Die Liga - Frauenfußball in Deutschland

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DIELiga FRAUENFUSSBALL IN DEUTSCHLAND

// BUNDESLIGIST SGS ESSEN IM PORTRAIT // 11 JAHRE OBERHAUS

// ALEX POPP IM TIERPARK // NENN' MIR NE ALTERNATIVE

// INTERVIEW MIT ULRIKE GEITHE // UNTER VIER AUGEN

// WILDE'S NEUE HEIMAT // ZEIG HER, DEIN FREIBURG


Vorwort

// LIEBE FANS DES FRAUENFUSSBALLS // es ist soweit, Anpfiff für ein neues Magazin. DIELiga – ist das Ergebnis meiner Bachelorarbeit über Frauenfußball in Deutschland. Anstoß war der 8. Juni 2014 am Tag der LastMinute Meisterfeier des VfL Wolfsburg. Die Partie zog sich - bis im August Routinier Ulrike Geithe ins Spiel kam. Als Spielgestalter wurde im September der Bundesligist aus SGS Essen verpflichtet und ist seitdem Dreh- und Angelpunkt im zentralen Mittelfeld von DIELiga. Ein langer Pass in die Spitze landete direkt bei Alexandra Popp, Deutschlands Fußballerin des Jahres ­ 2014. Sie war tierisch gut drauf – nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz. Eine längere Spielunterbrechung wegen grober Unsportlichkeit sorgte im November 2014 für Aufregung, als mir mein gesamtes Fotoequipment gestohlen wurde. In Krisenzeiten wird einem erst richtig bewusst, wie wichtig es ist, ein gutes Team um sich zu haben. Damit meine ich all diejenigen, die mich unterstützt haben und für mich da gewesen sind. Einigen Menschen möchte ich an dieser Stelle meinen besonderen Dank aussprechen. Zuerst meiner ­Familie, insbesondere meiner Schwester Patricia. Dir widme ich meine Arbeit, weil ich nicht oft die passenden Worte finden konnte, um dir zu sagen, wie viel du mir bedeutest. Mama, du hast mich immer bedingungslos unterstützt, auch wenn du mich bestimmt lieber in einem sicheren Arbeitsverhältnis gesehen hättest. Egal wie viele Autos ich kaputt bekommen habe, wir haben das immer alles hinbekommen. Ich hab dich lieb. Papa, du fehlst. Oma, danke, dass ich deine weiche Seite doch noch einmal sehen durfte. Desweiteren danke ich Freddy, Änna, Julia, Saskia. Anika, du hast mich mit dem Layout sehr glücklich gemacht. Franzi, danke für deine Illustrationen. Daniel, danke für das Lektorat, Leni für deine Schulter. Dank gilt auch dem Kosfeld-Team und

Morwenna Dietz, sowie Dirk und Ina. Zu guter Letzt danke ich meinem ehemaligen Chef Christian Wyrwa. Ohne dich wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin. Mit dir habe ich einen echten Glücksgriff gelandet und danke dir für deine Geduld und dein Vertrauen. Zu Beginn der zweiten Hälfte kam mit U20 Weltmeisterin Manjou Wilde eine weitere Offensivkraft hinzu. Sie brachte neuen Schwung und belebte DieLiga sofort. Abpfiff im Februar 2015. Nach der WM ist vor der WM. Die Frauenfußball WM 2015 steht vor der Tür. Einige der hier vorgestellten Spielerinnen werden Sie mit Sicherheit in Kanada um den Titel kämpfen sehen. Ich danke allen, die es möglich gemacht haben, diese Arbeit zu realisieren. Ich habe alte Freunde wiedergetroffen und wunderbare neue Menschen kennenlernen dürfen. Ich bin stolz darauf, dass ihr alle Teil dieses Projektes seid. Danke an das Team und der Mannschaft der SGS Essen, speziell Markus, Kirsten, Detlef, Willi, Janina und Lisa. Liebe Ulli, dir würde ich auch nach Afrika folgen. Danke auch an Alex Popp und Manjou Wilde. Ihr alle habt mir sofort zugesagt und mich in meinem Vorhaben, Frauenfußball auch von einer anderen Seite zu zeigen, unterstützt. Ihr seid echte Vorbilder und großartige Persönlichkeiten. Herzlich, offen und hilfsbereit. Ihr geht morgens in die Uni oder zur Arbeit und steht abends auf dem Platz, um für das nächste Spiel zu trainieren. Euch gebührt so viel Anerkennung. Nicht nur in einem Zeitraum von vier Wochen, wenn eine WM oder EM gespielt wird, sondern auch, wenn ihr am Wochenende spielt. Fußball war für mich schon immer das Wichtigste und ihr habt mir gezeigt, warum das so ist und bleiben wird.


