Arbeitgeber aktuell - Sonderausgabe zur Festveranstaltung am 16. Oktober 2018

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SONDERAUSGABE zur Festveranstaltung am 16. Oktober 2018

erfolgreich in die Zukunft Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier | Ingo Kramer | Reiner Hoffmann | Hubertus Heil | Frank Bsirske | Dr. Rainer Dulger | Dr. Andreas Eurich | Jörg Hofmann | Muriel Pénicaud | Dr. Bettina Volkens | Erol Kiresepi | Michael Vassiliadis | Susanna Camusso | Peter Altmaier


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SONDERAUSGABE FESTVERANSTALTUNG „100 JAHRE SOZIALPARTNERSCHAFT“

Heute feiern wir 100 Jahre #Sozialpartnerschaft mit dem Bundespräsidenten & vielen weiteren Gästen aus Wirtschaft & Politik. #Arbeitgeberpräsident Kramer: Müssen Sozialpartnerschaft für die Herausforderungen im 21. Jahrhundert weiterentwickeln. @dgb_news #Sozialpartner100


ARBEITGEBER AKTUELL

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PROGRAMM 11:00 Uhr Eröffnung

Ines Arland, Moderatorin

11:10 Uhr Festrede

Dr. Frank-Walter Steinmeier, ­Bundespräsident

11:25 Uhr Gespräch

Reiner Hoffmann, Vorsitzender Deutscher Gewerkschaftsbund Ingo Kramer, Präsident der Bundes­vereinigung der Deutschen ­Arbeit­geberverbände

14:45 Uhr Themenblock II: Sozialpartnerschaft im internationalen Vergleich Impuls

Muriel Pénicaud, Französische ­Arbeitsministerin

Panel II

uriel Pénicaud, Französische M ­Arbeitsministerin Dr. Bettina Volkens, Präsidentin ­Arbeit­geberverband Luftverkehr Erol Kiresepi, Präsident International ­Organisation of Employers Michael Vassiliadis, Vorsitzender ­Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie Susanna Camusso, Generalsekretärin ­Confederazione Generale Italiana del Lavoro

anschließend: Diskussion Moderation: Ines Arland

Mittagspause

13:30 Uhr Themenblock I: Tarifbindung – Herausforderungen und Chancen Impuls

ubertus Heil MdB, Bundesminister H für Arbeit und Soziales

Panel I

Hubertus Heil MdB, Bundesminister für Arbeit und Soziales Frank Bsirske, Vorsitzender Vereinte Dienstleistungs­gewerkschaft Dr. Rainer Dulger, Präsident Gesamtmetall Dr. Andreas Eurich, Vorsitzender Arbeit­geberverband der Versicherung­s­ unternehmen in Deutschland Jörg Hofmann, Vorsitzender Industrie­gewerkschaft Metall

Moderation: Dr. Ursula Weidenfeld

Moderation: Ines Arland

16:00 Uhr Ausblick

eter Altmaier MdB, Bundesminister P für Wirtschaft und Energie

16:15 Uhr Ausklang


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SONDERAUSGABE FESTVERANSTALTUNG „100 JAHRE SOZIALPARTNERSCHAFT“

BUNDESPRÄSIDENT DR. FRANK-WALTER STEINMEIER Festrede in Auszügen […] Hier, an diesem historischen Ort, erinnern wir heute an ein wahr­ haft historisches Ereignis in der Ge­ schichte unseres Landes. Ich be­ fürchte, es sind nicht mehr viele in Deutschland, die wissen, wofür Stin­ nes und Legien und das Abkommen, das sie miteinander geschlossen ha­ ben, stehen. Es ist nichts weniger als das: der Beginn der deutschen So­ zialpartnerschaft und der Anfang der Tarifautonomie vor fast 100 Jahren.

Mit dem Abstand von 100 Jahren können wir mit Fug und Recht fest­ halten: Der Grundstein der erst spä­ ter so genannten und viel gelobten Sozialpartnerschaft wurde in revolu­ tionären Zeiten gelegt. Das Abkom­ men war ein politischer Akt in jenen Wochen, in denen die Grundlagen des Zusammenlebens in unserem Land, vier Jahre nach Kriegsbeginn und 70 Jahre nach 1848, noch einmal vollständig neu verhandelt wurden.

Wir erinnern uns an den ganz we­ sentlichen Beitrag dieser Partner­ schaft zum Wohlstand und zum friedlichen Zusammenleben und da­ mit auch zur Demokratie in Deutsch­ land – heute und morgen. Zugleich denken wir zurück an den langen, nicht immer einfachen Weg dieser Partnerschaft. An einen Weg, der in Krieg und Revolution begann, der durch Unterdrückung und Diktatur führte, durch den Untergang der ersten Demokratie und der erst in der zweiten zu einem Weg der ech­ ten, dauerhaften Zusammenarbeit wurde. […]

Die Protagonisten von damals, sie wurden in ihrer Rolle und Funk­ tion fast zu Prototypen stilisiert. Auf der einen Seite der Montanmagnat Hugo Stinnes, erst vom Künstler George Grosz als „heimlicher Kai­ ser“ und Abziehbild des unmensch­ lichen Kapitalisten karikiert, später durch die Nationalsozialisten als elitenfeindliche Projektionsfläche missbraucht. Und auf der anderen Seite Carl Legien, moderater sozial­ demokratischer Abgeordneter und Gewerkschaftsfunktionär, der auf der einen Seite radikal-revolutionäre Forderungen aus Teilen der Arbei­

terschaft abzuwehren hatte, auf der anderen aber mit dem restaurativen Widerstand des alten Regimes rang. […] Zum ersten Mal wurde damals ein zentrales Gremium für die Zusam­ menarbeit der Sozialpartner ge­ schaffen, die sich 1918 natürlich noch lange nicht so nannten. Die „Zentrale Arbeitsgemeinschaft“, so hieß das Gremium, überwölbte alle Industriesparten und sollte grund­ legende Fragen beantworten – etwa die nach der täglichen Höchst­ arbeitszeit. Damit schufen Arbeit­ geber und Arbeitnehmer etwas, das es bis dahin in Deutschland nicht gegeben hatte – und das bis heute auf der ganzen Welt nicht häufig zu finden ist: eine allgemeinverbind­ liche, freiwillige wirtschaftliche und soziale Regelungsebene zwischen staatlich-rechtlicher Regulierung und der Vertragsfreiheit des freien Marktes. Auch das war eine Art von Revolution und zugleich eine wich­ tige Wegmarke für die Entwicklung einer sozialen Marktwirtschaft, eines

#Bundespräsident Steinmeier: #Sozialpartner leisten wesentlichen Beitrag zum Wohlstand & friedlichen Zusammenleben, damit auch zur #Demokratie in Deutschland. #Sozialpartner100 @dgb_news


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starken Fundaments der Demokratie in unserem Land! […] Das tägliche Miteinander in den Be­ trieben und Unternehmen, die Ver­ ständigung auf verträgliche Arbeits­ bedingungen und das friedliche Aushandeln von Konflikten – ganz überwiegend ohne Streik und Aus­ sperrung –, darauf verlassen sich viele in diesem Land. Ich habe das in meinem politischen Leben mehr als einmal erlebt. Denken Sie nur an die größte Wirt­ schaftskrise der vergangenen Jahre, vom Zusammenbruch der Invest­ mentbank Lehman Brothers in Ame­ rika bis zur Dramatik der Staats­ schuldenkrise in Europa. Diese Krise hatte enorme Auswirkungen auch auf die deutsche Wirtschaft, von den Banken über die Dienstleister bis hi­ nein in den Mittelstand und die klas­ sische Industrie. Familien mussten um ihre Existenz fürchten, Unterneh­ mer um ihr Lebenswerk. Es drohten Arbeitslosigkeit und eine jahrelange Depression. Ich habe 2008 und 2009

#Bundespräsident Steinmeier: Wir profitieren gerade in wirtschaftlichen Krisen von einer starken #Sozialpartnerschaft. Ohne kluge Ideen der #Sozialpartner wären wir 2009 tiefer in die Krise gerutscht & hätten nicht so schnell zu #Wachstum zurückgefunden. #Sozialpartner100

in anderer Funktion oft Besuch von Vorstandsvorsitzenden in Beglei­ tung ihrer Betriebsräte bekommen, die die Sorge um den Betrieb und die Arbeitsplätze, manchmal gar um ganze Wirtschaftszweige, einte. Für mich ist klar: Ohne die klugen Ideen und das besonnene Verhalten der Sozialpartner, der Arbeitgeber wie der Gewerkschaften, ohne Be­ schäftigungsgarantien, Kurzarbeitergeld und Lohnzurückhaltung, ohne all das wären wir – wie andere –

noch viel tiefer in diese Krise ge­ rutscht – und wir hätten nicht halb so schnell zu Stabilität und Wachs­ tum zurückgefunden! Dafür möch­ te ich Ihnen allen an dieser Stelle im Namen unseres Landes großen Dank aussprechen!


