Die Zeitlos #17 - Rausch!

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RAUSCH!

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Wer wir sind und was uns tanzen lässt

Zur ganzen Playlist auf Spotify

© Gianni Geremicca

Rausch! – »Das bedeutet Alkohol oder Drogen!«, sagen die meisten (…oft empört, denn Rausch!: »Wie ausgesprochen unerhört?!«…). Sie sagen das ganz überzeugt, ohne zuvor weiter über das Phänomen nachgedacht zu haben. Wenn man es allerdings wagt, sich genauer mit dem Feld auseinanderzusetzen, ist Rausch! allgegenwärtig, ja alltäglich und allmenschlich, generationenund epochenübergreifend, unweigerlich mit der Menschheit verwoben. Um das Rad des Alltags am Laufen zu halten, klinkt sich der Mensch in der Ekstase der Nacht als Kontrastprogramm aus, will sich dem Rausch! hingeben, sich in ihm fallen lassen oder sich in ihm finden. Selbst der Mensch, der versucht den alltäglichen Berauschungen der durchkapitalisierten Gesellschaft mit Meditation, Religion, Sport, (…) zu entkommen, gibt sich letztlich lediglich einer anderen Form von Rausch! hin. Dem Rausch! kommen demnach unendlich viele Bedeutungen zu. Unsere liebste Definition findet sich im Duden an dritter Stelle der Bedeutungen des Wortes. So heißt es dort: »betäubende Vielfalt«

Diese Vielfalt haben auch unsere Autor*innen genutzt, um sich den unterschiedlichsten persönlichen und unpersönlichen, schwierigen oder lustigen, bedrückenden oder lebensbejahenden Aspekten von Rausch! zu widmen. Dass es wichtig ist, einen Raum zu schaffen, um über Rausch! zu sprechen, zeigt einer unserer Artikel; den Raum voller Pflanzen und CD´s, in dem unsere Autorin zum ersten Mal »holotropes Atmen« praktiziert, beschreibt ein anderer. Lyrisch – aus einem Schreibrausch heraus – ergießen sich die Gedanken unserer Autor*innen auch in Form von literarischen Texten und Gedichten. Natürlich wollen wir den Rausch! aber auch im Sinne eines Zustandes mit Suchtpotential und die damit einhergehende negative Seite in unser Magazin miteinschließen. So geht es in einem Artikel unter anderem um das Leben mit einer (Drogen-) Abhängigkeit - oder mehr um die Abhängigkeit vom Gefühl von Rausch!. Dahingehend ließen wir auch die Drogenanlaufstelle Z6 zur allgemeinen Thematik zu Wort kommen. An dieser Stelle deshalb ein für uns sehr wichtiger Disclaimer: Diese Ausgabe will keinen Substanzkonsum im Sinne des »Sich-Berauschens« verherrlichen, verharmlosen oder gar empfehlen. In diesem Magazin haben wir einige Deutungsweisen von Rausch! diskutiert, aufgezeigt und vor allem erzählt – in der Hoffnung, dass du, liebe*r Leser*in, viele weitere für dich entdeckst. So darf diese Ausgabe schlussendlich ein Spiegel der Gedanken, Interessen und Leben unserer Autor*innen sein. Wir wünschen dir viel Inspiration, Spaß, Tränen und Neugier beim Lesen dieser Ausgabe. Lass dich berauschen!

Alle Inhalte stammen von Studierenden verschiedener Hochschulen und werden frei von den Autor*innen gewählt. Wir geben keinerlei Gewähr auf Aktualität, Qualität, Vollständigkeit oder Korrektheit der bereitgestellten Inhalte und Informationen. Haftungsansprüche gegen das Magazin, welche sich auf Schäden ideeller und materieller Art beziehen, die durch die Nutzung oder Nichtnutzung der angebotenen Informationen bzw. durch die Nutzung fehlerhafter oder unvollständiger Informationen verursacht wurden, sind grundsätzlich ausgeschlossen. Copyright auf alle Inhalte durch den Verein Die Zeitlos 2022. Mit freundlicher Unterstützung von:
Liebe*r Studierende, liebe*r Innsbrucker*in, liebe*r Leser*in, Rausch <-[e]s, Räusche>
[rauʃ, Pl ˈrɔyʃə]
»betäubende Vielfalt«

GESELLSCHAFT

ERWACHSENWERDEN MIT DROGENABHÄNGIGKEIT VAPOR CAVE

20 46 LYRIK KopfKörperKopfKörper s.14 Rettender Rausch s.15 Drop s.24 sometimes/in the void s.26 Angst, die dunkelheit dazwischen nie zu heilen s.27 Bsoffene Gschicht s.41 untitled s.47 OH HONEY s.55 KULTUR Als ich sehr cremiges Softeis schleckte s.06 Luftrausch - high durch Atmen s.10 Von purem Glück und Flow im Sport s.16 Erwachsenwerden mit Drogenabhängigkeit s.20 LOKAL Eine Million Kilometer durch Innsbruck s.28 Die Drogenarbeit Z6 – Ein realistischer Blick auf das soziale Phänomen des Rausches s.32
Rausch & Raum s.36 Berauschend: Berauschte Männlichkeit s.42 Runner's High - Archaischer Rausch der Langstrecke s.48 Sexrausch - ein Interview mit Yavuz Kurtulmus s.52 Identität: Gewalt Eine Annäherung s.56 »...von der grünen Fee Geküsste...« s.60 Nach dem Rausch s.62 Auszug aus dem Strafverwaltungsprozess s.65 ZUR WEBSITE
© hakomah © Viktoria Märkl

"...VON DER GRÜNEN FEE GEKÜSSTE..."

SEXRAUSCH - EIN INTERVIEW MIT YAVUZ KURTULMUS

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© Angela Karpouzi © Laetizia Karg © Yavuz Kurtulmus

Als ich sehr cremiges schleckte

»Das war wie nachts im Stockdunklen da auf Kaninchen zu schießen, wo es gar keine Kaninchen gibt und ein Gewehr hast du auch nicht.« – Elke Erb

Als ich mir selbst begegnete, saß ich gerade auf dem Balkon und schleckte sehr cremiges Softeis. Ich hatte das Softeis aus der neuen Softeismaschine gezapft, die meine Mitbewohnerin Fides auf abenteuerliche Art und Weise in unsere WG gebracht hatte, mich damit auf den Balkon begeben und den Schwalben bei ihren Flugmanövern zugesehen.

Immer wieder rauschten die Vögel nur haarscharf an dem Balkongeländer vorbei, machten hier im letzten Augenblick eine unvorhersehbare Wendung und beschleunigten da im Bruchteil einer Sekunde ihr Tempo. Unterdessen saßen die flugunfähigen Tauben unten im Gras. Tief am abendroten Himmel standen blaue Wolken wie eine Bergkette über den Horizont gelegt. Der Himmel darüber war klar und irgendwie löchrig, als könnte uns etwas abhandenkommen. Es roch nach Kerosin. Neben mir auf dem Tisch lag mein aufgeklapptes MacBook mit geöffneter Microsoft Word-Seite und blinkendem Cursor. Auf einmal – und ja, ich weiß, das klingt crazy! –, auf einmal kam da ein riesiges etwas, nein, jemand einer der Schwalben nachgeflogen, ich duckte mich, sah noch, wie er das Geländer streifte und mit einem satten Seufzen auf beiden Beinen neben mir landete. Obwohl ich mich bisher nur spiegelverkehrt beziehungsweise auf Fotos oder verwackelten Videos gesehen hatte, erkannte ich, aller Abwegigkeiten zum Trotz (unter anderen Umständen würde ich an dieser Stelle wirklich noch ein paar Worte hinsichtlich unserer Softeismaschine verlieren, die meine Mitbewohnerin Fides auf mindestens genauso abwegige Art und Weise in unsere WG gebracht hatte), fast sofort: mich

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Für W.L.

Ich machte Anstalten, mich zur Begrüßung zu umarmen, also erhob ich mich von meinem Stuhl und legte die Arme um mich. Ich war etwas aufgewühlt, trotzdem hatte es etwas Wohltuendes, jemanden zu umarmen, der exakt gleich groß und exakt gleich breit und exakt gleich lange Arme hatte.

»Schön hier«, sagte ich, nachdem wir die Umarmung gelöst hatten. »Voll«, sagte ich. »Hast du noch etwas von dem sehr cremigen Softeis für mich?«,fragte ich. Noch bevor ich etwas sagen konnte, marschierte ich wie selbstverständlich in die Küche. Ein paar Augenblicke später saßen wir auf dem Balkon, in unseren Händen sehr cremiges Softeis und vor dem abendroten Himmel die Schwalben.

»Weißt du schon, wie es weitergehen soll?«, fragte ich und deutete auf das MacBook. Ich überflog, was ich die letzten Minuten getippt hatte, dann schüttelte ich den Kopf.

»Schreib doch noch mehr über die Schwalben«, schlug ich mit vollem Mund vor. »Die sind echt super.« »Kann sein«, murmelte ich.

»Wie sie so an uns vorbeirauschen und dahinter dieser psychedelische Himmel. Wäre doch abgefahren.« Ich nickte.»Beziehungsweise stehen die da ja schon drin. Aber ich würde da definitiv mehr von vertragen. Auch von dem Softeis übrigens.«▶

von Valentin Wölfmaier

woelflmaier@protonmail.com

© Lara Hauser
"Wie sie so an uns vorbeirauschen und dahinter dieser psychodelische Himmel. Wäre doch abgefahren."
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– Ich nickte.

Ich stand auf und verschwand wieder in der Küche. Als ich zurückkam, sagte ich, dass ich die Tatsache, dass ich mich mit mir selbst unterhalten und Softeis aus dieser an sich schon sehr abgefahrenen Softeismaschine schleckten würde viel abgefahrener fände als die, okay, auch ziemlich abgefahrenen Schwalben.

»Mhm«, sagte ich mit vollem Mund. »Verstehe ich.«

»Vielleicht schreibe ich da drüber«, schob ich nach.

»Über uns?« »Ja, genau.«

»Mhm«, sagte ich wieder und legte den Kopf schief.

»Glaubst du nicht, dass wir uns dazu, naja, vielleicht etwas zu ähnlich sind?« Ich nahm einen großen Bissen von der Waffel und sprach mit malmenden Kiefern weiter.

»Ich will damit nicht sagen, dass jeder Text einen Konflikt braucht oder dass eine Begegnung zwischen uns völlig konfliktfrei verlaufen würde, ich meine, die Story mit –« »Hör auf.«

»Sorry. Aber gibt mir auch recht irgendwie, dass du so reagierst, meine ich, weil das wäre zum Beispiel etwas – okay, okay. Eigentlich möchte ich ja nur sagen, dass ich einen Text uninteressant fände, der einzig und allein aus einem Gespräch mit mir selbst bestünde und vielleicht«, schob ich nach und machte tatsächlich erneut Anstalten, durch die Balkontüre in Richtung Softeismaschine zu verschwinden, »vielleicht liegt das ja auch wirklich nur am begrenzten Figurenarsenal.«

»Oder an der Figur«, rief ich mir nach.

»Jetzt hör aber du auf«, sagte ich bereits aus dem Flur und ohne mich umzudrehen. Als ich mit einer weiteren Ladung Softeis auf den Balkon zurückkam, war das Abendrot bereits in ein dunkles Violett übergegangen. Für ein paar Momente saßen wir schweigend da.

»War das eine Taube?«, fragte ich.

»Was?«

»Der Schrei eben.«

»Hab ich nicht gehört.«

»Und das Katzengefauche?«

»Hm?«

»Das Katzengefauche, hast du das gehört?«

Ich schüttelte den Kopf. Schulterzuckend nahm ich den letzten Löffel Softeis in den Mund. Es wurde dunkel.

»Ich habe eine Idee«, rief ich plötzlich. Ich war beinahe eingeschlafen auf meinem Stuhl und brauchte einen Moment, ehe ich realisierte, wer da aufgeregt an meinem Arm rüttelte und gehirnbeschränkt gluckste und kicherte. »Wach auf, wach auf, haha, ich hab, ohne Scheiß, ich habe die Idee. Hahahaha!«

Ohne, dass ich wusste, wie mir geschah, war ich im nächsten Moment schon auf dem Weg zu meinem Dealer Wolfram, der nur ein paar Straßen weiter in einer kleinen Dachgeschoßwohnung lebte. Fast zeitgleich mit meinem Klingeln, meldete sich Wolframs Stimme an der Gegensprechanlage.

»Ich bin’s«, sagte ich. Der Türöffner summte. Zur Begrüßung nickte mir Wolfram zu, ohne darauf einzugehen, dass ich quasi doppelt bei ihm war. Ich kann mir vorstellen, dass Wolfram schon merkwürdigere Dinge gesehen hat. Wir gingen in seine kleine Küche und setzten uns an den Tisch. Auf dem Tisch lag der neunte Band aus den gesammelten Werken Jorge Luis Borges’. Ich schätzte Wolfram für seine Literaturkenntnis und sein gutes Dope.

»Möchtest du Chips?«, fragte Wolfram. »Nein, danke«, sagte ich zeitgleich.

Dann grinste er und fragte: »Kamillentee?« Ich nickte. Wolfram hatte die weißesten Zähne, die ich kannte, was allem, was er sagte, eine gewisse Verrücktheit verlieh, als würde man sich ein Musikvideo aus den frühen 2000ern ansehen. Andererseits hatte er manchmal etwas Grundaggresives an sich. Während er den Tee zubereitete, sprach er davon, wie geil und verfickt tröstlich es sei, das Unfertige der Wirklichkeit zu sehen. Immer wieder forderte er mich auf, die Dinge in ihrer Eigentlichkeit stehen zu lassen. »Morgenstund hat Gold im Mund«, sagte er, »manchmal ja, aber manchmal eben auch nicht, hängt von der Morgenstund ab und von dem Mund.« Er reichte mir eine hellgelbe Goofy-Tasse, die ich mir offenbar mit mir teilen mussten.

KULTUR

»Wann vertraust du mir endlich?«, – rief er.
»

»Eine Schwalbe bringt noch keinen Frühling – was aber wenn doch? Was aber, wenn eine Schwalbe den Frühling bringt? Das wäre doch denkbar, das wäre doch vorstellbar!« Wie um sich selbst zu beruhigen, zündete sich einen Joint an. Seine Zähne funkelten.

Wolframs Trap-Fon, das ebenfalls auf dem Küchentisch lag, vibrierte. Er blickte kurz auf das Display, dass ich sehen konnte, wer ihn anrief, schien ihm egal zu sein, dann steckte er das Fon energisch in seine Hosentasche. Nach einer kurzen Pause sagte er plötzlich: »Ich mag dich, Valentin«.

Auf einmal sanftmütig geworden, begann Wolfram von einer Beziehung mit einer Frau zu sprechen die viele Jahre zurücklag. »Ich habe nichts auf die Reihe bekommen, weil ich ständig einsam war, wenn wir uns nicht gesehen haben, aber man kann sich ja nicht die ganze Zeit sehen. Trotzdem«, er hielt inne und nahm einen Schluck Kamillentee aus der Goofy-Tasse, aus der wir jetzt wohl zu dritt tranken, was mir egal war, ich wollte Wolfram nicht aus seinem Sanftheitsmodus bringen, »trotzdem«, fuhr er fort, »im Großen und Ganzen war es einfach nur sehr, sehr schön.« Er atmete tief durch und unbewusst oder bewusst tat ich es ihm gleich. »Dann aber hatte ich diesen Traum.« Er schwieg einen Moment, als hätte er damit alles gesagt. Die Asche seines Joints fiel auf den Tisch. In Zeitlupe. Ich zog den Borges-Band etwas zur Seite. Nach einer ewig langen Pause – ich traute mich nicht, etwas zu sagten – fuhr Wolfram fort.

Er erzählte ausgiebig davon, dass er geträumt habe, wie er und diese Frau gemeinsam alt geworden wären, Kinder, Haus, Hund, Familie, das volle Programm, und auch das sei zunächst einfach nur sehr, sehr schön gewesen, »überraschend vielleicht«, sagte Wolfram, »aber eben auch sehr, sehr schön.« Als er allerdings aufgewacht war, sei ihm klar geworden, zumindest habe er das in dem Moment gedacht, dass die Wirklichkeit nicht mit dem Vorausgesehenen übereinzustimmen pflegte. Ich brauchte einen Moment, ehe ich verstand. »Ein harmloser Gedanke vielleicht«, sagte Wolfram und blickte mich eindringlich an, »aber mit perversester Logik habe ich daraus meine Schlüsse gezogen. Ich habe gefolgert, dass diese gemeinsame und glückliche Zukunft im Traum vorherzusehen so viel geheißen haben könnte, wie zu verhindern, dass sie eintreten würden. Das

war der Anfang vom Ende«, sagte er. Ich schluckte. Zunächst habe er versucht, fuhr Wolfram fort, sich diesen Aberglauben auszureden. Als das nichts geholfen habe, habe er sich bewusst zu Gegenvisionen gezwungen und sich auf Dinge fokussiert, die einer gemeinsamen Zukunft entgegenstehen würden, um vielleicht doch eine Chance darauf zu haben. »Völliger Wahnsinn«, sagte Wolfram, »ich war völlig wahnsinnig geworden«. Das erneute Klingeln des Trap-Fons unterbrach ihn. Wolfram hob ab. Mein Herz raste.

