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Gut und Böse (nach Rudolf Steiner)
Gut und Böse
Gut und Böse sind keine absoluten Größen, sondern bestimmen sich durch ihre Relation zueinander und zum Entwicklungsgrad der Menschheit insgesamt. Die menschliche Entwicklung, individuell und menschheitlich insgesamt, bedarf des Bösen als notwendigem Gegengewicht zum Guten; nur durch den Ausgleich beider kann das Weltenziel erreicht werden, den Menschen zur Freiheit zu führen, die die Voraussetzung dafür ist, dass der Mensch die Liebe zu entwickeln vermag, was das eigentliche Ziel der Erdentwicklung ist. Der Sündenfall, wie er in der Bibel imaginativ geschildert wird, ist demgemäß nicht nur als Verfehlung des Menschen zu sehen, sondern gibt ihm erst die zur Entfaltung seiner Freiheit notwendige Erkennnis des Guten und des Bösen. Was auf einem Gebiet gut ist, kann auf einem anderen Gebiet böse werden. Kulturspezifische Moralregeln können darum auch nicht beliebig verallgemeinert werden. Für den Menschen kommt es darauf an, dass er bewusst die dem jeweiligen Entwicklungszustand gemäße Wahl trifft - und diese Wahl muss zunehmend eine ganz individuelle sein, entsprechend der von Rudolf Steiner schon in seinem philosophischen Hauptwerk beschriebenen moralischen Intuition als Grundlage für einen wirklichen ethischen Individualismus. So wird der kosmische Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen nach und nach zu einer Frage der bewussten menschlichen Verantwortung.
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Das Böse, nach Rudolf Steiner das fünfte der sogenannten sieben Lebensgeheimnisse, ist ein ursprünglich Gutes, das, anstatt sich weiterzuentwickeln, in seiner unveränderten früheren Gestalt in einem späteren Zeitalter nachwirkt. Böses kann aber auch dadurch entstehen, dass etwas, das erst in einem späteren Zeitalter wirksam werden soll, in unreifer Form zu früh auftritt. Das Böse ist ein zeitversetztes Gutes. Um das Böse zu ermöglichen, mussten gewisse geistige Wesenheiten zum Heil der Gesamtentwicklung das Opfer bringen, in ihrer regelrechten Entwicklung zurückzubleiben. Sie werden dadurch zu Widersachermächten, die aber eben durch ihren Widerstand die Entwicklung insgesamt fördern. So erfolgt die Entwicklung auf Erden stets durch den Zusammenklang des im guten und richtigen Sinn Fortschreitenden mit seiner eigenen Hemmung.
Tatsächlich ist die Sache noch etwas komplizierter, denn es gibt nicht nur eine, sondern zwei Arten von Widersachermächten: die luziferischen Wesenheiten wollen den Menschen frühzeitig und noch unreif wieder zur Vergeistigung führen, wodurch aber seine Entwicklung zur vollen Freiheit abgeschnitten würde. Die ahrimanischen Widersacher hingegen wollen den Menschen an das materielle Dasein fesseln und dadurch seine weitere geistige Entwicklung verhindern. Beide sind unverzichtbare Mächte für das Leben des Menschen auf Erden. Er kann und soll sie nicht fliehen, muss aber durch sein Ich bewusst das richtige Gleichgewicht zwischen beiden herstellen. Dazu bedarf er der Hilfe des Christus, der durch sein Ich wirken kann, ohne ihn in seiner Freiheit zu beschneiden, im Sinne des paulinischen Wortes: Nicht ich, sondern der Christus in mir!
„Wie müssen wir uns das Zusammenwirken des Guten und des Bösen vorstellen? Wir müssen es uns aus dem Zusammenklingen von Leben und Form erklären. Wodurch wird das Leben zur Form? Dadurch, daß es einen Widerstand findet; daß es sich nicht auf einmal - in einer Gestalt - zum Ausdruck bringt. Beachten Sie einmal, wie das Leben in einer Pflanze, sagen wir der Lilie, von Form zu Form eilt. Das Leben der Lilie hat eine Lilienform aufgebaut, ausgestaltet. Wenn diese Form ausgestaltet ist, überwindet das Leben die Form, geht in den Keim über, um später als dasselbe Leben in einer neuen Form wiedergeboren zu werden. Und so schreitet das Leben von Form zu Form. Das Leben selbst ist gestaltlos und würde sich nicht in sich selbst wahrnehmbar ausleben können. Das Leben der Lilie zum Beispiel ist in der ersten Lilie, schreitet weiter zur zweiten, dritten, vierten, fünften. Überall ist dasselbe Leben, das in einer begrenzten Form erscheint, webend ausgebreitet. Daß es in begrenzter Form erscheint, das ist eine Hemmung dieses allgemein flutenden Lebens. Es würde keine Form geben, wenn das Leben nicht gehemmt, wenn es nicht aufgehalten würde in seiner nach allen Seiten hin strömenden Kraft. Gerade von dem, was zurückgeblieben ist, was ihm auf höherer Stufe stehend wie eine Fessel erscheint, gerade aus dem erwächst im großen Kosmos die Form.