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Wir sollten heute auch nach vorne schauen. Wenn die Sozialpartner­ schaft gelebte Demokratie ist und wenn uns diese Demokratie am Herzen liegt, dann müssen wir doch zweierlei schaffen: Wir müssen ers­ tens eine Vorstellung von den Auf­ gaben der Sozialpartnerschaft in den kommenden Jahrzehnten entwi­ ckeln und uns zweitens ganz konkret um den Erhalt der Grundlagen die­ ser Partnerschaft kümmern, damit sie unter veränderten Bedingungen ihre Wirksamkeit behält. Beim ersten Punkt geht es um die Frage: Welche Rolle kommt der konstruktiven Zusammenarbeit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern in Zukunft zu? Wir alle erwarten doch in den kommenden Jahrzehnten eine gewaltige Veränderung unse­ rer Arbeitswelt. Von Berufsbildern über Ausbildungs- und Erwerbs­ biografien bis hin zu den Beschäfti­

gungsverhältnissen: Die Wellen der technologischen Innovation wirken immer schneller und immer weiter in alle Bereiche von Wirtschaft und Arbeitswelt hinein. Schon heute beobachten wir eine immer weiter reichende technologi­ sche Substitution traditioneller Tätig­ keiten, ja sogar ganzer Berufsbilder, ein rasantes Wachstum der Plattformökonomie und mit dem Wachs­ tum der Klick-und-Gig-Ökonomie auch eine Tendenz zur Entbetriebli­ chung. All das hat enorme Folgen für die tradierte Rolle der Sozialpartner­ schaft und für ihre Instrumente für den sozialen Ausgleich und die so­ ziale Sicherung. Wir sollten diese Prognosen ernst nehmen. Auch die Prognosen, die in diesem Zusammenhang vor allem vor einer Polarisierung der Arbeits­ welt warnen: höhere Einkommen

#Bundespräsident Steinmeier: Sollten neuen Anlauf nehmen, um die #Sozialpartnerschaft zu stärken. #Sozialpartner sind Eckpfeiler für wirtschaftliche & gesellschaftliche Stabilität in Deutschland. #Sozialpartner100 @dgb_news

bei den Hochqualifizierten und den Hochflexiblen, weniger Einkommen für weniger qualifizierte Tätigkeiten. […] Der zweite Punkt, die Grundlagen der Sozialpartnerschaft, richtet sich vor allem an die Verantwortungsträ­ ger bei den Arbeitgebern und in den Gewerkschaften. Um diese wichtige Partnerschaft wirksam zu erhalten, dafür braucht es die starke Beteili­ gung von beiden Seiten. Die droht zu erodieren, wenn der Organisations­ grad der Gewerkschaften in neuen Branchen gering bleibt oder wenn die Arbeitgeberverbände weniger als die Hälfte der Arbeitgeber orga­ nisieren. Es entstehen immer wie­ der Trennlinien, etwa zwischen al­ ten und neuen Branchen, zwischen unterschiedlichen Regionen unseres Landes.


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Die Abwendung der Spaltung hat uns stark gemacht und sich als tragen­ des Element sozialer Marktwirtschaft bewährt. Die Erfahrung von Ländern mit schwacher Sozialpartnerschaft, mit wilden Arbeitskämpfen und poli­ tischen Streiks, sollte uns auf allen Seiten zu denken geben. Auch die Er­ innerung an die soziale Zerrissenheit Deutschlands, auf die Stinnes und Legien vor 100 Jahren eine Antwort suchten, sollte uns Mahnung sein. Wir sollten einen neuen Anlauf neh­ men, um die Sozialpartnerschaft von morgen stark zu machen. Verbän­ de der Arbeitgeber und der Arbeit­ nehmer haben hier eine echte Zu­ kunftsaufgabe, die wieder Mut und Verantwortung verlangt. Und wenn ich mir die gemeinsamen Initiativen der Sozialpartner anschaue, zur Ge­ winnung von Fachkräften oder bei der Woche der beruflichen Bildung, für Weltoffenheit und Solidarität in unserer Gesellschaft oder zur Digi­

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#Bundespräsident Steinmeier: #Sozialpartner sollten Veränderung in der #Arbeitswelt40 gemeinsam angehen. Starke #Sozialpartnerschaft erhält Innovationsfreudigkeit & Lust auf Zukunft in Deutschland. #Sozialpartner100 @dgb_news

talisierung und Arbeit der Zukunft, dann freue ich mich zu sehen, dass sie einige dieser Herausforderungen sehr konkret angehen! Was mit dem Stinnes-Legien-Ab­ kommen vor 100 Jahren begonnen hat, ist historisch weder erledigt noch erschöpft. Dass Sie, lieber Herr Hoffmann und lieber Herr Kramer, den Bundespräsidenten gemeinsam

zu der heutigen Feier eingeladen haben, das werte ich als öffentli­ ches Versprechen von Arbeitgebern und Gewerkschaften, es auch in den nächsten 100 Jahren gemeinsam miteinander zu versuchen. […]


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INGO KRAMER, PRÄSIDENT DER BUNDES­VEREINIGUNG DER DEUTSCHEN ­ARBEIT­GEBERVERBÄNDE REINER HOFFMANN, VORSITZENDER DEUTSCHER GEWERKSCHAFTSBUND Gespräch in Auszügen […] Ines Arland: Wo liegt der Mehrwert deutscher Sozialpartnerschaft?

hat, wo man sich auch in der Bran­ che vergleicht und weiß, der andere hat eine ähnliche Ausgangsbasis.

Ingo Kramer: Der Mehrwert liegt in der Tagesarbeit, im praktischen Erle­ ben in unseren Betrieben. Zu wissen, dass man – wenn auch nach schwie­ rigen Verhandlungen und konfliktrei­ chen Diskussionen – einen ein- bis üblicherweise zweijährigen Zeitraum hat, in dem man konstruktiv, in Ruhe und ohne Grundsatzkonflikte den Ta­ gesgeschäften nachgehen kann. Das ist ein großer Fortschritt.

Diese Situation war damals Grund für die Arbeitgeberverbände, in schwierigen Zeiten den ersten Ver­ trag zu schließen. Diese Weisheit trägt bis heute, auch wenn sich die Herausforderungen wahrscheinlich alle zehn Jahre erneuern. […]

Ein weiterer Fortschritt liegt darin, dass man mit solchen Vereinbarun­ gen eine kalkulierbare Grundhaltung

Ines Arland: Wir haben jetzt viel schon über den Wandel gehört. Ist das Abkommen ein bisschen aus der Zeit gefallen? Reiner Hoffmann: Nein, das Ab­ kommen ist überhaupt nicht aus

der Zeit gefallen, und ich möchte an den historischen Kontext anknüpfen: Die Monarchie brach zusammen, der Erste Weltkrieg mit den ganzen Schrecken und dem Elend. Das Ab­ kommen war eine Notgemeinschaft. […] Ich denke, das ist eine extrem wich­ tige historische Errungenschaft, die wir an einem solchen Tag wie heute auch noch mal in Erinnerung rufen. Wir wissen, dass die Tarifautono­ mie, dass Tarifverträge ein extrem wichtiges öffentliches Gut in diesem Lande sind, was ganz erheblich zum sozialen Zusammenhalt dieser Ge­ sellschaft beiträgt.


