Kongressdokumentation
I.
INTEGRATION DURCH SPORT Perspektiven der sportbezogenen Integration Kongressdokumentation vom 17. November 2017 im Haus des Sports, Frankfurt
Den Weg in die Veranstaltung wiesen Martin Lauterbach Gruppenleiter beim BAMF, DOSB-Vorstand Sportentwicklung Dr. Karin Fehres und die Bundesprogrammleiterin Heike Kübler: Hinter uns liegen bewegte Zeiten. Dabei ist „Integration durch Sport“das beständigste und erfolgreichste Programm in unserem Portfolio. Viele haben geredet, wir haben gemacht. Und der Sport hat sich in bewegten Zeiten als agiler Integrationsakteur bewiesen.
Man darf das Kongressthema durchaus wörtlich nehmen, das war „Integration durch Sport“, als sich mitten im November tief im Frankfurter Stadtwald beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) rund 140 Vertreterinnen und Vertreter trafen aus ganz Deutschland und aus allen möglichen Landessport- und Spitzensportverbänden, Vereinen und sozialen Organisationen. Ihr Anliegen? Über die Bedingungen erfolgreicher Integration in und durch den Sport zu diskutieren. Ihr Ziel: durch regelmäßige und kritische Reflexion des eigenen Handelns auch auf Dauer erfolgreich integrativ wirken zu können. Diese Dokumentation gibt einen atmosphärischen Überblick über den Kongress unter dem Titel „Integration durch Sport – Perspektiven der sportbezogenen Integrationsarbeit“. Und sie liefert einen Einblick in einige wichtige Ergebnisse der Veranstaltung sowie Verweise auf einzelne Vorträge. Veranstalter des Kongresses war der DOSB in Kooperation mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und der Humboldt-Universität zu Berlin. Zur Eröffnung sprachen Dr. Karin Fehres, DOSB-Vorstand Sportentwicklung, Martin Lauterbach vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Heike Kübler, Leiterin des Bundesprogramms beim DOSB. Die Grundlage für weitere Diskussionen lieferten die empirischen Untersuchungsergebnisse zu „Integration durch Sport“, die Prof. Sebastian Braun von der Humboldt-Universität vorstellte. Das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) sorgt seit vier Jahren für die wissenschaftliche Begleitung des Bundesprogramms. Besprochen wurden die Ergebnisse aus vier Jahren empirischer Forschungsbegleitung in einem sogenannten World Café, einer Workshop-Methode aus den USA für größere Gruppen; ein „Reflecting-Team“ fasste die Diskussion anschließend zusammen. Ihm gehörten neben Cacau, dem 23-maligen deutschen Fußballnationalspieler und aktuellen DFB-Integrationsbeauftragten noch Prof. Sebastian Braun, Dr. Karin Fehres, Iris Escherle vom BAMF und DOSB-Vorstand Jugendsport Martin Schönwandt an.
Matin Lauterbach
Man muss besser verständlich machen, wie ein Verein funktioniert: Welche Aufgaben erfüllt er, und wie begeistert man Menschen dafür, im Ehrenamt soziale Verantwortung zu übernehmen? Am Ende aber gilt: Trotz aller Erfolge bei der Integration darf man den Sport und seine Menschen nicht überfordern.
Dr. Katrin Fehres
Heike Kübler
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Der Sport nimmt eine Facette der Integrationsarbeit in den Blick, der neben den Kernbereichen Sprache und Arbeit von großer Bedeutung ist, und das ist der ganze Bereich der gesellschaftlichen Integration. Es geht darum, zuzuhören, aufeinander zuzugehen, miteinander zu reden – letztlich darum, Beziehungen und Freundschaften von Zugewanderten und Einheimischen zu befördern und damit die soziale Isolation aufzubrechen.
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II.