»Was? … Ja, Juan, das verstehe ich… Kann sein, aber ich habe keine Lust … Jaja … Ist gut jetzt. … Ich rufe dich zurück. … Ja, ja, ciao.« Er legte auf. »Sorry.«

Wolfram stand auf und schüttelte den Kopf. Ich glaube, er hatte Tränen in den Augen. Er bückte sich, murmelte etwas von Wirklichkeit und Wahnsinn, dann zog er ein Tütchen mit einer rot-blauen Pille aus einer Schublade.

Ich nahm es und bedankte mich. Als ich Wolfram bezahlen wollte, winkte er ab. Stattdessen umarmte er mich und flüsterte mir ins Ohr, dass ich auf mich aufpassen solle. Er roch angenehm nach Lavendel.

»Was war mit dir und der Frau?«, fragte ich. Aber Wolfram schob mich, ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, nach draußen.

Was in den darauffolgenden Stunden geschah, weiß ich nicht mehr. Ich kann mich nur an kribbelnde Kopfhaut erinnern und ein Gefühl von Thrill und Transzendenz. Als ich wieder bei mir war, zwitscherten bereits die Vögel. Ich saß auf unserem Balkon, neben mir auf dem Tisch standen mein aufgeklapptes MacBook und eine Schüssel mit geschmolzenem Softeis. Die Wolken am Horizont waren verschwunden. Die Luft flirrte. Es würde sehr heiß werden heute. Ich drehte mir einen Joint zum Runterkommen. Während ich rauchte, überlegte ich, endlich einen Text über Fides und diese Softeismaschine zu schreiben. Vor mir flogen die Schwalben und ich spürte die neidischen Blicke der Tauben.

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»Das müsste das Richtige für dich sein«, sagte er und hielt mir das Tütchen hin. »

LUFTRAUSCH High durch Atmen

Meeresrauschen. Kleine Wellen, langsam größer werdend, die an einem langen, breiten Sandstrand anrollen. Das Geräusch des Wassers klingt in meinen Ohren und erschafft ein Bild der Wellen in meinem Kopf. Ein sanftes Dahingleiten des nassen Tones. Das blaue Nass fließt langsam auf den Strand zu, während die vorherige Welle wieder zurückfließt. Die Geräusche der sich zurückziehenden und der brechenden Welle gehen langsam ineinander über und schaffen einen Klangteppich aus Wassertropfen. Mal kommt eine größere Welle, mal eine kleinere. Ich versuche eine Regelmäßigkeit in den Geräuschen auszumachen, doch das Meer und dessen Geräusche sind unberechenbar. Der Versuch, die Regelmäßigkeit zu definieren ist ein Versuch, einen Überblick und Kontrolle zu gewinnen. Wie über alles im Leben. Das Wasser ist ganz nah, während es doch so weit weg ist. Ich erinnere mich wieder, dass ich nicht am Meer liege, sondern auf einer dünnen Matte auf dem Boden.

ATMEN STATT LSD

Auf dem Boden, mitten in einem Therapieraum in Innsbruck. Der Tag heute gleicht fast einem Urlaubstag am Meer. Es hat 30 Grad und draußen sind alle in luftiger Sommerkleidung unterwegs. Doch davon bekomme ich hier und in diesem Moment nichts mit. Im Therapieraum geht es nur um die Luft in meinen Lungen. Durch bewusstes Atmen werde ich »abgespaltene Teile meines Wesens erfahrbar machen« – so heißt es auf der Website von Martin Gartner, bei dem ich heute zum sogenannten Atmen bin. Andere Quellen beschreiben, dass erweiterte Bewusstseinszustände erreicht werden können. Oder auch eine Art Trancezustand – und das ganz ohne Rausch-

Kreisatmung – ein direkter Übergang zwischen Ein- und Ausatmen. Diese Atemtechnik ist wichtiger Bestandteil der integrativen Atmung. Sie soll es ermöglichen, ganz ohne Rauschmittel Zustände des erweiterten Bewusstseins zu erreichen. Unsere Redakteurin Priska hat 90 Minuten lang im Kreis geatmet, um zu sehen was mit ihrem Bewusstsein passiert – eine Reportage.

mittel. Die Atemtechnik funktioniert in Anlehnung an das holotrope Atmen, das der tschechischen Psychotherapeuten und Psychiater Stanislav Grof in den 70er Jahren entwickelte. In Prag untersuchte er die Auswirkungen verschiedener psychedelischer Substanzen. Insbesondere durch LSD versuchte er sogenannte Modellpsychosen hervorzurufen, um daran Psychosen zu erforschen. Mit dem Verbot von LSD zu Forschungszwecken war Grof gezwungen, einen anderen Forschungsansatz zu wählen, und entwickelte das holotrope Atmen, um dadurch das Bewusstsein der Atmenden zu erweitern. Dennoch sah er die Atemtechnik nie als ausreichenden Ersatz für LSD.

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TRÄUME ICH?

Auf der dünnen Unterlage auf dem Boden liegend konzentriere ich mich nur auf meinen Atem und stelle mir einen Kreisel vor, der – dynamisch von meinem Atmen angestoßen – sich nicht aufhört zu drehen. Das Wasser schlägt noch immer am Strand auf und ich versuche das Strömen der Luft durch meinen Mund frei und unabhängig vom Strömen des Wassers gleiten zu lassen. Der Atem fließt durch meinen Körper und ich fülle und entleere meine Lungenflügel bei jedem Zug vollständig. Aus dem meditativen Atmen werde ich wieder ins Jetzt gerissen. Meine Augenlieder sind schwer und es fühlt sich so an, als wäre ich gerade aufgewacht. Habe ich wirklich geschlafen, oder war ich dabei, in ein sanftes Dösen zu verfallen?

Ein … und wieder aus –

Wie viel Zeit ist mittlerweile vergangen? Es fühlt sich ein bisschen so an, wie aus einem Halbschlaf am Morgen zu erwachen. Dieser leichte Schlaf, der sich einstellt, nachdem man schon einmal wach war. Nur dass sich mein Körper frischer anfühlt und der Kopf wacher ist. Es liegt keine schwere Müdigkeit auf mir, alles fühlt sich ungewohnt leicht an. Ich erinnere mich wieder an den Ort, an dem ich mich befinde. In einem behaglich eingerichteten Raum, an einer Wand ein alter Kleiderschrank, eine andere Wand gefüllt mit allen möglichen Musikabspielgeräten. Da sind mehrere CD-Spieler sowie einige Musikboxen in den Ecken des Raums. An den Wänden hängen unterschiedliche Bilder, die teilweise eine gewisse ▶

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»Atme weiter.
Ein – … und wieder aus – wie ein Kreis –
«
© Priska Wörl

Spiritualität vermuten lassen. Über ein Schränkchen wurden farbige Tücher geworfen und neben der CD-Anlage steht eine Trommel und eine Zimbel auf einem Hocker. Das Zentrum des Raumes bin in diesem Moment ich. Auf einer dünnen Unterlage mit einem Leinentuch. Zu meinen Füßen eine leichte Decke, mit der ich mich bei Bedarf zudecken kann.

In der Vorbesprechung erklärte Martin, dass es durch das Atmen zu sehr verschiedenen Gefühlen und Wahrnehmungen kommen kann. Um in einer solchen Situation nicht durch Höflichkeiten gehemmt zu sein, bietet er deshalb seinen Patient*innen das "du" an. Manche Menschen spüren beim Atmen den ganzen Körper kribbeln, andere haben das Gefühl zu fliegen oder zu schwimmen.Häufig kribbelt das Gesicht, da sich durch die Atmung die sonst verspannten Muskeln entspannen. Das Gesich fühlt sich an, als wären Ameisen darüber gelaufen.Ich spüre, dass sich meine Gesichtsmuskulatur entspannter anfühlt als sonst.

ANGST UND ZWEIFEL ÜBERWINDEN

Die Wellen sind weg, inzwischen stehe ich an einer Straße, es fahren kleine und große Fahrzeuge vorbei. Sie fahren in einer Unregelmäßigkeit und es entsteht ein Geräuschteppich aus langsam ankommenden und sich wieder entfernenden, rauschenden Klängen. Wie die Wellen am Strand. Die Geschwindigkeit und die Lautstärke des vorbeirauschenden Dröhnens ziehen mich mit. Sie nehmen mich im Strom auf und reißen an mir. Ich beginne zu laufen und renne durch die Lautstärke, den Wirbel und den Strom, der mich nicht loslässt. Der Strom. Ist es Wasser oder Verkehr? Er treibt mich immer weiter und weiter. Ich sehe alles an mir vorüberziehen, wie aus einem Autofenster auf der Autobahn. Versuche dabei alles um mich zu greifen, aufzusaugen und festzuhalten. Dann erfasst mich eine tiefe Traurigkeit. Eine Traurigkeit, die zuzulassen mich glücklich macht. Ich beginne zu weinen. Es fühlt sich befreiend an, weinen zu können. In den letzten Tagen habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht, was mich wohl erwarten wird in diesen »anderen Bewusstseinszuständen«. Ich habe mich gefragt, ob ich diese Erfahrung überhaupt zulassen kann und will. Denn der Ansatz hat doch etwas sehr Spirituelles und ist auf den ersten Blick so gar nicht rational, wie ich sonst. Dennoch habe ich beschlossen, der Erfah-

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© Priska Wörl

rung eine Chance zu geben. Selbst wenn ich eine Stunde nur atme und sonst nichts passiert. Dann hätte ich es wenigstens ausprobiert. Eine große Angst bestand darin, blockiert im Kopf zu sein und durch die schnelle Atmung in eine Hyperventilation zu verfallen. Martin Gartner erklärte schon im Vorgespräch, dass die Erfahrung jederzeit abgebrochen werden könne und man sich zu jedem Zeitpunkt des Erlebnisses bewusst ist, wo man sich befindet und was gerade passiert. Die gesamte Sitzung sollte zwischen 60 und 90 Minuten dauern. Die Atmung und die Intensität steigere sich zunächst und würde anschließend in eine entspanntere Phase übergehen. Immer wieder frage ich mich also während des Atmens, wie viel Zeit wohl schon vergangen ist. Als die Musik und damit auch meine Atmung ruhiger wird, erwarte ich innerlich den Übergang in die Entspannungsphase und bin überrascht, als die Geschwindigkeit der Kreisatmung wieder zunimmt.

KÖRPER UND PSYCHE ALS EINHEIT

Immer wieder wechselt Martin die CDs und es ertönen unterschiedliche Klänge. Von Entspannungsmusik bis hin zu etwas schnelleren Gesängen. Die nächste Geräuschkulisse entführt mich an ein Lagerfeuer im Urwald. Menschen trommeln gemeinsam. Durch die vitalisierenden Kräfte inmitten der Ruhe des Waldes schöpfe ich Energie und beginne zu tanzen. Im Tanz kann ich vollkommen loslassen, genieße das Freiheitsgefühl der Bewegung und spüre jeden Teil des Körpers intensiv.

Ein Ansatz der integrativen Atmung ist es, körperliches Empfinden wieder mit dem psychischen zu verknüpfen. In vielen Anschauungen unserer Welt wird Körper und Geist getrennt voneinander betrachtet und ein ganzheitlicher Ansatz oft als spirituell betrachtet. Der gesamte Körper funktioniert als Einheit. Wenn sich auf einer Ebene eine Blockade manifestiert, kann sich diese auf andere Ebenen ausbreiten. So beginnen wir zum Beispiel in Situationen starker psychischer Anspannung auch unsere Muskeln anzuspannen. Das kann teilweise zu starken Verspannungen führen, besonders im Rücken- und Nackenbereich. Die Disziplin der Psychosomatik beschäftigt sich mit dem Einfluss psychischer Faktoren auf den Körper. Typische Leiden sind zum Beispiel Tinnitus oder chronische Schmerzen. Wirken sich körperliche Leiden auf die Psyche aus, spricht man von Somatopsychologie. Beide Disziplinen be-

schäftigen sich wissenschaftlich mit den Wechselwirkungen von Psyche und Körper. Atmung als Ansatz und Zugang zur Psyche. Atmung als Grundlage für unser Leben. Ohne Essen und Trinken können Menschen ein paar Tage gut überleben. Aber wer keine Luft holt, wird dies nicht lange durchhalten. Über die Art unserer Atmung können wir Anund Entspannungszustände gut ablesen und steuern. Oft ist das Gefühl, keine Luft zu bekommen, auf psychische Leiden zurückzuführen. Viele Menschen, die immer wieder Atemprobleme oder Luftnot haben, nehmen das Angebot des integrativen Atmens wahr, um ihren Luftblockaden auf den Grund zu gehen. Sie wollen wieder erfahren, wie sie frei atmen können. Vor der Sitzung erläuterte Martin, dass unsere Angewohnheiten und Blockaden durch die Kreisatmung durchbrochen werden können. So werden Erinnerungen und unser Bewusstsein genauso frei, wie die Atmung in dem Moment ist. Ich bin mir nicht sicher, wie viel Blockaden und Freiheit das Atmen bei mir im Kopf durchbrochen oder befreit hat. Aber die Erfahrung des freien Atmens und des Freifühlens im Atem konnte ich spüren. Noch immer habe ich kein Zeitgefühl, doch durch seine sonore Stimme gibt Martin mir zu verstehen, dass ich nun alle Luft in meiner Lunge beim Ausatmen ganz loswerden solle. Alle Erfahrungen und Bilder der letzten Stunde als gegeben hinnehmen. Ich versuche weiter ohne zu viele Gedanken im Hier und Jetzt zu sein und fühle mich entspannt und leicht. Die Atmung wird wieder flacher und durch die intensiven Ausatmungen fallen die Gedanken und Momente der letzten Stunde von mir ab. Ich durchforste meine Erinnerungen an die letzten Erlebnisse in diesem Raum und bin mir nicht mehr sicher, ob ich mich noch an alles so erinnern kann, wie ich es in dem Moment erlebt habe. Es fühlt sich ein bisschen an, wie das Sich-Erinnern-Wollen an Träume, von denen es nur Bruchstücke in die aktive Erinnerung geschafft haben. Martin Gartner beschreibt seinen Ansatz des integrativen Atmens auf seiner Website. Er stellt einen Zusammenhang mit dem holotropen Atmen her, aber auch mit dem »Rebirthing« nach Leonard Orr. Wie der Name sagt, sollen die Menschen sich durch die Atemtechnik wie neu geboren fühlen oder sogar die eigene Geburt wiedererleben. Wie sich meine eigene Geburt angefühlt hat, weiß ich durch die Sitzung zwar nicht, aber die körperlichen und gedanklichen Erfahrungen während der Sitzung hatten durchaus etwas Rauschhaftes. Einige der Bilder kommen mir seitdem immer wieder in den Sinn und regen mich in vielen Lebensbereichen zum Nachdenken an.

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KopfKörperKopfKörper von Priska Wörl

Rettender Rausch

Wenn Etwas das Sein plötzlich übernimmt, all die Gedanken bestimmt, der Puls unaufhaltsam steigt, Rationalität sich versteckt und leise schweigt.

Dann befindet sich der Geist in Ekstase, die Realität in einer anderen Blase, abgeschottet und betäubt, sich am Moment erfreut.

Wenn der Verstand nur mehr Nebensache ist, die Vernunft aufs Atmen vergisst, die Klarheit langsam verschwimmt, die Anarchie gewinnt.

Dann hat Etwas überhandgenommen, der Körper existiert nur noch benommen, in Ekstase ganz außer sich verliert er sich und ich auch mich. Wenn Etwas unaufhaltsam randaliert, das innere Chaos kontrolliert, der Körper leise bebt, jede einzelne Zelle aufgeregt schwebt.

Dann herrscht ein Zustand wo Emotionen sind außer Rand und Band, Handlungen und Reaktionen völlig enthemmt, alles in allem ambivalent. Wenn die Sicht verschoben, die Zellen nicht mehr schweben, inzwischen wild toben, die Nerven stimuliert, die Gefühlswelt explodiert.

Dann wird die Realität zur Trance Körper und Geist in ungleicher Balance Ein Kennenlernen betäubender Vielfalt Grenzenlos, ohne Halt. Wenn Logik plötzlich unlogisch wird, der Geist höchstverwirrt.

Dann haben Prinzipien keinen Platz mehr, höher, weiter, schneller - puff, dann ist es leer.

Danach sucht die Menschheit täglich, damit die Welt und das Leben wird erträglich, Gibt alles hin und geht ein jeden Tausch, Für diesen einen rettenden Rausch.

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Von purem Glück und Flow im Sport

Irgendwo zwischen Überforderung und Unterforderung, Anforderung und Fähigkeit, Kontrolle und Risiko kann es zum Flow-Zustand kommen. Auf den Spuren des Glücks erfand der ungarische Forscher Mihály Csíkszentmilhályi die Flow-Theorie. Vergleichbar mit einem Kleinkind, das stundenlang vollkommen vertieft in das Spielen mit Bauklötzen ist und die Zeit vergisst, können auch Erwachsene in den verschiedensten Tätigkeiten Flow erleben. Beim Erlernen eines neuen Musikstücks, am Schreibtisch auf der Arbeit oder beim Sport. Ich habe Sportler*innen nach ihrem Flow-Erleben gefragt und darüber mit der selbstständigen Sportpsychologin Isabelle Abbasi gesprochen.