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Wir stehen in der Tat vor völlig neu­ en Herausforderungen, wenn es um technologische Veränderungen in der Arbeitswelt, die Globalisierung und die demografische Entwicklung geht. Aber die allergrößte Herausfor­ derung ist: Gelingt es uns, dass wir die Tarifbindung in diesem Lande wieder deutlich stärken? Denn das ist auch ein Stück weit Schwäche von Sozialpartnern, wenn es ihnen nicht gelingt, dass wieder mehr als nur jeder zweite Beschäftigte in die­ sem Lande unter den Schutz eines Tarifvertrags fällt. Ines Arland: Sie beide sind in Ihrer Verbandsfunktion in Schwierigkeiten. Die Mitgliederzahlen sind rückläufig. Wie reagieren Sie darauf? Ingo Kramer: Eine jede Zeit braucht andere Reaktionen, weil die Her­ ausforderungen jedes Mal andere sind. Die Arbeitswelt ändert sich durch die Digitalisierung. Das ist übrigens nicht das erste Mal, dass sie sich gravierend ändert. Ich habe in meiner etwas über zehnjährigen Tarifverhandlungsführung für Nord­ deutschland in der Metall- und Elek­ troindustrie allein zwei bis drei sol­ che Umbrüche erlebt, wo plötzlich die Tarifverträge ganz andere Inhalte bekamen. Das Erste war damals in Ba­ den-Württemberg, das Pforzheimer Abkommen, wo wir erstmals Öff­ nungsklauseln schaffen mussten, um den Druck von den Tarifverträ­ gen für die Unternehmen zu neh­ men, die mit der breiten Fläche nicht mehr klarkamen.

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Die zweite gravierende Verände­ rung, wo die Unterschriften von Frank Teichmüller, dem Gewerk­ schaftschef in Norddeutschland, und mir die ersten waren, war, dass Angestellte und Arbeiter in einem gemeinsamen Tarifvertrag unterge­ bracht waren und es nicht mehr zwei getrennte Tarifverträge gab. Jetzt haben wir die nächste Heraus­ forderung: Die Arbeitswelt wird sich nicht mehr an rein industriellen Ar­ beitsabläufen orientieren, wo man zu einer bestimmten Zeit in der Fabrik ankommt, und dann ergeben sich alle weiteren Schritte automatisch. Sondern es gibt eine ganze Reihe von Tätigkeiten, die sich von Raum und Zeit unabhängig entwickeln werden. Darauf müssen wir reagie­ ren. […] Ines Arland: Politik als Akteur: Wir haben das mit dem gesetzlichen Mindestlohn im Jahr 2015 erlebt. Sie waren im Vorfeld sehr vehement dagegen. Wie weit darf der Staat gehen, wo wir doch gerade hier heute die Tarifautonomie feiern? Ingo Kramer: Wenn man die Tarif­ autonomie in den Vordergrund stellt und als Grundpfeiler der 100 Jah­ re währenden Sozialpartnerschaft sieht, dann muss man in der Logik alles voranbringen, was unsere ge­ meinsame Autonomie hochhält und den Staat ein bisschen außen vor hält. Der Staat sollte es begleiten, sollte es gerne auch beobachten, am liebsten freundlich beobachten. Aber wir sollten es selber gestalten wollen. […]

Beide Seiten müssen den Ehrgeiz haben: Wir kriegen das schon allei­ ne hin. Das ist die Voraussetzung, um Tarifautonomie auch in Zukunft hochzuhalten, und das ist letztend­ lich wiederum die Voraussetzung, dass Gewerkschaften attraktiv für Arbeitnehmer sind und Arbeitgeber­ verbände auch attraktiv bleiben, um Mitglieder zu bekommen. Wir müs­ sen unsere Lösungskompetenz sel­ ber unter Beweis stellen und dürfen sie nicht an den Staat abtreten. Das führt in der Folge dazu, dass weniger Menschen in die Gewerkschaft ein­ treten und weniger Unternehmen in die Arbeitgeberverbände.

Gerade kontroverse Debatte zum Einfluss des Staates in der #Wirtschaft. Für #Arbeitgeberpräsident Kramer ist klar: Der Ruf nach dem Staat unterminiert die #Sozialpartnerschaft. #Sozialpartner sollten immer zuerst selbst Lösungen untereinander finden. #Sozialpartner100


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Ines Arland: Auch nicht jeder Gewerkschaftsführer war damals für den Mindestlohn. Wie weit sollte man die Tür aufmachen, die man vielleicht an anderer Stelle gerne geschlossen hätte? Reiner Hoffmann: Zunächst stim­ me ich Herrn Kramer ausdrücklich zu, dass wir überall da, wo wir star­ ke Sozialpartnerschaft haben, star­ ke Arbeitgeberverbände und starke Gewerkschaften, staatliche Inter­ vention nicht benötigen. Ich glaube, unter dem Dach des DGB sind wir alle einer Meinung, dass wir es für viel wichtiger erachten, die Tarifbin­ dung wieder in Richtung 80, 85 %, gerne auch mehr, hochzufahren. Dann brauchen wir nämlich keinen Mindestlohn mehr. Der Mindestlohn wurde doch erst zu einer Zeit notwendig, als immer mehr Menschen im Niedriglohn­ sektor gefangen waren und wir zu­ mindest eine unterste Lohngrenze einziehen mussten, weil dies insbe­ sondere in den Branchen notwendig war, wo sich Unternehmen über­ haupt gar nicht in Arbeitgeberver­ bänden organisiert haben. Das war eine Notwehr auf die Tarifflucht, die in diesen Bereichen von Arbeitge­ bern täglich betrieben wird. Ingo Kramer: Da könnte man jetzt sagen, den Gewerkschaften fehlen aber auch die Mitglieder in diesen Bereichen. Reiner Hoffmann: Das ist ein ernst zu nehmendes Argument. Aber ich spreche auch von Bereichen, wo wir Mitglieder haben. Ich war vor wenigen Wochen in Bad Hersfeld.

Da machen wir riesige Erfolge, bei­ spielsweise bei der Gründung eines Betriebsrats oder bei der Frage der Mitgliedergewinnung. Doch es gibt auch ein Unternehmen, das nicht bereit ist, mit uns in Tarifverhandlun­ gen zu treten. Da brauche ich Tools, die mir der Gesetzgeber zur Verfü­ gung stellt. Ich denke, die Leistungen der Sozi­ alpartner mit ihrer Tarifvertragspoli­ tik müssen wir uns auch noch mal wirklich vor Augen führen. Das ist weit mehr als nur das Aushandeln von Löhnen und Gehältern. Sondern dass alles das, was wir in Mantel­ tarifverträgen, an Arbeitsbedingun­ gen, Arbeitszeiten, Arbeits- und Ge­ sundheitsschutz und vielen Dingen mehr regeln, eine ungeheuerlich staatsentlastende Funktion hat. Das ist sozusagen eine Leistung, die wir für den Staat zum Nulltarif anbieten. Wir gestalten Arbeitsverhältnisse und sozialen Frieden in den Unter­ nehmen, was für das Unternehmen auch hochgradig ökonomisch sinn­ voll ist. Zugleich schaffen wir so was wie ein Level Playing Field: gleiche Wett­

bewerbsbedingungen für die Unter­ nehmen, damit sie nicht gegenei­ nander auf Basis immer geringerer Löhne, immer längerer Arbeitszeiten in den Wettbewerb treten. Das Aus­ schließen von Konkurrenz unter den Beschäftigten war immer eine Auf­ gabe von Gewerkschaften gewesen. Ich erinnere mich noch daran, dass, als der Mindestlohn eingeführt wur­ de, mir viele Arbeitgeber gesagt haben, gerade in Mecklenburg-Vor­ pommern, in Norddeutschland: Meine Sorge ist nicht, dass der Min­ destlohn eingeführt wird, meine Sor­ ge ist, dass der Friseur, das Hand­ werksunternehmen, das Hotel, die Gaststätte nebenan sich nicht daran hält und deshalb ungleiche Wettbe­ werbsbedingungen hergestellt wer­ den. Das ist das Problem, das wir an­ gehen und anerkennen müssen. […] Ines Arland: Herr Kramer hat dieser Tage einen Artikel in der FAZ verfasst, den man so überschreiben könnte: „Das Eheversprechen der Tarifautonomie erneuern“. Gibt es da bestimmte Felder, wo man das tun kann?