DREI FRAGEN AN CACAU Sie sind seit rund einem Jahr als DFB-Integrationsbeauftragter unterwegs und konzentrieren sich in Ihrer Tätigkeit vor allem auf die Ehrenamtlichen. Warum? Man kann es nicht oft genug betonen: Ohne Ehrenamt funktioniert Integration nicht. Aber es wird immer schwieriger für die Vereine, entsprechenden Nachwuchs zu finden. Deshalb müssen wir diese Menschen, dieses Amt stärken, auch von den Arbeitgebern muss mehr Anerkennung und Unterstützung erfolgen. Das sind die Punkte, an denen unsere Überlegungen ansetzen. Wichtig ist zudem, mehr Menschen mit Migrationsgeschichte fürs Ehrenamt zu gewinnen. Da ist noch viel Luft nach oben. Haben Sie ein Ziel, dass Sie mit Ihrem Engagement erreichen wollen? Das ist schwierig, aber mir wird immer wieder eine Frage gestellt: Ab wann braucht man keinen Integrationsbeauftragten mehr? Und? Das weiß ich nicht, aber ich denke, wenn sich die Gesellschaft ein bisschen mehr vom Sport abschauen würde, hätte sie viel gewonnen. Die Menschen werden hier nicht nach Hautfarbe oder Religion bewertet. Da ist der Sport der Gesellschaft voraus.
„
Der Fußball kann so viel mehr als Stadien füllen, für tolle TV-Quoten sorgen oder Titel gewinnen. In meinen Jahren als Profi habe ich das soziale Engagement an der Basis des Fußballs überhaupt nicht mitbekommen. Jetzt bin ich beeindruckt.
4
“
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„Die außergewöhnliche Vielfalt der
N E M M I ST
Ansätze, das hat mich ermutigt. Wir
halten uns in Frankfurt für den Nabel der Welt, aber das ist angesichts der Vielfalt
und der Netzwerke natürlich überzogen. Doch das Thema ‚Sport und Integration‘ muss weiter vorangetrieben werden. Dafür brauchen wir Zeit, um über die Zukunft nachzudenken.“
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III. Im Folgenden wird das Bundesprogramm anhand von beispielhaften Untersuchungsergebnissen der Humboldt-Universität zu Berlin wissenschaftlich unter die Lupe genommen. Ergänzt ist die Analyse durch einige Fragen an Prof. Sebastian Braun.
IM DIALOG Seit vier Jahren begleitet die Humboldt-Universität zu Berlin das Bundesprogramm „Integration durch Sport“. In dieser Zeit hat Prof. Sebastian Braun mit seinem Team im BIM und in der Sportsoziologie am sportwissenschaftlichen Institut rund 10.000 Fragebögen ausgewertet, die von rund 4.000 Organisationen und etwa 6.000 freiwillig Engagierten stammen. Für das Jahr 2016 fußen die empirischen Analysen auf den Daten von 597 teilnehmenden Stützpunktvereinen und 2.375 freiwillig Engagierten. Die wissenschaftliche Auswertung des Bundesprogramms „Integration durch Sport“ spielt in mehrfacher Hinsicht eine große Rolle. Vor allem aber geht es darum, dem tatsächlichen Integrationspotenzial des Sports nachzuspüren, also der Frage, wie Rahmenbedingungen geschaffen werden können, damit eine Integration nicht nur in den Sport, sondern auch durch den Sport in die Gesellschaft glücken kann. Es geht mithin um die Frage, wie der organisierte Sport mit seinen 28 Millionen Mitgliedschaften in etwa 91.000 Sportvereinen der eigenen wie der politischen Erwartungshaltung in Bezug auf die soziale Integration von Menschen mit Migrationshintergrund gerecht werden kann. Dazu konnte Prof. Braun auf dem Kongress interessante Ergebnisse vorstellen. Ein kurzes Interview in vier Teilen.
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WER IST STÜTZPUNKTVEREIN? Gibt es bedeutende Unterschiede zwischen den Stützpunktvereinen? Bei der Betrachtung sticht eins sofort ins Auge: Großvereine sind im Vergleich zur Sportvereinslandschaft in Deutschland überrepräsentiert. Ein Viertel bis ein Drittel aller IdS-geförderten Vereine der vergangenen vier Jahre zählt mehr als 1000 Mitglieder. Im Vergleich dazu beträgt der Anteil der Großvereine laut letztem Sportentwicklungsbericht im Bundesdurchschnitt nur fünf Prozent. Nach wie vor ist Deutschland durch eine kleine Vereinslandschaft geprägt, im Osten des Landes noch mehr als im Westen. Was sind die Gründe für das Übergewicht der Großen? Großvereine sind in der Regel einfach besser ausgestattet, haben zum Beispiel auch hauptamtliches Personal. So können sie den administrativen und projektbezogenen Anforderungen an staatliche und verbandliche Förderprogramme leichter gerecht werden.