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Kapitänin Nadine Keßler präsentiert 5.000 Fans die Meisterschale am Wolfsburger Rathausplatz


// DIE BUNDESLIGA SAISON 2013 | 2014 //

AUSVERKAUFT

// SIDE KICKS // Die Bundesliga hat sich zu einer starken Marke entwickelt, die wahrgenommen wird. - Siggi Dietrich

JUBELTRAUBE

5.000 Fans feierten mit ihrem VfL zum Saisonabschluss vor dem Wolfsburger Rathaus das Double.

DEUTSCHLANDS BESTE

Wolfsburgs Stürmerin Alexandra Popp ist im vergangenen August zur „Fußballerin des Jahres 2014“ gewählt worden.

WELTFUSSBALLERIN

Nadine Keßler, Spielführerin der „Wölfinnen“, wurde im Januar 2015 in Zürich mit dem „Ballon d’Or“ ausgezeichnet.

LIGAREKORD

1.185 Zuschauer verfolgten in der vergangenen Saison durchschnittlich die Spiele in den Stadien.

TV-PRÄSENZ

140.000 Zuschauer schalteten ein, wenn Eurosport die Live-Spitzenspiele übertrug.

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Das „Endspiel“ um die Meisterschaft zwischen dem VfL Wolfsburg und dem 1. FFC Frankfurt verfolgten 12.464 Zuschauer im Wolfsburger Stadion am Elsterweg und damit so viele wie nie zuvor.


01 // FUSSBALL BEGLEITET MICH MEIN GANZES LEBEN, DENN DAS IST MEIN LEBEN // DIELiga traf Ulrike Geihte, Co-Trainerin der Bremer U14, U16 und U18 Landesauswahl in Duisburg. Die 52-jährige sprach über ihre fußballerischen Anfänge in den 70er Jahren, Zukunftsaussichten des Frauenfußballs im kleinsten Bundesland der Republik und erklärte uns,warum sie lieber anderen den Chefposten überlässt.


Ulrike Geithe 016 DIELiga

30 Jahre Fußball und immer noch nicht müde

Eine Frau, die mitten in der Nacht das Ballkleid gegen den Trainingsanzug tauscht, vier Stunden von Bremerhaven in den Osten der Bundesrepublik fährt, um am nächsten Morgen pünktlich um sieben Uhr am Frühstückstisch im Trainingslager zu sitzen, muss einen sehr verständnisvollen Ehemann haben - so verständnisvoll, dass er seiner Gattin höchstpersönlich dabei hilft, die Haarnadeln zu entfernen. Ulrike Geithe ist keine laute Person, niemand, der gerne im Mittelpunkt steht oder gar eine Berühmtheit im deutschen Frauenfußball. Sie arbeitet lieber im Hintergrund. Seit acht Jahren ist die gebürtige Hamburgerin die rechte Hand von DFB-Auswahltrainer Thomas Horsch. Gemeinsam sind die beiden für den Nachwuchs der besten Fußballerinnen des Bundeslandes Bremen verantwortlich. Die Aufgaben als Co-Trainerin sind klar verteilt: Bälle aufpumpen, Trainingsstationen vorbereiten, Spiele filmen – eben die Anweisungen vom Chefcoach ausführen. Mitunter fährt Geithe mit den Mädchen, beispielsweise während eines Länderpokalturniers, zum Shoppen. Darüber hinaus nimmt der pädagogische Teil die meiste Zeit in Anspruch. Ulli, wie die lockige Powerfrau genannt wird, betreibt ihr Trainer-Dasein aus Leidenschaft – fast - ehrenamtlich, denn ihr werden lediglich die Fahrtkosten vom Bremer Landesverband erstattet. Sie ist das,

