Rudolf Steiner - Die Quelle des Bösen, der Übel und des Schmerzes (München, 29. März 1914)

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Rudolf Steiner

Die Quelle des Bösen, der Übel und des Schmerzes München, 29. März 1914 Öffentlicher Vortrag

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den Welträtseln, die sich dem Menschen nicht nur von rein wissenschaftlicher Seite aufdrängen, sondern [die] vom Leben immer wieder gestellt werden, gehört dasjenige vom Quell des Bösen und der Übel in der Welt. Es sei mir nun gestattet, hierzu heute Abend vom Standpunkt der Geisteswissenschaft aus – und zwar derjenigen Geisteswissenschaft, deren Grundlagen ich schon seit vielen Jahren vor dieser Zuhörerschaft auseinandergesetzt habe – über diese spezielle Rätselstellung des menschlichen Lebens zu sprechen. Vor dem eigentlichen Eingehen auf die betreffenden Fragen möchte ich kurz einleitend darauf hinweisen, wie durch alle Jahrhunderte hindurch die Frage des Bösen und die der Übel in der Welt den forschenden Menschen beschäftigt haben. Und an dieser unablässigen Beschäftigung dürfte sich schon zeigen, wie tief das Böse und die Übel von der menschlichen Seele empfunden werden. 1

Nur kurz sei darauf hingedeutet, dass die philosophischen Denker es versuchten, von den verschiedensten Gesichtspunkten aus, nach denen sie das Böse und die Übel in das Leben hineinragen sahen, deren Rätsel zu lösen, aber trotzdem nicht völlig damit zurechtkamen. Lassen Sie uns zurückgehen bis zu jener Philosophie des 3. Jahrhunderts vor Christi, die als Stoizismus bekannt ist und [es / die] versuchte, aus dem griechischen Gedankenleben heraus Richtlinien für die Prinzipien des Weltalls und des Verhaltens des Menschen zu gewinnen. Da trat bei den Stoikern die andere Frage auf: Wie kommt man mit dem Menschenleben zurecht, wenn man im Leben den Stachel des Bösen in sich fühlt und die sonst so weisheitsvolle Weltlenkung von den Übeln des Daseins durchsetzt sieht. Will man versuchen, die Art zu charakterisieren, wie der Stoizismus mit dem Bösen in der menschlichen Natur zurechtzukommen meinte, so muss man den Blick auf die aus den Grundlagen der Welt entspringenden Bewusstseinszustände hinlenken. Wenn der Stoiker die Kräfte seines Bewusstseins entfaltete, von denen er annahm, dass sie mit der Welt in Übereinstimmung seien, so meinte er, müsse sich nur Gutes entwickeln. Aber das Böse trat doch auch auf. Dann sagte er, es ist beim Hineingelangen des Bösen in die menschliche Seelennatur ein Dämmerzustand der Seele, eine Art geistiger Ohnmacht vorhanden. Und der Stoiker fragte sich dann: Wodurch kann das normale Bewusstsein unserer Seele heruntergedämmert, sozusagen ohnmächtig werden? Dadurch, dass der 2


Mensch eine komplizierte Wesenheit ist. Und wenn er auch mit seinem Bewusstsein in einer [diesem / für dieses] normalen Sphäre lebt, dann zuweilen in niedere Sphären hinuntertaucht – ähnlich wie beim Untertauchen in den Schlafzustand etwa – und durchtränkt wird von dem, was normal nicht in ihm ist und [nicht] sein soll. Der Stoiker denkt also den Menschen mehreren Welten angehörig. Folgt er dem Guten, so ist er in seiner eigenen Sphäre, verfällt er dem Bösen, so ist er unter derselben. In der sichtbaren Welt gibt es Niedrigeres als der Mensch ist, in den Tieren, Pflanzen und Mineralien: eine Stufenfolge der Naturreiche. Dasjenige nun, wohinein der Mensch beim Bösen untertaucht, muss als Disharmonie der Natur da sein. Hierbei kann aber gesagt werden: Dieser Lösungsversuch zeigt das Ungenügende einer jeden solchen Art, diese Rätsel zu betrachten, denn dabei bleibt die Frage unbeantwortet: Wenn der Mensch nun bei abgedämpftem Bewusstsein unter seine normale Sphäre heruntertaucht, und dabei das Böse zur Geltung kommt, welche Bedeutung hat es im menschlichen Leben, dass er dahin untertaucht, was bringt er von dort überhaupt mit? Das philosophische Denken erwies sich und erweist sich noch als ohnmächtig, von dieser Seite her an das Problem des Bösen heranzukommen.