IdS-geförderte Stützpunktvereine 30,5 28,1
22,2 22,4 22,6
31,7 29,2 27,7
23,2
18,6
2016
19,2
2015
18,3
2014
2013
19,0
29,0 27,6
30,7
bis 100 Mitglieder
101 bis 250 Mitglieder
251 bis 1.000 Mitglieder über 1.000 Mitglieder
Größe der IdS-geförderten Stützpunktvereine 2013, 2014, 2015 und 2016. Basis: Stichprobe 1: Stützpunktvereine. Angaben in Prozent. Mehr Informationen dazu im Vortrag von Prof. Braun, siehe ➔ hier
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WAS MACHEN STÜTZPUNKT VEREINE? Im Bundesprogramm spielen integrative Sportgruppen eine zentrale Rolle. Was zeichnet sie aus? Neben niederschwelligen, breitensportlich ausgerichteten Sportangeboten bieten integrative Sportgruppen Gelegenheitsstrukturen für das Zusammensein vor oder nach dem Sport oder bei Vereinsfesten und damit die Möglichkeit, soziale Beziehungen anzubahnen und auszubauen. Befördert werden solche Interaktionen natürlich immer auch durch günstige Rahmenbedingungen, etwa passende Vereinsräumlichkeiten und eine gute Sportstätteninfrastruktur. Es scheint aber noch mehr zu geben als Sport und Geselligkeit.
Häufigkeit geselliger Aktivitäten in den Stützpunktvereinen im Jahr 2013 und 2016
Zusammensitzen vor/nach dem Sportreiben 38,3
53,8
2013 2016
7,9
43,7
48,7
7,6
Vereinsfeste 2013 2016
10,3
31,4
58,3 47,2
38,3
14,5
Gemeinsame Ausflüge 2013
18,7
2016
19,5
Natürlich. Rund 95 Prozent aller Stützpunktvereine haben ein breites Angebot jenseits des Sports: etwa Ausbildungs-, Praktikums- und Arbeitsplatzsuche, Hausaufgabenhilfe, Begleitung bei Arztbesuchen, Fahrdienste, Sprachförderungen und Patenschaften. Rund ein Drittel der Vereine bieten zwischen sieben und neun solcher Angebote. Zu weiteren Maßnahmen gehören gesonderte Mitgliedsbeiträge, Kooperationen mit Städten und Kommunen oder anderen Sportorganisationen. Sehr viele Stützpunkt vereine schaffen also offenbar Strukturen, die grundsätzlich geeignet sind, Integration durch Sport zu befördern. Oder konkreter: Menschen im sozialen Umfeld des Vereins Fähigkeiten und Orientierungen zu vermitteln, die ihnen auch außerhalb der Turnhalle weiterhelfen. Ich sage das allerdings mit Vorsicht. Ob das tatsächlich so ist, können wir anhand unserer Daten nicht überprüfen.
28,4
52,9 36,1
44,3
Geburtstagsfeiern 2013 2016
11,9 8,1
regelmäßig
41,1
47,0
40,2
gelegentlich
51,7
gar nicht
Häufigkeit geselliger Aktivitäten in den Stützpunktvereinen im Jahr 2013 und 2016. Basis: Stichprobe 2: ÜL in SPV. Angaben in Prozent. Mehr Informationen dazu im Vortrag von Prof. Braun, siehe ➔ hier
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WER IST IN STÜTZPUNKT VEREINEN? Wie hoch ist in Stützpunktvereinen der Anteil an Mitgliedern mit Migrationshintergrund? Unsere Datenauswertungen haben ergeben, dass er bei ungefähr 30 Prozent liegt. Damit ist der Anteil etwa fünfmal höher als in der Sportvereinslandschaft insgesamt, der laut Sportentwicklungsbericht 2013/14 bei rund sechs Prozent lag. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass für das Bundesprogramm Vereine ausgewählt werden, die entweder über einen hohen Anteil an Mitgliedern mit Migrationshintergrund verfügen oder in entsprechenden sozial strukturierten Gegenden zu finden sind, scheint es den Stützpunktvereinen gut zu gelingen, ihre maßgebliche Zielgruppe anzusprechen. Wie verhält es sich mit den Migrantensportvereinen? Im vergangen Jahr hatten in fast jedem fünften geförderten Stützpunktverein mehr als 75 Prozent der Mitglieder einen Migrationshintergrund. Dieser Anteil ist gegenüber 2015 deutlich gestiegen.
