten mit Hanns Dieter Hüsch in Rheinhausen während ihres Musikstudiums in Wien auf Kurt Rydl traf – und den im Grunde anfangs gar nicht so recht mochte, ehe sie seine Stimme hörte. Ihre eigene Karriere im Mezzosopran-Fach tauschte sie nach der Heirat gegen das Management des Ehemannes. Und wie das in Künstlerkreisen so üblich ist, hat das Wien-Wuppertaler Paar zwischenzeitlich auch die Boulevardpresse des Landes ausreichend bedient. Wer keine Vergangenheit hat, der hat auch keine Zukunft. Und so kann es Christiane Rydl heute gut ertragen, wenn ihr Kurt im launigen Gespräch bei einem Glas Rotwein über seinen Wunsch der letzten Ruhestätte spricht: “Ich möchte neben der Christa Ludwig begraben werden.“ Christa Ludwig ist eine der bedeutendsten Opernsängerinnen der letzten Jahrzehnte. Sie lebt 82-jährig in der Nähe Wiens. Die Liste der großen Namen der Opernwelt mit Kurt Rydls gemeinsamen Auftritten ist endlos lang, sie reicht von der am 25. Dezember 2005 verstorbenen, legendären Schwedin Birgit Nilsson bis zu aktuellen Stars wie der Lettin Elina Garanca, mit der Rydl in einer seiner Paraderollen als „Ochs auf Lerchenau“ in Wiens Staatsoper im „Rosenkavalier“ von Richard Strauss auftrat. Ruhmreich auch die Auftrittsorte, bei 90 bis 100 Auftritten pro Jahr und insgesamt rekordverdächtigen fast 3500 gesungenen Vorstellungen rund um den Erdball kaum verwunderlich - und so findet sich gelegentlich die

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Schöner Wohnen im Hause Rydl.


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Bemerkung in den Medien, der „Mann mit der dunkelsten Stimme unter den aktiven Opernsängern“ würde am liebsten in mehreren Städten gleichzeitig auftreten. Nur der Grüne Hügel in Bayreuth war ein ziemlich kurzer Abschnitt der Karriere. Und auch die Met in New York ist ein weißer Fleck. Dabei gibt es noch eine Ruhepause im Sommer, wenn die Rydls auf ihrem Anwesen von Mallorca Kraft für die Arbeit finden. Ihr Zuhause aber ist Wien. Im 7. Bezirk in der Nähe des Spittelberges weist ein Klingelschild mit der Aufschrift KS (für Kammersänger) Rydl den Weg in eine Wohnung, die sich als filmreife Mischung von Lebens- und Arbeitsraum, Museum und Begegnungsstätte präsentiert. Der Kamin stammt aus der Toskana, ein Balken an der Decke aus dem Jahre 1743 aus Kärnten, das Atrium ist von Klostergittern umgeben, und an der Wand zeugen wertvolle Bilder davon, dass hier einst der Restaurator eines bedeutenden Museums wohnte. So etwas ist heute nicht mehr einzurichten, dabei mangelt es nicht an heiteren Details. Bevor der alte Aufzug vom langen Flur in Gang kommt, öffnet die 1947 in der damaligen Landesfrauenklinik an der Vogelsangstraße geborene Hausherrin ein „Guckloch“ – getarnt durch die Urkunde zur Ernennung des Ehrenmitgliedes der Wiener Staatsoper. Sie kann schon frühzeitig die Gäste begutachten...“wie die Witwe Bolte“. Nun stehen die Bässe als zwar oftmals spektakuläre Bühnenerscheinungen selten so extrem im Focus der Medien wie die Tenöre, zumal ihre Partien mitunter eher kurz sind. Gebraucht werden sie dennoch, und so kommt aus dem Munde von Kurt Rydl auch der Satz: „Die Bässe halten, was die Tenöre versprechen.“ Es freut ihn mächtig, dass er mit seinen über 60 Jahren unverändert voll im Saft steht und keinen Gedanken daran verschwendet, sich mit dem Begriff „kürzer treten“ zu beschäftigten. In der DVD zum Rydl-Buch ist eine Szene eingespielt, auf der er mit dem Ball am Fuß ein 60m-Solo über den Fußballplatz hinlegt: „Schließlich habe ich in der Jugend bei Rapid Wien gespielt.“ Heute bevorzugt er die Disziplin Marathon in Sachen Auftritte. Klaus Göntzsche Fotos: Heinz Eschmat

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Spiele mit Blicken, Christiane und Kurt Rydl.

Vor dem Werk von Gottfried Helnwein.

Kurt Rydl, Martina Steimer, Thomas Leipoldt und Christiane Rydl.


Schön – aber falsch Zwei im Wuppertaler Von der Heydt Museum jahrzehntelang als Gemälde Vincent van Goghs gehütete Stilleben wurden jetzt als Fälschungen entlarvt

Dr. Gerhard Finckh (links) und Restaurator Andreas Iglhaut

Man könnte salopp sagen: Wo van Gogh drauf steht, muß auch van Gogh drin sein. Zwei Bilder aus dem Bestand des Städtischen Wuppertaler Von der Heydt Museums, die jahrzehntelang als echte Gemälde des niederländischen Impressionisten galten, in den letzten Jahrzehnten aber mit Zweifeln belastet waren, sind nun durch ein Gutachten von Oda van Maanen und Ella Hendriks vom Institut Collectie Nederland (am van Gogh-Museum) als nicht von der Hand van Goghs eingestuft worden. Damit bewahrheitet sich der Verdacht, daß der Kunstsammler und Mäzen August von der Heydt, der das Gemälde „Stilleben mit Bierkrug und Früchten“ 1928 bei der Galerie Abels in Köln und das Bild „Vase mit Blume, Kaffeekanne und Früchten“ bei Goldschmidt & Co. in Frankfurt erworben hat, Schwindlern oder zumindest einem grandiosen Irrtum aufgesessen ist. Besonders pikant daran ist, daß beide Gemälde keine Signatur tragen und lediglich Vincent van Gogh

„zugeschrieben“ wurden. Wer in der Kette der Besitzer nun als erster einem Fälscher oder auch nur einem Betrüger aufgesessen ist, wird wohl nicht mehr feststellbar sein. Es ist wie mit dem falschen Fünfzigmarkschein, der vom jeweiligen Besitzer solange hastig weitergereicht wird, bis der Schwindel auffällt. Betrüger ist damit jeder der Zwischenbesitzer bzw. Händler. Das Nachsehen hat der Letzte. Auch ist nicht mehr zu ermitteln, was August von der Heydt für die Bilder bezahlt hat. Fest steht allerdings, daß ganz offenbar der Wunsch einen echten van Gogh zu besitzen, zumindest den letzten Besitzer blind für die beschämende Wahrheit gemacht hat. Zwar hatte der van-Gogh-Experte Jacob Baart de la Faille 1928 beide Gemälde in sein Werkverzeichnis der Arbeiten van Goghs aufgenommen, doch rührte sich 1976 hinsichtlich der „Vase mit Blumen“ erster Zweifel, geäußert von Bogomila Welsh-Ovcharov. Der Journalist und vanGogh-Biograph Stefan Koldehoff unter-

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Post aus Amsterdam

strich die Zweifel im Jahr 2003 und setzte noch darauf, dass auch das „Stilleben mit Bierkrug und Früchten“ nicht echt sei. Dr. Gerhard Finckh, Direktor des Von der Heydt-Museums seit 2006, entschloß sich, mit der üblichen Geheimniskrämerei und Eitelkeit der Museen zu brechen, wenn Fälschungen aufgedeckt oder vermutet werden. Zur wissenschaftlichen Klärung des Kunststreits schickte er 2008 beide in Rede stehenden Bilder zur (kostenlosen) Untersuchung nach Amsterdam. Die Gutachten unterstreichen – wenn auch ein wenig schwammig mit Begrifflichkeiten wie „untypisch“, „was man in Werken von van Gogh erwarten würde“ und „bisher bei van Gogh nicht gefunden“– die Annahme, beide Gemälde seien nicht von van Gogh gemalt. Ein wenn auch winziges Hintertürchen lassen die Gutachten durch ihre vorsichtige Formulierung dennoch offen. Gerhard Finckh sieht es pragmatischer: „Die Bilder sind leider nicht lediglich falsche Zuschreibungen, sondern Fälschungen, nicht von van Gogh und ihr Wert fällt damit ins Bodenlose. Wir werden sie dennoch in unserem Magazin behalten und gelegentlich zeigen.“ Literatur: - Stefan Koldehoff - „Vincent van Gogh“, © 2003 DuMont, Köln, 303 Seiten mit vielen s/w und farbigen Illustrationen und Anmerkungen Nora und Stefan Koldehoff „Wem hat van Gogh sein Ohr geschenkt?“ (Alles, was sie über Kunst nicht wissen) © 2007 Eichborn Berlin, 388 Seiten Frank Becker (Fotos und Text)

Dr. Gerhard Finckh mit den falschen van Goghs

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Unterwegs zur neuen Kunst Großer Andrang bei der Wuppertaler Performance-Nacht

Gemeinsam mit Steve Buchanan präsentiert Heike Fiedler eine Performance im „Ort“ an der Luisenstraße.

Kreuz und quer, vom Boden bis weit in die Höhe sind breite rote Bänder gespannt im Hinterhof der ehemaligen Bandfabrik Huppertsberg an der Opphofer Straße. Eine Stoffbahn führt vom Hof ins Treppenhaus und hinauf bis in das Atelier Barczat. Hier beginnt am frühen Abend die Wuppertaler PerformanceNacht, veranstaltet vom Kulturbüro Wuppertal. Sieben Performances an sieben Orten stehen auf dem Programm. Die Aufführungen sind zeitlich nacheinander angeordnet, sodass die Besucherschar wie bei einer Stadt-Rallye von einem Ort zum anderen ziehen kann, ohne etwas zu verpassen. Ein langer Abend mit aktueller Performance-Kunst, die es aktiv zu erlaufen und zu erkunden gilt – das kommt an. Insgesamt sind weit mehr als 400 Besucher auf der Kultur-Route in Elberfeld unterwegs. Wie schon der Hinterhof ist auch das Atelier Barczat durchzogen von roten Bändern. Schauspielerin Caroline Keufen trägt Ausschnitte aus dem Text „Portrait des Meidosems“ von Henri Michaux vor.

Dabei windet sie sich an den Stoffbahnen entlang, hängt sich an sie, kriecht über den Boden, krabbelt auf einen langen Holztisch. Musikerin Ute Völker bewegt sich mit ihrem Akkordeon ebenfalls durch den Raum und entwickelt hingetupfte Klänge. Künstlerin Diemut Schilling projiziert Live-Aufnahmen der Aktion auf die Wände und sorgt für Licht- und Sound-Effekte. So entsteht ein dichtes Zusammenspiel von Text, Bewegung, Klang und Projektion. Schon an dieser ersten Station der Performance-Nacht herrscht großer Andrang. Längst nicht alle Besucher haben die Aufführung sehen können. Spontan entscheiden sich die drei Wuppertaler Künstlerinnen daher zu einer erneuten Umsetzung. Doch zuvor stellt sich David J. Becher als Guide des Abends vor. „Performance hat immer etwas mit Bewegung zu tun. Sie sind nicht nur Zuschauer, Sie sind mit dabei“, ruft er dem Publikum zu. Humorvoll und gut informiert übernimmt der Schauspieler des Vollplaybacktheaters von nun an die Führung zu den

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Im Licht der Kunst improvisiert Almut Kühne.

Betont nachlässig singt der Berliner Künstler Christoph Dettmeier.

Veranstaltungsorten und zieht mit der ersten Gruppe los zur Hebebühne an der Mirkerstraße.

Flügelschlag ist im leicht verfremdeten Ton zu hören. Ausgehend von diesem atmosphärischen Feld gestaltet Milton Camilo einen weich fließenden Tanz. Geschmeidig lässt er seine Arme schwingen – ein unspektakulärer aber feinsinniger Beitrag zur Performance-Nacht.

In dem kleinen Bühnenraum der ehemaligen Tankstelle haben Regisseurin Marlin de Haan und Animationsdesignerin Vanessa Eder 30 Stunden verbracht. Sie haben dort gelernt, gespielt, gekocht, geschlafen und sich dabei filmen lassen. Während sie mit schwarzer Schlafmaske regungslos an der Seite stehen, präsentieren sie nun dem Publikum das unmittelbar zuvor entstandene Bildmaterial: rhythmisch aufeinanderfolgende Standbilder und somit ein Konzentrat ihres Aufenthaltes. Die Zuschauer erhalten damit einen unmittelbaren Rückblick auf das Experiment, auf eine frische, gewitzte Studie zum Thema Zeit und Durchhaltevermögen. Bei der nächsten Etappe steigt die Zahl der Besucher weiter an. Im Olga, Raum für Kunst, stehen sie dicht gedrängt, andere hocken auf dem Boden. „Den Ort hier wollte ich schon längst kennenlernen“, sagt eine Zuschauerin. Klar wird spätestens hier: Ein besonderer Vorteil dieser Art von Veranstaltung ist, dass nicht nur die Aufführungen, sondern ebenso die verschiedenen Kunsträume viele Neugierige anlocken. An der Station Nummer 3 hat Katharina Schmitt auf fünf Leinwänden eine Videoinstallation eingerichtet, die eine fliegende weiße Taube vor blauem Himmel zeigt. Der 26

Für seinen Auftritt im Neuen Kunstverein an der Hofaue hat Christoph Dettmeier seiner speziellen Country-Show den Titel „Peace in the Valley“ gegeben. Betont nachlässig singt der Berliner Künstler zu diversen Western-Songs, zeigt wirkungsvoll verlangsamt typische Cowboy-Posen, faselt wirr, doch mit Hintersinn über den Zusammenhang von Landschaft und Psychologie und präsentiert eindrucksvolle schwarz-weiß Dias. Mit seinen Aufnahmen spürt er der Western-Melancholie in heutiger Zeit nach. Er findet sie in den Industrie-Brachlandschaften in Detroit, Istanbul oder Halle an der Saale. Die Performance löst Begeisterung und Kopfschütteln beim Publikum aus. Das verwundert nicht, denn die Show changiert verstörend zwischen Ironie, ernsthafter Auseinandersetzung und blankem Trash. Der „Ort“ an der Luisenstraße ist die nächste Station der Performance-Nacht. Der Raum ist klein, der Andrang groß, sodass auch hier spontan eine zweite Aufführung ins Programm eingepasst wird. Das Genfer Künstlerpaar Heike Fiedler und Steve Buchanan entwickelt eine packende

Performance aus Worten, Versen und Phrasen, Geräuschen, Klängen und Bewegung. Zu intensiven Spracherkundungen und Videokompositionen von Fiedler bespielt Buchanan sein selbst erfundenes elektronisches Boden-Instrument „2nd line“. Der Musiker läuft und tänzelt federnd auf der Trittfläche, kniet und schlägt mit Klöppeln. So bezieht er die gestische Bewegung in die faszinierende Performance mit ein. Ein Berliner Trio ist für die vorletzte Etappe im Kunstraum Grölle pass:projects zuständig. Künstler Helge Leiberg zeichnet und pinselt auf zwei Overhead-Projektoren zur Musikimprovisation von Sängerin Almut Kühne und Gitarrist Lothar Fiedler. Aufmerksam verfolgen die Besucher das impulsive Zusammenspiel, obwohl auch an dieser Station die Sitzplätze rar sind und für viele zu später Stunde das Stehen allmählich beschwerlich wird. Doch unermüdlich ziehen einige Kunstfreunde auch jetzt noch weiter zur finalen Party in den Arrenberg’schen Höfen. Dort ist bereits viel los, zur Tanzmusik von DJ STINGL projiziert GLUEH rhythmische Grafiken und Bilder in den Raum. Es ist längst weit nach Mitternacht. Wer die gesamte Performance-Nacht geschafft hat, ist nun wohl viel zu müde zum Tanzen, dafür aber voller neuer Eindrücke nach einem facettenreichen Kunst-Marathon. Meike Nordmeyer Fotos: Antje Zeis-Loi


Geschichten mit und ohne Worte Der Peter Hammer Verlag und die Verlegerin Monika Bilstein im Portrait

Peter Hammer, soviel vorweg, ist ein Phantom. Schon im 17. Jahrhundert erfunden von Verlegern, die sich von der Zensur gegängelt, verfolgt und um die Freiheit der Meinung und der Literatur gebracht sahen. Der Name gehörte niemandem - und allen, die sich hinter einem Pseudonym verbergen mußten, um veröffentlichen zu können, was der strengen staatlichen Überwachung, der Schere des Zensors vermutlich zum Opfer gefallen wäre. Die Zensur war längst abgeschafft als 1966 in Wuppertal aus dem 1951 von Hermann Ehlers in Oldenburg gegründeten Verlag mit dem biederen Namen (und dem biederen Programm) „Jugenddienst-Verlag e.V.“ der „Peter Hammer Verlag“ wurde, doch der neue Name transportierte die gute Tradition des Unangepaßten. Johannes Rau (1931-2006), der 1953 die Aufgaben von Hermann Ehlers übernahm, hätte eigentlich nach Oldenburg gehen sollen.