Immer wird das, was das Leben ist, umfaßt als Form von dem, was als Leben in einer früheren Zeit vorhanden war. Beispiel: die katholische Kirche. Das Leben, das in der katholischen Kirche lebt von Augustinus bis ins 15. Jahrhundert, ist christliches Leben. Das Leben darinnen ist Christentum. Immer wieder kommt dieses pulsierende Leben heraus (Mystiker). Die Form, woher ist die Form? Die ist nichts anderes als das Leben des alten römischen Reiches. Das, was in diesem alten römischen Reich noch Leben war, ist erstarrt zur Form. Was da zuerst Republik, dann Kaiserreich war, was da gelebt hat in seinen äußeren Erscheinungen als römischer Staat, das hat sein zur Form erstarrtes Leben abgegeben an das spätere Christentum bis hin zur Hauptstadt, so wie eben früher Rom die Hauptstadt des römischen Weltreiches war. Sogar die römischen Provinzialbeamten sind durch die Presbyter und Bischöfe fortgesetzt worden. Was früher Leben war, wird später Form für eine höhere Stufe des Lebens.
Ist es nicht mit dem Menschen geradeso? Was ist das Menschenleben? Die manasische Befruchtung ist heute des Menschen inneres Leben, das in der Mitte der lemurischen Zeit gepflanzt wurde. Die Form ist das, was samenartig herübergekommen ist aus der lunarischen Epoche. Damals, in der Mondenzeit, war kamische Entwickelung das Leben des Menschen; jetzt ist sie die Hülle, die Form. Immer ist das Leben einer vorhergehenden Epoche die Form einer späteren Epoche. In dem Zusammenklingen von Form und Leben ist zugleich das andere Problem gegeben: das des Guten und Bösen; dadurch, daß das Gute einer früheren Zeit vereint ist mit dem Guten einer neuen Zeit. Und das ist im Grunde genommen nichts anderes als eben das Zusammenklingen des Fortschreitens mit seiner eigenen Hemmung. Das ist zugleich die Möglichkeit des materiellen Erscheinens, die Möglichkeit, zum offenbaren Dasein zu kommen. Das ist unser Menschendasein innerhalb der mineralisch-festen Erde: Innenleben und das zurückgebliebene Leben der früheren Zeit zur hemmenden Form verhärtet. Das ist auch die Lehre des Manichäismus über das Böse.“ (Lit.:GA 93, S. 74f (http://fvn-archiv.net/PDF/GA/GA093.pdf#page=75&view=Fit))
In der sechsten Kulturepoche - vielleicht auch schon früher - wird die Zeit kommen, „wo man medizinisch behandeln wird diejenigen Menschen, die etwas anderes anerkennen als Staatssatzungen“ (Lit.:GA 175, S. 249 (http://fvn-archiv.net/PDF/GA/GA175.pdf#page=249&view=Fit)), die von einem geistigen Hintergrund von Gut und Böse sprechen werden:
„Heute denkt man, mit der Zuchtrute des Hohnes, mit der Zuchtrute der Verspottung oder, wie man es oftmals nennt, der Zuchtrute der Kritik, zu begegnen demjenigen, der versucht, aus den geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen die Wahrheit zu sagen. Im sechsten Zeitraum wird man anfangen, diese Leute zu heilen - zu heilen! Das heißt, man wird bis dahin Arzneien erfunden haben, die man denen zwangsgemäß beibringen wird, welche davon reden, daß es eine Norm des Guten und des Bösen gibt, daß Gut und Böse etwas anderes ist als Menschensatzung. Es wird eine Zeit kommen, da wird man sagen: Wie redet ihr von Gut und Böse? Gut und Böse, das macht der Staat. Was in den Gesetzen steht, daß es gut ist, das ist gut; was in den Gesetzen steht, daß es unterlassen werden soll, das ist böse. Wenn ihr davon redet, daß es ein moralisches Gut und Böse gibt, so seid ihr krank! - Und man gibt ihnen Arzneien, und man wird die Leute kurieren. Das ist die Tendenz. Das ist keine Übertreibung, das ist nur das Fenster, durch das ich Sie blicken lassen möchte. Dahin geht der Lauf der Zeit. Und was im siebenten nachatlantischen Zeitraum folgen würde - durch dieses Fenster will ich Sie vorläufig nicht blicken lassen. Aber wahr ist es.“ (Lit.:GA 175, S. 241 (http://fvnarchiv.net/PDF/GA/GA175.pdf#page=241&view=Fit))
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