was viele „fußballverrückt“ nennen. Schon damals als Spielerin war „der Terrier“ stets am Ball und bestritt erst mit 47 Jahren ihr letztes Pflichtspiel für den niedersächsischen TSV Düring. Heute profitieren die Nachwuchs-Kickerinnen von ihren 30 Jahren Erfahrung. Dabei steht die diplomierte Sozialpädagogin fest im Berufsleben, ist eine Globetrotterin, die ihre freien Tage gerne in Afrika verbringt, um an Hilfsprojekten teilzunehmen – natürlich in Verbindung mit Fußball. Bei 31 Urlaubstagen im Jahr geht die Hälfte nur für das runde Leder drauf. Für Ulrike aber spielt das keine Rolle. Sie sieht ihre Arbeit als Win-Win-Situation, weil sie junge, talentierte Spielerinnen fördert und die Freude an ihrem „Endprodukt“ genießt. So gelang ihrem ehemaligen Schützling Manjou Wilde der große Sprung. Sie durchlief alle Bremer U-Mannschaften und hat es bis nach oben geschafft. Im Sommer 2014 wurde sie mit der U20-Nationalmannschaft Weltmeisterin und wechselte vom Zweitligisten SV Werder Bremen in die Allianz Frauenfußball-Bundesliga zum SC Freiburg. Mit 52 Jahren kann sich Ulli noch überhaupt nicht vorstellen, ruhiger zu werden. Gemütliche Abende auf dem Sofa bleiben also weiterhin Wunschdenken für ihren Ehemann Hacky.

// ICH SOLLTE BITTE TANZSPORT ODER BALLETT BETREIBEN, ABER KEIN' FUSSBALL //


// DAMALS WAR ICH ALS FRAU EINE DER ERSTEN SCHIEDSRICHTERINNEN //

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Interview


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Interview


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Dominique Janssen Ina Lehmann Lea Schüller Lena Pauels Caroline Hamann Charline Hartmann Lara Masloch Margarita Gidion Irini Ioannidou Isabelle Wolf

// INTEAMZONE SGS ESSEN //

11 Jahre 1. Bundesliga – Ein Mannschaftsportrait

Kari Närdemann Isabel Hochstein Jil Strüngmann Janina Meißner Jaqueline Klasen Lena Ostermeier Lisa Weiß

Linda Dallmann Sara Doorsoun Sarah Freutel Vanessa Martini


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▶ Abendhimmel. Das Team hat sich zusammengefunden und bildet einen Kreis. Kari Närdemann wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht – ist dabei fokussiert auf die abschließende Ansprache ihres Trainers. "Wir haben am Sonntag mit den Frankfurterinnen einen schwierigen Gegner vor uns." Die letzte Begegnung der beiden Mannschaften liegt nicht allzu lange zurück. Im Pokalfinale 2014 in Köln unterlag die SGS dem Favoriten aus der Main-Metropole zwar mit 1:3, dennoch war eine ganze Stadt stolz auf ihr Team und feierte es, wie einen Sieger. Am Wochenende sind die Essenerinnen, trotz Heimvorteil, zwar erneut der Außenseiter, aber die gute Stimmung und das positive Gefühl, das sie aus den letzten Partien mitgenommen haben, sorgen für Euphorie. Die Mannschaft zeigt in jedem Training unbändigen Willen und Einsatzbereitschaft und hofft nun, ihre gute Ausgangslage gegen Frankfurt noch verbessern zu können. Mit 7:0 Toren aus den vergangenen beiden Partien ist das Selbstbewusstsein der Spielerinnen gestärkt, um für eine Überraschung sorgen zu können. ▶