Wegen dringender familiärer Pflichten Raus gestattete Ehlers den Umzug des Verlages nach Wuppertal. Das war keine große Sache, erinnerte sich Hermann Schulz der schon 1960 in der Nachfolge von Eberhard Robke als Vertreter Johannes Raus in den Verlag eingetreten war, einmal in einem Interview, denn das ganze Unternehmen paßte damals noch in einen VW-Bus, mit dem der Ortswechsel auch abgewickelt wurde. Als Rau seines zunehmenden politischen Engagements wegen - er wurde Vorsitzender der SPD-Fraktion im NRW-Landtag, später Ministerpräsident und schließlich Bundespräsident - 1967 aus dem Verlag ausschied, hatte Hermann Schulz, dem die seit 1961 dynamisch fortschreitende Veränderung vom christlich-sozial orientierten Broschüren-Verlag zum anspruchsvollen und politisch engagierten linksliberalen (notabene unabhängigen) Literaturverlag zu verdanken war, ohnehin längst

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die Fäden in der Hand. Er hatte ab 1961 das angestaubte Programm radikal umgestellt, mit Büchern zum 3. Reich mutig ein zu dieser Zeit noch ungern beackertes Themenfeld aufgegriffen und als einer der ersten im Westen den sowjetischen Schriftsteller Jewgeni Jewtuschenko verlegt. Diese Weitsicht sollte sich später bezahlt machen. 1966 erfolgte, um ein deutliches Zeichen zu setzen, mit Zustimmung des Aufsichtsrates unter dessen Vorsitzendem Johannes Schlingensiepen neben dem noch inaktiv weiter bestehenden Jugenddienst Verlag die Neugründung des „Peter Hammer Verlag“, und 1967 wurde Hermann Schulz zum Verlagsleiter gewählt. Aus dem „e.V.“ wurde eine GmbH mit einem wachsenden Stamm von Gesellschaftern - über 400 sind es heute. Auch der Personalbestand nahm zu, der Verlag beschäftigte in den Zeiten des Booms der 60er und 70er Jahre bis zu 16 Mitarbeiter, zu denen u.a. auch der Essayist und Lyriker Arnim Juhre zählte. Hermann Schulz blieb am Puls der Zeit, bereiste auf der Suche nach neuen Stoffen und neuen Stimmen Lateinamerika und Afrika und verschaffte in seinen 35 Jahren als Verlagsleiter dem Peter Ham-

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mer Verlag einen glänzenden Namen als der Verlag für Literatur aus und über Lateinamerika und Afrika. Große Namen und große Erfolge verbinden sich mit der Geschichte des Verlages, der Nobelpreisträger, Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels und vielfach mit Preisen aller Sparten überhäufte Autoren und Illustratoren entdeckte und hervorbrachte und sich stets durch sein Understatement auszeichnete. 1968 erschienen die Psalmen des nicaraguanischen Lyrikers Ernesto Cardenal, der 1980 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekam und nach der sandinistischen Revolution von 19791990 Kultur- und Erziehungsminister Nicaraguas war. Cardenal ist dem Peter Hammer Verlag bis heute verbunden. Noch immer kommt der mittlerweile 85 Jahre alte Autor zu Lesereisen nach Deutschland. Ähnlich verhält es sich mit Eduardo Galeano, dessen Schlüsselwerk „Die offenen Adern Lateinamerikas“ seit 1973 bis heute im Programm ist und jetzt in einer neuen Übersetzung erscheint – „Ein Standardwerk, das seinesgleichen nicht findet“, so Monika Bilstein, seit August 2001 Leiterin des Verlages. Gioconda Belli, deren Buch

„Die bewohnte Frau“ (1989) mit weit über 1 Mio. verkaufter Exemplare ungebrochenen Erfolg hat und die sich mit Ex-Kanzler Helmut Schmidt den Preis „Politisches Buch des Jahres“ der Friedrich-Ebert-Stiftung teilt, gehört ebenfalls zu den Entdeckungen des Peter Hammer Verlages, zu dem sie regelmäßigen Kontakt unterhält. Bellis erotische Gedichte (1978) und ihr von Wolf Erlbruch illustriertes Buch „Die Werkstatt der Schmetterlinge“ (1994) sind gleichfalls Verkaufsschlager von Dauer. Auf einer Reise durch 14 afrikanische Staaten, die der Etablierung einer Literatur-Reihe „Dialog Afrika“ dienen sollte, begegnete Hermann Schulz 1979 in Nigeria das Werk Wole Soyinkas, den er in das literarische Programm aufnahm. Soyinka erhielt 1986 als erster Afrikaner den Literatur-Nobelpreis. Als ähnlich verdienstvoll erwies sich die Entdeckung von Ngugi wa Thiong´o, dessen „Verbrannte Blüten“ heute als „die Buddenbrooks Schwarzafrikas“ gerühmt wird. Andere afrikanische Autoren, die durch den deutschen Peter Hammer Verlag Geltung bekamen, sind Patrice Nganang mit „Hundezeiten“, Desmond Tutu, der wie Cardenal den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekam und


der posthum zu Ruhm gelangte Aniceti Kitereza, dessen Buch „Die Kinder der Regenmacher“ das Afrika vor der weißen Annexion beschreibt. Aniceti Kiterezas ostafrikanischer Roman ist der Anfang einer „klassischen“ Literatur Afrikas, das erst sehr spät zu einer literarischen Sprache fand. Ein Gegenstück dazu ist die in den USA lebende Nigerianerin Sefi Atta, die als Vertreterin der modernen afrikanischen Literatur gilt. Ihre Bücher „Sag allen, es wird gut“ und „It´s My Turn“ erscheinen in deutscher Übersetzung im Peter Hammer Verlag. Doch der Verlag beschäftigte sich durchaus auch sehr nah an der deutschen Wirklichkeit mit aktuellen Fragen, Problemen und Literaturen. 1974 wurde das erste ehrliche deutsche Aufklärungsbuch „Zeig mal!“ wegen seiner unverschleierten fotografischen Darstellungen zum Aufreger des Jahres. Das Buch ist längst vergriffen, doch so begehrt, daß bis heute Anfragen eingehen und der Antiquariatshandel es als sehr wertvoll einstuft. Für die Fotos hatte Schulz damals den

Top-Fotografen Will McBride gewinnen können. Schon 1973 hatte der Peter Hammer Verlag ein Aufklärungsbuch veröffentlicht, dessen Programm im Titel steckte: „Anders als bei Schmetterlingen“. Hier kamen die Illustrationen von Heinz Edelmann, der Ikone der PopArt, der auch das „Beatles Songbook“ illustrierte und den Kult-Trickfilm „The Yellow Submarine“ zeichnete. Der Deutsche Art Director´s Club verlieh dem Buch seine Goldmedaille. Und weil wir gerade von Illustratoren sprechen: auch auf dem Sektor „Bilderbuch“ entwickelte sich der Peter Hammer Verlag zur Talentschmiede, die Zeichner und Graphiker zu Ruhm und Karriere führte. Fast nicht zu zählen sind die Auszeichnungen Wolf Erlbruchs für u.a. „Das Bärenwunder“, „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“ (in 30 Sprachen erschienen), „Der Adler, der nicht fliegen wollte“, „Leonard“, „Die fürchterlichen Fünf“, „Frau Meier, die Amsel“ und „Nachts“: Deutscher Jugendlitera-

turpreis samt Sonderpreisen, Gutenbergpreis, Hans-Christian-Andersen-Preis u.a.m.. Zum Standard gehören schon Wolf Erlbruchs Kinderzimmer-Kalender und sein „Familienplaner“. Erlbruchs Stil - er hat als Hochschullehrer in Wuppertal viele Talente gefördert, die heute auf seinen Spuren wandeln – wurde oft kopiert, „...aber wir haben das Original“, so Monika Bilstein. Zu den ganz großen Zeichen-Talenten der „jungen Garde“, die der Peter Hammer Verlag entdeckt und gefördert hat, gehören Nadia Budde, die seit 2000 mit ihren wundervollen Kinderbuch- Illustrationen („Eins zwei drei Tier“, „Trauriger Tiger toastet Tomaten“, „Unheimliche Begegnungen auf Quittenquart“) Preise abräumt. Auch Tobias Krejtschi, Dorota Wünsch, Wiebke Oeser und Christiane Pieper gehören u.a. zum Kreis der brillanten Zeichner. Mit den „Geschichten ohne Worte“ hat Monika Bilstein ein Genre des reinen Bilderbuchs (auch für Erwachsene) eingeführt, das völlig ohne Text auskommt und den-

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Dem bewährten Programm treu und mit Geschick für Neues führte Monika Bil-

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EGLE

Weitere Informationen gibt es unter: www.peter-hammer-verlag.de und http://hammer.txt9.de/ Monika Bilstein (*1958) Nach dem Abitur 1977 Ausbildung zur Sortimentsbuchhändlerin. Tätigkeit im Buchhandel, danach in der Universitätsbibliothek Wuppertal. Nebenher Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin für Spanisch. Seit 1987 im Peter Hammer Verlag tätig, ab 1993 als Prokuristin, seit August 2001 als Verlagsleiterin und Geschäftsführerin. Workshops und Vortragstätigkeiten in Hanoi, Teheran, Tel Aviv, Barcelona und Guadalajara für die Frankfurter Buchmesse und das Goethe-Institut in Beirut, Riga und Moskau. Vorstandsmitglied von litprom - Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika; von 2007 bis 2009 Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft von Jugendbuchverlagen. Seit August 2010 Vorstandsmitglied der Kurt Wolff Stiftung.

Frank Becker Fotos Monika Bilstein, Frank Becker Buchumschläge: Peter Hammer Verlag

DORIDE TERRA

In der Zeit zwischen den großen Erfolgen erlebte der Verlag 1988 sein größte Krise: Vergleich, Stellenabbau, Neuorganisation. Fast zwei Jahre lang waren nur Hermann Schulz und seine 1987 eingetretene spätere Stellvertreterin Monika Bilstein „der Verlag“. 1990 konnte wieder eine Sekretärin eingestellt werden, 1996 die Pressereferentin Claudia Putz, die bis heute dem Verlag treu ist, schließlich eine Vertriebsleiterin. Es ging wieder aufwärts. Der Trend blieb, und als Hermann Schulz 2001 ausschied, übernahm Monika Bilstein mit Zustimmung der Gesellschafter-Versammlung die Leitung. Vier Frauen „stemmen“ jetzt die Verlagsarbeit, Arbeiten an Texten werden z.T. extern vergeben. Monika Bilstein, eine Frau von sportlich-eleganter Erscheinung, ist mit spontanem Humor und großer Herzlichkeit gesegnet. Mit offenem Blick und mit einnehmendem Wesen strahlt sie Zuversicht und Zufriedenheit mit dem Erreichten aus. Seit etwas mehr als neun Jahren liegt das Schicksal des prosperierenden Unternehmens nun in ihren Händen, das Paket an Aufgaben die sie bewältigt, ist beachtlich: Verlagsleitung, Programmgestaltung, Finanzen und Lizenzen. Etwa 25 bis 30 neue Produktionen pro Jahr kann das Programm mit den Schwerpunkten Afrika – Lateinamerika – Kinder-/Bilderbuch – bieten, dazu Sachbücher zu wechselnden Themen. Ein Beispiel dafür ist Jens Soentgens im Herbstprogramm 2010 erscheinendes „Von den Sternen bis zum Tau“ - Eine Entdeckungsreise durch die Natur. Illustriert von Vitali Konstantinov erklärt der 407 Seiten starke Halbleinen-Band auf feinstem Papier mit Lesebändchen 120 Phänomene des Lebens und bietet Experimente dazu an. Ein Schmuckstück, das griffig Wissen vermittelt – und „Eine Sternstunde meines VerlegerinnenLebens“, wie Monika Bilstein glücklich kommentiert.

stein den Verlag zurück in die schwarzen Zahlen, der Tradition verbunden wird sie das Unternehmen „Peter Hammer Verlag“ Konzern-unabhängig halten und der Devise folgen: „Frei bleiben“. Das macht den Charakter dieses nun in fast 45 turbulenten Jahren gereiften Verlages aus, der stolz auf eine ungewöhnliche und ungewöhnlich erfolgreiche Geschichte zurückblicken kann. „Es liegt uns sehr daran, Bücher zu machen, die man auch aufgrund ihrer Gestaltung gerne in die Hand nimmt...“, betont Monika Bilstein, der man anmerkt, daß die Bücher eine Herzensangelegenheit sind „...und ich höre immer wieder gerne den Satz: Sie machen so schöne Bücher“. Gerne, Frau Bilstein: Sie machen wirklich wunderschöne Bücher!

COSMIC LEAF

noch eine komplexe Geschichte erzählt. Béatrice Rodriguez´ „Der Hühnerdieb“ ist ein ganz besonders charmantes Beispiel.

Lichtbogen Frank Marschang e.K. Karlstraße 37 42105 Wuppertal Tel. 0202.244 34 40 Fax 0202.244 34 39 www.lichtbogen-wuppertal.de info@lichtbogen-wuppertal.de


Schöner im Verein Bürgerschaftliches Engagement für öffentliches Grün in Wuppertal

Der folgende Text wirft einen Blick in die Geschichte des bürgerschaftlichen Einsatzes für öffentliches Grün, das im 19. Jahrhundert erblühte. Vor allem mit dem Aufkommen der Verschönerungsvereine entstand eine wirkungsvolle Organisationsform, die deutliche grüne Spuren in der Wuppertaler Stadtlandschaft hinterlassen hat. Bürgerschaftliches Engagement steht gegenwärtig hoch im Kurs. Bürger opfern Freizeit und Geld für öffentliche Ziele und bringen sich aktiv ins Gemeinwesen ein. Was lange als Ergänzung staatlicher Aufgaben betrachtet wurde, soll in Zeiten leerer Staatskassen zunehmend dort einspringen, wo öffentliche Haushalte ausfallen. Dabei wird aber auch das zivilgesellschaftliche Moment bewusst: Der Bürger handelt mündig und selbstbewusst im öffentlichen Raum und setzt eigenständige Akzente neben behördliches Handeln.

Barmer Anlagen, Eingang Heinrich-Jansen-Straße

Als klassisches Betätigungsfeld der Bürger gelten Kranken- und Armenpflege, die aus den Gemeinden heraus geleistet wurden. Das 19. Jahrhundert entdeckte das öffentliche Grün als ein Thema, das

weder im Blickfeld der Kirchen noch der Kommunen lag. Es entwickelte sich zu einem geradezu idealen Feld bürgerschaftlichen Engagements, da es vielschichtige Interessen verbindet. Sie reichen von hygienischen und pädagogischen Anliegen über Grundstücksverwertung und Stadtentwicklung bis zur Organisation des gesellschaftlichen Lebens und Repräsentationsbedürfnissen der bürgerlichen Schicht. Verschönerungsvereine und ihre Parkanlagen Der Einsatz des Bürgers für öffentliches Grün fand in den Verschönerungsvereinen einen Höhepunkt. Verschönerungsvereine freilich gelten heute als verstaubte Einrichtungen aus vergangener Zeit. Die Forschung würdigt dieses bedeutende Freiraumthema bislang nicht ausführlicher. Die von den Vereinen geschaffenen Parkanlagen wurden allein unter gestalterischen Aspekten behandelt. Andere Vereinstätigkeit, sowie organisatorische und stadtplanerische Bereiche ihrer Arbeit wurden noch nicht fundiert beleuchtet. Auch fehlt es an Überblick über die Wirksamkeit und regionale Verbreitung der Verschönerungsvereine.

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Die Vorraussetzung für diese Bewegung bildete das Erstarken des Bürgertums. Von der Aufklärung geistig vorbereitet trug die Napoleonische Beendigung des Ständestaates dazu ebenso bei, wie der wirtschaftliche Erfolg der politisch noch weitgehend entmündigten Bürger. Im Vereinswesen wurde seit dem späten 18. Jahrhundert das gemeinsame nicht-staatliche Handeln von Privatpersonen „geübt“. Den Rahmen aus Regeln und Zielen gab man sich selbst und praktizierte schon ein Stück Demokratie, bevor sie verfassungsrechtlich gesicherte Staatsgrundlage wurde. In den Städten gehörte ein explosives Bevölkerungswachstum zum Industrialisierungsprozess, der die Lebensverhältnisse der Bewohner dramatisch beeinträchtigte. Grünflächen und Verschönerungsmaßnahmen sollten Ausgleich schaffen, den Aufenthalt an frischer Luft in der Freizeit ermöglichen und Zonen vor der expandierenden Bebauung sichern. 1835 gründete sich „Verein zur Erhaltung und Beförderung von Schönheiten vaterländischer Fluren“ als frühesten Verschönerungsverein ermittelt. Noch früher war der „Patriotische Verein zur Verschönerung Dresdens“, der 1817 entstanden war. Vor allem seit den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts folgten Wellen von

Vereinsgründungen, die das anhaltende Interesse an der Gestaltung des eigenen Lebensumfeldes sowohl in Städten als auch auf dem Lande zeigen. Der 1. Weltkrieg bzw. das Ende des Kaiserreiches bildeten einen schweren Einschnitt in das Wirken der Verschönerungsvereine. Nach Drittem Reich und 2. Weltkrieg sind viele Vereine verschwunden, die übrigen meist verarmt. Dennoch gibt es noch eine Reihe von Verschönerungsvereinen, die meist ohne großes Aufsehen ihrer Traditionsarbeit nachgehen. Nicht alle haben ihren Schwerpunkt auf Parkanlagen, wie der 1869 ins Leben gerufene „Verschönerungsverein für das Siebengebirge“, für den der Naturschutz eine wichtige Rolle spielt. Manche unterstützen die Kommune bei der Pflege öffentlicher Parks, andere sind selbst Besitzer von Parks. Der Bremen Bürgerpark etwa ist noch heute im Besitz des 1865 gegründeten „Bürgerparkvereins“ und gilt mit 202 ha als der größte Privatpark Deutschlands. Gärten fürs Volk – Volksgarten und Stadtgarten Lange waren regelrechte Parkanlagen dem Adel vorbehalten. „(...) die eigentliche Geburtsstunde des öffentlichen Stadtgrüns kam erst, als im späten 18. Jahrhundert und mit der Ausbreitung der

