impulse & informationen
inhalt 2/2019
Aktuelle Buchtipps ..............................................................................................................................191 Nichts leichter als das? Vom Einstieg ins Lizenzgeschäft ... von Katrin Feiner und Inge Cevela.......196 „Die Wissbegier von Kindern ist unerschöpflich“ ... von Renate Grubert............................................199 Übersetzen und Dolmetschen ... von Dagmar Jenner........................................................................204 Fühlen wir uns frei, zu sprechen, wie wir sind ... von Corinna Antelmann..........................................206 übersetzen : über-setzen ... von Michael Stavarič..............................................................................210 Verstehen, vermitteln, verraten ... von Brigitte Krautgartner...............................................................215 Lesen mit den Fingerkuppen ... von Marcus C. Diess.........................................................................219 über.setzen ... von Ursula Reisenberger.............................................................................................226 Karl-Markus Gauß: Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer ... von Reinhard Ehgartner................228 Perspektiven junger LeserInnen: Sarah Atzlesberger.........................................................................230 Bibliothek-Ludothek St. Vitalis: Junior English Book Club...................................................................231 Severus Snape und das Evangelium des Judas ... von Barbara Lumesberger-Loisl..........................232 Lesebilder : Bilderlesen - Suzuki Harunobu ... von Doris Schrötter....................................................238 biblio-Filmschnitt: In Kooperation mit dem Portal „Filmdienst“ - „Girl“.................................................240 MINT: Lesen - Sprechen - Tun............................................................................................................242 Die Lust am Staunen ... von Christa Öhlinger.....................................................................................245 Ein Rezensent: Josef Mitschan...........................................................................................................248 biblio-chat............................................................................................................................................250 Frau Ava-Literaturpreis für Claudia Bitter............................................................................................252 Aktuelles aus den Fachstellen.............................................................................................................253 Buchklub und Jugendrotkreuz: Gemeinsam lesen..............................................................................256
rezensionen Sachbücher Biografien, Briefe, Tagebücher........................................................................................................257 Erdkunde, Geografie, Reisen..........................................................................................................261 Geschichte, Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft........................................................................264 Kunst, Musik, Film, Theater, Tanz....................................................................................................272 Naturwissenschaft, Technik, Medizin, Gesundheit, Landwirtschaft.................................................273 Literaturwissenschaft, Sprache, Buch, Bibliothek............................................................................278 Philosophie, Psychologie, Pädagogik..............................................................................................281 Religion............................................................................................................................................288 Freizeit, Haushalt, Kochen, Wohnen, Sport....................................................................................293
Belletristik Lyrik, Epen, Dramen, Märchen, Sagen............................................................................................298 Romane, Erzählungen, Novellen.....................................................................................................302
Kinder- und Jugendbücher Kinder- und Jugendsachbücher.......................................................................................................349 Für Kinder bis 6 Jahre....................................................................................................................354 Für Kinder von 6 bis 10 Jahre.........................................................................................................365 Für Kinder von 10 bis 14 Jahre.......................................................................................................374
Hörbücher........................................................................................................................................393 Spiele.................................................................................................................................................399
Vorwort
Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Ein einzelnes Wort kann man nicht übersetzen. Einen Satz manchmal. Ein Buch immer.“ Dieses Bonmot von Wolf Harranth verweist auf die große Herausforderung, auf dem weiten Meer der Sprache eine Botschaft stimmig von der Küste eines Kulturkreises an ein anderes Ufer zu bringen. Diese Ausgabe der bn widmet sich dem Phänomen „Übersetzen“aus den verschiedensten Blickwinkeln und schließt auch die Klippen alltäglicher Kommunikation mit ein, denn wir übersetzen unaufhörlich. Von gesprochener Sprache in Texte, von Gesten in Worte, von Bildern zurück in den Text. Darüber hinaus erwarten Sie die Besprechungen von über 300 Neuerscheinungen, annähernd die Hälfte davon aus anderen Sprachen übersetzt.
Ihr biblio-Team
Julia Walter • Anita Ruckerbauer • Reinhard Ehgartner • Silvia Wambacher • Elisabeth Zehetmayer
Buchtipps Taschler: Das Geburtstagsfest
Ein Buch mit garantierter Sogwirkung, das zum schnellen Fertiglesen animiert, aber die Lesenden auch nach der Lektüre nicht so rasch wieder loslässt. (DR)
Die drei Kinder des erfolgreichen Architekten Kim wollen mehr über seine Vergangenheit wissen und laden die Amerikanerin Tevi zu seinem fünfzigsten Geburtstag ein. Der Gast bringt nicht nur den Hausherrn aus der Fassung, sondern lässt die scheinbar bewältigte Vergangenheit aus der Sicht der einzelnen Familienmitglieder wieder aufleben. Der österreichischen Erfolgsautorin Taschler gelingt es, mit dieser vorerst harmlos wirkenden Geschichte über eine ungewöhnliche Geburtstagseinladung das Drama des Kambodschakrieges und die Leidenserfahrungen von Betroffenen mit dem Leben einer gutbürgerlichen Familie zu verweben. Dabei bleiben die großen Themen Liebe und Vertrauen, Tod und Verrat, Macht und Ohnmacht nicht ausgespart. Ansatzweise begreift man, wie nah Täter und Opfer nebeneinander existieren können und dass eine klare Zuschreibung, wer dabei welche Rolle einnimtt, nicht immer möglich sein kann. Grausamste Szenen des willkürlichen Mordens, des trostlosen Flüchtlingslebens und des beinharten Überlebenskampfes stehen neben den Beschreibungen von Rettungsaktionen, Unterstützungen unter Lebensgefahr und Liebesbezeugungen. Mit Präzision und Feingefühl setzt Taschler ihre Sprache ein, um Unmenschliches und allzu Menschliches nebeneinander zur Geltung zu bringen.
Taschler, Judith W.: Das Geburtstagsfest : Roman / Judith W. Taschler. - München : Droemer , 2019. - 350 S. ISBN 978-3-426-28188-8 fest geb. : ca. € 22,70
Birgit Leitner
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Prägnante Darstellung der aktuellen weltpolitischen Kräfteverschiebungen. (GW)
Frankopans Buch ist keine historische Abhandlung, sondern eine prägnante Darstellung der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Veränderungen aus globaler Perspektive. Der Autor veranschaulicht an zahlreichen Beispielen, wie sich das Gravitationszentrum von Macht und Einfluss vom Westen nach Eurasien, in den Raum zwischen Pazifik und östlichem Mittelmeer verschiebt. Nicht zufällig wählt der englische Historiker dafür die Metapher der Seidenstraße.
Frankopan, Peter: Die neuen Seidenstraßen : Gegenwart und Zukunft unserer Welt / Peter Frankopan. Aus dem Engl. von Henning Thies. - Berlin : Rowohlt Berlin, 2019. - 345 S. ISBN 978-3-7371-0001-4 fest geb. : ca. € 22,70
Der zentrale Faktor dieser Veränderungen ist China, dessen weltweit angelegte wirtschaftliche, politische und militärische Aktivitäten Frankopan anschaulich darstellt. Es werden aber auch in Zentralasien und Südostasien vermehrt Kooperationen unternommen. Genau die gegenteilige Entwicklung geht im Westen vor sich. Hier gibt es zunehmend Misstrauen und gegenseitige Verdächtigungen. Man kündigt Abkommen auf oder stellt sie infrage. Der Brexit und die Außenpolitik der USA unter Präsident Trump sind der deutlichste Ausdruck dieser Tendenzen. Frankopan fügt an sich bekannte Einzelbefunde zu einer plausiblen Gesamterklärung zusammen. Sein Buch ist absolut aktuell, es bezieht auch die wichtigen Entwicklungen des Jahres 2018 mit ein. Der Autor verfügt über enormes Wissen und hat ein Gespür für Geschichten. Sein Buch ist journalistisch und kurzweilig geschrieben. Wer es gelesen hat, wird die Entwicklungen in der Welt kompetenter und mit einem schärferen Blick betrachten. Karl Vogd
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Ein Wegweiser für ein gutes Leben im Einklang mit dem Digitalen. (PP)
Die Digitalisierung gewinnt in unser aller Leben zunehmend an Einfluss. Die technologische Revolution geht notwendigerweise mit der persönlichen Auseinandersetzung einher, wie wir zukünftig mit dem Digitalen sowohl im privaten als auch beruflichen Bereich umgehen wollen. In der „Digitalen Ethik“ stellt Sarah Spiekermann die beiden Pole der Fremdbestimmung durch die IT-Branche auf der einen und die Selbstbestimmung jedes Einzelnen auf der anderen Seite gegenüber. Die Wiederbelebung der Selbstbestimmung ist dabei jedoch ausgesprochenes Ziel des vorliegenden Buches. Aus dem eigenen Erfahrungsschatz schöpfend beschreibt die Autorin, wie die IT-Branche denkt und wirtschaftet und wie fehl dies einem „menschengerechten Fortschritt“ läuft, für den sie sich im Besonderen stark macht. Die Kräfte der Digitalisierung ließen sich nutzen, um ein gutes Leben aufzubauen, falls der Mensch endlich aus seiner selbstverschuldeten Passivität heraustrete und für ihn im Leben essentielle Werte neu definiere. Spiekermann motiviert die/den Leser_in durch lebensnahe, praktische Beispiele und erklärt, warum sich dieser intensiv selbstreflexive Prozess für jeden von uns lohnt.
Spiekermann, Sarah: Digitale Ethik : ein Wertesystem für das 21. Jahrhundert / Sarah Spiekermann. - München : Droemer Knaur, 2019. - 304 S. ISBN 978-3-426-27736-2 fest geb. : ca. € 20,60
„Digitale Ethik“ reiht sich in eine Reihe wegweisender Bücher zum Umgang mit der Digitalisierung ein und eröffnet einen Zugang, der bewusst den Menschen als solchen im Blick hat und wie dieser mit den neuen technologischen Herausforderungen umgehen könnte. Eine Hommage an den vernunftbegabten Menschen in Abgrenzung zu all den „fortschrittlichen“ Maschinen und damit unbedingt lesenswert. Anna Goiginger
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Erschütternde Porträts von sechs Kindern, die im 2. Weltkrieg im Sammellager Westerbork landen. (ab 10) (JE)
Letterie, Martine: Kinder mit Stern / Martine Letterie. Aus dem Niederländ. von Andrea Kluitmann. Mit Bildern von Julie Völk und drei Zeichnungen von Leo Meijer. Hamburg : Carlsen , 2019. - 126 S. : zahlr. Ill. ISBN 978-3-551-55762-9 fest geb. : ca. € 11,40
Während des 2. Weltkriegs wurden über das niederländische Durchgangslager Westerbork mehr als 18.000 jüdische Kinder und 100 Sinti-Kinder deportiert, sie kehrten nie mehr zurück. Stellvertretend für diese unzähligen Opfer stehen die Geschichten der kindlichen Protagonist_innen dieses wichtigen Buches, das die niederländische Autorin Martine Letterie in Zusammenarbeit mit dem Erinnerungszentrum Westerbork verfasst hat und die auf Interviews mit Überlebenden und Gesprächen mit einem Rabbiner beruhen. In drei Erzählabschnitten - „So fing es an“, „Im Lager“ und „Frieden“ - wird kapitelweise über die Erlebnisse von Rosa, Jules, Bennie und anderen in dieser dunklen Zeit berichtet. Alles wird konsequent aus einem kindlichen Blickwinkel wahrgenommen und im Präsens wiedergegeben, wodurch große Unmittelbarkeit entsteht. Die auktoriale Erzählperspektive und die klare, nüchterne Sprache sorgen für gute Verständlichkeit und schaffen für kindliche LeserInnen die notwendige Distanz, um die schrecklichen Vorkommnisse aufnehmen zu können. Feine Zwischentöne, zu Herzen gehende Sätze und Szenen stärken das empathische Empfinden kindlicher LeserInnen, ohne sie emotional zu überfordern. Die zarten, vielfach farbenfrohen Aquarelle der österreichischen Illustratorin Julie Völk spiegeln die selbst in so düsteren Tagen mitunter fröhlich-unbeschwerte kindliche Erlebniswelt und machen die thematische Schwere dieses von Andrea Kluitmanm ausgezeichnet übersetzten Buches tragbar. Besonders ergreifend sind die drei eingestreuten Originalzeichnungen des neunjährigen Leo Meijer, der als einziger der hier porträtierten Kinder nicht überlebte. Obgleich behutsam, leise und kindgerecht über die systematische Vernichtung von Menschen und die Gräuel des 2. Weltkriegs berichtet wird, sollten jüngere Kinder bei der Lektüre von einem Erwachsenen begleitet werden. Auch als Schullektüre für ältere Kinder hervorragend eignet. Elisabeth Zehetmayer
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Ein wunderbares Bilderbuch über den Beginn einer Freundschaft. (ab 5) (JD) Das kleine Mädchen Hanna zieht mit ihren Eltern in der Nachbarschaft ein. Die Ich-Erzählerin, etwa gleichen Alters, macht sich nun Gedanken über die mögliche neue Freundin. Von ihrer eigenen Liebe zu Elefanten ausgehend, dichtet sie Hanna wegen des riesigen Übersiedlungskartons einen Elefanten an, mit dem jene badet, Verstecken spielt und kuschelt. Die Wirklichkeit von Hanna sieht aber sehr viel grauer aus als es sich das Nachbarmädchen vorstellt. schließlich rafft sie sich auf und geht Hanna besuchen. Dabei stellt sich der Irrtum heraus - Hanna hat (bloß) einen kleinen, gelben Vogel - aber dafür nun eine neue Freundin. Ist schon die Geschichte wunderbar mit der großen Spannung zwischen der Fantasie der einen Protagonoistin und der Wirklichkeit der anderen, so ist der unaufgeregte Schluss eine beglückende Lösung. Das wirklich Besondere an diesem Bilderbuch sind aber die zauberhaften Illustrationen von Pamela Zagarenski, die eine Fülle von weiteren Geschichten erzählen. Sie lassen aus der Welt der beiden Mädchen eine Märchenwelt voll Zauber und Poesie entstehen. Selbst die Bilder von Hanna in der noch leeren Wohnung mit den Übersiedlungskartons haben einen eigenen Charme.
Hannas Elefant / Randall de Sève. Ill. von Pamela Zagarenski. Aus dem Amerikan. von Gundula Müller-Wallraf. - Dt. Erstausg. - München : Knesebeck, 2019. - [18 Bl.] : überw. Ill. ISBN 978-3-9572825-8-3 fest geb. : ca. € 13,40
Sehr zu empfehlen ab 5 Jahren. Gertie Wagerer
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Nichts leichter als das? : vom Einstieg ins Lizenzgeschäft
Katrin Feiner und Inge Cevela
Vor wenigen Wochen ist sie wieder über die Bühne gegangen: die internationale Kinderbuchmesse in Bologna (Kinderbuchmenschen wissen eben, wo es schön ist). Es ist der Pflichttermin im Frühjahr für Verlage mit Kinder- und Jugendbuchprogramm. Bologna – wie auch Frankfurt im Herbst –, das bedeutet neben schmerzenden Füßen vor allem das Führen von vielen, vielen, sehr vielen Gesprächen: mit den MultiplikatorInnen im Buchhandel, in den Bibliotheken und von verschiedenen Literaturinstitutionen, mit KünstlerInnen – ob Nachwuchs oder arriviert. Vorwiegend geht es hierbei um Stärkung der Bekanntheit im deutschsprachigen Raum sowie um (zukünftige) Buchprojekte. Geht es aber ums „Geschäft“, sind es die Gespräche mit den AgentInnen, ÜbersetzerInnen und VertreterInnen aus dem fremdsprachigen Ausland. Es gilt, deren Interesse zu gewinnen, zu überzeugen. Es geht ums Kaufen und Verkaufen. In unserem Fall fast ausschließlich um das Zweite. Dabei lautet das Motto: Mühsam ernährt sich das Eich196
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hörnchen. Denn bis entsprechendes Vertrauen zu ausländischen Verlagen und Agenturen aufgebaut ist, bis überhaupt die passenden Partner-Verlage gefunden sind, vergehen schon einmal ein paar Jahre. Jahre, in denen viel Vorarbeit investiert werden muss, wie das halbjährliche Erstellen eines englischsprachigen Rechtekatalogs sowie Textproben in englischer Sprache (zunehmend versiert im eigenen Büro angefertigt ). Jahre voller Lernzeit: Welche Titel aus dem eigenen Programm eignen sich überhaupt für Übersetzungen? Es sind nicht unbedingt die eigenen Lieblingstitel. Und es liegt nicht unbedingt am Inhalt an sich, sondern unter Umständen an Details der Erzählung: Hier spielt Schnee eine Rolle. Schnee haben wir in Brasilien aber leider nicht. Gereimte Texte schrecken eher ab, Reihen hingegen ziehen an, vor allem im asiatischen Raum. Da kommt Gott vor? Das geht für den chinesischen Markt fast gar nicht. Wir legen großen Wert auf sprachliche Ausgestaltung,
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kreativen Umgang mit Sprache und Sprachspiel inklusive. Das macht das Übersetzen nicht einfach. Da wird schon mal schnell der Kopf geschüttelt und bedauernd abgewunken. Bilderbuchlizenzen verkaufen sich leichter als jene für Jugendromane, verschafft man sich doch rasch einen Eindruck. Geschmäcker aber sind kulturell geprägt, also verschieden: Da ist es den einen zu wenig bunt, für andere ist etwas zu folkloristisch. Gelingt dann aber ein solcher Lizenzverkauf, bedeutet das in erster Linie Freude und Anerkennung. Und Prestige. Und ein bisschen zusätzliches Geld – ein nicht unwesentlicher Effekt bei ohnehin niedrigen Gewinnspannen im Kinderbuchbereich. Ist es also einmal da, ein Angebot – nach mehreren Treffen auf verschiedenen Messen, nach dem Versand etlicher AnsichtsPDFs und grober englischer Versionen jener Kinderbuchtexte, die Anklang gefunden haben –, dann heißt es rechnen. Für das Recht zur Übersetzung, zur Produktion als Buch und dessen Verkauf in einem bestimmten Sprachgebiet gibt es einen groben Berechnungsschlüssel, der sich aus geplanter Auflage, dem Ladenpreis im jeweiligen Land und
dem prozentuellen Anteil an diesem Verkaufspreis (je nach Übersetzungsaufwand im Allgemeinen zwischen 6 und 9 Prozent). Dabei wieder Lerneffekt: Kosten Bilderbücher hierzulande um die 15 €, wird z. B. die chinesische Ausgabe in gleicher Ausstattung um nur 3–4 € verkauft. (Dank an die Währungsumrechner im Internet.) Üblicherweise wird bei Vertragsabschluss ein Vorschuss bezahlt, der mit den jährlich verkauften Exemplaren gegengerechnet wird. Mit dem Unterschreiben eines Vertrags ist also (nach kurzem Jubel) die Arbeit noch keineswegs getan: Rechnungen müssen ausgestellt, Ansässigkeitsbestätigungen von Finanzämtern und Steuerbescheinigungen eingeholt, Zahlungseingänge überprüft, Daten geschickt, Anteile an die UrheberInnen ausbezahlt und viele verschiedene Fristen im Auge behalten werden. So hat nach Vertragsabschluss ein ausländischer Verlag in der Regel eineinhalb Jahre Zeit, das Buch auch tatsächlich zu veröffentlichen. Spätestens dann sollten die Belegexemplare eintrudeln. Auch die Dauer eines solchen Lizenzrechtes ist meist mit einigen Jahren beschränkt und sollte dann wieder bn 2019 / 2
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neu verhandelt werden. Eine akribische und vor allem langfristige Kalenderführung ist im Lizenzgeschäft also absolut von Vorteil. In größeren Verlagen ist eine eigene Abteilung damit befasst, in unserem kleinen Verlag muss das neben der Lektoratsarbeit miterledigt werden. Soll umgekehrt eine Lizenz eingekauft werden, verhält es sich indirekt proportional: Was nämlich wiederum einfach ausschaut – man schlendert über die Messe, entdeckt den genau ins eigene Programm passenden Titel und erwirbt prompt dafür die Rechte –, setzt auch beim Einkauf langjährig aufgebautes Vertrauen und Kenntnis voraus: AgentInnen und ÜbersetzerInnen, die sich zwischen zwei oder mehreren Buchkulturkreisen selbstverständlich bewegen, haben ein Gespür entwickelt, wo jene Titel verlegt werden, die das eigene Programm gut ergänzen könnten. Sie sind nicht zu ersetzen. In Ermangelung dieser Kompetenz setzen wir bisher lieber auf den Verkauf von Lizenzen. Vor allem aber wegen der eigenen Begeisterung für‘s Büchermachen: An Geschichten tüfteln, Ideen einbringen, KünstlerInnen
zusammenführen, diskutieren, überreden, einlenken, Lösungen suchen - und schwitzige Hände haben, wenn das „go“ an die Druckerei geht. Und diese fertigen Bücher wollen wir dann auch in fremde Sprachen übersetzt sehen, wollen, dass sie von ausländischen Verlagen ins Programm genommen und in möglichst vielen Teilen der Welt genossen werden. Denn dann gibt es auch noch diesen einen Moment, der alle Arbeit, alles Nachwassern und Im-Auge-Behalten lohnenswert macht. Dann, wenn – wie bei uns öfters der Fall – das Paket mit den chinesischen oder koreanischen Schriftzeichen im Büro landet - manchmal auch mit Umwegen, weil – surprise, surprise: Austria is not Australia. Eingedrückte Ecken und das zerknitterte Verpackungspapier erzählen von einer langen Reise auf dem Schiff oder im Flugzeug. Und dann hält man sie in Händen, diese Bücher mit den bekannten Bildern, die mit dem unbekannten Schriftbild eine neue Symbiose eingehen – vertraut und fremd zugleich. Ein ganz besonderer Moment. Bücher eröffnen einem die Welt. In diesem Fall nicht nur zwischen den beiden Buchdeckeln.
Katrin Feiner (im Messegeschehen) Programmleiterin Kinder- und Jugendbuch im Tyrolia Verlag und in dieser Funktion Nachfolgerin von Inge Cevela
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©© Claudia Hufnagel-Zenz
„Die Wissbegier von Kindern ist unerschöpflich“ Das Kinder- und Jugendsachbuch im Wechselspiel von Lizenzeinkauf und Eigenproduktion von Renate Grubert Ein reiches Angebot an Sachliteratur für Kinder und Jugendliche verlockt zum Lesen. Von den 9.510 neuen Kinder- und Jugendbüchern, die nach Information des Börsenvereins des deutschen Buchhandels 2018 herauskamen, gehören – je nach Warengruppenzuordnung – 10 bis 20 Prozent zu den Sachbüchern. Ein großer Teil davon kommt als Lizenzprodukt, also in Übersetzung, zu uns. Eine wunderbare Bereicherung und Ergänzung von Eigenproduktionen und damit auch des bibliothekarischen Angebots! Nach knapp zehn Jahren Durststrecke mit niedrigen Umsatzzahlen bewegt sich das Kinder- und Jugendsachbuch wieder auf eine Hochsaison zu. Das Interesse an Sachliteratur hat massiv zugenommen und die Nachfrage beflügelt. Wenn das passiert, steigt auch der Prozentsatz an Lizenzbüchern im deutschsprachigen Angebot. So jedenfalls lässt sich rückblickend das enorme Wachstum an Kinder- und Jugendsachbüchern in den Jahren 2002 bis etwa 2006 interpretieren.
Der Aufschwung entwickelte sich nach den mäßigen Ergebnissen aus den ersten PISAStudien. Über das Sachbuch, das ja Freizeitlektüre ist und im inhaltlichen Angebot den Neigungen der Kinder und Jugendlichen jenseits des Nachmittagsmarkts folgt, versprach man sich eine Steigerung von Wissen und letztendlich Bildung. Heute, im Zeitalter von Internationalisierung und Digitalisierung, mag die Ausgangssituation eine etwas andere sein. Doch Herzstück und zentrales Anliegen der Sachliteratur für junge Leserinnen und Leser bleiben gleich. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, haben die Verlage in den letzten Jahren unglaubliche Anstrengungen unternommen. Relaunches bestehender Original-Reihen (Tessloff „Was ist Was“) und Reihenausbau (Ravensburger „Wieso Weshalb Warum?) zeugen ebenso davon wie vollkommen neue Ansätze – auch im Lizenzgeschäft. bn 2019 / 2
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Lizenzeinkauf oder Eigenproduktion? Dazu Katharina Ebinger, Thienemann Gabriel Programmleiterin: Wir kaufen bei Gabriel in letzter Zeit verstärkt Lizenzen ein, da uns spannende Titel angeboten werden. Nicht immer war die Situation so gut. Und Tatjana Kröll, Knesebeck Leitung Jugendbuch, ergänzt: Trotz vieler hochwertig illustrierter Sachbücher … bewegen wir uns auf einem schmalen Grat zwischen Mainstream und zu speziellen Titeln. Die Lebenswelten unterschiedlicher Länder kommen oft zu kurz. Diese Lücke schließt man gern mit Eigenentwicklungen. Wenn wir eine spannende Idee haben, einen tollen Autor oder etwas Landestypisches machen möchten, können wir das am besten selbst umsetzen, sagt Heike John, ArsEdition, Programmleitung Kinder- und Jugendbuch („Paul und der Krieg“, 2019). Und: Eigenentwicklungen stärken die Handschrift des Programms, man kann unabhängiger agieren, so Daniela Filthaut, Geschäftsführerin Gerstenberg. Tyrolia verzichtet ganz auf Lizenzen, 200
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weil wir gern mit KünstlerInnen aus dem deutschsprachigen Raum, im Idealfall aus Österreich, zusammenarbeiten. Fertige Titel zu übernehmen passt nicht in unser schmales Programm, erklärt Katrin Feiner, Lektorat und Lizenzen, Pressestelle.
Beobachtbare Trends … Speziell bei den Lizenzen dürfen wir von einem übergreifenden Phänomen sprechen. Hier spiegeln sich weltweite aktuelle Trends wie zum Beispiel Globalisierungsfragen, Umwelt und Nachhaltigkeit, Naturprobleme („Seltene Tiere“, Aladin 2019), soziale Fragen. Auf diese Weise erklären sich „Wellen“, wie gegenwärtigdie Vielzahl der Bienen- und Insektenbücher. Trendsetter Gerstenberg („Bienen“, 2016) legt gerade mit einem aufwendigen Lizenzprodukt nach („Die wunderbare Welt der Insekten“, 2019). Der Lizenzmarkt lebt aber auch von altbewährten Inhalten. Besonders im ´mass-market´-Bereich überwiegen klassische Themen, die international publiziert werden wie z.B. ´Sterne und Planeten´, so Carolin Jacobi, Leitung Carlsen Sachbuchprogramm. Oder das immer begehrte Thema ´Dinosaurier´. Allein bei Dorling Kindersley
gibt es dazu diverse aktuelle Bände, zielgruppengenau für unterschiedliche Lesealter, inklusive Lesenlernen. (Eben erschienen in der
mic-Bibliothek des Wissens: Israel und Palästina“,
Reihe „Superchecker! Was willst du heute wissen?
2018). Dazu Edmund Jacoby, Geschäftsführer:
Dinosaurier, 2019).
Martina Glöde, DK Kinderbuch, führt aus:
Redaktionsleiterin
Impulse für neue Sachbücher kommen aus dem deutschen Mutterhaus, vor allem aber von den verschiedenen DK-Häusern weltweit. Unsere Spezialisten besprechen, welche Themen Kinder beschäftigen, welche Trends es gibt, und welche nationalen Besonderheiten. Streng genommen kann man nicht von Lizenzen sprechen, sondern von Co-Eds. Hier wird aus einer Hand produziert. Andere Verlage wählen Lizenzen, „weil es immer wichtiger wird, schnell zu sein,“ so Jeanette Hammerschmidt, Programmleiterin Loewe, und meint: die richtigen Themen zum richtigen Zeitpunkt („Baby-Universität“, 2019).
… und Besonderes „Mode-Themen“, nennt Monika Osberghaus, Klett Kinderbuch Verlagsleitung, viele der ausländischen Angebote, die ihr „oft zu brav gemacht, zu mainstreamig in der Aufmachung“ daherkommen. Und überrascht dann mit Ausnahmen wie „Die Kackwurstfabrik“ (2018). Alles andere als konventionelle Lizenzen of-
feriert auch Jacoby & Stuart. Hier wird die Nische des Sachbuch-Comic gepflegt („Die Co-
Wir haben eine Reihe dieser Bücher eingekauft, einfach weil sie uns gefallen haben. Selbst Comics zu entwickeln wäre zu aufwendig und zu teuer. Die Verkaufszahlen der Comicentwicklungsländer Deutschland und Österreich erlauben keine hohen Vorschüsse.
Lizenzeinkauf – Freude und Herausforderung Es ist für die Verlage nicht leicht, genau das zum Verlagsprofil passende Buch zu finden. Wir haben strenge Kriterien, da wir sehr auf das Thema ´Natur´ fokussiert sind und darauf achten, dass die Optik unserer Bücher nicht durcheinandergewürfelt aussieht, verdeutlicht Teresa Baethmann, Leitung Kosmos Kindersachbuch. Alle Verlage sind irgendwie „auf der Suche nach dem besonderen Buch, der Perle in den vielen ausländischen Programmen“, wie Katharina Ebinger das ausdrückt. Für Tatjana Kröll ist „Wieso sind die alle nackt?“ (2017) so ein Buch, weil das „ungewöhnliche Thema oder ein noch nicht so bekannter Blickwinkel wichtige Kriterien für uns sind“.
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Sprechen wir vom Aufwand und den Kosten einer Sachbuchlizenz. Die Freude am Lizenzgeschäft liegt u.a. in der Überschaubarkeit. Das Produkt liegt vor, die Fakten stehen fest, begründet Carolyn Jacoby. Und: Gerade bei besonders aufwendiger Ausstattung lässt sich ein Titel in Lizenz leichter finanzieren als in Eigenproduktion. Auch kleinere Auflagen werden dann möglich, denn man kauft ein fertiges Buch, das vom einkaufenden Verlag „nur noch“ übersetzt werden muss, d.h. drucktechnisch gibt es „nur“ eine neue Schriftfolie.
Die Übersetzung Allerdings gibt es beim Übersetzen von Sachbüchern viele „Fallstricke“. Jeanette Hammerschmidt spricht, wie alle anderen befragten Verlage, die Lauflänge der deutschen Sprache an. So wird der Text – meist aus dem Englischen, manchmal aus dem Französischen, seltener aus anderen Sprachen – von „Übersetzern, die eine Affinität zum Sachbuch und eine gewissen Expertise auf dem Gebiet haben“ ins vorgegebene Layout übertragen - sachgerecht und passgenau. Verlage arbeiten darum mit Spezialisten zusammen. Ein besonders interessantes Beispiel aus dem Portugiesischen: „Die Natur. Entdecke die Wildnis vor deiner Haustür“ (Beltz 2019). 202
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Am Original-Layout sollte bei einer Lizenz aus Kostengründen möglichst nichts verändert werden. Manchmal jedoch müssen „landespezifische Informationen, die für den deutschen Leser nicht relevant sind, durch Entsprechungen ersetzen werden“, so Beatrice Wallis, Cheflektorin Beltz & Gelberg, das kann Texte wie Illustration betreffen, die dann vom Illustrator des Originals entsprechend neu angefertigt werden. Das bedarf viel kommunikativer Abstimmung im Lizenzprozess, der – genau wie beim Original – kreativer Zusammenarbeit erfordert, damit alles passt. Ein Prozess, der meist auf den Buchmessen in den Lizenzkabinen beginnt, wo fremdsprachige Bücher eingekauft und Originalentwicklungen angeboten werden.
Wichtig für Bibliotheken Vor allem im Altersbereich bis 12 Jahre gibt es aktuell viel Bewegung. Das erstaunt nicht, denn hier wird die Wissensbasis gelegt, auf der aufgebaut wird. Hier passt das Sachbuch mit seiner illustrierenden Darstellung perfekt. Für die Jüngsten als reines Sachbilderbuch fast ohne Textbegleitung, mit zunehmendem Alter mit mehr Textanteil, besticht das Sachbuch durch das Hand-in-Hand-Arbeiten von Text und Bild (Foto und/oder Zeichnung). Diese Zusammenschau hilft verstehen („Wie laut war eigentlich der Urknall?“, Knesebeck 2018).
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Engagierte und kuratierte Sachbücher gehen zudem tiefer als dies eine Internetrecherche leisten könnte,
an die Bibliotheken mit Sicherheit allen Sachbuch produzierenden Verlagen aus dem Herzen (Ein echter Hingucker, den man so rasch nicht
so Katharina Ebinger. Zu diesen inhaltlichen Punkten kommt auch eine „garantierte Sicherheitsprüfung in Hinblick auf Material und Ausstattung“, ergänzt Caroline Jacoby.
vergisst: „Einzigartig. Jedes Tier ist ein Wunder“, Sauerländer 2018):
Ein absolut treffendes Fazit zieht Ulrike Metzger, Verlagsleitung Kinder- und Jugendbuch S. Fischer, und spricht mit ihrem Appell
Stellt genug Sachbücher zur Verfügung. Die Wissbegier von Kindern ist unerschöpflich. Und gerade Jungs, die keine großen Belletristik-Leser sind, kriegt man oft mit Sachbüchern!
Renate Grubert … hat als Geografin und Kartografin promoviert und den Fernstudienkurs zur Kinder- und Jugendliteratur der STUBE abgeschlossen. Sie arbeitet als freie Dozentin, Referentin und Fachjournalistin mit Themenschwerpunkt Sachliteratur für Kinder und Jugendliche.
Fragen beim Ein- oder Verkauf einer Sachbuchlizenz Basierend auf einer Zusammenstellung von Lektorat + Lizenzabteilung Beltz&Gelberg/Renate Grubert
• Relevanz der Thematik für die Zielgruppe • Aktualität des Themas im deutschsprachigen Raum/Zielraum • Länderspezifische Umstände, die eine Übersetzung erleichtern oder erschweren (z.B. Darstellung der Lebenswelt) • Moderne/ungewöhnliche/spannende inhaltliche Herangehensweise • Moderne/ungewöhnliche/spannende Ästhetik bzw. Layout • Aufwand der Produktion des Buches (herstellerische Fragen) • Aufbereitung des Materials – spielerisch oder eher didaktisch?
das Thema? Wie bekannt ist sie bzw. soll sie bekannt gemacht werden? • IllustratorIn: Atmosphärische, stimmige Illustration • Ist der Umfang stimmig zum Thema? • Originalität • Vorhandene Auszeichnungen/gute Verkaufszahlen des Originals • Was ist bei der Übertragung der Originalsprache ins Deutsche zu beachten? • Mögliche Übersetzungsförderung • Rechtefragen für Bilder und/oder Zitate
• Eignet sich der Titel als Schullektüre?
• Ist der Titel ein Einzeltitel oder ein Reihentitel?
• Fachliche Beratung/Sachkompetenz
• Bietet sich eine Koproduktion an?
• AutorIn: Wie wichtig ist die Person für
• Wie hoch liegen die Gesamtkosten?
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Übersetzen und Dolmetschen : achten Sie auf die Zertifizierung! von Dagmar Jenner
Während das Begriffspaar Dolmetschen und Übersetzen immer wieder für Verwechslung im Sprachgebrauch sorgt, ist die Abgrenzung simpel: Übersetzen findet schriftlich statt, etwa wenn ein Vertrag, eine Website oder ein Marketingtext von einer Sprache in eine andere – und damit Kultur – übertragen wird. Dolmetschen wiederum ist eine mündliche Tätigkeit, bei der Aussagen entweder simultan (beinahe zeitgleich) oder konsekutiv (zeitversetzt) übertragen werden. Beispiele sind Konferenzen, Verhandlungen, Staatsbesuche oder ärztliche Beratungsgespräche. Gemein ist beiden Tätigkeiten, dass sie mit Ausnahme des Gerichtsdolmetschens, für das eine Prüfung zu bestehen ist, frei zugängliche Berufe sind. Somit konkurrieren universitär ausgebildete TranslatorInnen – so der Überbegriff für Dolmetschen und Übersetzen – mit sprachkundigen Menschen ohne Ausbildung. Dabei sind hervorragende Sprachkenntnisse in mindestens zwei Sprachen das Minimum für erfolgreiches Übersetzen bzw. Dolmetschen – in etwa so, wie der Besitz eines Klaviers niemanden zur Konzertpianistin macht. Bei der Translation steht viel auf dem Spiel, im Ernstfall geht es um Menschenleben wie etwa in der Medizin und Pharmazie. Translation baut Brücken zwischen Sprachen und 204
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Kulturen und macht damit internationale Kommunikation erst möglich. Übersetzungen begegnen uns, oft unbewusst, auf Schritt und Tritt: Ohne Übersetzung gäbe es am Buchmarkt keine internationalen Bestseller, würden wir keine Filme in Untertitelung oder Synchronisation erleben, kaum Zeitungsartikel konsumieren können oder Websites rezipieren. Aufbauend auf hervorragenden Sprachkenntnissen erlernen angehende Translatorinnen und Translatoren Übersetzungsstrategien, Stichwort Textsortenkonvention: Man denke an die kulturell bedingte Gestaltung von Werbetexten oder sprachspezifische Besonderheiten wie Nominalstil versus Verbalstil. Umfassendes kulturspezifisches Wissen ist in der Translation unerlässlich. Die Ausbildung wird durch profunde Sachkenntnisse abgerundet, etwa bei der Übersetzung zwischen zwei Rechtssystemen. Essenziell sind auch eine breite Allgemeinbildung und Kenntnisse des Tagesgeschehens. Schließlich kommt es häufig vor, dass die Dolmetscherin etwa bei einer Medizinkonferenz mit Exkursen in andere Fachgebiete konfrontiert ist. Hier gilt es, stressresistent, flexibel und sprachlich kreativ zu sein. Simultandolmetschen wird immer wieder zu den stressigsten Berufen der Welt gezählt. Beim
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schriftlichen Übersetzen müssen sprachliche Lösungen zwar nicht innerhalb von Sekunden gefunden werden, aber auch hier spielt Zeitdruck eine große Rolle. Übersetzte Texte werden oft in hoher Auflage gedruckt, etwa Geschäftsberichte oder Werbematerial, weshalb es größter Sorgfalt bedarf. Eine aktuelle Herausforderung unseres Berufsfelds ist die neuronale maschinelle Übersetzung, die in den letzten Jahren einen großen Qualitätssprung gemacht hat. Nachteile der Maschinen sind, dass sie keine kulturelle Sensibilität haben, dass sie nicht zweifeln, mit ihnen nicht Rücksprache gehalten werden kann und sie nur so gut sind wie das Textmaterial, mit dem sie eingerichtet wurden. Darüber hinaus stehen sie, allen voran Google Translate und DeepL, für nur einige wenige Sprachen zur Verfügung.
UNIVERSITAS Austria, der seit 1954 bestehende Berufsverband für Dolmetschen und Übersetzen, ist die Interessensvertretung unserer Branche und setzt sich unter anderem für eine bessere öffentliche Wahrnehmung der Komplexität unseres Berufes sowie der Weiterbildung seiner Mitglieder ein. Die über 800 Mitglieder bieten Sprachdienstleistungen auf allerhöchstem Niveau – die
UNIVERSITAS-Austria-Zertifizierung ist, abgesehen von der Gerichtsdolmetscherprüfung, das einzige Qualitätssiegel für Übersetzen und Dolmetschen in Österreich. Achten Sie also auf die Zertifizierung, die für ausgewiesene Profis mit akademischer Ausbildung steht. In unserer Datenbank auf www.universitas.org finden Sie Sprachprofis in 40 Sprachen, von Albanisch bis Ungarisch.
Dagmar Jenner ist Übersetzerin für Englisch, Spanisch und Französisch, bei der Europäischen Union als Dolmetscherin akkreditiert und ehrenamtliche Präsidentin von UNIVERSITAS Austria.
©© Sam Woodard
Das Zukunftsrezept lautet wohl Mensch mit Maschine, wobei die Translatorin bzw. der Translator vor allem mit persönlicher Beratung und interkulturellem Wissen punkten kann. Sprachliche Kreativität wird auf längere Sicht Menschen vorbehalten sein. Das automatisierte Dolmetschen ist angesichts der vielen gleichzeitig stattfindenden Prozesse für Maschinen aktuell nur auf sehr banalem Niveau zu bewerkstelligen.
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Fühlen wir uns frei, zu sprechen, wie wir sind Oder: Dascha‘n ganz annern Schnack von Corinna Antelmann Vryheit do ik ju openbar, so steht es auf dem Schild des Rolands auf dem Rathausplatz meiner Heimatstadt Bremen. Hierzulande müsste ich die Zeile vermutlich übersetzen - ich tue das später, wohl wissend, dass Übersetzungen nicht über die elementare Wahrheit meiner zuletzt erschaffenen Romanfigur Gerhard hinwegtäuschen können, der behauptet: Verstanden werden wir nie. Aber wenigstens der Roland soll verstanden werden, und außerdem ist Gerhard nichts anderes als die Übersetzung willkürlicher Gedanken in Sprache; davon verstehe ich etwas, so wie ich das Bremische verstehe und das Österreichische auch. Zumindest partiell. Deutsch ist Deutsch, dachte ich, als ich vor dreizehn Jahren nach Oberösterreich zog, aber ich irrte, denn schon bald sagte mein Wiener Freund Oliver: Wir sprechen Österreichisch und du deutschen Dialekt. - Hasse noch alle?, fragte ich und dachte, dann ist die Sprache also selbst innerhalb des gemeinsamen Sprachraums zerstreut worden. Überall, in allen Ländern und Wohnzimmern, liegen die Wörter unverstanden herum; Gott 206
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tat den Menschen keinen Gefallen damit, als er beschloss: Wohlauf, laßt uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des andern Sprache verstehe. 1 Einen Gefallen zu tun aber lag auch nicht in seiner Absicht, lag es nicht? - Nein, er wollte die Menschen bestrafen, indem er die Sprachverwirrung stiftete, wollte er das? Sicher ist nur: Die Sprachverwirrung macht die Sache, das heißt ein unkompliziertes Miteinander, zusätzlich bannig kompliziert, da nutzt die beste Übersetzung nichts. Übersetzt werden müssen zudem die Verhaltensweisen, und zwar selbst oder gerade inmitten des nur scheinbar gemeinsamen Sprachraums, innerhalb dessen Beziehungen über ähnlich kulturelle Gewohnheiten und Prägungen verhandelt zu werden scheinen […], bis sich herausstellt, dass diese Ähnlichkeiten sich auf den zweiten Blick katastrophal unterscheiden. 2 Ja, die sprachliche Verwirrtheit geht über die Verwendung ungewohnter Wörter hinaus: Sobald beispielsweise die Bremerin in mir gern einmal kaffeesieren gehen möchte,
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was soviel heißt wie Kaffe trinken gehen, so hört sie Oliver bereits laut aufschreien. Zwar weiß er, dass Kaffe Kaffee bedeutet, aber das heißt noch lange nicht, diesen Kaffe zu akzeptieren. Nein, sagt Oliver, er wolle seinem unerschöpflichen Wissensschatz sicher nicht freiwillig hinzufügen, wie so ein Kaffe möglicherweise (nicht) schmecken werde. Und auch, wenn ich mich in Olivers Küche auf die muddelige Anrichte bugsiere, um ihn um ein Glas Rotwein zu bitten, kann er sich das Lachen kaum verkneifen. Ein Glas!, sagt er: Du meinst: Ein Achtel Zweigelt. Schnack nich. Du bist Schriftstellerin, ergänzt er, der Ausdruck ein ‚Glas Rotwein‘ wirkt, als würdest du eine beliebige Straße beschreiben, nicht jedoch diese eine Straße in dieser einen bestimmten Stadt. Ich lasse mich von dir nicht verhohnepiepeln, sage ich, könnte ich jetzt in Ruhe mein Glas Zweigelt trinken? Muss ich mir noch überlegen. Er lacht wieder. Als ich einen Flunsch ziehe, schlägt er versöhnlich vor, am Abend ins Kino zu gehen. Da Bilder universell seien, umschifften sie die Ecken und Kanten des gemeinsamen Sprachgebrauchs. Ich willige ein. Treffen wir uns da, sagt er noch, bevor ich gehe, um mich zu Hause umzuziehen, aber später stehe ich allein vor dem Kino, zusätzlich isoliert durch meine sprachliche Desorientierung. Mich trifft fast der Dahlschlag, als ich ihn anrufe und der Irrtum sich auflöst. Natürlich (?) meine er mit da seine Küche, sagt Oliver und behauptet, das Kino sei dort.
Was du nich sachst. Ist doch logisch, sagt er, aber damit bin ich ganz und gar nicht einverstanden, hörst du, nicht n büschen einverstanden bin ich damit! Bischa wohl mall, liegt mir auf der Zunge, aber ich schweige, weil er mich ohnehin nicht verstünde und ich will ihn nicht unnötig triezen, schließlich sind alle immerzu um Verständigung bemüht. Gott-sei-Dank wohnt er dichte bei und steht wenig später neben mir. Die Missverständnisse, die ich mit Oliver teile, sind im Übrigen leicht zu beheben, denn Oliver ist wie Gerhard nur eine weitere Figur aus einem weiteren Roman, ja, mit meinen Figuren verstehe ich mich so oder so am allerbesten und die Verständigungs-Malöre sind mit voller Absicht lanciert; im Großen und Ganzen sprechen wir eine gemeinsame Sprache. Das ist der Vorteil des Schriftstellerinnendaseins: Jederzeit kann ich mich zurückziehen in meinen Turm zu Bremen und alles Erinnerte und Erdachte und Erträumte aufschreiben und in jedwede Sprache übersetzen, die mir gerade behagt. Aber dann, oh weh, das Geschriebene geht hinaus in die Welt und das deutsche Lektorat beschließt, dass es keine Stiege gibt und das österreichische, dass Wörter wie pingelig in keine österreichische Zeitschrift gehörten, außer vielleicht in die bn.bibliotheksnachrichten; die zeigen sich aufgeschlossen und weniger pingelig, ja, die lassen sogar Kaffe durchgehen - mit einem e. Schuldig bin ich noch die Übersetzung vom Bremer Rathausplatz, denn anders als oben behauptet, kann die Übersetzung von der einen Sprache in die andere, von mir zu dir, als Brücke dienen, eine Brücke, über die es sich hinübergehen ließe, ohne einzustürzen
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wie Babels Turm, eine Brücke, die allgemeine Verständigung ermöglicht. Ja, so denke ich und kann einen Gedanken wie diesen nur deshalb denken, weil ich eben der Sprache als solcher mächtig bin, denn das Denken offenbart sich dem Menschen durch und in der Sprache. […] Sie ist die einzige Möglichkeit für den Geist ‚äußerlich zu erscheinen‘, anders als das Seelenleben, das sich wortlos ausdrücken kann. 3 Vryheit do ik ju openbar bedeutet: Freiheit tu ich euch kund - und gibt uns damit zu verstehen, dass wir (die Bremerinnen und Bremer) frei sind. Aber letzten Endes sind alle Menschen frei, auch die Österreicherinnen, so jedenfalls do ik openbar. Offenbarung im ursprünglichen Sinne des Wortes meint ja im Übrigen, Gottes Willen erkunden zu sollen, aber ich übersetze es mir damit, dass Gott uns die Freiheit geschenkt hat, einander zu offenbaren. Zum Beispiel durch die Sprache. Oder durch einen Blick. So lasset uns denn statt Türme Brücken erbauen, auf dass wir Menschen einander verstehen, entgegen allen Beteuerungen, die nahelegen: Verstanden werden wir nie
und danken wir Gott für die Sprache, die er uns gab, die Sprache in all ihrer Vielfalt, und dafür, dass Oliver so dichte bei wohnt und jede Verständnisschwierigkeit problemlos ausgeräumt werden kann, wenn wir einander erfinden, äh, finden. „Danke, Herrgottnochmal“, sage ich. „Da nich für“, sagt Gott. „Doch doch, auch dafür“, erwidere ich und freue mich, dass er des Bremischen mächtig ist; jede und jeder hört, was er hören will. „Das sach man.“ Er scheint Humor zu haben, und eben darum erscheint es mir mehr und mehr als ziemlich unwahrscheinlich, dass es Gottes Absicht war, uns einander entfremden zu wollen, aber umso wahrscheinlicher, dass es seinem Willen entspricht (auch ohne ihn erkunden zu wollen), mit der Sprache zu spielen. Mit welcher Sprache auch immer.
1
Genesis 11
2
Corinna Antelmann: Drei Tage drei Nächte. Septime-Verlag, Wien 2018, S. 57
3
Hannah Arendt, 1971, Vom Leben des Geistes, I Das Denken. Piper-Verlag, München 1989, S. 41
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Corinna Antelmann: Drei Tage drei Nächte. S. 208
Corinna Antelmann stammt aus Bremen, arbeitete für Produktionsfirmen und als Dramaturgin für Theaterprojekte. Seit 2006 lebt sie in Oberösterreich und ist als Autorin und Dozentin für Storytelling tätig.
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přeložit
übersetzen : über-setzen von Michael Stavarič
1. Einst las ich von einer verbürgten Weisung eines Bonner Ministerialbeamten an einen Übersetzer: Schreiben sie diesen (deutschen) Text doch mal rasch ins Französische ab! Ich bin mir gar nicht sicher (klammern wir vorsichtshalber das literarische Übersetzen aus), ob nicht nach wie vor viele Menschen der Meinung sind, das Übersetzen sei, bei guter Fremdsprachenbeherrschung, für jeden eine bewältigbare Aufgabe, also gewissermaßen eine „mechanische Umkodierung“. Dass dem natürlich nicht so ist, liegt auf der Hand. Das Übersetzen ist ein komplexer Vorgang, die Kompetenz des Übersetzers bzw. der Übersetzerin (die sich über Welt- und Fachwissen, jedoch auch Gespür und poetischformales Verständnis definiert) stellt eine Grundbedingung für die Qualität einer angemessenen Übertragung dar. Ein gewisser Michael Hamburger hat einst die Arbeit eines Übersetzers sehr treffend als ein Hinübertragen des Textes in eine andere Sprachwelt, die zugleich auch eine andere Dingwelt, Um- und Innenwelt ist ... definiert. Und um ein praktisches Beispiel aus diesen mit vertrauten „Sprachwelten“ anzuführen: Als ich einst einen Roman von Patrik Ouředník übersetzte, kam mir (im Tschechischen) folgender Satz unter: „Er schwitz210
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te wie ein Pferd“. Im Deutschen musste ich diesen natürlich als ein „Er schwitzte wie ein Schwein“ wiedergeben. Und ich denke, genau so ein durchaus „leicht“ zu übersetzender Satz verdeutlicht, wie sehr sich Sprachwelten generell unterscheiden und wie kompliziert die Übersetzungen sein können. Im Übrigen: Pferde schwitzen sehr wohl, Schweine bekanntlich nicht, doch würde ich daraus keine voreiligen Schlüsse ziehen, wie etwa, dass das Tschechische möglicherweise präziser sei als das Deutsche. Das Tschechische selbst weist sieben Fälle im Substantiv auf, das Verbum ist mit seinen Möglichkeiten der Darstellung (gerichtete und ungerichtete Bewegungen, Aspekte etc.) gleichfalls umfangreicher handzuhaben als im Deutschen, die Schwierigkeiten einer literarischen Übersetzung bleiben daher stets auch Fragen wie: Kann sich das alles überhaupt ausgehen? Wie sollen beispielsweise Syntax und Duktus eines Gedichtes adäquat dargestellt werden? Und um ein weiteres Beispiel anzuführen: „šly.“ So könnte bereits ein vollständiger tschechischer Satz aussehen, der wie folgt zu übersetzen wäre: Sie (nur Frauen) gingen (auf direktem Weg irgendwohin). Würde ich das Wort „šli“ übertragen, so würde der Satz allerdings lauten: Sie (Frauen und Männer)
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gingen (auf direktem Weg irgendwohin). Was nicht zuletzt dazu führen kann, dass Bücher im Deutschen um ein Drittel länger werden, und tschechische AutorInnen einem bisweilen die Frage stellen: Was hast Du da alles dazugedichtet, Michael, um Himmelswillen!? Das Übersetzen ist mir schon aufgrund all des Tüftelns (obgleich ich mich in den letzten Jahren auf das eigene Schreiben konzentriere) eine wunderbare und ungemein bereichernde Tätigkeit geblieben, denn: Es ist die intensivste Form des Lesens. Ich hatte nach einer jeden meiner Übersetzungsarbeiten jedenfalls das Gefühl, dass ich dieses Buch bzw. einen Text nunmehr besser „kenne“ bzw. „verstehe“ als die Verfasser selbst. Und um eine Lanze für alle ÜbersetzerInnen zu brechen: Sie leisten darüberhinaus einen unglaublich wichtigen Beitrag zur bilateralen Verständigung, denn sie vermitteln das Kulturgut schlechthin: Die Sprache (und seine Sprecher und Sprecherinnen). Schlussendlich kann, unter Zuhilfenahme der lingua franca (dem Englischen), nur so ein dauerhaft verund geeintes Europa existieren.