Durchschnittlicher Anteil der Mitglieder mit Migrationshintergrund 29,0
29,5
2013
2014
30,9
31,9
2015
2016
Durchschnittlicher Anteil an Mitgliedern mit Migrationshintergrund im Jahr 2013, 2014, 2015 und 2016. Basis: Stichprobe 3: Längsschnitt SPV. Angaben in Prozent. Mehr Informationen dazu im Vortrag von Prof. Braun, siehe ➔ hier
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WER LEISTET DIE ARBEIT IN STÜTZPUNKT VEREINEN? Wie ist das ehrenamtliche und freiwillige Engagement im Sport einzuordnen? Es ist eine ganz wichtige Ressource für Vereine. Ohne die Zeit und das Wissen, das die Mitglieder ihrem Verein zur Verfügung stellen, wären weder der Sportbetrieb möglich noch die ganzen darüber hinausgehenden sozialen Aktivitäten, die für die Kultur eines Vereins maßgeblich sind. Und wie hoch liegt der Anteil der engagierten Mitglieder mit Migrationshintergrund? Analog zum Mitgliederanteil ist ihr freiwilliges und ehrenamtliches Engagement in den Stützpunktvereinen relativ hoch. In den untersuchten Jahren variierte der Mitgliederanteil zwischen einem Viertel im Jahr 2014 und etwa 31 Prozent zwei Jahre später. Im Übrigen zeigt sich, dass sich in rund 90 Prozent der Stützpunktvereine Menschen mit Migrationshintergrund ehrenamtlich engagieren, zumeist als Übungsleiterinnen und -leiter. In 40 Prozent der Vereine sind sie in Vorstandsämtern tätig. Die Zahlen scheinen zu belegen, dass Stützpunktvereine besonders erfolgreich darin sind, Menschen mit Migrationsgeschichte für das ehrenamtliche Engagement zu gewinnen. Woran liegt das nach Ihrer Einschätzung? Anhand der Daten können wir zumindest erkennen, dass die IdS-Stützpunktvereine in hohem Maße versuchen, Personen mit Migrationshintergrund für ein Engagement im Verein zu gewinnen, um zum Beispiel Übungsleiterin oder -leiter zu werden. Interkulturelle Öffnungsprozesse scheinen sich, durchaus typisch für Vereine, besonders auch über die persönliche Ebene zu vollziehen.
Freiwillig Engagierte mit Migrationshintergrund in Stützpunktvereinen Vorstandsebene
40,6 10,8 89,2
Ausführungsebene
14,6 91,4
gesamt
19,8 IdS 2016
SEB 2013/14
Anteil der IdS-Stützpunktvereine 2016 mit mindestens einer Person mit Migrationshintergrund in ehren amtlicher Position im Vergleich zu Breuer & Feiler (2015, S. 33). Basis: Stichprobe 1: Stützpunktvereine. Angaben in Prozent. Mehr Informationen dazu im Vortrag von Prof. Braun, siehe ➔ hier
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N E M M STI n, aber ich „Es ist alles gut, was wir tu druck, dass habe immer stärker den Ein en für Mender Sport ein Auffangbeck d ist. Wir schen mit Fluchthintergrun ss Integration müssen aber bedenken, da aufhört, nicht auf dem Sportplatz oniert, wenn sondern dass sie nur funkti ch in unsere die Menschen letztlich au kommen.“ Arbeits- und Regelsysteme
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IV. INTEGRATION UND SPORT – EINE BESTANDS AUFNAHME Drei zentrale Fragen zum Thema „Integration durch Sport“ standen im Mittelpunkt der Diskussionen. Sie wurden in kleinen Gruppen im sogenannten „World Café“ bearbeitet und anschließend im „ Reflecting-Team“ vom DFB-Integrationsbeauftragten Cacau, den DOSB-Vorständen Dr. Karin Fehres (Sportentwicklung) und Martin Schönwandt (Jugendsport), P rof. Sebastian Braun von der Humboldt-Universität und Iris Escherle vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf großer Bühne noch einmal persönlich bewertet. Im Folgenden sind die w ichtigsten Aspekte der Diskussionen zusammengefasst und die Kernaussagen in Z itaten aufgeführt.