Die Anlagen des Verschönerungs-Vereins zu Barmen

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Aufklärung neue soziale und moralische Auffassungen in den Vordergrund traten, als das wiedererstarkende Bürgertum seine Forderungen anmeldete und als die, im Gefolge veränderter Wirtschaftsweisen und wachsender Bevölkerung, zunehmende ‚Verstädterung’ neue Bedürfnisse schuf. Nun erst forderte man die Möglichkeit jederzeitigen, ungehemmten Naturgenusses, forderte man Grünanlagen, in denen die Bürger nicht nur geduldet waren, sondern in denen sie Heimatrecht haben sollten.“ (Hennebo) Es war der Theoretiker Hirschfeld, der diese Parks unter der Bezeichnung „Volksgarten“ 1785 als eigene Kategorie in die Gartenkunst einführte: „Diese Volksgärten sind, nach vernünftigen Grundsätzen der Polizey, als ein wichtiges Bedürfniß des Stadtbewohners zu betrachten.“. Hirschfeld bezog sich auf einige bereits bestehende Anlagen, die der Bevölkerung von Fürsten zugeeignet worden waren, so 1766 der Wiener Prater. In Deutschland gilt Kurfürst Karl Theodor als erster Initiator eines Parks für die Bürger, als er 1789 beschloss, die Anlage des später sogenannten Englischen Gartens „zur allgemeinen Ergötzung“ anlegen zu lassen. Als erster Stadtpark in Deutschland wird jedoch meist der Klosterberge Park angeführt. Jedenfalls gilt er als erster Park, den eine Kommune für ihre Bürger anlegen ließ. Peter Joseph Lenné hatte 1824 dazu seine Denkschrift „Über die Einrichtung eines Volksgartens bei der Stadt Magdeburg“ verfasst. Auch war Köln nicht minder früh, als es 1826 den „Stadtgarten“ schuf. Dieser Grünfläche nahm sich der 1822 eigens dafür gegründete Verschönerungsverein an. Gärten von Bürgern für Bürger – Bürgerparks Noch früher sind allerdings die Anlagen in Aachen und Elberfeld entstanden, die 2007 bereits ihr 200-jähriges Jubiläum feiern konnten. Es verbindet den Aachener Lousberg und die Elberfelder Hardt, dass hier Initiative und Geld weder vom Fürst noch von der Kommune kamen. Es waren vielmehr bürgerschaftliche Initiativen, denen sich die Anlage der Parks auf devastierten Allmende-Flächen im Rheinland verdankt. Die Geschichte der Gartenkunst hat den Typus des „Bürgerparks“


als Kategorie noch nicht ausformuliert. Gestalterisch sind die von Verschönerungsvereinen geschaffenen Grünanlagen unter dem Thema „Stadtpark“ mitbehandelt worden. Das Verständnis des öffentlichen Parks unterscheidet selten, ob er von einem Fürsten, einer Gemeinde oder einem Verein angelegt wurde. Aus dem Blickwinkel der Zivilgesellschaft handelt es sich dabei allerdings um gravierende Differenzen, die Rolle des Bürgers im Staat betreffend. Von welchem Selbstbewusstsein kündet die Initiative des selbst keineswegs vermögenden Arztes Stephan Anton Diemel, als er die Idee einer öffentlichen Promenade im Elberfelder Stadtrat verkündete und die Erlaubnis erbat, hierfür Geld zu sammeln! Ein abgewirtschaftetes Gelände, das nur noch als Judenbegräbnis-, Richtstätte und Steinbruch benutzbar schien, war man bereit, einem so kühnen Plan zur Verfügung zu stellen. So stimmte der Stadtrat zu „dass, wo eine solche Anlage bey dem hierselbst herrschenden Holzmangel nicht allein nützlich, dabei auch der Hardter Boden zu anderst füglich nicht gebraucht werden könne, sodann auch diese Anlage zum Vergnügen des Publikums gereiche.“ Und tatsächlich schaffte Diemel es, genügend Geld bei vermögenden Mitbürgern zu sammeln, die im Angesicht der Kontinentalsperre manch’ andere Sorgen gehabt haben dürften, um den bis heute beliebten Spaziergang auf der Hardt zu realisieren. Diese Tradition ist es, an die die Verschönerungsvereine anknüpfen.

men zusammenfanden. Sofort nahm man am Südhang des Tals eine erste Parkanlage in Angriff. Geld musste gesammelt, Grundstücke erworben und Pläne geschmiedet werden. Die Barmer Anlagen wuchsen schnell über das anfänglich erworbene Bleichergut mit dem Forsthaus hinaus. Neue Grundstückskäufe ermöglichten den Plan des renommierten Düsseldorfer Hofgartendirektors Joseph Clemens Weyhe für die so genannten Unteren Anlagen. Zustiftungen, Vermächtnisse und Ankäufe erweiterten das Parkgrundstück über Jahrzehnte. Peter Schölgen, ein Mitarbeiter des Vaters Maximilian Friedrich Weyhe, wurde 1870 als Leiter des Gartens eingestellt. Er plante auch die Erweiterungen. Die Aufgaben wuchsen durch den Bau weiterer Parks, aber auch weil der Verein im Auftrag der Stadt die Pflege sämtlicher öffentlichen Anlagen in Barmen übernahm. In Krisenzeiten organisierte er zudem Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in großem Stil. Erst nach dem 2. Weltkrieg zog sich der Verein auf die Barmer Anlagen als seinen Kernbesitz zurück. Mit einer Fläche von ca. 100 ha gelten sie heute als zweitgrößter Privatpark Deutschlands. Der Barmer Verschönerungsverein zählt knapp 1.000 Mitglieder.

Elberfelder Verschönerungsverein Elberfeld zog 1870 mit der Gründung eines Verschönerungsvereins nach. Lange Zielformulierungen sparte man sich und formulierte in § 1 des Gründungsstatuts knapp: „Der Verein bezweckt im allgemeinen die Verschönerung der Stadt und ihrer Umgebung.“ Dann ist noch von Wegen und Gegenständen des Schönheitssinns die Rede, größere Anlagen werden vorsichtig in Erwägung gezogen. Aus dem Statut spricht der Geist erfolgreicher Geschäftsleute, die keine großen Worten machen, sondern die Handlungsfähigkeit des Vereins im Auge haben. Kaum konstituiert legte der Elberfelder Verschönerungsverein ein Atem beraubendes Tempo vor und machte sich an die erste Parkgründung: Auf dem westlich der Stadt gelegenen Nützenberg wurde eine Grünfläche geschaffen. Ihr folgten in schnellem Schritt Friedenshöhe und Friedrichsberg (1878) sowie der Mirker Hain (1879) und der Kaiser Wilhelm Hain. Die Anlagen wurden meist im Verbund mit der Stadt Elberfeld angelegt, der Grundstücksbestand beider zusammengeführt. Zentrale Figur des Verschönerungsvereins war der langjährige Vorsitzende Bankier August von der Heydt. Er bereicherte Vereinsvermögen und Stadtbild auch durch zahlreiche private Stiftungen. Sein Landhaus, die sogenannte Königs-

Vereintes Schönmachen in Wuppertal Die Städte Elberfeld und Barmen im Tal der Wupper nahmen in der Industrialisierung eine Vorreiterrolle ein. Früher als andernorts waren hier Zuwachs an wirtschaftlicher Kraft, an Bevölkerung und neuen städtischen Aufgaben zu verzeichnen. Die beiden mit der Textilindustrie groß gewordenen Städte Elberfeld und Barmen verfügten in der Gründerzeit über erhebliche Reichtümer. Barmer Verschönerungsverein Es war im erst 1808 mit Stadtrechten versehenen Barmen, wo sich 1864 einige Fabrikanten zur Gründung des Verschönerungsvereins zu Bar-

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ein ist er bis heute mit seinen ca. 1.000 Mitgliedern tatkräftiger Unterstützer der Stadt bei Pflege und Verbesserung des Nordparks. Weiteres Bürger-Engagement Bis zur Jahrhundertwende gründeten sich Verschönerungsvereine auch in den anderen damals selbständigen Städten auf Gebiet der heutigen Stadt Wuppertal. Wenngleich die von ihnen begründeten Parkanlagen noch vorhanden sind, ist über der Geschichte der Verschönerungsvereine in Cronenberg, Langerfeld und Vohwinkel fast nichts bekannt. Sämtliche Unterlagen scheinen bei den Luftangriffen des 2. Weltkriegs verbrannt zu sein. Allein der 1869 gegründete Ronsdorfer Verschönerungsverein besteht noch und ist bis heute Besitzer der 1875 gestalteten Ronsdorfer Anlagen. Auch andere Vereine haben sich des Themas der Grünflächen angenommen. So gründete der Unternehmer Reinhard Schmidt 1880 den Hardt-Verein, der sich für eine Erweiterung der Hardt, jenes frühen Bürgerparks einsetzte und bis 1937 bestand. Der Gelpetaler Verschönerungsverein, betreibt seit 1896 die Erschließung der Gelpe für Erholungszwecke, das Tal eines Bachs, der bis dahin vor allem wegen seiner Wasserkraft geschätzt worden war.

Elberfeld 1906 höhe sowie großflächigen Waldbesitz auf dem Kiesberg ließ er nach seinem Tod der Stadt Elberfeld zukommen. Nach dem 2. Weltkrieg war das Vereinsvermögen auf die Grundstücke zusammengeschmolzen, der Verein bestand nur noch auf dem Papier und wurde 1952/53 aufgelöst und der Besitz satzungsgemäß an die Stadt Wuppertal übergeben. Nordstädter Bürgerverein Als die Barmer Anlagen schon fast 30 Jahre bestanden, gründete sich 1893 ein weiterer Verein mit dem Ziel, auch auf der gegenüberliegenden Seite des

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Tales Grün zu schaffen. Der Nordstädtische Bürgerverein Barmen suchte dem reichen Barmer Verschönerungsverein nachzueifern. Waren dort die Reichen der Stadt bereits alt eingesessene Mitglieder, so bildete die Klientel des neuen Vereins neben den örtlichen BrauereiBesitzern vor allem der Mittelstand. Der Plan für einen Nordpark nahm bald Form an, doch reichten die Vereinsmittel nicht zum Erwerb der Flächen. Er wurde der Stadt Barmen erfolgreich angetragen. Der Verein steckte das von ihm gesammelte Geld in die 1895 fertig gestellte Parkanlage. Als Nordstädter Bürgerver-

Die Gründung des Zoologischen Gartens dagegen geschah jenseits des Vereinswesens. Vielmehr formierte sich 1879 eine Aktiengesellschaft, um die notwendigen Mittel aufzubringen. Stiftungen von Grünflächen erfolgten in früherer Zeit meist an die Verschönerungsvereine. Eine eigentliche ParkStiftung entstand erst 2001 mit der Öffnung des vormals privaten VorwerkParks, der sich an die Barmer Anlagen anschließt. Der Park der Herberts-Villa in Unterbarmen wird seit 2008 von der Cragg Foundation als Skulpturenpark Waldfrieden für Publikum geöffnet. Wie im Zoo wird hier ein Eintrittsgeld erhoben. Schließlich sind noch die Fördervereine zu erwähnen, die sich in Wuppertal jedoch auch erst in jüngerer Zeit zur Unterstützung von Zoo und Botanischem Garten zusammenfanden.


und, wo nötig, wieder aufgeforstet werden. Aus heutiger Sicht freilich ist schwer zu entscheiden, ob das Ziel der Waldvermehrung ein wirklich ökonomischer Faktor oder bloß ein in den Vordergrund gespieltes Argument ist, das den auf Ertrag gepolten Kaufleuten in Verein und Stadtrat die Zustimmung zu den Parkplänen erleichtern sollte. Solches empfiehlt Schmidlin in seinem Buch „Die Bürgerliche Gartenkunst“ ausdrücklich. Sicher ist, dass z. B. der Barmer Nordhang bereits abgeholzt und in Teilen zur Heide geworden war. Die tatsächlich erfolgten Wiederaufforstungsmaßnahmen erzielten erst über viele Jahrzehnte und mehrere Aufforstungen die heute anzutreffende Qualität eines Buchenwaldes.

Schöne Ziele In den Mittelpunkt ihres Wirkens stellten die Vereine des 19. Jahrhunderts den Erholungsgedanken: „Bewegung, Genuß der freyen Luft, Erholung von Geschäften, gesellige Unterhaltung ist die Bestimmung dieser Oerter“. Parks sollten den Stadtbewohner nach der Mühe des Tages mit anmuthigen Bildern und Empfindungen erquicken. Später, als Cholera-Epidemien das städtische Leben zum Sicherheitsrisiko für ihre Bewohner machte, traten hygienische Argumente hinzu. Es zeigt sich aber nicht allein ein Fürsorge-Gedanke, sondern auch Sicherheitsaspekte wurden erwogen: Öffentliche Grünanlagen ziehen den Stadtbewohner, „indem sie ihn auf die Schauplätze der Natur locken, unmerklich von den unedlen und kostbaren Arbeiten der städtischen Zeitverkürzung ab“ Ganz aufklärerisch betrachtet Hirschfeld das Erholungsangebot in Parkanlagen noch weitergehend als Bildungsmöglichkeit für rohe Städternaturen. Sie „gewöhnen ihn allmälig an das wohlfeile Vergnügen, an die sanftere Geselligkeit, an ein gesprächiges und umgängliches Wesen“. Davon verspricht er sich eine Annäherung der Stände: „Die verschiedenen Stände gewinnen, indem sie sich hier mehr einander nähern, auf der einen Seite an anständiger Sittsamkeit und scheuloser Bescheidenheit, und auf der andern an herablassender Freundlichkeit

und mittheilender Gefälligkeit.“ Während er Volksgärten auch aus polizeilicher Sicht empfiehlt, changiert die in Aussicht gestellte Erholungsmöglichkeit also zwischen hygienischem Argument und demokratischem Angebot. In den Worten der Vereine klingt das etwas schlichter. Der Nordstädtische Bürgerverein beispielsweise hebt in seiner Denkschrift hervor: „Den wärmsten Dank der gegenwärtigen wie der kommenden Geschlechter haben die Schöpfer jener Anlagen verdient; haben sie doch einen Ort geschaffen, an dem der Müde Ruhe und Erquickung und der Genesende Stärkung finden und alle die Reize der Natur genießen können, und wo auch der wenig bemittelte Bürger sich in der freien Zeit dem Naturgenusse hingeben kann. Große Kreise unserer Bevölkerung werden durch sie den engen und oft mangelhaften Wohnungen auf längere oder kürzere Zeit entzogen, dem Wirtshaus entrissen und zur Freude an der Natur wiedergewonnen.“ Waldvermehrung Das oberste Ziel der Verschönerungsvereine im Wuppertal galt der Vermehrung des Waldes, der durch die Industrialisierung stark beansprucht war. Der Waldkranz, der die Höhenzüge um das Tal bewachsen hatte, war bereits gelichtet. Nun sollte er vor drohender Bebauung gerettet

Gestalterisch jedenfalls sind viele Anlagen dieser Ära als regelrechte Waldparks zu bezeichnen, ein Begriff, der bislang noch nicht genauer ausformuliert und historisch belegt worden ist. Der heutige Waldzustand vieler Parkanlagen aus dem 19. Jahrhundert ist also nicht immer auf fehlende Pflege zurückzuführen. Die Gaststätte Kaiserhöhe auf dem Elberfeld Nützenberg warb gar mit dem Slogan „Schattige Wald-Anlagen“. Auch der Park auf dem Friedrichsberg wurde schon bei der Projektierung als „Waldanlage“ bezeichnet. An einem regelrechten Arboretum hingegen scheint man sich im Tal der Wupper jener Zeit nicht versucht zu haben. Grün in die Stadt Der Hauptschwerpunkt der Vereinstätigkeit lag in der Stadt, wo es galt, Grün vor der Bebauung zu retten. Emil Rittershaus hat dem Barmer Verschönerungsverein 1889 ein Gedicht zum 25-jährigen Jubiläum gewidmet, in dem es heißt: „Ein Kranz von Wäldern hält umschlungen das Tal der Heimat rings herum“. Den Kranz zu erhalten, bildete ein hohes Ziel, an dem die Vereine festhielten. Ritterhaus spricht davon, dass das der Arbeit abgerungene Fleckchen Erde zu einem Garten werden solle. Der große Verdienst der Verschönerungsvereine in Wuppertal besteht darin, eine erstaunliche Zahl ausgedehnter Grünflä-

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chen geschaffen zu haben. Sie ziehen sich die Hänge des Tales hinauf und versprachen damit damals gute Luft und freie Aussicht. Zur Zeit ihres Baus lagen sie sämtlich außerhalb der später zusammengeschlossenen Städte, sind mittlerweile aber von Bebauung umgeben. So ist es gelungen, grüne Inseln in die Stadt zu bringen. Von bemerkenswerter Gestaltung sind die Hardt und die Barmer Anlagen, während die übrigen eher die Qualität von Waldparks haben. 12 große Landschaftsparks bzw. zu Erholungszwecken angelegte Wälder mit einer Größe von jeweils mehr als 20 ha sind heute fast vollständig erhalten. Eine solche Bilanz bürgerschaftlichen Engagements darf einzigartig genannt werden. Wege bahnen Die Verschönerungsvereine legten viele Kilometer an Wegen nicht nur in Parkanlagen, sondern auch in Tälern und Wäldern an. Sie bahnen der Bevölkerung Wege an, die sich weniger der direkten Verbindung zweier Orte als dem Spaziergehen widmeten. Der Elberfelder Verschönerungsverein nennt als wesentliches Ziel seiner Arbeit: „Wege, welche sich zu Spaziergängen eignen, in der Umgebung zu verbessern oder neu anzulegen“. Kunst in die Stadt Zu den Verschönerungen, die die Vereine ihrer Stadt zudachten, gehörten auch Kunstwerke, die im öffentlichen Raum, in Parkanlagen und auf Plätzen Aufstellung fanden. Der Elberfelder Verschönerungsverein machte es sich u. a. zur Aufgaben, „in der Stadt selbst auf die Entfernung einzelner Gegenstände, welche den Schönheitssinn verletzen oder dem Verkehre hinderlich sind, hinzuwirken“. Einprägsamer als die Entfernung, war freilich die Einfügung von Kunstwerken in den Stadt- oder Parkraum, wozu oft Geburtstage und Jubiläen den Anlass gaben. So stiftete der Verein z.B. den Jubiläumsbrunnen auf dem Neumarkt 1895 anlässlich seines 25-jährigen Bestehens. Oft wurden Kunstwerke auch von Mäzenen der Stadt oder den Vereinen gestiftet, so der Gedenkstein, den der Vorsitzende August von der Heydt dem Verein zum gleichen Anlass im Mirker Hain setzte. Zur Dreihundertjahrfeier schenkte er der

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Nachfolger ersetzt. Es kam zur einer regelrechten Konkurrenz, in der sich die Gönner gegenseitig zu Schenkungen animierten, mit denen Sie sich freigiebig zeigten, aber auch sich und dem Namen ihrer Familie ein Denkmal setzten. Heute zählt Wuppertal fünf solcher Bauwerke, die meist aus Stiftungen hervorgegangen sind. Elisen- (1838) und Bismarckturm (1907) stehen auf der Hardt, der erstere entstand als privates Observatorium aus einer Windmühle, der zweite wurde als Landmarke und Denkmal errichtet. Der Barmer Verschönerungsverein erhielt den Toelleturm (1887) auf dem höchsten Punkt der Barmer Anlagen, der Elberfelder Verschönerungsverein dagegen den Weyerbuschturm (1898) in der Parkanlage Nützenberg. Beide wurden von Fabrikantenfamilien gestiftet, wie der Von der Heydt-Turm (1892) auf dem Kiesberg durch einen Bankier.