Ich tauche in eine andere Welt ein und komme in einen eigenen Rhythmus . Nichts spielt mehr eine Rolle, es läuft von allein.

- Schwimmen, Petra

© Undine Marisa Schmidt
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FLOW

Der Begriff des Flows hat in unserer Alltagssprache nur noch wenig mit dem wissenschaftlichen Phänomen des Flow-Zustands zu tun. »Flow meint das totale Verschmelzen mit einer bestimmten Handlung.«, erklärt Isabelle Abbasi. Das Gefühl kommt auf, wenn eine Tätigkeit anspruchsvoll ist, sie aber so gut zu meistern ist, dass sie fast automatisch abläuft. Im Flow-Zustand werden alle Störreize, Ablenkungen, Umwelteinflüsse und soziale Erwartungen ausgeblendet, so dass das Selbst und die Handlung eng miteinander verbunden sind.

Auf dem Trail beim Mountainbiken bin ich im Tunnelblick. Ich spüre genau wie mein Zeigefinger gegen den Bremshebel drückt, in welchem Winkel mein Fuß auf dem Pedal steht, wo mein Bein den Rahmen berührt wenn ich mich in die Kurve lege. Das Rad und ich sind eins. Die Augen sind starr auf den staubigen Weg vor mir gerichtet. Bin ich im Flow?

Die Sportpsychologin Isabelle Abbasi spricht verschiedene Merkmale an, die das Flow-Erlebnis ausmachen. »Zum einen ist es die absolut fokussierte Konzentration auf diese eine Handlung, die du gerade ausübst. Es ist das Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein. Das reflektierte Selbstbewusstsein verschwindet, wenn du im Flow bist.« Typisch für den Flow-Zustand ist trotz einem starken Bewusstsein für Selbstkontrolle das Gefühl von Zeitverlust. Ob nun zwei Minuten oder eine halbe Stunde vergangen sind, ist im Flow schwer einzuschätzen. Ein weiteres Merkmal für Flow, der Sportpsychologin zufolge ist, dass »das Ausführen der Tätigkeit an sich schon als belohnend wahrgenommen wird.« Besonders im Leistungssport ist das relevant, weil die Athlet*innen wettkampf- und ergebniszielorientiert sind. Lernen die Sportler*innen das Flow-Gefühl zu schätzen, empfinden sie auch Freude an ihrem Sport an sich und nicht erst, wenn sie eine Medaille um ihren Hals gelegt bekommen.

Im Flow werden Glückshormone ausgeschüttet. Flow macht nachhaltig zufriedener und kann dazu verhelfen Grenzen leichter zu überwinden. Glücklicher und besser, das klingt erstrebenswert. Kann man sich absichtlich in ein Flow-Gefühl versetzen? Die Antwort ist im ersten Moment etwas ernüchternd, denn Isabell Abbasi erklärt: »Es ist eher etwas, das zufällig passiert. Man kann aber die Bedingungen und Fähigkeiten, die es braucht, um in diesen Zustand zu kommen, trainieren.« Trainiert man also bestimmte Techniken wie fokussierte Aufmerksamkeitsregulation und Meditation, ist das schon ein erster Schritt in Richtung Flow. Zudem gibt es bestimmte Bedingungen, die als Voraussetzung für das Flow-Erleben gelten. Neben der Balance zwischen Anforderung, Fähigkeit und einer konkreten Zielsetzung braucht es zudem eine Art Feedback. Dieses Feedback kann von Teammitgliedern, Freund*innen, sich selbst, oder auch Fitness-Trackern eingeholt werden. Ein Flow-Gefühl kann zwar bei den verschiedensten Tätigkeiten im kreativen, wissenschaftlichen oder sportlichen Bereich aufkommen, doch alles Extreme hat ein besonderes Potenzial für Flow. Extremsportarten wie Klettern, Ultra-Marathons oder Mountainbiken, bei denen ein gewisses Risiko vorhanden ist, sind prädestiniert für ein Flow-Gefühl.

IM » 17
GLÜCK DES FLOWS
IST NICHT GLEICH FLOW
Beim Mountainbiken habe ich manchmal das Gefühl zu schweben , wenn ich mich voll darauf einlasse und im Moment bin.
Ist das der Flow?
KULTUR

FLOW WIE IM RAUSCH IM FLOW BLEIBEN

Ich bin wieder auf dem Trail. Das Mountainbike und ich, wir bewegen uns leicht über Steine, Wurzeln, Absätze. Es flowt. Gleich kommt ein Sprung. Ich bereite mich auf den sich vor mir aufbauenden Erdhügel vor, schieße über ihn hinweg und merke plötzlich, dass ich überdrehe. So steil soll das Vorderrad nicht in der Luft stehen. So schnell hätte ich den Kicker nicht nehmen dürfen. Und so weicht Flow der Angst. Vom Glück des Flows ist nichts mehr zu spüren.

Sobald sich in der Balance zwischen Fähigkeit und Anforderung etwas ändert und die Anforderungen beispielsweise zu hoch werden, wird der Flow-Zustand verlassen. Steigen die eigenen Fähigkeiten an, aber die Anforderungen bleiben auf dem gleichen Niveau, kommt man von Flow in Unterforderung oder sogar in die Langeweile. Um die Anforderungen immer weiter zu steigern und dem wachsenden Können anzupassen, kann das Risiko der Tätigkeit erhöht werden. Kann so das Phänomen des Flows gefährlich werden? Gibt es negative Folgen von Flow? Die Sportpsychologin Isabelle Abbasi antwortet damit, dass Selbstüberschätzung und die erhöhte Risikobereitschaft durchaus gefährlich werden könnten. Ein Merkmal von Flow ist zwar das starke Gefühl der Kontrolle über die Handlung, gleichzeitig neigt man im Flow auch dazu, die Situation nicht mehr objektiv einschätzen zu können. Dazu kommt das Bedürfnis den Flow-Zustand, das Glücksgefühl dabei, immer und immer wieder zu erleben. Manche gehen deshalb in ein Über-Training und respektieren Erholungsphasen nicht, wodurch die Verletzungsgefahr steigt.

Im Flow-Zustand werden, ähnlich wie im Drogenrausch, Glückshormone wie Dopamin, Noradrenalin und Serotonin ausgeschüttet. Da liegt die Frage nahe, ob Flow süchtig machen kann. Der Begründer der Flow-Theorie, Mihály Csíkszentmilhályi, erkannte einen Suchtfaktor im Flow und sprach von positiver Sucht. Positiv, da nach seiner Erkenntnis der Flow-Zustand und die Tätigkeit dahinter nichts Schlechtes an sich haben und eine Abhängigkeit daher nicht gefährlich sein kann. Allerdings passen Umschreibungen wie Leidenschaft oder Sehnsucht sehr viel besser als Sucht, weil Letztere doch sehr negativ konnotiert ist. Isabelle Abbasi glaubt nicht, dass Flow ein Suchtpotenzial hat, das auf die gleiche Art und Weise gefährlich ist wie Drogenkonsum. Denn auf dem Weg zum Flow-Zustand und im Flow-Gefühl selbst erhalten Körper und Geist so viel Gutes, dass nicht von Gefahr gesprochen werden kann, solange Euphorie-Schübe und andere eigentlich positive Effekte des Sports nicht zu einer Sucht führen. Glücksgefühle, Überwindung und Losgelöstheit überschatten die geringe Wahrscheinlichkeit negativer Folgen des Flows.

Freude entsteht an der Grenze zwischen Langeweile und Anspannung. Dort, wo Herausforderung und Handlungsfähigkeit im Gleichgewicht sind.

KULTUR

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- Mihály Csíkszentmilhályi

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mit

Drogenabhängigkeit

Hätte man mir mit 14 Jahren gesagt, dass ich zwei Jahre später ein Junkie bin, der nur noch den Konsum im Kopf hat und alles, was er in die Finger bekommt, exzessiv konsumiert, hätte ich das nicht geglaubt. Hätte man mir mit 16 gesagt, dass ich ein Jahr später fast an einer drogeninduzierten Vergiftung sterbe und ich dadurch einen psychischen Schaden erleide, der so tief geht, dass nicht einmal Zeit ihn heilen kann, hätte ich das auch nicht geglaubt. Heute bin ich 22 Jahre alt und angewiesen auf einen opioiden Wirkstoff, jeden Tag – um zu »überleben«. Das polytoxe Konsummuster von früher habe ich weitgehend abgelegt und ich konsumiere »nur« noch Cannabis, Opium und Nikotin. Aber solange man als bereits Suchtkranke*r irgendetwas konsumiert, schwimmt man dabei im Kreis. Die jeweilige Substanz ist irgendwann nebensächlich.

Mit 15 habe ich mit Freunden das erste Mal Cannabis konsumiert. Über einen Zeitraum von einigen Monaten hat sich die Substanz immer weiter in mein Leben geschlichen, bis sie zu meinem absoluten Lebensmittelpunkt wurde. Nur high konnte ich mich selbst, meine Mitmenschen und diese totlangweilige und enttäuschende Realität ertragen. Sobald das THC* in meinem Kopf angefangen hatte zu wirken, war auf einmal alles gut. Dieses Gefühl wollte ich für immer haben – würde es am liebsten immer noch Die Gründe dafür, warum man schon so früh anfängt zu konsumieren, sind wahrscheinlich vielschichtig und nicht immer so einfach zu erklären. Bei mir war es wahrscheinlich Naivität, ein geringer Selbstwert und der ewige Drang, aus dieser normalen Wirklichkeit auszubrechen, den ich schon als kleines Kind hatte. Aber aus kindlichen Fantasiewelten oder Videospielen wurden irgendwann psychoaktive und chemische Substanzen, die meine Welt für immer verändert haben.

»Forever i melt and float away like waves in the ocean«
und der Angst & Zerstörung, die dadurch in mir entstanden sind
Erwachsenwerden
20
von »hakomah«
KULTUR

Als ich mit 16 das erste Mal MDMA** genommen hatte, dachte ich: »So fühlt sich der Himmel an«. Nichts Reales, was bis dahin passiert ist, konnte auch nur ansatzweise mit dieser Erfahrung mithalten. So strebte ich unablässig danach, in diesen Himmel zu kommen, nicht ahnend, dass mich der daraus resultierende Dauerkonsum in schwarze Löcher reißen wird und ich dadurch noch bis unbestimmte Zukunft Folgeschäden davontragen würde. Weil ich an meinem Drogenkonsum fast gestorben bin, haben sich bei mir 2017 eine generalisierte Angststörung sowie eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt. Deswegen macht mich auch heute noch mein Gesundheitszustand jeden Tag kaputt. Es ist für mich nicht möglich, auf natürliche Weise zu entspannen. Und trotzdem konnte ich nie damit aufhören, Drogen zu nehmen. Aus Cannabis und MDMA und vielen anderen chemischen Substanzen wurden zuerst Medikamente wie Benzodiazepine, zum Beispiel Xanax oder Diazepam, und dann Opiate und Opioide wie Tramadol, Kratom und Morphium.

Es gibt einen Teil in mir, der trotz der hundert Katastrophen, die meine Abhängigkeit und meine Psyche in mir ausgelöst haben, niemals darüber hinwegkommen und einfach nicht vergessen kann, wie es sich anfühlt, zu fliegen, befreit zu sein – auch wenn es nur ein paar Minuten sind. Die Freiheit, einen Joint mit ein paar Freunden zu rauchen und alle möglichen Musikrichtungen zu hören, ja – in sich aufzunehmen – zu lachen und Massen an Süßigkeiten zu essen ist schon viele Jahre nicht mehr da. Heutzutage muss ich meinen Tag strikt danach planen, wann ich mein Opioid konsumieren muss, weil ich sonst psychische und körperliche Entzugssymptome bekomme, die weit davon entfernt sind, lustig zu sein. Wenn man so früh anfängt zu konsumieren, baut man seinen Gehirnstoffwechsel regelrecht um. Meine Rezeptoren haben gelernt immer etwas zu brauchen, um sich gut zu fühlen.

Doch trotz allem habe ich sehr gute Freunde und eine Familie, die immer hinter mir steht. Seit längerem bin ich auch in einer Beziehung. Obwohl ich aufgrund meiner gesundheitlichen Probleme nur halbtags arbeiten kann, habe ich einen Job, den ich cool finde und Arbeitskolleg*innen, die ich schätze. Ich liebe Kunst und Musik. Vor allem Hip-Hop begleitet mich schon mein Leben lang. Ich spiele ein Instrument und es gibt viele weitere Dinge, für die ich mich begeistern kann. Dies scheinen gute Voraussetzungen zu sein, um aufzuhören, aber so funktioniert eine Abhängigkeit nicht. Meine jedenfalls nicht. Das was mir eine Droge gibt, bekomme ich von keinem Menschen und von keiner Tätigkeit, die ich ausübe. Es ist etwas in mir, das sich scheinbar nur mit Substanzen und der damit einhergehenden Betäubung aushalten lässt, fast als würde mir irgendein Puzzleteil fehlen, das viele andere Menschen nicht wahrnehmen können. Wenn man jahrelang damit aufwächst, dass Drogenkonsum das normalste der Welt ist und dass emotionale Probleme nur auf diese Weise zu regeln sind, ist "einfach aufhören" eine Illusion, die nicht realistisch ist. 2018 war ich ein Jahr lang komplett nüchtern, weil ich aufgrund meiner psychischen Probleme nichts mehr konsumieren konnte, ohne eine Panikattacke zu bekommen. Dieses ganze Jahr über habe ich nur einen Grund gesucht, irgendwann wieder anzufangen und ihn dann natürlich auch gefunden. ▶

21 KULTUR
»Um die Konsequenzen und die Tragweite, die dieser Weg mit sich bringt zu verstehen, ist man mit 15 noch viel zu jung«
»Es hat sich angefühlt wie ein Vogelkäfig, der geöffnet wurde«

Wie oft ich schon fast an meinem Konsum gestorben bin, wie viel schlimme Dinge ich dadurch schon bei mir und anderen gesehen habe, wie sehr auch mein Körper und mein inneres Kind seit Jahren nach Hilfe schreien und wie viel Schmerz ich schon erlebt habe, es ist alles nicht mehr wichtig, sobald die Droge anfängt zu wirken Opioide und Opiate geben mir eine gewisse Form von Halt in meinem Leben, eine Krücke, wenn man so will, an die sich alles in mir so gewöhnt hat, dass ich ohne buchstäblich nicht mehr laufen kann. Das klingt alles sehr deprimierend und das ist es auch. In meiner Zukunft werde ich bestimmt irgendwann nochmal den Schritt gehen müssen, in

*THC: Abkürzung für Tetrahydrocannabinol

eine Entzugsklinik zu gehen und danach in eine Reha, die auf Abhängigkeit spezialisiert ist. Vielleicht schaffe ich es so. Vielleicht aber auch nicht, sondern vielmehr von mir selbst und eigener Willensstärke aus. Oder vielleicht jage ich mein ganzes Leben einem Rausch hinterher, dem Versuch, dieses fehlende Puzzleteil hineinzusetzen, ohne es je wirklich zu finden.

- der Wirkstoff, der für das High bei Cannabiskonsum verantwortlich ist.

**MDMA: Abkürzung für 3,4-Methylendioxy-N-methylamphetamin

- Hauptwirkstoff in Ecstasy-Pillen.

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»Der Gedanke, immer nüchtern zu sein, löst in mir etwas aus, das meinen Kopf überfordert und so wird er sofort verdrängt. Es ist als müsste ich damit einen Teil meiner Identität aufgeben.«
»
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Drop von Priska Wörl

Eins, zwei , ___ , ___ , Der Bass kickt, die Menschen fallen, fünf, sechs , ___ , ___ , Im Getümmel frei im Rausch verbunden

Der Bass kickt, die Menschen fallen, Im Getümmel frei im Rausch verbunden

Hingegeben der Musik, die Augen geschlossen. Der Körper im Rhythmus der sich immer wiederholenden

Bassklänge, die Kraft der Bewegung ganzer Massen. Sich

Hingebend und vergessend allen Leids

LYRIK
Bilder: aus der Fotostrecke "Bildrauschen" von Priska Wörl und Claudia Ploner

Bewegen und springen. stehen und singen. Lass dich treiben durch das High der Halle, die Menschen, die fallen und fliegen, stöhnen und lachen.

Schwitzend lauschend

Jeder Laut bewegend deinen Körper Schwingend die Melodie fühlend, schneller werdend Im Rausch der Beschleunigung.