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Frage 1
WIE GELINGT INTEGRATIONSARBEIT IM SPORTVEREIN UND AUS WELCHEN FEHLERN HABEN WIR GELERNT?
Die Sicht des Plenums Mehr Netzwerke Ein wichtiger Aspekt, der immer wieder auftaucht: Netzwerke bilden ist essenziell. Es lastet auf wenigen Schultern eine immense Arbeit und Verantwortung und die Frage ist: „Wie bekommen wir das verteilt?“ Die Learnings? Persönliche Kontakte nutzen, Eltern nutzen! Um das Engagement in seinem persönlichen Umfeld zu koordinieren, braucht es Ansprechpartner und Strukturen. Weiterer wichtiger Aspekt: die Kommunikation in den Verein hinein, Werte vermitteln. Dafür braucht es Zeit, Geduld, Vertrauen und Toleranz. Es gilt, Schritt für Schritt, Bürokratiehürden abzubauen. Aber es geht auch um die Kommunikation mit den Menschen mit Migrationshintergrund, Stichwort: „Interkulturelle Kompetenz“. Für dieses Thema müssen wir Ansprechpartner im Verein gewinnen und sie qualifizieren.
1 3 5 4
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Die Anmerkungen des Reflecting-Teams 1 Martin Schönwandt
2 Prof. Sebastian Braun
3 Cacau
4 Iris Escherle
5 Dr. Karin Fehres
„Vor dem Hintergrund der sozialen Veränderungen reden zu wenige über den Verein. Hier werden Werte vermittelt, die in vielen Bereichen der Gesellschaft von Bedeutung sind. Aus meiner Sicht fehlt dafür die angemessene Wertschätzung.“
„Es geht hier um Begriffe, die auch öffentlich wieder intensiv diskutiert werden: etwa verlässliche soziale Beziehungen aufbauen, Normen der Gegenseitigkeit pflegen, sich Zeit nehmen gerade auch für geselli ge Interaktionen. Das Wissen, dass verlässliche Personen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, die mir auch in außersportlichen Fragen weiterhelfen. Der amerikanische Politikwissenschaftler Robert Put nam hat die Vielzahl der Vereine auf lokaler Ebene als Quelle beschrieben, die zum ,Sozialkapital‘ der Gesellschaft substanziell beiträgt.“
„Letztlich ist der persönliche Kontakt wichtig, man muss auf Menschen zugehen. Man fühlt sich fremd, wenn man in ein neues Land kommt, traut sich nicht, auf andere zuzugehen. Vorurteile abbauen. Viele Menschen, die nach Deutschland kommen, leiden an einem Fluchttrauma. In dieser Situation aufeinander zuzugehen, kann Brücken bauen.“
„Vieles, was in der Gesellschaft passiert, basiert auf dem sozialen Miteinander und der Verein ist der Ort des sozialen Miteinanders. Der Zugang zum Arbeitsmarkt funktioniert zum Beispiel oft über informelle Wege und hier bietet der Verein die Möglichkeit, sich ein soziales Netz aufzubauen, das über den Sport hinaus trägt. Auch deswegen fördern wir das Bundesprogramm seit fast 30 Jahren.“
„Man muss sich einmal vor Augen führen: Hier sitzen 140 Personen aus Sportvereinen und Sportorganisationen zusammen und sprechen nicht über den Sport, sondern nur über seine gesellschaftlichen Aufgaben. Dabei ist doch eigentlich die wichtigste Aufgabe von Sportvereinen, Sport zu organisieren.“
„Die Vielfalt, die im ‚System Sport‘ zusammenkommt, ist enorm. Aus der Erfahrung im Umgang mit Vielfalt ist zugleich eine Stärke erwachsen, sich auf verschiedene Situationen einzulassen.“
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Frage 2
WELCHE ERWARTUNG HABEN SIE AN DIE KOMMUNE, POLITIK UND VERBÄNDE? WELCHE UNTERSTÜTZUNG BENÖTIGEN SIE? Die Sicht des Plenums Mehr Anerkennung Ein zentraler Aspekt ist die finanzielle Unterstützung. Für fachliche Quali fikation, für Aufklärung, für Schulungen in den eigenen Vereinen. Zudem braucht es Multiplikatoren und eine bessere Anerkennung und Wertschätzung des Ehrenamts. Auch mehr Flexibilität in den politischen Strukturen wäre vonnöten, das wäre zum Beispiel eine Antwort auf die gestiegenen gesellschaftlichen Herausforderungen. Die Engagierten möchten mehr Interesse für das, was sie leisten, und mehr Konstanz in der Unterstützung. Und diese Haltung möge bitte auch vorgelebt werden. Für die Kommunen gilt: „Sie brauchen bessere Rahmenbedingungen, Strukturen, Räume, Zeiten und Ansprechpartner, das alles ist nicht optimal gelöst. Und auch an dieser Stelle taucht die Frage nach Vernetzung auf: Woher bekommen die ehrenamtlichen Helfer ihre Informationen? Wo erfahren sie was, wie funktionieren die kommunalen Strukturen und wie kann man diese transparenter machen?