// DIE MÄDELS SIND EINFACH SUPER. DAS MACHT SPASS, ZUZUSEHEN //


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// EIN GEBRAUCHTER NACHMITTAG // Ihr trauriger Blick wandert in Richtung Zuschauertribüne. Nach diesem Spiel wäre Lea Schüller, die 17-jährige Newcomerin des Jahres, am liebsten direkt in die Kabine verschwunden, dennoch werden sie und ihre Teamkolleginnen von den Fans unmittelbar nach der unerwarteten Niederlage wieder aufgebaut. "Wir sind stolz auf euch" steht auf dem großen Banner geschrieben, das der Essener Fanblock am Geländer platziert hat. So recht möchte momentan keine Spielerin begreifen, was sich noch vor wenigen Minuten auf dem Platz zugetragen hat. Ein einziger Schuss der Gäste führte zum Tor des Tages. Das bedeutet das Aus im Achtelfinale des DFBPokals. Das Aus gegen den vermeintlichen Underdog - den Zweitligisten vom FSV Gütersloh. Wieder einmal schreibt der Pokalwettbewerb seine eigenen Gesetze und hinterlässt am Ende enttäuschte Essenerinnen. Aufmunterungsversuche gab es nicht nur von den eigenen Zuschauern, selbst die Gäste aus Ostwestfalen scheinen an ihren Überraschungserfolg noch nicht richtig glauben zu können und spenden ihren Gegnerinnen Trost. Die SGS verpasst damit einen erneuten Einzug in das Pokalfinale im Kölner Rhein Energie Stadion und wird in der neuen Saison wieder angreifen. ▶

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▶ Am Wochenende wollten sich Högners Damen für die Niederlage gegen Frankfurt revanchieren, doch bereits in der ersten Hälfte sahen die Zuschauer im Stadion Essen an der Hafenstraße, dass es auch heute nicht gelingen würde. Die Gastgeberinnen lagen bereits nach der ersten Hälfte mit zwei Toren durch die Nationalspielerinnen Célia Šašić und Kerstin Garefrekes im Rückstand. Trotz einer deutlichen Leistungssteigerung endete die Partie mit dem gleichen Ergebnis wie noch vor ein paar Monaten. Keinen Grund für Trübsal, denn gegen den haushohen Favoriten hatten sich die Essenerinnen trotz des Heimvorteils ohnehin in der Rolle des Außenseiters gesehen.

// WIE EIN ROTER FADEN //

Auch nach den beiden darauffolgenden Spielen verließ die SGS den Platz als Verlierer und kassierte insgesamt sieben Gegentore gegen 1899 Hoffenheim und dem Deutschen Meister VfL Wolfsburg. Der fünfte Platz ist in Gefahr geraten, aber auch die direkten Konkurrenten ließen Federn, wodurch der alte Abstand vorerst gewahrt bleibt. An der Moral und der Einstellung hat diese Niederlagenserie nichts geändert - also kein Grund, sich aus der Ruhe bringen zu lassen. Die Essenerinnen trainierten weiter, um gegen den Tabellenführer aus München für eine Überraschung zu sorgen. Die Parole lautet "Mund abwischen, weitermachen." ▶


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Bereit f端r den Einsatz: Sara Doorsoun, Margarita Gidion und Irini Ioannidou