Land unweigerlich (selbstverständlich aus dem deutschsprachigen Raum betrachtet) ins Hintertreffen. Was die tschechische Literatur anlangt, so war diese im zwanzigsten Jahrhundert lange Zeit überaus präsent im Deutschen. Nahezu alle kennen Bücher von Milan Kundera, Václav Havel, Bohumil Hrabal, Pavel Kohout, Jaroslav Seifert und wie sie nicht alle heißen mögen. Der Dissens prägte damals die tschechische Literatur, man schrieb schlussendlich gegen den Kommunismus an, zumeist aus dem Untergrund oder gar dem Gefängnis. Auch den Tschechen selbst galt die Literatur einst als etwas Unerlässliches, sie war der Ausdruck eines Lebensgefühls, ein politischer Protest, der Kitt einer ganzen Gesellschaft, der es nach Freiheit verlangte.
2.
Mit dem Jahr 1989, dem Fall der Berliner Mauer etc., setzte paradoxerweise ein Zerfallsprozess der tschechischen Gegenwartsliteratur ein; die Menschen lasen allmählich weniger anspruchsvollere Literatur, und für die zeitgenössischen Autorinnen und Autoren wurde es nicht unbedingt leichter, sich dem Schreiben zu widmen und, nunmehr unter kapitalistischen Gesichtspunkten, davon zu leben.
Werden weniger Bücher aus einer Sprache ins Deutsche übersetzt, so gerät das zugehörige
Mit der Zeit verlor auch der Westen das Interesse, tschechische Literatur umfassend über-
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setzen zu lassen und diese zu publizieren. Ich erinnere mich oft genug an Gespräche mit Lektoren und Verlegern, die mir mitteilten, dass sie nicht mehr in diesem Ausmaß an Übersetzungen aus dem Tschechischen interessiert seien. Und dementsprechend „unbekannt“ sind tschechische AutorInnen einer breiteren Öffentlichkeit im deutschsprachigen Ausland geworden, wie wohl der Begriff „breit“ sogleich relativiert werden muss: Wer liest heute noch bei uns anspruchsvolle Bücher? Und wer kauft diese – auch in Anbetracht der schieren Masse guter Publikationen? Wir (im deutschsprachigen Raum) leben derzeit meiner Meinung nach in der unliterarischsten Gesellschaft seit langem. Dabei gäbe es so viele Titel, auch aus dem breit gefächerten Bereich der tschechischen Gegenwartsliteratur, zu entdecken. Immerhin wurde in diesem Jahr ein diesbezüglicher Schwerpunkt auf der Leipziger Buchmesse gesetzt, und nach langer Zeit waren tschechische GegenwartsautorInnen wieder kurzfristig in aller Munde, jüngere und ältere Semester wohlgemerkt. Natürlich komme ich nicht umhin, ein paar dieser Titel anzumerken, um Lust auf eine diesbezügliche Lektüre zu machen, und zugleich für die Arbeit der jeweiligen ÜbersetzerInnen zu werben. Denn die Bedingungen, unter welchen literarische ÜbersetzerInnen für gewöhnlich arbeiten, sind finanziell prekär. 212
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Absolut bemerkenswert ist etwa die Edition Ostrovers im Hochroth-Verlag (www.hochroth.de/thema/edition-ostrovers), herausgegeben und übersetzt von Martina Lisa und Tereza Semotamová. Man bekommt einen wunderbaren Einblick in die Werke einiger LyrikerInnen, die man auch bei uns unbedingt kennenlernen sollte; ich persönlich empfehle hierbei die Lektüre von Natalie Paterovas „Ohne Option“ und Jan Tesnohlideks „Astronauten“. Tereza Semotamová hat anlässlich der Buchmesse auch gleich mal ihren Debütroman vorgelegt, mit dem eigentümlichen Titel „Im Schrank“. Nach der Lektüre dieses Buches wird man die Formulierung „du hast doch nicht mehr alle Tassen im Schrank“ gewiss nie mehr ohne Assoziationen an die eigenwillige, jedoch keinesfalls unsympathische Heldin ihres Buches gebrauchen. Warum zieht man eigentlich in einen Schrank? Und wie gestaltet sich fortan das Sein, vornehmlich jedenfalls das damit verbundene Seelenheil? In Semotamovás Roman betreten wir genüsslich das große Schlachtfeld des menschlichen Wollens – und Scheiterns. Beziehungen, Familie, Identitäten ... alles bleibt fragil, fragmentarisch, und ja doch, im Laufe eines Lebens ein Minenfeld. Der tschechischen Autorin und Übersetzerin ist jedenfalls ein äußerst lesenswertes Buch gelungen, erschienen bei Voland & Quist.
Jaroslav Rudiš schrieb bislang stets auf Tschechisch, seinen neuesten Roman „Winterbergs letzte Reise“ (Luchterhand) hat er allerdings bemerkenswerterweise auf Deutsch verfasst. Rudiš ist ein geschickter Erzähler und zugleich mit die wichtigste Vermittlungsperson der jüngeren Generation im deutsch-tschechischen Dialog. Schon vor vielen Jahren las ich begeistert sein Buch „Himmel unter Berlin“ (btb-Verlag), eine Tragikomödie par excellence. Und was man bei diesem Autor im besten literarischen Sinne zu schätzen weiß: Die sprichwörtlich „hrabalsche“ Redseligkeit und eine „schwejksche“ Trinkfestigkeit mancher seiner Figuren. Er ist derzeit der präsenteste tschechische Autor im Deutschen. Eine Autorin, die zu den stärksten literarischen (und politischen) Stimmen Tschechiens zählt, ist zweifelsohne Radka Denemarková – ihre Werke wurden inzwischen in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Und ihr vorletzter Roman „Ein Beitrag zur Geschichte der Freude“ (Hoffmann & Campe) behandelt symptomatisch Denemarkovás Hauptthemen: die Körperlichkeit und Gewalt in all ihren Formen. Ihr aktuellster (noch nicht übersetzter) Roman „Stunden aus Blei“ erzählt diesbezügliche Schicksale mehrerer Protagonisten in China. In ihrem etwas älteren Werk „Ein herrlicher Flecken Erde“ (DVA) beschäftigte sich die Au-
torin wiederum mit den dunkelsten Themen der deutsch-tschechischen Beziehungen. Das Buch handelt von der Geschichte einer jungen deutsch-jüdischen Frau aus dem Sudetenland, die dem KZ entkam; doch was erwartet diese nach dem Krieg? Nur Spott und Pech! Diese deutsch-tschechischen Problematiken, besonders die Vertreibung der Deutschen aus Brünn, behandelt auch eine andere großartige Autorin, Kateřina Tučková, vornehmlich mit ihrem Buch „Gerta – das deutsche Mädchen“ (Klak Verlag). Der Journalist und Prosaiker Jáchym Topol gehört natürlich seit längerem zu den bedeutendsten literarischen Stimmen der zeitgenössischen tschechischen Literatur. Seine Werke „Schwester“ oder „Engel EXIT“ stellen nach wie vor Kultbücher für eine ganze Generation dar. Acht Jahre lang wartete man nunmehr auf sein neuestes Werk „Ein empfindsamer Mensch“ (Suhrkamp), das in einer poetischen-rauen, mitunter sogar vulgären Sprache verfasst wurde, welche vermutlich selbst die beste Übersetzung nicht adäquat darstellen kann. „Ein empfindsamer Mensch“ ist eine beunruhigende Groteske über einen Mann, der mit seinen Kindern als Nomade im Auto lebt. Topol bleibt es allerdings auch, der nach wie vor nicht von altbekannten Themen seiner Generation lassen kann: Was ist etwa aus den
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ehemaligen Underground-Idealen geworden? Und wie soll man ihnen in Anbetracht der aktuellen politischen Situation in Tschechien jemals gerecht werden? Er ist somit einer der Autoren, der es absolut nicht scheut, harte Bilanzen zu ziehen (mit sich selbst und der Welt), wobei die Sprache nach wie vor die wahre Akteurin seiner Bücher bleibt, ja zum Glück bleiben muss. Last but not least seien drei Autoren angemerkt, die mir ein besonderes Anliegen sind - Patrik Ouředník, Michal Ajvaz und Jiří Gruša. Ersteren durfte ich selbst mehrfach übersetzen, er gilt in Tschechien wohl als der vielseitigste und bekannteste Gegenwartsautor: Kinderbücher, Lexika, Romane, Lyrik, es gibt eigentlich kein Genre, in welchem er nicht außergewöhnliche Bücher verfasst hätte. Anlässlich der Buchmesse erschien sein in mehr als dreißig Sprachen übersetztes Werk „Europeana“ erneut auf Deutsch, dem Czernin-Verlag sei Dank! Sein Roman „Die Gunst der Stunde“ (Residenz) ist nach wie vor lieferbar und aktueller denn je: Es geht um Flucht- und Auswanderergeschichten aus dem Jahr 1855. Der Zweitere, Michal Ajvaz, erschien anlässlich der Buchmesse im Wieser-Verlag, wo zugleich eine ganze Reihe tschechischer Bücher (Titel: Tschechische Auslese) publiziert wurden, allesamt äußerst unterhaltsam und lesenswert (www.wieser-verlag.com). Michal Ajvaz´ Buch „Die Rückkehr des alten Waran“ stellt für mich ein ganz besonderes Meisterstück kafkaesker Kurzgeschichten dar, vortrefflich von Veronika Siska ins Deutsche übertragen. Und natürlich gibt es da auch noch die Gesamtausgabe von Jiří Grušas Werken (www.wieser-verlag.com/jiri-grusa-werkausgabe/), der mir wie kein anderer die Eigen- und Besonderheiten der tschechischen Literatur bei- und näherbrachte. Wer sein Buch „Gebrauchsanweisung für Tschechien“ liest, der ist nun wirklich im Bilde. Also los geht’s! Lesen, lesen und nochmals lesen!
Michael Stavarič (geb. 1972 in Brünn) ist ein österreichisch-tschechischer Schriftsteller und Übersetzer. 2018 erschien sein Roman „Gotland“ (btb), Juli 2019 wir im Verlag Kunstanstifter sein Bilderbuch „Die Menschenscheuche“ publiziert (Ill. von Stella Dreis).
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Verstehen, vermitteln, verraten : Facetten des Übersetzens von Brigitte Krautgartner Nein, ich sag es klar, nein, ich bereu nichts, was war, war es gut, wie es war, war es schlecht - ich komm mit allem zurecht. Es hat eine Weile gedauert, bis ich diese Zeilen gefunden habe. Aber dann - und als ich dann das ganze Lied ins Deutsche übertragen hatte - war ich doch ziemlich zufrieden mit mir. Und bin es immer noch. Der Hintergrund dazu: Wir planten in unserem Kulturverein einen musikalischen Abend. Chanson und Literatur, so das programmatische Motto. Mir war wichtig, dass in diesem Rahmen auch etwas von Edith Piaf gesungen würde - für mich die Ikone des Chansons. Und da am besten gleich ihre wohl bekannteste Nummer: Je ne regrette rien. Meine Freundin, die das Lied singen sollte, gab sich skeptisch. Französisch singen, das wollte sie nicht. Und so machte ich mich auf die Suche nach Übersetzungen ins Deutsche. Ich wurde auch fündig, war aber extrem unzufrieden mit dem, was sich da anbot. Sprachlich holprig, nicht wirklich zur Melodie passend - es war einfach nichts Brauchbares dabei.
Und so entstand die Idee, es einfach selber zu versuchen, selber den Text zu übersetzen. Nicht ganz leicht - zugegeben. Aber es ist mir gelungen. Und als ich dann das Lied aus dem Mund meiner Freundin gehört habe, da war ich wirklich zufrieden und auch stolz auf meine Leistung. Freilich, auch das sei hier gesagt, die meisten verstanden nicht, was da an Arbeit und Mühe hinter der deutschen Version steckte. Es scheint den meisten offenbar ganz normal, dass es von Filmen, Texten, Liedern usw. Übertragungen in ihre Muttersprache gibt. Und so ist übersetzen vielfach eine unerkannte und unbedankte Tätigkeit. Am ehesten wird sie noch zur Kenntnis genommen, wenn es klingende Namen sind, die die Übersetzung gemacht haben. Harry Rowohlt etwa oder der Germanist und prominente Krimiautor Petros Markaris. Für mich gehört zum Übersetzen eine ungeheure Liebe zur Sprache und (als unverzichtbarer Teil dieser Liebe) eine ungeheure Einfühlsamkeit. Das gilt natürlich vor allem für das Übersetzen von Lyrik - in meinen Augen die Königsdisziplin. Versmaß (so vorhanden), Rhythmik, Reime, Metaphern, Wortspiele, Andeutungen - all das in ein anbn 2019 / 2
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deres, vielleicht auch ganz anders funktionierendes System zu übertragen. Für Worte, die es in der Zielsprache vielleicht gar nicht gibt, eine Entsprechung zu finden.
Schlechte Übersetzungen sind Verrat. An der Absicht des Autors bzw. des ursprünglichen Textes, irgendwie auch Verrat an der Sprache und Verrat am Leser.
Ich erinnere mich noch gut an ein Proseminar im Romanistikstudium, als der Assistent damals über genau diese Dinge sprach - und mit einem Beispiel aufhorchen ließ. Er erklärte uns, dass in der Sprache der Inuit in der Liturgie nicht vom „Lamm Gottes“ die Rede sei. Sondern von der „Robbe Gottes“. Natürlich, so sagte er, sei auch dort bekannt, was ein Lamm sei. Aber es sei etwas emotional Fernstehendes, etwas, mit dem man keine Alltagserfahrung verbinde (wobei doch im biblischen Alltag Lämmer etwas allgemein zutiefst bekanntes seien). Und so habe man keine lexikalische sondern eine lebenswirkliche Entsprechung für den Originalbegriff gesucht - und habe den mit dem Terminus „Robbe“ gefunden.
Ich erinnere mich noch gut, als ich mit 18 Simone de Beauvoirs Memoiren einer Tochter aus gutem Haus gelesen habe. Sie schreibt darin über unterschiedliches Verhalten bzw. Verhaltensregeln für junge Männer und junge Frauen. Auf deutsch wurde das damals allerdings nicht wirklich gut klar. In der Übersetzung wurde nämlich statt des (korrekten) Begriffes „die jungen Männer“ fälschlicherweise „die jungen Leute“ verwendet. Und so kam es dann zu einem Kontrast, der so nicht gemeint war: auf der einen Seite sie, die Autorin - und auf der anderen Seite die jungen Leute. Gemeint war aber der Kontrast zwischen ihr als junger Frau und den jungen Männern.
Wie kommt der Apfelbaum dazu? Und noch etwas anderes habe ich im Lauf meines Romanistikstudiums gehört: das italienische Sprichwort „traduttore - tradittore“. Zu deutsch so viel wie „Übersetzer - Verräter“. Das ist natürlich ein sehr hartes Urteil und in den allermeisten Fällen nicht zutreffend. Weil ja Übersetzerinnen (in der Mehrzahl sind es wohl Frauen) und Übersetzer wirklich viel leisten und ihre Arbeit nur allzu oft unter ihrem Wert gehandelt wird. Und doch, es ist schon etwas Wahres dran! 216
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Und wenn ich mich recht erinnere, soll auch der Apfelbaum im Buch Genesis ziemlich unschuldig zur zweifelhaften Ehre gekommen sein, die verbotene Frucht getragen zu haben. Linguistsicherseits besteht der dringende Verdacht, dass es sich um den Baum des Bösen gehandelt haben soll - malus mit kurzem „a“ und nicht um den Apfelbaum, malus mit langem „a“. Ich habe diesen Freispruch für den Apfelbaum damals mit viel Genugtuung zu Kenntnis genommen. Und ich halte es nach wie vor für viel plausibler, dass die Frucht vom Baum des Bösen verboten war - und nicht die Frucht des Apfelbaumes.
©© Dennis Gotta | flickr
Auch der folgenschwere Aufruf „die Frauen sollen in der Kirche schweigen“ ist übersetzungstechnisch zu hinterfragen. Gibt es doch die Theorie, dass Paulus mit dieser Passage aus dem Korintherbrief konkrete Frauen meinte, die in der konkreten Versammlung der Gemeinde von Korinth schweigen sollten. Oder hat Paulus damit wirklich gemeint, die Frauen sollten insgesamt im kirchlichen Bereich verstummen - und das Jahrhunderte und Jahrtausende lang? Und wie steht es mit dem Widerspruch, den das zu anderen Aussagen aus seiner Feder darstellt? Schreibt er doch im Galaterbrief ausdrücklich davon, dass es keine Unterschiede mehr geben wird zwischen Mann und Frau. Was daraus auf jeden Fall deutlich wird: Heilige Schriften in eine andere Sprache zu übersetzen birgt Gefahren. Es können Formulierungen entstehen, die vom Autor so nicht beabsichtigt waren - und das kann Verzerrungen des eigentlichen Sinnes zur Folge haben.
©© Foto ORF
Insofern ist es nur konsequent, dass der Koran nicht übersetzt werden darf. Natürlich gibt es Versionen in zahllosen anderen Sprachen. Aber: streng genommen dürfen diese
nicht Koran heißen. Das heißt, die höchste Verbindlichkeit hat der unübersetzte Text.
Bulgarisch, Spanisch, Bullshit Drei meiner Freundinnen beschäftigen sich intensiv mit dem Übersetzen. Elisabeth Messner überträgt Lyrik aus dem Bulgarischen ins Deutsche. Heidi König-Porstner hat Gedichte der mexikanischen Gelehrten, Poetin und Ordensfrau Juana Inés de la Cruz aus dem Spanischen übersetzt. Und Susanne Strnadl hat gleich in ihren jüngsten Romanen einen neuen Berufsstand erfunden: den der Bullshit-Dolmetscher. Das sind Dienstleister, die hohle Floskeln, Beschönigungen, Umschreibungen in Klartext übersetzen. „Wir sehen dieser Herausforderung gelassen entgegen“ würde etwa bedeuten: „Um dieses Problem sollen sich andere kümmern. Mit allen dreien rede ich gern über Texte, Worte, Bedeutungen, kreative Lösungen. Un dich habe ihnen auch meinen Piaf-Text geschickt. Der endet mit: Denn ab heut‘ und mit dir leb ich neu jetzt und hier.
Brigitte Krautgartner, geboren 1966 in Steyr, Studium der Romanistik, Journalistenausbildung an der katholischen Medienakademie, seit vielen Jahren als Redakteurin in der ORF-Hörfunkabteilung Religion tätig, Mutter einer erwachsenen Tochter.
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ÜBER TRANS ÜBERSETZEN • TRANSLATE von einer Sprache in die andere
ÜBER SETZEN • TRANSPORT von einem Ufer/einem Ort zu einem anderen
ÜBERSETZUNG • TRANSISTOR von niedriger Leistung in hohe
ÜBERSETZUNG • TRANSFORMATOR von hoher Spannung in niedrige
ÜBERSETZUNG • TRANSMISSION von großer Drehzahl in geringere
Betrachtet man das so harmlos klingende Wort „übersetzen“ aus verschiedenen Blickwinkeln und in möglichen Übertragungen und Zusammenhängen, so öffnet sich ein ganzes Feld an Vorstellungen und Bedeutungen, die eines gemeinsam haben: Sie sind in unserem Leben von zentraler Bedeutung. „Übersetzen“ liegt ganz nah am Puls unseres Seins. Was bei Worten in ungeahnte Tiefen führen kann, ist bei Menschen nicht anders. Als uns Marcus Diess in der Redaktion besuchte, um uns eine Vorstellung zu geben, was das Wort „übersetzen“ im Hinblick auf Transformationen in Blindenschrift und akustische Signale bedeuten kann, hatten wir klare Vorstellungen über den Inhalt des Artikels. Als er uns die Türen in die Welt der verschiedensten sinnlichen Wahrnehmungen und der damit verbundenen Zeichensysteme öffnete, war es mit dieser Sicherheit vorbei und wir fanden uns in einem Kosmos bislang ungeahnter Aspekte und unterschiedlicher Perspektiven: Übersetzen ist nichts weniger als der schillernde Spiegel unserer Welt. 218
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©© ana pinta | flickr
Lesen mit den Fingerkuppen von Marcus C. Diess Vom Übersetzen zum Begreifen Etwas zu „begreifen“ basiert auf dem Wortstamm „greifen“, etwas berühren, ertasten, taktil erfahren. Hier wird also ein intellektueller Vorgang mittels eines physikalischen Begriffs der Haptik erklärt. Wir Menschen sind tagtäglich und unausweichlich von unterschiedlichsten Zeichensystemen, Symbolen, Piktogrammen umgeben, mittels derer wir spielen, leben, arbeiten, kommunizieren und uns orientieren. Ebenso können wir uns dadurch organisieren oder Erkenntnisse und Geschichten für die Nachwelt in Bibliotheken sammlen, um sie mit anderen zu teilen. Die wohl haptisch begreifbarste Schrif ist die Blindenschrift. Buchstaben in Schwarzschrift werden in geprägte oder elektromechanisch dargestellte Blindenschrift und computergenerierte Sprachausgabe übersetzt. Heutzutage sind sehgeschädigten Menschen annähernd alle Wissensgebiete mittels spezieller Technik frei zugänglich. Es gibt Systeme um komplexe mathematische, physikalische
oder chemische Formeln und Funktionen, musikalische Notenschrift oder einfach strategische Züge eines Schachspiels oder Strickmuster für Pullover in Braille zu übersetzen und mit anderen Menschen zu teilen. Somit fallen die Barrieren, was unser gesellschaftliches Leben und unseren Erfahrungsschatz ungemein bereichert. Ich habe mich aufgrund meiner jahrzehntelangen Arbeit als Tonmeister, Musiker und Radiomacher in freien Medien dafür eingesetzt, blinden Menschen Zugang zu Berufen in der Audioproduktion zu erleichtern und dabei gelernt, wie wichtig präzise, aber dennoch einfach verständliche Übersetzungsprozesse sind - insbesondere bei taktilen Ausgabesystemen.
Die Geschichte der Blindenschrift Die Blinden- oder auch Punktschrift wird nach dem Erfinder Louis Braille (1809-1852) auch „Brailleschrift“ genannt. Louis Braille verletzte sich im Alter von drei Jahren in der Werkstatt seines Vaters schwer am Auge. Die Wunde entzündete sich und infizierte auch das andere Auge, sodass er völlig erblindete.
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Der talentierte und wissbegierige Junge wurde im Alter von zehn Jahren an die von Valentin Haüy 1784 gegründete, weltweit erste Blindenschule in Paris geschickt. Dort lernte Louis zunächst die ursprünglich für militärische Anwendung entwickelte „Nachtschrift“ von Charles Barbier, woraus er im Alter von 16 Jahren die heute weltweit benutzte Sechs-Punktschrift entwickelte. Die Grundform besteht aus sechs Punkten , die in einem Raster angeordnet sind. Die Bedeutung eines Zeichens ergibt sich aus der Anzahl und Position der erhabenen Punkte, die mit der Fingerspitze ertastet und gelesen werden können. Die Punkte sind in Papier geprägt oder werden heutzutage elektromechanisch mittels einer Braillezeile angezeigt.
phik ersichtlich: Das A entspricht Punkt 1, B = Punkt 1 und 2, C = Punkt 1 und 4 , D = 1, 4 und 5 usw. Die Buchstaben A - J werden aus den oberen vier Punkten gebildet. Das System dieser zehn Buchstaben wiederholt sich ab dem K, wobei dann noch Punkt 3 aktiviert wird. A = Punkt 1 Ü K = 1 und 3 B = 1 und 2 Ü L = 1, 2 und 3 C = 1 und 4 Ü M = 1, 4 und 3 usw. Ab dem U werden die Punkte 3 und 6 zum bekannten Muster hinzugefügt. Eine Ausnahme bildet das W, das damals im französischen Alphabet nicht vorkam. Es wird aus den Punkten 2, 4, 5 und 6 gebildet.
Neben Anpassungen an Besonderheiten verschiedener Sprachen und Schriften kann Braille auch andere Systeme verständlich darstellen und übersetzen wie z. B. mathematische, physikalische oder chemische Formeln, Musiknoten, Strickmuster, Schachzüge usw.
Für die Zahlen der Sechs-Punktschrift werden die Buchstaben A bis J verwendet vor die ein „Zahlenzeichen“ aus den Punkten 3, 4, 5 und 6 vor die Zahl, das Sonderzeichen für Raute „#“ gestellt wird.
Die Systematik der 6-Punkt-Schrift
Braille für Computeranwendungen
Mit 6 Punkten lassen sich 64 Zeichen bilden, volle und leere Zeichen eingeschlossen. Bei der Sechs-Punktschrift gibt es zudem Kombinationen aus zwei Zeichen, etwa um Zahlen darzustellen. Jeweils zwei Punkte neben- und drei untereinander ergeben ein Zeichen. Jeder Punkt hat eine Nummer, wie in der Gra-
Sehgeschädigte profitieren zunehmend von den Bemühungen technischer Entwickler spezialisierter Hard- und Software. Seit es elektronische Hilfsmittel gibt, entstehen immer mehr Möglichkeiten für blinde Menschen, sich kreativ und produktiv zu betätigen und auch neue Berufsmöglichkeiten zu
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Die Satzzeichen bestehen aus den unteren Punkten 2, 3, 5 und 6.
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©© Jason Taellious | flickr
erschließen. Digitale Technik erlaubt es heute annähernd so zu kommunizieren wie jemand, der sehen kann. So besteht in etwa die Möglichkeit, als Autor_in oder Redakteur_in zu arbeiten, etwa wie Coach und Radiomacherin Constanze Hill aus Linz. [2] Da man für Computeranwendungen einen 256 Zeichen umfassenden „ASCII“ Zeichensatz benötigt, wurde durch das Anfügen von zwei weiteren Punkten die 8-Punkt-Brailleschrift entwickelt: Punkt 7 liegt unter Punkt 3 und Punkt 8 unter Punkt 6. Dieser wesentlich erweiterte Zeichensatz übersetzt neben Buchstaben und Zahlen auch Sonderzeichen und Codizes verschiedenster wissenschaftlicher Anwendungen und Computersprachen. Ein Beispiel wäre das in vielen Professionen notwendige griechische Alphabet. Dies ermöglichte blinden Menschen, annähernd so zu studieren wie sehende Personen und eröffnete ihnen zahlreiche zuvor unmögliche berufliche Tätigkeitsfelder. Im Internet kann man kostenlose BrailleSchriftarten herunterladen und es selbst ausprobieren. [3] Eine detaillierte Aufstellung und Erläuterungen zu allen möglichen Blindenschriftzeichen finden Sie unter anderem auf Wikipedia. [4]
Vom Lesen der Blindenschrift Gelesen wird die Brailleschrift mit beiden
Zeigefingern. Diese bewährte und gebräuchlichste Methode ermöglicht mit einiger Übung das flüssige Lesen längerer Texte, egal ob auf Papier gedruckt oder mittels elektronischer Braillezeile angezeigt. Beide Finger beginnen mit dem Lesen einer Zeile. Ungefähr in der Mitte der Zeile bewegt man den linken Zeigefinger zum Anfang der folgenden Zeile, während der rechte die Zeile zu Ende liest. Hat der rechte Zeigefinger das Ende der Zeile erreicht, beginnt der Linke mit dem Lesen der nächsten Zeile, während der rechte sich zu ihm hin bewegt und so weiter.
Vom Schreiben der Blindenschrift Zum Schreiben der Punktschrift stehen mehrere Techniken zur Verfügung. Das einfachste und älteste Hilfsmittel ist die Punktschrifttafel, die in verschiedenen Formaten erhältlich ist. Hier werden die Punkte für die Buchstaben und Zeichen manuell in Papier geprägt. Dieses Schreibgerät besteht aus zwei übereinander klappbaren Rahmen und einem „Schreibgriffel“, dessen dünne, metallene Spitze abgerundet ist. Der obere Rahmen ist eine Art Gitter mit dem Raster für die Buchstaben oder Zeichen, der untere Rahmen enthält im selben Raster jeweils sechs Vertiefungen mit etwa 0,5 mm. Um stabile Punkte zu erhalten verwendet man dickeres Papier (120-160g/m²), das man zwischen die beiden Rahmen klemmt. Nun
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Schreibtafel - 9 Zeilen zu je 21 Zeichen
Perkins-Schreibmaschine für Braille-Texte
wird mit dem Schreibgriffel Punkt für Punkt, Buchstabe für Buchstabe geprägt, wobei die größte Herausforderung ist, spiegelverkehrt von rechts nach links zu schreiben, da das Papier später auf die Seite mit den erhaben Punkten umgedreht werden muss, um lesbar zu sein. Dieses Schreibverfahren ist umständlich und verlangt hohe Konzentration und Übung. Deshalb wurden während der letzten Jahrzehnte verschiedene mechanische und inzwischen digitale Geräte entwickelt, die das Schreiben erleichtern, wodurch flüssigeres und effizienteres Arbeiten möglich ist. Aufgrund der geringen Größe kommen Punktschrifttafeln für Karteikarten immer noch zum Einsatz. Viele Blinde nutzen sie unterwegs für schnelle Notizen, vergleichbar mit Kugelschreiber und Notizblock.
Schreibmaschinen für Blindenschrift Die „Marburger Bogenmaschine“ nach Oskar Picht wurde erstmals in den 1880er Jahren produziert. Vergleichbare Maschinen werden in verschiedenen Ausführungen noch heute gebaut und verwendet. Bei der Blindenschreibmaschine ist jeder Taste ein Punkt zugeordnet, die durch Betätigung den Punkt
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Etiketten-Drucker
ins Papier prägt. Eine weitere Taste bewegt den Papierträger zum nächsten Buchstaben. Das bedruckte Papier ist neben dem Druckkopf gut zugänglich, was das sofortige Lesen (aber auch Erstellen von Tabellen etc.) erleichtert. Allerdings sind diese Schreibmaschinen wesentlich größer, schwerer und teurer als die zuvor beschriebenen Tafeln. Alternativ gibt es das amerikanische Pendant namens „Perkins Brailler“ der Perkins School for Blind. Mit mechanischen Punktschriftmaschinen kann üblicherweise nur Sechs-Punkt-Braille geschrieben werden. Zum Schreiben von Acht-Punkt-Braille wird heutzutage meist eine elektrische Version verwendet. Brailleschrift hat einen wesentlich höheren Platzbedarf als Schwarzschrift. Um Lesen und Schreiben zu beschleunigen, aber auch um den Umfang von in Brailleschrift gedruckten Werken zu reduzieren, wurde ein Kürzungssystem entwickelt, das den Text um etwa 40 % verringern kann. Für diese Kurzschrift wurden spezielle Schreibmaschinen für Stenographie entwickelt, die den Text auf Streifen prägen und hauptsächlich von Stenotypisten eingesetzt wurden. Diese Entwicklung ermöglichte Blinden den Beruf des Stenotypisten zu ergreifen, was aber aufgrund der Entwicklung digitaler Alternativen wieder an Bedeutung
Niederländisches ABC-Buch mit Brailleschrift
verloren hat.
Braille Etikettendrucker Um Dinge des täglichen Lebens, aber auch technische Bedienelemente an der Kaffeemaschine, Herd, Stereoanlage, Türklingel usw. auf einfache Weise für Blinde lesbar zu machen, gibt es leistbare, einfach zu bedienende Handdrucker für Klebeetiketten. Eines der schönsten mir bekannten Anwendungsbeispiele ist die elektronische Orgel des leider verstorbenen blinden Musikers Ray Charles, dessen elektronisches Piano mit solchen Braille Etiketten markiert im Smithsonian Institute in Washington zu bewundern ist. [5]
Braille Drucker Schon bald nach der Verbreitung von PCs kamen auch erste Braille-Drucker auf den Markt. Damit kann jeder Brailleschriften verfassen und in kleiner Auflage herausgeben. Neuere Drucker haben zusätzlich SchwarzschriftDruck, die den in Braille gedruckten Text begleitend abbilden, um Sehenden das Mitlesen zu ermöglichen, was beispielsweise im Ausbildungsbetrieb große Vorteile bietet. Wer größere Auflagen von Druckwerken in Braille herauszugeben beabsichtigt, wendet sich am besten an Spezialdruckereien wie beispielsweise das Bundes Blinden Institut (BBI) in Wien oder die Deutsche Zentralbü-
Klassische Handhaltung beim Lesen
cherei für Blinde zu Leipzig (DZB): www.dzb. de
Bücher und andere Publkationen in Blindenschrift Druckereien für Brailledruck stellen umfangfreiche Blindenschriftbücher und Zeitschriften her, die man käuflich erwerben kann. Allerdings müsste ein Sehgeschädigter beim Kauf eines Buches mindestens den drei- bis fünffachen Preis bezahlen. Es besteht aber auch die Möglichkeit, sich bei zentralen und überregionalen Bibliotheken Bücher, Magazine und andere Schriften zu leihen. Der Grund für die hohen Preise liegt vor allem darin, dass Brailleschrift einen wesentlich größeren Platzbedarf im Vergleich zur Schwarzschrift hat und dickeres Papier benötigt, um die geprägten Zeichen dauerhaft lesbar zu erhalten. Außerdem ist der Druckvorgang wesentlich aufwendiger. Der Einsatz von Kurzschrift kann das Platzproblem reduzieren, aber nicht lösen. Taschenbücher benötigen bereits ein oder mehrere Ringordner. Ein Lexikon allein würde ein ganzes Bücherregal belegen. Diese Benachteiligung kann heute durch die Anwendung elektronischer Braillezeilen samt Screenreader-Software, als E-Book oder in sonstigen Formaten veröffentlichte Schriften einigermaßen behoben werden. Auch einige Tageszeitungen sind dank vieler
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Online-Angebote inzwischen mittels Computer und Screenreader frei im Internet zugänglich.
Bibliotheken für Blinde In diesem Zusammenhang wäre es sicher wünschenswert, wenn zumindest die größeren Bibliotheken in den Landeshauptstädten einen Blindenleseplatz zur Verfügung stellen, wobei auch aufgrund der geringen Nachfrage gespart wird. Die Nachfrage kann man aber nur erreichen, indem man mit den lokalen Interessensvertretungen für Blinde kooperiert, damit diese in ihren regelmäßigen Aussendungen an ihre Mitglieder auch dafür werben. Bibliotheken beherbergen schon lange nicht nur Druckwerke, sondern in zunehmenden Maße auch Tonträger mit Musik, Hörbücher und Hörspiele. Ebenso gibt es großartige Onlineangebote. Der Zugang zu gedruckten, noch nicht digitalisierten Werken ist heutzutage mit einem einfachen Flachbettscanner und sogenannter OCR-Software technisch leicht zu ermöglichen. Bereits 1978 entwickelte der Erfinder Ray Kurzweil [8] eine Software, die Blinden Texte in Schwarzschrift vorlesen konnte. Große Bibliotheken, Museen und Archive verfügen inzwischen über komplexe automatisierte Geräte, die ganze Bücher automatisch in Datenbanken speichern können.
„Accessibility“ oder Zugänglichkeit Um überhaupt am Computer arbeiten und navigieren zu können, benötigen Sehbehinderte ein technisches Hilfsmittel, das den Bildschirminhalt in für sie erfahrbare Weise übersetzt. Das ist in erster Linie eine „Screenreader-Software“ für computergenerierte Sprachausgabe, die das Lesen von geschriebenen Texten
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ermöglicht. Weiters ist eine mit dem Computer verbundene Braillezeile für die Anzeige elektronischer Blindenschrift unverzichtbar. Heute ist es üblich, dass blinde Schüler_innen schon früh das Zehnfingersystem auf der landesüblichen Tastatur erlernen. Das ist die wichtigste Voraussetzung für jede Form schriftlicher Kommunikation, Wissensvermittlung und das Verfassen von Texten. Blinde können am Computer nicht mittels Maus navigieren oder Funktionen steuern. Somit ist die Anwendung der Pfeiltasten und des Tabulators von großer Bedeutung. Tastenkombinationen – oder „Shortcuts“ erlauben es, annähernd jede Funktion innerhalb einer Software zu nutzen. Unterstützend können gewisse Tasten mit Braille-Etiketten beklebt werden - jeweils angepasst an die individuellen Bedürfnisse des Anwenders. Zugänglichkeit oder Accessibility von Webseiten, deren Architektur vordergründig grafisch aufgebaut ist, erfordert die alternative Bereitstellung von Information. Bilder und grafische Darstellungen sind nur schwer übersetzbar, aber zumindest können Metadaten in Form von Bildbeschreibungen an optische Elemente angeheftet werden, die dann über Sprachausgabe und Braillezeile lesbar werden. Inzwischen erweitern manche aktuellen Tageszeitungen, Magazine und Fachblätter den Zugriff für Sehgeschädigte, auch wenn es einen Mehraufwand für die Redaktionen bedeutet. Im Folgenden möchte ich noch darauf hinweisen, dass Blinde Musik, Bücher und Hörspiele am Computer nicht nur konsumieren, sondern auch selbst produzieren können.
Berufe für Blinde Blinde Menschen haben meist ein sehr fei-
©© Aleja Laiton | flickr
über übersetzen von einem ins andere: wie eine pflanze aus dem alten topf nehmen und sie behutsam hinüber tragen zum neuen, größeren. dort einsetzen, auf dass sie weiter wachse, sich in ihrem wachstum ausbreiten könne. „übertragen“ kann man auch sagen; was dem lateinischen „translatum“ entspricht. das eine spricht aus dem anderen heraus. und wie ich die pflanze erst einmal aufheben, in die hand nehmen muss, so muss ich auch der sprache erst einmal zuhören, damit etwas aus ihr sprechen kann. wenn ich ihr beim „übersetzen“ zuhöre, dann spricht auch das rauschen des wassers aus ihr. mit dem boot hinüber über den fluss. freilich, der akzent ist woanders und sie übersetzt nicht, sondern setzt über. aber so großzügig will ich sein und den beiden dennoch eine verwandtschaft unterstellen. beim übersetzen über den fluss fällt mir ein früher morgen am ganges ein: am einen ufer varanasi, die heilige stadt; vom wasser führen schier endlose stufen hinauf zu den palästen. das andere ufer wie eine ahnung im nebel. unbebaut, weite fläche, nichts konkretes. dazwischen boote, die sich langsam über den fluss bewegen oder am ufer entlang. so stelle ich mir den lethe vor. der indische fährmann in seinem bunten lunghi ein charon, der die toten hinüber und die ungeborenen herüber bringt. „the river of oblivion“. wer ihn durchquert, vergisst. 226
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©© Arian Zwegers | flickr
setzen manchmal jedoch, so heißt es, gibt es einen oder eine, die sich erinnert. „aletheia“ war das griechische wort für „wahrheit“: das, was dem lethe nicht zum opfer fiel. what was not lost in translation. wahrheit ist erinnerung – erinnerung an die andere seite. an die, die offen ist und weit, undefiniert, eine ahnung. und auch das ist eine übersetzung. vom großen ins kleine und vom kleinen ins große. vom konkreten ins offene, und vom offenen ins konkrete. von der sprache ins bild und vom bild in die sprache. eigentlich sollte es um „übersetzung im theater“ gehen. aber ist nicht alles theater ohnehin übersetzung? alle kunst? eine übersetzung für das, was die sprache des alltags nicht fassen kann. ein boot, das beladen wird mit schatten aus dem ungewissen – und das auf der anderen seite bettler und königinnen in die paläste und hütten entlässt. woher kommen sie? ist ihr auftauchen weniger wunder als das des neugeborenen, das eben noch nicht auf der welt war? woher kommt der neue mensch? und wo geht der alte hin? was trägt der könig unter seinem mantel, wenn er dem boot entsteigt? theater als versuch der erinnerung. eine brücke über den lethe – oder ein boot. manchmal, in besonders gnädigen momenten, gelingt die übersetzung. ursula reisenberger | regisseurin „ortszeit“ bn 2019 / 2
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Die Gauß‘sche Hausbibliothek oder Wie übersetzt man Menschen?
Eine lange Zeit nicht wahrgenommene Einprägung im Brieföffner, Tassen mit Städtewappen oder ein Bleistiftspitzer in der Form eines Globus - in 38 Essays dienen sie und viele weitere vielfach unscheinbare Gegenstände aus dem unmittelbaren Wohnumfeld des Autors als Türöffner in eine gleichermaßen biografische wie geistesgeschichtliche Welt aus Erinnerung und Reflexion, aus Suchbewegungen und Erkenntnissen, aus Gedanken und Gefühlen. Vom Hundertsten ins Tausendste. Was bei oberflächlicher Lektüre als lose Aneinanderreihung literarisch eleganter ?? erscheint, bekommt bei genauerem Blick oder wiederholter Lektüre zunehmende Tiefe, verbunden mit der Einladung, die wiederkehrenden Motive
Gauß, Karl-Markus: Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer / Karl-Markus Gauß. - Wien : Paul Zsolnay Verlag, 2019. - 220 S. ISBN 978-3-552-05923-8 fest geb. : ca. € 22,70
Es ist die fein entwickelte Methode des Essayisten, hinter seinen detailverliebten und wie zufällig erscheinenden Zugängen in die Welt, in den LeserInnen die Vorstellung eines größeren Gesamten Anfang der 1990er-Jahre erschienen Bücher wie „Das magische Auge“, die mit dem Phänomen faszinierten, dass man in den regelmäßigen Mustern der grafischen Oberfläche bei richtiger Distanz und hochkonzentriertem Blick plötzlich dahinterliegende Motive in plastischer Eindringlichkeit sehen konnte. Weniger eindeutig und dramatisch auf einen Augenblick hin gerichtet, lässt sich das gleiche Prinzip auch Vexierbilder Nach und nach ensteht das Detail kreuzt sich mit dem Biografischen
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Zufälle und Antriebe anvertraut 38 Essays und die Kunst, die Vorstellung eines größeren Gesamten aus dem Detail zu erschließen. Gegenrichtung zum Plationismus - Spurensuche in der Gegenrichtung. das Kochbuch der Großmutter „Hatschek“ - die spät wahrgenommene Einprägung eines Brieföffners führt den Autor auf die Spur einer über drei Generationen erfolgreichen Unternehmersfamilie, findigen Unternehmers und Der Name Hatschek, eingeprägt in einen Brieföffner, Der Einprägung eines Brieföffners folgend, führt uns der Autor über das mährische Těšetice in der oberösterreichische Vöklabruck und wieder zurück nach Zlín, immer auf den Spuren der Familie Hatschek. Die mir einst regelmäßig Briefe schrieben, sind tot, verstummt, von mir enttäuscht oder nach und nach aus der Wirklichkeit der persönlichen Wörter in die digitale Welt der vorgegebenen desertiert. (18) Die Geschichte einzelner Bücher oder das Anwachsen bzw. Überborden der eigenen Bibliothek ist eines der wiederkehrenden Zentralthemen. 38 Texte - ausgelöst von scheinbaren Zufälligkeiten, zielen sie doch auf ein gemeinsames Zentrum und legen Bilder übereinander. Aneinandergereiht ergibt das eine gleichermaßen anregende wie originelle literarische
Erzählspur, die soziale und geisteswissenschaftliche Prozesse mit konkreten Menschenschicksalen verbindet - auch mit denen der eigenen Person und Familie. Bei genauerer oder wiederholter Lektüre treten aus den einzelnen Abschnitten Motive hervor, die sich in ihrem Zusammenspiel ihre eigene mögliche Geschichte schreiben. So ist für mich eine Mentalitätsgeschichte hervorgetreten, die sich um folgende Bezugspunkte dreht: In den politischen Wirren um Südtirol kam 1941 der Schwiegervater des Autors nach Salzburg, 1944 musste die Familie des Autors die Batschka verlassen. Es sind die Schicksale und Erfahrungen von Vertriebenen und der Traum von Behausung, die hier in einer Salzburger Wohnung zusammenziehen. Salzburg wird der perspektivische Fluchtpunkt, von dem aus auf versunkene und neu erwachsende Welten geschaut wird, Im Dreieck von Salzburg, Meran und der Batschka könnte eine emotionale Hauptblickrichtung gesucht und gefunden werden die emotinale Blickrichtung findet In der vielfältigen kulturellen Welt zwischen Meran und der Batschka liegt fortan die Hauptblickrichtung des Salzburger Autors, der in der Form des Essays seine geistesgeschichtlichen Erkundungen betreibt. Seelengeografisch. Da ist ein Schwiegervater, der
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Perspektiven junger LeserInnen
Hollingsworth, Alyssa: Einmal Pech und elfmal Glück / Alyssa Hollingsworth. Ill. von Cornelia Haas. - Bindlach : Loewe, 2019. - 348 S. ISBN 978-3-7432-0160-6 fest geb. : ca. € 15,40
Sarah Atzelsberger
Als die Rubab, ein Musikinstrument aus Afghanistan, von seinem Großvater gestohlen wird, muss Sami sie unbedingt zurückbekommen. Doch das ist nicht so leicht, wie es scheint. (ab 11) (JE)
Nach einem Anschlag bei einer Hochzeit mussten Sami und sein Großvater Baba aus Afghanistan flüchten. Seine Eltern und weitere Angehörige starben. Die Rubab ist das Einzige, das Sami und sein Baba noch aus ihrer Heimat haben. Als diese gestohlen wird, macht sich Sami auf die Suche. Er findet sie in einem Musikgeschäft, wo sie für 700 Dollar zum Verkauf angeboten wird, aber er hat kein Geld. Trotzdem verspricht er, das Geld zu beschaffen. Der Verkäufer reserviert sie für einen Monat. In der Schule tauscht Sami einen Schlüsselanhänger gegen einen iPod. Doch dieser funktioniert nicht. Ein Klassenkamerad repariert ihn und nimmt
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ihn zum Fußballtraining mit, wo er immer weitere Tauschgeschäfte macht... Ein vielseitiges Buch aus Samis Sicht in der Ich-Perspektive. Alyssa Hollingsworth berichtet über das Leben in der islamischen und afghanischen Kultur, über Flüchtlingsschicksale, über Freundschaft und darüber, dass man in einer Familie zusammenhält und wie wichtig es ist, auch in schwierigen Situationen nicht aufzugeben. Mir hat das Buch gut gefallen und ich finde es ist sehr empfehlenswert für Bibliotheken, weil es deutlich macht, wie schwer es Menschen anderer Herkunft haben. Sarah Atzlesberger (12 Jahre)
Englisch-Lesestunden mit hohem Spaßfaktor in der Bibliothek-Ludothek St. Vitalis Lesen ist nicht nur ein fantastisches Hobby, sondern gehört auch zu den fundamentalen Fähigkeiten in unserem Leben. Darüber hinaus erweitert Lesen unsere Sprachentwicklung, sowohl in der Muttersprache als auch beim Erlernen von Fremdsprachen. Seit Februar 2019 biete ich aus diesem Grund an der Öffentlichen Bibliothek– Ludothek St. Vitalis in Salzburg einen Junior English Book Club für interessierte Jugendliche an, die seit mindestens zwei Jahre Englisch lernen. Als Englischlehrerin an einer Neuen Mittelschule habe ich viel Erfahrung sammeln können, wie ich Schüler und SchülerInnen motivieren kann, mehr zu lesen und ihnen zu helfen, möglichst viel aus der Leseerfahrung mitzunehmen. Einmal im Monat treffen wir uns in der Bibliothek St. Vitalis, in der ich seit 2010 als ehrenamtliche Mitarbeiterin tätig bin. Der Fokus liegt dabei insbesondere auf dem Spaßfaktor - Jugendliche sollen in frei von Notendruck lesend Englisch lernen. In unserer ersten Stunde lasen wir die Geschichte „The Big Winner“ von Judy Blume, die der zehnjährige Peter Warren Hatcher erzählt, dessen zweieinhalbjähriger Bruder Fudge seine auf einer Geburtstagsparty gewonnene
Schildkröte verschluckt. (aus: a Fourth Grade Nothing)
Tales of
Bei unserem zweiten Treffen stand The Speckled Band, eine Sherlock Holmes-
Detektivgeschichte von Sir Arthur Conan Doyle, auf dem Programm.
Im April lasen wir The Legend of Spud Murphy (Tim und das Geheimnis von Knolle Murphy). In dieser Geschichte werden Tim und sein Bruder Marty dazu verdonnert, während der Sommerferien drei Nachmittage pro Woche in der Bücherei zu verbringen. Eine lesenswerte und komische Geschichte für jedes Alter. Mehrere Gründe sprechenfür das regelmäßige Lesen von Englischbüchern. Einerseits hilft es, den Wortschatz zu erweitern, andererseits ein besseres Gefühl für sprachliche Strukturen zu bekommen und „last but not least“ eine Liebe zum Lesen zu entwickeln. Für mich persönlich ist es eine Freude zu erleben, wie Jugendliche über sich hinauswachsen. Die ersten Male noch zurückhaltend und schüchtern überwinden sie beim dritten Mal ihre Angst und lesen selbstbewusst vor. Margit Duringer-Schwarz
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Severus Snape und das Evangelium des Judas Kennen Sie den „Severus Snape“ des Neuen Testaments? Zugegeben, der Vergleich einer Figur aus dem Harry Potter-Universum mit einem der Antihelden der etwa 2000-jährigen neutestamentlichen Passionserzählungen mag zunächst ein wenig befremdlich wirken, doch zeigen sich bei genauerer Betrachtung erstaunliche Parallelen. Sechs Harry Potter-Bände lang wandelt die geheimnisvoll-finstere Gestalt des Lehrers für „Zaubertränke“, Severus Snape, mit wehendem Umhang durch die Gänge der Zauberschule Hogwarts, bevor sie sich – so scheint es jedenfalls – durch Verrat und Ermordung des Schulleiters Albus Dumbledore als Bösewicht enttarnt. In einer dramatischen nächtlichen Szene wird Dumbledore von einer Truppe von „Todessern“, den Schergen Lord Voldemorts, gestellt, als deren Anführer sich Snape letztlich erweist. Ein ganz ähnlicher Verrat aus den eigenen Reihen ereignet sich dem Zeugnis des Neuen Testaments zufolge eines nachts im Garten Getsemani. Es ist ausgerechnet ein Mitglied des engsten Jüngerkreises um Jesus, der die Bande derer anführt, die ihn verhaften. Dieser Umstand wird durch die in auffallender Häufigkeit mit der Erwähnung des Judas einhergehende Näherbestimmung „einer der Zwölf“ hervorgehoben.