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Die Anmerkungen des Reflecting-Teams
Dr. Karin Fehres „Es braucht Übersetzer zwischen den ehrenamtlich geführten Ver einen und der öffentlichen Verwaltung. Denn in beiden werden unterschiedliche Sprachen gesprochen und wir müssen lernen, die Sprache des jeweils anderen noch besser zu verstehen.“
Martin Schönwandt „Es geht darum, die eigenen Kompetenzen besser einzubringen, also die persönliche Erfahrung darüber, wie so ein Verein funktioniert. Sich dieser Erfahrung zu vergewissern und zu lernen, sie auch gegenüber Dritten zu formulieren und als wertig zu vertreten.“
Prof. Sebastian Braun „Organisationen können in Netzwerken immer auch nur ihren eigenen Vorteil im Blick haben und kurzsichtig handeln. Neu ent stehende Netzwerke in der sport bezogenen Integrationsarbeit, an denen ja gerade auch Sportvereine und -verbände beteiligt sind, müssen darin unterstützt werden, tragfähige Kooperationsbeziehungen im Interesse langfristiger positiver Wirkungen für die Zielgruppen auszubauen. Dabei können die Sportverbände eine wichtige Scharnier- und Vermittlungs funktion wahrnehmen.“
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Die Sicht des Plenums Mehr Konzentration Die Stichworte waren alle gefallen, man war sich einig: Vieles von dem, was sich künftig verbessern muss, ist bereits angelegt: vorhandene Netzwerke ausbauen und stärken, interkulturelles Verständnis weiter fördern. Auch das, was Geflüchtete an sportlichen Kompetenzen und neuen Sportarten mitbringen, gilt es, deutlicher als in der Vergangenheit zu würdigen. Klar wurde aber auch, dass die Vereine bei allem Engagement das Kern geschäft nicht vernachlässigen dürfen. Die Mitglieder müssen im Fokus der Vereinsarbeit bleiben, sonst verlieren die Vereine ihre Basis: Wenn Legiti mation und Mitglieder schwinden, geht damit auch die Unterstützung verloren, die es dringend braucht, um integrativ erfolgreich wirken zu können.
Frage 3
Die Anmerkungen des Reflecting-Teams
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WAS SIND DIE DRINGLICHSTEN AUFGABEN IM VEREIN, UM INTEGRATION ZU BEFÖRDERN?