raus zu nähern. Er sagte sich, bei weiterer Entwicklung im Sinn der Vergeistigung kann die menschliche Seele mehr in das Geistige untertauchen und sich allmählich von den Gesetzen des materiellen Daseins losringen. In diesen sah Plotin und mit ihm viele Philosophen dasjenige, was der Feind des Guten ist. Er meint, soweit das Materielle in die Seele hineinwirke, dränge sich im gleichen Maß das Böse herein. Und so sah er das Böse in dem gegen das Geistige feindlich gerichteten Materiellen. Aber auch damit kam das mystische Denken nicht an das Problem des Bösen heran. Es ist nicht aufgeklärt worden, warum die materiellen Kräfte dem Guten entgegenstehen, und was die menschliche Seele davon haben sollte, dass diese Kräfte in sie hineinspielen können. Dann kam der Versuch der augustinischen Lösung, die eigentlich keine ist. Bei dieser aber tritt etwas Typisches auf, das von da an immer wieder auftaucht. Nämlich: Augustinus lässt das Böse gar nicht in seiner Realität bestehen. Er meint, es sei nur das Gute vorhanden, und wiewohl sich das Licht überall, aber nicht in seiner vollen Stärke finde, sondern in den verschiedensten Abstufungen, [also / so] sei das Böse mit den Übeln nur ein schwaches Gutes. Derartige Lösungen sind immer wieder aufgenommen worden, sie sind ein Typus dafür, die Welträtsel, die von ihren Vertretern nicht erklärt werden konnten, einfach wegzuleugnen.

Nach einigen Jahrhunderten versuchte Plotin, ein neuplatonischer Philosoph, in philosophischer und mystischer Art sich dem Bösen aus der mystischen Philosophie he-

Wenn zum Beispiel [Reginald John] Campbell das Böse nur den Schatten des Guten nannte, so bezweifeln wir

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wohl mit gutem Grund, dass dadurch das Böse begriffen werden kann. Es ist für uns nicht viel mehr, als wenn man sagen wollte, die Kälte ist nur eine andere [Wärme], eine Unterart der Wärme, sie ist nichts Positives, sondern etwas Negatives. Also: Wir brauchen keinen Pelz anzulegen, um uns dagegen zu schützen. Eine derartige Trivialität musste als Einwand angeführt werden, um den Wert der letztgenannten Lösungsversuche zu charakterisieren. Tiefer hinein in die Weltverhältnisse und deren Gründe, wo auch das Böse als Positives, als Realität erscheint, wenn es mit dem geistigen Auge untersucht wird, ist der Geisteswissenschaftler und Mystiker Jakob Böhme vorgedrungen. Er blieb nicht bei Begriffen und Ideen stehen, weil er seine gesamten Seelenkräfte zu einer solchen Stufe des Erlebens steigerte [und dann /, dass er] fühlte und erlebte, was geistig und göttlich ist. Er erkannte, dass das Böse tief in den Wurzeln des Daseins begründet ist. Vor ihn trat redend das gesamte Dasein als ein Ja hin, das sich nur an einem Nein erfüllen kann.