Die Lider geschlossen, die Geschwindigkeit vor dem inneren Auge vorbei ziehend, während der Körper von selbst bewegt. Folgend dem Kicken, das lauter werdend an dein Ohr dringt und alles mitnimmt im Rausch der Beschleunigung. Schneller und immer schneller Alles dreht und hüpft, alles stampft und nickt Du – Schwitzt, Doch weiter und immer weiter geht alles voran Die Spannung, immer stärker immer schneller, Dein Herz klopft, die Atmung schneller, und -----Drop

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Der Bass kickt, die Menschen fallen.

in the void

they call me

i'm on fire

burning like delirious hot hell awaits me

am I here or just tired is this life or dying

sometimes we shredder ourselves we leave those breadcrumbs of our soul lying around in the dirty, dark world we float above them frenzy intoxicated wondering how much it will take to deshred us to take us back together piece by piece sometimes we wonder

von Valentina Adriana Ranseder Bilder: aus der Fotostrecke "Bildrauschen" von Priska Wörl und Claudia Ploner

angst, die dunkelheit dazwischen nie zu heilen

und wir wie wir so dort liegen hände in den taschen der kopf voll gespinsten der freiheit - der welt - unserer? wie wir so dort lagen über die welt und das glück und die liebe sinnierend fast berauscht murmelnd dachten aber zusammen wie wir wieder so da liegen gleich groß gleich mehr oder weniger doch nicht gleich ekstatisch verdreht doch so anders so fremd

so nicht mehr was wir einmal waren und stehen wir hier da

stehen zusammen und doch zersplittert die fäden der hirngespinste der vergangenheit ziehen an unseren seelen mästen sich an unseren leibern im blutrausch ihrer unzähmbaren gier und doch stehen wir hier so weit voneinander und uns entfernt denn was würden wir sonst?

Meine eigenen Taxi-Erfahrungen in Innsbruck sind bisher auf die Perspektive des Fahrgastes beschränkt. Ein Fahrgast, der immer recht gerne mit dem*der Fahrer*in redet – Konversationen, die allerdings meist nicht über »Und, ist viel los?« oder »Gutes Trinkgeld heute?« hinausgehen. Mehr als über die eine oder andere betrunkene Mitfahrt oder über eine verlorene Geldtasche kann ich aus meiner Taxi-Erlebnis-Sammlung nicht erzählen. Gernot Zimmermann geht es anders.

Eine Million Kilometer durch Innsbruck

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von Tobias Goller © Gernot Zimmermann

seinem Buch Eine Million Kilometer durch Innsbruck. Ich habe das Buch gelesen und

Zimmermann im Cafe Bambi beim ein oder anderen Bier darüber unterhalten.

Im Laufe der rund 250 Seiten fühlt man sich als Leser*in so, als würde man den Platz eines zusätzlichen Gastes in einer Fahrgastzelle einnehmen, die ein absurdes Verhältnis zwischen kubischem und kulturellem Raum darstellt. Als würde man Platz in einem Raum (ein)nehmen, der kleiner als zum Beispiel ein Aufzug zu sein scheint, in dem aber schon fast alle Geschichten erzählt, schon über alle Witze gelacht und schon viele Tränen geweint wurden. Lesend sitzt man so dabei, wenn beim »Promille-Service« zwei »Taxler« einen Fahrgast inklusive Auto nach Hause chauffieren. Man erlebt hautnah mit, wenn Paul Flora für Zimmermann einen kleinen Raben auf einen Rechnungszettel zeichnet und danach drohend sagt: »Wenn Sie behaupten, dass das von mir sei, dann zeige ich Sie an!« Es lässt sich vermutlich darüber streiten, ob Paul Flora der perfekte Fahrgast war. Aber gibt es denn den überhaupt?

» Den perfekten Taxigast hab‘ ich total oft im Auto gehabt. Er ist redselig, lustig, heiter und interessiert an meinem Schmäh. «

Іn dieser Ausgabe von Die Zeitlos thematisieren wir viele Arten von Rausch und rauschähnlichen Zuständen, Realitäten und Wahrnehmungen. Als ich anderen Autor*innen davon erzählte, dass ich über dieses Buch schreiben werde, kam des Öfteren die Frage zurück, was das Taxifahren in Innsbruck denn Berauschendes oder Rauschähnliches beinhalte. So gab ich die Frage an Gernot Zimmermann weiter: Wie hast du »Rausch!« beim Taxifahren erlebt?

Ein »Leider Nicht« war zum Beispiel jener Fahrgast, der sich nach Zagreb chauffieren ließ, für Zimmermann dort ein Hotel zahlen wollte, dann allerdings abhieb –in solchen Situationen hofft man auf die Kulanz vom Chef. Selten kam es auch zu physischen Attacken und kritischen Situationen. Laut Zimmermann habe das viel mit der Halbwelt** zu tun.

» Rausch war für mich immer Fokus. Ich kann auch Rausch bei mir mit Flow übersetzen. Wenn du in 12 Minuten fünf Mal auflegst*, dann gibt dir das so viel. (…) Außerdem hat mich dieses Brieflosgefühl sehr gereizt. Ist der Fahrgast ein "Leider Nicht" oder "Gutes Los". Du weißt davor nie, wie die Leute drauf sind oder wo sie hinwollen.«

Eine andere Fahrgästin, eine US-Amerikanerin, könnte man hingegen bestimmt als »Gutes Los« bezeichnen. Sie nutzte das Taxi als Sightseer und ließ vom Bergisel zur Hungerburg keine Sehenswürdigkeit aus. Zimmermann wurde beim Chauffieren durch die Stadt zum mobilen Reiseführer. Natürlich folgte darauf sehr gute Maut***.

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Ab 1983 war er 24 Jahre lang als Taxifahrer auf Innsbrucks Straßen unterwegs und hat dabei rund eine Million Kilometer zurückgelegt. Von einigen dieser Straßenkilometer erzählt er in
mich mit Gernot
»Die Grundregel ist ja: Du fängst die Konversation nie an. Der Fahrgast muss immer anfangen und dann ist der Hahn offen.«
»Einmal hat mir jemand ein Messer angesetzt an der Hüfte. Der hat schon ziemlich reingedrückt, aber ich hatte immer meine Haut an.« (Er deutet auf die Lederjacke)

Eine Million Kilometer durch Innsbruck wirkt wie eine sprachlich einfache, transkribierte Erzählung, die man so nur in gemütlichem und gewohntem Umfeld machen würde. Die spannenden und aufgrund ihrer Absurdität häufig fast schon unglaubwürdigen Anekdoten haben mich in ein Innsbruck vor meiner Zeit katapultiert. Die Lokale, von denen viele schon längst nicht mehr existieren, die Halbwelt*** und die Taxilegenden zeichnen ein Bild der Landeshauptstadt, das ich nun umso lieber in der Realität gesehen hätte. Unglaubliche 36-Stunden-Schichten und die damit verbundene Liebe zum Fahren zeichnen den Fahrrausch und so viel mehr auf rund 250 Seiten.

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Die Drogenarbeit

Ein realistischer Blick auf das soziale Phänomen des Rausches von Lea Hof

Seit 2014 gibt es in Innsbruck die Drogenarbeit Z6, eine Anlaufstelle für junge Menschen und deren Bezugspersonen. Auf ihrer Website bezeichnet sich die Einrichtung als »Fachstelle für Substanzfragen«.Ihr Angebot umfasst Information und Beratung zu allen Fragen rund um das Thema Drogenkonsum und dessen Auswirkungen. Kerim Mohamed, den ich für ein Gespräch getroffen habe, ist seit vier Jahren Teil des Teams und arbeitet in der mobilen Drogenarbeit.

Z6
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© MDA Basecamp

Die Zeitlos: Der Konsum von Alkohol und anderen berauschenden Substanzen ist bei jungen Menschen sehr weit verbreitet. Gehören Rausch-Erfahrungen zum Erwachsenwerden einfach dazu?

KerimMohamed: Je nach Kulturkreis schon, ja. Alkoholkonsum ist in Österreich prinzipiell weit verbreitet, von Jung bis Alt. Dadurch ist es quasi ein Kulturgut, Alkohol zu trinken. Diese Erfahrung wollen junge Leute beim Erwachsenwerden natürlich auch machen. Grundlegend muss man aber sagen, dass Rausch-Erfahrungen generell etwas total Menschliches sind. Wir haben dem gegenüber eine akzeptierende Haltung. Das heißt, wir sehen Rausch als soziales Phänomen an, auf das man einen realistischen Blick haben muss. Es gibt ganz viele Gründe, warum Menschen Erfahrungen mit Drogen machen wollen. Aber wenn man das macht, dann bitte mit möglichst wenig Risiko und Schaden für die Konsument*innen und mit möglichst viel Aufklärung und Information.

Was sind die häufigsten Konsum-Motive bei jungen Menschen?

Der absolute Klassiker ist sicher Hedonismus. Also Drogenkonsum als Genussmittel, zum Beispiel wenn man etwas feiert. Auch die Steigerung von sexuellem Lustempfinden kann ein Grund dafür sein, Drogen zu nehmen. Dann gibt es Menschen, die einfach Grenzerfahrungen machen wollen und mit dem Konsum von verschiedenen Substanzen experimentieren. Daneben ist auch emotionale Entlastung ein Konsum-Motiv, dass Menschen Drogen quasi als Selbstmedikation konsumieren. Das ist natürlich nicht sehr empfehlenswert. Diese Liste ließe sich jetzt lange fortsetzen. Es gibt sehr viele verschiedene KonsumMotive, gute wie schlechte.

Was umfasst das Angebot der Drogenarbeit Z6?

Wir haben recht viele verschiedene Angebote. Es gibt die stationäre Beratung, wo sich junge Leute rund um das Thema Drogen beraten lassen können. Einerseits natürlich, wenn man seinen eigenen Konsum verändern will oder Abstinenzwünsche hat, aber auch wenn man sich um Freund*innen Sorgen macht. Die Beratung steht auch Eltern und anderen Bezugspersonen offen, die über den Konsum ihrer Kinder reden wollen. Wir bieten auch Drug Checking an, man kann also bei uns Substanzen anonym abgeben, um sie analysieren zu lassen. Dann

gibt es die mobile Drogenarbeit, das MDA Base Camp. Wir sind zwei bis drei Mal im Monat auf Partys und Musikveranstaltungen in Tirol, hauptsächlich in Innsbruck, und informieren, klären auf und beraten zu allen Themen rund um Drogen. Außerdem bieten wir an unserem Stand Artikel für den sicheren Konsum und zur Risiko-Minimierung an. Ein weiterer Bereich ist unser erlebnispädagogisches Angebot, die Walk Abouts. Dabei ermöglichen wir unseren Klient*innen, in der Natur Grenzerfahrungen zu machen, die nicht mit Substanzen zu tun haben.

An wen richtet sich das Angebot?

Grundsätzlich sind unsere Zielgruppe Jugendliche und junge Erwachsene, also Menschen im Alter von zirka 14 bis 30 Jahren. Neben den Betroffenen selbst beraten wir wie gesagt auch Angehörige und Freund*innen. Prinzipiell bieten wir Beratung rund um alle Themen, die mit Drogenkonsum zusammenhängen, an, sei es in gesundheitlichen, rechtlichen oder sozialen Fragen. Weil unsere Beratungen anonym und vertraulich sind, müssen wir bei ganz jungen Menschen, zum Beispiel bei 12- oder 13-Jährigen, individuell abwägen, ob wir das verantworten können, oder ob da der Schutzfaktor überwiegt.

Sind alle Teammitglieder der Drogenberatung Z6 aus dem Bereich der Sozialen Arbeit?

Nein, wir sind multiprofessionell aufgestellt. Die meisten von uns sind Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen. Wir haben aber auch Psycholog*innen, ich selbst bin Soziologe, und auch ein Politologe und Jurist ist dabei. Alle von uns haben aber mindestens eine Ausbildung in systemischer Beratung und sind in motivierender Gesprächsführung geschult.

Wer sind eure Klient*innen? Kommen die meisten aufgrund von Suchtproblemen zu euch, oder lassen sich viele auch schon vorher beraten?

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Menschen, die einfach einen anderen Umgang mit einer bestimmten Substanz finden möchten, ohne ganz auf den Konsum zu verzichten. Wir haben auch Klient*innen, die mit einer Suchtproblematik zu uns kommen. Da kommen alle Substanzen vor, auch Cannabis, von dem oft gesagt wird, es mache nicht süchtig. Das ist Schwachsinn, natürlich kann man auch eine Abhängigkeit von Cannabis entwickeln.

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Wir beraten aber auch, wenn jemand sein Konsumverhalten gar nicht verändern will und sagt:

»Ich bin cool mit meinem Konsum, ich krieg mein Leben super auf die Reihe.« Wenn so jemand zum Beispiel Probleme mit der Polizei hat, bieten wir rechtliche Beratung an.

Gibt es so etwas wie gesunden oder unbedenklichen Konsum?

Drogenkonsum ist per se nicht gesund. Das ist immer wichtig zu sagen. Oft hört man Dinge wie »Gras ist viel gesünder als Alkohol«. Das stimmt nicht. Es ist vielleicht weniger ungesund. Aber nur weil etwas weniger schädlich ist, macht es das nicht gesund. Es gibt aber auf jeden Fall unbedenklichen Konsum, rein zu Genusszwecken. Wenn der Konsum jedoch in den Alltag integriert wird, wenn man eine Substanz braucht, um gewisse Funktionen zu erfüllen, dann wird es problematisch.

Innsbruck ist eine relativ kleine Stadt. Habt ihr das Gefühl, dass es hier eine überproportional große Drogenszene gibt?

Kokain und Ketamin. Daneben gibt es natürlich auch die Klassiker der Partyszene wie MDMA, Ecstasy und Speed.

Gab es seit der Gründung der Drogenarbeit Z6 Veränderungen im Konsumverhalten der Insbrucker*innen?

Wenn die Betroffenen den Wunsch haben, aufzuhören, ist das gut und wir unterstützen sie dabei. Aber es geht nicht darum, den Klient*innen eine bestimmte Sichtweise aufzudrücken und zu sagen: »Du musst jetzt damit aufhören, um gut leben zu können.«

Kann man mit einer Sucht ein gutes Leben führen?

Das ist eine schwierige Frage. Teilweise sicher, aber die Frage ist, könnte man ohne die Sucht besser leben? Es gibt Menschen, die können mit sehr vielen, sehr schlechten Dingen auf ihre Weise trotzdem gut leben und das Beste aus schlechten Voraussetzungen machen. Aber prinzipiell ist Sucht eine Erkrankung, die niemandem zu wünschen ist.

Rein an der Einwohnerzahl gemessen ist das wahrscheinlich der Fall. Aber es gibt immer mehrere Faktoren, die bei so etwas mitspielen. Innsbruck ist eine Tourismus-Stadt. Außerdem liegt es in der Nähe von drei Staatsgrenzen und ist dadurch auch eine starke Transit-Stadt. Dann ist es auch noch eine Universitäts-Stadt mit vielen internationalen Studierenden. All das trägt dazu bei, dass Innsbruck für seine kleine Größe doch eine sehr belebte Stadt ist. Es gibt hier eine große Partyszene und auch das Angebot an verschiedenen Substanzen ist sehr groß.

Welche Drogen werden in Innsbruck am meisten konsumiert?

Gras ist die illegale Substanz, die definitiv am meisten konsumiert wird. Abgesehen davon gab es in den letzten Jahren einen Boom bei

Seit wir das Drug Checking anbieten, haben wir einen recht guten Überblick darüber, was in Innsbruck so konsumiert wird. Vor ein paar Jahren gab es einen Peak bei der Dosierung von EcstasyTabletten. Da enthielten die Pillen durchschnittlich über 180 Milligramm Wirkstoff und teilweise sogar über 300 Milligramm. Das ist wirklich besorgniserregend. Wenn jemand mit 60 Kilo so eine Pille nimmt, ist das eine wilde Überdosis. Außerdem hat in den letzten Jahren, wie gesagt, der Kokain- und Ketaminkonsum stark zugenommen. Früher waren diese beiden Substanzen bei den Jüngeren weniger vertreten, eher bei älteren Generationen, zum Beispiel in der Gastronomie. Das ist jetzt aber in die breite Gesellschaft durchgesickert. Innerhalb der Partyszene ist vor allem der Ketaminkonsum angestiegen.

Wie läuft das Drug Checking ab?

Jeden Montag von 16 bis 19 Uhr kann man bei uns im Büro in der Dreiheiligenstraße 9 anonym und kostenlos Proben abgegeben.

Unser Eingang ist so gelegen, dass nicht offensichtlich ist, wo man hingeht. Es bleibt also wirklich alles anonym. Meistens brauchen wir nur sehr wenig von einer Substanz für die Analyse. Wir haben eine

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Wir als Verein haben keinen generellen Abstinenzwunsch, sondern wir wollen, dass Klient*innen ein lebenswertes Leben haben.

Kooperation mit der Gerichtsmedizin und in deren High-Tech-Labor werden die abgegebenen Substanzen dann analysiert. Am darauffolgenden Freitag kommt man dann wieder zu uns ins Büro und bekommt die Ergebnisse. Das Angebot wird sehr gut angenommen, pro Jahr werden mehrere hundert Proben bei uns zur Analyse abgegeben.

Welche Substanzen könnt ihr überprüfen, und welche werden am häufigsten abgegeben?

Am häufigsten werden Kokain, MDMA, Ecstasy und Speed abgegeben. In letzter Zeit wird auch häufiger Cannabis abgegeben, weil es das Problem gibt, dass Gras mit synthetischen Cannabinoiden gestreckt wird. Das ist oft legales CBD-Gras aus der Schweiz, das dann mit synthetischen Cannabinoiden gespritzt und bei uns als normales Gras verkauft wird. Teilweise bringen uns Leute aber auch Pillen oder Pulver, von denen sie nicht wissen, was es ist, weil sie die Substanzen gefunden oder geschenkt bekommen haben. Prinzipiell können wir fast alle Substanzen überprüfen, allerdings können wir nicht bei allen Drogen sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Analyse durchführen. Das ist vor allem bei sogenannten Designerdrogen der Fall. Der Markt schläft ja nicht und es werden ständig neue psychoaktive Substanzen entwickelt.