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Seine Tat beschert Judas Iskariot eine beispiellose Wirkungsgeschichte, die ihn bis zum heutigen Tag zum paradigmatischen Verräter stempelt. Judas, das Instrument des Teufels (vgl. Lk 22,3; Joh 13,2.27), hat seine Entsprechung in Snape, dem Handlanger Lord Voldemorts. Doch folgt im finalen Band der Harry Potter-Sage die Rehabilitierung Snapes, der, wie sich herausstellt, selbstlos im Auftrag Dumbledores und dessen verborgenem Plan entsprechend gehandelt hatte. Damit kommen die Übereinstimmungen mit Judas Iskariot an ihr Ende – zumindest, wenn man die neutestamentliche Überlieferung als Vergleichsfolie heranzieht.
Parallelen in den Apokryphen Ein Blick in die apokryphe Literatur tut freilich noch weitere Parallelen auf: Interessant ist hier vor allem die Interpretation des Judas in einem nach ihm benannten koptischen Text aus dem 4. Jh: Das erst 2006 veröffentlichte „Evangelium des Judas“ geht vermutlich auf einen nicht erhaltenen griechischen Text aus dem 2. Jh. zurück und stellt Rolle und Motivation des Judas in einem ganz eigenen Licht dar. Es enthält Gespräche Jesu mit seinen Jüngern in den Tagen vor der Passion, wobei Judas insofern eine Vorrangstellung im Jüngerkreis einnimmt, als ihm allein – ganz ähnlich wie Snape – geheime Sonderoffenbarungen zuteil werden. Im Zuge dieser kündigt Jesus auch den Verrat durch Judas an, der da-
mit unausweichlich erscheint. Der gnostische Text erlaubt auch eine positive Deutung des Judas, dessen Verrat Jesus gewissermaßen dazu verhilft, seine materiell-irdische Hülle abzustreifen und in höhere Sphären zurückzukehren.
„Verraten“ oder „ausliefern“? Historisch wird man der Darstellung der neutestamentlichen Evangelien hier wohl eher vertrauen dürfen, doch ist auch darin die Darstellung des Judas nicht ganz so schwarz, wie ihre Wirkungsgeschichte annehmen lässt. Gerade die Revision der Einheitsübersetzung der Bibel (2006-2016) gibt Anlass, die übliche Interpretation der Judasfigur zu hinterfragen. Durch die den Ausgangssprachen nähere Übersetzung wird das im Zusammenhang mit Judas wiederholt gebrauchte Verb „paradidomi“ nämlich in der revidierten Fassung nicht mehr mit „verraten“, sondern richtiger mit „ausliefern“ übersetzt. Hier schwingt ungleich mehr mit: Das weite Bedeutungsspektrum des Verbs „ausliefern“ umfasst z.B. auch die (Selbst-)Hingabe Jesu (etwa Röm 4,25; Gal 2,20) oder die Überlieferung der alttestamentlichen Schriften. So wird immerhin die Frage der Motivation des Judas offen gelassen und die Etike�erung als „Verräter“ (mit Ausnahme von Lk 6,16) vermieden. Die neue Einheitsübersetzung mag an manchen Stellen vielleicht sperriger oder fremder klingen, aber gerade dadurch bringt sie auch neue Sinndimensionen zutage und lädt zu immer neuer Auseinandersetzung mit biblischen Texten und Figuren ein.
Weiterführende Hinweise: Wrembek, Christoph: (K)eine Chance für Judas? Wie barmherzig wir Gott denken dürfen. München-Zürich-Wien 2019.
Zahlreiche weitere neutestamentliche Motive und Bezüge in den Harry Potter-Büchern hat Christoph Niemand, Professor für neutestamentliche Bibelwissenschaft an der Katholischen Privatuniversität Linz, aufgespürt: Niemand, Christoph: Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod (1 Kor 15,26) Das ideologische Subskript in den Harry-Potter-Romanen J.K. Rowlings als Phänomen biblischer Intertextualität. In: Wandinger, Nikolaus (Hg.): Im Drama des Lebens Gott begegnen. Einblicke in die Theologie Józef Niewiadomskis, Wien 2011, 454-478.
Barbara Lumesberger-Loisl Österreichisches Katholisches Bibelwerk
Das Österreichische Katholische Bibelwerk trägt und begleitet die Aktion „Jahre der Bibel“: www.jahrederbibel.at
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„kann denn jedes wort den übergang riskieren?“ 1 : vom Lesen als Über-Setzen
Was passiert, wenn wir ein Buch aufschlagen und zu lesen beginnen? Wie kommt der Text zum Leser? Und wie die Leserin in den Text? Wie setzen wir über in die Welt der Literatur? Und wer steuert die Überfahrt? Was, wenn der Text Schaden nimmt? kann denn jedes wort den übergang riskieren? Wer weiß, wie es ankommt auf der Seite der Leserschaft? wird das blau der akelei ein violett sein, wenn es ankommt auf der anderen seite? 2 Immer geht etwas verloren, immer kommen neue Bedeutungen hinzu. Und das nicht nur beim Übergang in eine andere Sprache … Und was riskiere ich als Leserin? Wer weiß, was mich erwartet beim Lesen? Immer lauern Unwägbarkeiten. Wo werde ich da hineingezogen? Welche Emotionen wird der Text in mir wecken? Was werde ich „auflesen“ am Ufer? Und damit sind nicht nur die Buchstaben gemeint … Im alltäglichen – und besonders im beruflichen – Umgang beschränkt sich Lesen oft auf das Aufnehmen von Informationen. Ein guter Sachtext erklärt uns ein Thema möglichst vollständig und eindeutig; eine gute Gebrauchsanleitung sagt uns klar und strukturiert, wie wir vorgehen sollen; im besten Fall bleiben
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keine Fragen offen. Die „Überfahrt“ verläuft nach Plan, heute wie morgen, und für alle Passagiere in gleicher Weise. Literarische Texte hingegen begnügen sich nicht mit der Weitergabe von Informationen; sie wollen mehr und anderes. Sie fordern die Lesenden auf, selber aktiv zu werden, Leerstellen zu füllen, zu deuten, eigene Assoziationen einzubringen, den Text zu befragen, zu „übersetzen“, ja neu zu erfinden. Wer das Ruder selber in die Hand nimmt, kann sich eigene Fährrouten suchen und neue Anlegestellen probieren. Aus der „Linienschiffahrt“ wird ein persönliches Boots-Abenteuer mit ungewissem Ausgang. Dennoch gibt es natürlich auch Regeln und Fahrpläne für die Lektüre literarischer Texte. Und so bietet der Fernkurs der Literarischen Kurse seinen Teilnehmenden ein „Handwerkszeug“ fürs Lesen an. Kenntnisse über Textformen und Gattungen, über Interpretationsmethoden und Lesarten, über die Möglichkeiten des Erzählens etc. können helfen, Zugänge zu Texten zu finden. Wenn sich Leserinnen und Leser aber nicht mit ihren eigenen Erfahrungen einbringen, bleibt es bei einer rein technischen Trockenübung. Die literarische Seefahrt bleibt aus.
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Fernkurs für Literatur
Brigitte Schwens-Harrant, eine der FernkursAutorinnen, hat dafür in Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ ein anschauliches Beispiel gefunden. Die Figur Humboldt „liest“ darin ein Gedicht Goethes so, als wäre es ein Sachtext: Geschichten wisse er keine, sagte Humboldt und schob seinen Hut zurecht, den der Affe umgedreht hatte. Auch möge er das Erzählen nicht. Aber er könne das schönste deutsche Gedicht vortragen. […]: Oberhalb der Bergspitzen sei es still, in den Bäumen kein Wind zu fühlen, auch die Vögel seien ruhig, und bald werde man tot sein. 3 Nein, das kann nicht alles gewesen sein, da geben wir dem fiktiven Zuhörer Humboldts Recht. Der Fernkurs für Literatur ist deshalb auch eine Einladung, sich den Risiken des Lesens auszusetzen, mit den Texten in einen Dialog zu treten und so neue Zugänge zu entdecken. 1 Verszeile aus dem Gedicht „übersetzen“. - in: Maja Haderlap: langer transit. Gedichte. Göttingen: Wallstein 2014, S. 30. 2 ebd. 3 Daniel Kehlmann: Die Vermessung der Welt. - Reinbek: Rowohlt 2005, S. 128. Vgl. Goethes Verse: Über allen Gipfeln / Ist Ruh´/ In allen Wipfeln / Spürest Du / Kaum einen Hauch / Die Vögelein schweigen im Walde. / Warte nur! Balde / Ruhest Du auch.
Der nächste Fernkurs für Literatur „einLESEN“ startet im Oktober 2019.
Nähere Informationen Literarische Kurse Stephansplatz 3 • 1010 Wien T. +43/1/51552/3711 office@literarischekurse.at www.literarischekurse.at
Das Österreichische Bibliothekswerk unterstützt als Kooperationspartner den Fernkurs für Literatur - für Mitglieder gilt die ermäßigte Kursgebühr.
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Text und Illustration: Bettina Bexte
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Foto: ©Marian Wilhelm
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L E S E B I L D E R BILDERLESEN
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Tugend und Leidenschaft : die Welt der Farbholzschnitte des Suzuki Harunobu (um 1725-1770) Nachdenklich blickt eine junge Frau über die Landschaft, sie ist in einen kostbaren Kimono gehüllt und hockt, das Kinn auf ihrem Arm gestüzt, auf einem Eckbalkon unter einem Ahornbaum. Auf dem niedrigen Schreibtisch vor ihr sind Bücher, Papier und Schreibutensilien ausgebreitet. Ein Fischerboot auf dem idyllischen See Biwa und der aufgegangene Vollmond tragen zur ruhigen Stimmung bei. Das Schriftband am Bildrand erklärt: Wohlwollen zu kennen und nach Güte zu streben: das ist wahre Treue“ Die dargestellte Frau ist die ehemalige Hofdame Murasaki Shikibu (um 978-1014), deren gesellschaftlicher Roman „Die Geschichte vom Prinzen Genji“ äußerst beliebt war. Er thematisierte auf lockere Art das soziale Leben des Adels und war für jeden zugänglich, seine Übersetzungen im 19. Jhd. prägte auch das westliche Bild auf den fernöstlichen Inselstaat Japan.
die Inseln zu betreten. In strengen gesellschaftlichen Strukturen organisiert, war in Japan das Handwerk zu einzigartiger Kunstform erblüht. Eine wesentliche Stellung nahm ab dem 17. Jahrhundert der Handel mit Holzschnitten ein - ein frühes Massenmedium für das breite Volk, das zum Gegenwert einer Schale Reis erhältlich war. Der Künstler fertigte eine mit Pinsel gemaltes Blatt an, das vom Holzschneider in den Druckblock übertragen wurde. Suzuki Harunobu war einer der ersten Künstler, die im 18. Jahrhundert mit vielfarbigen Holzschnitten die zuvor monochromen Bilder ersetzten.
Der anmutige Farbholzschnitt von Suzuki Harunobu von 1767 gehört zu einer Serie über die fünf Kardinaltugenden und trägt den Titel Treue (Shin). Warum hat der Künstler wohl die berühmte Dichterin zum Sinnbild gewählt? Vermutlich, weil sie ihre hohe Stellung an Hof aufgab, um nur sich selbst und der Dichtkunst treu zu sein.
Als Einzelblätter, Buchillustration oder austauschbare Kalenderblätter waren diese in großer Stückzahl herstellbaren Werke bei allen Gesellschaftsschichten äußerst beliebt. Motive waren vor allem Ansichten berühmter Städte wie Edo (das heutige Kyōto) und Natur- oder Landschaftsbilder wie etwa die des Berg Fuji. Einen besonderen Stellenwert hatten die Bijin-ga, die Abbildungen schöner Frauen wie Geishas, Kurtisanen oder Berühmtheiten. Natürlich sind hier auch die Shunga zu nennen, deren sehr freizügigen, erotischen Darstellungen zwar offiziell verboten waren, sie aber nur umso beliebter machten.
Zur Zeit der Entstehung dieses Bildes hatte sich Japan über mehrere Jahrhunderte komplett von der Außenwelt abgeschottet, erst ab 1854 war es Ausländern wieder erlaubt,
Mit dem Ankommen westlicher Schiffe Mitte des 19. Jhd. fanden die japanischen Farbholzschnitte ihren Weg nach Europa, wo sie von europäischen Künstlern wie van Gogh, Gau-
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Suzuki Harunobu: Treue (Shin) aus der Serie Fünf Kardinaltugenden 1767, 22,2 x 29,4 cm
guin oder Klimt hochgeschätzt wurden und Anregungen für ihr eigenes Werk gaben. Der von klaren Umrisslinien und strahlenden Farben geprägte Stil inspirierte Kunstrichtungen wie den Symbolismus, den Jugendstil und den deutschen Expressionismus nachhaltig. Der Japonismus wurde allgemein modern und zog sich in westlichen Interpretationen vom Möbeldesign bis zur Mode. Auf dem Farbholzschnitt Mitate no Kinko von Suzuki Harunobu befindet sich die dargestellte Leserin in einer ungewöhnlichen Situation. Es handelt sich um ein Mitate-e, einer Parodie, in diesem Fall auf den chinesisch taoistischen Weisen Kinkō, der in seinem langen Leben jahrelang auf einem Karpfen ritt. Hier wird der unsterbliche Weise einfach durch eine hübsche Kurtisane ersetzt, die mit völlig ungerührten Blick eine lange Briefrolle liest und damit im Gegensatz zu ihrem wehenden Umhang mit einem schönen Muster von
schneebedeckten Kiefern steht, besonders aber zum riesigen Körper des Karpfens, der mit kräftigen Flossenschlag das Wasser um ihn herum aufwirbelt. In den anmutigen Schlingen und Kurven der Kleidung und des Wassers lässt sich leicht erahnen, warum diese Formensprache so leicht in die des Jugendstils übersetzt wurde. So fruchtbar dieser Kulturaustausch hier auch war, so führte in Japan die Einführung westlicher Drucktechniken und besonders die Fotografie zum Untergang der fast 300 Jahre währenden Kunst der Ukiyo-e. Die Faszination ihrer besonderen Ästhetik ist jedoch bis heute ungebrochen.
Mag. Doris Schrötter, Graz. Kunsthistorikerin, Bibliothekarin und Rezensentin der bn
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Girl / Regie: Lukas Dhont. Darst.: Victor Polster, Arieh Worthalter, Oliver Bodart.... - Universum Film GmbH, 2018. - 1 DVD (101 Min.) FSK: ab 12. Sprache: Deutsch, Französisch, Flämisch. Untertitel: Deutsch ca. € 12,99
In warmen Farben und weichen Texturen erzähltes Innerlichkeitsdrama über ein 15-jähriges Transgender-Mädchen im harten Training für eine Laufbahn als Ballerina. Der belgische Filmemacher Lukas Dhont erzählt in seinem berührenden Spielfilmdebüt von einem Mädchen, das im Körper eines Jungen geboren wurde und davon träumt, Ballerina zu werden. Das „und“ ist für den Film entscheidend. Denn weder ist das Tanzthema Subplot des Transgender-Dramas noch das TransgenderDrama dem Tanzfilm untergeordnet. Es geht in „Girl“ vielmehr um die Arbeit und um das Leiden am Körper: auf der einen Seite das harte Balletttraining in der Tanzakademie,
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auf der anderen die Belastung, die der männliche Körper für Lara bedeutet. Ein Körper, den zu verstecken sie einigen Aufwand und Schmerz in Kauf nimmt – etwa wenn sie sich vor dem Training regelmäßig tapt – und der ihr trotz Hormonbehandlung und bevorstehender geschlechtsangleichender Operation sein Falschsein jeden Tag vor Augen führt. „Alles, was du sein wirst, bist du schon jetzt“, sagt einmal der Therapeut. Er wird am Ende nicht Recht behalten.
FILMDIENST bietet Kritiken, Berichte, Interviews und Hintergrundinformationen aus der Welt des Kinos und des Films sowie eine Übersicht über das Filmangebot im Fernsehen und bei Online-Streaminganbietern.
Das Ringen mit dem eigenen Körper Der Film gibt Laras innerem Prozess, bei dem Geschlechtsumwandlung, Tanztraining und Pubertät immer mehr kollidieren, viel Raum, auch indem er gesellschaftliche und sonstige Hürden weitgehend ausschaltet. Die Konkurrenz, der Wettbewerb und die Machtbeziehungen, all die Themen, aus dem noch fast jeder Tanzfilm gemacht scheint, werden in „Girl“ zugunsten von „reinen“ Körperbildern zurückgedrängt. Man sieht die Sprünge, den Tanz auf den Spitzen, die Drehungen, das Tempo, die Choreografie, die Körperhaltung, das angespannte Gesicht von Lara, immer wieder auch ihre geschundenen, blutigen Füße. Mit Ausnahme einer erniedrigenden Sze-
Bestandteil des Portals ist das Lexikon des internationalen Films, dessen vollständiger Zugang für eine geringe Jahresgebühr erhältlich ist. Das Onlineportal erreichen Sie unter: www.filmdienst.de
ne, in der Lara von ihren Mitschülerinnen gezwungen wird, sich zu entblößen, finden Abstoßungen und Verwerfungen ausschließlich innerhalb des Mädchens selbst statt. Das familiäre Umfeld, unterstützt von einer mitfühlenden Ärztin und einem nicht minder mitfühlenden Therapeuten, ist dagegen ein Muster an Inklusion. Der alleinerziehende Vater tut alles, um seine Tochter zu unterstützen – und kann ihr in der sich immer mehr zuspitzenden Krise dennoch nicht helfen. Hilflos muss er zusehen, wie Lara ihm entgleitet, sich immer mehr zurückzieht in ihren Schmerz, den mitzuteilen ihr nicht möglich ist. Aber auch der Zuschauerin kommt Lara in den wattierten Schichten der Erzählung gegen Ende ein wenig abhanden. aus der FILMDIENST-Kritik von Esther Buss
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Raus auf den Balkon! : das große Handbuch für kleine Gärtner / Thierry Heunick . Aurore Petit. Aus dem Franz. von Sarah Pasquay. - München : Knesebeck, 2019. - 60 S. : zahlr. Ill. (farb.) ISBN 978-3-95728-273-6 fest geb. : ca. € 16,50
LESEN
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Thierry Heuninck, französischer Autor mehrerer Garten- und Kinderbücher, transportiert in dem von Sarah Pasquay gut verständlich übersetzten Mitmachbuch für naturverbundene SachbuchleserInnen ab 6 Jahren seine eigene Begeisterung für Pflanzen. Eine ideale Ergänzung sind die mit schwarzer Tusche klar konturierten, am Computer mit kräftigen Farben flächig ausfüllten Illustrationen von Aurore Petit. Anfangs verschafft ein verständliches Inhaltsverzeichnis einen guten Themenüberblick, ein kurzes Glossar am Buchende erklärt wichtige Fachausdrücke. In der Einleitung werden die Jahreszeiten knapp beschrieben, dann folgt der wichtige Appell vor allem regionale, saisonale Obst-und Gemüsesorten zu verzehren. Außerdem wird erklärt, was Gemeinschaftsgärten sind und wann man von biologischer Landwirtschaft spricht. Ein übersichtlicher Saisonkalender zeigt, was bei uns wann geerntet wird und hilft bei der Planung
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für den eigenen Anbau. Kindgerecht werden Fotosynthese, Bestäuben und die gegenseitige Schutzfunktion von Pflanzen erläutert. Danach wird kurz die geeignete Ausstattung für kleine GärtnerInnen, Gewand und Werkzeuge, präsentiert. Pro vorgestellter Gemüse- oder Obstsorte folgt auf jeweils vier übersichtlich gestalteten Seiten eine Auflistung der benötigten Materialien, eine klare Pflanzanleitung, ergänzt mit wertvollen Tipps und historischen Anekdoten. So erfahren kleine LeserInnen unter anderem etwas über die mexikanische „Nacht der Radieschen“. So lassen sich die in unseren Breitengraden üblichen Küchenkräuter, Wurzelgemüse wie Radieschen und Karotten, verschiedene Tomaten- und Beerensorten erfolgreich anbauen. Allerdings stellt in österreichischen Gefilden das Anpflanzen von Zitronen, Avocados und Lavendel schon eine größere Herausforderung dar. Versuchen kann man es allemal!
MINT
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Bereits der beschriebene Lauf der Jahreszeiten liefert jede Menge Gesprächsstoff und animiert zu Fragen: Was ändert sich in der Natur im Frühling, Sommer, Herbst und Winter? Welche Obst- und Gemüsesorten werden wann geerntet? Anhand des Saisonkalenders kann man über bekannte und weniger übliche Pflanzenarten sprechen und sie genauer kennenlernen. Wer hat schon mal Saubohnen oder Pastinaken gekostet und wann sollte man sie genießen? Welche Obstsorte kann während vieler Monate des Jahres gegessen werden? Zu welcher Pflanzenart gehören Nüsse?...
Für kleinere und größere Aktionen in der Bibliothek liefert dieses erste Gartenbuch einige Impulse: Anhand der einfacheren Pflanzanleitungen, z. B. für Petersilie, Basilikum oder Erdbeeren, kann in der Bibliothek eine attraktive Blumentopfparade gestaltet werden. Ebenso können Ideen wie das Befüllen von Lavendelsäckchen, das Herstellen einer erfrischenden Zitronenlimonade oder eines schmackhaften Basilikumpestos miteinander verwirklicht werden. In einer bunten Gießkanne serviert, schmeckt angehenden Gärtner*innen ein Saft aus gesunden Zitronen garantiert nochmal so gut! Die auf S 17 gezeichnete kleine Gärtnerin und die Werkzeuge auf der nächsten Seite eignen sich hervorragend als Vorlage für eine Ausschneidepuppe oder/und ein Legespiel. Auf etwas festerem Papier (ca. 160 - 200g) in Farbe kopiert, können diese klar konturierten Illustrationen bereits von jüngeren Kindern selbständig ausgeschnitten werden. Laminiert, mit transparenten Nylonfäden versehen, eignen sich die ausgeschnittenen Teile als Dekomaterial. Elisabeth Zehetmayer
MINT : lesen • sprechen • tun | ein Projekt des Österreichischen Bibliothekswerks in Kooperation mit Stiftung Lesen • Deutsche Telekom Stiftung bn 2019 / 2
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Im Zeichen der MINTasie Aufbruch in die Welt des Wissens Junge PiratInnen entern das Leseschiff der Stadtbibliothek Salzburg Am 22. März - pünktlich zum Weltwassertag - legte das neue Leseschiff der Stadtbibliothek Salzburg in der Kinderbuchabteilung an, um gleich darauf von wild entschlossenen Piratengruppen aus Volksschule und Kindergarten geentert zu werden. Fantasie und Wissensdurst schließen einander nicht aus, und so erstellte die Stadtbibliothek ein Programm, in dem verschiedene Zugänge in unsere Welt ihren Platz und Ausdruck fanden.
Wissbegierige Piraten Ich liebe Menschen und Tiere und vermittle sehr gern mein Wissen. Und Recherche ist mein dritter Vorname. Mit diesen prägnanten Sätzen stellt sich Inga Maria Ramcke auf ihrer Homepage vor. Kurzerhand nahm sie die Kinder mit hinein in die Faszination von Wasser und Meer.
Schiffsehnsuchtsforschung für Fortgeschrittene Dorit Ehlers, Inga Maria Ramcke
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Die Lust am Staunen von Wunderkammern und Expeditionen mit Kindern
von Christa Öhlinger Wunderkammer – welch ein herrliches und verheißungsvolles Wort. Ein Sammelort für die Erkundung der Welt und für exotische Geschichten, ein Sehnsuchtsort für das Wunderbare und Außergewöhnliche, ein Kabinett der Raritäten und Kuriositäten, ein Minikosmos, angeordnet in eleganten Fächern und dekorativen Behältnissen: kostbare Kunstgegenstände, seltene Naturalien, wissenschaftliche Instrumente und Exotisches. Dinge, die man nie zuvor gesehen hat. Seit Jahrhunderten gibt es diese Sammlungen und bis heute atmen wir den Duft der Abenteuer- und Entdeckerlust, wenn wir sie betreten. Absolut Faszinierendes gibt es in alten Wunderkammern zu entdecken: • Eckzähne des Monodon monoceros (Narwal) – bis zu drei Meter lang, strahlend weiß und gegen den Urzeigersinn gedreht, wurden als sagenumwobene Einhörner präsentiert, die in keiner Sammlung fehlen durften und denen magische Kräfte nachgesagt wurden. • Greifkrallen, bei denen es sich in Wirklichkeit um Büffelhörner handelte.
• Meeresbäume, von denen man nicht wusste, ob es sich um Pflanzen, Tiere oder doch um blutgetränkte versteinerte Algen handelte. Korallen waren in Wunderkammern ein absolutes Muss! • Muscheln, allen voran die Nautilusmuscheln, die zu kostbaren Pokalen verarbeitet wurden. • Tierpräparate, Straußeneier, kunstvoll geschnitzte Kokosnüsse mit Menschenfresserszenen, Skelette, Rieseninsekten, Schmetterlinge, „eingemachte“ Tiere in Gläsern, Schildkrötenpanzer, Kannibalengabeln…
Begeisternder Schauer Mit dem erweiterten Radius der Forschungsreisen wurden die Sammlungen immer exotischer und der Drang, einander in Staunenswertem zu überbieten, führte zu maßlosen Übertreibungen, und so fand und erfand man an den Rändern der Erde Bestien und Monster, Fabeltiere und Kannibalengeschichten. Je befremdlicher und furchteinflößender, desto besser! Bis in unsere heutige Zeit ist diese Neigung
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zum Magischen und Monströsen ungebrochen, aber auch die Lust zum Sammeln und Präsentieren! Nachzulesen in Thijs Demeulemeesters „Wunderkammer“ (Prestel 2018).
Dem Charme der Wunderkammer erlegen Mit meiner mobilen Mitmachstation „Spuren lesen“, die ich als praktische Abschlussarbeit des Lehrgangs „Kunst der Vermittlung: Kinderliteratur“ in Renate Habingers Schneiderhäusl aus Karton gebaut habe, hat es begonnen: Ein Kabinett aus Fächern und Laden, Schachteln, Gläsern und Dosen, um Fundstücke zum Thema „Spuren“ zu beherbergen. Bald fanden die Spuren mich. Keine Radausfahrt, keine Wanderung, keine Gartenrunde mehr ohne Fundstücke! Federn, Vogeleier, Skelettteile, Fraßspuren an Zapfen und Nüssen, getrocknete Schlangen, ein Eichelhäher, ein Kauz, ein Bussard am Wegrand, Spechtschmieden, ein mumifiziertes Vogelbaby im Gemüsegarten… Nie und nimmer hätte ich das früher alles gesehen! Zudem habe ich meine Familie auch mit diesem Virus infiziert und muss nun Dependancen zu meiner tragbaren Wunderkammer errichten: Ein Wildschweinunterkiefer passte unmöglich in die Mitmachstation, und so kam mir die Idee der Miniwunderkammern: Ein Karton mit Klappe und Lade zum Thema Wildschwein, oder Waldkauz, oder…. 246
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Mit Kindern auf Expedition Das könnte man doch auch mit Kindern im Rahmen eines Naturworkshops bauen. Man begibt sich mit ihnen auf die Suche und stellt vielleicht auch ein paar Fundstücke und Materialien zur Verfügung: Sachbücher, Bestimmungsbücher, Geschichten, Bilder, Lupe und Mikroskop, Forscherhandbuch und Etiketten, Karteikarten und Bilderrahmen, Pinsel und Kreidefarbe. Mich begeistern Natursachbücher für Kinder, die die Ästhetik der Illustrationen von früheren Forschungsreisenden aufgreifen, z.B. die Bilder der Naturforscherin und Malerin Maria Sibylla Merian (1647 – 1717). Diese Motive lassen mich eintauchen in eine Zeit, in der Wissen und Geheimnis den Betrachter einhüllten. „Bibi Dumon Taks grosse Vogelschau“ (Gerstenberg 2018) oder die Bücher von Katie Scott (zumeist erschienen bei Prestel)gehören in diese Kategorie. Auch erzählende Bilderbücher passen gut zum Thema Spuren und Spurensuche, z.B.: Stian Holes „Morkels Alphabet“, Claudia Boldts „Ferdinand Fuchs frisst keine Hühner“, Maja Kastelics „Luftigruß“ oder Gerda Mullers „Was war hier bloß los?“ Wenn wir davon ausgehen, dass Kinder von Natur aus neugierig und wissbegierig sind, gerne Sachen sammeln und aufheben, dann ist
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das Prinzip Wunderkammer ein ideales Umfeld, um sich eigenständig Weltwissen anzueignen.
Die Welt lesen Alle Fundstücke erzählen Geschichten, die Suche öffnet unsere Augen für die Zusammenhänge in der Natur, bringt uns zum Staunen und lenkt unsere Aufmerksamkeit auch auf die Zerbrechlichkeit unserer Erde, „denn sie ist alles, was wir haben“. Nachzulesen in Oliver Jeffers „Hier sind wir - Anleitung zum Leben auf der Erde“ (NordSüd 2018). Suchen, finden, betrachten, anderen zeigen, abzeichnen, bestimmen, in eine Sammlung (Wunderkammer) integrieren, kommt unserem Forscherdrang sehr entgegen und fasziniert Kinder und Erwachsene. Natternhemd und Larvenhaut Neuntöter und Raubwürger Gewölle und Speiballen Geschmeiß und Gestüber Specht- und Drosselschmieden Kobel, Horst und Kegelburg Kuckucksspeichel und Gespinste Suhle und Fegestelle Rüttelflug Poesie und Spannung pur vermitteln schon diese Fachbegriffe des Spurenlesens: In Einmachgläser verpackt, verführen sie zum Nachschlagen, Geschichten erfinden, Elfchen dichten, illustrieren…
Auch Pflanzen hinterlassen Spuren: Samenstände in schönen Gläsern präsentiert, können als Regalbrettwunderkammern auch in Bibliotheken stehen. Bestimmungsbücher, Bastelmaterialien, Lupen, erzählende Kinderliteratur z.B. „Herr Glück & Frau Unglück“, „Das Gänseblümchen“ etc. verlocken zum selber tätig werden. Impulse hierzu finden Sie in Antonie Schneiders „Herr Glück & Frau Unglück“ (Thienemann 2016) oder Thomas Rosenlöchers „Das Gänseblümchen, die Katze & der Zaun“ (Tyrolia 2015). Darüber hinaus könnte man getrocknete, essbare Blüten und Blätter in Gläsern sammeln, um eigene Teemischungen herzustellen, Spurenkunstwerke aus Naturmaterialien auf Karton mit doppelseitigem Klebeband erstellen oder Ecoprints backen: www.literaturvermittlung.info/blog/2019/2/27/ecoprints-gekochtes-papier. Oder vielleicht macht sich ja jemand an die Erstellung einer Buchwunderkammer? Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt! Christa Öhlinger lebt in Steyr, Diplomkrankenschwester und Religionspädagogin, ausgebildete ehrenamtliche Bibliothekarin und Literaturvermittlerin KBH www.literaturvermittlung.info
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©© Roman Gutenthaler
Ein Rezensent
Josef Mitschan
Meine Großmutter hat ihr Lebtag außer einem Gebetbuch kaum ein Buch besessen. Sie hatte weder Raum noch Geld dafür, aber gelesen hat sie gern und sie hat vieles im Gedächtnis behalten. Daher konnte sie ein bemerkenswertes Repertoire an Geschichten erzählen. Bücher kamen in meine Familie vor allem von der Anna-Tante aus Wien. Ihre Neffen im Mühlviertel, darunter mein Vater, waren Quartiergeber für die Sommerfrische und hatten Platz für die Verlassenschaften ihrer gebildeten Ehegatten. Darunter waren neben Kleidung und Möbeln auch Bücher: eine eigenartige Mischung aus Literatur, politischen Texten und Büchern zu Geschichte und Naturwissenschaften. Als das fünfte von sieben Geschwistern war ich daran interessiert, den älteren nachzueifern. Am besten ist es mir bei den Hausaufgaben gelungen. Ich konnte schon vor der Einschulung lesen und habe ganze Hefte voll248
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geschrieben. Gelesen habe ich alles, was mir in die Finger kam, egal ob in Fraktur gedruckt, oder im lateinischen Schriftbild, egal ob ich alles verstand oder nicht, immer getrieben vom Ehrgeiz ein Buch „auszulesen“. Um ein Haar hätte mir mein Vater verweigert, das Gymnasium zu besuchen, denn mein ältester Bruder entwickelte sich als Gymnasiast offenbar unter dem Einfluss von Büchern und Jazzmusik zu einem Revoluzzer. Lesen kann und soll Menschen in ihrer Entwicklung beeinflussen – daran glaube ich aus eigener Erfahrung, und Bücher waren für mich oftmals Begleiter in neue Lebensphasen. Das Einbinden der Schulbücher in dunkelblaues Packpapier oder das oftmalige Übersiedeln der vielen Bananenschachteln voller Bücher in den Studentenjahren sind Erinnerungen, die mir etwas bedeuten. Es tut mir heute noch weh, wenn ich misshandelte Bücher sehe, und ich freue mich immer noch,
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wenn ich ein gutes Buch vor dem Altpapier retten kann. Meine Liebe zu Büchern ging so weit, dass ich eine Buchbinderlehre abgeschlossen habe und die Fächerkombination meines Universitätsstudiums mit Lehrveranstaltungen zu Bibliotheks- und Buchhandelsgeschichte garniert habe. Dass ich Bibliothekar geworden bin, war gut vorbereitet, ist aber relativ spät eingetroffen. Mit 36 Jahren wurde mir die Bibliotheksarbeit mit Kindern in einer neu eingerichteten Zweigstelle der Büchereien Wien angetragen. Ich habe liebend gerne angenommen und mich gefühlt wie der Fisch im Wasser. Beim Vorlesen habe ich begonnen, die Schauspielerfahrung der Studienzeit und die erzählende Großmutter im Hinterkopf einzubringen. Nach und nach habe ich zum freien Erzählen gefunden und mir nebenberuflich einen Namen als Bühnenerzähler gemacht. Immer wieder muss ich darauf hinweisen, dass meine Auftritte keine Lesungen sind, aber ohne Lesen hätte ich keine Geschichten im Repertoire, und ohne die vielen buchbezogenen Jobs und meine Arbeit als Bibliothekar hätte ich heute keine Märchenbuch-Sammlung. Oft werde ich gefragt, ob die Geschichten, die ich erzähle, von mir als schriftlicher Text verfasst wären. Dann erkläre ich, dass ich mir
Literatur zu veröffentlichen nicht zutraue. Wenn ich mich für ein Erzählprogramm vorbereite, lese ich Quelltexte wieder und wieder, bis sie sich authentisch erzählen lassen. Erstaunlicher Weise geht das mit Märchen am besten. So wie Erzählen und Zuhören für mich zusammen gehören, sind auch Lesen und Schreiben nicht zu trennen und das Verfassen von bibliothekarischen Rezensionen ist mir eine willkommene Herausforderung. Literatur von weiter weg interessiert mich mehr, als die Größen der heimischen Szene. Das Gute, das so nah liegt, habe ich immer wieder sträflich vernachlässigt und ich muss mir als bekennender Langsamleser eingestehen, dass ich vieles nicht mehr aufholen werde. Mir ist wichtig, die intellektuelle Leistung einer Autorin/eines Autors zu würdigen, und ich bin als regelmäßiger Vorleser ein großer Liebhaber von Bilderbüchern und bewundere viele Illustratorinnen und Illustratoren. Manchmal springen mir die Geschäftsinteressen der Verlage zu sehr ins Auge. Dann heißt es gegen meine eigene Voreingenommenheit anzuschreiben und mir vorzustellen, wem dieses Buch gefallen könnte. Das gehört ja zu den schönsten Aufgaben meines Berufes, und fast jedes Buch kann jemanden erfreuen.
Rezensionen von Mag. Josef Mitschan finden Sie auf den Seiten 303, 341, 361 und 370.
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biblio-chat impulse
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Erdmuth
Habt ihr sonst noch interessante Titel für die BuchstartBühne?
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Wir haben recht gute Erfahrungen mit „Der Besuch“ und „Wolkenbrot“. 14:32
Theater Baum Schere
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Nächste Woche sind wir (auch mit Buchstart) drei Tage in der Volksschule Stadt in Kapfenberg. Das wird auch spannend, da die VS eine Schule ist, in der sämtliche in Kapfenberg lebende Nationen aufeinandertreffen. Schicken mit diesem Video aus Mürzzuschlag viele Grüße nach Salzburg! Sabine & Heli https://www.youtube.com/ watch?v=gwT-cOkNxvk 18:31
Habe heute Wolkenbrötchen verteilt nach dem Kamishibai. 11:03
Janet
Mio Maus beim Abendessen. Valerian hat eine Freude mit ihr. Mal sehen, ob ich sie mir für die Bibliothek ausborgen darf.
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MMS 18:00
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Conny
Erste Lektüreschnappschüsse von Jakob und Videos gibt es schon.
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biblionet
G7
I
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56 %
II
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eBotschaften von Lesemenschen
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Christian
Wir durften in Bregenz schon sehr oft von eurer Arbeit profitieren: Anbei sende ich dir noch den Link zu einem Film, welcher im Rahmen unseres Projekts „1-2-3 der Kindergarten und die Bücherei“ entstanden ist. Viele Materialien von euch sind dabei zum Einsatz gekommen. https://www.youtube.com/ watch?v=L0bBtqszWDk
15:13
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Brigitte
YIPPIE!! Unsere neue zentrum.literacy-Homepage ist bereits online, obwohl noch einige Punkte fehlen. Schau mal: http://literacykufstein.at Was derzeit noch fehlt sind MINTasie-Impulse und die dazugehörigen Fotos/Videos. 18:42
1 - 2 - 3 der Kindergarten und die Bücherei 125 Aufrufe
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Frau Ava-Literaturpreis für Claudia Bitter Die feierliche Überreichung findet am Mittwoch, 24.04.2019, 19 Uhr, in der Kirche St. Blasien in Kleinwien statt. Aus insgesamt 98 eingereichten Prosatexten wählte die Jury den Text „Leben, plus, minus“ (Romanauszug) von Claudia Bitter aus. Begründung der Jury (Christa Gürtler, Barbara Neuwirth, Elisabeth von Leon, Brigitte SchwensHarrant): „Claudia Bitter porträtiert in ihrem Text „Leben, plus, minus“ das Schicksal einer jungen Frau der sozialen Unterschicht.Mithilfe der dem Sprachduktus der Ich-Erzählerin angepassten flotten und prägnanten Sprache zeigt Bitter, wie prekär die Lebensverhältnisse am Existenzminimum sind: Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Armut sind die Eckpfeiler dieses jungen Lebens. „Leben plus minus“ ist ein aufrührendes Spiegelbild aktueller sozialpolitischer Themen. Bitter provoziert bewusst. Dass sie dabei auf klare Opfer-Täter-Zuschreibungen verzichtet, entlässt die Lesenden aber in die eigene moralische Verantwortung.“ Claudia Bitter, geboren 1965 in Oberösterrei-
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ein Wort zu den Worten lasst euch nicht unterkriegen von dem Tag mit der schwarzen Sonne lasst euch nicht unterkriegen von der Nacht, die niemals schweigt schmiegt euch Wange an Wange an den Händen haltet euch und wartet und wartet am Ufer unter der Brücke in den Baumkronen hoch oben hört nicht auf Wort zu werden zu sein zu bleiben fallt nicht herein auf die Köder in Häusern und auf Straßen ausgelegt um eure Stimmen und Flügel zu lähmen bleibt furchtlos und wahr Wort für Wort Claudia Bitter
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20+1 Jahre Hörbibliothek Mariahilf : ein großes Jubiläum mit kleiner Verspätung
Am 23. März 2019 war es endlich soweit, dass die HörBibliothek Mariahilf gefeiert werden konnte. Eigentlich sollten wir ja bereits rund um unseren Geburtstag im Herbst 2018 feiern und hatten uns auch lange darauf vorbereitet. Mit speziellen Aktionen übers Jahr verteilt und auch „süßen Hinweisen“ in Form von extra bedruckten M&Ms in unserer Bibliotheks-Farbe wiesen wir auf unser kommendes Fest hin. Für viele Bibliothekarinnen und Bibliothekare wirken 20 Jahre Bestand nicht gerade viel, doch für unser Medium, das Hörbuch, das erst um den Jahrtausendwechsel seinen boomenden Start hatte, ist das eine sehr lange Zeit. Der Start war ganz klein: am 20. 9. 1998 konnten wir im Pfarrsaal in einem mobilen Schrank, der bei Veranstaltungen immer auf den Gang geschoben werden musste(!), unsere „HörBibliothek“ mit rund 120 Medien eröffnen! Es dauerte natürlich einige Jahre bis aus dieser kleinen Idee eine Institution geworden ist, die aber dann sogar von der Stadt Graz mit dem „Goldenen Ehrenzeichen“ für die Leiterin und Gründerin Christa Wiener-Pucher gewürdigt worden ist.
Und warum hat man nicht 2018 gefeiert? Na ja, am Tag vor der Veranstaltung im Herbst mussten wir „zähneknirschend“ alles absagen, da unser geplanter Höhepunkt, die Rossegger-Lesung durch den bekannten österreichischen Schauspieler Johannes Silberschneider wegen dessen Erkrankung ausfiel! Der Ersatztermin aber hat uns aber mehr als “entschädigt“. Es war nach Aussagen des Publikums eine großartige Veranstaltung mit einer unglaublich positiven Stimmung. Viele Ehrengäste aus Stadt, Land und Diözese gaben uns die Ehre, wobei Bischofsvikar Dr. Schnuderl besonders auf die Wichtigkeit des Zuhörens hinwies. Die Radiomoderatorin Doris Wiener-Pucher führte durch das Programm, bei dem auch die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geehrt und namentlich vorgestellt wurden. Christa Wiener-Pucher erhielt eine vom Österreichischen Bibliothekswerk und dem LESEZENTUM Stmk. unterzeichnete Anerkennungs-Urkunde. Hauptprogrammpunkt war dann die großartige Lesung von Johannes Silberschneider, der das Publikum im übervollen Saal begeisterte. Das anschließende gemütliche Beisammensein am vorbereiteten Buffet ließ diesen Abend wun-
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MINT • LITTERAre • Ehrungen Diözesanes Bibliotheksreferat Innsbruck – Frühjahrstagung 2019
Die Tagung der Diözese Innsbruck fand im Foyer des Mehrzwecksaales in Vomp statt. Monika Heinzle, die Leiterin des Bibliotheksreferates, konnte 120 Bibliothekarinnen und Bibliothekare begrüßen. Jacqueline Bilic von der Softwarefirma Littera stellte das Programm „LITTERAre“ vor, das bei der Katalogisierung auf das neue RDARegelwerk aufbaut. Durch das neue Konzept braucht es damit auch ein neues Layout. Das „alte“ Littera-Win wird aber weiterhin gewartet. Der Leiter des Bilbiothekswerks, Reinhard Ehgartner, versuchte mit einem Feuerwerk von Ideen und Praxistipps zum Thema MINT das Publikum für die neue Marschrichtung zu begeistern. Während nämlich die Besucherzahlen und damit auch die Entlehnungen sinken, erhöhen sich die Zahlen der Veranstaltungen in
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den Bibliotheken permanent. Waren früher Bibliotheken meist nur Aufbewahrungsorte von Medien ohne soziale Qualität, so liegt in Zukunft der Schwerpunkt auf dem Begegnungsort von Menschen mit Medien. Die MINT-Idee vom LESEN – SPRECHEN – TUN führt zu einem neuem Verständnis von Leseförderung: Raum und Zeit schaffen, die Neugier wachkitzeln, Möglichkeiten zum Tun anbieten. Die Sammlung von Materialien aus Ehgartners Fundus fand großes Interesse. Nach dem Referat wurden verdiente Bibliothekarinnen in einer musikalisch umrahmten Zeremonie für ihren ehrenamtlichen Einsatz geehrt. Die Tagung wurde von einer gut sortierten Buchausstellung der Firma liber wiederin begleitet. Josef Ruetz
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Fotos: Bibliotheksfachstelle© Franz Georg Reischl
Bibliothekstagung 2019 auf Schloss Puchberg Bibliotheksfachstelle der Diözese Linz
Etwa 300 Bibliothekarinnen aus 113 öffentlichen Bibliotheken kamen zur oö. Bibliothekstagung im Bildungshaus Schloss Puchberg. Der Tag stand unter dem Motto: Buch-Stützen des Lebens. Starke Bücher für Kopf und Herz. Nicht immer verläuft das Leben nach Plan, sondern fordert heraus. In seinem motivierenden Vortrag veranschaulichte der ehemalige Leistungssportler im Rollstuhl Dr. Christoph Etzlstorfer mit Beispielen aus Sport und Alltag eines Rollstuhlfahrers, wie es gelingen kann, Krisen konstruktiv zu verwandeln - im Erkennen der eigenen Stärken aktiv zu werden und sogar über sich hinauszuwachsen - mit der Erkenntnis: Und es geht doch! Auch heilende Worte (aus Büchern) helfen in Krisenzeiten. Brigitte Weninger verwies in ihrem lebendigen Vortrag auf die besondere Bedeutung der Bibliotheken als Begegnungsraum sowie auf die Rolle von BibliothekarInnen als behutsame Vermittler, die bei Bedarf in das Bücherregal der mit
Mut und Heiterkeit gefüllten „Literarische Apotheke “ greifen können. Zudem gab die Referentin das wirksame „Hausmittel“ weiter: Vorlesen hilft immer! Andrea Kromoser führte die positiven Aspekte geistiger Bewegung in ihrer literarischen Wanderung durch sportliche, bewegte, gesunde Szenen in der Kinder- und Jugendliteratur zusammen, wobei wohltuende lyrische Wellness-Pausen nicht zu kurz kamen. Für die Bibliothekspraxis konnten sich die BibliothekarInnen einen mit gesunden Literaturtipps prallgefüllten Fitness-Rucksack mitnehmen. Im Foyer informierten zahlreiche Aussteller über aktuelle Angebote. Großes Interesse gab es auch an den Ideen und Umsetzungsbeispielen um die Dachmarke, die auf zwei Pinnwänden ausgestellt wurden. Zum Abschluss gab Kurt Palm mit seiner unterhaltsamen Lesung aus dem noch unveröffentlichtem Roman „Monster“ schaurig-satirische Ausschnitte zum Besten.