so meint er, konnte sich damals nur an seinem Gegensatz entzünden, wie bei dem [Menschen / menschlichen] am Materiellen. Der göttliche Urgrund entstieg nach Böhme dem vorgöttlichen Ungrund und also mit jenem dann auch das Gute und das Böse. Jakob Böhme kommt mit dieser Anschauung weiter als die bloße philosophische Erklärung. Die Dunkelheit ist vorhanden, ohne dass sie eine Erklärung nötig hätte, es bedarf vielmehr das Licht der Erklärung. So lässt denn Böhme, wie auch Schelling, aus dem dunklen Ungrund der Welt, den sie von dem göttlich-geistigen Dasein durchwallt sehen, die Wirkungen hervorgehen, die unter dem Tun des Göttlichen in das Urgründliche hineingeworfen werden. [Merkwürdig / Bemerkenswert] ist es, dass Jakob Böhme das Böse positiv erkennt und es nicht in der äußeren Sinnenwelt, sondern in den Untergründen des Daseins begründet sieht, weil jedes Göttliche sich und die Welt aus dem Ungrund erheben muss.

Wodurch gelangen wir als Mensch zum Bewusstsein? Wenn der Mensch schläft, so besitzt er unter den gewöhnlichen Verhältnissen kein Bewusstsein. Erst wenn er aufwacht und unter der ihm bekannten Weise überall mit der Welt zusammenstößt, tritt das normale Bewusstsein auf, sein Selbstbewusstsein an dem, was sich der Seele entgegenstellt. Diese Art, sich an seinen Gegensätzen zu stoßen, erblickt Jakob Böhme schon im göttlichen Urdasein der Welt, indem er dieses aus dem dunklen Dasein des Ungrundes hervorgehen lässt. Das göttliche Bewusstsein,

Interessant ist es, dass ein Zeitgenosse Jakob Böhmes im Fernen Osten, in Japan, eine Philosophie aufstellt, die eine ähnliche Lösung anstrebt. Es ist der Weise [Nakae] Toju in [der Provinz] Omi, der dort um die Mitte des 17. Jahrhunderts lebte. Seine Anschauung ist im Wortlaut fast so wie bei Böhme, das göttliche Ja des Ungrundes erhebt sich und spielt hinein in das Nein, das Ri des Ungrundes in das Ki des Urgrundes. So sehen wir, wie jeder in seiner Art durch verschieden tiefgehende Philosophie

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und Mystik dem Rätsel des Bösen und der Übel nahezukommen sucht. Eine gewisse Ohnmacht, sich der Lösung dieses Problems zu nähern, zeigt sich auch bei Lotze, bei jenem geistvollen Philosophen, der auch im Hinblick auf das Böse fest auf dem Boden der Naturwissenschaften zu stehen versucht. Er sagt, man kann annehmen, dass das Böse in der Welt da sein müsse, damit durch seine Überwindung das Gute herangezogen werden könne. Aber wie ist es mit dem Tierreich, wo das Böse nicht durch Erziehung überwunden werden kann? Lotze kommt daher zu nichts anderem als zu sagen, das Böse ist da, und wir müssen glauben, dass es aus Gründen, die dem Menschen nicht zugänglich sind, der weisen Weltregierung notwendig zu sein schien. Der menschlichen Erkenntnis sei das Erkennen in dieser Beziehung versagt. Alles andere, was noch in großem Umfang angeführt werden könnte, würde von Neuem darlegen, dass die begriffliche, ideelle Philosophie bei der Erklärung des Bösen und der Übel versagt und [dass] diese Philosophie selber zu dem Eingeständnis kommt, es sei zur Zeit unmöglich, der Lösung des Problems vom Bösen und den Übeln nahezukommen. Und solche Probleme werden einer Philosophie, die an das Gehirn als ihr Werkzeug gebunden ist, zu Grenzfragen ihres Erkenntnisgebietes, sie muss ja von ihrem Standpunkt [aus] zu dem Ergebnis kommen, dass die menschliche Erkenntnis grundsätzlich ihre Grenzen habe. 7