Weyerbuschturm Stadt den Gerechtigkeitsbrunnen auf dem heutigen Platz der Republik. Die Firma Vorwerk & Sohn stiftete wiederum zu ihrem eigenen 100-jährigen Jubiläum den Brunnen in den Barmer Anlagen zwischen Toelleturm und Luftkurhaus. Ansichtssache Anschauen - Ausschauen Der Aussicht maß man im 19. Jahrhundert eine hohe Bedeutung bei. Obgleich die Höhenzüge um das Tal der Wupper keinen Mangel an Aussichten bieten, ist eine außerordentliche Lust am Bau von Aussichtstürmen zu verzeichnen. Sie verdoppelt das Vergnügen, indem die Türme gleichsam als Point de vue die Ansicht der Parkanlage bereichern, in die sie gestellt wurden. Zur Aussicht tritt die Ansicht. Mehrere hölzerne Bauwerke z.B. auf Königs- und Friedenshöhe, Friedrichs- und Nützenberg hielten Wind und Wetter nur kurz Stand und verschwanden wieder oder wurden durch steinerne

Gemeinwesen im Blick Was die Aussicht in den Blick rückt, ist zwar auch die umliegende Landschaft, malerische Szenen und landwirtschaftlich Idylle. Doch vorrangig guckt der Bürger in seiner Freizeit auf den Ort der Arbeit zurück. Der Ausblick auf die Bebauung wird keineswegs durch Bepflanzung verdeckt, sondern wirkungsvoll inszeniert. So berichtet ein Reisender über den Besuch der Elberfelder Hardt 1810: „Aber man hat dort kunstvoll, und ich sage durchaus auch mit Geschmack, mehrere Rundwege angelegt, damit sich hier an den Sonntagen jene zahlreichen Grüppchen von ehrbaren und arbeitsamen Familien treffen können, die herkommen, um den Anblick des von ihnen selbst geschaffenen Werkes zu genießen, um ihrem Kindern die Häuser, die Gärten, die Rasenplätze, die Werkstätten, die Fabriken und Geschäftshäuser dieses Gewerbe treibenden Volkes zu zeigen, das auf eigne Rechnung arbeitet und das eines Tages von seinen Kindern wiederum Sorgfalt, Umsicht und vorbildhaftes Verhalten verlangen wird.“ Erika Schmidt fasst zusammen: „Einerseits war der Park als Welt des Schönen, des Luxus und der Muße aus der Welt des Hässlichen und der Funktionalität deutlich ausgegrenzt. Andererseits war die Welt der Arbeit, wo der im Park zur Schau gestellte Wohlstand erwirtschaftet


wurde, über verklärende Distanz hinweg in die Parkszenerie einbezogen.“ Stadtentwicklung Es wäre verkürzt, nur von einer Rettung eines „Fleckchens Erde“ vor der Bebauung zu sprechen. Vielmehr bildeten die neu geschaffenen Grünflächen eine ideale Voraussetzung, angrenzende Flächen als Wohngebiete zu entwickeln. Meist waren es die engsten Vereinsmitglieder, die als Besitzer der umliegenden Grundstücke von der Aufwertung ehemaliger Bleichergüter oder landwirtschaftlicher Flächen zu Parkanlagen profitierten. Mit dem zivilisierten Grün entstand das, was wir heute eine „Adresse“ nennen. An die Barmer Anlagen schließen sich zwei der bis heute teuersten Wohnviertel Wupper-

Dicke-Ibach-Treppe tals an. Der Nützenberg-Park bereitete die hochwertigen Vermarktung des Briller Viertels, des ersten reinen Wohngebietes in Elberfeld, vor, das sich noch heute wenig preiswerter Beliebtheit erfreut. Interessant ist auch die enge Verzahnung von Grünflächen und Bebauung, indem die Parks sich ins Stadtgebiet öffnen, wie die steil bergan auf den Nützenberg-Park zulaufende Sadowastraße. Eingänge sind oftmals im Straßenraum sichtbar und wirkungsvoll inszeniert, wie die Zuwegung zu den Barmer Anlagen über den Mittelstreifen der heutigen Heinrich-Jansen-Allee mit der doppelreihigen Lindenallee. Der Pavillon der Dicke-Ibach-Treppe wirkt nach innen und außen als Blickfang und verbindet damit Park und Straßenraum nicht nur fußläufig, sondern auch visuell. Die Wohnbebauung schmückt sich mit dem Park, in dem sie gar nicht liegt. Wo Grünanlagen die Gegend für Wohnbe-

bauung aufwerten, werden sie von dieser Nachbarschaft quasi als Zubehör benutzt. Der Park vor der Tür rückte die städtische Villa ans Herrenhaus auf dem Lande. Bei Anlage des Nordparks freilich war der Bedarf an hochpreisigen Wohnlagen erschöpft, angrenzend an die Grünanlage entstanden nun Siedlungen für verschiedene Ansprüche. Der Wohnhof Klingelholl bietet Mietwohnungen in einer Dreiseitanlage. Die an dörflichen Strukturen orientierte Siedlung Nordpark enthält neben Wohnungen auch Reihenhäuser als Eigentum. Die Wohnkolonie Am Nordpark schließlich bildet eine repräsentative Wohnlage mit Fernblick, die villenartige Häuser zu einer schlossartigen Anlage gruppiert. Brachflächen transformieren Anders liegt der Fall bei alten Gewerbegebieten, die zunächst einmal als für Erholungszwecke gänzlich ungeeignet scheinen und doch plötzlich gerade hierfür in Anspruch genommen wurden. Den tiefen Bachtälern rund um Wuppertal hatte seit Jahrhunderten das Metallgewerbe einen akustischen und visuellen Stempel aufgedrückt. Nun entstanden Ausflugslokale in oder neben alten Kotten, Stauteiche, die wochentags Hämmer antrieben, lockten am Wochenende zu Kahnfahrten. Verschönerungsvereine waren aktiv an der Transformation von Gewerbegebieten und Brachflächen beteiligt. Wenngleich sie ein naturnahes Gestaltungsideal verfolgten und sich gegen gesundheitliche und landschaftliche Schäden der Industrialisierung wendeten, zeigten sich die Vereine keineswegs industriefeindlich. Nutzbauten wurden nicht durch Pflanzungen kaschiert, sondern oft genug stolz präsentiert und bestaunt. An der Gelpe etwa, einem Bach am Rande des Wuppertaler Ortsteils Cronenberg, nutzten Betriebe in so dichter Folge die Wasserkraft, wie an kaum einer anderen Stelle im Deutschen Reich. Ende des 19. Jahrhunderts begann man die pittoreske Qualität des tiefen Bachtals mit seinen Felshängen, dem plätschernden Wasser, aber auch den schwer arbeitenden Werkstätten zu schätzen. Der Umbau zum Naherholungsgebiet begann mit Unterstützung des Gelpetaler Verschönerungs-

vereins. „Der Verein bezweckt Verschönerungen aller Art. Als seine nächsten Aufgaben wird er betrachten, die Anlage solcher Wege im Gelpethale, welche zur Annehmlichkeit und Bequemlichkeit des Publikums beitragen können, entweder anzuregen, selbständig auszuführen oder deren Ausführung zu unterstützen.“ Noch heute setzen sich mehrere Vereine für die Erhaltung der Erholungsqualität des Tals und der Erinnerung an die mittlerweile untergegangene Gewerbetätigkeit ein. Eine große Attraktion bildeten auch neue Infrastrukturbauten wie die Müngstener Brücke oder die Ronsdorfer Talsperre, die dem Naherholungsgebiet des Gelpetals weiteren Auftrieb gaben. Das 1897 fertig gestellte Stahlbauwerk der höchsten Eisenbahnbrücke Deutschlands zog mit seinen 107 m Höhe Touristenscharen an. So entwickelte sich mit Beginn des Brückenbaus das seit dem 16. Jahrhundert gewerblich genutzte Tal zum beliebten Ausflugsziel. Ähnlich offensiv ging man mit den Talsperren um, die zur Wasserversorgung der stark angewachsenen Städte in nahegelege-

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nen Tälern gebaut wurde. Nachdem die damals selbständige Stadt Ronsdorf am oberen Ende der Gelpe 1898 eine Talsperre errichtet hatte, eröffnete in ihrer Nähe eine Ausflugsgaststätte. Die Bürger waren stolz auf ihre Errungenschaft, die als dritte Trinkwassersperre Deutschlands noch keineswegs zu den Selbstverständlichkeiten einer Kleinstadt zählte. Selbstverständnis Werte vermitteln Vor allem durch Aufstellung von Skulpturen brachten die Vereine ihren Wertekanon zum Ausdruck. Schon Hirschfeld empfiehlt „Bildsäulen verstorbener Wohltäter, Denkmäler von wichtigen Vorfällen und Begebenheiten mit lehrreichen Inschriften“, „die das Volk an sein einheimisches Verdienst, an die Wohlthätigkeit seiner Patrioten, an das Glück seiner Nationalbegebenheiten erinnern“, aber auch „die Statue, die Büste oder die Denksäule des malenden Dichters, und des dichtenden Malers, des Lehrers der Naturschönheit und ihres Nachbilders“ sei in öffentlichen Gärten angemessen.

Typisch für den bürgerlichen Denkmalkult des 19. Jahrhunderts ist das Andenken an Personen und Ereignisse. Der Schmuck des Stadtraums verbindet sich mit der Ehrung des Individuums und die Würdigung seiner Leistung mit politischer Aussage. Themen bilden etwa das Wirken des Vereins selbst, wenn ehemaliger Vorsitzender oder Vereinsjubiläen gedacht wird. Der Barmer Verschönungsverein setzte seinem verstorbenen Mitglied, dem Fabrikanten und Dichter Emil Rittershaus ein Denkmal in den Barmer Anlagen. Das Wilberg-Denkmal auf der Hardt hält die Erinnerung an einen ausgezeichneten Pädagogen Elberfelds wach. Wie Bildung gehörte auch der christliche Glauben zu den Grundfesten des Bürgertums im 19. Jahrhundert. Kriegerdenkmäler brachten die patriotische Gesinnung zum Ausdruck, so der 1869 in den Barmer Anlagen aufgestellte Obelisk für die Gefallenen von 1864 und 1866. Auch Bäume, z.B. Friedenseichen und Schillerlinden, wurden eingesetzt, um Werte symbolisch zu vermitteln. Die Aufstellung von Denkmälern erfolgte nicht immer durch die Vereine selbst, son-

Fritz Rohde, Friedrichsberg 1883; Stadt Wuppertal

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dern war auf dem Vereinsgelände oftmals von weiteren Vereinigungen oder Spender initiiert. In einigen Parkanlagen häuften im Laufe der Jahre geradezu die Gedenkstätten. Gesellschaftliche Bühne bereiten Schon die frühen bürgerschaftlichen Initiativen für Grün sind von dem Wunsch nach Freiräumen für gesellschaftliche Begegnung geprägt. Man wollte im Park wandeln, um zu sehen und gesehen zu werden, um einander zu treffen und sich gemeinsam aufzuhalten. Auch sollten Erfrischungen den Spaziergang abrunden. Anfänglich übernahmen es oft nahegelegene Bauernhöfe, das Publikum mit Milch und Stuten zu bewirten. Auf der Hardt gab es schon bald eine Einsiedelei, die ein entsprechendes Angebot für den bereithielt, der den steilen Aufstieg von Elberfeld hinter sich hatte und den Ausblick genießen wollte. Später eröffnete der Gastronom Himmelmann-Pothmann auf einem weiter unten gelegenen Plateau den „Pavillon zum neutralen Boden“. Der Barmer Verschönerungsverein vereinigte auf seinem Gebiet gleich mehrere solcher Gebäude, die von der Milchkuranstalt


über eine Meierei bis zur Stadthalle und zum Luftkurhaus reichte. Im Nordpark verpachtet man das Sommerhaus des Vorbesitzers mit dem zugehörigen Bauernhaus an einen Gastwirt. Den Höhepunkt geselligen Lebens erreichten die Parks jedoch erst mit dem Bau von Gesellschaftshäusern, die nicht nur Gaststätten, sondern das Herz der Anlagen bildeten. Auf der Hardt plante Siesmayer die Neue Hardt um eine solche Gastronomie herum. Mit Auffahrten und Treppenanlagen, Teppichbeeten und Brunnen lag das später errichtete Bergische Haus äußerst prominent. Ausgedehnte Biergärten auf beiden Seiten und ein Musikpavillon schlossen sich an das Haus an. Nicht weniger prominent bereitete Joseph Clemens Weyhe den Bauplatz der Barmer Stadthalle vor, für den er ein erhöhtes Plateau reservierte. Die talseitig umlaufende Terrasse beschattete eine vierreihige Allee. In diesen Gebäuden fanden auch Feier, Bälle und öffentliche Ereignisse statt. Die Stellung der solchermaßen hervorgehobenen Parkgastronomie darf sich mit der des Schlosses im adeligen Garten vergleichen. Das Bürgertum setzte das Gesellschaftshaus an die Stelle des Schlossbaus. Damit stellte es sich selbstbewusst an die zentrale Stellung in der Gesellschaft und beansprucht, die Position des Adels zu übernehmen. Anstelle einer Einzelperson residiert im Herzen des bürgerschaftlichen Parks die aus Vielen zusammengesetzte bürgerliche Öffentlichkeit. Gemeinschaftsleistungen Partner der Stadt Die Bürger vertreten ihre Unabhängigkeit von Fürsten, Ämtern und Regierungen selbstbewusst, ihre Vereine erhalten sich neben den Organisationen der öffentlichen Hand und haben nur im Notfall vor, in diesen aufzugehen. Dennoch arbeiten Verschönerungsvereine und Stadtverwaltungen Hand in Hand. Satzungsgemäß ist die Mitgliedschaft von Bürgermeistern und Stadtratsmitgliedern in den Vereinsvorständen verankert. Beim Flächenankauf ergänzt man sich, so dass die Besitzverhältnisse in einzelnen Anlagen wie ein Flickenteppich anmuten.

Doch die Gestaltung versteht die zusammengefügten Flächen als Einheit und formt sie zu einem Park ohne Rücksicht auf Besitzgrenzen zwischen Verschönerungsverein und Stadt. In Barmen blieben Planung, Bau und Pflege der Vereinsanlagen in der Hand des Verschönerungsvereins. Auch die städtischen Grünflächen pflegt er bis 1935 und kann insofern als Vorläufer des Gartenamts betrachtet werden. Umgekehrt entwickelte es sich in Elberfeld, wo der Verschönerungsverein zunehmend Planung und Pflege an die Stadt gegen Entgelt abgab, die 1890 das Amt des Stadtgärtners schuf. Dessen Aufgabe war keineswegs die Verrichtung von Gartenarbeit, sondern ist eher als Position eines Gartenamtsleiters zu verstehen. Th. Ruprecht war der erste, der dieses Amt inne hatte. Von ihm sind Planungen für die Parkanlagen Nützenberg und Hardt bekannt. 1904 folgte ihm Fritz Rohde, von dem Entwürfe für den Friedrichsberg vorliegen. Privatinitiative bündeln Eine wichtige Leistung der Verschönerungsvereine bestand auch darin, die vielen Zuwendungen ganz unterschiedlicher Art zusammenzufügen. So konnten große Projekte wie die Anlage ganzer Parks selten mit einer Spende bewältigt werden. Es war vielmehr die Sammlung vielen Einzelbeiträge verschiedenster Größe, die dem Verein eine ganz andere Handlungsfähigkeit verlieh, als ein einzelner Bürger sie hätte

aufbringen können. Stolz listen die Vereine in ihren Jubiläumsschriften ist einzelnen Zuwendungen auf. Auch durch Überlassung oder Erbschaft von Grundstücken floss Privatvermögen an die Verschönerungsvereine. Besonders hochherzig ist der Fall des Juweliers August Freytag, der dem Vorstand des Elberfelder Verschönerungsvereins angehört hatte. Er hinterließ diesem seinen Sommersitz mit dem von einem angesehenen Gartenkünstler gestalteten Park, der seither die benachbarte Vereinsanlage Friedrichsberg erweitert. Eine Bedeutung erlangten auch Kleinspenden, die nicht nur in monetärer Form, sondern auch als Arbeitsleistung, Kuchenspende oder musikalischer Beitrag zu Vereinsereignissen zum Großen und Ganzen beitrugen. Umgekehrt schufen die vom Verein propagierten Ziele sozusagen Gelegenheiten, zum Spender zu werden. Das Sagen freilich blieb in allen Vereinen fest in der Hand der Honoratioren. Bei aller Demokratie stand der Weg in den Vorstand so wenig jedem offen, wie dort Frauen gern gesehen waren. Der Beitrag, den jeder leisten konnte und sollte, war insofern in mancher Hinsicht vordefiniert. In manchem Verein haben sich solche altväterlichen Strukturen gar bis heute gehalten.