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Buchklub und Jugendrotkreuz: Gemeinsam lesen Die Experten für Leseförderung – der Österreichische Buchklub der Jugend und das Jugendrotkreuz – bringen ab Herbst ein gemeinsames Angebot heraus: Unter der Dachmarke Gemeinsam lesen gibt es kindgerechte Leseförderung mit Zeitschriften und Büchern in einem Paket! Die Zeitschriften für die Volksschule bieten Lesetexte für alle Leseinteressen. Sie trainieren an Hand der Texte Lesetechniken und Lesestrategien und fördern die Lesemotivation. Die Bücher machen, wie bereits im aktuellen Schuljahr, mit Geschichten aus fünf aktuellen Kinderbüchern Lust aufs Lesen. Sie erweitern Wortschatz und Weltwissen und lassen individuelle Reflexionen im Buch zu. Bei der Auswahl der Kinderbücher im jeweiligen „Mein Buch“ wird besonderes Augenmerk auf die Vielfalt der Themen gelegt: sie sollen Buben und Mädchen ansprechen, sowohl erzählende Literatur als auch Sachbücher umfassen und, durch die Übungen
und Impulse in den Büchern sowie online, Leseanreiz schaffen. Hallo Schule!, Meine Welt und Lese Express für die Primarstufe sind thematisch aufeinander abgestimmt, sodass sie parallel und differenzierend eingesetzt werden können. So entscheiden LehrerInnen selbst, welcher Titel für welche Gruppe bzw. welches Kind passt. Englisch startet altersgerecht bereits in der 1. Schulstufe. Die Sekundarstufen-Medien Space und Spot bieten interaktives Lernen für die ganze Klasse – über Arbeitsblätter und QR-Codes, Videos für den Unterricht, Lernspiele und Hörbeispiele. Hier wird besonderer Wert auf kritisches Lesen gelegt. Die Schülerinnen und Schüler sollen Fake News erkennen und kompetent ihr Leben in den sozialen Medien gestalten können. Vorbestellung und weitere Informationen auf www.gemeinsamlesen.at | www.buchklub.at
Vorschau Jahresabo:
„Hallo Schule“ (1. Schulstufe) & „Meine Welt“ (2. Schulstufe): je 8 Zeitschriften + 2 Bücher um €12,-
„Lese Express“ (3./4. Schulstufe):
8 Zeitschriften, 8 Englisch-Beilagen + 2 Bücher um €15,-
„Space“ (5./6. Schulstufe) & „Spot“ (7./8. Schulstufe): je 8 Zeitschriften + 1 Buch um €19,Ihre Vorteile: • inklusive Klassenposter und Englisch-Beilagen ab der 3. Schulstufe ohne Aufpreis • Gratis Zugang zu begleitenden digitalen Impulsen auf www.gemeinsamlesen.at • Didaktisches Konzept, Lesestandards und Buchtipps 256
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Sachbücher
Biografien, Briefe, Tagebücher
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Sachbücher Biografien, Briefe, Tagebücher Blanning, Tim: Friedrich der Große
: König von Preußen ; eine Biographie / Tim Blanning. Aus dem Engl. von Andreas Nohl. - München : C.H.Beck, 2018. - 718 S. ISBN 978-3-406-71832-8 fest geb. : ca. € 35,00
Eine lebendig geschriebene Biographie über Friedrich den Großen. (BI) Auf etwa 550 Seiten beschäftigt sich Tim Blanning, emeritierter Historiker aus Cambridge, im vorliegenden Band mit Friedrich II. (1712-1786), dem wohl bedeutendsten preußischen König, der sich selbst als "der Große" sah. Friedrich erfuhr durch seinen Vater eine an Härte und Demütigungen kaum zu überbietende Erziehung, aus der er sich erst nach dessen Tod gründlich emanzipierte: Er gerierte sich zum ersten Staatsdiener, wandte sich intensiv der Kultur zu und lebte seine Homosexualität aus, ein Umstand, welcher in der (deutschen) Geschichtsforschung bis dato ausgeklammert wurde, nach Meinung des Autors aber für das gesamte Agieren Friedrichs von erheblicher Bedeutung war. Die Gewinne der aus Ruhmsucht angezettelten Kriege des "großen" Preußenkönigs hielten sich in Grenzen, seine Bildungsoffensiven blieben ebenso bescheiden wie die Erfolge in Landwirtschaft und Handel. Friedrich faszinierte aber durch seine schillernde Persönlichkeit. Er bewegte sich zwischen Aufklärung und Zensur, zwischen religiöser Toleranz und
Antisemitismus, zwischen militärischer Askese und luxuriösem Hofleben. Bald nach dem Ableben setzte eine Verklärung des Preußenkönigs ein, nicht zuletzt deswegen, weil sich jeder auf "seinen" Friedrich berufen konnte. Blannings mit zahlreichen Bildern und Skizzen versehene Biographie ist lebendig geschrieben, sie vermittelt auch interessante Einblicke in die europäische Welt des 18. Jahrhunderts und wirft einen durchaus neuen Blick auf den "alten Fritz". Karl Krendl
Finnegan, William: Barbarentage / William Finnegan. Aus dem Engl. von Tanja Handels. Mit fachlicher Beratung von Jens Steffenhagen. - Dt. Erstausg. - Berlin : Suhrkamp, 2018. - 565 S. : Ill. - (suhrkamp nova) ISBN 978-3-518-46873-9 kart. : ca. € 18,50
Eine autobiographische Abenteuergeschichte über die Faszination des Surfens. (BO) Der Titel "Barbarentage" bezieht sich auf ein einschneidendes Erlebnis im Alltag des damals 13-jährigen William Finnegan, als seine Eltern berufsbedingt von Los Angeles nach Hawaii ziehen. Unvermittelt wird er dort als Weißer mit einer fremden, grausamen Schulrealität konfrontiert und lernt den weißen Suprematismus kennen, jene rassistische Einstellung, die bis heute das Klima in den USA vergiftet. William beginnt täglich zu surfen und die "gleichgültige, endlos gefährliche Macht des Ozeans" wird zu seinem ihn herausfordernden Lebensinhalt. Von nun an sind Wellen für ihn besser als Bücher, besser als Kino, sogar besser als eine Achterbahnfahrt in Disneyland, denn ihre bn 2019 / 2
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Biografien, Briefe, Tagebücher
Sachbücher
Gefährlichkeit ist nicht künstlich erzeugt. Sie ist Interpreten. Nun wagte er sich an die Abfassung echt: Es erfasst ihn ein Zauber, der ihn immer einer umfangreichen Biografie seines Idols und tauchte dafür tief in die Geschichte ein, um dorthin führt, wohin er will. Der Autor, Jahrgang 1952, erzählt mehr oder dessen Leben und Werk vor dem "Panorama der weniger chronologisch bis 2015 in zehn umfang- damaligen Zeit" präsentieren zu können. Der Autor macht mit reichen Kapiteln von seinen Surferlebnissen in Bachs Familie beKalifornien, Honolulu, Maui, im Südpazifik, in kannt, stellt den MuAustralien, aber auch aus Asien und Afrika mit siker in Beziehung zu Abstechern nach Madeira und schließlich zurück den "85ern" (Händel, zu seinem Wohnsitz in New York City, wo er mit Scarlatti, Rameau) und seiner Familie lebt. Er ist ein Mensch, der ein begleitet ihn auf den Doppelleben an zwei Fronten führt: zum einen vielen Stationen seines als Journalist in Kriegs- und Krisengebieten, zum Lebens, von Eisenach anderen auf der lebenslangen Suche nach der perüber Weimar bis Leipfekten Welle. Dieses Surferleben ist jedoch keine zig, wo er 27 Jahre als Idylle: Auf über 560 Seiten erzählt Finnegan, Kantor an der Thomaswie er und seine Freunde zwischen Plastikmüll kirche wirkte. Bach war und toten Tieren surfen, wie sie zwischen giftigen Schlangen und Tausendfüßlern übernach- als Mensch "mittelmäßig" und ungehalten, wenn ten, sich die Füße an den Riffs zerschneiden, von es galt, seine musikalischen Vorstellungen durchden Wellen auf den Meeresboden geschleudert zusetzen, jedoch genial, ernst und tiefgründig in werden, an Malaria und bakteriellen Infekten er- seiner Musik, die er - ganz nach seinem Seelenkranken oder unter dem Druck des Wassers die verwandten Luther - als Mittel der Ausdeutung Trommelfelle platzen. Doch schließlich erlebt er und Veranschaulichung religiöser Glaubensan der Seite eines jungen, tief religiösen Surfers inhalte verstand. Ausführlich erschließt Gardidieses kurze mystische Glück einer scheinbar nie ner inhaltlich wie musikalisch das Kantatenwerk sowie die Matthäus- und die Johannespassion endenden perfekten Welle. Eine spannend und anschaulich erzählte Lebens- und gibt damit zum Hören dieser Musik eine und Sportgeschichte, in der auch die kulturellen wunderbare Anleitung, die allerdings (rudimenwie politischen Strömungen in den USA mit der täre) musikalische Vorkenntnisse voraussetzt. 24 Hippie- bzw. Flower-Power-Bewegung und de- Bildtafeln und zahlreiche Textabbildungen illusren Übergang zum esoterischen "New Age" ein- trieren diesen lesenswerten Band, eine Zeittafel fließen. Im Anhang erklärt ein Glossar typische verschafft den nötigen historischen Überblick. Karl Krendl Surf-Begriffe für das bessere Verständnis, um jene fesselnde, anziehende Wirkung zu veranschaulichen, die das Wellenreiten mit dem Surfbrett so unglaublich faszinierend macht. Guevara, Juan Martín: Mein Bruder Che Jutta Kleedorfer
Gardiner, John Eliot: Bach
: Musik für die Himmelsburg / John Eliot Gardiner. Aus dem Engl. von Richard Barth. - München : Piper, 2018. 734 S. : Ill. ISBN 978-3-492-31237-0 kart. : ca. € 18,50
Eine erhellende Biografie samt Anregungen zum Hören der Musik J. S. Bachs. (BI) Sir John Eliot Gardiner, mit der Musik Johann Sebastian Bachs (1685-1750) seit Jugendtagen vertraut, ist heute einer der bekanntesten Bach258
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/ Juan Martín Guevara ; Armelle Vincent. Aus dem Franz. von Frithwin Wagner-Lippok und Christina Schmutz. - Stuttgart : Tropen, 2018. - 350 S. : Fotos (sw.) - (Tropen Sachbuch) ISBN 978-3-608-50366-1 kart. : ca. € 12,40
Der Mythos Che Guevara wird aufgelöst. (BI) In der packenden Biografie "Mein Bruder Che" wird die Lebensgeschichte der bekanntesten Guerilleros, Ernesto "Che" Guevara, aus der Perspektive seines Bruders erzählt. Der um 15 Jahre jüngere Juan Martín Guevara will den Kult und der damit verbundenen materiellen und finanziellen Ausbeutung von Che Guevara als Heiligen ein für alle Mal ein Ende setzen.
Sachbücher
Der Personenkult um seinen geliebten großen Bruder ist für Juan Martín unerträglich und er ist sich sicher, auch Ernesto wäre empört. Der Kult um Che Guevara verkörpert nicht das, für das er eingestanden ist und fast sein halbes Leben lang gekämpft hat. Das Buch, welches auch Kinderfotos von Ernesto und seiner Familie enthält, lässt die Leser_innen tiefer in die Vergangenheit des Revolutionärs blicken und durch seine Familiengeschichte seine Taten besser begreifen und nachvollziehen. Der gebürtige Argentinier war 1956 bis 1959 Comandante der Rebellenarmee der kubanischen Revolution und später Minister in Kuba. Neben Fidel Castro war er die wichtigste Figur der kubanischen Revolution. Ein Weltverbesserer, Marxist, Globetrotter und Kommunist, der einem Land sein Leben widmete, in dem er weder geboren wurde noch aufwuchs. Das Buch zeigt aus der Sicht eines Familienmitglieds, wie der heute allseits bekannte Che Guevara zu dem Guerillakämpfer wurde, der sein Zuhause aufgab, um für die Gerechtigkeit und Freiheit zu kämpfen. Juan Martín stellt Familienmitglieder und andere Bekannte vor, die auf Ernesto und seine späteren Entscheidungen großen Einfluss genommen haben. Dies macht er auf eine authentische Art und Weise, wie es nur ein enger Verwandter tun kann. Juan Martín entlarvt den Mythos Che Guevara und erzählt offen und ehrlich, mit Hilfe von vielen noch nie zuvor veröffentlichten Details, die Geschichte von dem marxistischen Arzt Ernesto Guevara. Auch für Leser_innen, die sich zuvor nicht mit der kubanischen Revolution und der politischen Situation der 50er und 60er Jahre in Südamerika auseinandergesetzt haben, ist die etwas andere Biografie eines Guevaras ein spannendes Erlebnis, das Lust macht, sich mehr in das Thema einzulesen. Außerdem sind die rund 20 Seiten Anmerkungen im hinteren Teil eine große Hilfe, um die verwobenen Ereignisse in Südamerika zu verstehen. Insbesondere für Bibliotheken mit GeschichtsSchwerpunkt geeignet. Alina Böhler
Biografien, Briefe, Tagebücher
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Leopold Mozart
: Musiker. Manager. Mensch = Musician. Manager. Man / vorgelegt von Anja Morgenstern unter Mitarbeit von Gabriele Ramsauer und Johanna Senigl. Internationale Stiftung Mozarteum (Hrsg.). - Salzburg : Pustet, 2019. - 207 S. : Ill. Deutsch und Englisch ISBN 978-3-7025-8062-9 kart. : ca. € 17,99
Einblicke in ein ereignisreiches Leben. (BI) Um wen handelt es sich hier: vielseitiger Musiker, produktiver Komponist, geschäftstüchtiger Notenstecher, erfolgreicher Musikpädagoge, gut vernetzter Gelehrter, talentierter Organisator, leidenschaftlicher Opernbesucher, Förderer seiner begabten Kinder . ja, richtig, es geht um Leopold Mozart. Dieses Buch spürt einer der interessantesten Persönlichkeiten seiner Zeit, einem äußerst vielseitig interessierten und engagierten Menschen nach. Ein erster Teil umfasst überschaubare und anschaulich geschriebene Beiträge über seine Herkunft, seinen Werdegang als Musiker, seine Tätigkeiten als Musikpädagoge und Komponist, wirft einen Blick auf ihn als Privatmensch sowie als Dienstnehmer eines Kleinstaates der Barockzeit. Ein umfangreicher Bildteil mit detaillierten Erläuterungen - die wie schon die Textbeiträge in deutscher und englischer Sprache gehalten sind - ergänzt und rundet ab. Für Musikinteressierte. Hanns Sauter
Lynch, David: Traumwelten
: ein Leben / David Lynch ; Kristine McKenna. Aus dem Amerikan. von Robert Brack.. - München : Heyne Encore, 2018. - 761 S. : Ill. ISBN 978-3-453-27084-8 fest geb. : ca. € 25,70
Das Düstere hinter der Fassade - der Regisseur David Lynch und seine visionäre Welt. (BI) Wer hat Laura Palmer ermordet? Diese Frage bewegte in den frühen 1990ern nicht nur hierzulande die Fernsehzuschauer. Nie zuvor hatte man eine Krimiserie wie diese gesehen, rund um eine amerikanische Kleinstadt voller Exzentriker, aufgedrehte Highschool-Schüler, verliebte Polizisten und einen FBI-Agent zwischen cooler Logik und Spaß am Paranormalen. Mit "Twin Peaks" wurde der Typus der MysteryFernsehserie geboren und der Regisseur David Lynch schlagartig weltweit bekannt. bn 2019 / 2
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Biografien, Briefe, Tagebücher
Das Thema aller Arbeiten des amerikanischen Künstlers war stets das Abgründige, das Dunkle, das Gefährliche, das Perverse hinter der wohlgeordneten Fassade von Häusern und Menschen. In der von David Lynch selbst und der Journalistin Kristine McKenna verfassten (Auto-)Biografie kann man nun den Werdegang des vielseitigen Künstlers nachverfolgen. Aufgewachsen in den bei ihm dann so typischen Kleinstädten, studierte der junge David Lynch zunächst Malerei in Philadelphia, bevor er sich mit ersten Experimentalkurzfilmen erfolgreich am "American Film Institute" um ein Stipendium bewarb. Mit stilprägenden Filmen wie "Eraserhead", "Blue Velvet", "Wild at Heart" oder "Mullholland Drive" konnte er sich mit schwierigen Themen abseits des Mainstreams international einen Namen machen. In der Biografie "Traumwelten", die abwechselnd aus der Ich-Perspektive Lynchs oder von außen durch den Blick McKennas erzählt wird, zeigt sich auch das weite künstlerische Tätigkeitsfeld von David Lynch als Maler, Autor, Drehbuchverfasser und Fotograf. Umfangreich bebildert stehen Fotos aus der Produktion seiner Filme neben privaten Bildern aus allen Lebensphasen. David Lynchs Begeisterung für die Transzendentale Meditation des Guru Maharishi Mahesh Yogi wird natürlich auch erwähnt - vielleicht etwas zu unkritisch. Fazit: Eine mit über 760 Seiten schwergewichtige, ausführliche Biografie, die dennoch leicht zu lesen ist und das Gefühl vermittelt, selbst am Filmset dabei zu sein. Top-Empfehlung für Cineasten, die mehr wissen wollen! Doris Schrötter
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Sachbücher
Piper, Ernst: Rosa Luxemburg
: ein Leben / Ernst Piper. - München : Blessing, 2018. - 832 S. ISBN 978-3-89667-540-8 fest geb. : ca. € 32,90
Eine ziemlich objektive Biografie über die Marxistin Rosa Luxemburg (1878-1919). (BI) Die zarte und charismatische Frau, die mit aller Härte die marxistische Agitation betrieb, gilt bis heute als Ikone der Linken: Rosa Luxemburg (1878-1919). Sie stammte aus einer wohlhabenden polnischjüdischen Familie, studierte in Zürich und wurde politisch aktiv. Zunächst in der polnisch-russischen Sozialistenbewegung, dann in Deutschland, wo sie prominent als kompromisslose Ideengeberin, Wahlrednerin bzw. Publizistin am Aufbau der Sozialdemokratie mitarbeitete, was ihr Widerspruch und auch eine Gefängnishaft einbrachte. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges forcierte sie die Gründung des "Spartakusbundes" und der Kommunistischen Partei Deutschlands. In den Wirren der Weimarer Republik schließlich rief sie - zusammen mit Karl Liebknecht zum Sturz der Regierung und zur "Diktatur des Proletariats" auf, woraufhin sie brutal ermordet wurde. Damit war der "Mythos Luxemburg" geboren und es begannen ihre Verklärung und politische Vereinnahmung. Das waren die "Vorgaben" für den Historiker Ernst Piper, als er daranging, Luxemburg von dieser Patina zu befreien und ihr Leben und Handeln "so objektiv wie möglich" in den Blick zu nehmen. Aufgrund seiner umfangreichen Kenntnis der Quellen und Sekundärliteratur (34 Seiten Bibliografie, 2456 Anmerkungen) ist ihm das durchaus gelungen, wenngleich eine gründlichere Auseinandersetzung mit den antidemokratischen Tendenzen seiner Protagonistin nicht von Nachteil gewesen wäre. Karl Krendl
Sachbücher
Erdkunde, Geografie, Reisen
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Erdkunde, Geografie, Reisen Bittrich, Dietmar: Müssen wir da auch noch hin?
: Kurze Geschichten vom Reisen / Dietmar Bittrich. - Orig.Ausg. - München : dtv, 2019. - 206 S. ISBN 978-3-423-21788-0 kart. : ca. € 10,30
Satirische Betrachtungen zu einzelnen Themen rund ums Reisen. (EL) Laut Statistik Austria verreisen knapp 75 % aller Österreicherinnen und Österreicher und sind mit ungewohntem Essen, unsicherem Trinkwasser, diversen Typen von Reiseleitern, überfüllten Museen, Kirchen oder anderen Sehenswürdigkeiten sowie mehr oder weniger angenehmen Reisegefährten konfrontiert. Kaum jemand gibt nach einer Reise zu, wie viel ihm oder ihr nicht gefallen hat oder unangenehm war. Ganz wie eine Kabarettnummer, die uns durch das Erzählen von alltäglichen Begebenheiten zum Lachen bringt, beschreibt Dietmar Bittrich die einzelnen Reiseerfahrungen: Hotelzimmer, die auf der falschen Seite liegen, düsteres Wetter, Menschen, denen erst erklärt werden muss, wie sie ihren Job zu machen haben, ausgedünnte Frühstücksbuffets und vieles mehr. Lachend liest man sich durch die 39 Beiträge auf etwa 200 Seiten dieses Taschenbuchs und muss dennoch zugeben, dass die Geschichten nicht so weit hergeholt sind. Tatsächlich scheint es unglaublich, dass es in Isfahan/Iran gar keinen Alkohol geben sollte und möglicherweise ist man als eingela-
dener Gast auch schon mal ein Spur zu lang geblieben oder Freunde/Familienmitglieder haben sich bei einer gemeinsamen Reise als gar nicht so angenehm entpuppt. Bittrichs Buch "Müssen wir da auch noch hin" ist satirisch, witzig, pointiert und humorvoll und jeder Bibliothek zu empfehlen! Doris Göldner
Bonnett, Alastair: Die allerseltsamsten Orte der Welt
: aufsteigende Inseln, bodenlose Städte, abseitige Paradiese / Alastair Bonnett. Aus dem Engl. von Andreas Wirthensohn. - München : C.H.Beck, 2019. - 268 S. : Ill. ISBN 978-3-406-73441-0 fest geb. : ca. € 20,60
Ein informativer und zugleich auch unterhaltsamer Abriss ungewöhnlicher Orte. (EL) Der Autor ist Professor für Sozialgeographie und steigert sein erstes Buch "Die seltsamsten Orte der Welt" mit dem vorliegenden Berichten zu den "allerseltsamsten" Orten der Welt. Er nimmt die Leser_innen mit auf Exkursionen zu Orten, die aufgrund ihrer Lage oder Entstehung ungewöhnlich sind, aber auch zu Plätzen, von denen gar nicht ganz klar ist, ob sie überhaupt existieren oder ob sie nur einem Gedankenexperiment entstammen. Sei es die Vielzahl der philippinischen Inseln, die trotz aller Kartographiekünste noch immer neu entdeckt werden, oder die ladinischen Täler, die sich eine besondere Sprache erhalten bn 2019 / 2
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Erdkunde, Geografie, Reisen
haben oder der Bahnhof Shinjuku in Tokyo, von dem niemand zu wissen scheint, ob alle Wege zu einem Ziel führen. Es ist eine großartige und kurzweilige Mischung von Orten, die den Leser_innen vorgestellt werden. Es bleibt ihnen dabei überlassen, ob sie sich an die vorgegebene Reihenfolge der Reiseskizzen halten oder das Buch kreuz und quer lesen wollen. Das macht den zusätzlichen Reiz der Texte aus. Die Sprache ist klar und gut verständlich, phasenweise schwingt eine gesunde Portion Humor mit. In dem übersichtlichen Inhaltsverzeichnis werden die Orte nicht nach geographischen Gesichtspunkten oder Größe geordnet, sondern nach Begriffen, wie "utopische Orte" oder "Enklaven" und dergleichen gruppiert. Einige Plätze werden durch Skizzen bildlich dargestellt. Eine lesenswerte Sammlung von Exkursionen. Ursula Pirker
Kriechbaum, Reinhard: Heringsschmaus und Kreuzlstecken
: Geschichten und Bräuche rund um Ostern / Reinhard Kriechbaum. - Salzburg : Pustet, 2019. - 261 S. : Fotos ; 12 x 15,70 cm ISBN 978-3-7025-0922-4 fest geb. : ca. € 19,95
Altes und neues Brauchtum zwischen Aschermittwoch und Pfingsten. (EH) Auf über 250 Seiten, dennoch in einem handlichen Format und überdies bibliophil gestaltet, stellt der Verfasser Bräuche vor, die in den Monaten zwischen Fasching und Pfingsten gepflegt werden. Dabei ist ihm eine lebendige und informative Darstellung dessen gelungen, was schwerpunktmäßig in Österreich, aber auch in Deutschland und in der Schweiz an altem Brauchtum lebendig ist, was wieder belebt wurde oder was an Neuem dazugekommen ist. Die Leser_innen werden ob der großen Fülle und Vielseitigkeit an Bräuchen und Gepflogenheiten zu dieser Jahreszeit erstaunt sein! Doch beschränkt sich das Buch nicht auf nostalgischen Blicke in die Vergangenheit, sondern richtet ihn auch aufs Heute und setzt sich mit beidem - Tradition und Neuschöpfung - kritisch auseinander. Die angefügten Kontaktdaten laden alle ein, sich an Ort und Stelle näher zu informieren, mitzuerleben und mitzufeiern. Allen Bibliotheken zu empfehlen! Hanns Sauter 262
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Sachbücher
Lemanczyk, Iris: Fremder Iran
: Sittenwächter wandern nicht / Iris Lemanczyk. - Berlin : MANA, 2018. - 192 S. : Ill. ISBN 978-3-9550310-7-7 kart. : ca. € 18,00
Iran - ein Land der Gegensätze. (EL) Schon von alters her spricht man vom Morgenland und vom Abendland. So gegensätzlich wie diese Bezeichnungen sind auch die Welten, die durch die Seidenstraße miteinander verbunden waren und deren Bereisung immer auch Abenteuer und Gefahr bedeutete. Kriege in der Vergangenheit und die momentane wirtschaftliche und geopolitische Entwicklung erzeugen eher gemischte Gefühle gegenüber dem Iran. Trotz aller Vorbehalte, oder vielleicht gerade deswegen, bereiste die Autorin gemeinsam mit Bekannten das Land und gibt ihre Eindrücke und Erfahrungen, aber auch Ängste und Bedenken in diesem Buch wieder. Die bestehenden Kleidervorschriften sind einzuhalten (z. B. keine kurzen Hosen für Männer, das Tragen eines Kopftuchs für Frauen ...) und werden rigoros von Mullahs und Sittenwächtern kontrolliert. Alkohol ist ein absolutes Tabu und Verstöße ziehen Strafen nach sich (Peitschenhiebe). Trotz vieler Einschränkungen und Hindernisse werden landschaftliche und kulturelle Sehenswürdigkeiten besichtigt, wobei die An- und Abreise zu diesen immer wieder eine Herausforderung darstellt. Die Autorin schildert ihre Erlebnisse in 40 meist 3- bis 5-seitigen Kapiteln und so lernt man Land und Leute, aber auch besondere Verhaltensregeln kennen (z. B. "Tarouf ", eine besondere Form der persischen Höflichkeit). Auch das Reiben der jungen Generation am engen Korsett des Systems ist in den Geschichten zu spüren. Zum Thema Sicherheit und Verhalten kann folgendes gesagt werden: Ja, das Land ist sicher. Ja, es sind besondere Verhaltensregeln einzuhalten. Die Schönheit der Landschaft, das imposante kulturelle Erbe (es gibt 19 Weltkulturerbe-Stätten im Iran) und die positiven persönlichen Erfahrungen mit den Einwohner_innen wiegen die
Sachbücher
immanenten Schwierigkeiten auf und laden zum Wiederkommen ein. Für alle Iranreisenden, aber auch zur persönlichen Auseinandersetzung mit einer doch unbekannten, fremden Kultur bestens geeignet. Sehr lesenswert. Maria Dorrer
Das Ostsee Buch
: Highlights einer faszinierenden Region - München : Kunth, 2018. - 336 S. : überw. Ill. (farb.) ISBN 978-3-9550445-0-3 fest geb. : ca. € 30,80
Highlights einer faszinierenden Region. (EL) "Schon der kurze Blick auf einige der Höhepunkte der Region macht deutlich: Die Ostsee ist mehr als nur eine große "Badewanne" für Erholungssuchende. Ein einzelnes Leben reicht nicht aus, um auch die letzte Facette des Edelsteins namens Ostseeküste zu entdecken." Dieses Zitat aus dem Buch fängt die Faszination, die von dem Binnenmeer ausgeht, sehr gut ein. Neun Länder, Dänemark, Schweden, Finnland, Russland, Estland, Lettland, Litauen, Polen und
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Deutschland, werden mit ihren schönsten Plätzen fotografisch eingefangen. Man spaziert genießerisch über den Hafen von Malmö, bestaunt das Opernhaus von Kopenhagen, wirft einen Blick in die Kathedrale von Roskilde, besucht die steinernen Riesen im Naturreservat Langhammers auf Fårö oder wandert über den Marktplatz von Tallinn. Auch der NewskiProspekt in St. Petersburg ist bemerkenswert oder die großen Schoner von Stettin und die Bäderarchitektur an der Ostsee. Auf mancher Doppelseite kann man sich an auslandenden und herrlichen Fotomotiven in verschiedensten Perspektiven erfreuen. Die Bilder sind mit kurzen und informativen Textpassagen erläutert und runden den Augenschmaus ergänzend sehr gut ab. Ein Fotoband für Ostseeliebhaber oder die, die es noch werden wollen. Ilse Hübner
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Geschichte, Gesellschaft, Politik, Recht Dahlgren, Eva F.: Großvater war Rassenbiologe
: eine Geschichte über Menschenwürde / Eva F. Dahlgren. Aus dem Schwed. von Benedikt Grabinski. - Göttingen : Wallstein Verl., 2018. - 329 S. : Ill. ISBN 978-3-8353-3296-6 fest geb. : ca. € 20,50
Auseinandersetzung mit der Verwicklung schwedischer Biologen in die "Rassenhygiene". (GE) Im Jahr 1996 entdeckte die schwedische Journalistin Eva Dahlgren zufällig, dass der in ihrer Familie verehrte Großvater in der Zwischenkriegszeit nicht nur Pflanzen veredelte, sondern auch als Rassenbiologe gearbeitet hat. Er verfasste zahlreiche Aufsätze, in denen er die Grundsätze der Rassenhygiene propagierte. Bei ihren Recherchen fand Dahlgren heraus, wie verbreitet die Ideen der Rassenreinheit in der schwedischen Wissenschaft damals waren. Es gab sogar Parallelen zu den "Rassenschutzmaßnahmen" der Nationalsozialisten: Auch in Schweden wurden Menschen zum Zweck der rassischen Zuordnung vermessen. Tausende Frauen wurden sterilisiert, um die Fortpflanzung "minderwertiger Menschenrassen" zu verhindern. Dahlgrens Buch ist nicht nur eine spannende Recherchegeschichte, sondern auch eine Biographie des Großvaters, der mit seiner Kränklichkeit und körperlichen Schwäche selbst so gar nicht dem Ideal des gesunden, starken, nordischen Menschen entsprach. Zudem war er mit einer Frau verheiratet, die mit einer Körpergröße von nur 1,47 Metern dem nordischen Rassenideal noch weniger gerecht wurde. Die Autorin widmet sich auch ausführlich dem Ehedrama ihrer Großeltern und zitiert dazu seitenlang unkommentiert aus deren Korrespondenz. Hier ufert das Buch zu einer familiären 264
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Nabelschau aus. Im Schlussteil wird es wieder spannend, denn hier befasst sich Dahlgren mit aktuellen Fragen der Gentechnik und Bioethik. Ein aufschlussreiches Buch, das gut an wesentliche Fragen der Biologie heranführt. Es verlangt aber eine/n ausdauernde/n Leser_in, die/der imstande ist, Bezüge zwischen unterschiedlichen Bereichen herzustellen. Karl Vogd
Esch, Arnold: Historische Landschaften Italiens
: Wanderungen zwischen Venedig und Syrakus / Arnold Esch. - München : C.H.Beck, 2019. - 368 S. : Ill. ISBN 978-3-406-72565-4 fest geb. : ca. € 30,80
Informative Wanderungen durch Italiens Geschichte. (GE)
Nicht jeder Professor für mittelalterliche Geschichte macht sich, so wie der Autor, die Mühe, tagelang durch das von ihm erforschte Land zu streifen. Esch durchquerte das von ihm geliebte Italien, er nahm Kontakt mit einfachen Menschen auf, erlebte den immer noch lebendigen Esprit des Landes und verfasste das vorliegende Buch, das wissenschaftliche Erkenntnisse mit einer angenehm lesbaren Sprache verbindet, sodass auch der Laie interessante Informationen aufnehmen kann, ohne sich in einem Fremdwortdschungel zu verfangen. Verschiedene Regionen Italiens, vom Veneto bis in das sonnenglühende Sizilien,
Sachbücher
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entblättern dabei ihre historischen Eigentümlichkeiten. Keine systematische Erfassung ist dabei Ziel, sondern Details einzelner Regionen zu akzentuieren, die zugleich auf große geschichtliche Zusammenhänge verweisen. Dabei stellen sich Aha-Erlebnisse ein, wie z.B. die Erkenntnis, dass die Lagunenlandschaft Venedigs bereits in der Römerzeit besiedelt war und nicht erst anlässlich des Hunneneinfalls Menschen Zuflucht bot. Neben Sizilien und dem Veneto führen Streifzüge durch Rom, das Tibertal, Umbrien, die Marken, Apulien, die Abruzzen u.a. Das Bild wird durch Betrachtungen der Italienwahrnehmung in der Kunst ergänzt. Ein informativer historischer Wanderführer, der vor allem im Gelände entstand und nicht nur Italienfans zu empfehlen ist. Roman Schweidlenka
Frank, Thomas: Americanic : Berichte aus einer sinkenden Gesellschaft / Thomas Frank. Aus dem Engl. von Gabriele Gockel und Thomas Wollermann. - München : Kunstmann, 2019. - 351 S. ISBN 978-3-95614-260-4 fest geb. : ca. € 24,70
Eine Zusammenschau gesellschaftskritischer Artikel über den Zustand der USA. (GP) Thomas Frank analysiert in seinen Artikeln seit vielen Jahren die amerikanische Gesellschaft. Er ist Gründer des Baffler, zuvor schrieb er unter anderem für das Wall Street Journal und den Guardian. In "Americanic. Berichte aus einer sinkenden Gesellschaft" sind Beiträge aus verschiedenen Zeitungen und Magazinen der letzten zehn Jahre gesammelt. Der amerikanische Traum ist für viele ausgeträumt, Arbeitslosigkeit, Finanzkrisen, Armut auf der einen Seite, Eliten und Reichtum auf der anderen - so lässt sich die "sinkende Gesellschaft" zusammenfassen. Franks Artikelsammlung liefert ein sehr interessantes Bild davon, wie sich Macht und Geld ganz simpel gegen die einst so hoch gehaltenen Werte sozialer Aufstieg und persönliche Entfaltung durchsetzen. Die Fragen "Was ist los mit
Amerika?" und wie es dazu kommen konnte, dass Millionen einen "Milliardär zum Präsidenten gewählt haben, von dem sie wussten, dass er letztlich nichts für sie tun würde?" sind nach der Lektüre etwas leichter zu beantworten. Ein interessanter politischer Kommentar, der für alle Bestände geeignet ist. Sabine Eidenberger
Grunenberg, Antonia: Götterdämmerung : Aufstieg und Fall der deutschen Intelligenz 1900-1940. Walter Benjamin und seine Zeit / Antonia Grunenberg. Freiburg i. Br. : Herder, 2018. - 611 S. ISBN 978-3-451-38309-0 fest geb. : ca. € 41,20
Eine dichte Studie zu Walter Benjamin und dem intellektuellen Milieu Deutschlands in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. (GE) Aber nicht nur das, sie bezog auch den großen Freundes- und Kontrahentenkreis Benjamins (z. B. Scholem, Kracauer, Brecht, Adorno, Horkheimer, Arendt) in ihre Arbeit mit ein. Grunenberg erzählt chronologisch: Walter Benjamin wuchs in einer wohlhabenden, jüdischen Familie auf, studierte in Freiburg, scheiterte an einer Habilitation, unternahm zahlreiche Reisen (Schweiz, Capri, Moskau, Paris) und unterhielt einige Liebschaften, vor allem aber schrieb und übersetze er unermüdlich. Zumindest bis 1933, denn ab da wurde es für Benjamin bedrohlich. Als ihn 1940 in Frankreich die Nazis einholten, erwog er - von Freunden dazu angehalten und unterstützt - die Ausreise in die USA, starb aber (durch seine eigene Hand) auf dem Fluchtweg über die Pyrenäen im spanischen Dorf Portbou. Damit verlor Deutschland nicht nur diesen bedeutenden Denker, sondern fast alle jüdischen Intellektuellen, die das Land verlassen mussten. Götterdämmerung eben. Grunenberg beschreibt diese Tragödie äußerst faktenreich, dicht und sprachlich versiert. Sie bringt einem dabei nicht nur den "unübersichtlichen Autor" Benjamin sehr anschaulich nahe, bn 2019 / 2
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Geschichte, Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
sondern auch das intellektuelle (jüdische) Milieu Deutschlands in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine ob der Fülle der Personen, Kurzbiografien und Fakten durchaus anstrengende, aber sehr gewinnbringende Lektüre! Karl Krendl
Hasmann, Gabriele: Habsburgs schräge Vögel
: Extravaganzen und Allüren eines Herrscherhauses / Gabriele Hasmann. - Wien : Ueberreuter, 2018. - 181 S. : Ill. ISBN 978-3-8000-7702-1 fest geb. : ca. € 21,95
Klatsch und Tratsch über die Habsburger. (GE) Die Autorin Gabriele Hasmann, die Journalistin, Ghostwriterin, Autorenmanagerin und SpukJägerin ist, skizziert hier ein Bild der Habsburger, das wohl unterhaltsam ist, aber nicht allzu ernst genommen werden darf. Von Leopold I. über Maximilian I, Maria Theresia bis hin zu Erzherzog Ludwig Viktor spannt sich der Bogen. Das Vorwort lässt einen kritischen Blick auf das Geschlecht der Habsburger erwarten, eine Auseinandersetzung mit noch nicht Bekanntem. Leider erfüllen sich diese Erwartungen nicht. Die Autorin erzählt Geschichten, die zwar unterhaltsam sein können, aber historisch häufig nicht belegbar sind. Die/der Leser_in wird mit Narzissten, Gaunern und sexuellen Eskapaden konfrontiert, die, sofern sie stimmen, nichts Neues sind. Wer allerdings ein Fan von Tratschund Klatschgeschichten ist, hat beim Griff zu diesem Buch richtig gewählt. Kurt Haber
Herles, Benedikt: Zukunftsblind
: wie wir die Kontrolle über den Fortschritt verlieren / Benedikt Herles. - Orig.Ausg. - München : Droemer, 2018. - 302 S. ISBN 978-3-426-27731-7 fest geb. : ca. € 20,60
Ein Buch, das die Folgen der Digitalen Revolution bzw. der biotechnischen Innovationen aufzeigt und zu einem wachen Umgang mit der Forschung mahnt. (GS) Machen wir tatsächlich unsere Augen zu, während unsere Welt in immer rascherem Tempo an die Wand fährt? Benedikt Herles, der bereits mit "Die kaputte Elite" für Diskussionen gesorgt hat, behauptet in seinem neuen Werk: Ja, das tun wir! Und so ist es nur konsequent, dass er dieses 266
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Sachbücher
neue Buch, in dem er sich mit den Konsequenzen digitaler Revolution und biotechnologischer Innovationen auseinandersetzt, "Zukunftsblind" betitelt. Auf knapp 250 Seiten schildert der Autor die Verflechtungen von Forschung und Finanzwirtschaft anhand ausgewählter Beispiele im Silicon Valley und lässt, auch wenn vieles bekannt ist, die Leser_innen staunen. Herles benennt die Gefahren, die von der Konzentration des Wissens in großen High-Tech-Konzernen ausgehen, und skizziert eine Gesellschaft, in der die Demokratie von einer neuen Gesellschaftsform, der Algokratie, abgelöst wird. Nicht der Mensch ist dann mächtig, es sind Algorithmen, welche die Form des Zusammenlebens bestimmen. Die letzten, leider recht knapp bemessenen Seiten nehmen einen 10-Punkte-Plan ein. Laut Herles besteht ein akuter "politischer Handlungsbedarf ", wenn die Welt und ihre Menschen doch noch eine Chance haben sollen. Petra Fosen-Schlichtinger
Herzog, Lisa: Die Rettung der Arbeit
: ein politischer Aufruf / Lisa Herzog. - Berlin : Hanser Berlin, 2019. - 221 S. ISBN 978-3-446-26206-5 fest geb. : ca. € 22,70
Wie werden wir in Zukunft arbeiten? (GP) Entgegen aller Erwartung will der von Lisa Herzog verfasste Essay zum Wesen der zukünftigen Arbeitswelt in unserer zunehmend digitalisierten Welt kein Bild davon zeichnen, wie Maschinen, Roboter oder künstliche Intelligenz ganz allgemein den Menschen in der Arbeitswelt ablösen wird, sondern legt den Fokus auf eine nähere Zukunft, in der die digitale Transformation genutzt werden kann, um Arbeit zu demokratisieren und den einfachen Arbeiter wieder stärker einzubinden. Herzog spricht ganz offen aus, dass es bedingt durch die Digitalisierung Umbrüche geben wird und gewisse Perioden der Unsicherheit ertragen
Sachbücher
Geschichte, Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
werden müssen. An dieser Stelle fordert sie sodann die/den Leser_in auf, eben jene Veränderungen nicht blind hinzunehmen, sondern festgefahrene Strukturen, die einigen Privilegierten zugutekommen, aufzubrechen und die soziale Dimension der Arbeit wieder in den Blick zu rücken. Der Essay arbeitet detailliert heraus, dass ein Punkt erreicht ist, an dem es mit den uns jetzt gegebenen Möglichkeiten notwendig ist, die Frage nach Risiken, Verantwortung und Haftung in der Arbeitswelt grundlegend neu zu diskutieren, denke man an die folgenlosen Ausgänge der Drahtzieher der Finanzkrise 2008. Der Essay stellt sich als das heraus, was er verspricht: ein wegweisendes Buch für alle Bürger_innen, die ihr demokratisches Recht in unserer Gesellschaft wahrnehmen möchten. Wie Herzog zu Recht attestiert, ist Arbeit etwas genuin Menschliches und hält Gesellschaften zusammen. Ökonomische Sachverhalte werden anhand praktischer Beispiele verständlich erklärt, sodass die daraus erwachsenden bürgerlichen Rechte und Pflichten an diesem Gestaltungsprozess transparent werden. Der von Herzog intendierte Appell gelingt ihr vollends, sodass ich die Anschaffung dieses kleinen Manifestes für alle Bestände nur wärmstens empfehlen kann. Anna Goiginger
Kershaw, Ian: Achterbahn
: Europa 1950 bis heute / Ian Kershaw. Aus dem Engl. von Klaus Dieter Schmidt. - München : DVA, 2019. - 828 S. : Abb. ISBN 978-3-421-04734-2 fest geb. : ca. € 39,10
Eine meisterhaft erzählte Gesamtschau der Geschichte Europas seit dem Jahr 1950. (GE) Nach "Höllensturz", einer Geschichte Europas der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, legt der renommierte britische Historiker Ian Kershaw mit "Achterbahn" den Nachfolgeband vor, der die Zeit ab 1950 bis in unsere Tage (Brexit) beschreibt. In den sieben Dekaden schlitterte Europa von einer Unsicherheit in die nächste, es gab viele Aufs und Abs, ein Umstand, auf den der Buchtitel abzielt. Die großen Wendepunkte waren die Jahre 1973 (Ölkrise), 1989 (Mauerfall), 2001 (Nine-Eleven) und 2008 (Bankenkrise). Nach der Beschreibung des Kalten Krieges samt der Herausbildung der beiden Machtblöcke wendet sich der Autor den
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politischen und kulturellen Entwicklungen rund um 1968, dem Umbruch in der Sowjetunion (Glasnost, Perestroika) und deren Auflösung, den positiven und negativen Seiten der Globalisierung, dem "Krieg gegen den Terror" und schließlich den Krisen ab 2008 (Finanzen, Migration, Terror) zu. Dabei lässt Kershaw ein eindrucksvolles historisches Panoptikum entstehen, das nur auf zwei Akteure genauer eingeht: Kohl und Gorbatschow. Der Autor wartet mit keinen neuen Erkenntnissen auf, vielmehr fügt er souverän die Fülle der eigenen und "fremden" Forschungsergebnisse zu einer grandiosen europäischen Gesamtschau zusammen, die zudem meisterhaft erzählt wird. Empfehlenswert! Karl Krendl
Rublack, Ulinka: Der Astronom und die Hexe
: Johannes Kepler und seine Zeit / Ulinka Rublack. Aus dem Engl. übers. von Hainer Kober. - Stuttgart : Klett-Cotta, 2018. - 409 S. ISBN 978-3-608-98126-1 fest geb. : ca. € 26,70
Interessante Darstellung von Ablauf und Hintergrund des Hexenprozesses gegen die Mutter von Johannes Kepler. (GE) In der württembergischen Kleinstadt Leonberg wurde im Jahr 1615 eine fast 70-jährige Frau der Hexerei beschuldigt. Eine Nachbarin gab an, die Beschuldigte habe bei ihr durch Zaubertränke Lähmungen verursacht. Andere Stadtbewohner schlossen sich der Anklage an. Es kam zu einem Prozess, bei dem das Gericht die alte Frau am Ende mangels ausreichender Beweise freisprach. Einen wesentlichen Anteil an diesem Freispruch hatte der Sohn der Beschuldigten - der Astronom Johannes Kepler. Der Wissenschaftler überzeugte die Richter mit seiner plausiblen, intellektuell ausgefeilten Verteidigungsschrift. Keplers Mutter war kein Einzelfall. Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts häuften sich in Deutschland die Hexenprozesse. In den bn 2019 / 2
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Geschichte, Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
Sachbücher
folgenden 100 Jahren kam es immer wieder zu regelrechten Prozesswellen. Die Historikerin nimmt das Schicksal von Keplers Mutter als Ausgangspunkt zu einer hochinteressanten Abhandlung über diese Prozesse. Sie bietet dazu differenzierte, plausible Erklärungen. Eine wesentliche Ursache waren die klimatischen Veränderungen, die immer wieder zu Missernten führten. Die Nahrungsmittelknappheit erhöhte die Spannungen in einem austarierten ökologischen System. Die Autorin entwirft ein lebendiges Panorama der Zeit und bringt uns eine Epoche, in der mittelalterliches Denken und moderner Rationalismus direkt nebeneinander existierten, hervorragend näher. Ein interessantes Buch, das aufgrund seiner konkreten, lebensnahen Darstellung sehr lesenswert ist. Absolut zu empfehlen! Karl Vogd
in der Ökonomisierung der Welt, bei der "alles Lebendige kapitalisiert" und damit "verwertbar und wertlos zugleich" wird. Schlussendlich appelliert sie an das einzelne urteilsfähige Subjekt, das sich durch Entlarvung aus diesem lähmenden Zustand löst und sich wieder der Welt zuwendet. Schirach bedient sich bei ihrer Analyse verschiedenster Vertreter aus den Spezialwissenschaften, allen voran der Philosophie Kierkegaards. Anhand des logischen Aufbaus erreicht die Autorin eine gute Verständlichkeit ihres Anliegens. Lebensweltliche Bespiele setzt sie geschickt neben manchmal doch recht schwer zugängliche fachwissenschaftliche Konzepte. Nichtsdestotrotz bereichert die Lektüre die Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Tendenzen und gilt somit als sehr empfehlenswerte Anschaffung für alle Bestände. Anna Goiginger
Schirach, Ariadne von: Die psychotische Gesellschaft
Türcke, Christoph: Digitale Gefolgschaft
: wie wir Angst und Ohnmacht überwinden / Ariadne von Schirach. - Stuttgart : Klett-Cotta, 2019. - 260 ISBN 978-3-608-50233-6 fest geb. : ca. € 20,60
Unsere Gesellschaft kränkelt - Diagnose: Psychose. (GS) Das Positive vorneweg: Bei Schirach gibt es unsere Gesellschaft als solche noch, sodass durchaus eine Heilung möglich ist, denn Schirach attestiert der gegenwärtigen Gesellschaft einen Zustand der Angst und des Realitätsverlustes, ausgelöst durch Digitalisierung, Klimawandel, Globalisierung und Postmoderne. Das Buch beschreibt die Symptome in Form von Gier, Ungleichheit, Ausbeutung, Konkurrenzdenken, Selbstoptimierungswahn und Bequemlichkeit. Einen Therapieansatz gibt uns die Autorin gleich mit an die Hand: Die Menschen sollten wieder mehr vom eingesessenen Egoismus abrücken und die Ganzheit und Verbundenheit des Lebens mit all ihren Geschöpfen in den Blick nehmen. Die Gründe für diese gesellschaftliche Psychose verortet Schirach 268
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: auf dem Weg in eine neue Stammesgesellschaft / Christoph Türcke. - München : C.H.Beck, 2019. - 250 S. ISBN 978-3-406-73181-5 kart. Ca. € 17,50
Interpretation der zunehmenden Digitalisierung vor dem Hintergrund geschichtlicher und philosophischer Standards. (GM) Türcke ist Professor für Philosophie in Leipzig und daher ist es nicht verwunderlich, dass er einen völlig ungewohnten Zugang für seine Analyse der Vorgänge und Folgen der Digitalisierung in und für die Gesellschaft wählt. Ausgehend von der Urform der Öffentlichkeit, der "agorá" (griechisch für Fest- und Versammlungsplatz), betrachtet er die Veränderungen in der Hierarchie und die Art des Zugangs der verschiedenen Gesellschaftsschichten zur Öffentlichkeit. Während in der Urform der Gesellschaft nur hierarchisch hoch gestellte Personen Demokratie in Form von öffentlicher Meinungsbildung ausüben konnten, haben sich die Möglichkeiten der Einflussnahme aller Gesellschaftsgruppen in den Jahrhunderten und besonders in den letzten Jahrzehnten massiv geändert. Spätestens seit der Entwicklung von Rundfunk und Fernsehen wurde es möglich, breite und ungefilterte Personengruppen zu erreichen. Das Außergewöhnliche einer "Versammlung" im Sinne der ursprünglichen Agora wurde sukzessive durch die Alltäglichkeit und die permanente Verfügbarkeit von "Öffentlichkeit"
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Geschichte, Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
ersetzt. Mit dem Internet wurde ein universales Kommunikationsmittel geschaffen, das noch einmal weitreichender als Radio und Fernsehen ist. Dies ist ein Zustand, der erst nach 2500 Jahren Demokratieentwicklung geschaffen wurde. Der Inhalt des Buches gibt den Leser_innen wesentlich mehr als das eher "naiv" gehaltene Cover vermuten lässt. Türcke verwendet eine komplexe Sprache und spart nicht an Verweisen auf literarische und geschichtliche Hintergründe. Ein gut gegliedertes Inhaltsverzeichnis und ein Literaturverzeichnis helfen den Leser_innen bei der Orientierung. Störend ist aus meiner Sicht nur die Verwendung der inzwischen wirklich sehr alten Rechtschreibung. Ein sehr interessantes Buch, das aber nicht in den Bereich der EDV gehört, sondern eher zu Themen wie Philosophie oder Geschichte. Sehr empfehlenswert. Ursula Pirker
Twaroch, Johannes: Anekdotenschatz - Die k. u. k. Monarchie
: Merkwürdiges, Heiteres und Kurioses aus dem alten Österreich / Johannes Twaroch. - Berndorf : Kral Ver., 2018. - 191 S. : Ill. ISBN 978-3-9902479-1-4 fest geb. : ca. € 24,90
Merkwürdiges, Heiteres und Kurioses aus dem alten Österreich. (GE) Immer wieder werden allerlei Anekdoten und Schnurren aus der Monarchie erzählt und mit einem gewissen Lächeln quittiert. Hat also die k. u.k. Monarchie aus nichts als sonderbaren Vorgesetzten bestanden? War es wirklich so heiter? Twaroch hat eine beeindruckende Fülle derartiger Erzählungen zusammengetragen, die tatsächlich teilweise sehr amüsant sind. Vor allem die Berichte aus den damaligen östlichen Gegenden wie Galizien scheinen prädestiniert dafür zu sein, Merkwürdigkeiten des militärischen Alltags zu liefern. Dabei bedient sich Twaroch bewusst auch einer sehr altertümlichen Sprache bzw. Rechtschreibung, um den Charakter dieser
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Epoche zu betonen. Insofern können hier überzeugend Bilder einer längst vergangenen und versunkenen Welt entstehen. Beispielsweise wird auf S. 107 erzählt, dass man aufgrund der von Prof. Röntgen entdeckten Strahlen "durch einen Mann hindurchsehen könne". Marie von EbnerEschenbach reagierte folgendermaßen auf diese Neuigkeit: "Was ist denn da Besonderes dabei? Das konnte eine kluge Frau schon immer!" Es sind diese Komponenten, die das Schmökern in diesem Buch zum Vergnügen machen. Ob man anfängt es, von vorne zu lesen oder irgendwo in der Mitte beginnt, spielt keine Rolle. Und im Klappentext liest man: "Auch zum Protzen am Stammtisch geeignet." Heinrich Klingenberg
Walcher, Maria: Ein Erbe für alle
: 103 Traditionen aus Österreich / Maria Walcher ; Edith A. Weinlich. Ill. von Caterina Krüger. - Wien : Folio-Verl., 2018. - 254 S. : zahlr. Ill. (farb.) ISBN 978-3-85256-767-9 fest geb. : ca. € 35,00
Das immaterielle Weltkulturerbe Österreichs in einem ansprechend gestalteten Buch für alle, die lebendige Traditionen lieben und mehr darüber wissen wollen. (GK) Was macht Österreich reich? Sind es die Natur- und Kulturgebiete und die Kunstschätze? Oder ist es das Wissen und Können der Menschen? Die Autorinnen haben die bisher 103 als immaterielles Weltkulturerbe eingetragenen Traditionen Österreichs - Handwerk, Feste, Tanz, Gesang, Sprache - zusammengestellt und auf je einer Seite spannend beschrieben. Eindringlicher als jedes Foto verdeutlicht die jeweils gegenüberliegende, großflächige illustrierte Seite das Immaterielle - von Blaudruck über Zitherspiel und Bräuchen rund um die Heiligen Drei Könige bis hin zum handwerklichen Schmieden von Sensen. Auf der Übersichtskarte am Ende des Buches fällt auf, dass die weitaus meisten Eintragungen im UNESCO-Weltkulturerbe in den Alpen zu finden sind, in den Bergen Vorarlbergs und Tirols, im Salzkammergut und in Oberösterreichs bn 2019 / 2
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Alpenvorland. Was diese Gebiete vom Flachland und vom Osten unterscheidet, mag sich jeder selbst ausdenken; sicher ist es keine Rückständigkeit, denn lebendiges Erbe ist vor allem Wandel und Weitergabe für die Zukunft. Ein informatives und überraschendes, vor allem aber unterhaltsames Buch zum Schmökern und zum stolz sein auf Österreich und seine Menschen. Wolfgang Moser
Wallnöfer, Elsbeth: Heimat
: ein Vorschlag zur Güte / Elisabeth Wallnöfer. - Innsbruck : Haymon, 2019. - 158 S. ISBN 978-3-7099-3455-5 fest geb. : ca. € 19,90
Ein Versuch, den Heimat-Begriff zu retten. (GS) "Heimat" scheint vor allem im gegenwärtigen Diskurs negativ konnotiert, dem rechten Lager sehr eng verbunden, Identitäre beziehen ihre grundlegenden Ideale darauf, dass es etwas wie eine kollektive Heimat gäbe. Dabei sollte ein jeder Mensch Anrecht haben, sich einer (individuellen) Heimat verbunden zu fühlen, welche vielleicht eben nicht so eng gefasst werden kann, wie sich dies bei politisierten Auslegungen derzeit darstellt. Elsbeth Wallnöfer positioniert sich in ihrem Buch klar dagegen und setzt sich dafür ein, Heimat pluralistisch zu begreifen. Wallnöfer rekonstruiert den historischen Weg des HeimatBegriffes als anfänglich eher individuelle Empfindung bis hin zu einem ideologischen Kampfbegriff und plädiert schlussendlich dafür, Heimat neu zu denken, ihn einer Öffnung zu unterziehen, was angesichts aktueller Debatten einen wahren Gewinn darstellt. Obschon das Buch durch seine Kürze überzeugt, weist es dennoch einige Passagen auf, die ohne fachwissenschaftliche Vorkenntnisse teilweise schwer zu durchdringen sind. Für eine interessierte Leserschaft durchaus empfehlenswert, um sich einen historischen Überblick zu verschaffen. Anna Goiginger
Willmann, Hans-Georg: Durchstarten mit 50 plus
: wie Sie Ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt nutzen / HansGeorg Willmann. - Frankfurt : Campus Verlag, 2018. - 223 S. : graph. Darst. ISBN 978-3-593-50927-3 kart. : ca. € 20,60 270
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Ein Arbeitsbuch für Menschen, denen in den letzten Jahren vor der Pensionierung noch ein beruflicher Wechsel bevorsteht. (GW) Wer im Alter von 50 plus seinen Beruf wechseln möchte (oder wohl eher muss), braucht andere Strategien als jemand mit 25 oder 30 Jahren. Der Autor, ein deutscher Psychologe mit einer eigenen Firma für Personalberatung und Coaching, führt Schritt für Schritt zu einem persönlichen Masterplan. Reflexionsfragen und Checklisten in jedem Kapitel sowie illustrative Beispiele führen von Problemen weg, hin zu Lösungsansätzen und zur eigenen Neupositionierung. Jede berufliche Veränderung in diesem Alter benötigt freilich viel mehr Energie als in den Jahrzehnten davor und eine aktive Haltung, an der man täglich arbeiten muss. Nebenbei wird erläutert, was ein verdeckter Stellenmarkt ist, wie Personaler heute ticken und was sich im Bewerbungsprozedere in den letzten Jahren verändert hat. Das Buch richtet sich eher an Personen in höheren Positionen oder mit verantwortungsvollen Aufgaben im Wirtschaftsleben, die es gewohnt sind, das eigene Leben aktiv zu gestalten. Angesichts einer drohenden Kündigung nützt schnelles Durchlesen nichts, die Neugestaltung des Berufslebens mit 50 plus funktioniert nur mit langfristiger, ehrlicher und planvoller Arbeit an sich selbst! Wolfgang Moser
Zeillinger, Gerhard: Überleben
: der Gürtel des Walter Fantl / Gerhard Zeillinger. - Wien : Kremayr & Scheriau, 2018. - 238 S. : Ill. ISBN 978-3-218-01129-7 fest geb. : ca. € 22,00
Überleben im Konzentrationslager. (GE) Bischofstetten, ein kleiner Ort im niederösterreichischen Mostviertel. In dieser kleinen und bescheidenen Welt lebt die Familie Fantl und betreibt einen Gemischtwarenladen. Niemand stört sich daran, dass die Fantls Juden sind. Das ändert sich schlagartig mit der Machtübernahme Hitlers. Von heute auf morgen ist die Welt anders, die Ausgrenzung beginnt. Doch immer noch glauben die Fantls an ein gutes Ende und sie erkennen nicht rechtzeitig die Zeichen der Zeit. Zu diesem Zeitpunkt ist Walter gerade einmal 14 Jahre alt und versteht die Welt immer weniger. Nach der Umsiedlung nach Wien
Sachbücher
Geschichte, Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
und der Arisierung des Geschäfts versucht die Familie alles, um endlich in die USA ausreisen zu können, aber alle Bemühungen scheitern am Geld bzw. fehlenden Papieren. 1942 erfolgt die Deportation zuerst nach Theresienstadt und dann nach Auschwitz-Birkenau. Dort erlebt der junge Walter alle Gräuel eines Konzentrationslagers. Und als er schließlich einen Kapo nach dem Verbleib seines Vaters fragt, zeigt dieser auf ein paar Schornsteine und erhält die Antwort: "Siehst du den Rauch? Das sind die anderen, das ist dein Vater". Zu diesem Zeitpunkt weiß Walter natürlich noch nicht, dass er der einzige Überlebende der Familie sein wird. Was ihm in weiterer Folge alles an Leid angetan wird und wie er es schafft, sich trotz all dieser schrecklichen Ereignisse seine positive Lebenseinstellung zu bewahren, wird berührend erzählt anhand seines Ledergürtels. Wegen der immer knapper werdenden Verpflegung magert er bis zu jenem
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Punkt ab, wo er selbst das Gefühl hat, nur mehr von diesem Gürtel zusammengehalten zu werden. Und schließlich ist es sein einziges Eigentum, das ihm nicht gestohlen oder abgenommen wird. Das Buch nimmt einen anderen Ausgang als man erwarten würde. Nicht die Befreiung aus dem KZ steht im Mittelpunkt, sondern die weitere Entwicklung in der Nachkriegszeit. "Nach dem Krieg sind wir frei!" heißt es, aber Walter findet sich mit den neuen Verhältnissen auch nicht zurecht. Er und einige seiner Freunde ziehen zuerst in Polen herum und plündern verlassene Häuser. Schließlich gelangt er zurück nach Wien, sucht hier vergeblich nach Familie und Freunden und reist zuletzt freiwillig nach Theresienstadt zurück. Am Ende registriert er, dass seine Freunde nach Palästina und Amerika ausgewandert sind, stellt aber fest, dass die Überlebenden auch dort nicht wirklich "angekommen" bzw. willkommen sind. Sein Elternhaus hat er nach vielen Jahren zurückerhalten. Betreten hat er es aber nie mehr. Der Historiker Gerhard Zeilinger erzählt diese Familiengeschichte bzw. Biografie auf sehr eindrückliche Weise und ohne Wertungen. Im Mittelpunkt stehen die Berichte Walter Fantls. Ein höchst lesenswertes Buch, das zu vielen Diskussionen anregen kann. Heinrich Klingenberg
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Sachbücher
Kunst, Musik, Film, Theater, Tanz
Bildende und darstellende Kunst Die Dschungelbücher
: Mowgli, Die weiße Robbe, Rikki-Tikki-Tavi, Toomai von den Elefanten und andere Bildtafeln zu Joseph Rudyard Kiplings Erzählungen / meisterhafte Ill. von Gabriel Pacheco. - Münster : Bohem, 2019. - [18] Bl. : überw. Ill. (farb.) mit ausgewählten Sätzen aus Joseph Rudyard Kiplings Dschungelbüchern. ISBN 978-3-95939-062-0 fest geb. : ca. € 61,70
Suggestive Form der illustratorischen Begegnung mit Einzelszenen eines weltliterarischen Werkes. (ab 6) (KB) In den Händen hält man ein großformatiges Etwas. Eine illustrierte Romanausgabe ist es nicht. Auch ein Bilderbuch ist es nicht. Und eine liebenswerte Version von Mowgli, die an die charmant-sangesfreudige Version aus dem Hause Disney erinnert, ist es schon gar nicht. Was also ist es, das hier so suggestiv auftritt, so bildintensiv hineinführt in die Welt des Dschungels? Man könnte es als überdimensionierte Kunstkartensammlung bezeichnen. Assoziativ werden dabei Zitate aus dem Roman aufgegriffen und auf die Rückseiten der Bilder gesetzt. Mit dem Roman gemeint ist das erste, 1894 erschienene "Dschungelbuch"; eine Geschichtensammlung,
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an deren Beginn jene drei Erzählungen über Mowgli zu finden sind, die im kulturellen Gedächtnis zum Synonym für "Das Dschungelbuch" in seiner Gesamtheit geworden, aber dennoch nur ein Teil davon sind. Gewählt werden hier auch Szenen aus den anderen Geschichten, die allesamt das raue Leben im Dschungel aufgreifen und dessen Exotik betonen. Für Mowgli ist dieses Leben von Gesetzen, vom Lernen und vom biografiebildenden Konflikt mit Shir Khan dem Tiger bestimmt. Inszeniert wird er in den Illustrationen von Gabriel Pacheo in jener körperlichen Ausgesetztheit (und Verwahrlosung), die ein Leben unter Wölfen mit sich bringt. Der mexikanische Künstler nutzt dafür einen illustratorischen Stil, der surrealistisch anmutet, aber dennoch auf die Romantik verweist - jene Epoche also, für die Mowgli als Prototyp des wilden, vorzivilisatorischen Kindes gelten darf. Doch nicht nur Mowgli, auch die Wesen der anderen Geschichten sind bildlich in das Spannungsfeld zwischen der raumgreifenden Natur und dem menschlichen, raumbegrenzenden Handeln an ihr gestellt. Dieserart präsentiert werden situative Einblicke in ein weltliterarisches Werk; und auch wenn keine Handlungsverläufe oder literarische Kausalitäten präsentiert werden, ist es ein faszinierender Einblick in eine Welt, die Rudyard Kipling selbst als Inbegriff des Fremden verstanden hat. Zu empfehlen ab 6 Jahren. Heidi Lexe
Sachbücher
Naturwissenschaft, Technik, Medizin, Gesundheit
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Naturwissenschaft, Technik, Gesundheit Barczok, Michael: Luft nach oben
: wie richtiges Atmen uns stärker macht / Michael Barczok. Köln : Bastei Lübbe, 2018. - 287 S. : Ill. ISBN 978-3-7857-2631-0 kart. : ca. € 17,40
Gesundheitsratgeber mit praktischem Übungsteil. (NK) Barczok bringt das Thema gleich vom Start weg auf den Punkt. Sollten die Leser_innen heute schon an ihre Lungen gedacht haben, dann ist anzunehmen, dass irgendetwas nicht stimmt. Mit bildreicher und verständlicher Sprache skizziert Barczok, wie die Lunge arbeitet und welche Faktoren dieses komplizierte Konstrukt aus dem Rhythmus bringen können. Er gibt unumwunden zu, dass er früher auch selbst Raucher war, inzwischen aber oft genug beobachten musste, wie das Rauchen die Lungen sukzessive zerstört. Dies gilt für das Passivrauchen genauso wie für das aktive Rauchen. Ein weiterer großer Risikofaktor ist die massiv zunehmende Feinstaubbelastung. Durch kleine Skizzen und Vergleiche bringt er den Leser_innen anschaulich nahe, was sie selbst bzw. auch die Umweltbedingungen der Lunge antun. Die gängigsten angeborenen und erworbenen Lungenkrankheiten werden erläutert und seine Frau, die Atemtherapeutin Susanne Menrad-Barczok, stellt anschließend einige Übungen für ein aktives Atemtraining vor. Der Ratgeber ist übersichtlich gegliedert und mit einem Inhaltsverzeichnis versehen. Die Sprache
ist bisweilen etwas plakativ, aber dadurch wird es Barczok besser gelingen, viele Leser_innen zu erreichen. Insgesamt ein Buch, das mehr gibt als es auf den ersten Seiten den Anschein hat. Empfehlenswert. Ursula Pirker
Gerten, Dieter: Wasser
: Knappheit, Klimawandel, Welternährung / Dieter Gerten. - Orig.-Ausg. - München : C.H.Beck, 2018. - 207 S. : graph. Darst. - (C.H. Beck Paperback) ISBN 978-3-406-68133-2 kart. : ca. € 15,40
Ein Grundlagenbuch über die begrenzte Ressource Wasser und Visionen für einen nachhaltigen Umgang. (NB) Der Autor Prof. Dr. Dieter Gerten ist Koordinator für Erdsystemanalyse sowie Professor für Klimasystem und Wasserhaushalt im Globalen Wandel an der Humboldt Universität in Berlin. Er forscht über globale Wasserressourcen, landwirtschaftlichen Wassermangel, Ökosysteme im Klimawandel, menschlichen Einfluss auf Wasser und Biosphäre, Religion und Wasser sowie planetare Grenzen. Auf 178 Seiten gelingt hier dem Autor das Kunststück, einen leicht lesbaren globalen Überblick über die naturwissenschaftlichen Grundlagen des Wasserkreislaufs, dessen aktuelle Veränderungen im Klimawandel, die Folgen für die Landwirtschaft und einen Ausblick auf Strategien für die Zukunft zu geben. Begrifflichkeiten und unterschiedliche wissenschaftliche Betrachtungsweisen werden genau erklärt und ermöglichen auch dem Laien eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem fachübergreifenden Thema. Trotz der erstaunlichen Fülle von Fakten und Themenfeldern ergibt sich ein klares Bild. Der Autor analysiert systematisch bn 2019 / 2
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Naturwissenschaft, Technik, Medizin, Gesundheit
den bisherigen und problematischen Umgang mit Wasser und bleibt angenehm sachlich ohne zu moralisieren. Philosophische, soziologische und politische Überlegungen runden das Buch ab. Derart perfekt aufbereitete, anschauliche Wissenschaft sollte in jeder Bibliothek zu finden sein. Aloisia Altmanninger
Hess, Thomas: Muss ich jetzt was machen oder wächst das von allein?