Demgegenüber aber muss darauf hingewiesen werden, dass die Erkenntniskraft des Menschen eine Entwicklung durchmacht, die ja nach seiner eigenen Anstrengung beschleunigt und vertieft werden kann. Wenn das geschieht und mit den Mitteln der Geisteswissenschaft an das Problem des Bösen herangetreten wird, so ergibt sich eine höchst [merkwürdige / bemerkenswerte] Lösung, die zunächst paradox erscheinen mag. Wir wissen, dass sich die Geistesforschung nicht allein auf die gewöhnliche Erkenntniskraft stützt, sondern vor allem auf diejenige, welche zunächst im Menschen schlummert, aber durch die Mittel der Meditation und Konzentration aus dem Unbewussten heraufgeholt werden kann durch eine unbegrenzte Anstrengung von Geistes- und Seelentätigkeiten, die sonst nur in ihrem elementaren Zustand gebraucht werden. Nach solcher Erstarkung kann sich dann der Mensch selbst außerhalb seines Leibes erleben, [so] wie einen Tisch zum Beispiel, der im gewöhnlichen Tagesbewusstsein vor ihm steht. Wie es ohne Weiteres dem Chemiker möglich ist, Wasser in seine beiden elementaren Bestandteile, Wasserstoff und Sauerstoff, zu trennen, so kann, wie in einer Art geistiger Chemie, die Seele aus dem Leib gehoben und zur selbstständigen Wirksamkeit gebracht werden, sodass sie, in der geistigen Welt arbeitend, den Leib in der physischen Welt zurücklässt. In dieser Verfassung erlebt der Geistesforscher das Dasein geistiger Wesenheiten und die Vorgänge in der geistigen Welt als eine höhere Wirklichkeit.

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Wie nimmt sich nun die Frage nach dem Bösen aus, wenn der Mensch als Geistesforscher zu geistigen Augen und Ohren kommt? Was sind das für Kräfte, die in den tiefen Untergründen der Seele ruhten und nun erweckt sind? Die Seele fühlt sich dann im Besitz von Kräften, die sie innerhalb des physischen Leibes mit dessen Neigung zum Verkehrten, Hässlichen und Irrtümlichen nicht entfalten kann. Sie sieht dann aber beim Hineinwachsen in die geistigen Welten, dass [dieses / es] sie nicht mehr behindert, wenn der Mensch vor seiner Trennung ein deutliches Bewusstsein dieser Mängel und beim Hinausgehen der Seele aus ihrer Leiblichkeit einen Einblick dahingehend bekommt, dass diese Schwächen und Mängel zu Quellen von Taten in der geistigen Welt werden, sobald er sich mutig und kühn auf seine Fehler hin anschauen kann. Ja, der Geistesforscher muss seine Sinne so ausbilden, dass er auf alle hässlichen Leidenschaften hinschauen kann, denn lässt er sie nicht alle ins völlig klare Bewusstsein treten, so wirken sie umso stärker auf dem geistigen Wahrnehmungsfeld, durchdringen seine Anschauungen und verkehren sie zu Irrtümern, Halluzinationen und Fantastereien. So stellt sich ein Zusammenhang heraus zwischen dem Bösen, dem Wirken des Geistesforschers und seinem Hinaufsteigen in die geistige Welt. Was dabei dem Geistesforscher zur Verfügung steht und ihm Klarheit verschafft, ruht bei dem in diesem Sinne unentwickelten Menschen in den Tiefen seiner Seele. Wenn nun der Geistesforscher sich das Böse vor das geistige Auge stellt und es mit jenen Kräften vergleicht, die ihn in die geistige Welt hinauf9