Die Mannschaft der SGS Essen-Schönebeck überwintert auf dem fünften Tabellenplatz. Mit der TSG 1899 Hoffenheim, SC Freiburg und USV Jena sitzt ihnen die Konkurrenz jedoch im Nacken. Dennoch verlief die Hinrunde der Allianz Frauen-Bundesliga Saison 2014 | 2015 sehr zufriedenstellend für den Verein. Markus Högner und seinem Team um Co-Trainerin Kirsten Schlosser, Gero Saurenhaus und Heiko Bias ist es gelungen, aus einer jungen Mannschaft ein funktionierendes Gefüge zu bilden, das Niederlagen wegsteckt und nach Siegen auf dem Boden bleibt. Mit der konsequenten Einstellung, jeden Gegner besiegen zu wollen, unendlicher Willenskraft, kämpferischer Leidenschaft und der nötigen Portion Ehrgeiz haben sich die Spielerinnen im oberen Tabellendrittel festgesetzt. Die Gründe für den sportlichen Erfolg liegen für den Chefcoach vor allem im Team-Spirit. "Ohne Teamgeist geht es nicht – ein funktionierendes Team ist das A und O, da bleibt kein Platz für persönliche Eitelkeiten."

// EINEN PLATZ IM OBEREN DRITTEL //

Am Ende der Saison erhofft sich der 48-Jährige "einen Platz im oberen Tabellendrittel." Trotz einer soliden Hinrunde bleibt man in Essen auf dem Boden der Tatsachen. Wie in jedem Jahr gilt es zum Anfang der Saison zuallererst "die magischen 20 Punkte" zu erreichen. Das sollte gelingen – nicht nur mit Teamgeist, sondern auch mit den für Markus Högner drei wichtigsten Bausteinen: Technik, Taktik und Fitness. ▶

// UND AM ENDE … LACHT DIE SGS //

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▶ Schlusspfiff. Nach 95 quälenden Minuten erlöst Schiedsrichterin Katrin Rafalski die Akteurinnen auf dem Platz. Erschöpft, aber überglücklich liegen sich die Essenerinnen in den Armen. Am Ende trotzten sie mit viel Kampfgeist, Ehrgeiz und Leidenschaft dem Tabellenführer aus München ein Unentschieden ab. "Ihr habt eine klasse Leistung gezeigt, ich bin stolz auf euch. Wir haben heute von Anfang an dagegen gehalten und den Fans einen tollen Nachmittag bereitet", zeigt sich Markus Högner erfreut über das 0:0 seines Teams. 1.211 Zuschauer fieberten trotz Eiseskälte mit ihren Damen in den schwarzen Trikots mit und wurden nicht enttäuscht. Am Ende genossen die Spielerinnen das Bad in der Menge und ließen sich gebührend feiern. Mit diesem Ergebnis hatten anscheinend nicht einmal die Pressevertreter gerechnet und nahmen Coach Markus Högner auf der anschließenden Pressekonferenz ins Verhör. Dieser zeigte sich nach einem "verkorksten Oktober" begeistert von der Moral seiner Truppe.


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▶ Schon auf dem Weg zu dem kleinen, hölzernen Bauwagen, in dem sich Alex Popp vor Arbeitsbeginn umzieht, wandert ihr Blick ständig in die Gehege der Tiere, um nach dem Rechten zu sehen. Um acht Uhr beginnt ihr heutiger Arbeitstag im Tierpark Essehof. "Ich bin seit sechs Uhr unterwegs und komme gerade direkt von der Physiotherapie." Zeit für eine kurze Erholungspause gibt es für sie erst um 14 Uhr. Seit ihrem Wechsel vom FCR Duisburg zum VfL Wolfsburg 2012 absolviert die 23-jährige Fußballerin zeitgleich eine Ausbildung zur Zootierpflegerin auf dem rund vier Hektar großen Gelände nahe Braunschweig.