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#Tarifbindung: gleiches Ziel, unterschiedliche Wege. #Arbeitgeberpräsident Kramer: Müssen Tarifverträge in Zukunft flexibel & modular denken. Finger weg von mehr staatlichem Einfluss! #Sozialpartner100 @dgb_news

Ingo Kramer: Wir erkennen, dass es zunehmend Unternehmen, Regionen oder bestimmte Branchen gibt, die mit bestimmten Entwicklungen nicht mehr Schritt halten können. Das haben wir in der Metall- und Elektro­ industrie genauso wie in etwas klei­ nerem Maße in der Chemieindustrie, im Handwerk, im Handel. Wenn wir die aber in der Tarifstruktur behalten wollen, dann müssen wir Lösungen finden, selbst wenn sie nicht jeden einzelnen Baustein eines sehr kom­ plexen Tarifvertrags mittragen kön­ nen. Das ist das, was ich mit drei Beispielen [im FAZ-Artikel] versucht habe, deutlich zu machen. Die Kunst wird sein, die Tarifbreite zu erhalten oder auch wieder zu verbrei­ tern. Wir müssen die Spielvarianten erhöhen, wenn sich die Struktur der Wirtschaft in Zukunft etwas stärker voneinander unterscheiden wird, als wir es in der Vergangenheit hatten. Morgens in die Fabrik gehen, die Wertschöpfung in einer bestimm­

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ten Anzahl von Stunden im Laufe des Tages und der Woche erbrin­ gen, nach Hause gehen und dann ist das vorbei – dieses Konzept greift für ganz viele heute nicht mehr. Die haben einfach andere Möglichkei­ ten. Die Menschen haben übrigens auch andere Lebensvorstellungen. Und darauf müssen wir eine Antwort finden. Nur irgendwann muss man anfan­ gen, nach diesen Wegen zu suchen, sonst sitzen wir hier in zehn Jahren wieder und beklagen, dass wir einen Tarifschwund haben. […] Ines Arland: In den Vorschlägen von Herrn Kramer ist auch eine andere Idee drin: Tarifverträge mit mehr Öffnungsklauseln. Wie ist denn die Position der Gewerkschaften? Reiner Hoffmann: Erst mal begrüße ich die Initiative von Herrn Kramer. Wir diskutieren häufig darüber, dass wir zumindest in der Analyse über­ einstimmen, dass wir die Tarifbindung in diesem Lande wieder deutlich an­ heben wollen. Wie wir es machen, dazu gibt es unterschiedliche Wege. Herr Kramer hat in seinem Beitrag drei Wege skizziert: Öffnungsklauseln einführen, Tarifverträge modularisie­ ren und die Entscheidungsfindung stärker wieder auf die betriebliche Ebene verlagern. Wir haben schon heute eine Situa­ tion, wo Branchengewerkschaften und Arbeitgeber sehr passgenaue tarifpolitische Lösungen finden. Wir haben flächendeckende Branchen­ tarifverträge, die hochgradig spezifisch auf die jeweiligen Bedingun­

gen in der Branche Rücksicht neh­ men. Da findet einiges, nicht alles von dem statt, was Herr Kramer be­ schrieben hat, z. B. durch das Pforz­ heimer Abkommen im Bereich IG Metall. Aber viele andere Gewerkschaften nutzen mittlerweile das Instrument von Öffnungsklauseln. Da, wo Un­ ternehmen in einer Branche unter spezifischem Problemdruck stehen, sind wir durchaus bereit, Lösungen zu finden, wo man dann auch von ei­ nem Tarifvertrag im Sinne einer Mo­ dularisierung bestimmte Teile nimmt und bestimmte Teile möglicherweise für eine Zeit lang ruhen lässt. Aber das ist immer konditioniert. Ich habe selbst erlebt, dass in den Tarifver­ handlungen die Arbeitgeber immer wieder auf die spezifischen, unter­ schiedlichen Bedingungen in den Unternehmen Bezug nehmen und Öffnungsklauseln einräumen, die aber konditioniert sind, und dann in den allerseltensten Fällen davon überhaupt Gebrauch gemacht wird. Die Gefahr, das Risiko, das ich sehe, insbesondere bei einer Modularisie­ rung, ist, dass man nur das nimmt, was man nehmen muss, und an­ sonsten das macht, was man ma­ chen kann. Ich glaube, damit wird die Büchse der Pandora geöffnet in Richtung „cherry picking“, Rosinen­ pickerei, wo die Tarifbindung und der Flächentarifvertrag am Ende nicht gestärkt werden, sondern man Ge­ fahr läuft, dass er weiter durchlöchert wird und das Gegenteil von dem er­ reicht wird, was wir gemeinsam an Intention, an Zielsetzung verfolgen.


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Auch die Verlagerung auf die Be­ triebsebene ist als solche nicht völ­ lig neu. Auch da haben wir gerade infolge der internationalen Finanz­ marktkrise viele Tools gezogen, bei­ spielsweise Arbeitszeitkonten, die einen höheren Stellenwert bei der Sicherstellung von Beschäftigung als beispielsweise die Verlängerung des Kurzarbeitergelds hatten, tarifver­ traglich geregelt. Diese wurden im­ mer dann genutzt, wenn Unterneh­ men in spezifischen Schwierigkeiten sind. Dann sind vorübergehend Ab­ weichungen möglich. Allerdings, und auch da sind wir uns im Kern einig, sollte das immer dort passieren, wo wir auch betriebliche Interessenver­ tretungen haben. Denn die einzelnen Beschäftigten alleine sind gegen­ über dem Arbeitgeber überhaupt gar nicht handlungsmächtig, und das heißt: Betriebsräte, Personalräte. Aber nur noch 20 % aller betriebs­ ratsfähigen Unternehmen haben Be­ triebsräte. Das ist eine zweite Bau­ stelle, die wir gemeinsam angehen müssen. Die betriebliche Interessen­ vertretung in diesem Lande müssen

wir deutlich stärken. Wir haben von Februar bis Mai dieses Jahres wie­ der 180.000 Betriebsräte gewählt, die machen einen tollen Job. Wir könnten die Zahl verdoppeln, wenn wir wirk­ lich die Unternehmen, die betriebs­ ratspflichtig sind, dann auch in die Pflicht nehmen. […] Ines Arland: Das war ein deutliches Ja-aber und die Braut, um das andere Bild zu nehmen, bittet um Bedenkzeit. Reiner Hoffmann: Keine Bedenk­ zeit. Ich bin bereit, dass wir uns auf den Weg machen. […] Das könnte heute ja ein Startschuss sein für eine Debatte über die Zukunft der Tarif­ bindung und Tarifautonomie. Lassen Sie mich drei Anregungen reinbringen: Wir haben das Tarif­ stärkungsgesetz, da wurde auch der Mindestlohn vereinbart. Wir haben ein Tool, davon müssen wir stärker Gebrauch machen: die Allgemein­ verbindlichkeit. […] Wir haben doch die Situation in mehreren Bereichen, insbesonde­

re im Pflegebereich, wo die Sozialpartner von der Möglichkeit Ge­ brauch machen, einen Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit eines Tarif­ vertrags zu stellen. Die Sozialpartner auf Branchenebene sind sich einig. Die werden aber immer abgelehnt, weil ein solcher Antrag immer der Mehrheit bedarf. Ich finde, es ist mi­ nimalinvasiv, wenn wir sagen, die Ablehnung einer solchen Beantra­ gung auf Allgemeinverbindlichkeit bedarf der Mehrheit, denn dann würde die aus ordnungspolitischen Gründen immer wieder praktizierte Blockadehaltung der BDA aufgeho­ ben und wir würden einen Riesen­ fortschritt machen. Der zweite Punkt, auch der ist nicht so fürchterlich neu: der Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe. 16 % des Bruttoinlandsprodukts werden über öffentliche Aufträge erwirtschaf­ tet. Wenn wir da endlich flächen­ deckend Tariftreueklauseln hinbe­ kämen, auch dann hätten wir einen wirklich guten Beitrag nicht nur zur Stärkung der Tarifbindung geleistet, sondern auch für den sozialen Zu­ sammenhalt in dieser Gesellschaft. Und ich will einen dritten Vorschlag von Prof. Franzen von der Lud­ wig-Maximilians-Universität in Mün­ chen in die Debatte werfen. Kann das Steuerrecht nicht nutzbar ge­ macht werden, um die Attraktivität von Gewerkschaften für Arbeitneh­ mer zu erhöhen? Das ist auch nicht gänzlich fremd im Steuerrecht, dass das umfangreiche öffentliche Gut, das wir beide in jeder Runde pro­ duzieren, auch einen Preis hat und dann entsprechend zu steuerlichen Vergünstigungen für Arbeitnehmer