heben konnten, dann stellt sich heraus, dass die Kräfte, durch die der Mensch in der Sinnenwelt das Böse vollbringt, in der geistigen Welt so verwandelt werden, dass man durch sie in der geistigen Welt mit geistigen Sinnen schauen kann. Sie sind, dort angeschaut, die Keime zum Aufblühen von hellseherischen Kräften. Das darf aber nicht so missverstanden werden, als ob diese hochgehobenen Kräfte, die in der physischen Welt, in ihr Gegenteil verkehrt, sich zum Quell des Bösen und Schlechten ausgestalten, wenn sie bewahrt blieben vor dem Besitzergreifen des physischen Leibes, nun ohne Weiteres hellseherische Kräfte in der menschlichen Seele entwickeln würden. Gerade dieses leuchtet tief hinein in das menschliche Leben und gibt Aufklärung darüber, warum es ein Hindernis für den Geistesforscher ist, wenn er das Böse nicht erkennt, und es dann hineinfließt in sein Hellsehen, wo es sich dann als Illusion und Irrtum darstellt. Es ist mit dem Bösen wie zum Beispiel mit der Schwerkraft auf einer niedrigeren Naturstufe, wenn sie sich in Lawinenstürzen, niederfallenden Vulkanausbrüchen äußert, die zu großem Unglück führen können, während die Schwerkraft, wenn sie, wie zum Beispiel bei einem Wasserwerk, richtig und maßvoll geleitet wird, zu einem Segen für die Bevölkerung werden wird. Nur um zu erläutern, sei es betont, dass die geisteswissenschaftlichen Tatsachen zeigen, wie sich das menschliche Leben nicht vorstellen lässt, wenn man es als einfaches Ding erklären will. Sondern es ist als ein Durcheinanderspielen verschiedener Weltsphären aufzufassen, 10


deren Kräfte in der einen Welt gut, in der anderen schädlich wirken können.

man es auch als Gutes in seiner ebenso wahren Bedeutung in einer anderen Welt erleben kann.

Der menschliche Gesamtorganismus muss andere Kräfte entwickeln in der einen besonderen Lebenssphäre als in einer anderen. So kann eine Lokomotive einen Menschen ohne Weiteres überfahren, wenn sich dieser in Verzweiflung vor ihre Räder auf die Schienen wirft und so in Konflikt gerät mit den Kräften, die ihm, wenn er als Reisender den Zug benutzt hätte, zum Heil hätten gereichen können.

Die Ereignisse der Sinnenwelt und die Geschichte des menschlichen Denkens lehren uns, dass wer in der Sinnenwelt stehen bleibt, nicht erklären kann, wie Schmerz und Übel in diese hineinragen können. Schopenhauer und [von] Hartmann legen in ihrer pessimistischen Weltanschauung wohl dar, wie das Übel in der Welt überwiegt, kommen aber doch nicht recht dazu, sagen zu können, wie denn nach ihrer Meinung sich der göttlich-geistige Urgrund von den Übeln des Daseins und wie die Menschenseele sich von dem Bösen befreien kann.

Wir werden also gewahr, wie auf der einen Seite Kräfte entwickelt werden müssen, die auf der anderen Seite böse werden, und gerade diese können den Menschen in die geistigen Welten hinaufführen, denn in diesen auf der physischen Welt böse wirkenden Kräften walten höhere Mächte im guten, fördernden Sinn in der ihnen zusagenden Sphäre.

So sieht man also, wenn man an das Lebensrätsel des Bösen tritt, dass man dann geisteswissenschaftliche Kräfte umwandeln muss, die da zeigen, wie man das Böse in seiner wahren Natur als berechtigt anzusehen hat, wenn

Der Geistesforscher findet da, wo Böses, Übel, Schmerz, Leid und so weiter in der physischen Welt [auftritt / auftreten], durch dieses in der geistigen Welt, dass all das Leid als ein Keim für eine Entwicklung erscheint, die später erst erfolgen soll. Wir können uns dieses wieder durch eine Analogie klarmachen: Wenn sich ein verzweifelter Mensch vor eine daherbrausende Lokomotive wirft, so geraten zwei Sphären der sinnlichen Welt in Kollision. [Das,] was für das Weiterleben des Unglücklichen notwendig ist, wird zermalmt, die Kräfte der Lokomotive, die sonst heilsam sind, schieben sich mit anderen übereinander, mit denen sie zusammen unverträglich sind. Aber es könnte auch der Mensch, wenn er sich rechtzeitig erhebt, gerettet werden, und die Kräfte der Lokomotive könnten im guten Sinne wirksam bleiben. Die Seele dieses Menschen würde aus ihrer plötzlichen Sinnesänderung neue