Antonia Dinnebier

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Alptraum ohne Schlaf Macbeth in Wuppertal Spielzeit 2010/11 Inszenierung: Claudia Bauer Bühne & Kostüme: Patricia Talacko / Bernd Schneider Musik: Charles Petersohn Dramaturgie: Sven Kleine Fotos: Uwe Stratmann Die Besetzung: Macbeth: Holger Kraft Lady Macbeth: Sophie Basse Hexe, Banquo, Pförtner, Macduffs Sohn, Der junge Siward: Daniel Breitfelder Hexe, König Duncan, Macduff, Mörder, Seyton: Marco Wohlwend Hexe, Prinz Malcolm, Pförtner, Lady Macduff, Mörder: Sebastian Stert

links: Holger Kraft unten: Holger Kraft, Sophie Basse

Erst am Ende ist Stille Erst am Ende ist Stille. Nur wabernder Nebel über Blutlachen, Babykörper auf zerknüllten Decken. So zeigt sich die Bühne nach den knapp zwei Stunden der aktuellen „Macbeth“-Inszenierung im Wuppertaler Kleinen Schauspielhaus. Claudia Bauer hat für Shakespeares Tragödie ein alptraumhaftes Szenario geschaffen, in dem die Titelfigur niemals zur Ruhe kommt. Macbeth tötet seinen König, der als Gast in seinem Haus schläft, er „tötet den Schlaf“, wie es heißt, und leidet fortan an Schlaflosigkeit. Die Inszenierung legt den Fokus auf diese Rastlosigkeit, mit der er von einem Verbrechen zum nächsten wankt – der Ausschaltung des Mitwissers Banquo und seines Sohnes, dem Auftragsmord an der Familie von Macduff, der zum Widerstand rüstet. Dem dient ein Kunstgriff, der das

gesamte Stück prägt: Daniel Breitfelder, Marco Wohlwend und Sebastian Stert sind nicht nur die drei langhaarigen Hexen, die Macbeth voraussagen, er werde König sein; vielmehr nehmen sie von König Duncan als debilem Grabscher bis hin zu den gedungenen Mördern auch alle weiteren Rollen ein. Murmelnd und gestikulierend begleiten sie die Handlung im Hintergrund, ehe sie sich mit kleinen Kostümwechseln blitzschnell in die verschiedenen Figuren verwandeln – der Übergang ist fließend. Dadurch entsteht der Eindruck, daß das Böse durchgängig präsent ist und Macbeth in seinem Bann. Brüchige Souveränität Holger Kraft in der Titelrolle macht deren Zerrissenheit sichtbar. Von Selbstsicherheit zu Wahnvorstellungen, von kühlem Kalkül zu Besinnungslosigkeit ist Macbeth kaum jemals Herr

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Sebastian Stert, Daniel Breitfelder, Holger Kraft, Marco Wohlwend

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der Situation. Doch auch seine Gattin zeigt Schwäche: Sophie Basse gibt Lady Macbeth nicht dämonisch, wenn sie auch ihren Mann zur Ausführung der Tat drängt. „Weg mit dem Mitleid - das - das darf da nicht sein“, beschwört sie sich selbst zu Beginn fast stammelnd. Im Griff zu haben scheinen sich die Eheleute auf Macbeths Krönungsfeier, wo es zu einer absurden Plauderrunde kommt: Beim Kaffee tauscht man sich mit Banquo aus über dessen Sohn („der ist aber sehr klein für sein Alter, hm?“)

und die Vorzüge des Stillens („spart ja auch Babynahrung“). Man darf vermuten, daß solche Szenen aus Improvisation entstanden sind. In ihrer Flapsigkeit muß man sie nicht mögen; aber sie vermitteln doch den Eindruck der brüchigen Souveränität von Macbeth und seiner Frau, die sich kurzzeitig ihrer Sache sicher sind.


Atemlose Inszenierung überzeugt Daß alles in Wahrheit ein Alptraum für Macbeth ist, daran besteht dabei kein Zweifel. Beängstigend gut getroffen wird die eigentümliche Wahrnehmung des Träumens, als Macbeth erneut die Hexen aufsucht, um Klarheit über seine Zukunft zu gewinnen: Obszön scheinen sie ein Kind und eine Pflanze zur Welt zu bringen - als Symbol für die scheinbaren Garantien, Macbeth werde unbesiegt bleiben von jedem, der „von

einer Frau geboren“ wurde und solange „die Wälder von Burnam“ sich nicht auf sein Schloß „zubewegen“. Die Gewaltdarstellung gehört hingegen nicht zum Schockierendsten der Inszenierung. Zwar wird auch in Wuppertal mit Theaterblut nicht gespart; aber die Täter tragen es für alle ersichtlich per Sprühdose und keineswegs realistisch auf ihre Opfer auf, sodaß man dabei zuschauen kann, wie die Morde gespielt werden. Auch dies fügt sich in seiner Vermischung der Realitätsebenen in das Gesamtbild ein.

Macbeth ist eine Gestalt, die zwischen Schicksal und eigenem Willen schuldig wird. Die atemlose Inszenierung überzeugt, indem sie diese Getriebenheit vorführt. Martin Hagemeyer Fotos Uwe Stratmann

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Schlechte Karten Karl Otto Mühl

Natürlich habe seit über vierzig Jahren mit ihr und dem Vater zu tun, nämlich, seit beide in kurzem Abstand nacheinander gestorben sind. Ich führe oft Gespräche mit ihnen. Manches würde ich gerne nachholen. Etwa so, dass der Sohn vor sie tritt, den Arm um die Schultern seiner Frau gelegt, und sagen würde: Mutter, das ist sie. Wir kümmern uns um dich. Aber so war es nicht. Der Sohn hatte keine Frau, und er hing wie ein Kind an seiner Mutter, die er ein Leben lang zu verlieren fürchtete. Die Gefahr des Verlustes bestand wirklich seit vierzig Jahren. Damals war er Sechs, der Vater dienstlich seit Monaten in einer anderen Stadt.

Foto: Frank Becker

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Der Vater hatte ihr einen Schallplattenkasten mit Arm geschickt, und auf dem wurde immer wieder „Träumerei“ von Schumann gespielt. Mit diesem Kasten, mir und einem halben Dutzend Nachbarskindern zog sie in den nahen Tannenwald. Wir setzten uns auf den nadelbedeckten Waldboden, der Kasten jammerte vor sich hin. Sie trug eine weiße, kurzärmlige Bluse, das kann ich auf

einem Foto sehen, das ich noch habe und von dem ich nicht weiß, wer es geknipst hat. Der Waldboden war schon kühl. Das war der Grund, dass sie am nächsten Tag erkältet war und fieberte. Das Fieber nahm täglich zu. Plötzlich bekam sie heftige Gelenkschmerzen, konnte nicht mehr aufstehen. Es blieb ihr und mir nichts übrig, als in die Zweizimmerwohnung der Schwiegermutter zu ziehen, die in einem grauverputzten Arbeiterhaus lebte, dass noch heute steht. Das aber war vor achtzig Jahren. Es besuchte sie Dr. Bär, ein freundlicher, jüdischer Arzt, aber ich weiß nicht, ob er viel für sie tun konnte. Ihre Schultern wurden in Watte eingepackt, aber die Schmerzen hielten noch länger an. Sie lag auf dem Sofa in der Wohnstube, ich auf der hölzernen Eckbank am Fenster. Während der ganzen Nacht hörte ich ihr Stöhnen. Ich war froh, wenn der Morgen kam und die Großmutter Babette einen großen Becher Kathreiner-Kaffee brachte. Ich glaube, es hat mir gegen die Langeweile gereicht, den


ganzen Tag durch das Fenster im fünften Stockwerk nach unten zu blicken, auf die Leute, die vorbeigingen, auf die Kleingärten, auf den grünen Ludwigs-Donau-MainKanal, in dem ich schon oft auf dem Rücken meines Vaters geschwommen war. Als ihre Schmerzen abgeklungen waren, gingen wir in unser kleines EinfamilienReihenhaus zurück. Aber meine Mutter hatte jetzt einen Herzklappenfehler, der sie für ihr Leben zu einem Herzkrüppel machte. Das hat sie nicht daran hindern können, ihr Leben lang zu arbeiten, daheim, im Krieg als Leiterin eines Fischgeschäfts, und stets im lebhaften Kontakt mit Freundinnen und Bekannten. Mein Vater war treu, aber mürrisch, die Leute verstanden jedoch auf dem Umweg über sie, dass er liebenswert war. Als Kindermädchen in den Zwanziger Jahren hatte sie nur einen Abend in der Woche frei, und da ging sie ins Kino. Ein Wunder, dass sie einen Mann fand, das wurde mein Vater. Aber eigentlich mussten sie sich immer schon gekannt haben, so kam es mir vor. Nicht, dass sie es mir so ausführlich erzählt hatte, aber ich kannte ihre Vergangenheit als wäre es meine aus vielen, kurzen Erwähnungen. Ich sehe sie noch heute vor mir als barfüßiges Mädchen in der Oberpfalz. Sie hat im Wald mit anderen Kindern Beeren gesammelt, da kommt der Förster heran. Die Kinder stellen sich an den Wegrand und grüßen aufmerksam. Barfuß geht sie in die Klosterschule. Wenn sie geschwatzt hat, muss sie die Hände ausstrecken, und die Ordensschwester schlägt mit einem Stock darauf. Sie wohnt mit der Mutter bei der Tante, bis die Mutter einen Mann findet, der sie heiratet. Er ist Porzellanmaler und lernt sie in der Porzellanfabrik kennen, wo sie als Packerin arbeitet. In der Schule bekommt meine Mutter, das uneheliche Kind, in jedem Fach eine Eins, nur nicht im Singen. Zwar singt sie hingebungsvoll, am liebsten das Lied von der Gärtnersfrau, die weint, aber angeblich stimmen die Töne nicht. Als die Schulzeit zu Ende geht, möchte der Lehrer sie auf ein Lehrerseminar schicken, aber der Pfarrer ist dagegen. Ihm missfällt, dass der Stiefvater, ein Sozi, inzwischen Vorstand im Konsumverein geworden ist, und außerdem ist

sie ein uneheliches Kind, das immer erst beliebt sein muss, ehe es so mitmachen darf wie alle anderen. Also wird nichts daraus, sie muss in die Fabrik. Das alles scheint nicht zu schaden. Sie ist und bleibt ein fröhlicher Mensch, der über alles in der Welt Bescheid weiß, und zwar von Natur aus. Was sie nicht erfährt oder liest, denkt sie sich aus. So war auch ihre Mutter. Die hat schon Preise gewonnen für Werbeverse, die sie bei Wettbewerben von Firmen eingesandt hat. Großmutters Vorfahren machten zwar keine Verse, aber sie zogen mit dem Malersack auf dem Rücken von Kloster zu Kloster und boten ihre Kunst an. In manchen Klöstern der Oberpfalz ist sie heute noch zu sehen. Meine Mutter bleibt nicht lange Packerin, sondern geht als Kindermädchen zu einer Fabrikantenfamilie in die Großstadt. An einem Kino-Abend, dem einzig möglichen in der Woche, lernt sie ihren Mann kennen. Er hat schon früh seine Haare verloren, aber er hat blitzende Zähne, einen Bausparvertrag und ist ein zuverlässiger Maschinenschlosser. So beginnt das nächste große Abenteuer ihres Lebens. Schon bald lernt sie noch einen wichtigen Menschen kennen, nämlich mich. Ich erlebe nichts, was sie nicht miterlebt. Ich bin das einzige Kind, und sie ist nun auf lange Jahrzehnte hin nur Hausfrau in einem kleinen Haushalt, und dazu noch krank; mein Leben ist ihre Zukunft, und ihre Unternehmungen gipfeln im Umräumen von Schränken oder in Koch-Experimenten. Und dennoch sehe ich heute, dass sie es weit gebracht hätte, wenn sie auch nur die geringste Chance gehabt hätte. Ich hatte die Überzeugung, dass ich der Einzige war, der ihr Herz besaß. Mein Vater war ein stiller Mann, der meistens etwas gekränkt wirkte. Meine Überzeugung wurde nicht dadurch beeinträchtigt, dass ich sie und ihn sonntagmorgens fröhlich schwatzend nebeneinander im Doppelbett liegen sah, dass sie sonntags zusammen spazieren gingen, dass sie Abend für Abend in der kleinen Dachkammer beieinander waren. Das schien mir so selbstverständlich wie der Sonnenaufgang und es beeinträchtigte, wie gesagt, meine Überzeugung nicht. Es machte die Welt ein wenig sicherer. In

Krankheitsphasen war ich freilich immer der Erste, der den Arzt holte oder sie später bei Herzanfällen ins Krankenhaus schaffte. Aber wir waren freilich auch Rivalen, der Vater und ich. Ich war der bessere Beschützer, glaubte ich, tat mehr für sie, beschützte sie tatsächlich auch nicht selten vor seiner Ruppigkeit und Rücksichtslosigkeit. Bis in die Nachkriegsjahre teilte er ihr das Wirtschaftgeld zu. Es bedurfte langer Verhandlungen, bis ich ein paar neue Schuhe bekam. Aber ich sah auch nicht, dass er der getreue, stille Eckehart war, der bescheidene Mann, der auf Auseinandersetzungen mit dem besserwisserischen Sohn verzichtete. Er hätte mit bescheideneren Mitteln auf geduldige Art auch für sie gesorgt. Ich war ein Muttersohn, jedoch einer, der das tat, was er für richtig hielt oder nicht lassen konnte, aber schließlich doch der Sohn meiner Mutter, der von ihr das Leben gelernt hatte. Es kam der Zweite Weltkrieg. Der Sohn blieb für viele Jahre weg, der Mann blieb da. Die Stadt wurde zerbombt, Tausende starben. Die verbrannten und geschrumpften Leichen lagen am Straßenrand, der Mann musste zum Aufräumkommando. Sie leitete ein kleines Fischgeschäft. Manche Freunde berichteten später von dem einen oder anderen kleinen Fisch, den sie ihnen zugesteckt hatte. Und dann, nach vielen Jahren, hatte sie wieder einmal einen richtig lebensbedrohenden Anfall. Wasser hatte sich im Lungenraum angesammelt. Sie verdrehte die Augen und verlor das Bewusstsein. Der Sohn rannte im Laufschritt drei Kilometer weit, um den Arzt zu holen. Im Hause hatte damals niemand Telefon. Das Krankenhaus hatte keinen Platz, aber für einen Privatpatienten eben doch. Der Sohn hatte einige Hundert Mark Erspartes, die reichten und verschafften ihr einen völlig anderen sozialen Status. Chefarzt und Oberärztin standen lächelnd an ihrem Bett, Schwestern verwöhnten sie, und gerettet war sie auch. Eine lange Periode der Unsterblichkeit lag vor ihr, dem Mann und dem Sohn, die Sonne strahlte in das helle Krankenzimmer. Als sie wieder in ihre Wohnung zurückkehrte, sagte die Nachbarin zu ihr: „Für Geld blasen sie dir Zucker in´n Arsch.“

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Neue Kunstbücher Nie mehr fiel sie zurück in das Lebensgefühl des rechtlosen, unehelichen Mädchens aus der Oberpfalz. In den kommenden Monaten fuhr ich sie fast täglich mit dem Auto, das ich von der Firma bekommen hatte, nach Dienstschluß und am Wochenende durch die schönsten Landschaften. Sie schaute mit glänzenden Augen hinaus und freute sich. Und dann geschah es doch. Sie bekam Fieber, die Verdauung funktionierte nicht. Einlauf, Abführmittel, nichts half. Wieder kam sie ins Krankenhaus, und dort fand man erst heraus, was sie schon seit Jahren als zweite, schwere Krankheit hatte – Darmkrebs. Der Arzt hatte es nicht erkannt. Schon zwei Stunden nach ihrer Einlieferung wurde sie operiert. Draußen warteten Mann und Sohn. Der Arzt kam heraus und sagte: „Wir haben sie gleich wieder zugemacht. Es war schon alles schwarz.“ „Wie lang hat sie noch zu leben?“ fragte ich. „Höchstens noch bis morgen.“ Der Vater und ich saßen an ihrem Bett, als sie am Nachmittag langsam erwachte. „War es Krebs?“ „Ach, Unsinn!“ sagte ich empört. „Nur Darmverschluss.“ Sie nickte lächelnd und beruhigt. Es war besprochen worden, dass sie keine Herzmittel bekommen sollte, aber Dolantin. Ich hoffe, es hat sie glücklich gemacht. Bevor sie am Abend einschlief, bestand sie noch darauf, dass Vater und ich mit Essen und Tee versorgt wurden. Dann fuhren wir in meinem kleinen Auto nach Hause, bis ein Anruf kam – „es wird bald zu Ende sein“.