Iris Escherle
Martin Schönwandt
„Was ich mitnehme, ist der Wunsch nach Vernetzung. Es ist wichtig, dass wir häufiger in dieser Form und Konstellation zusammenkommen, sodass Hauptamt und Ehrenamt künftig stärker miteinander zusammenwachsen. Wichtig ist aber auch eine andere Seite: Das Ehrenamt muss als besonderer Träger der Integrationsarbeit besser kommuniziert und die gesellschaftliche Kraft, die in dieser Tätigkeit liegt, stärker gewürdigt werden.“
„Das Netzwerk ist etwas, das bei immer stärker und schneller werdenden gesellschaftlichen Veränderungen an Bedeutung gewinnt. Allerdings sind Netzwerke nie einfach. Deshalb müssen wir der Frage nachgehen, wie Netzwerke funktionieren und was zu deren erfolgreichen Arbeit beiträgt.“
Prof. Sebastian Braun „Ich würde empfehlen, den Akzent viel stärker auf den Verein zu legen. Es gilt, diese spezielle Organisationsform einschließlich der besonderen Stärken auch gegenüber den anderen Organisa tionen im Feld der sportbezogenen Integrationsarbeit deutlicher he rausstellen. Dabei darf man nicht vergessen, dass es eben nicht selbst verständlich ist, was in Vereinen über den Sport hinaus geleistet wird, zum Beispiel bei Themen wie Integration, Gesundheit oder Bildung.“
Cacau „Ich wusste bis vor zwei, drei J ahren nicht wirklich, was ein Verein macht. Erst als mein Sohn Fußball spielen wollte, habe ich eine andere Mutter gefragt: Was muss ich tun? Und sie sagte: Sie müssen ihren Sohn anmelden. Also habe ich ihn angemeldet. Und dann? Ja, man muss einen Beitrag bezahlen. Also habe ich einen Beitrag bezahlt. Doch bevor er spielen kann, muss erst mal der Spielerpass kommen. Kurzum: Es gibt viele Hürden, von denen man nichts weiß, wenn man nach Deutschland kommt. Das muss man erst lernen. Migranten müssen lernen, wie so ein Verein funktioniert, bevor sie mitmachen können. Aber letztlich sprechen wir über Sport und da, meine ich, kann man es einfacher machen. Manch mal braucht es vor allem Herz und Leidenschaft, um Menschen zu gewinnen – nicht noch mehr Strukturen und Qualifizierung. Das wäre mein Appell.“ 27
N E M M I ST „Damit Integration gelingt, habe ich
zwei Appelle an Vereine: Punkt eins ist,
dass sie sich stärker mit interkultureller Öffnung und Kompetenz beschäftigen
müssen, weil diese Interkulturalität das Tor ist, durch das gelingende Integration
führt. Der zweite Punkt wäre, dass sich die Vereine offen zeigen, um Menschen mit Migrationshintergrund die Mitgestaltung in Vereinen zu ermöglichen und damit
auch Veränderungen zuzulassen.“
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V.
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GRAPHIC RECORDING
Wenn Worte sich zu Bildern formen und ein Programm anschaulich wird – Sabine Soeder und Katrin Faensen von Visual Facilitators boten eine Simultanübersetzung des Kongresses.
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WOHIN SURFEN, WAS NOCH LESEN? • Präsentation Heike Kübler:
AUS DER VERANSTALTUNG
Das Bundesprogramm „Integration durch Sport“ ➔ Link zum PDF
• Präsentation Prof. Braun:
„Integration durch Sport“ – Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung ➔ Link zum PDF
• Zur Homepage „Integration durch Sport“ ➔ Link zur Webseite
• Pressemeldung zum Kongress ➔ Link zur Webseite
AUS DEM PROGRAMM
• Programm-Flyer „Integration durch Sport“ – Ein Name wird Programm ➔ Link zum PDF
• Wie geht Integration? Zwei Vereine, zwei Ansätze –
AUS DEM LEBEN
ein Ziel – zwei bewegende Webreportagen ➔ Link zur Webreportage FV Gonnesweiler ➔ Link zur Webreportage Cricket Club Park Orient
• Der Blick von außen: SZ-Beilage der Deutschen Journalistenschule in München zu Integration und Sport ➔ Link zur Webseite.
Impressum Titel: Kongressdokumentation · „Integration durch Sport“ – Perspektiven der sportbezogenen Integrationsarbeit Herausgeber: Deutscher Olympischer Sportbund e. V. · Geschäftsbereich Sportentwicklung Ressort Chancengleichheit und Diversity, Fachbereich Sport und Integration · Otto-Fleck-Schneise 12 · 60528 Frankfurt am Main T +49 69 6700-0 · F +49 69 674906 · sui@dosb.de · www.dosb.de · www.integration-durch-sport.de Konzept, Texte und Redaktion: Marcus Meyer Bildnachweise: DOSB/picture alliance/Jan Haas Gestaltung: LWP Kommunikation GmbH · 40479 Düsseldorf · www.lwp-kom.de Dezember 2017
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Deutscher Olympischer Sportbund · Otto-Fleck-Schneise 12 · 60528 Frankfurt am Main T +49 69 6700-0 · F +49 69 674906 · office@dosb.de · www.dosb.de