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Dadurch also wird nun das Böse durchsichtig in seiner Bedeutung als ein Verwandlungsprodukt von Kräften im Leben des Menschen, sodass wir endlich zu der Tatsache kommen: Dieses Böse ist die Verkehrung eines höheren Guten in einer diesem nicht zusagenden Wirkungssphäre.


Kraft zu neuem Beginn eines weiteren Lebensabschnittes schöpfen können und daran völlig gesunden. Was ins Leben hineingestellt ist, verquickt sich so miteinander, dass verschiedene Sphären aufeinanderstoßen. Das Geistige taucht ins Physisch-Sinnliche unter und erlebt sich dort ganz anders, als es sich im Geistigen allein erleben konnte. Dadurch wird das Geistige in einer Art erstarkt, wie es ohne dieses Untertauchen nicht möglich gewesen wäre. Ja, man kann sagen, gewisse Entwicklungen hätten in der geistigen Welt gar nicht eintreten können, wenn das Übel in der Welt nicht vorhanden wäre, [so] wie kein Keim einer neuen Pflanze entstehen kann ohne das Abwelken der Blüte und eines Teils der Mutterpflanze. In allem Schmerzlichen liegt ein notwendiges Hinabsteigen, damit sich der Keim von Neuem höher und leuchtender entwickeln kann im Schoß einer ihm zunächst fremden Sphäre, von der hierfür, das heißt für diese Entwicklung, etwas geopfert werden muss. Und in diesem Absterben ist die Notwendigkeit allen Übels gegeben. Im Übel und Schmerz dieser Welt liegen die Keime für eine zukünftige Entwicklung.

Und jeder der heute Lebenden ist unbewusst beherrscht von der Erkenntnis dieser Gesetze des materiellen Daseins, die aber den freien Ausblick in die geistige Welt zurückgedrängt haben. Und so ist es möglich geworden, dass sich im 19. Jahrhundert Geister wie Schopenhauer, [von] Hartmann, Lotze entwickelt haben, die auf eine Daseinsauffassung hindrängten, welche den Menschen hätte befriedigen sollen. Aber sie konnten keine Ideen über das Geistige gewinnen, die geeignet gewesen wären, die Ideen der Naturwissenschaft in geistiger Überlegenheit zu besiegen. Ihnen erscheint daher [das], was an Schmerzlichstem in der Welt da ist, als unerklärlich. Wohl sehen sie das Abwelkende, aber nicht den Keim, der als hoffnungsvolles Ergebnis in jenem liegt, der auch innerhalb der absterbenden Blüte und Keimhülle gefunden werden muss, wie die Folge von Schmerz und Übel im Leben. Alles wirkt aus der geistigen Welt heraus auch in den Reichen des physischen Daseins. Wie sich dieses aber seinem inneren Wesen nach zeigen müsste, ist von den Forschern des 19. Jahrhunderts nicht oder nicht ausreichend erkannt worden.

Nehmen wir zum Beispiel den monistischen Materialismus, der sich aus der Naturwissenschaft besonders des 19. Jahrhunderts entwickelt hat, und unter dessen Vorstellungen zum Teil unsere idealsten Männer wie unter einen schweren Last dahinleben. Weil diese Weltauffassung immer tiefer in die menschlichen Seelen eingedrungen ist, hat sie diese fähig gemacht, die materiellen Gesetze zu durchschauen.