Über Architektur vorgestellt von Thomas Hirsch Zunehmend hat sich die Architektur nicht nur als wichtiger Aspekt unserer urbanen Wahrnehmung und unseres Wohlbefindens erwiesen, sondern auch als eigene Gattung der visuellen Kunst etabliert. Konsequenterweise spiegelt sich dies in der Menge an Buchveröffentlichungen, auch den Ausstellungen heutiger Tage wider. Konstatiert bzw. destilliert werden spezifische (monographische) Handschriften zur Ästhetik und Funktionalität, dann der Zustand im Städtebau zwischen Tradition, gewachsener Struktur und globaler Avantgarde, wobei noch die zunehmende Nomadisierung der Bevölkerung und ein wachsendes Interesse für andere Kulturen mitschwingen ... Die Architektur hat sich damit aus den Reservaten der fachspezifischen Theorie und der Kunstgeschichte „befreit“ und setzt sich nun zugleich einer kritischen Rezeption aus – sie ist Allgemeingut. Derartige Überlegungen berührt schon eine recht klar umfasste kulturgeschichtliche – komparativistische – Untersuchung, die das Fenster als Moment der Architektur in seiner Relevanz, Bildhaftigkeit und Bedeutung begreift. Spätestens seit der deutschen Romantik ist dessen Stellung

zwischen baulichem Element, metaphysischer Vermittlung von Innen und Außen und metaphorischem Ausblick in die Ferne offensichtlich. Das Buch „Die Kulturgeschichte des Fensters“ geht dem nach, indem der Autor Rudolf Selbmann – als professioneller Literaturwissenschaftler – neben die Kunst die Literatur und in Ansätzen auch den Film setzt. Das Vorgehen an sich ist sinnvoll und sein Buch ist eine relativ kurzweilige Stoffsammlung. Es reicht freilich nur selten in die Tiefe, hat noch etwas Zerstreutes, zwar nicht Beliebiges, aber bisweilen doch wenig Ergiebiges. Schnell gesagt, ein Verschenkbuch der Kulturinteressierten, aus dem man noch einiges lernen kann. Also, zumal zu Weihnachten: Gut. Eine ganz andere Intensität und Leidenschaft kennzeichnet demgegenüber Bruno Tauts „Nippon mit europäischen Augen gesehen“: die Rückübersetzung seiner Aufzeichnungen nach mehr als einem dreiviertel Jahrhundert. Taut schildert mit dem geschulten Blick der Architekturkoryphäe und mit dem Staunen des Auswärtigen skizzenartig, wissbegierig, nie langweilig, dabei sehr kenntnisreich seine Eindrücke vor Ort. Seine Ausführungen werden unterstützt durch eigene, oft laienhafte Fotografien, die Tauts Möglichkeiten

Sie war bewußtlos, atmete schwerer und mit immer größeren Intervallen. Der unentbehrlichste Mensch auf der Welt starb. Als sie zu atmen aufgehört hatte, gingen wir hinaus – ich kehrte an der Türe noch einmal um, küsste sie auf die Stirn und flüsterte ihr etwas zu. Wieder fuhren wir nach Hause. Trostlosigkeit im Gesicht meines Vaters, dem das Licht seines Lebens genommen war; mir liefen die Tränen über die Wangen. Heute erinnere ich mich an den Satz eines jüdischen Emigranten: „Ich bin jetzt Neunzig, aber die Mutter fehlt mir immer noch.“ Karl Otto Mühl

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Rolf Selbmann: Die Kulturgeschichte des Fensters, 222 S. mit 126 farb. Abb., geb. mit Schutzumschlag, 24,7 x 17,5 cm, Reimer, 39,- Euro

Bruno Taut: Nippon mit europäischen Augen gesehen, 215 S. mit 210 s/w-Abb., Broschur, 24 x 17 cm, Gebr. Mann Verlag, 59,- Euro


geschuldet sind, sowie (qualitativ bessere) Fremdaufnahmen: Sie zeigen Beispiele der profanen und kultischen Architektur in Japan, aber auch vergleichende Bauten der klassischen Antike bis hin zu Tauts eigenen Siedlungsanlagen. Weiterhin finden sich, entsprechend zu seinen Notizen, Aufnahmen vom alltäglichen Leben in Japan, welches den damaligen Europäern recht fremd war. Daran zeigt sich, dass Taut die Baukunst in der Gesellschaft verortet. Nebenbei ist die Entstehungsgeschichte dieses Buches bemerkenswert. Nach dem Reichstagsbrand am 1. März 1933 hatte Bruno Taut mit seiner Lebensgefährtin Deutschland fluchtartig per Schiff verlassen und war in Japan freundschaftlich aufgenommen worden. Dazu gehört der Auftrag des Meiji Shobo Verlages an den berühmten Gast schon nach zwei Monaten Aufenthalt, seine Erkenntnisse zum Städtebau niederzuschreiben. Bereits 1934 erschien in Japan die Erstausgabe, die Taut später ergänzt hat, als er seinen Aufenthalt in Japan verlängern konnte und dort bis zu seinem Tod 1938 blieb. Japan wurde für ihn zur Herzensangelegenheit. Dieses Buch ist zweierlei. Es ist eine gut lesbare, von kritischer Hochachtung geprägte Reflektion zu Japan, zu seiner Geschichte und Kultur, die den Städtebau und die Architektur fokussiert. Zudem vermittelt es Bruno Tauts eigene Haltung und Verantwortung bei seiner Tätigkeit als Architekt. In Deutschland fast unbekannt, könnte dieses Buch schon den Japan-Interessierten überhaupt interessieren. Ergänzt um ein Glossar, ist es ein tiefschürfender und hilfreicher Zugang zu diesem so fernen Land. War sich Bruno Taut der Veröffentlichung seiner Aufzeichnungen bereits beim Aufschreiben sicher, so musste Ernst Scheidegger bei einem in etwa vergleichbaren Unterfangen bis jetzt warten. Es geht um Chandigarh – eine richtig spannende Sache, damals und aus der heutigen Perspektive. Die indische Regierung hatte mehrere europäische Architekten um Le Corbusier beauftragt, eine eigene Stadt zu bauen mit den erforderlichen kommunalen Einrichtungen, welche den Architekten unterschiedlichen Spielraum zur Selbstverwirklichung ließen. Schon während der Bauphase, angeregt von der Konzeption

Chandigarh 1956, Fotografien von Ernst Scheidegger, 269 S. mit 140 farb. u. 135 s/wAbb., geb. mit Schutzumschlag, 27 x 26 cm, Scheidegger & Spiess, 55,- Euro zu Chandigarh hatte Ernst Scheidegger als Dokumentarfotograf die Idee, diese und künftige architektonische Großunternehmungen mit Veröffentlichungen zu begleiten, bei denen Fotografien und Texte, auch Entwurfszeichnungen der Architekten zusammentreffen. Vergeblich hat er sich deswegen an einen Verlag gewandt. – Was früheren Leserschaften dadurch entging, das teilt nun „Chandigarh 1956“ mit, erschienen in Scheideggers eigenem Verlag, wobei dies aber keineswegs die Bedeutung dieser Monographie schmälert. Im Gegenteil spürt man die Genauigkeit, die Suche nach der richtigen Umsetzung in Buchform, über fünf Jahrzehnte später. Dazu tragen auch die (neuen) Texte bei, die der Bedeutung von Chandigarh nachgehen und die Rolle der Architekturfotografie ausloten. Daneben stehen die Aufnahmen von Scheidegger, teils in Farbe, die auch Bausituationen und eindrucksvolle Genreszenen der Bevölkerung berücksichtigen und ebenso die Leistung der einzelnen Architekten bei den verschiedenen Bauten wie Gericht oder Universität herausarbeiten. Scheidegger vermittelt hier zwischen dem objektiven Blick von Außen und den Ideen der Architekten selbst und spricht implizit die Differenz europäischer Sichtweisen zum Leben in Indien an. Heute sehen wir, welche Tragweite Chandigarh hatte und können vielleicht Erkenntnisse, Parallelen zu heutigen Modellen von Stadt und Urbanität ableiten – und erkennen, wie fein und umfassend sich Scheidegger diesen Fragen genähert hat.

Auf eine andere, aberwitzige, in ihrem Zeitgeistigen bewusst nervige Weise verschafft sich eine vierte Neuerscheinung Raum: „Metahaven: Uncorporate Identity“. „Metahaven“, das in Brüssel und Amsterdam ansässige Design Studio, ist äußerst engagiert mit seinen Entwürfen zwischen Fiktion und Realität in der Verknüpfung von Werbemarken mit gesellschaftlichen Themen und geopolitischen Konflikten. Ein zentrales Projekt war „Sealand“, auch dies eine Art Planstadt, vor allem aber fiktionaler Staat, nunmehr als Archetypus für nichts anderes als die Zukunft. Propagiert wird dafür eine Plattform im internationalen Gewässer – als unabhängiger Staat noch mit eigenen Briefmarken, Personalausweis etc. Natürlich ist auch dies Provokation, die jeder Vorstellung von Identität eine andere entgegensetzt. Dabei ist das dickleibige Buch selbst ein künstlerischer Beitrag mit der Tendenz zum Designobjekt, zu verstehen auch als Arbeitsbuch oder Konzeptalbum, Stoffsammlung mit zahlreichen (englisch abgedruckten) Interviews und theoretischen Texten in Magazin-artiger Grafik. Ein unangenehmer Dschungel also, aber mit einigen berauschenden Momenten nuancierender Sicht zur Globalisierung und – natürlich – zur Verantwortung der Medien, die unsere Wahrnehmung präparieren: von Design und Städtebau heute.

Metahaven: Uncorporate Identity, engl., 608 S., durchgehend farbig, Broschur, 24 x 17 cm, Lars Müller Publishers, ca. 48,- Euro

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Düsseldorfer Heimspiel „Joseph Beuys. Parallelprozesse“ in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Joseph Beuys, um 1980

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Hohepriester eines radikal neuen Kunstbegriffs oder dreister Provokateur, sensibler Zeichner oder Protagonist einer kruden Materialästhetik, Messias einer besseren Gesellschaft oder politischer Phantast, Schamane oder Scharlatan – an Beuys (1921–1986) haben sich schon immer die Geister geschieden, und auch die aktuelle Werkschau in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen dürfte bei allem Publikumsinteresse daran kaum etwas ändern. Und das, obwohl der Künstler längst einen festen Platz in der Kunstgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat, die Forschungsliteratur Regale füllt und in den Medien über Beuys mehr als über jeden anderen Künstler berichtet wird. Nachdem sich der im Juni verstorbene Gründungsdirektor und langjährige Leiter der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Werner Schmalenbach stets geweigert hatte, den jahrzehntelang in Düsseldorf lebenden und arbeitenden Beuys in seinen Räumen auszustellen, richtete sein Nachfolger Armin Zweite dem rheinischen Avantgarde-Künstler im Jahr 1991 eine große und seinerzeit vielbeachtete Ausstellung unter dem Titel „Natur, Materie, Form“ ein. Nun sucht sich fast zwei Jahrzehnte danach Zweites erst kürzlich in die rheinische Metropole gekommene Nachfolgerin Marion Ackermann im Rahmen der diesjährigen Düsseldorfer Quadriennale an der damaligen Ausstellung zu messen, indem sie Beuys unter dem Motto „Parallelprozesse“ präsentiert. Ihr Ziel ist es, die Vielgestaltigkeit und Vielschichtigkeit des Beuysschen Œuvres darzustellen und dessen „komplexe Vernetzungsstrukturen … sichtbar und sinnlich erfahrbar“ zu machen. So geht es um die Parallelitäten von Zeichnung und Bildhauerei, von Installationen und Performance, von künstlerischem Denken und politischem Handeln; und um die Konvergenz all dieser Aspekte in dem von Beuys postulierten „erweiterten Kunstbegriff“, der die – letztlich uneinlösbare – Aufhebung der Differenz von Kunst und Leben bedeutet. Mit einem klaren, der Chronologie verpflichteten und zugleich thematisch gliedernden Konzept versucht die Düsseldorfer Ausstellung, Beuys dem Besucher

näherzubringen. Die Darbietung des Materials kreist um jeweils exemplarisch ausgewählte Artefakte, die für die entsprechende Werkphase signifikant sind. Den Auftakt bildet der „Torso“ (Abb. 2) von 1949/51, eine Arbeit, die in der Akademiezeit von Joseph Beuys entstand und die sich, obwohl vermutlich von seinem Lehrer, dem Bildhauer Ewald Mataré angeregt, doch in ihrem vermeintlichen Nonfinito (sie befindet sich bis heute auf dem Modellierbock und bildet mit ihm gleichsam eine Einheit), deutlich von den straffen, geschlossenen Formen des Lehrers unterscheidet. So zeugt der

Abb. 2, Torso, 1949-51


rial und als Material, das Prozeßhaftigkeit anschaulich werden läßt (Erstarren und Zerfließen und umgekehrt) eine besondere Bedeutung. Es ist für ihn Energieträger, wie auch Filz für ihn ein Energiespeicher ist. Beide Materialien ziehen sich als Konstanten durch sein Werk und treten zuweilen auch miteinander kombiniert gemeinsam auf. Immer wieder wird zum Verständnis der Beuysschen Arbeiten auf Biografisches

zurückgegriffen, mit Vorliebe auf die Erzählung des Künstlers, er sei im Krieg als deutscher Sturzkampfflieger von russischer Flak getroffen worden und mit dem Flugzeug abgestürzt; Krimtataren hätten ihn, der mit schweren Verletzungen den Absturz überlebt hatte, entdeckt und tagelang gepflegt, indem sie seine Wunden mit tierischem Fett behandelt und ihm mit Filzbandagen Wärme gespendet hätten; in dieser Zeit habe er starke

Abb. 4, Filzkreuz, 1965

Abb. 5, Eurasienstab, 1968-69

Abb. 3, Ohne Titel, 1957-58 „Torso“ von Fragilität, Verletzlichkeit und Vergänglichkeit, und schon früh sind damit ein zentrale Themen des späteren Œuvres von Beuys angeschlagen. Gut dokumentiert sind in Düsseldorf die frühen Zeichnungen des Künstlers (Abb. 3), die Mensch und Tier (vorwiegend Hase und Hirsch) thematisieren - Blätter, die in ihrer scheinbaren Unfertigkeit und in ihrem unakademischen Erscheinungsbild unverwechselbar sind. Eduard Beaucamp hat schon dem jungen Beuys bescheinigt, daß er in seinen Zeichnungen versuche, „die Formalisierungen der modernen Kunst rückgängig zu machen und in der Kunst so etwas wie die Einheit allen Lebens wiederherzustellen.“ Fett und Filz Symbole des Lebens bzw. des Lebendigen sind zwei Materialien, die geradezu Markenzeichen des Künstlers geworden sind und sich vom herkömmlichen Materialfundus eines Bildhauers radikal unterscheiden: Fett und Filz (Abb. 4). Bei einigen sog. Naturvölkern spielt Fett im Rahmen von Beschwörungsriten eine besondere Rolle, wo es zusammen mit Blut Bestandteil magischer Substanzen oder auch bestimmendes Element von Ritualobjekten selbst sein kann – so etwa in afrikanischen Fetischskulpturen. Mag auch bei Beuys das Fett zuweilen die Qualität des Magischen annehmen, so hat es für ihn vor allem als organisches Mate-

Abb. 6, Stripes from the house of the shaman 1964–72, 1980

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Abb. 8, Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch, 1958–85

Abb. 9, Palazzo Regale, 1985

Abb. 7, The Pack (Das Rudel), 1969 Eindrücke durch die fremde Landschaft und die Lebensgewohnheiten der ihm unbekannten Menschen empfangen, die sein späteres künstlerisches Tun maßgeblich beeinflußt hätten, insbesondere was Phänomene wie Ritual und Schamanismus anbelangt. Tatsächlich handelt es sich hier aber um eine der Selbststilisierung dienende Geschichtsklitterung, denn es gilt als erwiesen, daß Beuys bereits einen Tag nach seinem Absturz von den Tataren an ein deutsches Suchkomman-

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do überstellt wurde. Gleichwohl deutet die künstlerische Nutzung von Fett und Filz auf Prägungen hin, die mit seinen (traumatischen) Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg in Zusammenhang gebracht werden können, und Werktitel wie „Transsibirische Bahn“, „Eurasienstab“ (Abb. 5), „Sibirische Symphonie“ oder „Stripes from the house of the shaman 1964–72“ (Abb. 6) weisen ebenfalls in diese Richtung. Die großen Installationen:

Der Schwerpunkt der Düsseldorfer Werkschau liegt auf den großen Installationen des Künstlers wie „The pack (Das Rudel)“ (1969, Abb. 7), „Fond IV/4 (1970/71), „Zeige Deine Wunde“ (1974/75), „Straßenbahnhaltestelle“ (1976), „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“ (1958–85, Abb. 8) oder „Palazzo Regale“ (1985, Abb. 9). Das sind Environments, die eindrucksvoll nicht nur Beuys’ eigenwillige Materialästhetik, sondern auch seine individuelle, hochgradig idiosynkratische Symbolwelt dokumentieren. Daß letztere sich auch Jahrzehnte nach Entstehung dieser raumgreifenden Installationen nicht immer spontan und umstandslos erschließt, liegt auf der Hand. Bis heute ist das Beuyssche Œuvre in hohem Maße kommentarbedürftig geblieben. Zwar war Beuys selbst immer bemüht, seinen außerordentlich hermetischen ästhetischen Idiolekt durch fortwährende Eigenkommentare vor der Gefahr der Fehldeutung zu bewahren, wobei er solcherlei Begleitrhetorik – ganz im Sinne seines ganzheit-


Tun“. Daß das für ihn mehr bedeutete als eine bloße Utopie, macht sein politisches (auch parteipolitisches) Engagement seit den späteren Sechziger Jahren deutlich, von der „Gründung der Deutschen Studentenpartei“ und der - an Gedanken des Anthroposophen Rudolf Steiner und Ideale der Französischen Revolution anschließenden - „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“ bis hin zu seiner Mitarbeit bei den „Grünen“. Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist ein Besuch der Ausstellung unbedingt lohnend, weil zur intensivierten Auseinandersetzung mit einem der interessantesten und kontroversesten Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert anregend. Gelegenheit dazu besteht noch bis zum 16. Januar 2011. Abb. 10, Honigpumpe am Arbeitsplatz, Inszenierung in der Ausstellung ‚Parallelprozesse‘