// PAVIANE, KÄNGURUS, ERDMÄNCHEN MÜSSEN VERSORGT WERDEN // Känguru und Co. versorgt sein. Ein Beruf, der genau wie im Fußball, körperlich alles von einem abverlangt. Später, am Feierabend lässt es Alex ruhig angehen, viel Zeit für Privates hat die gebürtige Wittenerin ohnehin nicht. "Momentan haben wir zwar Winterpause im Verein, aber für die Tiere gibt es keine freien Tage. Morgen bin ich wieder hier. Am Ersten Weihnachtstag habe ich frei und werde nach Hause zu meiner Familie fahren." Ganz anders sieht es aus, wenn Alex in der Bundesliga für ihre Mannschaft auf Torjagd geht, denn in erster Linie ist sie eines - Fußballprofi. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Nicht für Alex Popp. "Im Sommer arbeitest du hier bis 19 Uhr - danach bist du echt tot". Während der Saison sieht ihr Tagesablauf wie folgt aus: Um 8.30 Uhr steht die erste Trainingseinheit auf dem Programm. Danach geht es bis zum späten Nachmittag in den Tierpark, um direkt im Anschluss wieder mit der Mannschaft trainieren zu können "was der Körper aushalten kann, ist echt Wahnsinn", meint sie mit einem Lächeln. Warum tut sich Alex das an, könnte sie doch von ihrem Beruf als Fußballspielerin gut leben. "Nenn‘ mir mal ‘ne Alternative". Genau diese gibt es für die meisten Frauen in der Bundesliga nach dem Karriereende nicht. Nur vereinzelt können ehemalige Spielerinnen wie Steffi Jones oder Nia Künzer im Anschluss ihrer aktiven Profizeit vom Fußball leben. Eine Absicherung für die Zukunft also. ▶

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In der kleinen Küche hat sie kurz Zeit, um den Tagesablauf mit ihren beiden Kollegen Norman und Marina zu besprechen. Einen Tag vor Heiligabend ist das Team heute für die Versorgung der Kleintiere zuständig. Jeder Handgriff sitzt. Obst und Gemüse sind schnell kleingeschnitten, danach mistet Alex die Ställe aus und harkt das Laub zusammen. Der regnerische Dezember hinterlässt täglich seine Spuren. Nachdem sie die vollgeladene Schubkarre geleert hat, können endlich die Tiere gefüttert werden, die jedes Mal laut protestieren, wenn Alex von einem Gehege zum nächsten eilt. "Alles passiert hier im Laufschritt", denn bis zum Mittag wollen Pavian, Erdmännchen,


// TIERPARK ESSEHOF //

Im Tierpark hingehen sieht Alex, welche Kämpfe die Erdmännchen schon wieder unter sich ausgetragen haben. Verletzungen gehören auch in der Tierwelt zum täglichen Geschäft. Genau wie im Spiel ist sie auch im Umgang mit den Tieren voll konzentriert, selbst, wenn tags darauf bereits die nächste Champions League-Partie stattfindet. Ihr Arbeitstag ist stressig und läuft nach einem straffen Zeitplan ab. Dennoch nimmt sich Alex Zeit für die Besucher des Parks, beantwortet Fragen oder hört sich Geschichten von Zoo-Erlebnissen anderer Menschen an – ganz geduldig. "Spielen Sie Fußball? In Wolfsburg?" Mitunter kommt es vor, dass Alex nicht über die tierischen Bewohner, sondern über sich selbst Auskunft gibt. "Ab und an kommen Gäste nur wegen mir. Einige Fans sind ganz nervös, wenn sie mir eine Frage stellen. Ich kann das gar nicht verstehen", lächelt sie und füttert dabei unaufgeregt die Bisamratten, die sich schon um sie herum versammelt haben. Eigentlich steht in diesem Jahr ihre Abschlussprüfung an, doch in Anbetracht des Turniers verlängert sie ihre Ausbildung freiwillig um ein weiteres Jahr," danach werde ich mich nur dem Fußball widmen." ▶

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▶ Das ist auch für ihren Arbeitgeber keine einfache Situation, denn er muss die ständigen Fehltage akzeptieren, da sich beide Berufe anders nicht miteinander vereinbaren lassen. "Die Ausbildung habe ich dem Verein zu verdanken, der hat sich darum gekümmert." Ein großer Zoo, wie in Hannover, hat diese Art des Arbeitsverhältnisses nicht hingenommen und von vornherein auf ein Engagement Popps verzichtet. In diesem Jahr wird ihr Arbeitgeber Gregor Wilhelm wahrscheinlich vier Wochen ohne seine Auszubildende auskommen müssen, wenn diese mit der Nationalmannschaft bei der FIFA Frauenweltmeisterschaft in Kanada um den dritten deutschen Titel kämpft.