: [alle Gartenarbeiten auf einen Blick] / Thomas Hess. Stuttgart : Franckh-Kosmos, 2018. - 141 S. : zahlr. Ill. (farb.) ISBN 978-3-440-16284-2 kart. : ca. € 17,50
Coaching für vielfältige Gartenarbeit nach Plan. (NL) Coaching ist in vielen Bereichen "in". Und könnte gerade bei Gartenarbeiten, wo doch viel Know-how vonnöten ist, recht nützlich sein. Diesen Nutzen bietet das vorliegende Buch in anschaulicher und vielfältiger Weise. Dem Jahreskreis folgend werden zeitgerechte und naturgemäße Arbeiten im Garten dargestellt. Und zwar anhand von kurzen Beschreibungen, nachvollziehbaren Anleitungen, übersichtlichen Checklisten, aussagekräftigem Bildmaterial und einer Menge Tipps. Was wann, wie und womit zu tun ist, ja, auch wie sich der Arbeitseinsatz in vernünftigen Grenzen hält, darüber informiert das anregende Buch kenntnisreich. Auch Pflanzenkunde, Informationen über praktische Gartengeräte, Schutzmaßnahmen gegen Schädlinge und Witterungsunbill sowie Hinweise für richtige Obst- und Gemüselagerung kommen nicht zu kurz. Überblickstabellen und ein praktisches Register ermöglichen eine rasche Orientierung. Eine Fundgrube für Garteneinsteiger_innen. Ob das Buch allerdings häufiges Mitnehmen in den Garten ohne Schaden an der Bindung verträgt bzw. häufiges Entlehnen, ist eher zu bezweifeln. Fritz Popp
Marschall, Astrid: Gute Genesung
: Tipps zum Gesundwerden & Gesundbleiben / Astrid Marschall ; Julia Rakus. - Hamburg : tredition, 2018. - 204 S. : Ill. ISBN 978-3-7469-9304-1 kart. : ca. € 25,70
Hilfe zur Selbsthilfe mittels Alternativmedizin ärztliche Sprechstunde im Buchformat. (NK) 274
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Nach 30-jähriger Tätigkeit in eigener Praxis als Alternativmedizinerin und Psychotherapeutin verabschiedet sich Dr. Astrid Marschall in den Ruhestand. Als Autorin möchte sie ihr Wissen und ihre Erfahrung in Form eines Ratgebers an ihre ehemaligen Patient_innen und an Interessierte weitergeben. Als Mitautorin unterstützt sie dabei Mag. Dr. Julia Rakus, ebenfalls Allgemeinmedizinerin sowie Yogalehrerin und Ernährungswissenschaftlerin. Der allgemeine Teil des Buches umfasst die Durchführung verschiedener Anwendungen, wie beispielsweise Wickel, Ölziehen, Akkupunktmassage und Körperübungen. Unterschiedliche Ernährungsformen und Entlastungsmöglichkeiten werden vorgestellt sowie Methoden der Selbstbeobachtung, um die persönlich ideale Ernährungsform zu finden. Im Hauptteil werden Krankheitsbilder, von der Allergie bis zur Zahnfleischentzündung, besprochen - alphabetisch geordnet und schnell auffindbar. Zu jeder Krankheit werden jeweils passende Möglichkeiten für eine Selbstbehandlung beschrieben: Diese umfassen unter anderem Kräuter, Kneipp‘sche Anwendungen, Akkupunktmassage, spezifische Ernährungstipps und drei entsprechende Asanas aus der Yogatherapie. Aber auch die Grenzen einer Selbstbehandlung werden aufgezeigt. Besonderes Augenmerk liegt auf der unkomplizierten Durchführbarkeit der Methoden und der bevorzugten Verwendung von leicht erhältlichen Heilmitteln. Im Anhang finden wir beispielsweise eine alltags- und reisetaugliche, mehrsprachige (!) Notfallapotheke mit Hilfsmitteln, die großteils sogar in einem Lebensmittelgeschäft erhältlich sind. Insgesamt ein rundum gelungener Gesundheitsratgeber. Andrea Ogrisegg
Montgomery, Sy: Einfach Mensch sein
: von Tieren lernen / Sy Montgomery. Aus dem Amerikan. von Heide Sommer. Mit Ill. von Rebecca Green und einem Nachw. von Donna Leon. - Zürich : Diogenes, 2019. - 207 S. : Ill. ISBN 978-3-257-07064-4 fest geb. : ca. € 22,70
Sachbücher
Naturwissenschaft, Technik, Medizin, Gesundheit
Von einer tiefen Liebe zu Tieren durchdrungen, lässt die Autorin die Lesergemeinde an Begegnungen mit ziemlich ungewöhnlichen Geschöpfen teilhaben. (NI) In diesem Buch stellt die Autorin Sy Montgomery 10 Tiere (darunter ihr Hausschwein, einen Hermelin, eine Vogelspinne) vor, die für sie große Bedeutung hatten bzw. für die sie tiefe Liebe empfand (für Menschen würde man den Begriff "Lebensabschnittspartner") wählen. Das Buch beginnt mit der Vorstellung eines Scotch Terriers, der für Montgomery als wenig geliebtes Kind Resilienz bedeutete. Dann berichtet die Autorin über Emus in Australien, bei denen sie lernte, mit wilden Tieren eine Vertrauensbasis zu schaffen. Schließlich endet das Buch mit der Erzählung über die "Freundschaft" mit einer Riesenkrake in einem Aquarium. Neben vielen Charakteristika der sehr genau beobachteten und gekonnt beschrieben Tierpersönlichkeiten erfährt man auch einiges über das Privatleben der Autorin, die unzulänglichen Eltern, den geliebten Ehemann und die freundlichen Nachbarn. Sehr ehrlich geht Sy Montgomery auch auf ihre ethische Haltung ein, scheut sich nicht zu erzählen, dass ihr die verstorbene Hündin im Traum erschienen ist, um sie auf den richtigen Weg zum Nachfolgehund zu führen. "Einfach Mensch sein" ist ein sehr inniges Buch, das mit allen Tierliebhaber_innen eine konspirative Beziehung herstellen wird. Auf der anderen Seite ist es ein sehr amerikanisches Buch, denn in Europa (zumindest ist mir das nicht bekannt!) könnte man als Journalistin (was Sy Montgomery laut ihrer Ausbildung ist) nicht regelmäßig in einem Aquarium mit einer Krake "schmusen" (d.h. die Arme so lang ins Wasser halten, bis sie vom Tier in friedlicher Absicht erwischt und festgehalten werden). Empfehlenswert für das "Tierregal". Doris Göldner
Moser, Maximilian: Vom richtigen Umgang mit der Zeit
: die heilende Kraft der Chronobiologie / Maximilian Moser. Frankfurt a. M. : Ullstein, 2018. - 223 S. ISBN 978-3-548-74671-5 kart. : ca. € 10,30
Neue Erkenntnisse über den menschlichen Zeitorganismus - das Uhrwerk unserer Gesundheit. (NB) Mit seinem neuen Buch bringt der bekannte österreichische Chronobiologe Maximilian Moser
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die/den Leser_in auf den neuesten Stand der Erforschung biologischer Rhythmen und ihrer Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden. Anders als in manch anderen Fachbüchern bleibt es hier aber nicht bei der Aufzählung von bloßen Fakten, sondern der Autor präsentiert viele Tipps, wie ein gelebtes Chrono-Bewusstsein umzusetzen ist. Professor Moser erinnert in seinen Ausführungen immer wieder an unsere biologischen Wurzeln. An unsere Rhythmen, die in unserer 24 Stunden/7 Tage Gesellschaft zugeschüttet, aber keineswegs eliminiert worden sind. Der Autor zeigt auf, welch gravierende negative Auswirkungen die Missachtung unserer zeitlichen Struktur hat. Wer sich für die Rhythmen, denen unser Leben folgt und dem daraus resultierenden besseren Gesundheitszustand interessiert, findet mit diesem Buch einen leicht verständlichen Einstieg in die Chronobiologie. Ein Buch, das in keiner Bibliothek fehlen sollte! Johannes Preßl
Schmitzer, Ulrike: Houston, wir haben ein Problem
: kuriose Geschichten aus der Raumfahrt / Ulrike Schmitzer ; Martin Thomas Pesl. - Wien : Edition Atelier, 2018. - 212 S. : Ill. (farb.) ISBN 978-3-903005-43-3 fest geb. : ca. € 23,00
Skurrilitäten aus der Welt der Raumfahrerliteratur. Was oft als Utopie begonnen hat, wird später zur Pionierleistung. (NT) Ulrike Schmitzer ist Wissenschaftsjournalistin bei Ö1, freie Filmmacherin und Autorin. In zahlreichen Büchern und vor allem Sendungen im ORF hat sie sich mit der Raumfahrt beschäftigt. Sie interviewte Astronauten und lernte weiteres Weltraumpersonal (wie Mediziner, Psychologen oder Architekten) kennen und ging der Frage nach: Wie kann es zu Fehlern in der Raumfahrt kommen bzw. wie lassen sie sich vermeiden? Als sie auf den Autor und Journalisten (bei der Stadtzeitung "Falter" und der "Wiener bn 2019 / 2
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Naturwissenschaft, Technik, Medizin, Gesundheit
Zeitung") Martin Thomas Pesl traf, ergab es sich, dass die beiden das vorliegende Buch herausgaben. Es handelt sich um eine Sammlung aus feuilletonartigen Beiträgen von Ikarus bis zur Gegenwart. Charakteristisch ist z.B. die (willkürlich gewählte) Seite 19: Es geht um das Jahr 1657 und der Beitrag trägt den Titel: "Cyrano, Talk in space". Links davon ist eine scherenschnittartige Illustration, die einen Art fliegenden Kasten zeigt. Der Beitrag fasst Cyrano de Bergeracs Roman "Die Reise zum Mond und zur Sonne" zusammen (Quellenangabe unter dem Text stehend). So ungefähr sieht jede Seite des Buchs aus. Der rote Faden ist ausschließlich die Raumfahrt, Unglücksfälle oder Kuriosa wurden nicht eigens in Überkapitel zusammengefasst. Insgesamt ist das Buch genauso wenig fassbar, wie die gesamte Raumfahrt. Es ist eine Sammlung von Raumfahrergeschichten auf mehr als 200 Seiten, die alle schwarz mit hellgelbem Druck sind. Wirklich schade ist, dass das Inhaltsverzeichnis am Ende des Textblocks nur eine chronologische Auflistung der Beiträge ist, denn es ist ganz bestimmt kein Buch, das man von Anfang bis zum Ende durchliest. Im Gegenteil, es wird zur Hand genommen, irgendwo aufgeschlagen und dem Inhalt des Gelesenen weitergegangen. (z.B. Cyrano, Ikarus oder den russischen bzw. amerikanischen Raumstationen.) Bibliotheken empfohlen als ungewöhnliches Buch zum Thema Raumfahrt mit Beiträgen, die die Leser_innen überraschen werden. Doris Göldner
Sidhu, Balvinder: Ayurveda Detox
: Ganzheitlich entgiften und entschlacken. Ayurvedische Darmpflege. Tipps für jeden Typ und jeden Tag / Balvinder Sidhu. - Murnau a. Staffelsee : Mankau, 2019. - 158 S. ISBN 978-3-86374-499-1 kart. : ca. € 13,40
Entgiftung und Entschlackung des Körpers. (NK) Ayurveda ist eine jahrtausendalte, indische Heillehre, die mit Detox eine bewusste innere Reinigung und Entgiftung anstrebt. Dadurch sollen 276
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Sachbücher
die körpereigenen Zellen, das Gewebe und die Organe wieder leistungsfähiger werden. Die Autorin geht von den drei Doshas aus, die um die zentrale ayurvedische Lehre kreisen. Vata, Pitta und Kapha bestimmen die körperliche Konstitution. Im Ayurveda werden große Teile der Physiologie, aber auch verschiedene grobund feinstoffliche Einflüsse, mit Hilfe der Doshas bestimmt. Mit Hilfe eines Testes kann man den eigenen Typ bestimmen. Um die ursprüngliche Lebenskraft zu erhalten, geht die indische Lehre davon aus, dass in erster Linie die Verdauung gut funktionieren muss. Hierzu gibt es eine kurze ayurvedische Ernährungseinführung mit Heilmittelwirkungen und die Kunst der Ausleitungsverfahren wird vorgestellt. Die vorgeschlagene 5- oder 10-tägige Entschlackungskur enthält Rezepte für den ayurvedischen Frühstücksbrei, den Gerichten zu Mittag und zu Abend sowie den Fastentrunk, den Detox- Tee und das Ingwerwasser. Ernährungs- und Bewegungstipps für die drei Konstitutionstypen runden das kleine Büchlein ab. Geeignet für Einsteiger_innen zur schnellen und allgemeinen Information. Für Bibliotheken gut geeignet. Maria Dorrer
Stossier, Harald: Ernährung
: worauf es wirklich ankommt / Prof. Dr. med. Harald Stossier ; Dr. med. Georg Stossier. - Wien : Verlagshaus der Ärzte, 2018. - 125 S. : Ill. ISBN 978-3-99052-181-6 kart. : ca. € 17,90
Sachbuch, welches sich dem Thema Ernährung aus der Sicht von Franz-Xaver-Mayr-Ärzten widmet. (NK) Was esse ich? Was koche ich? Wie kann ich meinem Körper durch Ernährung Gutes tun? Diese Fragen stellt sich jeder irgendwann in seinem Leben. Alleine, es gibt keine allgemeingültigen Antworten! Je nach ernährungsphysiologischer Schule und medizinischem Zugang werden sie unterschiedlich ausfallen. Das vorliegende Buch wurde von Medizinern geschrieben, die sich auf die Behandlungsmethode von Franz Xaver Mayr beziehen. Es ist ein kompaktes, gut leserliches und bebildertes Sachbuch, ein informativer Ratgeber für Menschen, die auf der Suche nach einem bewussterem Lebensstil sind. In insgesamt neun kurz gehaltenen Kapiteln werden die Themen "Esskultur und ihr Einfluss auf
Sachbücher
Naturwissenschaft, Technik, Medizin, Gesundheit
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den Verdauungsapparat" genauso behandelt wie Weeß, Hans-Günter: Schlaf wirkt Wunder die "Lagerung von Lebensmitteln" und "Zeit- : alles über das wichtigste Drittel unseres Lebens / gemäße Küchentechnik". Ziel der Autoren ist Hans-Günter Weeß. Mit Ill. von Katja Spitzer. - München : es, ihre Leser_innen weniger zu belehren, als zu Droemer, 2018. - 330 S. : Ill. ISBN 978-3-426-27755-3 kart. : ca. € 17,50 einem Umdenken im Alltag zu motivieren. Als nicht medizinisch gebildete/r Leser_in hat Umfassendes, populärwissenschaftliches Werk zum man bei der Lektüre des Buches viele "Aha"Thema Schlaf. (NK) Erlebnisse und wünscht sich, noch tiefer in die Von verschiedenen Materie eintauchen zu dürfen. Seiten nähert sich der Petra Fosen-Schlichtinger Schlafforscher, Psychologe und Leiter eines interdisziplinären Vitek, Michael: Waving Schlafzentrums in : der neue Lifestyle gegen Schmerzen und für ein besseres Deutschland HansLeben / Dr. med. Michael Vitek. - Wien : Verlagshaus der Günter Weeß dem Ärzte, 2018. - 176 S. : Ill. Phänomen Schlaf. ISBN 978-3-99052-178-6 kart. : ca. 17,90 Gleich im ersten Teil des Buchs ist er dem Der Wiener Orthopäde Dr. Michael Vitek entwickelt eine therapeutische Übungsform gegen Schmerzen in Geheimnis Schlaf auf der Wirbelsäule und in den Gelenken. (NK) der Spur und in Kapiteln, die verheißungsvoll mit "Schlaf ist die beste Waving sind Wellen-Übungen, die sich aus symMedizin", "Jungbrunnen Schlaf " und "Stimmetrisch-rhythmischer, langsamer und fast unbemungsregler Schlaf " übertitelt sind, verdeutlicht merkbarer Bewegung, aus Atemtechnik und aus er die Wirkung des Schlafs auf die Gesundheit. Konzentrationsmaßnahmen zusammensetzen. Hier erfährt man auch, warum die Sorgen nachts Im theoretischen Teil erfährt man etwas über die größer scheinen (weil das Schlafhormon MelatoSchmerzentstehung und -leitung sowie über die nin eher trübe Gedanken fördert) und dass man Unterschiede zwischen akutem und chronischem so viel Schlaf braucht, bis man sich wach und Schmerz. Es folgen der Aufbau und die Funktion ausgeschlafen fühlt. unserer Gelenke und der Wirbelsäule sowie die In einem anderen Teil des Buches werden die häufigsten Gelenks-, Weichteil- und Wirbelsäuwichtigsten Schlafstörungen wie Durchschlaflenerkrankungen. Im praktischen Teil lernt man probleme oder Atemstillstände beschrieben. die richtige Atemtechnik (Bauchatmung), die Am Ende des Buches, wie schon mit einer kleiVisualisierung (Gefühle, v.a. den Schmerz, vor nen Plakette auf dem Cover angekündigt, befindem geistigen Auge sichtbar zu machen) und det sich ein Drei-Wochen-Programm für einen zum Schluss folgen die praktischen Übungen, gesunden Schlaf. die knapp 2/3 des Buches ausmachen. Es gibt Schlaf, bzw. dessen Störungen, ist derzeit ein sehr separate Übungen für die Halswirbelsäule, für modernes, häufig aufgegriffenes Thema und viele die Brustwirbelsäule, für die Lendenwirbelsäule, Leser_innen werden in diesem Buch Antworten für die gesamte Wirbelsäule und für die Gelenke auf zahlreiche Fragen finden. Es ist von einem (Hüfte, Knie, Fuß, Schulter und Ellbogen). Experten, der sich seit mehr als 20 Jahren mit Alle Übungen sind auf Fotos dargestellt, die dem Forschungsgebiet beschäftigt, verständlich mit blauen und roten Pfeilen die Übungsrich- und unterhaltsam geschrieben und enthält vieltung und die Schmerzvisualisierung angeben. leicht nicht ALLES, aber doch sehr viel WissensWaving versteht sich als zusätzliche Trainings- wertes zum Thema. Empfohlen. Doris Göldner und Behandlungsmethode, die keinesfalls einen Arztbesuch ersetzt. Alle Übungen sind im Sitzen, Stehen und im Liegen leicht durchführbar und eignen sich für alle Schmerzpatient_innen, aber auch für Gesunde, um sich fit zu halten. Für Bibliotheken gut einsetzbar. Maria Dorrer bn 2019 / 2
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Literaturwissenschaft, Sprache, Buch, Bibliothek
Sachbücher
Literaturwissenschaft, Sprache Amis, Martin: Im Vulkan : Essays / Martin Amis. Hrsg. von Daniel Kehlmann. - Zürich : Kein & Aber, 2018. - 314 S. ISBN 978-3-03-695788-3 fest geb. : ca. € 25,70
Essaysammlung eines bekannten britischen Autors, Literaturkritikers und Journalisten aus den vergangenen 35 Jahren. (PL) Der vorliegende Essayband umfasst einen Zeitraum von 35 Jahren und zeigt die breiten Interessen des Autors, der in England als Sohn des berühmten englischen Romanciers Kingsley Amis für seine eigenen Romane bekannt ist und als schillernde Persönlichkeit gilt. Der Herausgeber des im Kein & Aber Verlag erschienenen Bandes, der österreichische Schriftsteller Daniel Kehlmann, legt einen repräsentativen Querschnitt der Essays Martin Amis' vor, in dem sich neben literarischen Besprechungen und Begegnungen (Artikel über Salman Rushdie nach der Fatwa, Franz Kafka, den alternden, seine Sprache verlierenden John Updike, das Thema Pädophilie im Werk des von Amis heiß verehrten Vladimir Nabokov und ein Besuch bei dessen Witwe u.a.) und diversen Berichten über Interviews bei bekannten amerikanischen Filmgrößen wie Roman Polanski oder beim jungen Steven Spielberg (knapp nach der Veröffentlichung von E.T.) auch die englische und amerikanische Zeitgeschichte widerspiegelt. 278
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Beispielsweise kann sich die/der Leser_in in den Tross der Tony Blair 2007 auf einer Reise zwischen London, Belfast, Washington und Bagdad begleitenden Journalisten einklinken und Zeuge von Gesprächen mit dem Premierminister über Gott und die Welt werden. 2002 reflektiert Amis, 5 Jahre nach dem tödlichen Unfall Dianas, den Umgang der Queen mit der Tragödie, sehr abseits (und daher wahrscheinlich in England auch unpopulär) von der Mainstream-Sicht Dianas als der Königin der Herzen. Besonders treffend und reflektiert scheinen mir die zwei Essays über 9/11. Der erste ist unter dem Titel "Das zweite Flugzeug" exakt eine Woche nach dem Terroranschlag im Guardian erschienen, der zweite wurde unter dem Titel "11. September", anlässlich des 5. Jahrestages von 9/11, in der Times als Studie über den Islamismus publiziert. Exemplarisch für neuere Essays zur amerikanischen Politik (Martin Amis lebt in Zwischenzeit in New York) sind zwei zutiefst analytische Artikel über den Wahlkampf und eine Kundgebung des schon gewählten US-Präsidenten Donald Trump, in denen Amis nicht zuletzt scharfsinnig die Frage nach Trumps narzisstischer Persönlichkeitsstörung aufwirft. Schließlich wird mir der literarisch fein gewobene Essay "Oktober" aus dem Jahr 2015, in dem das Aufeinandertreffen der Besucher des Münchner Oktoberfestes mit dem Eintreffen der syrischen Flüchtlinge auf dem Münchner Hauptbahnhof kontrastiert wird, in Erinnerung bleiben. Leser_innen, die an literarischen, kulturellen und politischen Themen interessiert sind, sehr zu empfehlen. Monika Roth
Sachbücher
Literaturwissenschaft, Sprache, Buch, Bibliothek
Bleuler, Anna Kathrin: Der Codex Manesse
: Geschichte - Bilder - Lieder / Anna Kathrin Bleuler. - München : Verlag C.H.Beck, 2018. - 126 S. : Ill. (farb.) ISBN 978-3-406-72134-2 kart. : ca. € 10,30
Die wichtigsten Fakten rund um die Große Heidelberger Liederhandschrift kompakt zusammengefasst. (PL)
Der von der Mediävistin Anna Kathrin Bleuler verfasste Titel vermittelt in übersichtlicher und kompakter Form die wichtigsten Fakten rund um den Codex Manesse, der ebenfalls unter dem Namen Große Heidelberger Liederhandschrift bekannt ist. Die titelgebende Handschrift versammelt mehr Minnelieder als jede andere mittelalterliche Handschrift und ist damit eines der wichtigsten Zeugnisse im Bereich der Minnelyrik. Der schmale Band beschäftigte sich sowohl mit der Geschichte und den Entstehungshintergründen der großen Heidelberger Liederhandschrift, als auch mit deren Inhalt. So widmet sich ein eigenes Kapitel den ikonischen, farbenprächtigen Autorenbildern. Der Textbestand wird durch ausgewählte Beispiele an Dichtern und Gedichten (inkl. Übersetzungen) veranschaulicht. In klarer und verständlicher Sprache werden die wichtigsten Fakten rund um den Codex Manesse aufbereitet und aktuelle Forschungsergebnisse miteingebunden. Die bereitgestellten Informationen werden, trotz des begrenzten Umfangs des Bandes, nicht oberflächlich abgehandelt, was ihn zum optimalen Arbeitsbuch und Nachschlagewerk macht. Das schmale Buch eignet sich bestens für Studierende der Germanistik, aber auch für alle an mittelalterlicher Lyrik Interessierten. Klare Empfehlung. Julia Walter
Gstättner, Egyd: Die Familie des Teufels
: allein gegen die Literaturgeschichte / Egyd Gstättner. Wien : Picus-Verl., 2018. - 391 S. ISBN 978-3-7117-2070-2 fest geb. : ca. € 24,00
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Eines Literaten eigenwillige Literaturgeschichte. (PL) Der für seine bissigen Kolumnen landesweit bekannte Kärntner Autor, der zuletzt mit seinem "Wiener Fenstersturz" eine beißende Kulturkritik unserer Gegenwart verfasst hat, legt nun mit der "Familie des Teufels" seine persönliche Literaturgeschichte vor, indem er sich Leben und Werk von zehn literarischen Größen widmet, die ihn besonders beeinflusst haben. Zu den Porträtierten zählen unter anderem James Joyce, H.G. Wells, Thomas Mann, Samuel Beckett und Michail Bulgakow. Beherzt und eigenwillig gibt Gstättner vor allem den Ängsten, Leiden und Krankheiten der Porträtierten viel Raum. Er wartet in launigem Plauderton und mittels Zitaten aus Werken, Tagebüchern sowie Briefen mit allerlei Details und Pikanterien aus den jeweiligen Lebenswelten der Schriftsteller auf, dies allerdings ohne ins rein Voyeuristische abzugleiten. Ebenso humorvoll hinterfragt Gstättner so manch liebgewonnenes Klischee aus dem Literaturbetrieb. Im abschließenden "Bericht an eine Akademie oder: Dankesrede für den Büchnerpreis" lässt Gstättner implizit Kafka grüßen, um gleichzeitig um Anerkennung für sich und sein Werk zu werben. Trotz allen (Sprach-)Witzes sind die Texte hintergründig als Einladungen zu verstehen, sich in weiterer Folge eingehender mit den vorgestellten Autoren und Werken zu befassen. Egyd Gstättner hat eine erfrischende Literaturgeschichte der etwas anderen Art verfasst, die höchst interessante Entdeckungen ermöglicht. Für alle Bestände geeignet. Simone Klein
Melville, Herman: Die große Kunst, die Wahrheit zu sagen
: von Walen, Dichtern und anderen Herrlichkeiten / Herman Melville. Übers. und hrsg. von Alexander Pechmann. - erw. und überarb. Ausgabe - Salzburg ; Wien : Jung und Jung, 2019. ISBN 978-3-99027-232-9 fest geb. : ca. € 22,00
Ideale haben keinen Geldwert. Verstreute Texte eines amerikanischen Humanisten. (PL) Hermann Melville, dessen heute bekannteste Figuren Kapitän Ahab und der Schreiber Bartleby an ihrer Unerbittlichkeit zugrunde gingen, konnte nur etwa zehn Jahre lang von seinen literarischen Produktionen leben. Die ironischkritischen Rezensionen und warmherzigen bn 2019 / 2
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Literaturwissenschaft, Sprache, Buch, Bibliothek
Elogen auf die zeitgenössischen amerikanischen Literaten ( James Fenimore Cooper, Nathaniel Hawthorne), die in dieser Anthologie gesammelt sind, hat er bei abklingender Popularität geschrieben, und der hier abgedruckte Versuch, mit Reden humanistische Werte, Ideale und Utopien zu loben, hatte nur überschaubaren Erfolg. Als Zollinspektor erschienen seine Erzählungen in Zeitschriften und seine Lyrik in Privatdrucken Die von Alexander Pechmann mit Anmerkungen, Biografie, Erstdruckreferenzen und Nachwort sorgfältig edierte und übersetzte Anthologie erschien bereits 2005 und wurde zum heurigen 200. Geburtstag um v.a. erzählerische Werke aus dem Nachlass und Spätwerk erweitert. Der Verlag nennt das Buch einen Einstieg in das Werk, das trifft aber eher auf die Kommentare des Herausgebers als die Primärtexte zu. Für große Bibliotheken, die literaturhistorische Werkvollständigkeit anbieten können oder Jahrestage herausstellen wollen. German Brandstötter
Sucher, C. Bernd: Suchers Welt : Literatur
: 49 leidenschaftliche Empfehlungen / C. Bernd Sucher. München : Droemer, 2018. - 206 S. ISBN 978-3-426-27742-3 fest geb. : ca. € 15,50
49 individuelle Buch- bzw. Leseempfehlungen von der Antike bis in die Gegenwart. (PL) Aus persönlicher Sicht stellt der Autor in diesem handlichen "Lesebuch" eine Auswahl seiner Lieblingsbücher vor. Er beschreibt sie in 49 kurzen, literarischen Besprechungstexten. Davon scheinen nur zwei Autorinnen auf, nämlich
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Sachbücher
Ingeborg Bachmann und Virginia Woolf, die er gemäß seiner eigenen strengen Kriterien für würdig hält, mehrmals gelesen und auf eine einsame Insel mitgenommen zu werden. Wie auf einer Perlenschnur reihen sich die literaturkritischen Miniaturen in alphabethischer Reihenfolge aneinander, beginnen mit Dante Alighieris "Göttlicher Komödie" und schließend mit Virginia Woolfs "Flush". So entsteht eine Lesereise ausgehend von der griechischen wie römischen Antike über die italienische Renaissance und weiter mit einzelnen herausragenden Beispielen der europäischen wie süd- und nordamerikanischen Literatur vom 18. Jahrhundert bis in die unmittelbare Gegenwart. Durch die subjektive Auswahl eröffnen sich neue, unbekannte literarische Entdeckungen neben Wiederbegegnungen mit literarischen Standardwerken, die zum Bildungsprogramm gehören. Jede Werkvorstellung umfasst etwa vier Seiten, wodurch sich inspirierende, unterhaltsame und frische Leseerlebnisse bei der Lektüre einstellen. Inhaltlicher Schwerpunkt ist - wie schon in der Buchwidmung anklingt - die literarische Auseinandersetzung mit Liebe, Begehren und Hingabe, die entsprechend der sexuellen Orientierung des Autors auf homosexuelle Beziehungen in Werken der Vergangenheit und Gegenwart einen Schwerpunkt setzt. Jutta Kleedorfer
Sachbücher
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Philosophie, Psychologie, Pädagogik
Philosophie, Psychologie, Pädagogik Aldenhoff, Josef: Bin ich schon alt oder wird das wieder?
: älter werden für Ungeübte / Josef Aldenhoff. - München : C. Bertelsmann, 2018. - 328 S. ISBN 978-3-570-10330-2 fest geb. : ca. € 20,60
Ein unterhaltsam geschriebener Aufruf, sich im Älterwerden nicht einzuschränken, sondern sich neuer Möglichkeiten bewusst zu werden. (PP)
Boyce, W. Thomas: Orchidee oder Löwenzahn?
: Warum Menschen so unterschiedlich sind und wie sich alle gut entwickeln können / W. Thomas Boyce. Aus dem Engl. von Claudia Van Den Block. - München : Droemer, 2019. - 333 S. : Ill. ISBN 978-3-426-27713-3 fest geb. : ca. € 20,60
Ein liebevoller Ratgeber eines amerikanischen Kinderarztes. (PP)
Der Psychiater, Psychotherapeut und NeurobioIn seinem ersten populoge Josef Aldenhoff widmet sich in seinem neulärwissenschaftlichen en Buch der Lebensphase 60plus und allen damit Buch schlägt der ameverbundenen Erfahrungen, Möglichkeiten und rikanische Forscher Herausforderungen. und Professor für Der Autor sieht den Alterungsprozess nicht resiKinderheilkunde und gnierend, er ist vielmehr der Grundüberzeugung, Verhaltenspsychologie dass Alter eine Vielzahl von Chancen und neuen eine neue Sichtweise Freiheiten - im besten Fall bis ans Lebensende für die unterschiedliche - bedeuten kann. Neben hinlänglich bekannten psychische VerletzbarRatschlägen, wie der Aufforderung zu mehr Bekeit von Kindern vor. wegung, bewusster Ernährung und dem mäßigen Die Unverwundbarkeit Umgang mit Alkohol, liegen die Stärken von Alvon Kindern ist längst denhoffs Ausführungen eher im psychologischen Bereich. Es ist ein Appell an den Betroffenen, widerlegt, allerdings wurde bisher die Vulnerabilität häufig in Zusammenhang mit verringerseine Individualität, seinen einzigartigen Weg ter Anpassungskompetenz des Kindes gebracht, der persönlichen Entfaltung gerade in den späüberspitzt formuliert bedeutet das: "etwas teren Jahren auszuleben. Man sollte dieses Buch stimmt mit dem Kind nicht". Man macht das früh genug lesen. Auf jeden Fall, bevor man sich alt fühlt. Nur so kann man aus den vielen Tipps Kind verantwortlich, statt die widrigen Umstände zu verurteilen, denen Millionen Kinder auch schöpfen, die verhindern sollen, dass man sich jein unserer Zeit ausgesetzt sind, meint der Autor, mals "ganz alt" fühlt. der charismatisch und engagiert von seiner langJosef Aldenhoff hat ein wunderbar unterhaljährigen Forschungsarbeit und seiner persöntendes Buch zu einem Thema geschrieben, das für lichen Familiengeschichte erzählt. Die einfache manche Menschen noch immer mit einem Tabu Kategorisierung der Kinder in Löwenzähne und behaftet ist. Störend sind nur die vielen RechtOrchideen ergab sich aus zahlreichen Studien. schreibfehler. Ein großer Verlag wie Bertelsmann sollte sich doch ein besseres Lektorat leisten! Eine Gruppe erwies sich als robust und stressto Johannes Preßl lerant, die Löwenzähne - sie können überall gut bn 2019 / 2
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Philosophie, Psychologie, Pädagogik
Sachbücher
wachsen. Die Orchideenkinder litten weit mehr unter Belastungen, sie "profitieren aber auch mehr von der Güte und der Freundlichkeit in der Welt", das heißt, sie blühen unter günstigen Bedingungen auf und erbringen außergewöhnliche Leistungen. Wirklich neue Erkenntnisse für die Resilienzforschung darf man sich nicht erwarten, aber doch ein differenzierteres Bild, das unsere mitteleuropäische Sichtweise gut ergänzt. Eine lohnende Lektüre für alle psychologisch Interessierten ist das aus dem Amerikanischen gut übersetzte Buch dennoch, die kreative Herangehensweise fasziniert, die typisch amerikanische Leichtigkeit öffnet den Denkhorizont. Empfehlenswert! Aloisia Altmanninger
er zwischendurch amüsante Anekdoten ein, beispielsweise eine Zusammenkunft David Humes mit Jean Jacques Rousseau, die für beide sehr anregend war, jedoch auch zu Meinungsverschiedenheiten führte. Rousseau, der fürchtete, Hume gekränkt zu haben, setzte sich auf dessen Schoß und fiel ihm um den Hals, was den reservierten Schotten völlig aus der Fassung brachte. Mit den "Lichten Momenten" wird nicht nur der Bildungshorizont erweitert, sondern auch Verständnis dafür geweckt, dass die Auseinandersetzung mit den großen Fragen das ist, was Europa im Lauf der Jahrhunderte zu dem gemacht hat, was es heute ist. Die anregende Lektüre ist auf jeden Fall sehr zu empfehlen. Ingrid Kainzner
Böhmer, Otto A.: Lichte Momente
Gerhardt, Volker: Humanität
Auf einer anregenden philosophischen Reise werden Dichter und Denker, welche die abendländische Geistesgeschichte prägten, vorgestellt. (PI)
Eine anspruchsvolle philosophische Abhandlung zur "Rettung" von Humanität und Humanismus. (PI)
: Dichter und Denker von Platon bis Sloterdijk / Otto A. Böhmer. - München : DVA, 2018. - 350 S. ISBN 978-3-421-04803-5 fest geb. : ca. € 25,70
Platon, Augustinus, Dante, Voltaire, Diderot, Goethe, Lessing, um nur einige zu nennen, haben mit ihren Ideen, die man als lichte Momente der Kultur- und Geistesgeschichte bezeichnen kann, Europa nachhaltig beeinflusst und wirken bis heute fort. Das Wagnis und die Lust selbständigen Denkens kann nicht hoch genug eingestuft werden. Nicht wenige kompromisslose Geister haben ihre Überzeugungen mit dem Leben bezahlt. Otto A. Böhmer stimmt mit einer originellen These Nietzsches, welcher den Helligkeitsabstufungen der Tageszeiten unterschiedliche Erkenntnisleistungen beimaß, auf die philosophische Reise ein. So manche Theorie mag dem philosophisch weniger Versierten vielleicht absonderlich erscheinen. Doch der Autor hat die Gabe, auch kompliziertere Gedankengebäude allgemein verständlich zu erläutern. Zur Auflockerung streut 282
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: über den Geist der Menschheit / Volker Gerhardt. - München : C.H.Beck, 2019. - 320 S. ISBN 978-3-406-72503-6 fest geb. : ca. € 32,90
Hat der Humanismus ausgedient? Für den Humanitätsverächter John Gray etwa sind die Menschen eine Plage wie Schimmelbefall, auf deren baldiges Ende man nur hoffen könne. Andere schämen sich ihrer eigenen Gattung, verurteilen einen schädlichen Speziesismus und unterstellen Humanisten, den Menschen als "Krone der Schöpfung" zu sehen, der sich wie ein zerstörerischer Potentat verhält. Gegen solche Pauschalaussagen meldet Volker Gerhardt, Seniorprofessor für Philosophie an der Humboldt Universität Berlin, Bedenken an - zumal Humanisten fordern, dass sich der Mensch unter die Prämisse seiner besseren Einsicht stellt. Und die wird in der vorliegenden Untersuchung in sieben Kapiteln - umrahmt von einem erhellenden Vor- und Nachwort - geistreich entfaltet. Zunächst zeigt der Autor, dass der Mensch zur Natur und zur Kultur gehört, ihn Leiblichkeit und Geistigkeit ausmachen, die Kunst zu seinem Selbstverständnis zählt und die Öffentlichkeit (z.B. Politik, Ethik, Religion) für Teilnahme und Mitteilung seine freie Entfaltung fördert. Alles zielt auf den (in der neueren Philosophiegeschichte vergessenen) Begriff des Geistes der Menschheit, der in seiner praktischen Wirksamkeit für Humanität steht und sich im Begriff der Person mit Freiheit
Sachbücher
Philosophie, Psychologie, Pädagogik
und Würde manifestiert. Gerhardt formuliert dicht und auf hohem Niveau, er geht souverän mit philosophischen Traditionen um und belebt den Begriff der Humanität neu. Karl Krendl
Gottman, John: Die Vermessung der Liebe
: Vertrauen und Betrug in Paarbeziehungen / John Gottman ; Nan Silver. Aus dem Amerikan. von Cathrine Hornung. - 6 - Stuttgart : Klett-Cotta, 2018. - 380 S. ISBN 978-3-608-94810-3 fest geb. . ca. € 24,70
Neue Forschungsergebnisse aus dem amerikanischen "Love-Lab". (PP) Der Buchtitel "Die Vermessung der Liebe" verweist auf die Ergebnisse, die der Autor mit seinem "Love-Lab" und einem aufwändigen Rechenmodell entwickelte und dadurch als renommierter Paartherapeut weltweit Anerkennung und Achtung genießt. Sein von ihm entwickeltes "Liebeslabor" ist ein Einzimmerappartement, in dem hilfesuchende Paare einen Tag oder ein Wochenende gemeinsam verbringen und dort unter Video- und Audio-Beobachtung über ihre Konfliktthemen sprechen. Es handelt sich um eine verhaltenspsychologische, auf Biorhythmen aufgebaute Untersuchungsmethode, die - wie im Untertitel angegeben - Vertrauen und Betrug in Paarbeziehungen analysiert. Sie filtert heraus, inwiefern in scheiternden Beziehungen insgeheim eine Form von Treulosigkeit zugrunde liegt, selbst wenn das Paar sich dessen gar nicht bewusst ist. In Abwandlung des Sprichworts, der Weg zur Hölle sei mit guten Vorsätzen gepflastert, lautet die therapeutische Erkenntnis, dass "der Weg zur Untreue durch die Realität gepflastert ist". Menschen sind heute mit ihren Smartphones, Verpflichtungen und EMails öfter verbunden als mit ihrem/r Partner/in. Gottman entwickelte nach der mathematischen Spieltheorie eine "Vertrauensmetrik", mit deren Hilfe Paare ihr Vertrauensniveau bestimmen und erkennen können, wie stark sie miteinander verbunden sind und sich gegenseitig unterstützen. In 14 Abschnitten werden thematisch die unterschiedlichsten Beziehungsformen analysiert, die man anschließend mit Selbsttests nachprüfen kann. Den Abschluss bildet eine Art Lernprogramm, mit dem das gegenseitige Vertrauen in die persönliche Beziehung wieder aufgebaut und wahre Liebe wieder möglich werden kann.