Wie hat sich eure Arbeit durch Corona verändert?

Im stationären Bereich konnten wir unter Einhaltung der Auflagen zum Glück die meiste Zeit weiterhin Beratungsgespräche anbieten. In der mobilen Drogenarbeit sind durch Corona neue Angebote entstanden: das MDA Lastenrad zum Beispiel. Der Konsum hörte ja nicht auf, nur weil keine Partys stattfanden. Also haben wir unseren Stand, der normalerweise in Clubs steht, noch mobiler gemacht und auf ein Lastenrad gepackt. Damit fahren wir durch die Stadt und klappern die Hotspots bezüglich Drogenkonsum ab.

Funktionieren Beratungsgespräche in diesem Setting besser als auf Musikveranstaltungen?

Es hat beides Vor- und Nachteile. Auf unserem Stand steht ja »Drogenarbeit« drauf und auf Partys ist man prinzipiell in einem privateren Raum, unter

Gleichgesinnten. Da ist die Scheu, sich länger mit uns zu unterhalten, oft kleiner als am helllichten Tag am Landhausplatz, wo man eventuell von einer Lehrperson oder sonst jemandem erkannt wird. Aber gerade was die Lautstärke betrifft, ist dieses Setting für uns natürlich angenehmer als in Clubs.

Wie wählt ihr aus, auf welche Partys ihr mit dem MDA-Basecamp-Stand geht. Habt ihr bestimmte Kriterien?

Wir sind in erster Linie auf Partys mit elektronischer Musik, weil Drogenkonsum eben Teil dieser Kultur ist. Aber es wird nicht ausschließlich auf solchen Partys konsumiert, das kommt auch bei Dorffesten in ländlichen Gegenden vor. Prinzipiell kann uns jede*r Veranstalter*in eine Anfrage schicken. Wir waren auch schon auf Festivals und anderen Veranstaltungen, es muss nicht unbedingt eine Techno- oder Goa-Party sein. Innerhalb von Innsbruck ist unser Angebot kostenlos. Bei Veranstaltungen im Rest von Tirol fällt eine kleine Gebühr an, welche die Gemeinden übernehmen.

Die Ampelkoalition in Deutschland will Cannabis legalisieren. Habt ihr als Organisation eine Position zur Legalisierung von Gras und anderen Drogen? Cannabiskonsum ist unter jungen Leuten sehr weit verbreitet. Darum wäre es im Sinne des Jugendschutzes wichtig, dass Cannabis reguliert wird. Außerdem sind wir dafür, den Konsum von psychoaktiven Substanzen zu entkriminalisieren. Eine Stigmatisierung von Konsument*innen ist keine gute Grundlage für eine sinnvolle und nachhaltige Drogenpolitik.

Danke für das Gespräch.

LOKAL
© Laetizia Karg

Rausch & Raum

Denken wir an den Begriff »Raum«, dann stoßen wir auf die 3Dimensionaliät unserer Bewegungsfreiheit, oder daran, dass überhaupt Raum da ist, unabhängig von den Richtungen und Wegen. Wir haben Platz, Möglichkeit und Frei-Raum, und wir sind in diesem Raum.

Dem alltäglichen Sprachgebrauch nach sind Räume aber vor allem von Wänden (hoffentlich mit Fenstern und Türen) eingegrenzte Erlebnis-Welten. Dabei gibt es durchaus Räume, in denen ein Rausch wahrscheinlicher ist als in einem anderen, etwa in einer Bar, nicht in der Universität (im Idealfall), oder ist es doch anders? Räusche sind doch ebenso mannigfaltig wie die Räume, in denen wir uns bewegen? Ein intellektueller Diskurs könnte mich ebenso berauschen wie eine Substanz oder Musik (natürlich auf andere Weise). Im Endeffekt könnte man sich all die Arten von Rausch, die auch in diesem Magazin behandelt werden, zusammengehörig mit dem jeweiligen Raum denken. Selbst wenn man in keinem Gebäude ist, findet man dennoch in einer Umgebung statt, die man auch Raum nennen könnte. Sei es die ‚Außenwelt‘ als geteilter Erlebnisraum oder die ‚Innenwelt‘ als privater Erscheinungsraum von Impressionen.

Gestaltung von Räumen

Um zur Musik zu kommen: Sie scheint ein ideales Beispiel zu sein, um zu verdeutlichen, wie entscheidend die Gestaltung von Räumen sein kann. Eine Bar oder ein Festival ohne Musik wäre für die Meisten unvorstellbar. Sie schafft eine Art Grundlage im Sinne eines äußeren Reizes, der nicht nur einfach aus den Lautsprechern kommt und um uns herumwirbelt, sondern ebenso in uns eindringt und unser Erlebnis prägt. Natürlich braucht man nicht zwingend Musik für ein berauschendes Gefühl, allerdings scheint sie sehr wirkmächtig zu sein. Ebenso gibt es neben der Geräuschkulisse viele andere Aspekte, die für die Erfahrung in Räumen entscheidend sein können, wie zum Beispiel die kulturellen Hintergründe der Menschen, deren Interessen, die Beleuchtung oder die Innenarchitektur im Allgemeinen. Im Endeffekt sind bei jedem Ort, an dem wir uns auffinden, implizite oder explizite Konturen und Rahmenbedingungen präsent, die das Erlebnis darin formen.

GESELLSCHAFT

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Set & Setting

Wenn wir thematisch zu einer konkreten Rauscherfahrung übergehen – nämlich der mit psychedelischen Substanzen wie LSD, Pilzen, Meskalin und dergleichen – wird uns eventuell das Begriffspaar »Set & Setting« unterkommen, welches in eine ähnliche Richtung wie »Rausch & Raum« geht. In der psychedelischen »Szene« ist die Beachtung von Set und Setting eine Art Fundament für den bewussteren und risikofreieren Umgang mit derartigen Substanzen.

Das Set meint dabei die konsumierende Person, sowohl ihr innerer Zustand als auch ihre aktuellen Lebensumstände. Es geht also darum, welches Set an Gedanken, Gefühlen, Sorgen und Sehnsüchten die Person mit in den Trip nimmt. Dabei wären leitende Fragen: »Bin ich zurzeit geplagt von Konflikten oder Schicksalsschlägen?«, »Bin ich physisch und psychisch wohlauf?«, »Was beschäftigt mich zurzeit?« oder »Warum möchte ich diese Substanz überhaupt konsumieren?«.

Das Setting wiederum bezeichnet das, was ich bisher als Raum beschrieben habe, somit die äußere Umgebung. »Wie ist der Raum so beschaffen?«, »Welche Menschen sind hier?«, »Vertraue ich ihnen?«, »Fühle Ich mich Hier wohl?«, »Läuft Musik? Wenn ja, welche?« oder »Welchen äußeren Reizen bin ich sonst so ausgesetzt?« wären hierbei beispielhafte Fragen.

Ebenso wichtig, wie die Berücksichtigung von Set und Setting, ist das angemessene Dosieren und (wenn überhaupt) der bedachte und nicht willkürliche Mischkonsum. Wenn ich hierbei von »bewusstem« und »bedachtem« Umgang spreche, meine ich ebenso das Informiert-Sein über die jeweiligen Substanzen, mit denen man hantiert. Das Nicht-Wissen(-Wollen) der Do’s und Don’ts bezüglich Mischkonsum und Dosierung ist in diesem Sinne ein grundlegender (und leider allzu häufiger) Fauxpas. Diese Art von Achtsamkeit ist sehr entscheidend, wenn es darum geht einen psychedelischen Rausch einzugehen. Dieser kann nämlich durchaus spannend, witzig und bereichernd sein, doch ebenso zutiefst beunruhigend und überfordernd. Eben wegen diesem Faktum des Risikos sollte diesbezüglich Vorsicht geboten und Behutsamkeit gepflogen werden. Dieser Behutsamkeit entsprechend gibt es auf psychedelischen Festivals auch häufig Rückzugsorte, die mit erfahrenem Hilfspersonal ausgestattet sind. In diesem Sinne wäre auf einem Festival nicht nur für gute Stimmung gesorgt, sondern ebenso für das Szenario, in dem die Berauschten auch mal Ruhe benötigen oder eine gewaltige Krise erleben.

Zusammengefasst weist dieser Ansatz (im Idealfall) auf einen bewussteren Umgang mit Substanzen hin und demonstriert ebenso, wie entscheidend und unterstützend ein sicheres und abgestimmtes Setting sein kann. Doch die psychedelische »Szene« hat diese Idee natürlich nicht gänzlich erfunden. Wenn man darüber nachdenkt, wird deutlich, dass jedes Lokal, jede Bar und jedes Festival bereits von vornherein gewisse Grundpfeiler für einen möglichen Rausch schafft.

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GESELLSCHAFT

Abseits der Normalität

Man könnte ebenso an jene Casinos denken, in denen weder Fenster noch Uhren anzutreffen sind. In diesem Setting sind alle möglichen Hinweise auf eine »normale« und alltäglich fortlaufende Realität hinderlich. Gewisse Aspekte des restlichen Lebens wollen in diesem Rahmen wohl weggedacht, überwunden, vergessen oder ignoriert werden. Man könnte meinen, dass die allzu bekannte Realität und die damit einhergehende Identität in diesem Szenario nicht gefordert oder eventuell sogar unerwünscht sind. Allerdings gibt es auch andere geschaffene Räume, jenseits des Rausches.

Ein Gerichtssaal beispielsweise klingt nicht sehr berauschend. Er ist aber genauso auf eine ganz gewisse Weise konstituiert, erzeugt dementsprechend auch eine eigene Dynamik und bringt diese zur Geltung. Ein alltäglicheres Beispiel wäre der Straßenverkehr, welcher nur so vor Ordnung und Regeln strotzt. Die darin übermäßig stattfindende Struktur ist nicht als grundsätzlich gut oder schlecht zu verstehen. Sie verfolgt lediglich den Zweck der Funktionalität und der Schadensbegrenzung, angesichts des Faktums der impliziten Gefahren des Fahrens

Was bei Räuschen aber meist antizipiert wird, ist eben eine Art des Loslassens/Loslösens gewohnter Strukturen, die den Großteil unseres Lebens ausmachen und umgeben. In einem Club, auf einem Festival oder in einem Casino wollen sich Menschen – zumindest temporär – von gewissen Aspekten ihres Lebens befreien.

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GESELLSCHAFT

Doors of Percetion

Aldous Huxley schreibt in The Doors of Perception mit einer sehr annehmbaren Metapher über etwas Ähnliches. In dem 1954 erstmals erschienenem Buch berichtet er von einer Meskalin-Erfahrung, den dabei gesammelten Eindrücken und dem Umstand, dass er während dieses Rausches »andere« Zugänge zu sich und seiner Umgebung hatte, damit auch »neue« Möglichkeiten des Existierens. In der angekündigten Metapher vergleicht er den alltäglichen »Normalzustand«, also das Alltagsbewusstsein, mit einem Raum, zu dem wir stets zurückkehren und der ebenso unseren Ausgangspunkt bildet, also eine Art Zuhause. Doch er betont, dass dieser Raum wesentlich dadurch zur Geltung kommt, dass er etwa Türen und Fenster hat, um aus ihm hinausblicken und ihn auch verlassen zu können.

Er selbst hält hierbei nicht ausschließlich die Einnahme von Substanzen für mögliche Wege in andere Welten, im Gegenteil. Er suggeriert, dass eigentlich ein vielfältiges Spektrum an Türen vorhanden ist. Man kann zahllose Aktivitäten und Interessen ausleben, welche ebenso fern vom Uni- oder Arbeitsalltag sind wie ein Rave. Diese Feststellung kommt vor allem durch seine Überzeugung zur Geltung, dass wir diese Türen brauchen und dass wir uns in diesem »normalen« Raum nicht deswegen aufhalten, um ausschließlich dort zu sein. Das heißt: es ginge gar nicht darum, sich selbst den Rausch zu verweigern, sich zu zügeln oder ganz »vernünftig« zu Hause zu bleiben, sondern um die geübte Achtsamkeit um sich selbst und die Umgebungen, in denen man (sich) so rumtreibt, so wie um die Pflege der Türen, die dort hinführen.

Raum & Freude untrennbar

I n diesem komplexen Gewirr verschiedenster Räume und Zustände, die wir unser Dasein nennen können, lassen sich schwer abschließende Worte formulieren. Außer vielleicht, dass wir stets in einem Raum, einer Umgebung, einem Kontext stattfinden. Und diese Umgebung ist nicht einfach außerhalb von uns, sondern durchdringt uns, ist mit uns und in uns. So ist der Raum stets Teil unseres Erlebens, obwohl er im klassischen Innen-Außen-Dualismus irrtümlicherweise nach außen verbannt wird. Und so wie wir unausweichlich in einem Raum stattfinden, so ist es natürlich auch in jedem Moment der Fall, dass wir überhaupt stattfinden. In diesem Stattfinden, dem wir genauso wenig wie der Räumlichkeit an sich entfliehen können, erleben wir die verschiedensten Gefühle, Impressionen und Ereignisse. Das Spektrum reicht von Zorn, Wahnsinn, Verzweiflung, Sex und Quarantäne über Opium, Meskalin, Liebe, Hunger, Gespräch und Freude, bis hin zur Ekstase – und in all dem liegt der Rausch begraben.

Disclaimer:

Dieser Artikel beabsichtigt keine Verherrlichung des Konsums genannter Substanzen.

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GESELLSCHAFT
© Lara Hauser
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Bild: aus der Fotostrecke "Bildrauschen" von Priska Wörl und Claudia Ploner

Bsoffne Gschicht

Körperflimmern und Körperhitze Im Licht der Stroboskope Zum ersten Mal in dieser Woche Bin ich frei Alkohol und etwas von nichts in mir, in den Menschen um mich der Frust

verwandelt sich ins Blaue Ich bin blau Bin frei

Augen zu

Augen auf Hinter mir bist du im Licht der Stroboskope

immer du, deine Wärme deine Nähe, deine Hände du riechst gut

Augen zu

Augen auf

Über mir du. spielt mir mein Gehirn einen Streich woher kommt die Dunkelheit

immer du immer du

Augen zu

Augen auf

Willst du?

wie nett, dass du fragst, will ich?

willst du?

Augen zu

Augen auf

Wie nett, dass du fragst

Augen zu ja

Augen zu – bald vorbei

Frische Luft, es ist kalt ich bin allein einatmen, ausatmen wo ist Freiheit?

Warum sage ich ja, wenn ich nein mein`?

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Berauschend: Berauschte Männlichkeit

Gewaltvolles Verhalten, meistens von cis-Männern, ist im Rahmen der Feierkultur allgemein bekannt, ja beinahe schon etwas, an das wir gewöhnt sind. Prügeleien auf der Straße vor dem Club, Männer, die FLI*NTA beim Tanzen oder in der Schlange vor der Tür, an der Bar oder auf dem Weg nach Hause zu nah kommen und aufdringlich werden, Delikte sexualisierter Gewalt, der exzessive Konsum von Alkohol oder anderer Drogen scheinen zur sogenannten ‚Partykultur‘ dazuzugehören.