Abb. 11, Honigpumpe am Arbeitsplatz, Originalinstallation auf der ‚documenta 6‘, Kassel 19

lichen Denkens – als Bestandteil seiner „Plastischen Theorie“ begriff: „Denken ist Plastik, Sprechen ist Plastik und sollte betrachtet werden wie ein Kunstwerk.“ Gleichwohl ist es nicht unproblematisch, die Selbstkommentare des Künstlers als Werkschlüssel zu benutzen, und da die Ausstellung kaum flankierendes Material zum Werkverständnis anbietet, empfiehlt sich unbedingt das mit mehr als 400 Seiten umfangreiche Katalogbuch, das fundierte Beiträge zahlreicher Autoren zu den unterschiedlichsten Werkaspekten enthält.

scheint wie geronnen und eingefroren, und die unterkühlt museale, klinisch reine Atmosphäre kommt einem Begräbnis erster Klasse gleich. So erscheint zum Beispiel das Arrangement „Honigpumpe am Arbeitsplatz“ (1977, Abb. 10) als sinnlose Akkumulation ausgedienter Gerätschaften. Von den lebendigen Vorgängen, die einst auf der „documenta 6“ in Kassel stattfanden, ist nichts mehr erfahrbar. Wurden seinerzeit zur Visualisierung biologischer (und ökonomischer) Kreisläufe zwei Tonnen Honig durch ein Schlauchsystem gepumpt und gleichzeitig 100 kg Fett von einer motorgetriebenen Walze verflüssigt, so ist davon heute nur noch ein trauriger Haufen funktionsloser Relikte geblieben (Abb. 11). – Konturlos bleibt in Düsseldorf auch Beuys’ theoretisches Konzept, wie es sich in seiner „Plastischen Theorie“ artikuliert. Im Mittelpunkt dieser sog. Plastischen Theorie steht die Idee von der „sozialen Skulptur“, was nichts anderes bedeutet, als daß es Beuys als einem genuinem Bildhauer nicht länger nur darum ging, einzelne Bildwerke zu formen, sondern die Gesellschaft als ganzes einem durchgreifenden Gestaltungs- und Transformationsprozeß zu unterziehen. Ihm galt die „Kunst als die eigentliche revolutionäre Kraft“, „als eigentliche Basis für das gesellschaftliche

Kritische Einwände Als Mitstreiter der Fluxus-Bewegung ging es Beuys seit den Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts immer seltener um das statische Einzelwerk, sondern zunehmend um Prozessuales, und zwar zunächst noch im Radius künstlerischer Praxis, dann – diesen transzendierend – im Sinne übergreifender sozialer Prozesse und politischer Aktionen. Dies ist ein Aspekt, der in der Düsseldorfer Ausstellung deutlich zu kurz kommt. Zwar werden einige hochinteressante filmische Dokumentationen diverser, zum Teil schamanistisch inspirierter Fluxus-Performances gezeigt, doch alles

Joseph Beuys. Parallelprozesse 11.09.2010 – 16.01.2011 K20 Grabbeplatz und Schmela Haus Stiftung Kunstsammlung NordrheinWestfalen Grabbeplatz 5 40213 Düsseldorf Katalog Zur Ausstellung „Joseph Beuys. Parallelprozesse“ erscheint der gleichnamige Katalog, mit Texten von Marion Ackermann, Gottfried Boehm, Wilfried Kuehn, Isabelle Malz, Maja Naef und Johannes Stüttgen sowie einem Interview mit Marina Abramovic, 432 Seiten, 280 Abbildungen in Farbe, gebunden, herausgegeben von der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Verlag Schirmer/ Mosel, München, 49,90 Euro Weitere Informationen auf der nervtötenden Internetseite der Kunstsammlung NRW: www.kunstsammlung.de Rainer K. Wick Fotos: Kunstsammlung NRW © VG Bild-Kunst, Bonn 2010 für die Werke von Joseph Beuys

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Ein Bildungserfolg auch im Bergischen Die SPEE-Akademie

Friedrich Spree von Langenfeld

Friedrich Spee von Langenfeld, der Dichter, Theologe, humanistischer Denker und mutiger Tatmensch als NamensGeber der SPEE-Akademie. Wenn irgendwo etwas fehlt oder schlecht läuft, dann kann man sich entweder beschweren – oder man macht es einfach besser. So ungefähr lässt sich die Einstellung von Jochen Zoerner-Erb auf den Punkt bringen. „Seit Jahren muss überall gespart werden. Angebote werden gekürzt oder fallen ganz weg“, erklärt er und sieht von dieser Entwicklung vor allem ältere Menschen betroffen. „Was in dieser Stadt gefehlt hat, ist ein Angebot, dass sich ausdrücklich an Menschen in der zweiten Lebenshälfte richtet“, sagt der gelernte Theatermann und gebürtige Wuppertaler. Lange Zeit ist er als Regisseur und Intendant durch die Welt gereist, hat Inszenierungen in Kairo, Zagreb, Paris und München geleitet. Viel hat er gesehen und ist am Ende doch wieder in Wuppertal gelandet, wo er Musiktheater wie die Stücke „Sonnenreise“ und „Halleluja - Hi Mr Händel“ produzierte. „Es ist dieses einzigartige Flair der Stadt, das mich nach all den Jahren wieder hier hin gezogen hat.“ Jochen Zoerner-Erb ist einer der Menschen, die sich engagieren, etwas tun und verändern wollen. Das ist auch der

Grund, warum er vor knapp fünf Jahren die Friedrich-Spee-Akademie Wuppertal mit begründet hat und seit drei Jahren ihr Vorsitzender ist. Über die Ziele der Akademie gibt das kostenlose Programmheft eine eindeutige Auskunft. „Soziale, kulturelle und politische Bildungsangebote für Menschen in der zweiten Lebenshälfte“ steht dort geschrieben. Und das ist auch genau das, worum es Jochen Zoerner-Erb geht. „Wer heute fünfzig, sechzig oder siebzig Jahre alt ist, der ist noch fit, der möchte was erleben und lernen. Was wir machen, ist, genau diese bestehende Lücke im Angebot der Stadt zu füllen und etwas anzubieten.“ Wer Lust hat, kann sich Vorträge über die schwierige Finanzlage der Kommunen anhören, gemeinsam mit Spitzenköchen ein leckeres Menü zaubern, Gesprächen am Kamin mit dem ehemaligen Oberbürgermeister Dr. Hans Kremendahl lauschen oder sich im Atelier der Malerin Eva-Maria Schoofs umschauen. Dass ein Großteil der Angebote dabei kostenfrei ist, ist für den 61-Jährigen selbstverständlich. „Unser Engagement stützt sich vor allem auf ehrenamtliche Arbeit.“ Mit ihrem Angebot steht die Friedrich-Spee-Akademie Wuppertal nicht alleine da. Sie ist eingebunden in ein Netzwerk von Akademien, das sich

Der Wuppertaler Spee-Vorstand vor der MUNDUS-Seniorenresidenz: v.l.n.r.: Jochen Zoerner-Erb, Renate Nick-Pflugbeil, Jochen Phillips, Joachim Krug, Marianne Ronneberger, Bernd Lamprecht, Detlev Schmitz u. Michael Kozinowski, Foto Andreas Fischer

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Kamingespräch mit Hans Kremendahl, Wuppertaler Ex-OB, Foto Manuel Suarez-Ruiz über ganz Deutschland erstreckt und das seinen Ausgangspunkt in der Gründung der ersten Spee-Akademie 1996 in Düsseldorf durch Bernhard Lamprecht hat. Nach Düsseldorf folgten weitere Gründungen in Mönchengladbach, Berlin und Hamburg. Heute gehören zu diesem Netzwerk auch Akademien in Kiel, Bonn oder Frankfurt. Im Bergischen Land gibt es seit Jahren eine enge Zusammenarbeit mit den Städten Remscheid und Solingen, in denen ebenfalls eigenständige Spee-Akademien aktiv sind. „Uns ist es wichtig, unser Angebot möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen“, erklärt Zoerner-Erb. Mit der Idee und der Intention, Bildungsangebote für ältere Menschen zu organisieren, hätten die bundesweit derzeit elf Akademien sicherlich durchaus im Sinne ihres prominenten Namensgeber gehandelt, dem Moraltheologen, Lyriker und Schriftsteller Friedrich Spee, geboren 1591 in Kaiserswerth bei Düsseldorf. Der Mann, über den man heute sagt, er sei ein „mutiger Tatmensch“ gewesen, trat als 19-Jähriger gegen den Willen seiner Eltern in den Jesuitenorden ein und stellte sein Leben fortan in den Dienst des Allgemeinwohls und des gelebten Idealismus. Als einer der ersten wandte sich er gegen die Hexenfolterung, arbeitete als Seelsorger, betreute und pflegte Pestkranke und war als eigenständiger und zugleich recht origineller Dichter des Barock aktiv, von

dem unter anderem das Werk „Trutznachtigall“ stammt und zahlreiche Kirchenlieder in uneren Gesangsbücern zu finden sind. „Wir haben seinen Namen für unsere Akademie gewählt, weil uns sein Lebenswerk und sein persönliches soziales Engagement vorbildlich erscheinen“, sagt Zoerner-Erb. Einverstanden mit dieser Namensgebung waren übrigens auch die Nachkommen des adeligen Theologen, die heute noch im Schloss Heltorf bei Düsseldorf im Stadtteil Angermund leben. Fünf Jahre gibt es die Spee-Akademie in Wuppertal bereits, was für ihren Vorsitzenden allerdings kein Grund ist, auf dem Status quo zu verharren. „Anfang des Jahres sind wir zu einem gemeinnützigen Verein geworden. Das ermöglicht uns zum Beispiel die einfachere Akquirierung von Spendengeldern, so dass wir hoffen, unser Angebot in Zukunft noch weiter ausbauen zu können.“ Denn das Ausscheiden aus dem Beruf bei gleichzeitigem Anstieg der Lebenserwartung stellt aus seiner Sicht eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft dar. „Es geht darum, dass Menschen im Ruhestand ihre Zeit als erfüllt betrachten und Lust haben, ihren Hobbies nachzugehen, alte Kenntnisse aufzufrischen oder ihre kreativen Fähigkeiten zu erweitern.“ Die Friedrich Spee-Akademie sieht Jochen Zoerner-Erb dabei auch als Möglichkeit für ältere Menschen, sich aktiv am gesell-

schaftlichen Dialog zu beteiligen. Mehr als 60 Veranstaltungen bietet die Akademie in Wuppertal im laufenden Semester an und blickt dabei auch auf einige Highlights in der Vergangenheit zurück. „Der Vortrag des Professors für Ästhetik, Bazon Brock, in den Räumen des Finanzamts war sicherlich solch ein Highlight, auf das wir auch heute noch stolz sind“, erklärt Zoerner-Erb. Der Vortrag des bekannten und durchaus streitbaren Professors lockte rund 130 Menschen in die oberste Etage des Finanzamtes, die knapp zwei Stunden gebannt lauschten und am Ende tosenden Applaus spendeten. „Mit dieser Veranstaltung haben wir eine Menge Menschen erreicht und ihnen einiges zum Nachdenken mit auf den Weg nach Hause gegeben“, grinst Zoerner-Erb. Stolz macht ihn dabei vor allem, dass die ganze Veranstaltung nicht einen Cent gekostet hat und auch die Teilnahme kostenlos war. Ehrenamt halt. Längst sind sich die derzeit rund 100 Mitglieder der Friedrich-Spee-Akademie auch ihrem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einfluss bewusst. Anmeldungen neuer Mitglieder der Akademie gibt es beinahe täglich. „Wir bilden eine wichtige Schnittstellte zwischen der immer jüngeren und dynamischeren Wirtschaft auf der einen und den älteren Menschen in dieser Stadt auf der anderen Seite“, sagt Zoerner-Erb. Aus diesem Grund soll es im Frühjahr nächsten Jahres auch das erste Business-Breakfast geben, das die Spee-Akademie gemeinsam mit ihrem langjährigen Kooperationspartner, der Wuppertaler Commerzbank und der Bertelmann Stiftung, ausrichten wird. „Dort wollen wir die Wirtschaftszweige versammeln, die sich vor allem für ältere Menschen interessieren, und uns als Mittler und Ansprechpartner präsentieren“, erklärt Zoerner-Erb. „Denn ohne uns ältere Menschen wird es in Zukunft nicht mehr so ohne weiteres gehen.“ Und dass diese längst nicht mehr nur eine schweigende Mehrheit dieser Gesellschaft sind, sondern sich selbstbewusst und engagiert präsentieren und organisieren, zeigt die Friedrich-Spee-Akademie Wuppertal. www.fsa-online.eu Jan Filipzik

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Die ungewöhnliche Chronik einer Sporthalle Mit Themen seiner Heimatstadt Wuppertal hat sich der Journalist Klaus Göntzsche in den letzten Jahren immer wieder mit ungewöhnlichen Publikationen als Herausgeber auf den Markt gewagt. Im November 2003 erschien das Buch zur Serie der Wuppertaler Rundschau „Sprungbrett Wuppertal“ mit den Geschichten zahlreicher Sänger und Schauspieler von Barbara Auer bis Rosel Zech, deren Karrieren eng mit Wuppertal verbunden waren. „Sprungbrett Wuppertal“ war zeitlich eingerahmt von den beiden Bänden über ungewöhnliche Läden mit dem Titel „Wuppertals wa(h)re Könige und Laden-Hüter“. Längst sind diese „Schätzchen“ vergriffen und werden gesucht. Zuletzt war der in den Nachkriegsjahren in Wichlinghausen aufgewachsene, gelernte Industriekaufmann der Autor des im Leipziger Stadt-Bild-Verlages erschienenen und von der Buchhandlung von Mackensen produzierten Bildbandes zum 400-jährigen Jubiläum von Elberfeld. Erste Buch-Erfahrungen sammelte er schon vor 40 Jahren im Alfred Lau-Verlag mit den Werken „Ich über mich“ und „Wuppertal und wir.“

Gute Laune bei der Präsentation. Von links Barbara Neusel-Munkenbeck, Klaus Göntzsche, Klaus Homberg (Alte Bergbahn) und Robert Schmidt (Runkel & Schmidt).

Die Chronik: an einem „Originalschauplatz“ im Tor der Halle präsentiert. Von links: Klaus Göntzsche, der BTV-Vorsitzende Wolfgang Killing, Ulrich Mittag und Oberbürgermeister Peter Jung. Fotos: Bettina Osswald Fernsehsendung über die Gründe des Verfassens von Büchern sagte: “Jubiläen gehen immer.“ Als diese im Jahre 1960 eröffnet wurde, war

Das Nacke Chronik-Team mit dem Herausgeber. Von links: Frank Schelter, Sandra Wawrziniok, Klaus Göntzsche, HansPeter Nacke und Manfred Elstner.

begeistert. Die Hochsprungmeetings des BTV sind noch heute ein Höhepunkt jeden Jahres. Mittlerweile haben die Kinder und Enkelkinder der Gründergeneration diese Halle erlebt. Über zwei Jahre hat die Arbeit von Ulrich und Nils Mittag im Stadtarchiv und an vielen anderen Quellen gedauert. Die Recherche hat allen Beteiligten neben dem großen Aufwand aber auch Freude bereitet, denn immer wieder tauchten Veranstaltungen mit ungewöhnlichen Menschen auf, die nicht mehr in Erinnerung geblieben waren.

KLAUS GÖNTZSCHE | ULRICH MITTAG

50 JAHRE

1960 - 2010

SPORTHALLE HECKINGHAUSEN

Nun ist ein neues Produkt auf dem Markt. Eine 270 Seiten umfangreiche Chronik zum 50-jährigen Jubiläum der Sporthalle Heckinghausen. Gedruckt und layoutet im Hause Nacke, dem Klaus Göntzsche seit den 70-er Jahren eng verbunden ist. Sein 1982 gegründeter Informationsdienst Galopp Intern wird dort im 28.Jahrgang gedruckt. Marcel Reich-Ranicki in einen Zusammenhang mit diesem Jubiläum zu bringen, mag auf den ersten Blick absurd erscheinen. Doch der Literaturpapst hat ungewollt die letzte Entscheidungshilfe zum Erscheinen dieser Chronik geliefert, als er in einer

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das für Wuppertal ein fast epochales Ereignis. Die heute im bereits „gesetzten Alter“ befindliche Nachkriegsgeneration lebte mit dieser Halle. Als Besucher aller wichtiger Wuppertaler Hallen-Veranstaltungen oder als Nutzer für den eigenen Schul-und Vereinssport. Wer sich das Verzeichnis der dort ausübten Sportarten anschaut, der kommt aus dem Staunen nicht heraus, was in dieser Halle so alles stattgefunden hat. Vieles davon ist in Vergessenheit geraten. Nicht vergessen sind unzählige große Handballspiele des LTV, des TV Beyeröhde und auch des WSV. Die Basketballdamen des Barmer TV haben dort viele Jahre lang dominiert und

Verlag HP Nacke Wuppertal

50 Jahre Sporthalle Heckinghausen Verlag HP Nacke Wuppertal ISBN 978-3-942043-74-8 19,80€


Kulturnotizen Kunstmuseum Ahlen zeigt Druckgraphik von Georges Braque Ahlen - Das Kunstmuseum im westfälischen Ahlen zeigt seit Samstag eine Ausstellung mit Druckgraphik des französischen Künstlers Georges Braque Braque (1882–1963) gehört zu den wichtigsten Malern der französischen Moderne, hieß es in einer Ankündigung des Museums. Zusammen mit Pablo Picasso begründete der Maler 1908 den Kubismus. Die bis zum 6. Februar nächsten Jahres laufende Schau reflektiert Braques künstlerisches Schaffen, beginnend mit Stilleben aus den 20er Jahren bis hin zu Grafiken von 1963. Präsentiert werden insgesamt rund 150 druckgraphische Werke des bedeutenden französischen Malers, die ursprünglich aus einer Pariser Privatkollektion stammen.

hieß es unmittelbar vor der Eröffnung der Ausstellung. Die Ausstellung ist dienstags, mittwochs und freitags von 14 bis 18 Uhr, donnerstags von 14 bis 20 Uhr sowie samstags und sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Internet: www.kunstmuseum-ahlen.de Klingenmuseum Solingen zeigt Ausstellung zu Brieföffnern Solingen - „Brieföffner - Ein Beitrag zur Schreibkultur“ lautet der Titel einer Ausstellung, die ab dem 21. November im Klingenmuseum der Stadt Solingen zu sehen sein wird. In Zeiten, als Briefe und Depeschen noch die wichtigsten Kommunikationsmittel waren, entwickelte sich - mit der Erfindung des Briefumschlags - der Brieföffner zu einem beliebten und liebevoll gestalteten Gegenstand, hieß es am Donnerstag in einer Ankündigung der bis zum 10. April nächsten Jahres laufenden Schau. Zu sehen sind rund 300 Exponate, welche die Geschichte der Brieföffner zwischen 1850 und heute zeigen. Die Präsentation geschieht nach Museumsangaben in Zusammenarbeit mit einem Sammler und der Fachhochschule Düsseldorf. Diese steuert für die Ausstellung studentische Projekte zu Brieföffner-Entwürfen bei.