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Im Anhang werden noch drei "Werkzeuge" angeboten, die dabei helfen, heikle Gespräche besser zu formulieren, verletzte Gefühle zu reparieren und auch das Sexleben wieder in Schwung zu bringen. Eine anfangs durch mathematische Berechnungen, Erklärungen zur Spieltheorie und ausufernde Versuchsbeschreibungen anstrengende Lektüre, die letztlich jedoch wirklich gewinnbringend ist, sofern in einer schwierigen Paarbeziehung die Partner für eine auf Vertrauen gegründete, "hochseetaugliche" Liebe bereit sind. Jutta Kleedorfer
Hayes, Megan C.: Atlas of Happiness
: 50 Glücksgeheimnisse aus aller Welt / Dr. Megan C. Hayes. Ill. von Yelena Bryksenkova. Aus dem Engl. von Karin Weidlich. - München : Knesebeck, 2019. - 144 S. : zahlr. Ill. ISBN 978-3-95728-271-2 fest geb. : ca. € 16,50
Fünf mal zehn Begriffe aus verschiedenen Sprachen der Welt ergeben ein facettenreiches Bild, das zeigt, woraus Glück erwachsen kann. (PI) Willkürlich ausgewählte Wörter aus den tausenden Sprachen der Welt dienen als Aufhänger für die kleinen, feinen Geschichten über das gute Leben. Glück ist kein statischer Zustand, kein bloßes Gefühl, sondern ein komplexes Durcheinander von Empfindungen. Die Autorin ist Psychologin und forschte ein Jahrzehnt über Glück und speziell über autobiografisches Schreiben, das auch glücklich machen kann - mehr dazu auf ihrer Homepage: http://www.positivejournal.org Die kollektive Suche nach einem glücklichen Leben verbindet alle Menschen der Welt, unverwechselbare kulturelle Unterschiede im sprachlichen Ausdruck der Glücksmomente und ihre Interpretation können die persönliche Suche bereichern. Die Autorin lehrt, das Glück wahrzunehmen, wenn es da ist. Finden lässt es sich zuhause und in der Natur, in der Gemeinschaft und in sich selbst. Die schönen, mystisch-märchenhaften Illustrationen von Yelena Bryksemnkova bn 2019 / 2
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harmonieren perfekt mit dem Text, sie sind "cocog" - der Begriff ist dem Buch entnommen, stammt aus dem Javanesischem und bedeutet "zusammenpassen, geistesverwandt oder eine friedliche Harmonie". Ein empfehlenswertes Buch, das Glücksgefühle weckt. Aloisia Altmanninger
Kagge, Erling: Gehen. Weitergehen : eine Anleitung / Erling Kagge. Aus dem Norweg. von Ulrich Sonnenberg. - Frankfurt am Main : Insel Verl., 2018. - 157 S. : Ill. (farb.) ISBN 978-3-458-17768-5 fest geb. : ca. € 16,50
Ein famoses Plädoyer für die Entschleunigung durch Gehen. (PP) Der Norweger Erling Kagge ist Verleger, Autor, Jurist und Kunstsammler. In erster Linie ist er aber ein extremer Geher und als solcher ein Freigeist und Abenteurer. Kagge war am Nordpol und am Südpol, er bestieg den Mount Everest und er tauchte gehend in die Unterwelt des New Yorker Stadtteils Manhatten ein. Mit seinem neuen Buch hat er eine brillante Fortsetzung seines 2017 erschienenen Titels "Stille" geschaffen. Es ist ein Plädoyer für die Entschleunigung, die hohe Kunst, die Gedanken wandern zu lassen und Schritt für Schritt zu einer neuen Weltsicht zu gelangen. "Gehen ermöglicht es uns, so zu werden, wie wir sind", schreibt Erling Kagge über seine Expeditionen ins Innere. Schon die großen Philosophen wie Kant oder Kierkegaard wussten, dass das Gehen die Gedanken reinigt, Henry Thoreau kannte die positive Wirkung von Waldspaziergängen. Aber auch das gemeine Volk litt in früheren Zeiten nicht unter Bewegungsmangel. Ausgiebiges Gehen war ein notwendiger Bestandteil des Privat- und Berufslebens. Im Gegensatz zu damals verbringen wir heute die meiste Zeit sitzend. Im Auto überbrückt der Insasse in kurzer Zeit große Entfernungen, bleibt aber isoliert von den sich mit der Landschaft 284
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Sachbücher
ändernden Eindrücken wie Geruch oder Geräuschen. Erling Kagge hat ein sehr persönliches Buch geschrieben, das die Leser_innen motiviert, mit dem "Gehen an sich" wieder die richtige Richtung einzuschlagen. Johannes Preßl
Lebensräume
: entdecken.gestalten.teilen / Melanie Erlinger ; Karin Lauermann (Hg.). - Salzburg : Pustet, 2019. - 121 S. : Ill. ISBN 978-3-7025-0912-5 kart. : ca. € 23,00
Tagungsband der 67. Internationalen Pädagogischen Werktagung Salzburg. (PN) Die Tagung spürt dem Begriff Raum im pädagogischen Kontext nach. Der Begriff Raum kann physisch, aber auch sozial, politisch, ökonomisch sowie virtuell verstanden werden. Raum ist ebenso eine philosophische und pädagogische Kategorie. Der Raum und seine pädagogische Dimension werden von verschiedenen Perspektiven betrachtet. Dies geschieht durch die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle, den Astrophysiker Franz Kerschbaum, den Medienpädagogen Stefan Aufenanger, den Freianlagenplaner Herbert Österreicher, den Gesundheits- und Bewegungswissenschaftler Dieter Breithecker, den Kinder- und Jugendpsychiater Leonhard ThunHohenstein, den Philosophen und Psychotherapeuten Emmanuel J. Bauer und die Theologin und Autorin Melanie Wolfers. Der Tagungsband versucht Antworten zu geben auf Fragen und Herausforderungen, mit denen Pädagoginnen und Pädagogen in ihrer alltäglichen Arbeit konfrontiert werden. Kurt Haber
Mogi, Ken: Ikigai
: die japanische Lebenskunst / Ken Mogi. Aus dem Engl. von Sofia Blind. - 2 - Köln : DuMont Buchverl., 2018. - 174 S. ISBN 978-3-8321-9899-2 fest geb. : ca. € 20,60
Erfüllung, Zufriedenheit und Achtsamkeit für den Lebensalltag. (PI) Der Autor Ken Mogi ist Neurowissenschaftler und er gewährt uns in seinem Buch einen tiefen Einblick in die japanische Kultur, in der das Verständnis von Ikigai allgegenwärtig ist. Ikigai bezeichnet eine Haltung, die für das Leben der
Sachbücher
Philosophie, Psychologie, Pädagogik
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Japaner relevant ist. Es repräsentiert Empfind- Breite darzustellen. Von der biologischen über samkeiten und Verhaltensweisen, die mit der die neurologische, die psychochemische, die psyjapanischen Gesellschaft verwoben sind und die chologische, die medizinische und die psychiatsich über Hunderte von Jahren entwickelt haben. risch hervorgerufene Angst reicht das Spektrum Die Basis für Ikigai bilden fünf Säulen: 1. Klein der Zugänge, denen sich Georg Psota und Mianfangen, 2. Loslassen, 3. Harmonie und Nach- chael Horowitz widmen. Dabei heben sie auch haltigkeit leben, 4. Die Freude an kleinen Dingen hervor, dass Angst nicht nur negativ gesehen werden muss. entdecken und 5. Im Hier und Jetzt sein. Angst schärft schließKen Mogi verdeutlicht an einigen Beispielen die lich auch die Sinne, praktische Umsetzung dieser Verhaltensweisen. fungiert als WarnSo haben z.B. Handwerker einen enorm hohen funktion und ermögStellenwert, weil sie extrem präzise und achtsam licht, dass der Körper arbeiten, im Tourismus ist Freundlichkeit und schneller reagiert als Service das oberste Gebot, im Arbeitsprozess ist der Verstand. Mitunjeder voll und aktiv bei der Sache, arbeitet für die ter sind es dann dieGemeinschaft und nicht für das eigene Weiterse Millisekunden, die kommen. Erst in der Freizeit werden Hobbys Leben retten können oder persönliche Neigungen voll ausgelebt, um - die Schrecksekunden. sich selbst zu verwirklichen. Auch die UnterleSobald Angst aber zu genheit beim Sumo-Kampf wird weggesteckt, viel Einfluss auf den obwohl die Sportler bis an ihr Limit trainieren. Die Bewohner finden ihre Quellen und Inspi- Menschen nimmt, kann sie lähmend und leirationen für ihre Widerstandskraft in sozialen stungshemmend, belastend und zerstörerisch Normen und Moralvorstellungen und überwin- sein. Dann macht Angst effektiv krank. Diesen den dadurch sogar Naturkatastrophen wie Tsu- Aspekt nimmt auch der größte Teil des Buches namis, Vulkanausbrüche, Erdbeben . Es werden ein. Darüber hinaus liefern die Autoren aber Elemente der japanischen Kultur aufgezeichnet, auch fundierte Fakten darüber, wie Angst oft als die für unseren Kulturkreis schwer nachvollzieh- politisches Werkzeug zur Erzeugung von Masbar sind. Wie viele Japaner wirklich Ikigai leben, senphänomenen eingesetzt wird. Alles in allem ein hochinteressantes, gut lesbares Buch, das in bleibt unbeantwortet. Für interessierte Leser_innen eine neue Perspek- keiner Bibliothek fehlen sollte. Johannes Preßl tive über das japanische Wertesystem. Maria Dorrer
Schnabel, Ulrich: Zuversicht
Psota, Georg: Angst
: erkennen - verstehen - überwinden / Georg Psota ; Michael Horowitz. Unter Mitarbeit von Angelika Horowitz. Salzburg : Residenz-Verl., 2018. - 214 S. ISBN 978-3-7017-3437-5 fest geb. : ca. € 22,00
Wie man Angst erkennen, verstehen und überwinden kann. (PP) Georg Psota, seines Zeichens Facharzt für Psychiatrie und Neurobiologie, und Michael Horowitz, Journalist und Schriftsteller, gehen mit diesem Buch einem Gefühl auf den Grund, das oft zu wenig ernst genommen wird, das aber für eine ganze Reihe von Störungen des Seelenlebens verantwortlich ist: die Angst. Den beiden Autoren gelingt es, das Thema in seiner ganzen
: die Kraft der inneren Freiheit und warum sie heute wichtiger ist denn je / Ulrich Schnabel. - München : Blessing, 2018. - 255 S. ISBN 978-3-89667-513-2 fest geb. : ca. € 22,00
"...es komme weniger darauf an, ob etwas gut ausgehe, als vielmehr auf die Gewissheit, dass etwas Sinn habe, egal wie es ausgehe." (Vaclav Havel, 66 S.) (PP) Dieses Zitat erklärt schon den Begriff "Zuversicht" ohne Umschweife. In der Jugend wird die Zuversicht noch nicht so hinterfragt wie im Erwachsenenalter. Je älter man wird, desto schmäler ist der Grad der Zuversicht. Warum eigentlich? Machen es die Erfahrungswerte aus, oder ist es ein Phänomen der heutigen Zeit? Was verstehen wir unter Zuversicht? Was kann Zuversicht wirklich sein und wie können wir bn 2019 / 2
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Philosophie, Psychologie, Pädagogik
sie erlangen? All diese Fragen versucht Ulrich Schnabel, schon fast in leichtem Plauderton, nicht nur zu beantworten, sondern zu erweitern und Wege aus der inneren Unsicherheit aufzuzeigen. Die allgemeine Verunsicherung der Gesellschaft verstärkt sich durch populistische Medien und weltanschauliche Auswüchse mancher Politiker. So tut sich auch der Einzelne schwer, mit Zuversicht in die Zukunft zu blicken. Es gibt natürlich die ewigen Optimisten und auch die eingefleischten Pessimisten. Den Weg dazwischen zu finden, das ist das Ziel dieses Buches. Eindrucksvolle Beispiele, wie das Leben und Wirken von Stephen Hawking oder Ali Mahlodji, der schon mit 14 Jahren von seiner großen Idee erzählte, regen an zum Nachdenken und Hinterfragen der eigenen Lebensweise. Sie vermitteln uns: Auf die innere Einstellung, allen Widrigkeiten des Lebens zum Trotz, kommt es letztendlich an. Psychologisch betrachtet, laut Schnabel, findet man die wahre Freiheit nur, indem man sich innerlich freimacht. Auch ein nicht so guter Tagesablauf kann positiv sein, wenn man abends sagt: "Ich habe mein Bestes getan!" Ein Buch mit vielen Zitaten, Darstellungen und Erläuterungen wissenschaftlicher Forschungen bis hin zu Betrachtungen mancher Philosophen und nicht zuletzt zehn zuversichtlichen Ratschlägen, wie man die innere Freiheit finden kann. Ein aufbauendes und optimistisches Buch, das dabei hilft, die Zuversicht, die in jedem steckt, neu zu entdecken. Ilse Hübner
Whitebook, Joel: Freud : sein Leben und Denken / Joel Whitebook. Aus dem Engl. von Elisabeth Vorspohl. - Stuttgart : Klett-Cotta, 2018. - 559 S. ISBN 978-3-608-96245-1 fest geb. : ca. € 32,90
Sigmund Freud auf einer amerikanischen Couch. (PP) 286
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Sachbücher
Es gibt viele Bücher über Sigmund Freud und die Theorie der Psychoanalyse. Braucht es also noch eine neue Biographie? Joel Whitebook, amerikanischer Analytiker mit 30-jähriger Praxis, bejaht diese Frage. Er analysiert in seinem Buch, wie sich die Freud'sche Gedankenwelt, beeinflusst durch sein geschichtliches Umfeld und die elterliche Erziehung, entwickelt hat. Er beruft sich dabei auf Ergebnisse und neue Sichtweisen der präödipalen Phase und frühen Kindheit sowie der Bindungstheorie. Whitebook merkt an, dass ihm bei der Beschäftigung mit Freud'schen Texten erst in den letzten 10 Jahren das Fehlen der Mutterrolle und die negative Beurteilung der weiblichen Sexualität in Freuds Theorie auffiel. Dies ist aber kein neuer Aspekt, denn schon 1913 kam es mit C.G. Jung zum Zerwürfnis, weil dieser Freud ein Steckenbleiben in einem neurotischen Vaterkomplex attestierte. Die Betonung der Vaterfigur und die Erklärung des Ödipuskomplexes als Kern von Neurosen, ja der Kultur insgesamt, ist ein zentrales Thema. Nun hatte Freud keine untypische Erziehung und Familiensituation, wenngleich viele Biographen Amalia Freud als anspruchsvolle, egozentrische, depressive Mutter beschreiben, die in ihren erstgeborenen "Sigi" hohe Erwartungen setzte. Der wöchentliche Besuch der Mutter als Erwachsener bereitete Freud jedenfalls Unwohlsein und Nervosität. Ob das Gebäude der Psychoanalyse als Männersache, homoerotisch aufgeladen und frauenfeindlich, notwendigerweise damit zusammenhängen muss, bleibt zu hinterfragen. Der Band ist mit einem komplexen, hundertseitigen Anhang versehen. Darin enthalten sind Anmerkungen, Quellen sowie Namens- und Sachregister. Es stellt insgesamt ein wissenschaftliches Werk dar, das Leser_innen ohne Vorkenntnisse überfordern könnte. Josef Kunz
Wiebe, Silia: Unsere Mütter : wie Töchter sie lieben und mit ihnen kämpfen / Silia Wiebe. - Stuttgart : Klett-Cotta, 2019. - 239 S. ISBN 978-3-608-96332-8 fest geb. : ca. € 20,60
Ein Mosaik über die natürlichste Verbindung zwischen Menschen in all ihren Facetten. (PP)
Sachbücher
Philosophie, Psychologie, Pädagogik
Die Beziehung zwischen einer Mutter und einer Tochter ist wohl mit Abstand eine der widersprüchlichsten Verbindungen, die es zwischen Menschen gibt, denn die einen lieben sie, wohingegen andere eher negative Gefühle für die eigene Mutter hegen. Die Journalistin Silia Wiebe stellt sich in ihrem Buch "Unsere Mütter" der Aufgabe, dem Rätsel von Mütter-Töchter-Beziehungen auf den Grund zu gehen, indem sie Töchter in 13 Kapiteln zu Wort kommen lässt. Gut ausgewählte Erfahrungsberichte führen die/ den Leser_in auf die Suche nach Ursachen für
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Persönlichkeitsentwicklungen der erwachsenen Töchter, was Wiebe im letzten Kapitel durch ein Interview mit der bekannten Psychologin Stefanie Stahl wissenschaftlich fundiert. Dieses Buch gibt gekonnt einen Rundumschlag über die Vielfältigkeit von Mutter-TöchterBeziehungen, ohne dabei zu werten. Durch die Ich-Perspektive erreicht es eine Intensität, die die/den Leser_in emotional mitnimmt und zur Reflexion anregt. Ein bewegendes, tiefgehendes Buch, das für jede Bibliothek ein Muss darstellt. Anna Goiginger
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Sachbücher
Religion Alm, Niko: Ohne Bekenntnis
: wie mit Religion Politik gemacht wird / Niko Alm. - Salzburg : Residenz Verlag, 2019. - 248 S. ISBN 978-3-7017-3456-6 fest geb. : ca. € 22,00
Wie mit Religion Politik gemacht wird. (PR) Niko Alm verdeutlicht in seinem Werk die Zusammenhänge zwischen Religion und Staat und erklärt, warum es eigentlich gar keine Zusammenhänge geben sollte. In sechs Teilen spannt er einen großen Bogen von Religion im öffentlichen Raum über Religionsfreiheit, Privilegien der Religionen und Synkretismus hin zur Laizität, für die er ein Plädoyer hält. Dabei argumentiert er auf den knapp 250 Seiten sehr sachlich, allerdings eindeutig aus der Sicht eines Atheisten. Es gelingt ihm auch durchaus, Schwachstellen des "Systems" Religion herauszuarbeiten. Für Menschen, die in der Politik beheimatet sind, ist das Werk sicher eine Pflichtlektüre, als religiöse/r oder theologisch versierte/r Leser_in wird man allerdings nicht in allen Argumentationen d'accord gehen können. Aber auch als solche/r erfährt man sicher bisher Nicht-Gewusstes, besser vielleicht Nicht-Bewusstes, über das Verhältnis von Staat und den einzelnen Religionen sowie über die Entstehungsgeschichte selbiger. Gerti Proßegger
Benke, Christoph: In der Nachfolge Jesu
: Geschichte der christlichen Spiritualität / Christoph Benke. - Freiburg i. Br. : Herder, 2018. - 272 S. : Ill. (farb.) ISBN 978-3-451-38608-4 fest geb. : ca. € 36,00
Eine gut nachvollziehbare und zugleich anregende Darstellung des Denkens und Handelns von Jesus. (PR) 288
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Der Autor versteht unter "christlicher Spiritualität" die Nachfolge Jesu, wie sie Menschen in ihrer Zeit verstanden und verwirklicht haben. Manche haben dies so getan, dass sie zu Zeichen geworden sind, an denen sich andere orientiert haben und bis heute orientieren. Die Beispiele, auf die Benke hier eingeht, zählen nicht immer zu jenen, die bereits gut bekannt sind. Somit gehört es zum Spannenden an diesem Buch, dass die Leser_innen auf Personen aufmerksam werden, die ihr/ihm bisher unbekannt waren, aber gerade deshalb zeigen, dass Nachfolge immer von konkreten Persönlichkeiten abhängt und in einer bestimmten Zeit geschieht. Sie gibt Antworten auf Fragen ihrer Zeit, ist aber immer auch persönlich geprägt. Für weitere Spannung sorgen die jeweiligen Aktualisierungen. Hier fügt der Autor den für jede Epoche der Kirchengeschichte typischen Nachfolge-Motiven Beispiele an, die zeigen, dass man sich auch gegenwärtig daran orientieren kann. Auch die Auswahl dieser Beispiele ist durchaus überraschend. Sie zeugt wiederum von der Vielfalt der Formen von Nachfolge und damit von den vielen Seiten christlicher Spiritualität. Worum es bei dieser geht und auf welchen Wurzeln sie beruht, erläutert er präzise am Anfang des Grundlagenkapitels. Im Abschlusskapitel setzt er sich mit dem auseinander, was gegenwärtig alles unter Spiritualität subsumiert wird, und er arbeitet Konturen christlicher Spiritualität für die Gegenwart heraus.
Sachbücher
Benke versteht es, sachkundig und ausgewogen zu informieren, gezielt Schwerpunkte zu setzen, Zusammenhänge herauszuarbeiten und eine umfangreiche Geschichte so darzustellen, dass sie zugleich Anregung für den eigenen Weg der Jesus-Nachfolge ist. Breit zu empfehlen: allen kirchlichen Büchereien, Bibliotheken mit theologischen Beständen und Interessierten. Hanns Sauter
Eckert, Johannes: Steht auf
: Frauen im Markusevangelium als Provokateure für heute / Abt Johannes Eckert OSB. - Freiburg i. Br. : Herder, 2018. - 143 S. ISBN 978-3-451-38153-9 fest geb. : ca. € 16,50
Die Botschaften ungenannter Frauen aus der Umgebung Jesu für Christen von heute. (PR) Ausgehend von den Frauen, die die Kreuzigung Jesu beobachteten, und jenen, die seinen Leichnam am Ostermorgen salben wollten, schaut der Verfasser, Abt von München St. Bonifaz, genauer auf die Stellen, an denen das Markusevangelium ausführlicher von Frauen berichtet. Dabei fällt ihm auf, dass dieses älteste unserer Evangelien ursprünglich mit der Sendung der Frauen, die zum leeren Grab gekommen waren, nach Galiläa endet (Mk 16, 7). Weiters fällt auf, dass sechs prominente Stellen im Text von Begegnungen Jesu mit Frauen handeln. Diese sind als Belehrung der Jünger zum Thema "Nachfolge" gestaltet. Jesus macht an den Beispielen dieser Frauen seinen Jüngern klar, was Nachfolge ist. Eckert verweist dann auf den Einleitungssatz des Evangeliums: "Anfang des Evangeliums von Jesus Christus." (Mk 1,1). Er versteht diesen als Einladung des Evangelisten an seine Leser_innen zur Nachfolge Jesu, dessen Leben und Anliegen er durch seinen Text umreißt und mit aussagekräftigen Beispielen von Menschen bereichert, die dieses Anliegen verstanden haben: die Schwiegermutter des Petrus; die Frau, die an Blutungen litt; die Frau, die Jesus salbte usw.
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Diese erweisen sich als "gestandene Frauen", die religions- und gesellschaftsbedingte Tabus, Diskriminierungen und Eingefahrenheiten im Blick auf Jesus und sein Zugehen zu den Menschen aufbrechen. Hier sind sie den Jüngern um vieles voraus. Der offene Schluss des Evangeliums ist nichts anders als die Einladung an die Leser_innen des Evangeliums, sich an den Frauen ein Beispiel zu nehmen und danach zu fragen, welche der vielen in der Kirche als unantastbar geltenden Regelungen wirklich im Sinne Jesu sind. Sind darunter nicht auch welche, die es Frauen erschweren, ja unmöglich machen, das ihnen gegebene Potential der Nachfolge auszuschöpfen? Ein spannendes Buch, das viele Themen anspricht, die gegenwärtig in der Kirche, in Pfarren oder an Stammtischen diskutiert werden (wie z. B. das Frauenbild, das Festhalten an zeitbedingten Normen, Ausdrucksformen des Glaubens), diesen Debatten aber ein begründetes biblisches Fundament gibt. Allen Büchereien und allen, denen ihr Glaube ein Anliegen ist, sehr empfohlen. Hanns Sauter
Homolka, Walter: Christologie auf dem Prüfstand
: Jesus der Jude - Christus der Erlöser / Walter Homolka ; Magnus Striet. - Freiburg i. Br. : Herder, 2019. - 144 S. ISBN 978-3-451-38090-7 fest geb. : ca. € 16,50
Ein anspruchsvoller Beitrag zum Dialog zwischen Juden und Christen, festgemacht an der Person Jesu. (PR)
Die unmittelbar nach dem 2. Vatikanischen Konzil (1962-1965) verbesserten Beziehungen zwischen Judentum und Christentum (Dekret "Nostra aetate") haben sich in jüngster Zeit wieder eingetrübt, zuletzt durch einen Artikel des emeritierten Papstes Benedikt XVI., der einige Irritationen auslöste und die vorliegende Publikation des Rabbiners Walter Homolka und des Theologen Magnus Striet "beschleunigte". Die Grundfrage, die hier abgehandelt wird, lautet: Wie kann man als Christ über Jesus als Christus reden und zugleich das Jude-Sein Jesu würdigen? Homolka führt aus, wie ab dem 19. Jahrhundert die Heimholung des historischen Jesus in das Judentum verlief und fordert als Konsequenz, dass die Kirche eine Christologie entwickeln müsse, die ohne eine "Karikatur des Judentums" ausbn 2019 / 2
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kommt und seine bleibende Erwählung ernst nimmt. Nach Striet liegt der Knackpunkt in der traditionellen Sündenlehre der Kirche, wonach Erlösung im Glauben an das Evangelium des Gekreuzigten begründet ist. Eine Theologie, die für Juden nicht gangbar, ja nicht einmal notwendig ist, zumal der "alte" Bund nie aufgelöst wurde. Der Ausgangspunkt für den notwendigen Dialog auf Augenhöhe liegt in einem möglichen Konsens in der Soteriologie, die aber (auch lehramtlich) neu durchdacht werden müsste; Striet macht dazu einen diskussionswürdigen Anfang. Die Lektüre der anspruchsvoll formulierten Ausführungen beider Autoren setzt Fachkenntnis voraus und ist primär Theologen zum Nachdenken bestens zu empfehlen. Karl Krendl
Lobpreisgebete
: für Wort-Gottes-Feiern, Andachten und Eucharistieverehrung / Xaver Käser (Hg:). - Regensburg : Pustet, 2019. 128 S. - (Konkrete Liturgie) ISBN 978-3-7917-3053-0 kart. : ca. € 15,40
Ein reichhaltiger Band mit Beispielen für eine wenig praktizierte Form des Gebets. (PR) In der Theorie ist der dankende Lobpreis Gottes die Höchstform des Gebets. Der Herausgeber dieser reichhaltigen Sammlung von Lobpreisgebeten verweist in seinem instruktiven Vorwort auf die Psalmen und andere biblische Zeugnisse, aber auch auf die Reihenfolge der Lieder im Gotteslob: An erster Stelle stehen "Lob, Dank und Anbetung", an zweiter "Vertrauen und Trost" und erst an dritter "Bitte und Klage". In der Praxis ist diese Reihenfolge sicher umgekehrt. Seit Längerem bemühen sich Liturgiker und Bibliker sie wieder mehr in die Praxis des Gebetslebens zu rücken - auch in das offizielle Gebet der Kirche und so auch unter den Gläubigen das Bewusstsein für Gottes große Taten an den Menschen, das im Laufe der Zeit immer mehr in den Hintergrund getreten ist, zu fördern. Die hier zur Verfügung gestellte Sammlung von Gebeten unterstützt dieses Bemühen auf großartige Weise. Gegliedert in "Lobpreis auf den Sonntag", "Lobpreis im Kirchenjahr", "Lobpreis auf die Schöpfung", "Lobpreis des Lichtes", Lobpreis auf Gottes Wort und Jesu Wirken", "Lobpreis auf Maria und die Heiligen" und "Eucharistischer Lobpreis" enthält es inhaltlich hervorragende Gebete, die die Liturgie 290
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bereichern und ganz auf ihren Grundgedanken eingehen, die Anerkennung der Größe Gottes und seines heilvollen Tuns an den Menschen. Die Texte eignen sich für Eucharistiefeiern, Wort-Gottes-Feiern, aber auch für Andachten, Anbetungsstunden im kleinen und im großen Kreis sowie zum privaten Gebet. Allen Liturgie-Verantwortlichen, Leiter_innen von WortGottes-feiern, Gestaltern von Gebetsstunden herzlich empfohlen, darüber hinaus allen Pfarren und Gottesdienststätten auch zum Einstellen in den liturgischen Handapparat. Hanns Sauter
Sauter, Hanns: Handeln, weil Gott uns sendet
: Gebete und Gottesdienste für Pfarrgemeinderat und kirchliche Gremien / Hanns Sauter. - Regensburg : Friedrich Pustet, 2019. - 104 S. ISBN 978-3-7917-3056-1 kart. : ca. € 13,40
Eine sehr hilfreiche, praxisbezogene, spirituelle Handreichung für die Arbeit von Pfarrgemeinderäten. (PR) Für die Bewältigung der Aufgaben eines Pfarrgemeinderates existieren zahlreiche Unterlagen und Behelfe, nicht aber für die spirituelle Ebene. Dieses Defizit beseitigt nun der Pastoralreferent Hanns Sauter mit der vorliegenden Publikation, die schon im Titel andeutet, dass die Arbeit eines Pfarrgemeindertes nicht nur Engagement und Fachkompetenz verlangt, sondern auch eine spirituelle Ausrichtung. Sauter bietet dazu vier Bereiche an: Zuerst (1) Gebete und Besinnungen im Plenum des Pfarrgemeinderats (Gebete, Schrifttexte, Anregungen und Ideen), dann (2) Gebete und Besinnungen für 17 Sachbereiche (z. B. Berufspastoral, Caritas, Finanzverwaltung, Ökumene oder Sakramentenpastoral), wobei diese Anregungen nach einem hilfreichen Schema (Hinführung - Besinnung - Gebet) gestaltet sind, weiters (3) sechs Gottesdienstmodelle zu besonderen Anlässen (z.B. Verabschiedung des alten und Einführung des neuen Pfarrgemeinderates, Segensfeier
Sachbücher
im Mitarbeiterkreis) und schließlich (4) Hinweise auf 16 Bereiche, in welchen ein Pfarrgemeinderat in Gottesdienst und Gemeinde "sichtbar" werden kann. Die Überlegungen Sauters sind übersichtlich und klar aufgebaut, die Texte und Lieder sorgsam ausgewählt und praktisch gut umsetzbar, insgesamt also eine sehr hilfreiche spirituelle Handreichung, die Pfarrgemeinderäten nur ans Herz gelegt werden kann! Karl Krendl
Tremmel, Hans: Bedenkenswert
: Ethik und Theologie für Herz und Verstand / Hans Tremmel. Mit Vorworten von Kardinal Reinhard Marx und Prof. Dr. Thomas Sternberg. - München : Verl. Sankt Michaelsbund, 2018. - 200 S. ISBN 978-3-943135-89-3 kart. : ca. € 15,40
Kolumnen zu Vorgängen in der Kirche und der Welt. (PR)
Der hier zusammengestellte Band enthält Kolumnen, Texte und Ansprachen des Vorsitzenden des Diözesanrates der Erzdiözese München und Freising aus dem Zeitraum Herbst 2010 bis 2018. Er beschäftigt sich mit aktuellen Vorgängen, die die Weltlage, die Situation der Weltkirche, der Kirche in Deutschland und der Erzdiözese München-Freising betreffen. Sie sind durchwegs Sachbezogen, mit Pfiff geschrieben und angenehm zu lesen, wegen des lokalen Kontextes für österreichische Leser_innen allerdings nicht wirklich interessant. Hanns Sauter
Verweyen, Hansjürgen: War das Wort bei Gott?
: Zur Soteriologie des Johannesevangeliums / Hansjürgen Verweyen. - Regensburg : Verlag Friedrich Pustet, 2019. 182 S. ISBN 978-3-7917-3060-8 kart. : ca. 27,80
Eine erhellende Darstellung der Erlösungslehre des Johannesevangeliums. (PR) Der emeritierte Fundamentaltheologe Hansjürgen Verweyen widmet sich im vorliegenden Band dem Johannesevangelium, konkret der darin konzipierten Soteriologie, also der Lehre von der Rettung des Menschen durch Jesus von Nazareth. Im Vergleich zum Markusevangelium, das den Aufbau des Johannesevangeliums beeinflusste, setzt der vierte Evangelist andere
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inhaltliche Schwerpunkte. Verweyen ortet als "roten Faden" die Analyse einer gängigen Machtpolitik, wonach sich Menschen, um falsches Handeln vertuschen zu können, gleichgesinnte Verbündete suchen - sie hassen das Licht, damit ihre Taten nicht aufgedeckt werden (vgl. Joh 3,20). Im Johannesevangelium sind die Gegner Jesu allein die Pharisäer, die sich von ihm überführt sehen und daher töten. Pontius Pilatus fügt sich feige diesem Ansinnen. Gott will aber dieses Machtgefüge durchbrechen, das heißt, den Menschen daraus erlösen, was Jesus - das "Licht der Welt" - durch den Preis der freien Hingabe und Liebe ermöglicht. Verweyen buchstabiert vor dem Hintergrund seines "roten Fadens" das Evangelium in fünf großen Blöcken (Prolog, Jesus öffentliches Wirken, Abschiedsreden, Passion und Auferstehung, Geistsendung) akribisch durch und deckt dabei die erwähnten Hintergründe und Zusammenhänge auf. Der sprachlich anspruchsvolle Band setzt eine theologische Vorbildung voraus und ist daher eher theologischen Fachbibliotheken zu empfehlen. Karl Krendl
Wolf, Notker: Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein
: was Heimat wirklich ausmacht / Notker Wolf. Mit Bildern von Hans-Günther Kaufmann. - Orig.Ausg. - München : bene!, 2018. - 189 S. : Ill. ISBN 978-3-9634000-7-0 fest geb. : ca. € 18,50
Diskussionsbeitrag zu aktuellen Themen wie Heimat, Zuwanderung und Fremdsein. (PR) Mit diesem Buch beteiligt sich der bekannte, bis vor Kurzem amtierende Benediktinerprimas an der aktuellen Diskussion um Fremdsein, Heimat, Bleiberecht Zuwanderung, Leitkultur und verwandten Themen, die derzeit in Österreich und in Deutschland geführt wird. Als Abtprimas, der aus einem kleinen Ort im Allgäu stammt und die Welt von ganz anderen Seiten erlebt hat als es sich der Durchschnittsbürger vorstellt (vorstellen bn 2019 / 2
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kann), hat er auch einen anderen Blick auf diese Fragen. Er formuliert hier keine direkten Antworten, sondern bietet seine Sicht der Dinge an. Diese ist immer geprägt von seinem Leben nach der Leitlinie der Benediktregel, die sich auch hier als überraschend aktuell erweist. Für die österreichischen Leser_innen sind die Beiträge wegen der klarerweise gegebenen Bezüge (bei der die viele Einzelkenntnisse überraschen) nach Deutschland weniger spannend zu lesen. Es ist jedoch Notker Wolfs Einstellungen und Prinzipien zuzustimmen - Menschlichkeit, klare Grenzen, sich in andere Kulturen hineinversetzen, Respekt. Innerhalb dieser Koordinaten findet er Heimat. Hanns Sauter
Young, William Paul: Lügen, die wir uns über Gott erzählen / William Paul Young. Aus dem Amerikan. von Jochen Winter. - Neuausg. - Frankfurt/M. : Ullstein, 2019. - 213 S. ISBN 978-3-548-74669-2 kart. : ca. € 10,30
Gott und wie er nicht ist. (PR) Gott bestimmt über alles. Gott hat einen Plan. Gott ist ein Zauberer und prüde sowieso. Diese und andere Zweifel stellt Young in seinem Buch vor, um sie dann in kurzen Kapiteln auf Basis von
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(evangelikalen) theologischem Thesen und persönlicher Erfahrung zu widerlegen. Young nutzt dabei "Kurzgeschichten" aus seinem Leben, um seine Ausführungen zu unterstreichen. Dabei erweist er sich immer wieder als Querdenker, der einem aufzeigt, warum es gar nicht sein kann, dass Gott "so ist". Kernaussage des Buches ist Gottes universelle Liebe, die nicht nur Christen zuteil wird, denn: Gott ist kein Christ. Manche Argumentationen mögen auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, vielleicht auch weit hergeholt. Und bei der einen oder anderen Deutung können die Leser_innen auch anderer Meinung sein. Willliam Paul Young hält das aus, die Leser_innen müssen das allerdings auch. Grundeinig sind sich Leser_innen und Autor vermutlich sowieso darin, dass die aufgeführten "Lügenthesen" so nicht stimmen können, wenn man von einem liebenden Gott ausgeht. Aber Zweifel gehören nunmal zum Glauben, und Youngs Werk kann dabei helfen, den einen oder anderen vielleicht zu zerstreuen. Interessant dürfte das Büchlein vor allem für die Kenner von Youngs Werk "Die Hütte" sein. Immer wieder verweist er auf dessen Entstehungsgeschichte und die Ideen und Gedanken dahinter. Auf jeden Fall ist das Werk ein guter Anstoß, sich mit den eigenen (Glaubens-)Zweifeln auseinanderzusetzen. Gerti Proßegger
Sachbücher
Freizeit, Haushalt, Kochen, Wohnen, Sport
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Freizeit, Haushalt, Kochen, Wohnen, Sport Andorfer, Kurt A.: Camino im Winter
: Briefe an an die Kinder / Kurt A. Andorfer. - Luftenberg : Kurt Andorfer, Eigenverlag, 2017. - 147 S. : Ill. (farb.) ISBN 978-3-200-05248-2 fest geb. : ca. € 19,90
Er war dann mal weg ... und zwar gleich für ein halbes Jahr. (VW) "Raucher, übergewichtig und unsportlich", so lautet der Steckbrief des Pilgers, der sich in seinem autobiographischen Buch in der dritten Person beschreibt. Eine ausgewachsene Midlife Crisis und wohl auch ein Quantum Irrwitz treiben den Oberösterreicher dazu, sein Haus zu verkaufen und von Altmünster am Traunsee durch Österreich, Deutschland, die Schweiz, Frankreich und schließlich auf dem spanischen Camino del Norte zu Fuß nach Santiago de Compostela zu gehen. Dass der ehemalige Berufssoldat ausgerechnet im Dezember startet, erleichtert sein Vorhaben nicht gerade. Nach 3365 Kilometern, einer Knöchelverletzung, ziemlich vielen Weinverkostungen und mehreren fast durchgehatschten Schuhsohlen steht er im Mai 2016 am Grab des Apostels. Andorfer entpuppt sich nicht nur als ausdauernder Geher, sondern auch als erzählerisches Naturtalent. Sein bebilderter Bericht, in den er E-mails an seine erwachsenen Kinder eingestreut hat, lädt zum Mitfreuen, Mitleiden und Mitschmunzeln ein. Da fehlt es weder an Selbstironie noch an sarkastischen Kommentaren zum
Pilgerboom, der seit Paulo Coelho und Hape Kerkeling eskaliert ist. Über die durchaus spürbare spirituelle Dimension seiner Wanderung verliert der Autor hingegen nur wenige Worte. Gut so, denn damit erspart er uns Psychogelaber und mystisches Geraune, das manche CaminoGeschichten sinnlos aufbläht. So aber macht die Lektüre Lust und Mut, selber den Rucksack zu schultern und die Komfortzone zu verlassen, ungefähr nach dem Motto: Wenn dieser Herr den ganzen Jakobsweg geschafft hat, dann werde ich doch wenigstens ein Stück davon bewältigen. Potentielle Nachahmungstäter finden hier jedenfalls viele nützliche Tipps. - Sehr empfehlenswert, weil sachlich informativ und dabei weitaus amüsanter als die meisten Pilgerbücher. Renate Langer
Andreas, Ingrid: Küchenpraxis
: [Band 1] / Ingrid Andreas. - Salzburg : Pustet, 2019. - 254 S. : Ill. - (Kochbuch ohne Rezepte) ISBN 978-3-7025-0913-2 fest geb. : ca. € 22,00
So kluges wie schönes Handbuch zu Begriffen und Grundtechniken des Kochens. (VL) Wie klärt man Butter und wozu? Was ist der Unterschied zwischen Consommé, Fond und Court-Bouillon? Wie wird eine Sauce Cumberland gemacht, wo liegt bei unterschiedlichen Ölen der Rauchpunkt? Welche Garmethode ist für welches Gargut geeignet, welche Lebensmittel kann man trocknen, einlegen, einkochen oder auf eine andere Art konservieren? Wie war das mit der Gärung und kann man gebratene Zwiebel einfrieren? Was haben Abbrennen, Arrosieren, Dressieren, Legieren, Montieren, Schröpfen, Sitzen bleiben, Tränken oder Zudecken mit der Zubereitung von Speisen zu tun? Wozu ist ein bn 2019 / 2
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Freizeit, Haushalt, Kochen, Wohnen, Sport
Durchschlag vonnöten und welche Gerätschaften sollten in jeder Küche vorhanden sein? Fragen über Fragen - alle Antworten und 1000 mehr sind in diesem Hand- und Lesebuch zu finden, das zweifellos langlebiger sein wird als ein erheblicher Teil der Kochbücher, die Jahr für Jahr auf den Markt kommen. Schön und klar geschrieben, gestaltet und gegliedert, ist das mit freigestellten Fotos ausgestattete Praxishandbuch für Menschen gedacht und geeignet, die zwar keine Kochausbildung haben, aber regelmäßig kochen. Drei weitere Bände zu einzelnen Nahrungsmittelgruppen werden in derselben schönen Ausstattung folgen. Franz Lettner
Dusy, Tanja: Fiesta
: das Mexiko Kochbuch / Tanja Dusy. - Igling : EMF, 2018. 224 S. : zahlr. Fotos ISBN 978-3-9609306-8-6 fest geb. : ca. € 30,90
Mexikanische Lebenslust in Bildern und Rezepten. (VL) Die seit Jahren erfolgreiche Kochbuchautorin schaute sich mit ihrer Familie den Zeichentrickfilm "Coco" an und bekam Lust auf - echtes - mexikanisches Essen. Da für Dusy Essen auch immer Teil einer Kultur eines Landes ist, finden sich hier nicht nur ausgewählte traditionelle Gerichte, sondern auch ein Einblick in die Tradition des Feierns. Besonderes Augenmerk richtet sie dabei auf den Día de los Muertos, den Tag der Toten, der zu den wichtigsten mexikanischen Feiertagen zählt. Anders als bei Halloween werden hier Skelette und Totenköpfe bunt bemalt und mit Blumen geschmückt, es wird gesungen und getanzt und eigene Spezialitäten dafür gebacken - das süße Totenbrot, das nach Orangen und Anis duftet, oder die Totenkopfkekse, die mit leuchtend bunten Farben aus Zuckerguss kunstvoll dekoriert sind. Daneben gibt es natürlich viele alltagstaugliche Rezepte beginnend mit Kaffee über heiße Schokolade bis hin zu erfrischenden Limonaden. Und natürlich darf auch die Sangria nicht fehlen. 294
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Sachbücher
Dann folgen Salate und Suppen und viele Variationen von Tortillas, Tacos, Tostadas, Tamales und Nachos mit der Aufforderung, hier der eigenen Kreativität freien Lauf zu lassen. Natürlich gibt es auch Fleisch- und Fischgerichte, aus der Pfanne oder vom Grill, mit den dazu passenden Salsas. Da hier nicht einfach nur "Chilis" verwendet werden, findet man einen eindrucksvollen Überblick über verschiedenste Sorten mit entsprechenden Fotos. Da die meisten Zutaten mittlerweile auch bei uns erhältlich sind, steht einer fröhlichen Fiesta mit Freunden nichts mehr im Weg. Damit sie auch sicher gelingt, gibt Dusy hilfreiche Tipps zur Planung und Durchführung. Besonders erwähnt sei auch die schöne Gestaltung des Kochbuchs mit vielen stimmungsvollen Fotografien und Blumenornamenten, die an Bilder der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo erinnern. Allen Liebhaber_innen exotischer Küchen wärmstens empfohlen. Anita Ruckerbauer
Fearnly-Whittingstall, Hugh: Restlos gut
: bewusst einkaufen, Reste kreativ verwerten, einfach clever kochen ; Rezepte aus dem River Cottage / Hugh FearnlyWhittingstall. Mit Fotos vom Simon Wheeler und Ill. von Tim Hopgood. - Aarau [u.a.] : AT, 2018. - 334 S. : zahlr. Ill. (farb.) ISBN 978-3-03-800994-8 fest geb. : ca. € 27,00
Eine alltagstaugliche Zusammenstellung vielfältiger Anregungen für das Kochen mit dem, was beim Kochen oder im Kühlschrank übrig geblieben ist. (VL) Immer schon schien mir der Brite Hugh Fearnley-Whittingstall einer der wenigen international bekannten Vorkocher zu sein, die auch hinsichtlich des alltäglichen Kochens für eine Familie viel zu sagen haben. Seine Kochbücher - etwa "Drei gute Dinge auf dem Teller" - haben meine Kocharbeit mehr als die meisten anderen beeinflusst. Woran das liegt, wird auch in "Love your Leftovers", so der Originaltitel, klar: Für sensationelle Schau- und Vorzeigeteller interessiert sich der hemdsärmelige Ernährungsaktivist und Gastronom eher nicht. Er setzt auf einen kreativen und nachhaltigen Umgang mit Nahrungsmitteln und eine grundlegend einfache, aber immer engagierte Zubereitung von Speisen in einer Zeit, in der die Liebe zu lauwarm gelieferten Zustellgerichten so schnell zu- wie die Kenntnis im Umgang
Sachbücher
Freizeit, Haushalt, Kochen, Wohnen, Sport
mit Grundprodukten abnimmt. "Restlos gut" beginnt daher folgerichtig mit Hinweisen zur Lagerung von Lebensmitteln und einigen "Basics der Resteküche" (Suppen, Salate, Brote, Nudeln, Omeletts .), es folgen Tipps und Anregungen zum alltäglichen Umgang mit den am häufigsten vorkommenden Resten - also gerade noch verwendbaren Nahrungsmitteln sowie Resten von Mahlzeiten. In Produktgruppen gegliedert - etwa Fleisch, Brot, Pasta und Hülsenfrüchte, Eier und Obst etc. - werden Rezepte präsentiert und auf Alternativen wird meist ebenso hingewiesen. Das ist sparsames Kochen, keine Frage, früher war das weit verbreitet. In Zeiten von Überfluss, "Nimm drei für zwei"-Aktionen und Tonnen entsorgter Lebensmittel geht es aber natürlich auch um einen nachhaltigen Umgang mit ebendiesen. Dass die Ergebnisse keine Notlösungen, sondern auch vorzeigbar sind, dafür sorgen im Buch die anregenden Fotos von Simon Wheeler und die einfachen und zugleich fröhlichen Illustrationen von Tim Hopgood. Für alle Bibliotheken empfohlen. Franz Lettner
Höller, Anke: Essbare Wildsamen
: finden, ernten, vielseitig & gesund nutzen / Anke Höller ; Doris Grappendorf. - Stuttgart : Ulmer, 2019. - 144 S. : zahlr. Ill. ISBN 978-3-8186-0648-0 kart. : ca. € 20,60
Wildsamen als Knabberei oder Gewürz. (NK) Ein regelrechtes Aha-Erlebnis erfährt die/der Leser_in nach der Lektüre dieses interessanten Sachbuches. Man kennt Nüsse, Kastanien, viele Kräuter und deren Verarbeitung, aber die beiden Autorinnen lenken den Fokus auf die Verwendung von Wildsamen. Viele angegebene Wildkräuter (insgesamt 44) können unsere tägliche Nahrung aufwerten und den Speiseplan bereichern. Aber im Vergleich zu Kräutern, Beeren und Wurzeln enthalten die Samen ein Vielfaches an Vitalstoffen und gehören so zu den außergewöhnlich wertvollen pflanzlichen
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Nahrungsmitteln. Jede Pflanze wird mit einem Foto, Sammelzeit der Samen und Rezeptvorschlägen genau vorgestellt. Es wird auf die Besonderheit der Keimtypen, auf Ernteverfahren und auf die Aufbewahrungsmöglichkeiten eingegangen. Für Kräuterliebhaber_innen eine wahre Fundgrube an neuen Rezeptideen (z.B. Müslicrunch mit Springkraut, Rotklee-AnisPlätzchen, Wildsamenbrot). Für Bibliotheken eine tolle Ergänzung. Maria Dorrer
Kern, Doris: Einfach natürlich
: Selbstgemachtes zum Riechen, Schmecken, Dekorieren / Doris Kern. - Salzburg : Verlag Anton Pustet, 2019. - 223 S. : zahlr. Ill. ISBN 978-3-7025-0923-1 fest geb. : ca. € 29,00
Freude am Sammeln und Selbermachen. (VL) Mit ihrem Buch "Einfach natürlich" folgt Doris Kern dem aktuellen DIY-Trend. Auf 223 Seiten bietet sie über 200 Anleitungen, wie Hausmittel, Naturkosmetik, Köstlichkeiten und Selbstgebasteltes im Einklang mit den Jahreszeiten hergestellt werden können. In der Einleitung werden Inhaltsstoffe, Rohstoffe und Basisrezepte beschrieben, außerdem wird auf die Erntezeiten und die Nutzung der Pflanzen eingegangen. Zusätzlich finden sich Erläuterungen zu den Symbolen und ein praktischer Sammelkalender mit einer Legende zu Knospen, Blüten, Blättern, Kraut, Früchten und Wurzeln. Die Autorin geht zuerst auf die einzelnen Pflanzen näher ein und gibt anschließend Tipps für ihre Nutzung. Beim Gänseblümchen beispielsweise werden Anleitungen für Gänseblümchengelee, Gänseblümchenöl und einen "Aua-Stick" gegeben. Die Herstellung von Badesalz sowie Frühlingsblütenpeeling, Augenpflege, Parfum und Raumduft wird gut erklärt, ebenso die Zubereitung von Blütenessig, Säften, Chutney, Balsam, Tropfen und Zahngel. Das liebevoll gestaltete Buch ist abwechslungsreich und bietet eine gelungene Zusammenstellung für Naturfreund_innen und Kreative. Auch wenn nicht alles ganz einfach wirkt, machen die tollen Ideen und ansprechenden Fotos große Lust, das eine oder andere auszuprobieren. Eine wunderbare Lektüre für alle, die gerne sammeln und Freude am Selbermachen haben. Monika Brugger bn 2019 / 2
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Freizeit, Haushalt, Kochen, Wohnen, Sport
