端ber.morgen Dein Begleitheft zur Krise
www.uebermorgen.at | Jahr 4, Ausgabe 2 | Freitag 2.3.2012 | Kostenlos
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Isoliert und gl端cklich Reportage S. 12 Gefilmt und geklagt Diskussion S. 10-11 Ungewollt und vertagt Bericht S. 6-7 Ausgebrannt und fertig Reportage S. 8-9
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über.thema
Teilen unerwünscht D Eine persönliche Auseinandersetzung Ich war fünf Jahre alt, als das Internet das Licht der Welt erblickte. Während der vergangenen 20 Jahre hat es sich in unglaublicher Art und Weise weiterentwickelt und ich mich mit ihm: Ende der 90er wagte ich die ersten paar zaghaften Schritte, Anfang der Nuller-Jahre folgte schließlich mein erster E-Mail-Account, 2005 dann mein erster Blog. Das sogenannte Web 2.0 ist ein Grund, warum ich immer noch hier bin. Twitter, Facebook, Google+, YouTube, Tumblr oder wie sie alle heißen mögen - manche „sozialen“ Netzwerke sind aus meinem täglichen Leben nur mehr schwer wegzudenken. Laut ACTA wäre ich also ein Paradekrimineller, ein Profiteur der illegalen Gratiskultur und Schuld an Milliardenverlusten und Jobabbau. Wie kann ich nur? Dieses Anti-Counterfeiting Trade Agreement ist, obwohl bisher so wenig von ihm bekannt ist, schon jetzt eine große Gefahr für das natürliche Auftreten im Internet. Unsere Sozialisation sollte uns gelehrt haben, zu teilen: Social Media bietet uns dafür ganz simple Möglichkeiten. Ein lustiges Video, ein interessantes Bild, eine Leseempfehlung: Wir posten es umgehend in unseren Netzwerken. Aber denken wir dabei nach, von wo diese Inhalte kommen? Ist das überhaupt unsere Aufgabe?
as WorldWideWeb soll kein rechtsfreier Raum sein, aber mit ACTA würde es generalkriminalisiert werden. Das dürfen wir nicht zulassen, denn viel zu viel steht auf dem Spiel.
Wie wir zu teilen lernten Wir sind damit aufgewachsen. Wir haben gelernt, Inhalte in unseren Kreisen zu teilen. Nahm man früher eine VHS-Kassette auf, erzeugte Mixtapes auf Musikkassetten und schnitt interessante Beiträge aus der Zeitung aus, so macht man heute nichts bedeutend anderes. Heutzutage passiert all das online, und während man damals nur einen kleinen Kreis erreichte, wuchs dieser in Zeiten der „sozialen Medien“ rapide an. Doch was damals geduldet wurde, soll heute ein Verbrechen sein? Der New Yorker Investor Fred Wilson erklärte letztens, dass wir alle (die berühmten 99 Prozent) Piraten sind, weil es einfach nicht anders möglich ist. Wenn alle das Gesetz brechen, sind nicht automatisch alle Verbrecher. Möglicherweise wäre es ganz einfach an der Zeit, das Gesetz zu überdenken. Doch mit ACTA würden wir uns ganz weit davon wegbewegen. Hier geht es um Kriminalisierung, um Zensur, um das Umgehen der staatlichen Judikative.
In der Piratenbucht Musik, Filme, Serien: Ich habe alles heruntergeladen, was es zum herunterladen gab. Hatte ich Gewissensbisse, möglicherweise sogar Schuldgefühle? Nicht wirklich. Doch seit es in Österreich z.B. Spotify gibt, habe ich mir kein einziges Album mehr heruntergeladen. Warum? Weil ich hier all die Musik legal und zum Pauschaltarif bekomme, die ich mir normalerweise illegal in der Piratenbucht geholt hätte. Doch warum ist es so schwierig, etwas Derartiges auch für Serien und Filme anzubieten? Und all die Autoren, die in den klassischen
Dominic Leitner
Medien über die böse Jugend (und ihren Unwillen, für Content zu bezahlen) schimpfen: Kann mir irgendjemand erklären, warum eBooks im deutschsprachigen Raum dank der Buchpreisbindung meist nur minimal billiger sind als deren gedruckte Pendants? Sobald der Preis in irgendeiner Relation zum bereitgestellten Content steht, könnten möglicherweise auch Autoren wieder von ihren Büchern leben.
Alles nicht so schlimm? Immer mehr Medien nehmen sich des Themas an: Zuletzt las ich in den OÖN einen Pro-Kommentar, in dem erklärt wurde, dass ACTA nicht den einzelnen User gefährden soll, sondern jene kriminellen Organisationen, die mit den Piraterieprodukten auch Geld verdienen. Klar, ACTA ist so vereinfacht geschrieben, dass es in erster Linie nicht gefährlich aussieht. Doch gerade deshalb, weil es vieles offen hält, kann es Grundlage für Zensur, für Internetsperren und einem Ende der Meinungsfreiheit und der Innovation sein. Das WWW soll kein rechtsfreier Raum sein, aber in einer vernetzten Welt wie der unseren darf ein Abkommen wie ACTA auf gar keinen Fall ratifiziert werden. Es würde den Untergang von all jenem bedeuten, mit dem wir groß geworden sind. Das ach so gelobte Zeitalter des „UserGenerated Contents“ wäre am Ende – zu groß ist die Gefahr, gegen irgendwelche Urheberrechte zu verstoßen. Treten wir also erstmal alle gemeinsam gegen ACTA auf. Und dann setzen wir uns zusammen, überlegen, wie wir das Urheberrecht reformieren könnten und hoffen darauf, dass die Rechteinhaber sich endlich auf die Suche nach einem neuen Geschäftsmodell machen, welches nicht unbedingt in erster Linie mit Verklagen oder Kriminalisieren zu tun hat, okay? ♦
FOTO: Christopher Glanzl
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