Gewaltvolles Verhalten im Rahmen der Feierkultur
© Kira 42
GESELLSCHAFT

Medien beeinflussen und fördern klischeehafte Bilder

Die Erziehungswissenschaftlerin Raewyn Connell bietet mit ihrem Begriff der hegemonialen Männlichkeit einen guten Ansatzpunkt für unsere Überlegungen. Unter hegemonialer Männlichkeit versteht sie »jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestimmende Position einnimmt.« Ihre Funktion ist die Sicherung der patriarchalen Legitimität, also der männlichen Dominanz gegenüber ‚Frauen‘ als schwächere Hälfte des Oppositionspaares Mann/Frau. Das Konzept der Hegemonie ist Antonio Gramsci entlehnt, der es auf Klassenverhältnisse bezog und damit die Kontrolle und Macht einer Gruppe über das gesellschaftliche Leben beschrieb. Wichtig sowohl bei Gramscis als auch bei Connells Konzept ist, dass sie Dynamiken beschreiben, die über Zeit und Raum hinweg Änderungen erfahren (können). Als offensichtlichste Vertreter hegemonialer Männlichkeit nennt Connell Filmschauspieler und -figuren. Das scheint einleuchtend, schießen einem*einer doch sofort zahlreiche Beispiele von den James Bond-Filmen bis hin zu Fight Club durch den Kopf. Filme, in denen hegemoniale Männlichkeit keine Repräsentanz findet, scheinen eher die Ausnahme zu sein. Heike vom Orde konstatiert in ihrer Forschungsdokumentation, dass cis-Männer im Gegensatz zu FLI*NTA-Personen in Medien wie Film, Fernsehen, aber auch Kinder- und Jugendliteratur allgemein überrepräsentiert sind. Sie stellt in der Folge fest, dass die aktuellen Medienangebote die Realität von Geschlechterverhältnissen und -identitäten inadäquat wiedergeben und problematische, patriarchale Geschlechternormen festigen. Als prägnantes Beispiel dafür nennt vom Orde Computerspiele, in denen »Frauen, zumeist in Nebenrollen oder als ‚Trophäe‘ der männlichen Figur, unterrepräsentiert sind.« Darüber hinaus bringt sie Werbung und Actionfilme an, in denen die Norm des männlichen muskulösen und damit oftmals aggressiven sowie gewaltvollen Körpers stark repräsentiert und reproduziert werde. Daran anschließend funktioniere das Klischee »des triebgesteuerten, sexuell hyperaktiven Mannes und [demgegenüber] der Frau als willigem Sexobjekt«, das im Reality-TV viel Anwendung finde und die Vorstellung der Richtigkeit und Sinnhaftigkeit patriarchaler Geschlechterverhältnisse in den Köpfen junger Männer bestätige. ▶

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GESELLSCHAFT
© Alexander Popov

Aus diesen Analysen lässt sich herauslesen, dass die Konstitution von Männlichkeit, auf essentialistische und normative Weise in medialen Produktionen wie Filmen sowohl repräsentiert als auch reproduziert, viel mit Körperlichkeit zu tun hat. Raewyn Connell bringt in diesem Zusammenhang körperreflexive Praxen an, die historisch verankert sind und die Strukturen sozialer Realität formen. Diese Praxen, vergleichbar mit dem Konzept der Geschlechterperformanz Judith Butlers, »konstituieren […] eine Welt mit einer körperlichen Dimension, die aber nicht biologisch determiniert […] [und indes] nicht durch die physische Logik des Körpers bestimmt ist.« Als Konsequenz dessen können Handlungen, die der geschlechtlichen Norm folgen, häufig schädlich für den Körper sein. Hier sei zum Beispiel an Handlungen gedacht, wie etliche Dosen Bier in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum in sich hinein zu schütten (denn das ist strong und muss so) oder sich for the gains Anabolika zu spritzen. Mit Michel Foucault sieht Connell die Ursache der körperreflexiven Praxen in den Disziplinierungsprozessen des Körpers, die Foucault zufolge Teil der Wahrheitsproduktion innerhalb eines Diskurses sind. Körperreflexive Praxen sind demzufolge auch disziplinäre Praxen. Connell erkennt im Sport sowohl einen erheblich konstituierenden als auch vermittelnden Faktor dieser Praxen, aus denen sich Geschlechterperformanz zusammensetzt und die »dazu gedacht sind, geschlechtstypische Körper entstehen zu lassen.« Die institutionellen Strukturen von Sport, dessen Ausübung, wie diese Ausgabe von Die Zeitlos sichtbar macht, übrigens auch Auslöser von Rauschgefühlen sein kann, sind geprägt von Hierarchien. Diese werten die Verkörperungen hegemonialer Männlichkeit auf und schließen jene, die davon betroffen sind, aus. Wenn Sport nicht betrieben wird oder nicht betrieben werden kann, gilt das als Verlust von Männlichkeit. Dies führt uns zu dem Aspekt des Machtgefälles zwischen den unterschiedlichen Männlichkeiten. Klar ist, dass nicht alle cis-männlich positionierten Menschen dem Bild der hegemonialen Männlichkeit entsprechen. »Trotzdem profitiert die überwiegende Mehrzahl der Männer von der Vorherrschaft dieser Männlichkeitsform, weil sie an […] dem allgemeinen Vorteil, der den Männern aus der Unterdrückung der Frauen erwächst,« teilhaben. Connell ist der Meinung, dass Geschlecht als allgegenwärtiger, dominanter Faktor sozialer Praxis »unweigerlich mit anderen sozialen Strukturen verknüpft« oder mit durch sie bestimmt ist, weshalb hier wie überall von einer intersektionalen Denkweise nicht abgesehen werden kann. Sie spricht von marginalisierten Männlichkeiten, deren »Marginalisierung […] immer relativ zur Ermächtigung hegemonialer Männlichkeit der dominanten Gruppe« entsteht.

Machtgefälle zwischen unterschiedlichen Männlichkeiten

Dieser Text erhebt nicht den Anspruch, eine vollständige Erklärung für das gewaltvolle Verhalten zu liefern.

Abgesehen davon, dass Zeit, Ressourcen und Umfang für ein solches Unterfangen nicht ausgereicht hätten, geht es hier mehr um eine Annäherung, um den Beginn einer Reflexion.

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Nicht Herkunft, sondern hegemoniale Männlichkeit ist das Kernproblem bei sexualisierter Gewalt.

Einige, darunter auch behinderte Männer, können ihre Körper durch das Ausüben von Sport nicht so formen, wie das hegemonial männliche Körperideal es vorgibt. Bedeutsam ist zudem, dass das aktuelle Konzept hegemonialer Männlichkeit vor allem weiß ist. Das wird in Sharon Dodua Ottoos Essay »Liebe« deutlich, in dem sie von einem Gespräch mit ihrem Sohn über seine Erziehung, Rassismuserfahrungen und seine gesellschaftliche Positionierung als Schwarzer junger Mann schreibt:

»Ich höre Tyrell zu: Es ist absolut gesellschaftlich akzeptiert, wenn bestimmte Männer wütend sind. Sie dürfen und werden sogar ermutigt, aggressiv zu sein, denn dieses Verhalten gilt als besonders männlich und als ein Zeichen der Stärke. Je lauter weiße cis hetero Männer werden, desto mehr Recht bekommen sie.[…] Der Spruch ‚boys will be boys’ meint eigentlich: ‚white boys will be boys, sagte Tyrell. Wenn meine Freunde und ich uns so verhalten würden, könnte es tödlich enden.«

Nadia Shehadeh beschreibt in »Gefährlich«, wie muslimischen Männern und Männern of Colour zumeist mehr Gewaltbereitschaft zugeordnet wird als weißen Männern. Dass das sowohl irrational als auch rassistisch ist, liegt auf der Hand. Shehadeh beschreibt den Tatbestand folgendermaßen: »Das Zusammenspiel sozial-regressiver männlicher Wesenszüge – auch toxic masculinity genannt – führt zu verachtenswerten Praktiken wie Misogynie, Homo- und Transfeindlichkeit und eben auch mutwilliger Gewalt. Ob der Täter aus Islamabad oder Rietberg kommt, ist dabei völlig unerheblich.« Der strukturelle Druck des normativen Ideals All die oben angeführten Aspekte lassen einen nuancierteren Blick auf die Erlebnisse in der Nacht im Club oder auf den Rave im Wald zu. Sie machen den Druck sichtbar, dem

normativen Ideal von Männlichkeit zu entsprechen, die Verhältnisse zwischen den Männlichkeiten, ein Bedürfnis nach Selbstbehauptung. Diese Aspekte äußern sich in gewaltvollem Verhalten gegenüber weiblich gelesenen Personen und Personen, deren Körper sich dem hegemonial männlichen Raster nicht fügen sowie auch gegenüber dem eigenen Körper. Potenzial zur Veränderung sieht Heike vom Orde in einer realitätstreueren medialen Repräsentation von Geschlecht:

»Diverse Bilder des Junge- und Mannseins sind wichtige Voraussetzungen, um eindimensionale Konstrukte der ‚typischen‘ Männlichkeit aufzubrechen und die ‚Zweigeschlechtlichkeitslegende‘ nicht weiter zu (re-)produzieren.« Potenzial liegt auch darin, die eigene Kurzsichtigkeit aufzugeben. Zu erkennen, dass »berauscht sein«, ob beim Sport oder beim Feiern, aufgrund patriarchal bedingter Störfaktoren für Personen, die nicht weiße cis hetero Männer sind, nicht immer so einfach ist. Dass sich des T-Shirts zu entledigen nicht nur unsolidarisch, sondern auch Ausdruck cis-männlicher Ermächtigung (s.o. Konstitution von Männlichkeit durch körperliche Performanz) sein kann. Dass so mancher als Bedürfnis wahrgenommener Impuls strukturellen Ursprungs ist und es durchaus lohnenswert ist, ihn zu hinterfragen, bevor mensch handelt.

Verwendete Literatur

Raewyn Connell. » Der gemachte Mann. «

Heike vom Orde. »Männerbilder in den Medien. Eine Auswahl von Forschungsergebnissen.«

Sharon Dodua Otoo. „Liebe.“ In: Fatma Aydemir, Hengameh Yaghoobifarah

Nadia Shehadeh. „Gefährlich.“ In: Fatma Aydemir, Hengameh Yaghoobifarah

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untitled

von Adrian Keller

Rausch, das kann so vieles heißen: etwa sich ne Pille schmeißen, schwerelos im Himmel gleiten. oder Rauschen als ein Störgeräusch, Dysfunktion und schwer betäubt. das Rauschen eines Fließgewässers, die intensive Kraft von Bienennektar. die Sinne auf die Reise schicken, wie Kinder, die ins Weite blicken.

oder allen Sinnen beraubt, versinken im Traum, schwimmen und auch... treiben, wie Holz auf einer Wasseroberfläche. oder Es treiben, bis zum Orgasmus aller Kräfte und was darauf uns noch letztlich erwartet, bleibt stets ungefragt, denn auch in hunderten von Jahrn' werden wir noch tanzen, so als ob stets alles ungeschehen war.

Projekt "Vapor Cave" Utopischer Nachtclub © Viktoria Märkl 47 LYRIK

Archaischer Rausch der Langstrecke Runner’s High

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Ich bin beim achten Kilometer meines Laufes, für den ich eigentlich die klassische Hobbydistanz von zehn Kilometern eingeplant hatte. Plötzlich kribbelt mein ganzer Körper. Alles fühlt sich richtig an. Mein Atemrhythmus harmoniert perfekt mit meinen Schritten, die jetzt immer länger werden. Ich beschleunige auf ein Tempo, das ich üblicherweise nicht einmal erreiche, wenn ich versuche, die Straßenbahn zu kriegen. Das vorher definierte, moderate Ziel für den heutigen Lauf ist vergessen, ich laufe einfach weiter, es fühlt sich mühelos an. Ich merke, dass ich ziemlich blöd grinse, und bin froh, dass meine Umgebung gerade menschenleer ist. Kein Wunder, es schüttet mittlerweile in Strömen und meine Schuhe machen bei jedem Schritt schmatzende Geräusche. Bei der Halbmarathondistanz von 21,1 Kilometern piept meine Laufuhr. Zunehmend rückt die Realität wieder näher an mich heran. Das schöne, warme Gefühl ebbt langsam ab und wird durch ein nass-kaltes Frieren ersetzt, das mich auf dem Rückweg nach Hause ebenfalls ganz gut antreibt.

DRAUFLOS

Laufen hat als Sportart nicht den allerbesten Ruf. Viele Menschen finden es langweilig, längere Zeit einfach nur drauflos zu joggen. Trotzdem gehen nach einer Studie des Marktforschungsinstituts Spectra etwa 15 Prozent der Österreicher*innen mindestens einmal pro Woche laufen (oder behaupten das zumindest). Eine Zahl, die sich seit 2005 kaum verändert hat. Denn bei aller notwendigen Überwindung liegen die Vorteile auf der Hand: Zum Laufen braucht man abgesehen von Schuhen und einigermaßen sportlicher Kleidung keine Ausrüstung und gerade hier in Innsbruck liegen geeignete Strecken oft vor der Tür. Ob es gerade rauf oder runter geht im Leben, eine Runde laufen hilft meistens ein bisschen. Der Kopf ist danach etwas freier von alltäglichen Sorgen, man fühlt sich erfrischt und zufrieden, etwas »für sich« getan zu haben. Doch nicht nur nach, sondern auch während des Laufes lassen sich schöne Momente erleben, wie die Schilderung im obigen Absatz zeigt. Denn hin und wieder hat man Glück, und die Belohnungsreaktion des Körpers beginnt schon während der Aktivität und fällt stärker aus, ähnlich einem durch Drogen ausgelösten Rauschzustand.

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EINFACH

WARUM?

WIE UND

Lange Zeit wurde das Laufhoch allein auf die Ausschüttung von Endorphinen zurückgeführt. Endorphine sind körpereigene Opioide, die schmerzstillend, angstlösend und/oder euphorisierend wirken können. Sie werden bei körperlicher Belastung ausgeschüttet. Neuere Erkenntnisse gehen in eine andere Richtung: Eine 2021 veröffentlichte Studie von Forscher*innen des Zentrums für Psychosoziale Medizin an der Universität Hamburg liefert etwa Hinweise darauf, dass sogenannte Endocannabinoide, also körpereigene Stoffe, die auch in Hanfpflanzen vorkommen, für das Runner’s High verantwortlich sein könnten. Im Gegensatz zu Endorphinen können diese nämlich die Blut-Hirn-Schranke durchdringen, was die Wahrscheinlichkeit eines mentalen Effekts erhöht.

Das Runner’s High heißt nicht ohne Grund so, denn es wird vor allem durch (Langstrecken-)Laufen ausgelöst. Nur selten kommt es bei anderen Bewegungsformen, wie Radfahren oder auch Gehen, zu ähnlichen Effekten. Die Gründe dafür sind wohl in der Evolution zu finden: Lange Zeit waren die Vorfahren des modernen Menschen auf das Klettern und das Laufen von kurzen

Distanzen spezialisiert. Durch Veränderungen des Klimas und damit der Umwelt entwickelten wir uns in unseren letzten Evolutionsstufen zu passionierten Langstreckenläufer*innen.

So konnten die unmittelbaren Vorfahren des modernen Homo sapiens etwa Tiere wie Antilopen erlegen, die anhand ihres Körperbaus auf energieintensive Sprints ausgelegt und daher nicht besonders ausdauernde Läufer sind.

Die starke Rückentwicklung des Fells, unsere große Zahl an kühlenden Schweißdrüsen, die Form unserer Füße und der aufrechte Gang sind einige Faktoren, die uns Menschen zu im Tierreich beispiellos effizienten Läufer*innen machen. Auch Phänomene wie das Runner’s High könnten Teil dieser evolutionären Spezialisierung sein – und ein Überbleibsel des Jagdtriebs unserer Vorfahren sein.

OHNE FLEISS

Immer mehr Menschen verbringen, teils gezwungenermaßen, große Teile ihres Alltags im Sitzen. COVID-19 hat diese Entwicklung noch verschärft. Langstreckenläufe sind also schon lange kein Teil des täglichen Lebens mehr. Es dürfte daher bei vielen Menschen etwas länger dauern, bis sich der Körper wieder an die Gewohnheiten unserer Vorfahren vor hunderttausenden Jahren erinnert und sich euphorische Effekte einstellen. Aber nicht verzagen: Auch ohne Runner’s High wirkt sich regelmäßiges Laufen jedenfalls positiv auf die körperliche und mentale Gesundheit aus.

Quelle und mehr Infos übers Runner 's High.

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KEIN PREIS
© Afiq Fatah

Für einen traumhaft schönen Garten ...

Mitglieder der 117 Tiroler Obst- und Gartenbauvereine erhalten die Fachzeitschrift „Grünes Tirol” 6 x jährlich mit aktuellen Themen und Tipps für den Obst-, Zier-, Beeren- und Gemüsegarten.

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Rausch

bedeutet Sex und Sex bedeutet Rausch, denn Rausch heißt »ungestüme Bewegung«, abstammend von dem niederdeutschen Wort »rūsch«. Aber Sex ist nicht nur Rausch, sondern auch Ekstase, altgriechisch ékstasis, von ex-hístasthai »aus sich heraustreten, außer sich sein« abgeleitet. Das Bewusstsein wird während ekstatischen Zuständen Beschreibungen zufolge als »erweitert« erlebt. Bis heute ist nicht vollständig geklärt, wie das Gefühl von einem ekstatischen Rausch in unserem Gehirn entsteht und warum unser Bewusstsein währenddessen bis zu einem gewissen Grad »abschaltet«. Jedoch steht fest, dass beispielsweise ein Orgasmus den präfrontalen Cortex, der reich an dopaminergen Neuronen und unter anderem für Handlungssteuerungen zuständig ist, weitestgehend ausschaltet. Ob nicht gerade das Außer-sich-Sein dazu führt, bei sich zu sein? Ist Sex eine außerkörperliche Erfahrung oder doch so körperlich, dass man sich außer sich fühlt?

Sexrausch – ein Interview mit Yavuz Kurtulmus

Im April 2022 wurde ich durch das PORN.FILM.FEST Innsbruck auf Yavuz Kurtulmus aufmerksam. Yavuz lebt in Wien und ist Gründer und Leiter des Transition International Queer and Minorities Film Festival sowie des Porn Film Festival Vienna. Er setzt sich unter anderem für queere Menschen mit Migrationshintergrund ein und leistet durch seine transparenten Filmprojekte einen großen Beitrag, Themen wie Sex, Porn, Sexualität, Gender und Queerness zu enttabuisieren. Diskussionsräume für Menschen zu schaffen, ist ihm wichtig. »Sex und Porno ist so wichtig, es ist so wichtig, dass wir darüber reden und uns darüber austauschen, dass es kein Tabuthema sein muss, dass wir uns dafür nicht schämen müssen«, so Yavuz. Daher kam mir die Idee, ihn zum Thema »Sexrausch« zu interviewen. Er hat sich neugierig bereit erklärt, von seinen persönlichen Erfahrungen zu erzählen – Erfahrungen, die in ihm aufgrund von Sex ein Gefühl von Rausch ausgelöst haben und die ihn in einen ekstatischen Zustand versetzt haben.