Meal Prep Low Carb
: über 50 schnelle & gesunde Gerichte zum Mitnehmen Igling : EMF, 2018. - 144 S. : zahlr. Ill. (farb.) ISBN 978-3-9609307-0-9 fest geb. : ca. € 15,50
Kohlenhydratreduzierte Rezepte für Mahlzeiten und Snacks. (VL) Low Carb (kohlenhydratarm) ist eine weit verbreitete Ernährungsform, die viele positive Aspekte mit sich bringt. In diesem Büchlein werden 50 schnelle und gesunde Gerichte zum Mitnehmen, aber auch zum Frühstücken, zum Mittagessen und Abendessen vorgestellt. Von "Vanille-Porridge mit Blaubeeren und Leinsamen" über "Falafel-Bento mit Hummus und Salat" oder "Blumenkohl mit Forellenfilet" findet man geschmackvolle und abwechslungsreiche Kombinationen, die sich für Vegetarier, Veganer, aber auch Flexitarier eignen. Meal Prep bedeutet frisch einzukaufen, die Zutaten gleich zu verarbeiten und für ein oder zwei Tage vorzukochen, um die wertvollen Inhaltsstoffe zu behalten, die man bei längerer Lagerung verliert. Man gerät dabei auch nicht in Versuchung, bei Hunger etwas Ungesundes zu essen, da etwas Vorgekochtes vorhanden ist. 5 Wochenpläne erleichtern den Einkauf durch Einkaufslisten (die man auch per QR-Code direkt aufs Handy downloaden kann). Sie geben die Vorbereitungs- und die Fertigstellungszeit an und enthalten Tipps, in welchen Gebinden man sie gut zur Arbeit mitnehmen kann. Jedem Rezept wurde ein ansprechendes Foto beigefügt. Für Bibliotheken und für den Eigenbedarf einsetzbar. Maria Dorrer
Ozich, Eleanor: The Art of Simple
: Rezepte und Ideen für ein entspanntes Leben / Eleanor Ozich. Aus dem Engl. von Dieter Fuchs. - Stuttgart : Freies Geistesleben, 2018. - 222 S. : zahlr. Ill. (farb.) ISBN 978-3-7725-2507-0 fest geb. : ca. € 25,80
Ein erfülltes Leben ohne Überfluss - aber mit Genuss. (VL) In diesem Buch lenkt die Autorin den Fokus Veränderungen im Leben, die die Vereinfachung, das bewusste Erwachen und Erkunden sowie eine besondere Wertschätzung im Alltag in den Mittelpunkt stellt. In den zahlreichen Texten werden die Leser_innen sensibilisiert, Wesentliches vom 296
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Sachbücher
Unwesentlichen zu unterscheiden, sich von Dingen zu verabschieden, die schon lange nicht mehr gebraucht werden, Kleinigkeiten im Haus oder in der Wohnung durch neue Farbgebung zu verändern, aber auch beim Einkaufen bewusst darüber nachzudenken, was wirklich gebraucht wird. Man wird angeleitet, achtsam mit sich selbst, mit der Natur und mit den Menschen im Umfeld umzugehen und den einfachen Dingen mehr Wertschätzung entgegenzubringen. Interessante Rezepte zum Thema Kochen ( Joghurt-Dinkel-Törtchen, KnoblauchBohnen-Hummus .), zum Reinigen (Fensterreinigung mit Süßorange und Zitrone, Rostentferner auf Schwarzteebasis .), zum Pflegen (Handseife mit Eukalyptus und Limette, Shampoo mit Apfelweinessig und Honig) sowie Rituale für mehr Achtsamkeit bereichern den Alltag. Für alle Bibliotheken sehr empfehlenswert, aber auch eine tolle Geschenkidee. Maria Dorrer
Schei, Bente Helene: Für Yoga ist es nie zu spät : 50 einfache Übungen / Bente Helene Schei. Übers.: Dr. Ulrike Strerath-Bolz. Fotos: Nicki Twang. - München : O. W. Barth, 2019. - 149 S. : zahlr. Abb. ISBN 978-3-426-29289-1 fest geb. : ca. € 20,50
Mit Yoga kann man in allen Lebensabschnitten beginnen. (NK) Die Autorin, eine Juristin, absolvierte ihre Yogaausbildung in Norwegen und bildete sich durch Lehrgänge im In- und Ausland weiter. Heute gibt sie Kurse in Oslo und möchte allen Interessierten Yoga zugänglich machen. Auch motiviert sie Späteinsteiger, denn Yoga ist einfach, wenn man es in Ruhe und ohne Druck absolvieren kann. Wichtig ist die Entwicklung des eigenen Körpergefühls, um zu spüren, wann eine Asana (körperliche Übung) guttut. Dabei lernt
Sachbücher
Freizeit, Haushalt, Kochen, Wohnen, Sport
man, sich nicht selbst zu überfordern und die eigenen Grenzen zu respektieren. Die Autorin baut dafür Atemtechniken, Entspannung, mentales Training und Meditation ein. Zu den sechs Kapiteln (angefangen bei 10-Minuten-Einheiten über Übungen für die Verdauung und mehr Gleichgewicht bis zum eineinhalbstündigen Yoga-Programm) fügt sie passende Asanas ein, die auf je einer Doppelseite gut erklärt werden und durch Fotos zum Nachahmen motivieren. Jedes Kapitel ist durch Atemtechniken und Entspannungsübungen abgerundet. Wichtig sind auch die Hinweise zur richtigen Haltung, worauf man sich besonders konzentrieren sollte und Erklärungen zur Wirkung einzelner Übungen. Für Anfänger_innen, aber auch Fortgeschrittene. Empfehlenswert. Maria Dorrer
Schumann, Eva: Gärtnern in Töpfen
: Balkon und Terrasse mit Pflanzen gestalten / Eva Schumann. - Stuttgart : Ulmer, 2019. - 127 S. : zahlr. Ill. ISBN 978-3-8186-0635-0 kart. : ca. € 17,50
Praktische Tipps fürs Garteln auf begrenztem Raum. (VL) Auch auf wenigen Quadratmetern im Außenbereich einer Wohnung lassen sich Blumen, Kräuter, Beeren, Gemüsepflanzen, ja sogar Obstbäumchen ziehen. Praktische Tipps und Anregungen dazu bietet dieser übersichtliche, mit vielen anregenden Bildern ausgestattete Ratgeber. Gleich einleitend werden sieben Typen angeführt, die Besuchern signalisieren, welches Statement die Wohnungsbesitzer mit ihrer pflanzlichen Gestaltung abgeben: Selbstversorger, Kreative, Gourmets, Technikbegeisterte ... Dementsprechend ist der Aufbau des Sachbuches: Wie finde ich mein persönliches Konzept? Wie pflanze ich im Rhythmus der Jahreszeit? Wie kann ich mit Pflanzen Wirkung erzielen? Was muss ich über Material und Pflanzen wissen? Übersichtliche Tabellen informieren über diverse Pflanzen, ihre Eignung und die besonderen Vorlieben. Eine wahre Fundgrube an Ideen und praktischen Ratschlägen für alle, die einen Balkon, eine Terrasse, einen Dachgarten besitzen und kreativ nützen wollen bzw. an einem Urban Gardening-Projekt teilnehmen. Für alle Bestände bereichernd! Maria Schmuckermair
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Wagner-Bacher, Lisl: Meine österreichische Küche
: Familienrezepte für jeden Tag / Lisl Wagner-Bacher. Wien : Brandstätter, 2018. - 256 S. : zahlr. Ill. (farb.) ISBN 978-3-7106-0255-9 fest geb. : ca. € 35,00
Österreichische Hausmannskost für jede Gelegenheit. (VL)
"Ich bin keine Köchin sondern Gastgeberin für eine große Familie. Ich verwöhne einfach gerne." So Lisl Wagner-Bacher über ihre Kochleidenschaft und das Genießen mit lieben Menschen. Ein Kochbuch mit besonderer Qualität. Von bemerkenswerter Einfachheit bis zu komplizierter Machart finden wir abwechslungsreiche Menüs mit erlesener Qualität. Ob es jetzt Fischstäbchen für die Enkel sind oder eine Perlhuhnbrust mit Artischocken und Morcheln oder eingelegtes Gemüse mit Sardinen im Brotmantel, alles scheint geschmackvoll und auch für nicht so geschulte Köch_innen machbar zu sein. Auch vertraute Gerichte, wie Rösterdäpfel, Grießnockerl und Gulasch, können zu einem Gaumenerlebnis werden, meint die Autorin. Man spürt förmlich die Leidenschaft und die absolute Überzeugung der Köchin, dass man auch mit einfachen Mitteln, aber viel Freude am Kochen wahre Geschmacksexplosionen auf den Teller zaubern kann. Qualität und Regionalität ist grundsätzlich Pflicht, da scheinen keine Kompromisse möglich. In der Einleitung wird uns die Familie und ihr Umfeld vorgestellt und danach folgen 13 Tipps für das Bewirten von Gästen. Abschließend finden sich Anleitungen zu den Grundrezepten und das Rezeptregister. Die wunderbaren Bilder verleiten einen, sich sofort an den Herd zu stellen und so manches auszuprobieren. In diesem Kochbuch findet jeder sein Lieblingsgericht. Ilse Hübner
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Lyrik, Epen, Dramen, Märchen, Sagen
Belletristik
Belletristik Lyrik, Epen, Dramen, Märchen, Sagen Engelmann, Julia: Keine Ahnung, ob das Liebe ist / Julia Engelmann. - 4 - München : Goldmann, 2018. - 160 S. ISBN 978-3-442-48854-4 kart. : ca. € 8,30
Für Engelmann-Fans der ersten Stunde oder die, die es noch werden wollen und für alle Poetry-SlamLiebhaber_innen. (DL) Wie der Titel verrät, beschäftigt sich dieser Gedichtband der jungen Autorin nach ihrem Debütwerk "Eines Tages, Baby" (2014), "Wir können alles sein, Baby" (2015) und "Jetzt, Baby" (2016) mit den Themen Gemeinschaft, Trennung und mit den großen Fragen der Liebe, die nicht unbedingt durch den Beziehungsstatus definiert werden muss. So findet man auch andere Gesichtspunkte, wie "Für meinen Vater" oder "Für meine Mutter", die für abwechslungsreiche Lektüre in den insgesamt 30 Gedichten sorgen. Bekannt geworden ist beispielsweise auch "Die Ballade vom Zauberer", die ebenfalls im Band enthalten ist. "Abrakadabra, komm mir nicht zu nah, nur aus der Ferne werden meine Illusionen wahr", heißt es darin in den ersten Versen: Ein Zauberer mit vielversprechenden Vorfahren, Merlin soll auch zu dieser Hexerdynastie gehören, hat sich in einem charismatischen, aber sehr fernen und versteckten Holzbau eingerichtet. Grund ist seine fehlende Zauberkraft, die ihn zum Trickspieler werden ließ und schließlich bei den Zuschauern Spott auslöst. Das Gedicht handelt von hohen Selbsterwartungen, Selbstbetrug 298
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und schließlich Selbstisolation und der ZauberSprössling fängt darüberhinaus an, sich in seiner wenn auch kleinen, aber eigenen und zurückgezogenen Welt wohlzufühlen. Hier allein kann nämlich nur er "die Karten auf dem Tisch" kontrollieren, bis jedoch jemand Bestimmtes an der Tür klopft: "Und wo der eine ein Wrack / sieht der andere einen Schatz", ist die Quintessenz dieser Ballade. Der Gedichtband, der übrigens auch zahlreiche von Julia Engelmanns mittlerweile berühmten und liebevoll gestalteten Strichzeichnungen enthält, ist ideal dafür, um je nach Lust und Laune immer wieder einmal reinzublättern und reinzulesen. Dabei sind manche Strophen mitunter melancholisch ("Ich denke über unsere Zukunft / und die unser Kinder nach, / und weiß nicht, ob die Welt mich / heute traurig oder bitter macht") originell ("Das Leben gibt mir `ne Zitrone, / ich mach Limonade draus. / Jetzt hab ich seit vielen Tagen so ein ungutes Gefühl im Bauch"), wechseln sich aber auch mit heiteren Passagen ab und visieren schlussendlich das große Ganze in der Liebe und im Leben an. Veronika Eder
Gruber, Sabine: Am Abgrund und im Himmel zuhause
: Gedichte / Sabine Gruber. - Innsbruck : Haymon, 2018. - 21 S. ISBN 978-3-7099-3441-8 Heft : ca. € 18,00
Trauergedichte. (DL) Am 24. August 2016 ist Karl-Heinz Ströhle, aus Vorarlberg stammender bildender Künstler und Universitätslehrer an der Angewandten, bei einer Wanderung in der Silvretta-Gruppe völlig unerwartet verstorben. 2018 bringt seine Lebensgefährtin, die als freie Schriftstellerin in Wien lebende geborene Südtirolerin Sabine
Belletristik
Lyrik, Epen, Dramen, Märchen, Sagen
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Gruber, den vorliegenden Gedichtband heraus, Tragödie "Die Schutzflehenden", die freundlich in dem sie sich in einer tiefgehenden, poetischen aufgenommen werden und ein Bleiberecht erhalSprache mit der eigenen Trauer, dem Verlassen- ten. Die "Schutzbefohlenen" dagegen erfahren Sein und der Bewältigung mit einem jetzt in die gemäß der geltenden europäischen FlüchtlingsHälfte gerissenen Leben ("die halbe Wohnung, politik, dass Profitmaximierung über humanitäre das halbe Zimmer, das halbe Leben.)", dem tie- Werte herrscht. fen Erschrecken über das Unvorhergesehene, Auslöser für die "Textfläche Wut" waren die Paaber auch der Erkenntnis, dass ihr die gemein- riser Anschläge auf die Redaktion von Charlie same Zeit nicht genommen werden kann, und Hebdo und einen jüdischen Supermarkt vom der leisen Hoffnung auf eine Rückkehr zu einem Januar 2015. Dieser Textkorpus liest sich wie die geregelten Alltag trotz Trauer auseinandersetzt Beschwörung eines fortwährenden Albtraums, ("Das letzte Glück liegt im Alltäglichen, das dem ausgelöst durch den unfassbaren Terror des IS und den rechtsextremen europäischen Antworten Tod widersteht"). Ein Band voll sparsamer Worte und Sätze, die darauf. Es werden Ressentiments und Schadenungemein schwer wiegen und in denen sich wohl freude der Täter parallel und abwechselnd aufgeviele trauernde Leser_innen wiederfinden wer- griffen zu den klagenden Stimmen der Opfer. den, ein Band, der meines Erachtens das Ergeb- Das 3. Stück "Unseres" mit den Passagen "Unnis einer großen Trauerarbeit ist, gelingt es der seres 2.0", "Nein: Meins, Alles Meins! haha! Autorin doch, das große Schweigen, das immer (Ajax, Ajax! reinigt alles)“ beginnt mit den Franoch in ihrer Lyrik mitschwingt, zu überwinden gen "Was der Vater tot?... Was regen Sie sich auf ? und zu einer poetischen Aufarbeitung zu gelan- Jeder Vater stirbt. egal, ermordet sagen Sie? Und gen. Allen Bibliotheken sehr zu empfehlen. deshalb sind Sie so unglücklich, dass Sie in den Strom nur greifen wollen, anstatt sich zur Gän Monika Roth ze hineinzuschmeißen?" Ausgehend von jener Verzweiflungstat eines Asylwerbers, der auf eine Straßenbahn klettert und nach der Oberleitung Jelinek, Elfriede: greift, wird der allgegenwärtige fremdenfeindDie Schutzbefohlenen. Wut. Unseres liche Hass, der sich im Internet entlädt, viel/ Elfriede Jelinek. - Reinbek : Rowohlt, 2018. - 588 S. schichtig seziert. Zugleich bekennt sich Jelinek ISBN 978-3-498-03242-5 fest geb. : ca. € 35,00 zu ihrer Aufgabe als Autorin und Mensch: "MeiDrei aufeinander verweisende Theatertexte zum po- ne Rolle ist: zu jammern. Wie immer. Anzuklagen, auch wie immer. Zu klagen, das sowieso." litischen wie menschlichen Gegenwartsdrama. (DT) Sprachlich gewaltige, beeindruckende "TextfläDer Textkorpus von chen", als Texte schwierig zu lesen und anstrenknapp 600 Seiten be- gend als "Kopftheater" zu imaginieren, zugleich steht aus drei miteinan- eine faszinierende literarische Stimme zu aktuder kommunizierenden ellen politischen, gesellschaftlichen und mensch"Textflächen" ohne lichen Abrisskanten. Jutta Kleedorfer dramaturgische Handlungsanweisungen und Rollenbeschreibungen Joubert, Joseph: für die Aufführungs- Alles muss seinen Himmel haben praxis. : aus den Notizen / Joseph Joubert. Auswahl, Übers. und Das erste Stück "Die Vorw. Martin Zingg. Nachw. Paul Auster. - Salzburg ; Wien : S c h u t z b e f o h l e n e n " Jung und Jung, 2018. - 165 S. (2013) thematisiert ISBN 978-3-99027-217-6 fest geb. : ca. € 20,00 die Tragödie von jenen Flüchtlingen, die in der Wiener Votivkirche Ein französischer Denker, der zu Lebzeiten nichts veröffentlichte, wird hoch geschätzt. (DD) Schutz vor Abschiebung suchten. Wortgewaltig wird der damalige öffentlich wie privat geheu- Joseph Joubert wird als französischer Moralist chelte Menschenrechtsdiskurs ausgebreitet und und Essayist beschrieben, der 1754 als Sohn eines in Beziehung gesetzt zu Aischylos' griechischer Arztes in Südfrankreich geboren wurde und 1824 bn 2019 / 2
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in Paris starb. Er studierte in Toulouse Rechtswissenschaft und ging 1778 nach Paris, wo er mit Denis Diderot und dessen Freundeskreis verkehrte. Durch seine Heirat mit einer vermögenden Frau konnte er sich ganz seiner Lektüre und seinem Schreiben widmen. Er wurde ein Literat, ohne jemals ein Buch veröffentlicht zu haben. 40 Jahre lang hielt er seine Gedanken auf losen Blättern und in 205 Notizbüchern fest. Es deutet vieles darauf hin, dass Joubert bei der Vorbereitung auf das Schreiben von Texten sich bei der Recherche in immer weiter verzweigende Gedanken und Themen verlor. So hat er Zeit seines Lebens die Welt um sich beobachtet, Freundschaften gepflegt und nachgedacht. Die ersten Ausgaben seiner Schriften erschienen 1838. Dabei wurden die Notizen aus dem zeitlichen Zusammenhang gerissen und nach Themen geordnet. Diese Ausgabe mit seiner Auswahl aus 1300 Druckseiten lässt die zeitliche Abfolge bestehen. Die Lektüre fällt einem leicht, weil es sich um kurze Passagen mit wenigen Sätzen handelt. Man merkt, dass der Inhalt der Notizen durch die Lektüre und Gespräche des Autors bestimmt wurden. Joubert war nicht unbedingt ein politischer Kopf. Zwischen 1789 und 1790 gibt es im vorliegenden Band nur 5 Einträge, die allesamt keinen Bezug zur Französischen Revolution haben. Im Buch findet sich eine kurze Einleitung zu Leben und Werk des Autors und im Anhang sind Anmerkungen zu Personen, die im Text genannt werden, sowie ein sehr interessantes Nachwort, das Paul Auster verfasste, der Joubert sehr verehrt und die englische Übersetzung besorgte. Joseph Joubert verstand es, seine philosophischen Überlegungen als regelrechte Gedankenperlen zu formulieren: "Die Wahrheit gleicht dem Himmel und die Meinung den Wolken." "Nicht Sieg sollte der Zweck der Diskussion sein, sondern Gewinn." Josef Kunz
Letria, José Jorge: Wenn ich ein Buch wäre / José Jorge Letria (Text) ; André Letria (Illustrationen). Zürich : Midas, 2016. - [30] Bl. : überw. Ill. (farb.) ISBN 978-3-03-876104-4 fest geb. : ca. € 15,40
Eine Liebeserklärung an das Buch und seine Fantasiewelten. (DD) 300
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Belletristik
José Jorge Letria ist vor allem in Portugal ein bekannter Buchautor, Dramatiker und Journalist, der bereits mehrere erfolgreiche Kinder- und Jugendbücher geschrieben hat. Sein Sohn André Letria ist Illustrator zahlreicher Kinder- und Erwachsenenbücher. Im vorliegenden, vor allem für Kinder konzipierten Werk, vollziehen Vater und Sohn einen erstaunlichen Perspektivenwechsel: Was wäre, wenn ich ein Buch wäre? Kurzen Statements nach dem Muster "Wenn ich ein Buch wäre, ..." stehen seiten- oder doppelseitenfüllende, minimalistisch gehaltene Drucke gegenüber, die das jeweilige Statement bzw. die beschriebene Situation illustrieren. So begleitet zum Beispiel den Satz "Wenn ich ein Buch wäre, würde ich die Ignoranz wegwischen", ein Mann mit einem Besen, auf dessen Stiel statt eines Borstenbretts ein Buch befestigt ist. Gelegentlich hinkt die Gegenüberstellung ein wenig, denn wenn ich als Buch "dein bester Freund wäre", würde ich mich wohl nicht gemäß der seit dem 16. Jahrhundert bekannten Wendung vom Hund als des Menschen "bester Freund" an der Leine, sprich am Gängelband, führen lassen. Wohl mit Blick auf das Zielpublikum bleiben leider auch kritische Worte außen vor, denn wenn ich ein Buch wäre, wäre es mir nicht recht, als Ware oder gar als Wegwerfartikel behandelt zu werden, aus politischen Gründen verbannt oder gar verbrannt zu werden. Alles in allem aber ist das Buch dennoch und nicht nur für Kinder empfehlenswert. Simone Klein
Steinkellner, Elisabeth: Vom Flaniern und Weltspaziern : Reime und Sprachspiele / Elisabeth Steinkellner [Text]. Michael Roher [Ill.]. - Innsbruck : Tyrolia, 2019. - 107 S. : zahlr. Ill. (sw) ISBN 978-3-7022-3741-7 fest geb. : ca. € 16,95
Sich eine andere Welt erträumen. (DL) Träumen Sie manchmal davon, die Zeit einfach anzuhalten und sich durch Straßen treiben zu lassen? Wer sich auf ein Gedankenexperiment
Belletristik
Lyrik, Epen, Dramen, Märchen, Sagen
einlässt, kann mit dem Autorenduo Steinkellner/ Roher eine neue Welt entdecken. Wir besteigen den Autobus, und schon geht's los: Auf unserer Reise begegnen wir dem "Fleischtiger", verirren uns im "Sommergewitter", verbringen "urlaubsreif " (S. 33) "einen Tag am Meer" (S. 35) oder bestehen die "Mutprobe" (S. 37) beim Sprung ins kalte Wasser. Alles "Ganz einfach", wie ein Gedicht suggeriert: "Fenster geöffnet, Blau entdeckt, Fisch gerochen, Salz geschmeckt." (S. 34). Aufzählreime, Listen und Alliterationen laden dazu ein, allein oder mit Kindern gemeinsam die Zeilen nachzusprechen und vielleicht durch eigens formulierte Reimzeilen zu ergänzen. Schwarz-Weiß-Zeichnungen ergänzen die Gedichte idealerweise. Das Buch eignet sich wunderbar für Kindergarten- und Volksschulkinder, aber auch für Erwachsene ist es ein willkommenes Angebot zur Entschleunigung des hektischen Alltags. Elisabeth Steinkellner, geboren 1981, in Niederösterreich, hat Sozialpädagogik sowie Kultur- und Sozialanthropologie studiert. Michael Roher, geboren 1980 in Niederösterreich, arbeitet als Illustrator von Kinderbüchern. Allen Bibliotheken empfohlen. Cornelia Stahl
Wagner, Jan: Die Live Butterfly Show
: Gedichte / Jan Wagner. - München : Hanser Berlin, 2018. - 93 S. ISBN 978-3-446-26043-6 fest geb. : ca. € 18,50
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Poetisierte Welt und welthaltige Gedichte. (DL) Dass ihm fast über jedes Sujet ein Gedicht gelingt, hat Jan Wagner vielfach bewiesen. Auch seine formale Könnerschaft ist unbestritten: er beherrscht strenge Metren genauso wie unterschiedliche Reim- und Strophenformen, schier spielerisch und völlig unangestrengt verbindet er Inhalt und Form, Abgründiges und Banales, Alltägliches und Besonderes, Ernst und subtile Komik. Ob Gemüse, Tiere, Werkzeuge oder Natur- und Kulturdarstellungen - Wagner findet den richtigen Ton ohne jegliches Pathos und verblüffende, unverbrauchte Bilder und Metaphern. Auch Menschliches ist ihm nicht fremd. Sei es der alte Biker, ein übergewichtiger Onkel oder der Lateinlehrer: Sie stehen im Gedicht auf als lebendige Figuren mit ihren Besonderheiten. Geschickt verbindet Wagner Historisches und Allgemeingültiges, wenn er etwa eine Hommage scheibt für die drei Versuchstiere, die bei der ersten Fahrt eines Luftschiffes 1783 geopfert wurden. Um das Fliegen und Schweben geht es in etlichen Texten, natürlich auch in dem titelgebenden Text. Doppelbödig sind seine Gedichte, aus einfachen Beobachtungen entwickeln sie symbolhafte und mehrschichtige Bedeutungen. Diese changieren, sind oft in der Schwebe, so wie der Schmetterling, "der Wurm, der seinen Himmel in sich trägt", auch ein Bild für den Menschen, seine Hoffnungen und seine Verletzlichkeit. Unbedingte Empfehlung für Bibliotheken mit Lyrikbeständen. Fritz Popp
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Belletristik
Romane, Erzählungen, Novellen
Romane, Erzählungen, Novellen Agualusa, José Eduardo: Das Lachen des Geckos
: Roman / José Eduardo Agualusa. Aus dem Portug. von Michael Kegler. - Zürich : Unionsverl., 2018. - 185 S. ISBN 978-3-293-20805-6 kart. : ca. € 13,40
Beschaffen Sie sich eine neue Vergangenheit! (DR) In "Das Lachen des Geckos" von José Eduardo Agualusa wird die Geschichte eines angolanischen "Genealogen" in Brasilien erzählt. Jener selbsternannte Genealoge, Felix Ventura, verhilft allen, die zu ihm kommen, zu einer tugendhaften und erzählenswerten Vergangenheit, indem er alte Fotos und gefälschte Stammbäume verkauft. Unter seinen Kund_innen befinden sich sowohl einflussreiche Politiker, als auch Durchschnittsbürger_innen. Eines Tages erdichtet Felix Ventura eine Biografie für einen geheimnisvollen Mann, welcher später zu einem guten Freund wird und viel Spannung in die Geschichte bringt. Die Besonderheit dieses Romans liegt jedoch in der Erzählperspektive. Die gesamten Ereignisse werden aus der Sicht eines Geckos erzählt, der an den Hauswänden herumschleicht und sich das ein oder andere Mal mit einem Lachen äußert. Was absurd klingt, macht den Stil des Romans aus, denn der Gecko beobachtet nicht nur, er ist mitten drin in den Geschehnissen. Er sieht sich als Freund von Felix Ventura und fühlt sich 302
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in seiner Villa in Brasilien zuhause. Ebenfalls spannend sind die wenigen Kapitel, in denen es um die Träume des Geckos geht. Der Autor umhüllt die Geschichte mit liebevoll genauen Details, sodass sich die Leser_innen leicht vorstellen können, selbst im heißen Brasilien zu sein. Nicht nur literarisch ist der Roman von Agualusa eindrucksvoll, auch politische Ereignisse finden ihren Platz. Die hart erkämpfte Unabhängigkeit Angolas wird zum Thema und so ist "Das Lachen des Geckos" zu einer wunderbaren Mischung aus realen und fiktionalen Ereignissen geworden, umhüllt von der genialen Idee, diese von einem Gecko erzählen zu lassen. Durch den ganzen Roman zieht sich die Frage nach Realität und Fiktion. Ventura verkauft fiktive Vergangenheiten, welche von manchen seiner Käufer_innen mit der Zeit als Realität angesehen werden. Im Laufe des Romans stellt sich der/die Leser_in also unweigerlich die Frage, ob es möglich ist, eine Lüge so oft zu wiederholen, bis sie zur Wahrheit wird. Allen Bibliotheken empfohlen. Alina Böhler
Antunes, António Lobo: Vom Wesen der Götter
: Roman / António Lobo Antunes. Aus dem Portug.von Maralde Meyer-Minnemann. - München : Luchterhand, 2018. - 717 S. ISBN 978-3-630-87571-2 fest geb. : ca. € 26,80
Portugal und seine Gesellschaft zur Zeit des Diktators Salazar. (DR) Antunes siedelt seinen Roman in Cascais, einem Küstenstädtchen westlich von Lissabon, an. Hier wohnen die Reichen und Mächtigen, die es zur Zeit der Salazar-Diktatur zu Wohlstand
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und Einfluss gebracht haben. Um den Protagonisten, den allmächtigen, gottähnlichen Senhor Doutor, sind die anderen handelnden Personen gruppiert: seine Frau, die alte Senhora, Fátima, die Verkäuferin einer Buchhandlung und seine vom Butler gezeugte Tochter. Doutor, der alle ihn umgebenden Menschen mit Willkür behandelt, wird im Laufe der Geschichte von verschiedenen Seiten beleuchtet. Wir lernen ihn als Machtmenschen, Aufsteiger, skrupellosen Geschäftspartner und angstvolles Kind kennen. Antunes skizziert auch die Zeit der Diktatur Portugals unter Salazar, die mit der Nelkenrevolution 1974 ihr Ende fand. Dieses Buch fasziniert durch eine ungewöhnliche Sprache, Gedanken werden immer wieder unterbrochen, Neues kommt hinzu, Satzzeichen werden weggelassen und die menschliche Seele - Antunes ist Psychiater - kommt ans Licht. Es ist ein großes, anspruchsvolles Werk eines der bedeutendsten Dichter Portugals. Kurt Haber
Arriaga, Guillermo: Der Wilde
/ Guillermo Arriaga. Aus dem Span. von Matthias Strobel. Stuttgart : Klett-Cotta, 2018. - 411 S. ISBN 978-3-608-96177-5 fest geb. : ca. € 26,70
Umfangreicher Entwicklungsroman über Jugendliche im Mexico City der späten 60er Jahre mit einer Parallelhandlung in Kanadas Wildnis. (DR) Der mexikanische Autor Guillermo Arriaga hat mit den Drehbüchern zu Filmen wie "Amores Perros" und "21 Gramm" Furore gemacht. In seinem Roman "Der Wilde" schöpft er die Möglichkeiten der Literatur voll aus, indem er neben packenden Szenen, die bestes Kopfkino sind, auch experimentelle Texte einfügt, seine Figuren über Literatur reden lässt und jedes Kapitel mit einem kultur- oder literaturgeschichtlichen Exkurs abschließt. Viele dieser Texte befassen sich mit Ritualen und Glaubensvorstellungen rund um den Tod, denn Juan Guillermo, der jugendliche Ich-Erzähler,
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hat den Tod seiner gesamten Familie dauernd vor Augen und ist damit beschäftigt, Rache zu nehmen. Zentral ist dabei die Figur seines Bruders Carlos, sechs Jahre älter als er und ein Genie. Wie sich nach und nach herausstellt, war Carlos im Drogengeschäft tätig und sein gewaltsamer Tod in gewisser Weise vorhersehbar. Wie Arriaga die Informationen über die familiäre Situation und die gesellschaftliche Realität Mexikos im Jahr 1968 in kleine Szenen fragmentiert und diese filmisch montiert, ist höchst spannend und so wohl dosiert, dass der Roman sich mit einem unbehaglichen Vergnügen liest, weil ein tragischer Ausgang ständig über den Figuren schwebt. Nach hundert Seiten taucht ein neuer Erzählstrang in der Wildnis Kanadas auf, der zunächst irritiert, dann aber eine Parallelstruktur zu den verrohten Jugendlichen in der zivilisierten Metropole darstellt. "Der Wilde" ist ein Entwicklungsroman im besten Sinn, der die vielen Einflüsse im Erwachsenwerden eines jungen Mannes illustriert. Für weibliches Lesepublikum ist das vielleicht nicht ganz so anziehend. Der Roman ist ein gewaltiges Werk, das mit seiner Spannungsdramaturgie, überraschenden Wendungen und den hochinteressanten Exkursen lang nachwirkende Lektüre bietet. Josef Mitschan
Arudpragasam, Anuk: Die Geschichte einer kurzen Ehe
: Roman / Anuk Arudpragasam. Aus dem Engl. von Hannes Meyer. - Zürich : Unionsverl., 2019. - 220 S. ISBN 978-3-293-20825-4 kart. : ca. € 13,40
Ein Tag in einem Flüchtlingslager, an dem sich einem jungen Mann die ganze Schönheit und Grausamkeit des Lebens erschließt. (DR) Dinesh, ein ganz junger Mann, der seine Familie verloren hat, ist in einem Flüchtlingslager gestrandet, das sich wohl (auch wenn der Name nicht genannt wird) in Sri Lanka befindet. Die Lage der Geflüchteten ist hoffnungslos. Sie sind zwischen den Truppen der Regierung und den Kämpfern der "Bewegung" eingeschlossen. Jeden Morgen gibt es ein Bombardement und jeden Tag Tote und Verletzte. Dinesh rechnet nicht damit zu überleben. Er hilft dem Arzt des Lagers, der unter kaum vorstellbaren Bedingungen operiert. Erstaunt reagiert er, als sich ein Mann mit der Bitte an ihn wendet, seine Tochter zu bn 2019 / 2
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heiraten. Er überlegt und stimmt schließlich zu. Da es keinen Priester gibt, vermählt der Vater die beiden in einer improvisierten Zeremonie. Dinesh führt Ganga, die nun seine Frau ist, zu der Lichtung, die er sich zum Schlafplatz auserkoren hat. Als Ganga einschläft, wagt es Dinesh, sich den Inhalt ihrer Tasche anzusehen und findet darin auch ein Stück Seife und eine Schere. Da geht ihm auf, wie schmutzig er ist. Er nimmt die beiden Gegenstände und schleicht zu einem Brunnen, um sich zu waschen und die verfilzten Haare abzuschneiden. Als er zurück kommt, umarmen sich die beiden innig, zu mehr kommt es nicht. Als Dinesh Ganga fragt, ob sie glücklich ist, gibt sie eine reservierte Antwort. Unvermittelt beginnt Dinesh zu weinen, erst jetzt kann er den ganzen Schmerz über den Verlust seiner Familie spüren und nach langer Zeit wieder einschlafen. Im Morgengrauen wird er von dem unheilvollen Grollen eines bevorstehenden Bombardements geweckt und Ganga ist verschwunden. Verzweifelt rennt er ins Lager, um sie zu suchen. Der Autor, der in Colombo aufgewachsen ist und auf Tamil und Englisch schreibt, hat mit seinem Debütroman großes Aufsehen erregt und den DSC Prize for South Asian Literature erhalten. Realistisch erzählt er von der Hölle des Lagerlebens, in dem die Menschen entweder den Verstand verlieren oder sich so verkrampfen, dass sie wie betäubt in einem permanenten Schockzustand dahindämmern. Dinesh verspürt keinen Hunger mehr und kann nicht schlafen. Er rebelliert auch nicht gegen sein Schicksal. Seine letzten Energiereserven setzt er dafür ein, den Verletzten beizustehen. Die Begegnung mit Ganga bedeutet erstmals nach langer Zeit die Möglichkeit von Nähe. Unendlich zart und behutsam erzählt der Autor, wie der Panzer der den jungen Mann umschlossen hat, langsam aufbricht. Die Schlüsselszene des Romans ist die Reinigung beim Brunnen. Danach traut sich Dinesh seine Frau zu streicheln und nach dem unvermuteten 304
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Tränenstrom kann er auch wieder einschlafen. Arudpragasam bringt seinen Protagonisten, der Natur, ja dem ganzen Universum eine mitfühlende, liebevolle Aufmerksamkeit entgegen. "Die Geschichte einer kurzen Ehe" wird schlicht und zugleich hochpoetisch erzählt und zeigt, dass auch inmitten einer grauenvollen Welt Humanität existiert. Es ist ein Buch, wie man es nur selten in die Hand bekommt und ein Schatz, der den Leser bzw. die Leserin zutiefst bereichert und berührt. Ingrid Kainzner
Beatty, Paul: Der Verräter
: Roman / Paul Beatty. Aus dem Amerikan. von Henning Ahrens. - München : Luchterhand, 2018. - 351 S. ISBN 978-3-630-87575-0 fest geb. : ca. € 20,60
Satirischer Roman über die Wiederentdeckung von Rassentrennung und Sklaverei. (DR) Schauplatz ist Dickens, ein Vorort von Los Angeles, ein trostloser Ort, der zusehends von der Landkarte verschwindet. Schandfleck für die einen ist er nichtsdestotrotz ganzer Stolz seiner schwarzen Einwohner, unter ihnen der Protagonist Massa. Als dessen Vater durch Polizeigewalt stirbt, sagt der Erzähler der weißen Dominanz den Kampf an. Gemeinsam mit seinem Kompagnon Hominy initiiert er nach und nach eine neue Bewegung, die sich radikal der Wiedereinführung von Rassentrennung und Sklaverei verschreibt, welche große Zustimmung bei der Bevölkerung erntet. Auf das Buch muss man sich einlassen wollen, denn es bricht mit jeglicher political correctness der Gegenwart. Bizarre Gedankengänge des Protagonisten erschweren an manchen Stellen den Lesefluss, was den Einstieg in den Roman erschwert. Alles in allem besticht der satirische Roman jedoch dadurch, dass Fragen nach ethnischen Spaltungen in der amerikanischen Gesellschaft neu aufgeworfen und bewusst überzogen archaische Strukturen zurückgesehnt werden. Spannendes Gedankenexperiment, welches gekonnt Kontroversen evoziert. Anna Goiginger
Becker, Zdenka: Ein fesches Dirndl
: Roman / Zdenka Becker. - Meßkirch : Gmeiner, 2019. - 281 S. ISBN 978-3-8392-2363-5 fest geb. : ca. € 20,60
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Vom Fortgehen und Ankommen in der Fremde. (DR) "Ich bin eine Migrantin", so beginnt Zdenka Becker ihren aktuellen Roman, der sich wie ihr letztes Buch "Samy" mit Fragen von Identität und Zugehörigkeit auseinandersetzt. In der Protagonistin Bea erkennen wir unschwer die Autorin, die selbst vor über vierzig Jahren nach Österreich eingewandert ist und nun ihre eigene Lebensgeschichte erzählt. Die Geschichte beginnt mit den Anfängen ihrer Kindheit in Tschechien, es werden Alltagssituationen im Kommunismus geschildert. Bea hat andere Lebensentwürfe, will in Freiheit aufwachsen, sich der Kontrolle und dem Druck des Systems entziehen. Diese Träume sind allgegenwärtig und vergleichbar mit denen von Migrant_innen und Zugewanderten weltweit. Das Private ist politisch. Die persönliche Lebensgeschichte Beas ist eingebettet in die Zeit des Kalten Krieges, ist Teil des großen Ganzen, der Geschichte, der Migrationsgeschichte Mitteleuropas. Der Roman liest sich unterhaltsam, mitunter witzig und skurril. Die eingefügten tschechischen bzw. slowakischen Ausdrucksweisen bieten Abwechslung und ermöglichen Perspektivenwechsel. Allen Bibliotheken empfohlen! Cornelia Stahl
Borge, Øistein: Hinterhalt
: Kriminalroman / Øistein Borge. Aus dem Norweg. von Andreas Brunstermann. - München : Droemer Knaur, 2018. - 313 S. - (Droemer Taschenbuch ; 30605) ISBN 978-3-426-30605-5 kart. : ca. € 10,30
Ein Norweger geht in Nordirland der Frage nach, ob die IRA wieder mit dem Töten begonnen hat. (DR) Der Osloer Europol-Kommissar Bogart Bull braucht dringend Urlaub, deshalb besucht er seinen Großvater im Norden Irlands. Doch noch bevor er sich erholen kann, verschwindet ein norwegisches Ehepaar, deren Tochter gute Kontakte in die Politik hat, spurlos, und Bogart wird darauf
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angesetzt, seinen irländischen Kollegen über die Schulter zu blicken. Als dann die Leichen des Paares mit Lilien in den leeren Augenhöhlen gefunden werden, wird Bogart selbst aktiv. ¥istein Borge schickt seinen Kommissar in seinem zweiten Fall nach Nordirland und setzt ihn auf Spuren an, die zurück in die Zeit der irischen Freiheitskämpfe führen. Dem Autor gelingt es gekonnt, historische Fakten und Fiktives so miteinander zu vermengen, dass der Fall zusätzlich an Authentizität gewinnt. Auch mit seinem Ermittler ist Øistein Borge ein glaubwürdiger Protagonist gelungen, der mit jedem Fall mehr an Charakter gewinnt und weitere Ecken und Kanten erhält. Er strotzt vor Tatendrang und Geschick und es macht Spaß, seiner Fährte in jedem neuen Fall zu folgen. Edith Ratzberger
Causse, Manu: Die grüne Ente
: Roman / Manu Causse. Aus dem Franz. von Alexandra Baisch. - München : Droemer Knaur, 2017. - 301 S. ISBN 978-3-426-30588-1 kart. : ca. € 15,50
Mit einem grünen 2CV, auch bekannt als "Ente", begibt sich ein Vater mit seinem autistischen Sohn auf eine ungeplante Fahrt quer durch das französische Bergland. (DR) Die grüne Ente, also ein 2CV Baujahr 1973, ist das Auto, in dem Erics Eltern tödlich verunglückten, als er sieben Jahre alt war. Lebenslang trägt er ein Geheimnis mit sich herum: Er meint, am Tod seiner Eltern schuld zu sein, weil er damals den Reifen aufgestochen hatte. Als Eric das (reparierte) Auto von seinem Onkel als Nachlass erhält, befindet er sich gerade in einer Lebenskrise: die Arbeit als Comiczeichner hat er verloren und den autistischen Sohn Isaac darf er auf Wunsch seiner geschiedenen Frau nicht mehr von der Klinik abholen. Aus einem spontanen Einfall heraus nimmt der Vater nach einem Klinikbesuch seinen Sohn in der grünen Ente mit und begibt sich mit ihm auf die Fahrt nach irgendwohin. Wie immer in solchen Roadmovie-Geschichten, treten zahlreiche hilfreiche (hier: sehr skurrile!) Personen auf, die ein derartiges Unterfangen schließlich zu einem positiven Ende bringen. Was in diesem Fall heißt: der ewig schweigende Sohn zeigt eine emotionale Regung. Was den Roman außergewöhnlich macht, ist bn 2019 / 2
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die Fülle der speziellen Charaktere, etwa der Landgendarm, der sich hauptsächlich für's Pilze sammeln interessiert oder die Kellnerin, die sich im Zwiespalt mit ihrem Innenleben und dem äußeren Geschehen befindet. Außerdem werden die Ereignisse von verstorbenen Personen und Katzen, die ebenfalls im Auto mitfahren, kommentiert. Insgesamt ist es ein netter Roman, der eine sehr ungewöhnliche Erzählweise besitzt und in den viele überraschende Wendungen eingebaut sind. Beispielsweise mischen sich die Kommentare der Katze mit den Filmbeschreibungen Erics, mit denen er die Stille bekämpft, die von seinem Sohn ausgeht. Empfohlen als Lektüre zwischendurch. Doris Göldner
Conradi, Arnulf: Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung
/ Arnulf Conradi. - München : Kunstmann, 2019. - 238 S. ISBN 978-3-95614-289-5 fest geb. : ca. € 20,60
Der Autor erzählt von der Faszination der Vogelbeobachtung und dem Glück, mit der Natur ganz eins zu sein. (DR) Arnulf Conradi war in der Verlagsbranche tätig, unter anderem als Cheflektor bei S. Fischer. 1993 gründete er den Berlin Verlag, 2009 gab er den großen Band "Die Vögel Mitteleuropas" von Johann Friedrich Naumann heraus. Schon als Kind faszinierten ihn das Verhalten der Vögel, die Schönheit ihrer Stimmen, die Eleganz ihres Fluges. Später erweiterte er auf zahlreichen Reisen sein ornithologisches Wissen. Ebenso widmet er sich mit nicht nachlassender Liebe und Aufmerksamkeit den Vögeln seiner Heimat, der Uckermark. Conradi erzählt kenntnisreich und so anregend, dass man als Laie immer wieder neugierig ein Bestimmungsbuch zur Hand nimmt oder sich eine CD mit Vogelstimmen anhört. Was den schmalen Band aber darüber hinaus so beglückend macht, ist die Fähigkeit des Autors, das 306
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Erleben der Natur überwältigend zu vermitteln. Darauf kommt es Conradi nämlich vor allem an. Daher zitiert er auch Koans und Haikus der großen Zen-Meister, für die das Einswerden mit der Natur zentral war. "Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung" ist nicht nur für Ornithologen, die daran zweifellos große Freude haben werden, geeignet, sondern auch ein Schatz und eine Anregung für alle, die bereit sind, sich auf ihrer Suche nach Stille und Schönheit von den Vögeln leiten zu lassen. Ingrid Kainzner
Dean, Martin R.: Warum wir zusammen sind / Martin R. Dean. - Salzburg : Jung und Jung, 2019. - 355 S. ISBN 978-3-9902722-8-2 fest geb. : ca. € 24,00
Es soll die Frage geklärt werden, was Paare eigentlich ausmacht. (DR) Der Schweizer Autor schildert gleich anhand mehrerer Paare, die untereinander befreundet sind, was es heißt, "zusammen zu sein". Irma und Marc feiern ihren zwanzigsten Hochzeitstag. Doch was hält die Ehe noch aufrecht? Persönliche (Midlife-)Krisen, berufliche Herausforderungen, Affären, Suizidversuche - all das beutelt die Seelen der Protagonisten. Ein typisches Bild der Generation Manufactum könnte man sagen. Vergleichsweise materieller Wohlstand, nach außen hin tadellose Paarbeziehungen, berufliches Standing, adäquate Hobbys: Man hat versucht, alles richtig zu machen und ist dennoch so geworden, wie man es nie sein wollte - eine Fassade. Das Buch wird hauptsächlich durch Dialoge getragen, die durch die fehlende Interpunktion die düster-nachdenkliche Grundstimmung des Plots noch unterstreichen. Ein Roman für mittlere und große Bestände. Sabine Eidenberger
Dinsdale, Robert: Die kleinen Wunder von Mayfair
: Roman / Robert Dinsdale. Aus dem Engl. von Simone Jakob. - München : Knaur, 2018. - 460 S. ISBN 978-3-426-22672-8 fest geb. : ca. € 20,60
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Ein berührender, zauberhafter und nachdenklich stimmender Roman über Liebe, Familie, Schicksal und Krieg. (DR)
Romane, Erzählungen, Novellen
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"Gier" ist ein Appell an die Menschen: Wenn ihr als Spezies überleben wollt, müsst ihr euch in Solidarität üben. Und so führt Elsberg seine Leser_innen zu einem Sondergipfel nach Berlin, bei dem sich Reiche, Schöne und Mächtige treffen. Am Rande der Veranstaltung kommt es zu einem als Unfall getarnten Mord, in den ein zufällig Vorbeikommender involviert wird. Gemeinsam mit dem Freund eines der Opfer begibt er sich auf Tätersuche und verspürt am eigenen Leib, zu welcher Skrupellosigkeit manche Menschen fähig sind, wenn es ihrer Sache dient.Petra Fosen-Schlichtinger
England im November 1906. Die 15-jährige Cathy ist schwanger. Ihre Mutter möchte, dass Cathy ihr Kind nach der Geburt weggibt. Zu Beginn fügt sich die verwirrte Cathy diesem Wunsch. Doch dann beschließt sie, nach London zu gehen, sich für einen Job in einem Spielwarenladen zu bewerben und ein gemeinsames Leben mit ihrem Kind aufzubauen. Mit Papa Jacks Emporium, dem Spielzeugladen in London, der dringend eine Aushilfe sucht, offenbart sich Cathy eine vollkommen neue Welt. Dort gibt es Plüschhunde, die fröhlich kläffend durch die Gänge hüpfen, zwitschernde PfeiffenreinigerVögel und wurzelschlagende Papierbäume. An diesem Ort wird Cathy ihre Tochter aufziehen, Liebe, Eifersucht und Schmerz erleben und viele interessante Menschen kennenlernen. Doch auch Papa Jacks Emporium bleibt von den Wirrnissen der Realität nicht verschont. Dinsdales "Die kleinen Wunder von Mayfair" Falcone, Corrado: Der Pate ist ein von Fantasie und Kreativität beflügelter : Kriminalroman ; [Der Bozen Krimi] / Corrado Falcone. Roman. Leser_innen, die ihr inneres Kind noch Meßkirch : Gmeiner, 2018. - 315 S. einmal aufleben lassen wollen, treffen mit diesem ISBN 978-3-8392-2361-1 kart. : ca. € 15,50 Buch die richtige Wahl. Die Handlung stimmt allerdings auch nachdenklich und führt in die Spannender Mafiakrimi aus Südtirol. (DR) Zeit während des Ersten Weltkriegs. Die Mafia ist dabei, sich in Südtirol zu etablieren. Alexandra Gölly-Liebich Zwei Paten stehen dabei in Konkurrenz. Die
Elsberg, Marc: Gier
: die Welt steht am Abgrund. Wie weit willst du gehen? ; Roman / Marc Elsberg. - München : Blanvalet, 2019. - 448 S. : Ill. ISBN 978-3-7645-0632-2 fest geb. : ca. € 24,70
Thriller, in dem die Machenschaften skrupellos agierender Wirtschaftsbosse bloßgestellt werden. (DR) Wo Marc Elsberg draufsteht, ist Qualität drin! Wer intelligente Krimis und Thriller mag, ist mit den Büchern dieses Autors immer bestens bedient. Elsberg versteht es, ein gesellschaftlich brisantes Thema aufzugreifen. Dabei serviert er seinen Leser_innen gekonnt wissenschaftliche Erkenntnisse, die dazu beitragen, dass diese die Welt aus einer neuen Perspektive sehen lernen. Da sei Elsberg verziehen, dass der Plot bei "Gier" schon ein wenig spannender sein könnte und viele Entwicklungen vorhersehbar sind. Sei's drum.