Wir sehen, wie schwierig es den tüchtigsten Vertretern ihrer Zeit wird, sich zu den Erscheinungen der Welt zu stellen, und [wie sie] in vielen Dingen mit den naturwissenschaftlichen Anschauungen allein keinen Ausweg finden. Wir sehen solchen Geistern an, wie sie in ihrem innersten Seelenleben nach einer befriedigenden Perspektive des Daseins dürsten, dass aber ihr Blick durch den

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Druck der einseitig aufgefassten Naturwissenschaften getrübt ist. So sagt zum Beispiel ein solcher, wie ihm hiernach die Welt erscheint: Sie ist wie der Leichnam eines Menschen, von dem man wissen kann, er ist von seiner Seele verlassen, aber was als Leichnam vor uns liegt, ist nicht fähig, aus sich selbst ein Seelisch-Geistiges zu entwickeln, wie aus einem übrig gebliebenen, aus einem vorweltlichen geistigen Dasein eines Göttlich-Geistigen, das etwa im Anfang da war. In seiner jetzigen Verfassung ist aber kein Keim eines neuen Geistigen zu finden. Dieser Philosoph Mainländer, der um die Mitte des 19. Jahrhunderts lebte, ist von Hofrat [Max] Seiling in enthusiastischen Worten, aber in den Tatsachen völlig richtig, gewürdigt worden. Wenn man einen solchen Geist in seiner Tragik sieht, so erkennt man die Aufgabe der Geisteswissenschaft auch darin, die drückende Last der Vorstellungen des 19. Jahrhunderts den Menschen abzunehmen, besonders bei solch bedeutsamen Geistern, die es so ernst mit dem Leben nehmen wie Mainländer, der im menschlichen Dasein nur Alter und Übel, Schmerz und Tod sieht. Demgegenüber sieht aber die Geisteswissenschaft auch weiter noch, dass in all diesem auch etwas lebt: das Geistige, dass der Zukunft entgegensprosst und sich später nicht in seiner Sonderart entfalten könnte, wenn es nicht zeitweise ins physische Leben als Übel und Schmerz hinabgedrängt worden wäre. Von solchem Standpunkt aus kann man aber nicht mehr von der Philosophie des Schmerzes und dessen Erlösung sprechen. Es wäre dann 15

absurd, von dieser Erlösung zu sprechen im Hinblick auf die schon gebrauchte Analogie mit den Pflanzenkeimen, dem sogenannten Samen, für dessen Entwicklung oft die ganze Mutterpflanze, mindestens aber ein Teil derselben, die Blüte und so weiter, sterben muss, was man für diese ja auch als ein Übel auffassen müsste. Ebenso wenig kann sich das Neue, Vollkommenere aus einem geistigen Keim entwickeln, ohne dass dabei in der physischen Welt Übel und Schmerz erregt wird. Wenn wir alles dieses vom höheren Geistesstandpunkt anschauen, werden wir einsehen, dass wir bei allen Bestrebungen, das Übel zu lindern, von diesem nicht [werden] im gewöhnlichen Sinne erlöst werden können, sondern lernen müssen, es zu ertragen. Ist das Schmerzvolle, Leidvolle in der Gegenwart manchmal recht schwer, so wird die erfreuliche Frucht in der Zukunft liegen und dann zur Wirkung kommen. Aus einer solchen Anschauung entsteht eine [ertragsame / ertragreiche], friedliche und tüchtige Lebensauffassung. Wer weiß, aus dem Leid entwickle sich wie aus einem Keim in der Zukunft das Vollkommenere, der schaut in einer vielleicht schmerzvollen Gegenwart die bessere Zukunft, wenn er sich auch dem Unvollkommenen und Hässlichen in werktätiger Abhilfe nicht verschließt. Wenn auch die Blätter und Blüten des Daseins abfallen – unter ihnen wächst und dauert der Keim, der eine zukünftige reichere Entwicklung ermöglicht, und wir begreifen, [dass,] was uns in der physischen Welt als Böses und Übel 16