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#Arbeitgeberpräsident Kramer: Das einzig Beständige in 100 Jahren #Sozialpartnerschaft ist der Wandel. #Sozialpartner wollen auch in Zukunft bei neuen Herausforderungen gemeinsame Lösungsansätze finden. #Sozialpartner100 @dgb_news

führt. Es würde die Attraktivität tarif­ gebundener Arbeitgeber und die Ge­ werkschaftsmitgliedschaft natürlich deutlich erhöhen, wenn ein Teil des tarifgebundenen Arbeitsentgelts von gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten steuerfrei gestellt würde. Ingo Kramer: Ein Satz, der schon etwas zurückliegt von Herrn Hoff­ mann, den muss ich leider korrigie­ ren. Es gibt keine Betriebsratspflicht in Deutschland. Es gibt ein Betriebs­ ratsrecht in Deutschland. Aber ich kann jedem nur raten, die­ ses Recht in Anspruch zu nehmen und nicht einen Betriebsrat zu ver­ hindern, sondern zu befördern. Die­ ser schöne Satz gilt vielleicht nicht in jedem Fall: Jeder Unternehmer kriegt den Betriebsrat, den er ver­ dient. Kümmert Euch darum, macht es richtig und setzt ihn vernünftig ein, er hilft bei der Lösung betriebsorga­ nisatorischer Abwicklungsprobleme. Das ist der Teil. Der zweite Teil: Wer nach Allgemein­ verbindlichkeit ruft, ruft nach dem Staat. Und wer nach dem Staat ruft, und dieses möglicherweise auch noch erfolgreich, darf sich nicht wun­ dern, wenn genau in dem Bereich die Tarifstrukturen hinterher schwächer werden. Denn da, wo der Staat es bereits regelt, brauche ich nicht mehr in die Gewerkschaft einzutreten. Und wo keiner in die Gewerkschaft eintre­ ten muss, treten Unternehmen auch

nicht in den Arbeitgeberverband ein. […] Ich halte uns für stark genug, andere Lösungen zu finden. Die sind manch­ mal mühseliger, als nach dem Staat zu rufen. Das gebe ich zu. Aber das ist den Schweiß der Edlen wert. […] Ines Arland: Sozialpartnerschaft hat mit Köpfen zu tun, das sieht man bei Ihnen ganz, ganz deutlich. Haben Sie so etwas wie einen permanenten Koalitionsausschuss miteinander? Wie stimmen Sie sich ab? Reiner Hoffmann: Wir haben regelmäßige Kontakte: bilateral, aber auch mit der Regierung, beispielsweise um das Thema „Stärkung der Tarif­ bindung“ nach vorne zu bringen. Ich hoffe, dass wir da ein paar Schritte weiterkommen werden. Denn Ar­ beitszufriedenheit ist auch da immer besonders groß, wo Menschen unter dem Schutz von Tarifverträgen und in Unternehmen mit Betriebsräten arbeiten. […] Gegenwärtig haben wir eine Situa­ tion, wo wir den Entwicklungen bei manchen europäischen Nachbarn hinterherlaufen. Das ist das Erstarken von Rechtspopulismus, Rechtsnatio­ nalismus in einer unerträglichen Art und Weise. Da haben wir allerdings auch eine nicht ganz triviale Erkennt­ nis, dass Menschen in Unternehmen mit Tarifbindung und betrieblicher Interessenvertretung deutlich unter­

proportional solchen nationalen Pa­ rolen hinterherlaufen. Das sollte uns gemeinsam als Auftrag dienen. Die Bedingungen für die Menschen im Wandel so zu gestalten, dass sie, ihre Kinder und Enkelkinder Sicher­ heit haben, dass sie in Zukunft auch noch gute Arbeit haben, die tarifver­ traglich geregelt ist, mit anständigen Arbeitsbedingungen und guten Ar­ beitszeiten. […] Ingo Kramer: Dem Letzten ist ja nichts hinzuzufügen, außer: Da sind wir uns sowas von einig. Da kann keiner zwischen uns durchkommen. Sie haben nach dem Koalitionsaus­ schuss bei uns gefragt. Wir haben regelmäßige Gremien, Sitzungen, die sich manchmal auch Tarifverhandlungen nennen können. Aber wir ha­ ben etwas viel Wichtigeres: Nicht nur wir beide haben unsere gegenseitigen Handy-Telefonnummern, sondern das gilt für alle meine Unterneh­ mer- und Gewerkschaftskollegen. Wir haben uns angewöhnt, seit lan­ ger, langer Zeit, direkt miteinander zu sprechen – ggf. auch kurzfristig. Nicht übereinander und über die Me­ dien, sondern miteinander zu reden, das scheint mir ein Schlüsselpunkt zu sein. Ines Arland: Das waren zwei konsensuale Schlussworte. Ich darf mich herzlich bedanken für Ihre offenen Worte und Ihre Eindrücke, Ingo Kramer und Reiner Hoffmann.


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HUBERTUS HEIL MDB, BUNDESMINISTER FÜR ARBEIT UND SOZIALES Impulsvortrag in Auszügen Das Stinnes-Legien-Abkommen ist ein historischer Meilenstein, […] und ich möchte Ihnen ausdrücklich gra­ tulieren, dass Sie das heute feiern. […] Aber wir dürfen uns eben auch nicht darauf ausruhen. Wir müssen uns fragen, was wir […] gemeinsam tun müssen, um die Sozialpartnerschaft auch in einer digitalisierten und glo­ balisierten Wirtschaft erfolgreich zu gestalten. Egal wie die Zukunft aussieht, auch in der digitalen Arbeitswelt, Interes­ sen werden mit Sicherheit nicht ver­ schwinden. Im Gegenteil, wir könn­ ten vor der Frage stehen, wie wir in recht kruzer Zeit neue Formen des Interessenausgleichs organisieren müssen. […]

Wir haben mit dem Aufkommen der Plattformökonomie […] ganz neue Formen von Tätigkeiten, die sich un­ seren klassischen Werkzeugen des bisherigen Arbeitsrechts entziehen und schwer zu fassen sind. Was ist eigentlich „abhängig be­ schäftigt“ in Zukunft? Was heißt hier „selbstständig“? Wie organisieren wir beispielsweise Weiterbildung, Qualifizierung in allen Bereichen, am Band und im Büro? […] Dazu wollen wir im Rahmen der na­ tionalen Weiterbildungsstrategie mit Ihnen als Sozialpartnern darüber reden, was notwendig ist. In welche Richtung soll eigentlich Qualifizie­ rung laufen? Wie sichern wir Quali­ tät? Wie kriegen wir eine Kultur von Weiterbildung auch so hin, dass in

diesem Bereich die Arbeitnehme­ rinnen und Arbeitnehmer von heute auch die Chance haben, die Arbeit von morgen zu machen? […] Wir haben neue Erwerbsformen. Und wenn es in diesem Bereich nicht nur Positives gibt, sondern auch Spannungen und Verwerfun­ gen, dann wird der Ruf nach dem Gesetzgeber, schnell arbeitsrecht­ lich Dinge zu regulieren, sehr laut werden. […] Mich treibt es sehr um, bei aller Freude über den heutigen Tag, dass die Realität in Deutsch­ land eben nicht von wachsender Sozialpartnerschaft gekennzeichnet ist, wenn ich mir beispielsweise die Tarifbindung angucke. Sozialpart­ nerschaft ist mehr als Tarifverträge, das ist mir durchaus bewusst.

@hubertus_heil: #Sozialpartnerschaft ist ein historischer Meilenstein. Sie schafft soz. Fortschritt & Wohlstand. Dürfen aber nicht vergessen: Die hist. Errungenschaft ist gleichzeitig Auftrag für Gestaltung der #Arbeit von morgen. #Sozialpartner100 @dgb_news @bmas_bund


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[…] Aber Tatsache ist auch, dass weniger als ein Drittel der Betriebe in Deutschland einen geltenden Haus- oder Flächentarifvertrag ha­ ben. Gleichzeitig ist auch Tatsache, dass nur rd. 6 Mio. Beschäftigte in Deutschland in Gewerkschaften organisiert sind und auf der anderen Seite die Zahl der OT-Mitglied­ schaften in Arbeitgeberverbänden gewachsen ist. […] Die spannende Frage ist, ob wir in den Jahren es schaffen, das Ruder herumzureißen. Denn das ist aus meiner Sicht maß­ geblich notwendig. Wenn wir das nicht schaffen, […] mache ich mir Sorgen, nicht nur ob Interessenaus­ gleich gelingt, sondern auch was das für die politische Kultur dieses Landes bedeutet. […] Ich wünsche mir von der BDA und den Gewerkschaften den Mut, in diesem Sinne neu zu denken, so wie es vor 100 Jahren Stinnes und Le­ gien auch tun mussten. Die hatten sich nicht träumen lassen, dass sie das mal miteinander als Abkommen machen müssen. Aber ich bin über­