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von Leona-Cosima Piffer © Yavuz Kurtulmus

Die Zeitlos: An was denkst du zuerst bei dem Wort »Rausch«?

Yavuz Kurtulmus: Tanzen und Sex eigentlich. Weil tanzen ist für mich genauso ein Rausch, wie Sex. Ich liebe tanzen und das ist für mich wie ein Rausch, denn wenn ich auf der Tanzfläche bin, will ich nicht gestört werden.

Hast du schon mal den Zustand von einem Flow-Gefühl erlebt, wobei du dich ganz in eine Sache vertiefst und den Rest um dich herum völlig vergisst?

Ja, das schaff ich schon sehr gut mittlerweile, also ich kann gut abschalten. Und dann bin es wirklich nur ich, oder wenn eine zweite Person involviert ist, dass wir nur noch aus uns Zwei bestehen und nichts anderem.

Wie fühlt sich dieser Zustand an?

Schwierig, solche Gedanken zu beschreiben. Beim Tanzen ist es so, dass ich wirklich alles um mich herum vergesse. Ich fühle zwar die Menschen um mich herum, aber ich sehe sie nicht, ich nehme sie eher wahr. Ich habe das einmal mit einem Menschen während dem Sex erlebt, wo ich mich selbst mit diesem Menschen von außen gesehen habe, ich war außerhalb meines Körpers und hab diese Situation beobachtet, wie wir miteinander verschmolzen sind. Das war ein sehr spannendes Gefühl. Eine Wärme, eine Leere. Man schwebt einfach. Es ist eine Leere, sodass man jegliches Zeitgefühl verliert. Beim Sex mit meinem Exmann hatte ich den Moment, wo ich wirklich irgendwann neben mir war und uns einfach von oben beobachtet habe. Das Gefühl von Vertrautheit und Wärme. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich etwas Schöneres gesehen habe, als diesen Moment. Es war wirklich wie eine Ekstase, wie ein Rausch. Und es war wirklich ein tolles Gefühl.

Welche Erfahrungen hast du bei Sex erlebt, die in dir ein Gefühl von Rausch und Ekstase hervorgerufen haben?

Ich kann mich erinnern, dass ich ein oder zwei Mal nach dem Orgasmus wirklich weg war. Sekunden einfach weggetreten, weils so gut war, es war einfach eine Explosion, da hat man wirklich die Sterne gesehen. Ich hab auch Body-Orgasmus sehr oft. Body-Orgasmus bedeutet mir auch sehr viel. Wenn ich mit einem Menschen sehr nahe und sehr gut »connecte«, fühle ich, dass sich in meinem Körper sehr viel tut, und das kann manchmal sehr intensiv werden und manchmal auch schöner sein, als einen »richtigen« Orgasmus zu haben. Da reichen auch nicht Drogen oder Alkohol oder Sonstiges, da reichts, die richtige Person zu treffen.

Was ist ein Body-Orgasmus?

Man hat einen Orgasmus, aber fühlt drin im Körper diesen Orgasmus. Es fühlt sich an wie ein »normaler« Orgasmus, aber viel intensiver, der innerhalb des ganzen Körpers stattfindet. Ich kann mich erinnern, wie oft man mir den Mund zu halten musste, weil ich so laut gestöhnt habe, mein Körper hat gebebt und gezittert und geschwitzt. Es ist ein Gefühl der Freude und des Glücks, man kanns kaum beschreiben. Der ganze Körper schmilzt. Ich beschreibe Orgasmen und mich selbst gerne als warme Vanillesauce. Diese warme Vanillesauce, die in meinem Körper ausrinnt und schmilzt.

Wie hängt für dich die Person oder die Umgebung beim Sex mit einem Rauschgefühl zusammen?

Ich achte schon sehr auf die Umgebung. Ich bin auch jemand, der vororganisiert und die Situation vorbereitet, sodass ich eine gewisse Stimmung einfangen kann. Also schon sehr wichtig, aber natürlich braucht man es nicht, es ist keine Verpflichtung, kein Muss.

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Es ist so schwierig, mit anderenMenschen über Pornos oder Sex zu reden. Warum teilen wir dieses schöne Rauschgefühl nicht miteinander?

Erlebst du dieses Rauschgefühl auch beim Pornoschauen, oder ist das etwas anderes für dich?

Das ist eine gute Frage, denn nach fünf Jahren Porno schauen ist das für mich mittlerweile wirklich Arbeit geworden und sehr wenig Genuss. Einerseits schade, aber das gehört zu meinem Job. Dennoch gibt es immer wieder sehr gute Pornos. Es gab einen Porno im ersten Jahr unseres Filmfestivals, der war ungefähr achtzehn Minuten lang, wo ich wirklich außer Atem war, da ich mich so reingesteigert hab. Ich hab geschwitzt, ich hab diese Szenen mitgefühlt und zum Schluss, während die einen Orgasmus hatten, sind mir Tränen runtergeronnen. Nach einer Trennungsphase war ich in einem Pornkino in Berlin und schaute mir Pornos an, die mich zum Weinen gebracht haben. Ich glaub, ich reagiere sehr oft mit Gefühl und Emotion, was manchmal schwierig ist, aber einerseits bin das ich - und ich komm damit zurecht.

Ich bedanke mich bei Yavuz Kurtulmus für das tolle und offene Gespräch und bei Die Zeitlos, die dieses Interview unter anderem möglich gemacht hat. Hoffentlich bis zum PORN.FILM.FEST Innsbruck im Jahr 2023.

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Es kann auch ein Rauschgefühl mit einer Person in der Disco, auf der Tanzfläche, am Klo oder in der Straßenbahn stattfinden.

OH HONEY

auf einmal ist Liebe laut und leise beziehungsweise eigentlich alles nur etwas mehr davon. Krieg nie genug davon will der Frau in der Bahn erzählen davon.

Zweisamkeit

die uns die Unendlichkeit zeigt. Und mein Puls steigt, bis er flackert und flimmert, nur noch an Vibration erinnert. Ich will mehr, immer mehr. Saug alles dunkle aus mir raus, oh honey, trink mich leer. trink mich aus.

Und ich lass das Licht rein, ins dichte nichts verstaubt, war scheinbar unvermeidbar unheilbar von der Dunkelheit befallen. Und oh honey, ich lass mich fallen lass mich fallen, oder dich oder wir fallen zusammen, ohne zu landen. weil man dann schweben sagen kann. oh honey, schau mich an. Zieh mich an.

Zieh mich aus, Oh honey, zieh mich näher, immer näher und ich wird dich nicht von mir stoßen, bin nicht mehr eine dieser Rosen,

von denen er schrieb, die die nur leiden und stechen, und bei dem kleinsten Widerstand abbrechen. Bin gewachsen, noch nicht erwachsen, aber wie ausgewechselt in deinen Händen wächsern. und ich begann mich neu zu formen, mit neuen Blüten, statt den alten Dornen. Oh honey, sweet honey. Ich geb dir alles meine Essenz, alles was ich bin, Und oh honey, du gibst mir Sinn.

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© Viktoria Märkl
LYRIK

Identität: Gewalt

Eine Annäherung

Die Globalisierung hat unterschiedliche Entwicklungen zur Folge. Eine davon ist, vor allem in Ländern, die von Globalisierung profitieren, dass sich traditionelle Subjektbilder und gewohnte Identitätskategorien auflösen.

Gesellschaften werden auch nach außen hin immer heterogener. Folglich lassen wir uns als Menschen nicht mehr ganz so einfach in Schubladen einordnen – es gibt nicht mehr, wie noch vor einigen hundert Jahren, die Bauern*Bäuerinnen, die Herrschenden, das Bürgertum - zumindest nicht mehr in diesen abgrenzbaren Bereichen. Das führt zu Identitätskrisen, in denen wir uns, und damit meine ich besonders junge Menschen, häufig die Frage stellen: »Wer bin ich?«. Vermeintlich simple Antworten auf diese Frage bieten extremistische Gruppierungen. Sie holen junge Menschen in ihren Lebensrealitäten ab und geben ihnen Identitäten und Identifikationsflächen, nicht selten hergestellt durch Gewalt oder den Kampf um Leben und Tod. Ein Erklärungsversuch.

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Die Bedeutung des Überlebenskampfes für Gesellschaften wird von Theoretiker*innen unterschiedlich erklärt. Thomas Hobbes, englischer Mathematiker, Staatstheoretiker und Philosoph, sieht diesem das Wesen des Menschen zugrunde liegen. Dieses Wesen sei geprägt von einer Machtsteigerung eines Menschen gegenüber seiner Mitmenschenum zu überleben. Anders gesagt: Alle kämpfen, so Hobbes, gegen alle. Kontrolliert werde dieser Kampf von Institutionen, und wenn ebendiese dazu nicht mehr in der Lage seien, fielen Menschen zurück in regressive Verhaltensmuster.

Ganz anders sieht das der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Für ihn hat der Kampf um Leben und Tod in großen Teilen mit Anerkennung zu tun. Und dies wiederum folge dem dahinterliegenden Wunsch nach Freiheit, der nur durch sich wiederholende Konflikte um Anerkennung erfüllt werden kann. Eine andere Position vertritt Ernst Jünger - ein deutscher Schriftsteller. Beeinflusst durch den Zweiten Weltkrieg beschrieb er, dass viele den Krieg als eine Art Rausch empfunden hatten. Historische Schilderungen beschreiben ein »Sich-Verlieren« im Kampf, mit der Folge, dass Menschen nur wieder zu sich selbst finden, wenn sie noch mehr Gewalt anwenden. Präziser ausgedrückt:

Wenn nun aber ein Individuum mehr Gewalt ausübt als die anderen, kann dadurch eine imaginierte Abgrenzung zur Masse passieren und damit ein scheinbares Selbst hergestellt werden.

Diese Positionen scheinen auf den ersten Blick unterschiedlich, komplex, vielleicht auch unverständlich. Gemein haben sie jedoch eines: Der Kampf um Leben und Tod wird als eine Art Selbstentgrenzung verstanden – bei der die eigenen Grenzen überschritten werden und so ein neues Selbst hergestellt wird.

Orientierung finden im Machtkampf

Viele Menschen haben aufgrund von massiven gesellschaftlichen Umbrüchen die Orientierung verloren. Alte, nennen wir es konservative Verhaltensregeln und Identitätsstrukturen, gelten gegenwärtig als unbrauchbar, nicht dem Zeitgeist entsprechend und »unmodern«. Beispiele für diese Regeln aus einer Zeit, die noch nicht so weit entfernt ist: der vorgegebene Ausbildungsweg, der für viele Frauen im Hausfrau- und Muttersein geendet hat, für viele Männer im gleichen Beruf wie ihn schon ihr Vater ausübte. Oder auch die Ehe, die Kirche und bestimmte vergeschlechtlichte Charaktereigenschaften.

Mit dem Aufweichen dieser starren Regeln fallen alte Strukturen auseinander. Problematisch wird dies dort, wo sich noch keine neuen Strukturen gebildet haben, die gleichwertige Orientierungspunkte bieten. Anders formuliert: Entwicklungen schreiten in

unglaublichem Tempo voran und die Menschen hinken immer etwas hinterher. Die Folge: Viele Menschen befinden sich in einer Schwebe, einem Ort, an dem sie nicht wissen, wohin sie gehören, wie sie sich nennen wollen, wer sie sein wollen - weil sie alles sein können (wobei natürlich hinterfragt werden muss, wer denn das überhaupt kann). Und so kommt es zu einer »Identitätskrise«, weil es zu viele vorgefertigte Identitäten gibt und jede*r sich doch eine eigene bauen will.

Zusätzlich hat sich ein weiterer Wandel vollzogen: In vormodernen Gesellschaften wurden Menschen in ihre Strukturen hineingeboren, waren auch darin gefangen - ihre Positionen waren bestimmt auch stark mit Kämpfen verbundenbekamen aber durch sie ihre Identität (salopp formuliert: Einmal Bäuerin, immer Bäuerin). Anerkennung und Zugehörigkeit kamen durch die WirIdentität. Gegenwärtig, ausgehend von einer Sichtweise, der aufgrund verschiedener Faktoren mehr Privilegien zugesprochen werden als anderen, sind Zugehörigkeiten fluide, Identitäten ergeben sich aus wechselseitigen Verhältnissen zu unterschiedlichsten Menschen und der vorherrschende Individualismus lässt kollektive Identitäten bröckeln . Unsicherheiten sind hier vorprogrammiert.

Albert Scherr, ein deutscher Soziologe, sieht in Gewalt eine Art »Bewältigungressource« dieser Unsicherheit. Gleichzeitig erkennt er einen Zusammenhang zwischen

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Der Kampf lässt Menschen vergessen, wer sie sind, weil sie zu einer großen Masse an Menschen werden, die andere Menschen verletzt.

Gewalt und dem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. »Unsichtbaren«, also aus eigener, subjektiver Sicht identitätslosen Menschen wird Aufmerksamkeit gegeben, wenn sie Gewalttaten verüben. Und je grausamer, umso mehr (mediale) Aufmerksamkeit. Damit wirkt Gewalt als Artikulation des Gefühls, sozial überflüssig zu sein.

In modernen Gesellschaften hat die Pluralität der Identitäten und der Lebensentwürfe zugenommen und damit einhergehend eine Überforderung der Subjekte. Heute kann ich, in meiner privilegierten Position als weiße Person mit ausreichendem Einkommen in einem Sozialstaat wie Österreich, sein, wer ich will. Und das wiederum führt zur Qual der Wahl:

Wer will ich denn überhaupt sein?

Terroristische, extremistische Gruppierungen als Fixpunkte

In dieser totalen Überforderung bieten extremistische Gruppen mit unterschiedlichen Mitteln eine Form der Identitätsvergewisserung. Eines dieser Mittel stellt Gewalt dar. Der Psychoanalytiker Erik Erikson beschreibt Gewalt als Methode der Stabilisierung. Er sieht in der Gewalttätigkeit und der extremen Abneigung anderen Menschen gegenüber einen Bewältigungsmechanismus von identitätsunsicheren Menschen und insbesondere Jugendlichen. Und um genau diese Jugendlichen zu einer Gemeinschaft zu machen, setzen terroristische Organisationen kollektiv verübte Gewalt ein. Wie in einem Rausch werden junge Menschen dazu gebracht, Gewalt an anderen Lebewesen auszuüben, um so zu einer Solidarität zu gelangen. Der Rausch schweißt zusammen. Es kommt (unter anderem) zu Zusammenhalt durch Mord, zu Zusammenhalt durch Verbrechen. Im Rausch gibt es keine komplexen Denkvorgänge, dem können sich Täter*innen gedankenlos hingeben, die Gewalttaten dienen so einem reinen Selbstzweck –ähnlich dem Konsum von Drogen (ohne hier verharmlosende Parallelen ziehen zu wollen).

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© Lea-Jule Gerbert

Durch manipulative Propaganda können terroristische Gruppierungen zusätzlich potenzielle Zweifel bekämpfen und eine erneute »Wir-Identität« herstellen. Dabei prallt Kritik von außen ab, bestärkt im schlimmsten Fall die »Wir-Identität« – »Wir« gegen »die Anderen«, gegen »die Kritiker*innen«. Um diese kollektive Identität, in der sich besonders haltlose Menschen wiederfinden, nicht wieder zu verlieren, begeben sie sich immer wieder in noch extremere Gewaltsituationen, die einen Blutrausch hervorrufen. Dem identitätsunsicheren Mensch wird gegeben, was er sucht, er will es um jeden Preis erhalten, unterliegt dem Gruppenzwang und erhält im Gegenzug wiederum Anerkennung, Zugehörigkeit und Sicherheit.

Mit dem bisher Gesagten kann vielleicht eine Diagnose für die Gegenwart sowie eine gewagte Prognose für die Zukunft gemacht werden. Sofern sich Menschen nicht anderswo Identitäten herstellen können, kann es immer wieder passieren, dass extremistische Gruppen sich dieser aneignen. Menschen stellen ihre Identität durch Gewalt her – kämpfen für ihre eigene Identität. Sie kämpfen in Kriegsgebieten um ihren Staat, im Namen einer Religion oder einer Überzeugung, die ihnen vor Ausbruch des Krieges vielleicht Identität gab. Im Rausch der Grenzüberschreitung durch einen Krieg verlieren sie sich, im Rausch der Gewalt holen sie sich ihre Identität wieder zurück, erfinden sie neu. Und in Folge der Auflösung von identitätsstiftenden Institutionen kann es zukünftig vielleicht auch dazu kommen, dass ein*e fassbare*r Gegner*in gar nicht mehr notwendig ist, sondern dass der Kampf Selbstzweck ist.

Identität wird ohnehin nur noch über die Selbstentgrenzung in der Gewalt hergestellt.

Aber das muss nicht nur im Krieg passieren. Auch politische Gruppen, vermeintliche Freund*innenkreise oder Vereine, Kirchen, Sekten und so weiter können über Gewalt eine Gruppendynamik und Identität herstellen.