Interview

...den Verdienstunterschied zwischen Männern und Frauen im Fußball. Das ist keine Belastung. Wir verdienen ja auch nicht schlecht. Den Vergleich sollte man gar nicht ins Auge fassen. Grundsätzlich sind es zwei verschiedene Sportarten. Männer haben eine ganz andere Athletik, sind körperlich ganz anders aufgebaut als wir. Dementsprechend schauen wir da nicht mehr drauf. Wir sind schon auf einem guten Weg und verdienen ganz gut. Dementsprechend ist es dann auch egal, was die Männer kriegen.

// ALEXANDRA POPP ÜBER... //

Wie schaffe ich das? Wie schafft mein Körper das, ist eher die Frage. Ich bin sowohl dem Verein als auch meinem Chef im Tierpark total dankbar, dass sie mir es überhaupt ermöglichen. Das ist nicht selbstverständlich, aus betrieblicher Sicht hier im Tierpark. Ich bin wirklich oft weg, meine Kollegen müssen oft zurückstecken, wenn ich nicht da bin und/oder mich sonntags bei einem Spiel verletze und die Woche über eigentlich hier eingeplant bin. Das ist natürlich nicht so einfach. Ich kann mir vorstellen, dass mein Ausbilder oft im Dreieck springt. Ich fahre zweimal am Tag zum Training. Morgens um halb neun, danach zur Arbeit in den Tierpark und am Abend wieder zum Training. Da steht natürlich das volle Programm auf dem Plan - aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier, das funktioniert irgendwie.

...die Entscheidung, lieber Fußballprofi oder lieber Tierpflegerin zu sein. Wenn ich meine Ausbildung fertig habe, konzentriere ich mich erst mal auf den Fußball, aber ich kann mir definitiv vorstellen, danach wieder in den Beruf einzusteigen. Oder sogar zwischenzeitlich mal wieder reinzuschnuppern, um den richtigen Draht zu dieser Arbeit nicht zu verlieren, der viel an Erfahrung erfordert. ...die Wahrnehmung des Frauenfußballs nach der WM 2011 in Deutschland. Es hat schon einen Aufschwung gegeben, aber ich glaube, dass man sich mehr erhofft hat. Ein Spiel in der Allianz Frauen–Bundesliga ist bei Eurosport immer vertreten. Dafür ist man dem Sender auch unfassbar dankbar. Wenn es Topspiele, mittlerweile auch von München, Frankfurt, Potsdam oder uns sind, sind regionale Fernsehsender auch vertreten. Da hat sich schon definitiv etwas getan, aber das ist eigentlich noch zu wenig. Ich glaube, wir haben in der Welt eine der besten Ligen, und da ist das natürlich schade.

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...die Vereinbarung zwischen dem Beruf Fußballprofi und der Ausbildung zur Tierpflegerin.


04 // WILDES FREIBURG //


▶ Freiburg gilt als die Stadt mit den meisten Sonnenstunden im Jahr. „Gestern hat hier den ganzen Tag die Sonne geschienen“, versichert uns Manjou Wilde und erklimmt den Schlossberg im strömenden Regen. Ausgerüstet mit „wetterfester“ Bekleidung - Plateauschuhen, blauer Röhrenjeans und einem grauen Mantel – eilt sie zügigen Schrittes den schmalen, matschigen Pfad bergauf, um uns ihre neue Heimat von oben zu zeigen. „Wir laufen hier mindestens ein- bis zweimal die Woche hoch, wenn wir Training haben“, so Manjou, die den Bremer Osterdeich im Sommer gegen den Schwarzwald eingetauscht hat.