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@hubertus_heil: Im digitalen Zeitalter brauchen wir nicht weniger, sondern mehr #Sozialpartnerschaft. Das sehen wir genauso! Rufe nach mehr staatlicher Regulierung sind daher fehl am Platz. #Sozialpartner100 @BMAS_Bund

zeugt, dass die Gewerkschaften auf­ gerufen sind und sich auf den Weg gemacht haben, auch neue Arbeits­ formen vertreten zu können und auch moderne Bedürfnisse abzude­ cken. Dafür braucht es kluge Ideen, und es gibt sie auch in vielerlei Hin­ sicht. […] Natürlich spielt in diesem Zusam­ menhang auch die Frage eine Rolle, was staatliches Handeln tun kann und sollte, um Tarifbindung zu stär­ ken. […] Die enormen Veränderun­ gen in der Arbeitswelt werden den Ruf nach Regulierungen erwartbar lauter werden lassen. Mein Grund­ satz ist, wenn wir es schaffen, eine Sozialpartnerschaft hinzubekom­ men, ist das immer die vorrangige Lösung, und deshalb müssen wir

eher darüber reden, was wir an Rah­ mensetzungen brauchen, um diesen Rahmen von Ihnen als Sozialpartnern ausfüllen zu lassen. Dazu gehört aus meiner Sicht auch eine Frage, […] ob es nicht an der Zeit ist, wenn wir in 15 von 16 Bundesländern z. B. ein Tariftreuegesetz haben, das auch auf Bundesebene durchzusetzen. Ich weiß, das ist nicht ganz einfach, da werden wir EU-rechtliche Fragen miteinander zu diskutieren haben. Aber ich kann nicht akzeptieren, dass der Bund mit Steuergeldern Tarifflucht auch noch belohnt. Das wäre nicht so richtig gut und des­ halb ist das einer der Beiträge, die wir leisten können. Ich glaube aber, dass wir weiterdenken müssen. […]


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SONDERAUSGABE FESTVERANSTALTUNG „100 JAHRE SOZIALPARTNERSCHAFT“

PANEL I: TARIFBINDUNG – HERAUSFORDERUNGEN UND CHANCEN Teilnehmer: Hubertus Heil MdB, Bundesminister für Arbeit und Soziales | Frank Bsirske, Vorsitzender Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft | Dr. Rainer Dulger, Präsident Gesamtmetall | Dr. Andreas Eurich, Vorsitzender Arbeit­ geberverband der Versicherungsunternehmen in Deutschland | Jörg Hofmann, Vorsitzender Industriegewerkschaft Metall | Moderation: Dr. Ursula Weidenfeld

Frank Bsirske hob die Bedeutung der Tarifautonomie für die deutsche Wirtschafts- und Sozialordnung her­ vor. Das sei ein weithin getragener Konsens. Allerdings sei die Tarif­ bindung in den letzten 20 Jahren in Ost wie West um etwa 20 % zurück­ gegangen. Dies sei Anlass, darüber nachzudenken, wie die Tarifbindung gestärkt werden könnte. Das Tarif­ autonomiestärkungsgesetz sei im Ansatz richtig, greife aber im Grunde zu kurz. Bsirske sprach sich daher u. a. für ein Eingreifen der Bundes­ regierung aus. Er warb u. a. dafür, die Vergabe öffentlicher Aufträge an die Einhaltung von Tarifregelungen zu knüpfen. Als eine weitere Mög­ lichkeit schlug Bsirske vor, einen neuen Steuerfreiheitstatbestand in die Steuergesetzgebung für tarifge­ bundene Arbeitgeber aufzunehmen und für Beschäftigte bei tarifgebun­ denen Arbeitgebern einen Steuerbe­

freiungstatbestand vorzusehen. Dies würde zur Stärkung der Tarifautono­ mie beitragen. Dr. Rainer Dulger wehrte sich ge­ gen den Ruf nach mehr staatlicher Einflussnahme. In der Metall- und Elektroindustrie gebe es in den letz­ ten Jahren einen Trend, dass immer mehr Unternehmen in den sog. OT-Bereich wechseln. Dort fänden aber sehr wohl Tarifautonomie und Mitbestimmung statt, nur würden die dort getroffenen Absprachen zwi­ schen Arbeitnehmervertretern und Arbeitgeber nicht zum Flächentarif passen. Aber auch das gehöre zur Tarifautonomie und zur Tarifbindung. Hier sehe er auch die Zukunft eines Miteinanders, da es immer schwie­ riger werde, die wachsende Kom­ plexität in den Unternehmen und in den Arbeitsbeziehungen in einen Flächentarif zu gießen. Daher sollten

Kontroverse Debatte zur Zukunft der #Tarifbindung! @MEArbeitgeber-Präsident Dulger: Flächentarifverträge müssen in Zukunft flexibler werden & mehr Öffnungsklauseln beinhalten. So stärken wir die Tarifbindung & halten den Staat heraus. #Sozialpartner100 @Gesamtmetall Flächentarife flexibler werden, und sie müssten mehr Öffnungsklauseln enthalten. Erst dann seien sie auch für kleine und mittlere Unternehmen wieder attraktiv.


ARBEITGEBER AKTUELL

Jörg Hofmann wies darauf hin, dass die IG Metall seit acht Jahren zuneh­ mende Mitgliederzahlen verzeich­ nen könne, insbesondere bei hoch qualifizierten Angestellten. Ein Rück­ gang des Organisationsgrads sei so­ mit nicht gegeben, eine Ausnahme bilde aber der Bereich der Niedrig­ qualifizierten. Hier gebe es gerade bei sehr vielen kleingliedrigen Ein­ heiten eine Schwachstelle, da sie sich nicht so leicht organisieren lie­ ßen. Immerhin sei z. T. eine deutliche Trendwende erkennbar. Ein Beispiel sei das Handwerk. Hier mache der sichtbare Fachkräftebedarf das The­ ma „Tarifmitgliedschaft“ wieder at­ traktiv. Zwischenzeitlich habe man im Handwerksbereich die höchste Tarifdichte, weil der Markenstempel „Ich bin tarifgebunden” auch einen Markenstempel guter Arbeitgeber darstellt. Dr. Andreas Eurich reklamierte auch für seine Branche eine hohe Tarifbindung, die bei ungefähr 90 % liege, nicht zuletzt auch dank der Großunternehmen. Entscheidend seien aber zwei ganz andere Punkte. Zum einen regele der Tarifvertrag

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Dr. Andreas Eurich: Geltendes Tarifvertragssystem ist zu starr. Müssen in Zukunft mehr #Flexibilität wagen! Finden wir super! Weil dadurch steigt wieder die #Tarifbindung. #Sozialpartner100 @dgb_news

in seiner Branche nicht alles bis ins kleinste Detail, sondern beschränke sich auf grundsätzliche Dinge, was auch das Ziel von Tarifverträgen sein müsse. Alles andere gehöre auf die betriebliche Ebene. Zum anderen habe man in den letzten Jahren für bestimmte Themen auch Öffnungs­ klauseln geschaffen, die es den ein­ zelnen Unternehmen ermöglichten, da, wo besondere Belange vorherr­ schen, diese auch anders zu regeln. Daher habe man eine sehr stabile Tarifsituation. Dort, wo es Erosionen gebe, sei of­ fenbar der Tarifvertrag zu starr. Umso mehr komme es auf zusätzliche Fle­ xibilität an. Nach dem Staat zu rufen, sei nicht der richtige Ansatz. Hier sei man zunächst selbst gefordert – im wahrsten Sinne des Wortes der Ta­ rifautonomie.

Gerade spannende Diskussion zum Vorschlag von #Arbeitgeberpräsident Kramer, das Tarifvertragssystem zu modernisieren. Gewerkschaften sollten ausgestreckte Hand der #Arbeitgeber ergreifen & dadurch Tarifbindung stärken #Sozialpartner100 @dgb_news