Wenn du das Gefühl hast, du oder jemand in deinem Umfeld befindet sich in einer solchen Spirale, wende dich an eine Person, der du vertraust oder vollkommen anonym an eine professionelle Einrichtung, beispielsweise die Beratungsstelle Extremismus (https://www. beratungsstelleextremismus.at; Tel. 0800 2020 44).

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»...von der grünen Fee Geküsste...«

Kreativität – das scheint vor diesem Hintergrund etwas zu sein, das sich allen Konventionen widersetzt, absolut frei ist, radikal und ungesund, unbedingt und kompromisslos. Dabei werden natürlich nur einige wenige Auserwählte zum Medium für das ganz Große – alle anderen gehen vor die Hunde. Wie kommt es eigentlich, das wir so klare Vorstellungen zu haben scheinen von diesem Dichter:innentypus und wieso fasziniert er so? Vielleicht vermuten wir in den »außergewöhnlichen Bewusstseinszuständen« des Rauschs

(Schetsche/Schmidt) Möglichkeiten für Unmittelbarkeit und Wege dafür, ort- und zeitlos zu werden? Ist die Vorstellung

nicht großartig, Texte zu lesen, die uns in andere Raum- und Zeitordnungen katapultieren? Inspiration nicht von dieser Welt vermuten wir im Rausch und die gilt – trotz aller Abgesänge auf das »authentische Kunstwerk« – doch wahrscheinlich immer noch als wichtigste Zutat für das, was wir unter Literatur verstehen. Unheimlich ist das: Da spricht aus den Seiten eines Romans ein Phantom zu uns, die Finger der Schriftstellerin werden von Geisterhänden über die Tastatur bewegt, der Stift des Dichters bewegt sich wie in einer spiritistischen Séance über das Blatt und plötzlich ist da ein Text, der vorher nicht da war.

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© Laetizia Karg von Alena Heinritz

Man möchte kaum von Literaturproduktion sprechen, in der landläufigen Vorstellung vom inspirierten und berauschten Dichter:innentypus ist es ganz eindeutig: Literaturemanation. Stephan Kammer beschreibt dieses Phänomen in seinem Aufsatz »Ereignis/Beobachtung. Die Schreibszenen des Spiritismus und die Medialität des Schreibens« aus dem Jahr 2008: Die Idee des »dichterischen Enthusiasmus« hat lange Zeit das Bewusstsein für den Akt des Schreibens verdrängt; im Mittelpunkt stand stattdessen die Idee einer »Geisterschrift«: »Kein Ich schreibt — das ganz Andere soll schreiben in diesen Inszenierungen, die [...] dem Phänomen der ‚direkten Geisterschrift‘ gelten.« (40) Versucht haben das zum Beispiel André Breton et Philippe Soupault mit ihren surrealistischen Experimenten einer écriture automatique, einem asubjektiven automatischen Schreiben, bei dem ein Schreibrausch entstehen sollte: das Bewusstsein ausgeschaltet fließt etwas ganz Fremdes, Transzendentes aufs Papier; Hände, Papier und Stift des Schreibenden sind hier Medium für etwas, das sonst durch die Ebene des Verstandes verdeckt bleibt.

So ein Rausch kann viele Gestalten annehmen. In ihrem Buch »The Faith of a Writer. Life, Craft, Art« (2004) denkt die Schriftstellerin Joyce Carol Oates über ihr Schreiben nach. Ein ganzes Kapitel ist dem Joggen gewidmet – für sie eindeutig ein Rauscherlebnis: »Running! If there’s any activity happier, more exhilarating, more nourishing to the imagination, I can’t think what it might be. In running, the mind flies with the body; the mysterious efflorescence of language seems to pulse in the brain, in rhythm with our feet and the swinging of our arms« (29). Aber warum schreibt Oates in einem Buch über das Schreiben über so etwas Profanes wie das Joggen? Interessanterweise ist das Laufen für Oates eine Möglichkeit, die fiktionalen Welten ihrer Texte physisch zu erleben – das Gespenstische am Schreiben wird für sie im Laufen greifbar: »Stories come to us as wraiths requiring precise embodiments. Running seems to allow me, ideally, an expanded consciousness in which I can envision what I’m writing as a film or a dream […]« (35). Und sehr pragmatisch haben sowohl das Joggen als auch das Schreiben für Joyce Carol Oates eine kompensatorische Funktion; der temporäre und kontrolliert herbeigeführte Rauschzustand soll den Kontrollverlust im »wirklichen Leben« verhindern: »Dreams may be temporary flights into madness that, by some law of neurophysiology unclear to us, keep us from actual madness; so too the twin activities of running/writing keep the writer reasonably

sane, and with the hope, however illusory and temporary, of control« (36). Das Wilde und Unberechenbare des Rauschs tritt hier plötzlich gezähmt und harmlos auf, eingesperrt in die strenge Taktung eines ziemlich nüchternen Tagesablaufs.

Vielleicht ist die Idee vom musengeküssten Dichter:innentyps doch nicht mehr als eine verzweifelte Sehnsucht der Leser:innen?

In dem Interview »Die Rhetorik der Droge« (»Rhétorique de la drogue«) aus dem Jahr 1989 bezeichnet Jacques Derrida Drogen »als Religion für atheistische Dichter« (253) . Rausch ist seiner Meinung nach eine »Figur des Diktats« (251). Dichter:innen, so Derrida, können im Rausch mit einem »Anderen« in Kontakt treten. Das sei eine der produktivsten Erfahrungen der Entfremdung, die Begegnung mit der Muse. Rauschhafte Literaturproduktion, so Derrida in dem Interview, wird aber nicht als »echte« Leistung anerkannt: »Man denkt, daß der Drogensüchtige als solcher nichts produziert, nichts Wahres oder Reales« (249) Wenn wir darüber nachdenken, was Literatur ist, was eine Autorin, ein Dichter ist, müssen wir uns also mit dem Thema Rausch beschäftigen. Die Vorstellung einer Literaturemanation im Rausch, die Arbeit und Mühe des Schreibprozesses zugunsten eines inspirierten Geisterdiktats vernachlässigt, sagt eine ganze Menge darüber aus, was Leser:innen von Autor:innen und ihren Texten erwarten. Und Derrida zufolge können wir uns gar nicht genug mit dem Thema Rausch beschäftigen: »[…] ganze Doktorarbeiten und sogar ganze Institute für (Allgemeine oder Vergleichende) Literaturwissenschaft müßte man dem Kaffee oder Tabak in unseren Literaturen widmen.« (250) Lassen wir uns also über den Rausch sprechen!

Lassen wir uns also über den Rausch sprechen!

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GESELLSCHAFT
© Laetizia Karg

Euphorie, synchronisiert meinen Herzschlag mit dem unsichtbaren Motor der Welt.

Ich habe Teil, ich bin ein Teil.

Ich bin grade, glaube ich.

Ich glaube, das hier muss es sein, was sie dieses »leben« nennen, wenn sie sagen »ich lebe gerade«.

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© Angela Karpouzi
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Nach dem Rausch

Ganz oben ist auch nur ganz unten, wenn du es drehst, denke ich nie während, aber oft nach dem Rausch dann. Man kann nie nicht denken, deshalb sage ich nicht ‚ich denke an nichts‘. Aber wenig ist es schon - im Vergleich. Und ganz anders, ganz bestimmt: Verknüpfter, leichter, von einem Gedanken in den nächsten schwebend, von denen sich keiner einem aufdrängt, sondern sie nur als Begleitkulisse zu den wie im Film erscheinenden Geschehnisse um einen herum scheinen. Ein Fluss, in dem ich mich befinde, meine Gedanken, meine Bewegung. Kein Wunder, dass die Worte und Inhalte von Rausch und Fluss sich gut ergänzen. Das macht Sinn - während des sich-im-Rausch-Befindens, ganz im Fluss. Aber nicht nur das, alles macht Sinn und das, was es nicht tut, gewinnt dadurch nur an existentialistischer Wahrheit, deren Schönheit alles Sinnvolle in seiner energetischen Daheit überschattet. Endlich bin ich für den Augenblick im Zentrum angekommen. Mein Leben lang bin ich auf der Suche nach diesem Ort, diesem Moment, dieser Person, die oder der mir das Gefühl gibt, nicht andauernd danebenzustehen: drei Zentimeter neben dem Lichtkegel des Scheinwerferlichtes, der Dartpfeil, den man zwar manchmal haarknapp, aber nie ganz in die Mitte schießen kann, die erste Person, die kein Ticket mehr bekommt für dieses eine Konzert, von dem das Leben abzuhängen scheint, die Person die dann dasteht und alle anderen in die Halle gehen sieht und weiß, sie bleibt hier draußen alleine zurück, darf nicht hinein, wird in der Zukunft nie ein Teil davon gewesen sein. Die Person, die etwas befangener tanzend, am Rande stehend, auf die anderen blickt und denkt: »Ich wäre auch gern so frei wie die da«. Und gerade jetzt, gerade in diesem gegenwärtigen Moment habe ich die Freiheit ganz schüchtern, zaghaft an der Hand – ‚nur nicht festhalten wollen, sonst ist sie weg‘.

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Und sie zieht mich in die Mitte der Tanzfläche, hinter sich her und ich lasse mich gehen. Ganz kurz bin ich die Person, die alle ansehen und sich wünschen so frei zu sein, die aber so damit beschäftigt ist, frei zu sein, dass sie nicht darüber nachdenken muss, was diese »Freiheit«, dieses Wort, oder irgendwelche Worte und Begriffe sind und bedeuten. Alles bloße Abstraktionen, Ablenkungen, Umschreibungen, die mich wegführen wollen aus dem Jetzt, das was ich erlebe zu systematisieren versuchen, in ihr System aus 26 Grundbuchstaben. Das hier ist die Wahrheit. Aber weißt du was? »Fuck, Wahrheit!«. Denn das ist auch nur ein Begriff. Weg mit den Worten, her mit dem Fühlen, für das ich mich nicht rechtfertigen muss, das ich nicht analysieren und beschreiben muss, das einfach ist, und mich sein lässt. Ich will alles fühlen, will voll sein mit der Potentialität des Momentes, die sich in mir entfalten kann, weil ich alles loslasse, mich leer mache dafür.

Aber was bleibt, wenn der Moment dann irgendwann (ver-) geht, ist nur die Leere. Und dann kommst du zurück nach dort, wo du nie weggewesen bist. Und was wartet dann da auf dich, nach dem Rausch? Wenn dieses Gefühl einsetzt, dieses eindringliche Gefühl, es gäbe kein Zurück mehr, dorthin wo du warst. Und kurz ignorierst du es noch, imitierst den Rausch, das Fließen mit einer lauten Übertriebenheit, aber dann musst du es akzeptieren. Und plötzlich sind da wieder diese Worte, dieses Müssen und Sollen und Morgen und Gestern. Ich muss nachdenken, sollte nach Hause gehen, schlafen, lernen, meine Großeltern besuchen. Und morgen ist schon heute und gestern lange vorbei. Diese ohrenbetäubende Stille der Unruhe, dieses Warten auf Godot, warten auf das erste Licht des Tages, weil man nicht weiß, worauf man sonst warten soll und das Licht kommt zumindest ganz bestimmt. Und dann das, wenn es hell geworden ist,

während dem Ernüchtern, das ernüchternde Feststellen, dass die Leere auch von dem anbrechenden Tageslicht leer bleibt. Dass die Leere eigentlich voll mit einer Idee des Leeren ist, die nichts anderem Platz macht, mit dem man versucht sie zu füllen. Die Leere ist keine Privation, sondern der essentielle Preis, den man zahlt für das aus dem stetigen Gedankenfluss Austreten. Und Leere ist dann auch in den Blicken, und blicken wird zu starren. Und dann starr ich und frag mich »warum« und »wohin« und »woher«, in allen Variationen, denn Zeit habe ich wieder. Die Zeit hat mich wieder. Hat mich eingefangen, wieder in ihre Sekunden-, Minuten-, Stundenzeigerbewegung synchronisiert, mich zurück in die Zeitlichkeit der Menschheit platziert, mich mit ihrer motorisierten Gleichmäßigkeit verwirrt. Ich bin un(-ver-)weigerlich in die Grundlage, in das Alltägliche zurückgeworfen worden. In das sich-dahinschleppende Sich-dahinschleppen, von einem Punkt des Tages zum nächsten, in die Kreisbewegungen um das Unbekannte, große Ganze herum, zu dem ich keinen Zutritt mehr habe, oder den Eingang nicht finden kann. Ich kann nur manchmal durch die gläsernen Scheiben schauen, wie es sein könnte, dort drin. Vielleicht sind die Scheiben aber auch nur Bildschirme und dahinter ist nichts, je nachdem wie man es mit den Dimensionen sieht, wie weit der eigene Horizont noch reicht. Meiner reicht gerade bis zur Decke des Raumes, in dem ich sitze, seit, was sich anfühlt wie Stunden, aber wohl weit weniger auf dem Papier der Ikea-Uhr ist. Ich bin in der ersten Reihe einer Zirkusvorstellung gesessen, bin kurz an dem Trapez durch die Manege mitgeschwungen, doch ohne, dass ich es merkte, ist der Zirkus weitergezogen, und hat mich auf dem mit Pferdescheiße und Sägespäne verdreckten Feld im Industriegebiet zurückgelassen.

Vielleicht schau ich
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dann irgendwann mal nach, ob hier irgendwo ein Bus losfährt, wenn ich dann vielleicht irgendwann aufstehen werde.

BEZIRKSHAUPTMANNSCHAFT

Auszug aus dem Strafverwaltungsprozess

Rechtsberatung durch: Anton A. Kelderer

Sehr geehrtes Team der Bezirkshauptmannschaft

bezugnehmend auf ihr Schreiben , in dem mir die Verletzung des öffentlichen Anstandes gem. , vorgeworfen wird, möchte ich feststellen, die Tat ausgeführt zu haben, ähnlich wie in der Anklage erläutert. Ich möchte mich aufrichtig für mein Verhalten entschuldigen und nachdrücklich versichern, eine solche Handlung in Zukunft nicht mehr zu wiederholen. Mein exzessives Verhalten an diesem Abend ergibt sich aus dem Umstand, dass ich während der Pandemie unter großem psychischem Druck stand und sehr unausgewogen gelebt habe. Dessen ungeachtet ist mir bewusst, dass mein Verhalten durch nichts zu rechtfertigen oder entschuldigen ist.

Mit Blick auf den Sachverhalt möchte ich präzisieren, dass kein anstößiges Bild entstehen konnte, zumal ob der Dunkelheit im Lokal keinerlei Details für andere erkennbar waren. Darüber hinaus geschah meine Handlung in einer von außen nicht erkennbaren Position des Lokals (einer dunklen Ecke), wodurch mich keiner sehen konnte. Auf die Handlung aufmerksam wurden die Türsteher des Lokals erst indirekt, da sie aus den äußeren Gegebenheiten ex post auf die Tat geschlossen haben bzw. war die Möglichkeit der Tat erahnbar, nicht aber der Tatvorgang selbst sichtbar. Aus diesem Grund möchte ich anregen, den Tatbestand für nicht erfüllt zu betrachten, zumal im Einklang mit der österreichischen Rechtsprechung kein öffentliches Ärgernis erzeugt wird, wenn die Tat nicht von anderen gesehen wird.

Selbstverständlich habe ich mein mit nichts zu rechtfertigendes Verhalten sofort den Türstehern gestanden und habe auch am gleichen Abend sowie am nächsten Morgen dem Clubbetreiber meine aufrichtige Entschuldigung versichert und meine Hilfe für das Saubermachen angeboten. Dem Club ist außerdem kein Schaden entstanden und der Betrieb konnte ungestört noch am selben Abend weitergeführt werden.

In aufrichtiger Entschuldigung ,

1 GLOBAL
1 von 1 ------------------ , am 26.07.2022 65

Bild:

der Fotostrecke "Bildrauschen"

aus von Priska Wörl und Claudia Ploner

IMPRESSUM

DIE ZEITLOS

Ampfererstraße 40

6020 Innsbruck

OBFRAU & STELLVERTRETERIN

Eva Mattle & Helena Hantelmann

SCHRIFTFÜHRER & STELLVERTRETERIN

Tobias Goller & Claudia Ploner

KASSIERIN

Magdalena Altmiks

REDAKTIONELL BETEILIGT

Claudia Ploner, Tobias Goller, Sofie Amann, Julia Gmeiner, Helena Hantelmann, Jonas Heitzer, Lea Hof, Adrian Keller, Lena Kleiner, Anna Ludwig, Eva Mattle, Leona-Cosima Piffer, Bettina Plangg, Heidi Siller, Isabella Walder, Priska Wörl, Valentina Adriana Ranseder, Anna Lusser

ÖSTERREICH ZVR

997012949

DESIGN & LAYOUT

Lara Hauser, Sebastian Feig, Leonie Hallmann, Tobias Goller, Adrian Keller, Eva Mattle, Claudia Ploner, Daniel Singh, Priska Wörl

COVER GESTALTUNG

Lara Hauser

KONTAKT

vorsitz@diezeitlos.at

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DRUCKEREI Gutenberg-Werbering GmbH

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DANKE AN ALLE UNTERSTÜTZER*INNEN! BESONDEREN DANK AN MIRIAM MITMANSGRUBER!

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