Im Extrablatt haben wir es uns gemütlich gemacht. „Wir kommen mit der Mannschaft oft hierher, viele andere Cafés kenne ich auch noch nicht“, gesteht Manjou und erzählt uns, wie es ihr in den ersten Monaten in der neuen Umgebung ergangen ist. Bis zum Sommer vergangenen Jahres war Bremen ihr Zuhause. In der Hansestadt ist sie aufgewachsen, dort schnürte sie zum ersten Mal ihre Fußballschuhe. „Ich glaube, dass ich dieses Heimatgefühl in Freiburg auch bekommen kann, wenn ich länger hier bin, aber das ist natürlich etwas anderes.“ Auf der einen Seite war der Umzug in das 700 Kilometer entfernte Freiburg eine schwierige Entscheidung, da sie Familie

// MIT MANJOU UNTERWEGS IM BREISGAU //

und Freund nun nur noch selten zu Gesicht bekommt, auf der anderen Seite bereut sie ihre Entscheidung nicht und konzentriert sich momentan nur auf den Fußball. „Ich wollte mir ein Jahr Zeit nehmen, bevor ich mich für meine berufliche Zukunft entscheide“, so Manjou, die im Alter von 17 Jahren ihr Abitur machte und sich sowohl für Psychologie als auch für die Arbeit als Immobilienmaklerin interessiert. Im Sommer 2014 ist sie mit der U20-Nationalmannschaft, die von Maren Meinert trainiert wird, in Kanada Weltmeisterin geworden. Damit feierte sie ihren bislang größten Erfolg. „Es war schön, mit der Mannschaft zusammen zu wachsen. Sportlich und menschlich war es super.“ Nun in Freiburg trifft sie mit ihrer Mitspielerin Sara Däbritz auf eine alte Bekannte aus diesem Team. Anders als Manjou lief Däbritz, die im Sommer zum FC Bayern wechseln wird, bereits für die A-Nationalmannschaft von Bundestrainerin Silvia Neid auf. Manjou allerdings, sieht in ihrer Kollegin keine Konkurrentin, sondern vielmehr einen Ansporn, sich immer verbessern zu wollen. Auch in ihrem neuen Verein kommt die Mittelfeldakteurin immer besser in Fahrt. „Nach der WM war ich ein bisschen ausgepowert und habe anfangs nicht viel gespielt, da mich der Trainer noch nicht gut kannte. Mittlerweile bekomme ich meine Einsatzzeiten“, lächelt sie und schaut durch das Fenster hinaus auf die Dreisam, die entlang des Cafés fließt. Zu Fuß geht es weiter in die Freiburger Altstadt, das einzige, was Manjou an Bremen erinnert - abgesehen vom unermüdlichen Regen. „Das Wetter habt ihr doch mitgebracht, oder?“ Nein, das nicht, aber Hunger haben wir. Vorbei an den typischen Bächle, die an die historische Geschichte der Stadt erinnern, geht es zum Uni-Döner, ▶

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Zur neuen Saison wechselte sie vom Zweitligisten Werder Bremen in die Allianz Frauen-Bundesliga zum SC Freiburg. Zuvor hatte die 19-Jährige das Interesse mehrerer Vereine geweckt, unterschrieb letztendlich jedoch einen Zwei-Jahres-Vertrag beim Club aus dem Breisgau. „Ich habe mir mehrere Vereine angeschaut, Freiburg hat eine junge Mannschaft, ich bin noch jung und unerfahren und es hat einfach gepasst“, begründet Manjou ihre Entscheidung.


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082 DIELiga Mit diesen Worten begründete der DFB 1955 einst das Verbot des professionellen Frauenfußballs, das erst 1970 aufgehoben wurde. Wir baten Manjou Wilde uns, zum Abschluss der ersten Ausgabe von DIELiga, eine passende Antwort auf dieses Zitat zu geben.

// IM KAMPF UM DEN BALL VERSCHWINDET DIE WEIBLICHE ANMUT, KÖRPER UND SEELE ERLEIDEN UNWEIGERLICH SCHADEN, UND DAS ZURSCHAUSTELLEN DES KÖRPERS VERLETZT SCHICKLICHKEIT UND ANSTAND //


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