Georges Braque, Amaryllis, 1958

Bei den Exponaten handelt es sich um zumeist farbige Lithographien, Radierungen, illustrierte Malerbücher sowie einige seltene Keramiken. Seit den frühen 1920er Jahren hat sich Braque intensiv mit den künstlerischen Möglichkeiten der druckgraphischen Verfahren beschäftigt. Insbesondere im Medium der Lithographie offenbaren sich nach Angaben der Kuratoren das koloristische Talent des Künstlers und seine einzigartige Bildsprache, die sich in umfangreichen Werkfolgen und zyklischen Themenvariationen artikuliert. Picasso und Braque lernten sich 1907 in Paris kennen. Insgesamt sechs Jahre dauerte die einzigartige, sich gegenseitig befruchtende künstlerische Zusammenarbeit des Spaniers und des Franzosen,

Brieföffner

Die Ausstellung ist täglich (außer montags) von 10 bis 17 Uhr und freitags von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Internet: www.klingenmuseum.de Die Etrusker - Die Entdeckung ihrer Kunst seit Winckelmann Museum August Kestner Hannover zeigt die Geschichte der Erforschung der Kunst und Kultur der Etrusker Hannover - Die Kunst und Kultur der Etrusker fasziniert das Publikum bis heute, wie der Erfolg verschiedener anderer Ausstellungen zu diesem Thema

Johann Joachim Winkelmann

in den vergangenen Jahren verdeutlicht. Im Unterschied zu diesen Ausstellungen widmet sich das Museum August Kestner vom 25. November 2010 bis 27. Februar 2011 der Entdeckung und Erforschung der oft rätselhaften Kunst der Etrusker seit dem 18. Jahrhundert. Durch die umfangreichen Publikationen etruskischer Denkmäler von Thomas Dempster (1579-1629) und Francesco Gori (1691-1757) und durch die Gründung der Etruskischen Akademie in Cortona erfuhr ihre Erforschung einen großen Aufschwung. In seiner „Geschichte der Kunst des Altertums“ (1764) hat Johann Joachim Winckelmann (17171768) erstmals versucht, die Entwicklung der etruskischen Kunst und ihre Stilperioden darzustellen. Viele Fragen wurden in dieser Zeit gestellt: So die nach dem Fundort und damit, ob alles, was in der Toskana gefunden wurde, etruskisch sei; gefragt wurde erstmals nach der Herkunft der in Etrurien, aber auch in Kampanien gefundenen griechischen Vasen, die bisher als etruskisch galten, ebenso wie die Frage nach den Unterschieden zwischen dem archaischen Stil der Griechen und der Etrusker sowie der römischen Nachahmung. Die Ikonographie etruskischer Götter und der Mythen in ihrem Verhältnis zu den griechischen wurde untersucht und erste bemalte Gräber mit wunderbaren etruskischen Wandmalereien freigelegt. Die im 18. Jahrhundert diskutierten

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Kulturnotizen Fragen werden in der Ausstellung im Licht der heutigen Forschung beleuchtet und mit zahlreichen Denkmälern veranschaulicht, die aus der Sammlung August Kestners stammen, der bereits im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts selbst in Etrurien gegraben hat. Weitere Informationen unter: www.kestner-museum.de „Fuß gefaßt ?“ Ein großformatiges Gemälde „Fuß, grün-blau“ der Wuppertaler Künstlerin Doris Oberschachtsiek konfrontiert Passanten und Autofahrer mit dieser Frage. Dazu haben Barbara Held und Boris Meißner in einer gemeinsamen Kunst-

und empfahl Besuchern am späteren Nachmittag oder abends zu kommen, um lange Wartezeiten zu vermeiden. Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags bis 20 Uhr und freitags bis 22.30 Uhr geöffnet. Die Schau zeigt rund 80 Gemälde der berühmtesten Impressionisten wie Manet und Pissarro, Monet und Renoir und der bedeutendsten Zeitgenossen wie Caillebotte, Luce oder Goeneutte. Zugleich konzentriert sie sich mit 125 Fotografien der Zeit, darunter Meisterwerke von Gustave Le Gray, Edouard Baldus, Charles Marville, Henri Rivière oder Eugène Atget auf die entscheidenden Momente der Stadtfotografie.

Grauwackesteinen verblendet, wurde am Todestag des Reformators Calvin, am 27. März 1869 eingeweiht. Zur Ausstattung der Kirche gehört die 1967 eingebaute Karl-Schuke-Orgel, die zu den klangschönsten und mit 54 Registern auch zu den größten der Region gehört. Die Immanuelskirche erhielt in den 1930er Jahren besondere Bedeutung als ehemalige Gemeindekirche der 1702 gegründeten Evangelisch-reformierten Gemeinde Barmen-Gemarke im Kampf der Bekennenden Kirche gegen den Nationalsozialismus.

Fuß gefasst

Camille Pissarro Avenue de IOpéra soleil matinée dhiver

Aktion mit der benachbarten Städtischen Katholischen Grundschule Wichlinghausen bunte Fußabdrücke von 21 Kindern gefertigt. Sie hängen im zweiten Schaufenster des Heine-Kunst-Kiosk und sind Auftakt zur nächsten Installation „ANGEKOMMEN in WUPPERTAL“ ab Mitte Dezember. „Fuß gefaßt ?“ eine ebenso eindringliche wie notwendige Frage nicht an Wichlinghauser und Oberbarmer gestellt. So verweisen die Namen der Kinder (9 bis 11 Jahre alt) in schönster Aktualität auf die lokale Bevölkerungsvielfalt. www.b-held-kunst.de www.bbk-bergischland.de

Die Ausstellung ist noch bis zum 30.1.2011 zu sehen. Internet: www.museum-folkwang.de

Kunstmuseum Mülheim/Ruhr würdigt Max Ernst und Frankreich Mülheim/Ruhr - Aus Anlass der Ausstellung Transfer France-NRW stellt das Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr ab dem 21. November den Künstler Max Ernst als Grenzgänger vor. Die Schau mit dem Titel „Max Ernst und Frankreich“ läuft nach Angaben des Museums vom Donnerstag bis zum 9. Januar kommenden Jahres. Ernst habe den fruchtbaren Austausch mit Frankreich gesucht, hieß es vor dem Start der Ausstellung. So verließ der Künstler 1922 Köln, um nach Paris umzusiedeln und sich dort den Surrealisten zuzuwenden. 1953 kehrte er aus Amerika wieder nach Frankreich zurück. Ergänzt um ausgewählte Leihgaben werden in der Schau drei Werke von Ernst vorgestellt, die in Frankreich entstanden und mit der Entdeckung neuer Techniken und Themen verbunden sind. So wird die 1924 in der Bretagne zufällig entwickelte Technik der Frottage erstmals in den Blättern der „Histoire Naturelle“ angewendet. Eine Hommage an den Astronomen Ernst Wilhelm Leberecht

„Bilder einer Metropole - Die Impressionisten in Paris“ Essen - Die Ausstellung „Bilder einer Metropole - Die Impressionisten in Paris“ im Essener Folkwang-Museum wurde gut vier Wochen nach ihrer Eröffnung bereits von 100.000 Besuchern gesehen. Die Zahl ist seither kräftig gestiegen. Das Museum wies auf die großzügigen Sonderöffnungszeiten hin

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Weitere 100.000 Euro Denkmalschutzmittel für Immanuelskirche Wuppertal/Bonn - Mit weiteren 100.000 Euro unterstützt die Deutsche Stiftung Denkmalschutz die Restaurierungsarbeiten an der Wuppertaler Immanuelskirche. Der entsprechende Fördervertrag werde am kommenden Sonntag an den Trägerverein Immanuelskirche e.V. übergeben, teilte die Stiftung am Donnerstag in Bonn mit. Damit hat die Stiftung das Gotteshaus mit insgesamt 750.000 Euro bei der Sanierung gefördert. Nunmehr können auch die dringenden Arbeiten an der Umzäunung sowie der Abschluß der Fassadensanierung an der Ostseite und die Steinmetzarbeiten an den südlichen Seitenportalen fertiggestellt werden. Die dreischiffige Hallenkirche wurde von 1867 bis 1869 erbaut. Der neogotische Sandsteinbau, außen mit

Seit 1946 ist die Kirche Heimstätte der Kantorei Barmen-Gemarke, die sie heute auch besonders benutzt. Durch die Aufgabe der Kirchennutzung im Jahre 1981 drohte der Abriß, konnte aber verhindert werden. Seither wird die Kirche nach umfangreichen Sanierungsarbeiten von einem Trägerverein für Kulturveranstaltungen genutzt. Neben ihrer städtebaulichen Bedeutung gilt die Immanuelskirche auch als gelungenes Beispiel für die Umnutzung eines säkularisierten Sakralbaus.


Tempel, der den Planeten Maximiliana entdeckte, stellt das 1964 in Paris verlegte gleichnamige Mappenwerk dar. Die Ausstellung ist dienstags, mittwochs und freitags von 11 bis 17 Uhr, donnerstags von 11 bis 21 Uhr sowie samstags und sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Internet: www.kunstmuseum-mh.de Museum Abteiberg zeigt Kirchner, Heckel, Nolde und Beckmann Mönchengladbach - Das Museum Abteiberg in Mönchengladbach präsentiert seit Sonntag Zeichnungen und Graphiken von Max Beckmann, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Emil Nolde. Wie ein Sprecher des Museums mitteilte, handelt es sich um Arbeiten aus dem eige-

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Arp-Museum zeigt die Ausstellung „Traumanatomie“ Remagen - Das Arp Museum im Bahnhof Rolandseck in Remagen präsentiert ab dem 19. November die Ausstellung „Traumanatomie“. Der Dichter, Maler und Bildhauer Hans Arp (1886 bis 1966) war einer der bedeutendsten Vertreter der künstlerischen Avantgarde, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts innerhalb kurzer Zeit die Kunst für immer revolutionierte, hieß es in einer Vorankündigung der Schau. So war der Künstler Mitbegründer der Dada-Beweung und stand in den 1920er Jahren in engem Austausch auch mit den Surrealisten in Paris. Arp gilt zudem als Pionier der organisch-abstrakten Formensprache, die sich an der Metamorphose, an den stetigen Wachstums- und Wandlungsprozessen der Natur orientiert. Die bis zum 1. Mai kommenden Jahres laufende Schau lädt die Besucher ein, die unterschiedlichen Aspekte von Arps künstlerischem Schaffen zu entdecken. Mit etwa 100 Papierarbeiten, Reliefs und Plastiken setzt diese erste umfassende Sammlungspräsentation im Neubau des Museums gezielte Akzente. Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Internet: www.arpmuseum.org

Peter Krämer WP/StB

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nen Bestand der Graphischen Sammlung, die nach vielen Jahren erstmals wieder präsentiert werden. Die ausgestellten Werke entstanden in einem Zeitraum von etwa 15 Jahren, das früheste stammt aus dem Jahr 1909. Eine Ausnahme bildet der späte Holzschnitt „Drei Akte im Wald“ von Ernst Ludwig Kirchner, der im Jahr 1935 entstand. Die Ausstellung läuft bis zum 16. Januar nächsten Jahres. Das Museum ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Internet: www.museum-abteiberg.de

Ernst Ludwig Kirchner

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Tonleiter. Zeitgenössische Klassik im Skulpturenpark Waldfrieden Donnerstag, 16.12.2010 um 19:00 Uhr im Pavillon >NACHTSTÜCKE< Werke der zeitgenössischen Komponisten Huw Watkins (*1976), Toshio Hosokawa ( *1955), Jörg Widmann (*1973), George Crumb (*1929) und Detlev Glanert (*1960). Mit Ulrike Nahmmacher und Martin Roth (Violine), Nora Niggeling (Viola), Susanne Müller-Hornbach (Violoncello), Gerald Hacke (Klarinette) und Florence Millet (Klavier). Skulpturenpark Waldfrieden - Hirschstraße 12 - 42285 Wuppertal www.skulpturenpark-waldfrieden.de

Deutscher Kulturrat mahnt Erhalt der Bonner Oper an Bonn/Berlin - Der Deutsche Kulturrat in Berlin hat am Dienstag den Erhalt der Bonner Oper angemahnt. Er reagierte damit auf Äußerungen des Bonner Oberbürgermeisters Jürgen Nimptsch vom vergangenen Wochenende, das Bonner Opernhaus infolge der desolaten Finanzsituation der Stadt aufzugeben. Bonner Opernliebhaber könnten in die Nachbarstadt Köln fahren, um dort Opern zu sehen, hatte Nimptsch erklärt. Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, lehnte dies am Dienstag als „äußerst bedenklich“ ab. „Starke Städte brauchen starke KulturKraftwerke! In Zeiten der Finanzkrise muß die ein oder andere Stadt sicherlich ihren Gürtel enger schnallen. Allerdings dürfen solche Maßnahmen keinesfalls dazu führen, daß das kulturelle Profil einer Stadt immer stärker verwässert wird,“ so Zimmermann. Die Identität einer Stadt hänge nach seinen Worten unmittelbar mit ihren Kulturleistungen zusammen.

Tonleiter Nachstücke im Skulpturenpark Waldfrieden

NRW-Kulturministerin hält Landestheater für unverzichtbar Düsseldorf - NRW-Kulturministerin Ute Schäfer (SPD) hat die künstlerische Arbeit der vier nordrhein-westfälischen Landestheater in Castrop-Rauxel, Detmold, Dinslaken und Neuss als „unverzichtbar“ bezeichnet. Bei einem Treffen mit den Intendanten in Düsseldorf erklärte die Ministerin am 20. November, „als produzierende Häuser mit hohem ästhetischem Anspruch haben die

Die Nacht mit ihren reichhaltigen Facetten bildet den Spannungsbogen dieses Abends. Er beginnt in Huw Watkins Dream in einer meditativen Stimmung im Wechsel mit alptraumhaften Visionen und lässt dann alle klaren Zusammenhänge durch fratzenhafte Erscheinungen in Hosokawas Nacht Klängen verwischen. Eine Fieberfantasie kann in der Nacht eine noch viel größere Wirkung entfalten, vor allem, wenn sie von Jörg Widmann geschrieben ist, der diese Phantasie wie magnetisch auf einen Moment Schumann‘scher Musik zulaufen lässt und den Zuhörer zum Schluss verstört erwachen lässt. Detlev Glanert entlässt seinen Nachtschwärmer schließlich in eine expressive und sinnliche Nacht. TONLEITER - Zeitgenössische Klassik im Skulpturenpark Waldfrieden, am 16. Dezember 2010 mit Nora Niggling, Susanne Müller-Hornbach, Martin Roth, Florence Millet, Ulrike Nahmmacher und Gerald Hacke (v.l.n.r.).

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Landestheater große Bedeutung für das Land, für die jeweilige Stadt und zugleich für zahlreiche andere Kommunen, die keine eigenen Theaterangebote oder kein eigenes Theater haben.“ Durch starke Ensemblearbeit böten die Bühnen in all diesen anderen Städten ein Künstlerteam, mit dem sich das Publikum identifizieren könne. Laut Schäfer sind die vier Landestheater ein gutes Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit des Landes und der Kommunen. „Wir alle wissen: Das Miteinander von Land, Kreisen, Städten und Gemeinden ist für alle Kultureinrichtungen von großer Bedeutung. Daher haben wir uns im Koalitionsvertrag klar dazu verpflichtet, mit dem Stärkungspakt Stadtfinanzen die Basis für eine nachhaltige Entschuldung der Kommunen zu schaffen. Das wird auch den Theatern zugute kommen“, versicherte die Politikerin. In Nordrhein-Westfalen gibt es vier Landestheater, die Theater und kulturelle Bildung in die Kommunen und Gemeinden jenseits der städtischen Zentren bringen: das Westfälische Landestheater Castrop-Rauxel, das Landestheater Detmold, die Burghofbühne Dinslaken und das Rheinische Landestheater Neuss. Am 27. November erhalten die Landestheater den nationalen, undotierten Theaterpreis „Der Faust“ als Auszeichnung des Präsidenten der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste. Der Preis macht auf die Leistungskraft und künstlerische Ausstrahlung der Theater aufmerksam. Er wird vom Deutschen Bühnenverein gemeinsam mit den Bundesländern, der Kulturstiftung der Länder und der Akademie der Darstellenden Künste vergeben.

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