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SONDERAUSGABE FESTVERANSTALTUNG „100 JAHRE SOZIALPARTNERSCHAFT“

MURIEL PÉNICAUD, FRANZÖSISCHE ­ARBEITSMINISTERIN Impulsvortrag (Zusammenfassung) Ministerin Muriel Pénicaud würdigte die deutsche Sozialpartnerschaft und das Prinzip des Mitbestimmungs­ rechts als ein Vorbild für viele Länder Europas. In Frankreich seien die Be­ ziehungen zwischen Sozialpartnern beispielsweise viel mehr durch den Staat bestimmt. In anderen Ländern seien Tarifvereinbarungen häufig fra­ gil oder sogar verboten. Für die Sozialpartnerschaft und Arbeitswelt stelle sich heute jedoch ein neuer Kontext, und zwar der der Digitalisierung. Neue Formen von Arbeit wie Plattformarbeit würden zu legislativen Grauzonen führen. Die Notwendigkeit von digitalen Kom­ petenzen und die Auswirkungen der Digitalisierung auf den sozialen Dialog und Arbeitsmarkt seien aktu­ ell die wichtigste Herausforderung. Um diese anzugehen, brauche es einen europäischen Dialog unter deutsch-französischer Führung. Zu­

dem müsse man sich die Frage stel­ len, ob der soziale Dialog von heute nicht auch Themen wie „Gleichbe­ handlung“, „Immigration“ und „Kli­ mawandel“ stärker beinhalten sollte. Muriel Pénicaud wies auf die aktuell zwei wichtigsten Reformen in der französischen Arbeitsmarkt- und So­ zialpolitik hin: das Gesetz zum „Ren­ forcement du dialogue social“ (Stär­ kung des sozialen Dialogs) sowie das Gesetz zur „Liberté de choisir son avenir professionnel“ (Freiheit, seine berufliche Zukunft bestimmen zu können). Die Stärkung des sozialen Dialogs habe dessen Dezentralisierung zum Ziel, da soziale Kompromisse auf Unternehmens- und Sektorenebe­ ne gefunden werden müssten. Für Deutschland sei dies selbstverständ­ lich, in Frankreich entspreche dies jedoch einer kulturellen Revolution. Das Gesetz habe daher das Konzept

des sog. Comité Social Économique geschaffen, das größtenteils dem der deutschen Betriebsräte ent­ spricht. Diese Komitees seien nun zentrale Ansprechpartner für Un­ ternehmen im sozialen Dialog und sollen mehr Vertrauen herstellen. Bisher seien mehr als 9.000 dieser Komitees gegründet worden, was sie als großen Erfolg bewerte.

@murielpenicaud: Die deutsche #Sozialpartnerschaft ist eine echte Inspirationsquelle für andere Länder. #Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. Mit mehr sozialem Dialog können wir die #Arbeit der Zukunft erfolgreich gestalten. @Minist_Travail @dgb_news #Sozialpartner100


ARBEITGEBER AKTUELL

Das Gesetz zur „Liberté de choisir son avenir professionnel“ konzen­ triert sich auf Fragen des lebens­ langen Lernens, des Rechts auf Weiterbildung, Förderung von Be­ rufsausbildungen und Gleichbe­ handlung. Langfristig erwartet sie auch aus diesem Projekt sehr positi­ ve Entwicklungen. Weiter stehe eine komplette Reform des Arbeitsmarkts bevor, die der Präsident in den ersten zwei Jahren seiner Präsidentschaft angehen will. Aktuell würden bereits Verhandlun­ gen zur Reform der Arbeitslosenver­ sicherung geführt und nächstes Jahr stehe die Reform des Rentensys­ tems bevor. Sie betonte, dass man in Frankreich an das Konzept der Flexi­ curity glaube, aber „à la française“, da das System und die gesellschaftliche Kultur doch sehr anders seien als in Skandinavien und Deutschland bei­ spielsweise.

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Auf EU-Ebene hofft sie darauf, dass der EPSCO im Dezember einen „ge­ neral approach“ zur ELA findet. Die­ se solle nationale Agenturen nicht ersetzen, aber Unterstützung zur Koordinierung der Bekämpfung von Betrug leisten. Gleichbehandlungs­ fragen seien außerdem auf europäi­ scher Ebene wichtig. Weiter sei es wichtig, dass die EU die Entwicklung von digitalen Kompetenzen in der Bil­ dungspolitik unterstütze, beispiels­ weise im Rahmen von Erasmus. Frau Pénicaud betonte, dass wir mehr Eu­ ropa, aber auch ein besseres Europa benötigen würden, um sozialen Fort­ schritt und Wettbewerbsfähigkeit zu garantieren. Was die internationale Zusammen­ arbeit angehe, sei es wichtig, dass Unternehmen Verantwortung in internationalen Liefer- und Wert­ schöpfungsketten übernehmen würden. Die französische Regierung

unterstütze daher auch den Global Deal zu pragmatischer, freiwilliger sozialer Regulierung der Globali­ sierung. Vier von fünf französischen Gewerkschaften hätten dem Deal schon zugestimmt, von Arbeitgeber­ seite jedoch niemand zu ihrem Be­ dauern. Allerdings würden 17 der 40 größten französischen Unternehmen den Global Deal unterstützen. Zum ILO-Jubiläum würden sie und ihr Kol­ lege Minister Heil Reformvorschläge anstreben. Zuletzt ging die Ministerin auf G7 ein, wo Frankreich 2019 die Präsident­ schaft innehaben wird. Es gebe die Initiative des Präsidenten zu einem „sozialen G7“ mit Fokus auf Digita­ lisierung, Fragen des Multilateralis­ mus, Gleichbehandlung und Mini­ mumstandards für Sozialschutz.

Der #EU mehr Gewicht verleihen, damit Europa auch in Zukunft in der 1. Liga spielt. Sehr gut! Wir unterstützen @murielpenicaud dabei, Europa zu stärken! #Sozialpartner100 @dgb_news @Minist_Travail


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SONDERAUSGABE FESTVERANSTALTUNG „100 JAHRE SOZIALPARTNERSCHAFT“

PANEL II: SOZIALPARTNERSCHAFT IM INTERNATIONALEN VERGLEICH Teilnehmer: Muriel Pénicaud, Französische Arbeitsministerin | Dr. Bettina Volkens, Präsidentin Arbeitgeberverband Luftverkehr | Erol Kiresepi, Präsident International Organisation of Employers | Michael Vassiliadis, Vorsitzender Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie | Susanna Camusso, Generalsekretärin Confederazione Generale Italiana del Lavoro | Moderation: Ines Arland, phoenix

Erol Kiresepi betonte, dass die deutsche Sozialpartnerschaft eine bedeutende Einrichtung sei. Viele Menschen hätten die Bedeutung und positive Rolle der Sozialpartner­ schaft vor allem in der Wirtschaftsund Finanzkrise ebenso anerkannt wie die Tatsache, dass es in Deutsch­ land deutlich weniger Konflikte in der Industrie gebe als in anderen Ländern. Was viele Menschen auch beeindrucke, sei die konstruktive Zusammenarbeit, die zwischen den deutschen Sozialpartnern vorherr­ sche. In anderen Ländern würden Gewerkschaften auf der einen und Arbeitgeber auf der anderen Seite gegeneinander statt miteinander agieren. Allerdings müsse man auch se­ hen, dass nationale soziale Dialoge nicht einfach auf andere Länder übertragbar seien. Nationale histo­

rische und kulturelle Entwicklungen stünden dem entgegen. Grundsätz­ lich bräuchte es in den einzelnen Ländern starke Partner auf beiden Seiten. Dr. Bettina Volkens warb in ihren Ausführungen für eine moderne und gelebte Sozialpartnerschaft in Deutschland und Europa. Wichtig sei, die Zukunft im Blick zu haben und gemeinsam mit den Gewerk­ schaften zu überlegen, ob neue Wege eingeschlagen werden müs­ sen: Was bedeute heute Sozial­ partnerschaft, was funktioniere gut und was müsse verbessert werden? Bei der Frage, inwieweit sich der Gesetzgeber einmischen solle, komme es auf die Perspektive an. In ihrer Branche gehe es immer komplexer zu, vor allem,

weil individuelle Interessen deut­ lich zunehmen oder weil z. B. zwei Gewerkschaften sich um eine Mit­ arbeitergruppe streiten würden. Dr. Volkens gab in dem Zusammen­ hang zu bedenken, ob angesichts solch zunehmender Konflikte viel­ leicht doch die Frage nach gesetz­ geberischen Lösungsmechanismen gestellt werden müsste. Am Ende des Tages sei aber die gelebte So­ zialpartnerschaft entscheidend und wichtig und vielleicht auch ein biss­ chen europäische Gelassenheit.

Dr. Bettina Volkens: Wir glauben an eine gelebte #Sozialpartnerschaft. #Sozialpartner haben immer Vorfahrt vor dem Staat. Richtig so! #Sozialpartner100 @dgb_news


ARBEITGEBER AKTUELL

@EKiresepi @ioevoice: International gibt es eine große Bewunderung für die deutsche #Sozialpartnerschaft. Nicht gegeneinander arbeiten, sondern miteinander, ohne den Staat: Das ist ein Erfolgsrezept! #Sozialpartner100 @dgb_news

Europa müsse für die Menschen wie­ der verständlicher gemacht werden, auch vor dem Hintergrund der Euro­ pawahl im nächsten Jahr, forderte Michael Vassiliadis. Das sei die eigentliche große Herausforderung. Es gebe zwar auf nationaler und internationaler Ebene zahlreiche In­ stitutionen der Sozialpartner, aber es gebe kein Sozialpartnertreffen, das eine ähnliche Qualität wie das Welt­ wirtschaftsforum in Davos habe. Da­ vos setze aus Sicht der Unternehmer und der Politik Marksteine, betonte Vassiliadis. Das könne man mögen oder auch nicht, aber es finde brei­ tes öffentliches Interesse.