erscheint, eine parallele Erscheinung dessen ist, was in der geistigen Welt ein künftiges vollkommeneres Dasein ermöglicht. Über das Herbe, Leidvolle und Schmerzliche ist mit dieser, dem Tatsächlichen entsprechenden Anschauung hinwegzukommen, denn im Bösen und [in] den Übeln haben wir nur im physischen Dasein etwas Unerklärliches, wir finden es erst erklärlich und damit erträglich, wenn wir zum Quell aller dieser Vorgänge, zur geistigen Welt, vordringen, dort wandelt sich der sonst furchtbare Anblick der sinnlich-physischen Welt. In all diesen Dingen liegt auch eine wirkliche und impulsive Ethik begründet. Nicht ein Moralpredigen geht daraus hervor, was an sich ja leicht sein würde, sondern der Mensch lernt dadurch die Quelle des Bösen und der Übel in der geistigen Welt kennen, und dieser und ein weiterer Drang nach Erkenntnis wird ihn immer tiefer und gründlicher aus der sinnlichen in die übersinnliche Welt als deren Ursache hineinführen.

Zusammenfassend können wir das heute Gesagte in der menschlichen Empfindung so darstellen: Vieles in der Welt wird der suchenden Seele verborgen bleiben, die in ihrem Forschen nicht über die physische Welt hinausgehen will. Sie kann leicht in Verzweiflung geraten, wenn sie nicht den Mut hat, zu den Urgründen vorzudringen, in denen des Lebens größte Rätsel verborgen liegen, zu ihrem Quell in der geistigen Welt. Die Geisteswissenschaft wird den Menschen immer mehr der Lösung [über das / dessen] entgegenführen, was ihn in seiner Seele bedrückt. Er wird sich in den verschiedenartigsten Lebenslagen mit seinem Dasein abfinden können, wenn er für das Böse und die Übel den Ursprung nicht nur in der Sinnenwelt, sondern vor allem in der übersinnlichen Welt weiß, sie als Keim einer besseren Zukunft erkennt, beeinflusst aus der geistigen Welt, die auch die Heimat seiner Seele ist.

Die Geisteswissenschaft ist imstande, darauf hinzuweisen, dass alles Böse, die Übel und [die] Schmerzen so lange für die menschliche Erkenntnis Rätsel bleiben werden, als ihre Quellen nur in der Sinnenwelt gesehen werden. Nur die Geisteswissenschaft kann ein richtiges Licht auf das menschliche Leben und auf alles menschliche Handeln werfen, da sie ja zu dem Ursprung zurückgeht, der nicht in der Sinnenwelt real vorhanden ist, sondern das Übel in seiner richtigen Gestalt dadurch erst kennen lehrt, dass sie es in seinem guten Ursprung zeigt, den es in der geistigen Welt hat. 17

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IMPRESSUM: Erschienen bei: Steinerquellen.de Am: 14. Oktober 2008 Textgestaltung: (Neue Rechtschreibung, Dativ-Es, Interpunktion, Absatzwahl, Verbstellung im Satz, gekennzeichnete Korrekturen)

Elke Hüttig, Gerhard Hüttig, Eva Koglin, Michael Schmidt auf Grundlage einer Teilnehmer-Nachschrift.

Urheberrecht: Die Nutzung der durch die Veröffentlichung dieses Vortrags entstandenen Urheberrechte nach UrhG §71 wird hiermit unentgeltlich jedem für alle Nutzungsarten räumlich, zeitlich und inhaltlich unbeschränkt eingeräumt, mit der Bedingung, dass bei einer Veröffentlichung mit einem Umfang von mehr als der Hälfte des Vortrags im Impressum dieser Veröffentlichung ein Hinweis auf die Ausgabe des Vortrags unter Steinerquellen.de mit Nennung der Internetadresse (zum Beispiel «Erstveröffentlichung unter www.steinerquellen.de») enthalten sein muss.

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