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Er kritisierte in dem Zusam­ menhang die Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die eher gegen viele europäische Initiativen, wie z. B. gegen Handelsverträge, agierten. Es komme daher darauf an, dass die Institutionen sich einen Teil ihrer Gestaltungskraft zurück­ holen. Mit einem jährlichen Sozialpartner-Gipfel wäre ein Anfang gemacht. Susanna Camusso bezeichnete die Autonomie der Sozialpartner als fundamental für die Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse und warnte vor Einmischungen der Regierung. Der Tarifvertrag sei das zentrale Instrument, um Arbeitsverhältnisse im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gestalten. Sie wünschte sich daher eine Zukunft, in der Tarifverträge weiter das Fundament zur Ausgestaltung der Arbeitsbe­ dingungen und Basis für Arbeits­ verträge von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern seien. Das so­ zialpartnerschaftliche Modell müsse auch auf neue Formen der Arbeit übersetzt werden. In der New Eco­ nomy schwinde die Tarifbindung und einige große Unternehmen sei­

en nicht in sozialpartnerschaftlichen Verbänden organisiert. Europa wiederum müsse sich von einer starren Fokussierung auf Para­ meter lösen und sich fragen, was die nötigen sozialen Maßnahmen sei­ en, um eine europäische Dimension wiederherzustellen, die positiv von den Menschen aufgenommen wird.

Das internat. Panel endet mit einem Schlusswort, das Mut macht! @EKiresepi ist sich sicher: Die #Arbeitswelt40 braucht auch in Zukunft starke #Sozialpartner. Sie kennen am besten die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts & welche Reformen #Wachstum & Jobs schaffen. #Sozialpartner100


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SONDERAUSGABE FESTVERANSTALTUNG „100 JAHRE SOZIALPARTNERSCHAFT“

PETER ALTMAIER MDB, BUNDESMINISTER FÜR WIRTSCHAFT UND ENERGIE Rede in Auszügen […] Was die Tarifpartnerschaft in den letzten 100 Jahren geleistet hat, ist enorm. Es hat nicht immer gut funktioniert. Es gab Krisen, geplatz­ te Bündnisse und es gab Konflikte. Aber wir wären heute nicht da, wo wir sind, wenn wir diese Tarifpart­ nerschaft nicht gehabt hätten. […] Die Sozialpartnerschaft war nie Selbstzweck. Sie hatte immer den Zweck, die wirtschaftliche Situation aller Beteiligten gebührend zu wür­ digen und zu berücksichtigen, zu verbessern und auch dazu beizutra­ gen, dass dieser Sozialstaat, den wir haben, auf der Grundlage der Sozia­ len Marktwirtschaft funktioniert. Da­ rüber diskutieren wir bis heute und mit unterschiedlichen Positionen. Aber, meine Damen und Herren, ich glaube, dass die Politik diesen Refle­ xionsraum braucht, weil wir alleine mit Sicherheit nicht imstande wären, die gesellschaftlichen Konflikte und

Herausforderungen, die es gibt, in gebührender Weise zu sortieren und zu einem Ergebnis zu führen.

schaft werden möchte. Aber richtig ist auch, dass wir glauben, dass es im Interesse der politischen Stabili­ tät dieses Landes ist. […] Sie selber müssen darüber nachdenken, wie Sie die Tarifpartnerschaft so moder­ nisieren können, dass dieses Inte­ resse entsteht, und der Staat muss überlegen, wie er helfen kann. Wir können, da es auch die negative Ko­ alitionsfreiheit gibt, niemanden zu seinem „Glück“ zwingen. […]

Deshalb ist es richtig, dass wir in der Bundesregierung seit vielen Jahren einen funktionierenden Dia­ log der Sozialpartner haben, […] wo wir darüber diskutieren, wie wir große Zukunftsherausforderungen gemeinsam lösen können. Wir dis­ kutieren dann beispielsweise auch über die Frage, ob die Tarifbindung in Deutschland etwas Gutes ist. Ob Meine Damen und Herren, ich glau­ sie weiterentwickelt werden muss. be, wir haben auch einen Grund, vor Ob die Politik ein Interesse daran dem Hintergrund der Tarifpartner­ hat, sich dazu zu äußern. Ich sage Ih­ schaft darüber nachzudenken, wie nen, wenn man Tarifautonomie ernst wir die Finanzierung unserer Sys­ nimmt, dann muss man akzeptieren, teme der sozialen Sicherheit für die dass jedes Unternehmen selbst entscheidet, ob es sich tariflich binden möch­ te oder nicht, und dass jede Arbeitnehmerin oder jeder Arbeitnehmer selbst darü­ @peteraltmaier: Ohne ber entscheidet, ob er oder sie Mitglied einer Gewerk­ #Sozialpartnerschaft würde

Deutschland heute nicht da stehen, wo wir sind. Um diesen sozialen Erfolg werden wir in vielen Ländern beneidet. #Sozialpartner100 @dgb_news @BMWi_Bund


ARBEITGEBER AKTUELL

Zukunft organisieren. Ich persönlich glaube, dass für die Investitionen in Deutschland und damit für die Ent­ stehung von neuen Arbeitsplätzen sichere und gute Rahmenbedin­ gungen notwendig sind. Ich werde eine „Charta der Sozialen Marktwirt­ schaft“ vorlegen und werde dort Vor­ schläge machen. […] Wie entwickeln sich denn die Rahmenbedingungen? Und wenn ich in einem personalin­ tensiven Unternehmen investieren möchte, auch in den nächsten 10, 15 und 20 Jahren, möchte ich wis­ sen, ob ich mir die Lohnnebenkos­ ten auch in 20 Jahren noch leisten kann. Und dann möchte ich wissen, ob diese Lohnnebenkosten in einem vertretbaren Rahmen bleiben oder ob die Politik so fahrlässig ist, dass sie durch die Decke gehen. Wir haben im Koalitionsvertrag fest­ geschrieben, dass diese Lohnnebenkosten 40 % nicht übersteigen dür­ fen. Das gilt für die kommenden drei Jahre. Und ich verspreche Ihnen, so­

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Dafür gibt‘s von uns Applaus! @peteraltmaier: Die Politik ist gut beraten, den Sozialpartnern Freiräume einzuräumen. Und: Mehr auf die Sozialpartner zu hören. Da können wir nur zustimmen! So gelingen die nächsten 100 Jahre #Sozialpartnerschaft! #Sozialpartner100 @dgb_news

lange ich Bundeswirtschaftsminister bin, werde ich auch keiner Maßnah­ me zustimmen, die dazu führt, dass wir diesen magischen Plafond über­ schreiten. […] Wir befinden uns im nächsten Jahr im zehnten Jahr eines ununterbro­ chenen Aufschwungs. Es ist der zweitlängste in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und der längste seit 1966. Wir können uns nicht vorstellen, um wie viel ein­ facher Politik dadurch geworden ist, dass wir, ohne Steuern und Abgaben zu erhöhen, Aufgaben im Bereich der Infrastruktur und der Umwelt und der Bildung finanzieren können. All das wäre infrage gestellt, wenn wir

durch eigene Fehler der Politik dazu beitragen würden, dass Unsicherheit wächst und dass dieser Wachstums­ pfad nicht fortgeführt werden kann. Ich sehe kein Gesetz, das sagt, dass nach neun oder zehn Jahren oder 12 oder 13 Jahren eine Rezession unausweichlich ist. Ich glaube, wir alle haben gelernt, die Tarifpartner ebenso wie die Politik. Und so wie wir gelernt haben, dass wir Inflation über einen Zeitraum von 20 Jahren vermeiden können, was niemand gedacht hätte, so haben wir gelernt, dass wir imstande sind, auch Tarif­ partnerschaft zum Wohle aller Betei­ ligten zu organisieren. […]


BDA | Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Mitglied von BUSINESSEUROPE Hausadresse: Breite Straße 29 | 10178 Berlin Briefadresse: 11054 Berlin T +49 30 2033-1700 F +49 30 2033-1805 marketing@arbeitgeber.de

Fotografien: © Christian Kruppa

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