Kommissare Matteo Zanchetti und Sonja Schwarz haben alle Hände voll zu tun, um das organisierte Verbrechen zu stoppen. Zusätzlich gibt es Druck einer übergeordneten Einrichtung in Rom. Morde geschehen krimi-ordnungsgemäß. Das klassische Krimi-Thriller-Muster liegt vor. Falcone ist sicherlich ein Meister kommerzieller Kriminalliteratur. Seine Sprache erweist sich als anspruchsvoll, voller unerwarteter Wendungen und überraschender, stets "cooler" Wortgemälde. Dennoch kommt zwar beste Spannung, doch keine fühlbare Atmosphäre auf. Der Krimi ist auf Vermarktung und das Fernsehen (Reihe "Der Bozen-Krimi") hin verfasst. Sowohl Polizisten als auch Kriminelle bringen der Südtiroler Bergwelt Hassgefühle entgegen. Gegen den Strom der Verbrechen hebt sich die zarte Liebesgeschichte zwischen einem unter die Räder Gekommenen und einer mittellosen jungen Wirtin ab - die sentimentale Note der Erzählung. Doch auch hier kein Happy End. bn 2019 / 2
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Am Ende des Krimis präsentiert Falcone seine Botschaft: Kalt ist die Welt, eiskalt die Gesellschaft, die Sucht nach Karriere zerstört alles Leben, alle Hoffnung. Für die "da oben" sind ehrliche Polizisten - und wir alle - nur Marionetten. Wer gerne einen spannenden, gut geschriebenen Krimi liest, ist hier bestens bedient. Freunde anspruchsvoller Literatur, die Land, Leute und Tiefgang vermittelt, können auch ohne dieses Werk leben. Roman Schweidlenka
Seine Vielsprachigkeit erleichtert ihm den Kontakt zu unterschiedlichen Menschen, obwohl er es bedauert, bei der einfachsten Aufgabe, nämlich den Namen seiner Tochter korrekt auf Japanisch zu schreiben, zu versagen. Ein berührendes und faszinierendes Buch, das ein wenig von der japanischen Lebenswelt erzählt. Keine einfache Lesekost, aber ein großer Gewinn für literarisch interessierte Leser_innen. Sehr empfehlenswert. Ursula Pirker
Federmair, Leopold: Tokyo Fragmente
Feimer, Isabella: Monster
Literarische Betrachtungen über eine Stadt. (DR)
Flucht vor der Furie des Erinnerns und dem eigenen Unvermögen. (DR)
Der österreichische Autor Leopold Federmair lebt seit vielen Jahren in Japan und unterrichtet derzeit an der Universität Hiroshima. Er ist verheiratet mit einer Japanerin und hat eine Tochter. Schon vor einigen Jahren hat er begonnen, Fragmente seiner Betrachtungen über Tokio, aber auch über Japan an sich festzuhalten. Theoretisch wäre es möglich, die Texte in beliebiger Reihenfolge zu lesen, aber der rote Faden, der besonders durch seine Besuche in dem kleinen Nachtlokal beibehalten wird, würde dabei reißen. Obwohl oder vielleicht gerade weil der Autor in so unterschiedlichen Ländern wie z.B. Italien, Argentinien, Mexiko und Frankreich gelebt hat, hat er sich ein sehr tiefes Gespür für die Kunst der deutschen Sprache bewahrt. Er spielt nicht nur mit den Schauplätzen der Handlungen, einmal ist er in einem Zug, mal in einem Nachtlokal oder in einem Wald, sondern auch mit den Worten und ihren Bedeutungen. Wie eine Feder, die vom Wind mal hier und mal dorthin getragen wird, folgt er seinen Gedanken und Betrachtungen und überträgt diese Leichtigkeit auch in seine Sprache. Er beobachtet sehr genau, spricht mit vielen Leuten und geht viele Strecken zu Fuß, um sich in die Umgebung einzufühlen.
Was hat Max nur an seiner Frau Elsa gefunden? Seit Jugendtagen kannten sie einander und führten ein seltsames Beziehungs- und Entziehungsspiel, das geprägt war von Leidenschaft und Kälte zugleich. Vielleicht war das auch der Grund, warum Max, der Fotograf, sich mit der Künstlerin Vanessa in eine obsessive sexuelle Beziehung begibt. Und dass er seit seiner Kindheit in seine Stiefmutter verliebt ist, das ist auch ein Teil seiner verwirrten männlichen Identität. Nun hat aber Elsa Suizid begangen und Max sitzt in einem Diner im amerikanischen Mittelwesten, wo er gleich die Angestellte Karen, eine einsame Figur wie er, ansprechen wird. So beginnt die Erzählung, die in assoziativen Rückblicken und via Bewusstseinsstrom-Methode die Vorgeschichte mehr andeutet als aufrollt. Der in die USA vor seinen Erinnerungsdämonen Geflüchtete wird von seinen Bildern zwischen Wahn und Wirklichkeit verfolgt. Die Autorin versucht in einer lyrischen, oft expressionistisch anmutenden Prosa diesen Unsicherheits- und Schwebezustand offenzuhalten. Ihre Sprache wechselt dabei zwischen Pathos und geglückten Wendungen, vordergründigen Assoziationen und geheimnisvollen Anspielungen, Kitsch und anschaulich-handfesten Formulierungen. Es entsteht ein musikalischer Sound, die Geschichte entwickelt auch eine Art Sogwirkung, allerdings bleibt die Figurenzeichnung doch sehr blass und eindimensional. Interessantes Erzählprojekt, das ambitioniert scheitert. Fritz Popp
/ Leopold Federmair. - Salzburg : Otto Müller Verlag, 2018. - 396 S. : Ill. ISBN 978-3-7013-1264-1 fest geb. : ca. € 24,00
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: Erzählung / Isabella Feimer. - Innsbruck : Limbus, 2018. - 94 S. ISBN 978-3-9903912-9-7 fest geb. : ca. € 15,00
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Flender, Karl Wolfgang: Helden der Nacht
din und Privatdetektivin. Kurze Zeit später wird die Leiche einer Frau, brutal ermordet durch mehrere Messerstiche, im Haus von Jo aufgefunden. Sie versuchte noch der Ermordeten Erste Hilfe zu leisten, wird aber rasch vom ermittelnAltmodische Detektive versus Digitalzeitalter. (DR) den Beamten Haverkorn als Verdächtige geführt. Der junge Berliner Student Bryan Auster ist ein Ihr Abtauchen nach einer Befragung trägt auch großer Verehrer der Ermittler im Stil eines Sher- nicht unbedingt zur Verstärkung der Unschuldslock Holmes oder Columbo. Als er seinen Va- vermutung bei. In großer Sorge um ter, dem Betreiber eines Detektivbüros, vertreten die verschwundene muss, verstrickt er sich gemeinsam mit seinem Freundin sucht Frida Freund Kenny, der ein Seitensprungportal für auf eigene Faust nach Verheiratete hackt, in ein gefährliches Spiel. Jo. Sie recherchiert auf Parallel dazu ermittelt die Kommissarin Colleen der Halbinsel Holnis in McCollum in einem Mordfall, bei dem eine jundem Fall einer im Jahre ge Frau erschossen und ihr abgetrennter Ring1977 brutal ermordeten finger an die Wand genagelt wird. Die KommisFamilie. Das von den sarin, die sich weder in ihrer Ehe noch in ihrem Dorfbewohnern geJob wirklich wohlfühlt, beeindruckt durch ihr nannte "Bluthus" steht unkonventionelles Vorgehen. seit dem schlimmen Der Autor führt die beiden Handlungsstränge Verbrechen leer. Nur geschickt zusammen und entwickelt eine Geschichte, die an alte Detektivromane bzw. deren die Tochter überlebte vor Jahrzehnten den ÜberProtagonisten erinnert. Dies kombiniert er mit fall und blieb seither spurlos verschwunden. In dem Alltag der Berliner Polizei und den Mög- gewohnt spannender Manier, durch einen flotten, die/den Leser_in in Atem haltenden Schreibstil, lichkeiten, die die digitale Welt heute bietet. Dem Literaturwissenschaftler Karl Wolfgang verknüpft Fölck gekonnt das persönliche SchickFlender gelingt eine köstliche Satire auf den sal ihrer beiden sympathischen Hauptfiguren mit herkömmlichen hard-boiled Detektivroman mit dem aktuellen Kriminalfall. Die Rückblicke in vielen Querverbindungen und Anspielungen. die Vorgänge im "Bluthus" vor rund vier Jahrzehnten ergeben ein spannendes und äußerst Kurt Haber unterhaltsames Kriminalpuzzle, das in einem fulminant-rasanten Showdown ein atemberaubendes Ende findet. Fölck, Romy: Bluthaus Krimispannung in Höchstform und daher unein: Kriminalroman / Romy Fölck. - Köln : Lübbe, 2018. - 317 S. geschränkt empfehlenswert. Barbara Tumfart : Roman / Karl Wolfgang Flender. - Köln : DuMont Buchverl., 2018. - 399 S ISBN 978-3-8321-9860-2 fest geb. : ca. € 22,70
ISBN 978-3-431-04111-8 fest geb. : ca. € 20,60
Krimispannung in bester Qualität rund um zwei sympathische Ermittler und einen lang zurückliegenden Familienmord. (DR) "Bluthaus" ist der zweite Kriminalroman aus der Feder von Romy Fölck, in dem sie die Geschichte aus "Totenweg" rund um die beiden Polizisten Frida Paulsen und Bjarne Haverkorn in ähnlich spannender Manier fortsetzt. Frida hat sich nach ihrem letzten dramatischen Einsatz vorerst vom Polizeidienst suspendieren lassen und versucht nun auf dem Apfelhof ihrer Eltern etwas zur Ruhe zu kommen und neue Zukunftspläne zu entwickeln. Doch dann erhält sie überraschenderweise Besuch von Jo, ihrer alten Schulfreun-
Franzobel: Rechtswalzer
: Kriminalroman / Franzobel. - Wien : Paul Zsolnay Verlag, 2019. - 410 S. ISBN 978-3-552-05922-1 kart. : ca. € 19,60
Beklemmender Politthriller über die nahe Zukunft Österreichs. (DR) Nach gelungener Buchpräsentation, die auch ausführlich im ORF zu sehen war, stapelte sich das neue Buch von Franzobel in den großen städtischen Buchhandlungen. Das Thema ist aktuell. Der Autor zeichnet gewisse politische Entwicklungen in Österreich für die Zukunft. bn 2019 / 2
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Im Jahr 2014 ergreift eine neue Regierung, die unter wohltönender Neusprech-Propaganda eine neofaschistische Diktatur errichtet, eine modernisierte Mischung aus Huxleys "Schöne neue Welt" und Orwells "1984", die Macht. Die meisten Menschen bemerken die Veränderungen nicht, die wie schleichendes Gift die Demokratie abschaffen und einen totalitären Staat ermöglichen, der zugleich viele Merkmale einer Sekte annimmt und mit einem totalitären Kult die Anhänger an sich bindet. Diese zeitgeistkritische Vision ist in eine Krimi-Handlung eingebunden, die die Perversitäten einer reichen Familie zeigt, jedoch jenseits einer Krimi-Meisterschaft angesiedelt ist. Franzobel zeichnet auch außerhalb der neofaschistischen Machtsphäre ein sehr düsteres, pessimistisches Menschenbild. Seine Charaktere sind oft dämonisch, die dunkle Seite der Figuren wird überproportional hervorgekehrt. So stellt sich die Frage, ob es wirklich nötig ist, die Vergewaltigung einer Gefängnispsychologin durch Neonazis bis in das kleinste abscheuliche Detail - bis zur Ermordung - überlang zu beschreiben. Schließlich endet der Roman in einer dumpfen Leere. Wenngleich dieses Werk politisch höchst nachdenklich stimmt und eine breite Leserschaft verdient, ist es sicherlich nicht geeignet - wie der Autor im Nachwort hofft - demokratischen Widerstandsgeist zu evozieren. Roman Schweidlenka
French, Tana: Der dunkle Garten : Roman / Tana French. Aus dem Engl. von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. - Frankfurt/M. : Scherz, 2018. - 653 S. ISBN 978-3-651-02562-2 kart. : ca. € 17,50
Spannender Psychothriller, dessen Plot sich um ein Familiengeheimnis dreht. (DR) Toby Hennessy führt ein unbeschwertes Yuppieleben in Dublin. Bis eines Nachts Einbrecher in seiner Wohnung auftauchen. Beim Versuch, 310
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sich zu wehren, wird er fast getötet und seine Hirnverletzung macht ihm auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus noch schwer zu schaffen. Dann eröffnet ihm seine Cousine Susanna, dass ihr gemeinsamer Onkel Hugo an einem Gehirntumor erkrankt ist und Hilfe im Alltag braucht. Da Toby unter Panikattacken leidet und seine Wohnung nicht mehr verlassen kann, sieht er damit eine Chance, in dem idyllischen Landhaus der Familie, in dem er, Susanna und Cousin Leon glückliche Zeiten verbracht haben, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Der Plan scheint aufzugehen, bis bei einem Familientreffen Susannas kleiner Sohn in einem Loch im Baumstamm der alten Ulme, die im Garten steht, einen menschlichen Schädel entdeckt. Durch einen DNA-Vergleich kann die Identität festgestellt werden - nur, was hatte der Tote mit der Familie zu tun? Tana French ist wieder einmal ein meisterhafter psychologischer Roman gelungen. Im Mittelpunkt steht Toby, der verzweifelt versucht, die Schwere seiner Behinderung - er zeigt Symptome eines Schlaganfalls und hat neben Gedächtnislücken auch immer wieder Aussetzer vor den anderen zu verbergen. Letztlich führt das nur dazu, dass er die Menschen, die sich um ihn sorgen, immer wieder vor den Kopf stößt. Als er schließlich selbst unter Mordverdacht gerät, setzt er alles daran, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Denn nach allem, was bisher aufgedeckt wurde, hält er es nicht mehr für ausgeschlossen, tatsächlich der Täter zu sein. In der Handlung gibt es keine Lücken und Sprünge. Stück für Stück offenbart sich ein dichtes Netz aus falschen Spuren und Hinweisen, die schließlich ein logisches Ganzes ergeben. Die Personen sind, wie immer bei French, sorgfältig durchgezeichnet. Eine intelligente und spannende Geschichte, die bis zum Schluss für Überraschungen sorgt. Anita Ruckerbauer
Belletristik
Férey, Caryl: Die Gewissenlosen : Roman / Caryl Férey. Aus dem Franz. von Michaela Meßner. - München : Limes, 2018. - 235 S. ISBN 978-3-8090-2696-9 fest geb. : ca. € 20,60
Ein Polizist erfährt von der Existenz seiner 8-jährigen Tochter und macht sich auf den Weg, um sie kennenzulernen. (DR) Dem einäugigen ExPolizisten McCash wird von seinem Arzt eröffnet, dass er in Kürze auch auf dem anderen Auge erblinden wird. Daraufhin beschließt er, sich das Leben zu nehmen. Doch bevor er diesen Entschluss in die Tat umsetzen kann, erreicht ihn ein Brief einer ehemaligen Geliebten, in dem sie ihm mitteilt, dass er eine 8-jährige Tochter hat. Sie bittet ihn, sich ihrer anzunehmen, da sie selbst infolge einer Krebserkrankung nur mehr kurz zu leben hat. McCash macht sich auf, um das Mädchen kennenzulernen. In dem kleinen Ort angekommen, findet er am Flussufer eine Kinderleiche. Es handelt sich nicht um seine Tochter, doch er fürchtet, dass auch sie in Gefahr sein könnte. Dies ist tatsächlich der Fall, denn die kleine Alice hat das ermordete Mädchen im Auto des Leiters des örtlichen Kinderheims zuletzt gesehen. McCash beschließt, auf eigene Faust den Mord an dem kleinen Mädchen aufzuklären und seine Tochter in Sicherheit zu bringen. Schon bald gerät er in eine Falle, aus der er sich nur befreien kann, indem er seine Angreifer erschießt. Doch die eigentlichen Drahtzieher sind Immobilienhaie und deren Gegenspieler. Der Plot des rasanten Krimis ist durchaus realistisch, die Ausführung überzeugt jedoch nicht. Man hat den Eindruck, dass der Autor eine besonders coole und kaltschnäuzige Figur schaffen wollte, was ihm so gut gelingt, dass man seinem Protagonisten wirklich keine Sympathie entgegenbringt und ihm auch das Raubein mit dem Herzen am rechten Fleck nicht abnimmt. Angesichts der Grobheit, mit der er Mensch und Tier behandelt, erscheint die augenblickliche
Romane, Erzählungen, Novellen
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Zuneigung zur eben erst gefundenen Tochter aufgesetzt. Permanent schlecht gelaunt und unheimlich brutal erledigt er seine Gegner. Wer sich an den zahlreichen Gewaltszenen und dem rotzig-flapsigen Stil nicht stört, dem bietet der Roman einige Stunden spannende Unterhaltung. Ingrid Kainzner
Genova, Lisa: Im Traum höre ich dich spielen : Roman / Lisa Genova. Aus dem amerikan. Engl. von Anke Kreutzer. - Köln : Bastei Lübbe, 2018. - 302 S. ISBN 978-3-7857-2630-3 kart. : ca. € 16,90
Ein Starpianist erkrankt an einer neuromuskulären, tödlichen Krankheit. (DR) Richard, 45 Jahre alt, ist ein gefeierter Pianist, bis ihm plötzlich seine rechte Hand nicht mehr gehorcht. Was er zuerst für eine Sehnenscheidenentzündung hält und auch als Grund für die Absage von Konzerten angibt, entpuppt sich jedoch als ALS. Diese Krankheit bewirkt, dass die Motorneuronen von bisher unerforschten Toxinen vergiftet werden, sodass die von ihnen gespeisten Muskeln nach und nach verkümmern. Für den Musiker, der vom perfekten Funktionieren seiner Hände lebt, bedeutet das den endgültigen Abschied von seiner Profession. Aber immerhin kann Richard noch Ravels Klavierkonzert für die linke Hand in seinem Wohnzimmer spielen, während er sich das Orchester, den Dirigenten und das hingerissene Publikum vorstellt. Doch der Verfall der Muskelfunktionen geht sehr rasch. Seine Exgattin Karina, von der er seit 5 Jahren geschieden ist, nimmt ihn zurück in die gemeinsame Wohnung, als er ohne Pflege nicht mehr allein zurechtkommt. Die 18-jährige Tochter Grace ist auf dem College und wird erst sehr spät eingeweiht. Mit drastischer medizinischer Genauigkeit werden der schrittweise Verfall und die Verluste geschildert: keine Hände mehr zu gebrauchen, sich nicht mehr allein anziehen und waschen zu können, nicht mehr deutlich sprechen zu können, auf eine Magensonde und einen Rollstuhl angewiesen zu sein. Dass die oft betrogene Ehefrau Karina die Last der Pflege auf sich nimmt, tut sie nicht aus Liebe, sondern aus Pflichtbewusstsein. Aber die erzwungene Nähe zwischen den beiden lässt auch eine neue, versöhnliche Sicht auf die gescheiterte Beziehung zu. bn 2019 / 2
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Belletristik
Die sehr genaue, feinfühlige Personencharakte- Grill, Evelyn: Der Begabte ristik, der akribisch beschriebene Krankheitsver: Roman / Evelyn Grill. - Salzburg : Residenz Verlag, 2019. lauf und die Schilderung der Kraft, die von der - 147 S. Musik ausgeht, machen den kurzen Roman zu ISBN 978-3-7017-1709-5 fest geb. : ca. € 20,00 einem lohnenden, packenden Leseerlebnis. Anatomie eines Familienverbrechens. (DR) Maria Schmuckermair
Goebel, Joey: Irgendwann wird es gut / Joey Goebel. Aus dem Amerikan. von Hans M. Herzog. Zürich : Diogenes, 2019. - 313 S. ISBN 978-3-257-07059-0 fest geb. : ca. € 22,70
Erzählband zum Leben in einer amerikanischen Kleinstadt. (DR) Moberly, Ohio, ist eine typische amerikanische Kleinstadt im Mittleren Westen. Die Protagonisten dieses Erzählbands, denen je ein Kapitel des aus Henderson/Kentucky stammenden USAutoren Joey Goebel gewidmet ist, haben einiges gemeinsam: Sie sind zutiefst vereinsamt, leiden an der Enge und Kleinbürgerlichkeit ihrer Stadt und suchen einen Ausweg aus der Einschränkung ihrer Lebensmöglichkeiten. Da sind der Fan der örtlichen Fernsehansagerin, dessen Versuch einer Kontaktaufnahme nicht zuletzt durch das Zutun eines Stalkers gründlich misslingt, Mutter und Sohn, die den Tod des Vaters der Familie nie überwunden haben und sich radikal zurückziehen, der Jugendliche, der seine Fluchtmöglichkeit in der Musik sucht, die Lehrerin, die sich aus Enttäuschung über ihre scheiternde Ehe in einen Schüler verliebt, das "Antikmarktmädchen", das in der Schule für seine Freundschaft zu einem älteren Verkäufer und wahren Gentleman gehänselt wird, ein Vater, der unter der Trennung von seinem Sohn infolge der Scheidung leidet etc. Goebel gelingt es, in kurzen Pinselstrichen eine ganze Welt en miniature zu erschaffen und für seine Helden Mitleid und Verständnis zu wecken. Spannend zu lesen und sehr zu empfehlen. Monika Roth 312
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Ein 19-jähriger Mann sitzt in einer Gefängniszelle. Warum, das kommt erst langsam im Lauf der Erzählung heraus. Der junge Mann fühlt sich einsam und von allen verlassen. Der Großvater, ein angesehener Schuldirektor in einer oberösterreichischen Kleinstadt, hat ihn früher wegen seiner musikalischen Begabung gerühmt. Beim Sonntagsgottesdienst begeisterte er die Kirchenbesucher mit seinem Orgelspiel. Im Ort nannte man ihn den kleinen Mozart. Es sollte einmal ein großer Star aus ihm werden. Was als Geschichte voller Hoffnungen begann, entwickelte sich aber zum Horrorszenario. Die kleinbürgerliche Idylle endet in einer grausamen Mordgeschichte, die Schicht für Schicht in den Erinnerungen des jungen Mannes bloßgelegt wird. Er hat seine Großmutter mit einer Axt erschlagen. Angestiftet wurde er vom Großvater. Als dessen Ehe immer mehr zu einer Hassbeziehung wird, fasst dieser den Entschluss: "Die Oma muss weg." Er manipuliert den autoritätsgläubigen, lebensunerfahrenen Enkel und bringt ihn dazu, den Mord auszuführen, während er mit seinen Zechkumpanen im Wirtshaus sitzt. Dieses Verbrechen hat sich im Jahr 2012 tatsächlich in einer oberösterreichischen Gemeinde ereignet. Die Autorin sucht nach einer Erklärung, wie es zu dieser Schreckenstat kommen konnte. Sie übernimmt dazu die Perspektive des Täters und arbeitet hervorragend heraus, wie ein autoritärer Machtmensch in einer von Enge und Heuchelei geprägten Atmosphäre ein Netz der Abhängigkeit über einen Heranwachsenden werfen konnte. Dieses Buch schärft unseren Blick für das Düstere und Dunkle im Menschen. Aus diesem Grund ist es lesenswert. Karl Vogd
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Haas, Wolf: Junger Mann
: Roman / Wolf Haas. - Hamburg : Hoffmann und Campe, 2018. - 237 S. ISBN 978-3-455-00388-8 fest geb. : ca. € 22,70
Eine bezaubernde Geschichte über die Schwierigkeit des Erwachsenwerdens und die Schwierigkeit, dann schließlich erwachsen zu sein. (DR) Der namentlich nicht genannte Protagonist (der "junge Mann") ist seit seiner Kindheit aufgrund übermäßigen Schokoladenverzehrs stark übergewichtig. Außerdem wächst er ohne Vater auf, dieser ist wegen seiner Alkoholsucht (vom Wasser bekomme er, nach Eigenaussage, ja doch nur Bauchläuse) in einer Anstalt. Als der Adoleszente sich in die erwachsene Elsa verliebt, ist ihm klar, dass sein Bauchspeck auf die junge Frau nicht gerade attraktiv wirken muss. Deswegen wird von da an radikal gefastet und Kalorien gezählt. Das zusätzliche Problem an der Liebessache ist aber der Lastwagenfahrer Tscho, Elsas Ehemann. Da ist es gut, dass dieser immer mal wieder für längere Zeit in fernen Ländern unterwegs ist. Langsam nähert sich der junge Mann Elsa an, indem er ihr etwa Englischunterricht gibt. Als Tscho aber eines Tages auf der Tankstelle, an der der Romanheld während des Sommers jobbt, auftaucht und ihn darum bittet, ihn auf seiner nächsten Fahrt zu begleiten, willigt der junge Mann ein, nicht ohne mulmiges Gefühl, was Tscho mit ihm vorhaben könnte... Der Plot der Geschichte ist nicht neu (Mann verliebt sich in unerreichbare Frau), die Figuren kommen einem bekannt und vertraut vor. Und doch schafft es Wolf Haas mit einer feinsinnigen und exakten Zeichnung der Charaktere, sehr viel mit wenigen Worten auszudrücken und etwas Neues zu erzählen. So versteht man die Sehnsucht Elsas, ihrem Milieu zu entfliehen und "etwas Besseres zu werden", als sie den jungen Mann bittet, ihr Englisch beizubringen - ohne dass der Autor dies seine Figur explizit sagen lässt. Die Figuren machen in ihrer Einfachheit das Beste
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aus ihrer Situation. Der Roman scheint auf den ersten Blick etwas oberflächlich, spätestens beim Umblättern der letzten Seite begreift man aber den Tiefgang und die Reflektiertheit dieser wunderbaren Geschichte und dass diese es vermag, mit wenig viel auszusagen. Wolf Haas fasst seine Romanhandlung in einem Interview sehr pointiert zusammen: "Der Protagonist verfolgt diese völlig hoffnungslose Liebesgeschichte, aber er findet dann doch das, was er braucht, von dem er nur nicht wusste, dass er es brauchte." Birgit Stessl
Hackl, Erich: Am Seil
: eine Heldengeschichte / Erich Hackl. - Zürich : Diogenes, 2018. - 116 S. ISBN 978-3-257-07032-3 fest geb. : ca. 20,60
Eine Heldengeschichte ohne Helden - angesiedelt im Wien der NS-Zeit. (DR) Kann man den Kunsthandwerker und Bergsteiger Reinhold Duschka verstehen, der auch nach dem Krieg niemals darüber spricht, dass er in wirklich selbstloser Weise den zwei jüdischen Frauen Regina Steinig und ihrer Tochter Lucia in Zeiten des Naziterrors vier Jahre lang das Überleben in seinen eigenen vier Wänden in Wien ermöglicht hatte? Ist der Held also in dieser Erzählung überhaupt zu entdecken? Zu Beginn des Buches lässt Hackl Lucia selbst zu Wort kommen: "Reinhold ist der Held meiner Geschichte, nur seinetwegen erzähle ich sie." Der aus Berlin stammende Reinhold Duschka hatte in der NS-Zeit seine Werkstatt mitten in Wien und trotz aller Widerwärtigkeiten (z. B. bei der Lebensmittelrationierung) gelingt es ihm, teilweise durch gesteigerte Produktion trotz Materialknappheit, irgendwie die beiden Frauen zu verstecken und zu versorgen. Hackl geht es nicht um historische Faktizität, sondern darum, dass er ein Gedankengebäude errichtet, das die zwei Frauen ihre eigene Rettungsgeschichte mitentwerfen lässt. Er überlässt es den Leser_innen, mitzufühlen und mitzudenken, wie die Protagonisten die damalige Zeit erlebt haben und welche Szenarien zum Überleben führen konnten. Immer wieder gibt es brisante Szenen, als z. B. Lucia um jeden Preis hinaus ins Freie zu den Weinbergen will - trotz der damit verbundenen bn 2019 / 2
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Lebensgefahr, durch das nationalsozialistische durchsetzt mit vielen originalen BriefkorresponWien gehen zu müssen und jederzeit kontrolliert denzen, die Schnitzler über sein Leben lang mit zu werden. Aber Duschka organisiert auch dieses diversen Liebschaften pflegte und nimmt die LeUnternehmen, so als ob es für ihn eine selbstver- serInnen mit in eine Zeit, die beinahe 100 Jahre zurückliegt. Authentizität gewinnt der Roman ständliche Verpflichtung wäre. Hackl zeichnet das Bild einer Seilschaft - daher darüber hinaus durch einen gekonnt sprachlichen auch der Titel - die unterwegs ist, um ein ge- Tiefgang, der durchaus einem Schnitzler gerecht meinsames Ziel zu erreichen. Sich aufeinander wird. Das Buch ist eine Liebeserklärung an den verlassen können und dem Anführer voll zu ver- Autor und arbeitet pointiert dessen Leben mit all trauen macht die Metapher dieses Buches aus. seinen Ecken und Kanten auf. Anna Goiginger Duschka - selbst begeisterter Bergsteiger - wird hier zu einer Figur, die Retter und Gerettete auf eine Ebene stellt. Zugleich ist es auch ein Blick Hager, Elisabeth R.: Fünf Tage im Mai auf die verloren gegangene Sozialutopie des : Roman / Elisabeth R. Hager. - Stuttgart : Klett-Cotta, 2019. "Roten Wien". - 220 S. Spannend erzählt und in sehr anschaulicher ISBN 978-3-608-96264-2 fest geb. : ca. € 20,60 Sprache verfasst, berührt das Werk auf ganz besondere Art und Weise. Breite Empfehlung! Ein Debütroman über zerklüftete Seelenlandschaften in den Tiroler Bergen. (DR) Heinrich Klingenberg
Hage, Volker: Des Lebens fünfter Akt
: Roman / Volker Hage. - München : Luchterhand, 2018. 317 S. ISBN 978-3-630-87592-7 fest geb. : ca. € 20,60
"Mit jenem Julitag war mein Leben doch zu Ende." (Arthur Schnitzler - Tagebuch) (DR) Eben jener Julitag setzt eine entscheidende Zäsur in Arthur Schnitzlers Leben, von der aus er sein Leben und Schaffen rückblickend betrachtet, sein zukünftiges Schaffen andererseits zeitlebens beeinflusst sein wird. Der Roman erzählt aus der Sicht Schnitzlers, wie sich dessen Leben nach dem Tod seiner Tochter Lili im Privaten und beruflichen Wirken fortsetzt. Anhand zahlreicher Tagebucheinträge und Briefkorrespondenzen wird den LeserInnen ein Blick in das Innenleben Schnitzlers - mit all dessen Zerrissenheit und Euphorie - gegeben. Hage schafft durch seinen Roman eine gelungene Hommage an Arthur Schnitzlers Leben und dem damit eng verknüpften künstlerischen Schaffen. Ein biografisch gut recherchierter Rahmen wird 314
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Der Titel "Fünf Tage im Mai" bezieht sich auf fünf miteinander korrelierende Episoden aus den Jahren 1986, 1996, 1998 und 2004, die jeweils einen Romanabschnitt markieren. Erzählt wird über einen Zeitraum von 18 Jahren vom Erwachsenwerden mit all seinen Versuchungen, Freiheiten und Exzessen und parallel dazu von der innigen, hochemotionalen Beziehung zwischen dem Mädchen Illy und seinem urwüchsigen Urgroßvater, liebevoll Tat'ka (Väterchen) genannt. Der erste Abschnitt trägt den Untertitel "Pocket Coffee", der von der Aufregung und den Gewissenbissen der kleinen Illy bei der Erstkommunion erzählt. Zum Trost schenkt ihr der Großvater besagtes Schokoladenbonbon. Im nächsten Abschnitt folgt Illys erste unglücklich endende Liebe, ihre Bahnfahrt zurück von ihrem Studienort Marseillle zu Tat'kas 92. Geburtstagsfeier, der als offiziell ältester Mensch im Dorf gebührend mit "Rosen aus Zucker" gefeiert wird. Obwohl die beiden viele Jahre trennen und sie ein ungleiches Gespann sind, verbringen sie gerne ihre Zeit miteinander. Im nächsten Abschnitt "Weltuntergang" muss Illy erkennen, dass sie eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen treffen muss, als sie sich von ihrer großen Liebe, dem Außenseiter Tristan, der dem Alkohol und den Drogen immer mehr verfällt, trennt und sich schuldig fühlt an seinem Freitod. Es folgt ein Rückblick mit dem Verweis auf das Sprichwort "S' Glück is' a Vogerl". Da kommt nicht nur Illys traurige
Belletristik
Liebeserfahrung zur Sprache, sondern auch Urgroßvaters eigenes Schicksal, der ihr in seiner Mundart weise zu verstehen gibt: "Du kannst niemand anders beschützen. Nit wirklich. Sicher, du kannst's probieren, aber helfen tut's nit. Für dich und dein Leben musst' verantwortlich sein! Das klingt nach keiner Heldentat, i weiß. Aber es is' eine." Ein berührender, vielschichtiger, mitreißender Roman, der zwar einige Längen aufweist, aber ein ganz besonderes, emotionales Lektüreerlebnis bietet. Dazu trägt auch die feinfühlige Buchgestaltung bei, die u.a. in der holzgemaserten braunen Buchdeckelprägung unter dem Buchumschlag sichtbar wird. Jutta Kleedorfer
Hammant, Michael: Die Dämonenkriege - Dunkelkönig
: Roman ; [Band 2] / Michael Hammant. - München : Heyne, 2019. - 699 S. ISBN 978-3-453-31951-6 kart. : ca. € 15,50
Das Fantasy-Epos kommt zu einem fulminanten Ende. (DR) Ja. Tatsächlich. Obwohl die Geschichte eine klassische High-Fantasy ist, wurde es keine Trilogie, sondern Hamannt führt auf knapp 700 Seiten bereits in die Entscheidungsschlacht. Lektoriert ist der zweite Band weniger genau, da geht der Held schon einmal zum Schlachtfeld "rüber" und "verliert einen Haufen Blut". Die Keesa Catara, Prinz Ishan, Dämonenjäger Ryk Vangur und die Veydra Kela kämpfen wie im ersten Band für das Gute. Es sterben diesmal noch mehr Bewohner des Dämonenreiches und der Schwebenden Reiche, es gibt weitere Animalia, also Tierdämonenarten, die man metzeln muss und die Humanos, also die Menschendämonen, beziehen nun klar Position. Natürlich kommt auch die Liebe nicht zu kurz, und Verrat und überraschende Wendungen sind ebenfalls garantiert. Königreiche fallen, Rebellenarmeen kämpfen gegen Unterdrückung und die gesamte Menschheit ist
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Romane, Erzählungen, Novellen
bedroht. Das Erzähltempo ist hoch und sorgt für Kurzweil, jedoch sollte man unbedingt den ersten Band gelesen haben, sonst hat man kaum eine Chance, das komplexe Werk zu verstehen. Dank (weniger) Sexszenen und (vieler) blutiger Schlachtszenen sollte man vielleicht schon die Volksschule hinter sich gebracht haben, aber die Empfehlung ist leicht gegeben: Hat man den ersten Band in der Bibliothek stehen, muss man den zweiten anschaffen. Hat man den ersten nicht, ist der zweite sinnlos. Michael Wildauer
Haruf, Kent: Abendrot : Roman / Kent Haruf. Aus dem Amerikan. von pociao. Zürich : Diogenes, 2019. - 413 S. ISBN 978-3-257-07045-3 fest geb. : ca. € 24,70
Ein Roman über das beschwerliche Dasein im provinziellen US-Bundesstaat Colorado und hart erkämpfte Lichtblicke. (DR) Kent Haruf, ein bereits verstorbener, mit vielen Preisen ausgezeichneter Autor aus den Vereinigten Staaten, dessen Roman "Unsere Seelen bei Nacht" sogar verfilmt wurde, ist in der deutschsprachigen Literatur weniger bekannt. Es ist deshalb auch nicht verwunderlich, dass noch nicht alle seiner sechs Romane, die stets im fiktiven Ort Holt spielen, übersetzt wurden. In "Abendrot" erzählt Haruf anhand von mehreren überschaubaren Erzählsträngen die Geschichte von schicksalsgebeutelten Figuren, die sich im Mikrokosmos einer Kleinstadt befinden, sich hin und wieder begegnen, sich mitunter das Leben schwer machen, aber auch versuchen, sich gegenseitig zu helfen. Keineswegs hat dieser Roman jedoch das Format einer kitschigen Dorfgeschichte, in der sich schließlich alle Konflikte und Probleme auflösen. Ganz im Gegenteil: Figuren, wie die auf Sozialhilfe angewiesenen Eltern Luther und Betty, bekommen trotz der Unterstützung ihrer Sachbearbeiterin ihr Leben nicht in den Griff, worunter besonders ihre beiden Kinder zu leiden haben. Auch DJ ist eine solche Figur, die schon in sehr jungen Jahren Verantwortung für den griesgrämigen Großvater übernehmen muss und bis auf eine kurzzeitige Freundschaft mit einem Mädchen in allen Dingen des Lebens auf sich selbst gestellt ist. bn 2019 / 2
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Zentral im Roman ist aber vor allem der alte Rinderzüchter Raymond McPheron, dessen Bruder tödlich verunglückt und er plötzlich auf sich allein gestellt ist. Unterstützung erhält er zeitweise von seiner Ziehtochter Victoria, die durch die Hilfe der beiden Brüder wieder auf die Beine gekommen ist und nun ein College besucht. Bleibt das alltägliche Leben in der Kleinstadt Holt ungebrochen schwierig, erfährt Raymond aber unverhofft noch in späten Jahren das Glück der Zweisamkeit. Haruf schreibt ohne große Umschweife von den tatsächlichen Schwierigkeiten des Lebens. Er psychologisiert nicht, sondern stellt erzähltechnisch prägnant und neutralisierend das Leben mit all seinen Problemen dar. Veronika Eder
Hein, Christoph: Verwirrnis
: Roman / Christoph Hein. - Berlin : Suhrkamp, 2018. - 303 S. ISBN 978-3-518-42822-1 fest geb. : ca. € 22,70
Sensibles Porträt einer homosexuellen Liebe in der DDR der Nachkriegszeit sowie historisch-politische Chronik ostdeutscher Verhältnisse (DR) Ostdeutschland, in den 1950er Jahren: Im erzkatholischen Städtchen Heiligenstadt verliebt sich der Sohn des Kantors, Friedeward Ringeling, in seinen Schulkollegen Wolfgang. Damals war Homosexualität noch gesetzlich verboten. Während Wolfgang wenig Vorsicht walten lässt, ist Friedeward viel an der Verheimlichung seiner Neigung gelegen, nicht zuletzt aus großer Angst vor den schrecklichen Züchtigungen seines altmodischen Vaters. Dieses Versteckspiel prägt sein ganzes Leben und seine wissenschaftliche Karriere, selbst nachdem ihn der Geliebte verlassen hat. In einer gelungenen Mischung aus Fakten und Fiktion entwirft der 1944 geborene, mehrfach ausgezeichnete deutsche Autor Christoph Hein das eindrucksvolle Bild einer von Gewalt und strengem Katholizismus geprägten Jugend. Heins Lehrer, ein homosexueller 316
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Belletristik
Literaturwissenschafter, dürfte für seinen Protagonisten Friedeward Ringeling als Vorbild gedient haben - eine interessante, aber für das Lektüreverständnis irrelevante Tatsache. Anhand von Einzelschicksalen bringt Christoph Hein den LeserInnen politische und gesellschaftliche Entwicklungen in der früheren DDR nahe. All dies geschieht in einem wertfreien, nie moralisierenden Ton, der gerade in seiner Nüchternheit und Klarheit berührt, allerdings gegen Ende des Buches einem kühleren, knappen Dokumentationsstil weicht. Atmosphäre, Thematik und Sprache wecken Assoziationen zu Werken von Hermann Hesse und Michael Hanekes preisgekrönten Film "Das weiße Band". Eine geistig sehr anregende Lektüre, die viel Gesprächsstoff bietet und die Belletristikabteilung jeder Bibliothek bereichert. Elisabeth Zehetmayer
Hennig von Lange, Alexa: Kampfsterne
: Roman / Alexa Hennig von Lange. - 3 - Köln : DuMont Buchverl., 2018. - 224 S. ISBN 978-3-8321-9774-2 fest geb. : ca. € 20,60
Im Fokus steht die kritische Auseindersetzung mit der Selbstgefälligkeit eines sozialen Milieus, das zwischen Schein und Sein nicht unterscheiden kann. (DR) Sie haben Niveau, die Ullas und Ritas dieser Welt. Es mangelt ihnen nicht an Bildung, Geschmack und Stil. Und weil das so ist, wissen sie auch ganz genau, was sie tun müssen, um sich und ihre Familien in der Gesellschaft idealtypisch zu positionieren. Dass der Preis, den sie dafür zahlen müssen, hoch ist, bemerken viele von ihnen erst, wenn es zu spät ist! So wie die Protagonisten in Alexa Hennig von Langes "Kampfsterne". Alexa Hennig von Lange blickt mit "Kampfsterne" hinter die Fassaden einer Vorstadtsiedlung in den 1980er Jahren, in der diese Ullas und Ritas mit ihren Familien leben. Sie macht das mikroskopisch genau, mit psychologischem Feingefühl, sprachlich temporeich changiert sie zwischen dem nötigen Humor, der manche Geschichten erst erträglich macht, und einer Traurigkeit, die einem regelrecht den Hals zuschnürt. Das Ende der "Kampfsterne" ist nicht vorhersehbar, macht aber in aller Bescheidenheit klar, worum es im Leben wirklich geht. Petra Fosen-Schlichtinger
Belletristik
Heti, Sheila: Mutterschaft
: Roman / Sheila Heti. Aus dem Engl. von Thomas Überhoff. - Reinbek : Rowohlt, 2019. - 314 S. ISBN 978-3-498-03039-1 fest geb. : ca. € 22,70
Was geht in einer kinderlosen Frau vor, wenn ihre biologische Uhr zu ticken beginnt? (DR) Die kanadische Schriftstellerin, die von den "New York Times" als eine der 15 bedeutsamsten Frauen bezeichnet worden ist, befasst sich in ihrem neuen Roman auf eine tiefgründige und gleichermaßen geistreiche wie gefühlvolle Weise mit dem Thema Mutterschaft. Obwohl Sheila Hetis Erzählerin sich in ihren späten 30ern fragt, ob sie überhaupt Kinder will, hat das Buch allen Leser_innen eine Vielzahl an Überlegungen zu bieten. Die Autorin betrachtet diese oft instinktive Entscheidung für die Mutterschaft aus allen möglichen Blickwinkeln und entdeckt dabei zahlreiche unerwartete Facetten. Sie bringt den Mut auf, schwierige Fragen zu stellen und Themen zu erörtern, die dazu tendieren, ignoriert zu werden. Warum will man Kinder? Ist eine Frau, die keine Kinder will, normal? Oder wirkt sie deshalb vielleicht sogar bedrohlich? Dabei behilft Heti sich mit der Methode des Münzenwerfens - ein Ansatz, der ein wenig irritierend wirken mag, der Erzählerin jedoch hilft, ihre Denkgewohnheiten zu durchbrechen. Darüber hinaus liefert der Roman reichhaltigen Denkstoff über Themen wie Liebe, Familie, Freundschaft, Gesellschaft, Kunst und den Sinn des Lebens. Dabei vergisst die Autorin auch nicht, über den Egoismus beim Kinderkriegen zu sprechen. Es ist sicher nicht übertrieben dieses Buch als Kunstwerk zu bezeichnen, dem man Raum und Zeit geben muss, damit es seine ganze Wirkung vollends entfalten kann. Martina Mansoor
Ivanji, Ivan: Tod in Monte Carlo
: Roman / Ivan Ivanji. - Wien : Picus-Verl., 2019. - 177 S. ISBN 978-3-7117-2077-1 fest geb. : ca. € 20,00
Romane, Erzählungen, Novellen
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Ein alter Arzt folgt der Einladung eines Freundes und reist nach Monte Carlo, wo er länger bleibt und mehr erlebt als er sich jemals träumen ließ. (DR) Moritz Karpaty hat als Landarzt im Banat gewissenhaft seine Pflicht erfüllt und seiner Familie ein sorgenfreies Leben ermöglicht. Mit seiner Frau führt er eine konventionelle Ehe, ohne Höhepunkte aber auch ohne Spannungen. Nun steht er am Ende seines Berufslebens. Als ihm sein Freund Viktor vorschlägt, gemeinsam nach Monte Carlo zu fahren, lässt Moritz sich auf dieses extravagante Unternehmen ein. Dort angekommen, gehen die beiden ins Casino und Moritz gewinnt eine riesige Summe. Daraufhin beschließt er, eine Weile in Monte Carlo zu bleiben und dort das Geld auszugeben. Er mietet sich in einem feinen Hotel ein und lässt es sich gut gehen. Zum ersten Mal in seinem Leben hat er keine Verpflichtungen. Er genießt das milde Klima, das Meer, das erlesene Essen und lernt noch dazu eine bezaubernde russische Tänzerin kennen. Moritz verwöhnt sie, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Außer dem Kummer zu alt für eine neue Liebe zu sein, quält ihn keine Sorge. Und das ist verwunderlich, denn man schreibt das Jahr 1939 und Doktor Karpaty ist Jude. Andere fliehen über die Pyrenäen und versuchen nach Amerika zu gelangen, doch er bleibt. Im März 1941 erfährt er, dass seine Familie von den Deutschen deportiert wurde. Für die lange hinausgeschobene Heimkehr ist es nun zu spät. Ivanji schildert seinen Protagonisten weder als verliebten alten Narren noch als zynischen Lebemann. Doktor Karpaty erscheint als rationaler und zugleich feinsinniger Charakter, den eine wehmütig-zarte Aura umgibt. Er überdenkt sein Leben, bedauert einiges, überlegt, was er hätte anders machen können und ist zufrieden über das Gelungene. Der schmale Roman lässt noch einmal das Lebensgefühl einer Epoche aufleuchten, die mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und der Shoah ausgelöscht wurde. Unwillkürlich, allein schon aufgrund der TitelÄhnlichkeit, kommt einem Thomas Manns "Tod in Venedig" in den Sinn, in dem Gustav von Aschenbach sich kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs in einen schönen Knaben verliebt. Ivanji hat ihm mit seinem Moritz Karpaty einen durchaus ebenbürtigen Leidensgenossen zur Seite gestellt. Ingrid Kainzner bn 2019 / 2
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Ivanov, Petra: Alte Feinde
Jamison, Leslie: Die Klarheit
: Kriminalroman / Petra Ivanov. - Zürich : Unionsverl., 2018. - 377 S. ISBN 978-3-293-00537-2 fest geb. : ca. € 26,80
: Alkohol, Rausch und die Geschichten der Genesung / Leslie Jamison. Aus dem Engl. von Kirsten Riesselmann. Berlin : Hanser Berlin, 2018. - 636 S. ISBN 978-3-446-25856-3 fest geb. : ca. € 28,80
Kriminalroman, der zwischen verschiedenen Kontinenten und Zeiten spielt. (DR)
Vom Mythos "Rausch und Kreativität". Eine literarische Aufarbeitung der eigenen Alkoholsucht mit Blick auf trinkende Schriftstellerkollegen und -kolleginnen. (DR)
Petra Ivanov ist Schweizerin, die ihre Kindheit in New York verbrachte. Nach dem Studium war sie Sprachlehrerin, Übersetzerin und Journalistin. Heute lebt sie in Zürich als Schriftstellerin. Das vorliegende Buch ist der achte Fall der CavalliFlint-Reihe. Bruno Cavalli ist Kriminalpolizist mit indianischen Wurzeln, der mit Regina Flint, einer Staatsanwältin, eine gemeinsame Tochter hat. Flint ermittelt in Zürich im Mordfall an Albert Gradwohl, der mit einem Revolver aus dem amerikanischen Bürgerkrieg ermordet wurde. Cavalli ist bereits seit Monaten in den USA unterwegs, wo er einen Killer jagt, der mit vergifteten Pfeilen tötet. Cavalli muss selbst um sein Leben fürchten, weil der Killer als Opfer Leute wählt, die mit Cavalli bekannt waren. Nach einem verhinderten Mordanschlag, bei dem Cavalli schwer verwundet wird, wagt er nicht, sich bei Flint zu melden - er vermutet einen Maulwurf beim FBI oder der Schweizer Polizei. Er bekommt Unterstützung durch seine indianischen Verwandten und beginnt den Kampf gegen seine Widersacher. Flint reist in die USA, weil Cavallis Fall und der Zürcher Mord einen Zusammenhang zeigen. Gradwohl war mit Heinrich Wirz, einem Schweizer, der auf Seiten der Südstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg kämpfte, verwandt. Wirz wiederum wurde als Kommandant eines Gefangenenlagers als Kriegsverbrecher nach Ende des Krieges gehängt und Gradwohl setzte sich für eine Rehabilitierung seines Urgroßvaters ein. Der Krimi kann ohne Kenntnis der Vorgängerbücher gelesen werden. Der schnelle Wechsel der Schauplätze und die oftmaligen Rückblenden in die Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs verlangen volle Aufmerksamkeit. Der stete Szenenwechsel bedingt auch eine Vielzahl an handelnden Personen, was manchmal verwirrend ist. Wer aber Geschichte und kriminelle Spannung verbinden will, ist hier gut bedient. Josef Kunz 318
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Als 13-Jährige probiert sie das erste Mal Alkohol. Das Trinken hilft ihr, sich als etwas Besonderes zu fühlen. Sie trinkt hemmungslos, damit der schwierige Alltag im Nebel verschwindet. Akribisch genau, schonungslos und sprachgewaltig beschreibt die Professorin, die selbst kreatives Schreiben unterrichtet, ihre Alkoholsucht. Über viele Jahre hinweg stolpert sie durch ein Leben voller Peinlichkeiten, Entgleisungen und Scham, ähnlich wie ihre trinkenden künstlerischen Vorbilder Jack London, Ernest Hemingway, Jean Rhys, Patricia Highsmith, Stephen King und Raymond Carver. Die Autorin scheitert an der Beantwortung der Frage, warum Menschen trinken. Sie kann den populären Mythos von Genialität durch Drogenrausch nur teilweise entzaubern. Suchtbiografien und autobiographische Abschnitte verbinden sich zu einem Handlungsstrang. Damit gelingt es ihr, das Wesen der Abhängigkeit darzustellen. Nüchtern betrachtet erschreckt das unglaubliche Zerstörungspotential des Trinkens. Weiters kritisiert sie die amerikanische Drogenpolitik. Süchtige werden kriminalisiert und nicht als Kranke gesehen, es geht um Umerziehung. Die Autorin konstruiert ihren klugen Roman, der besser als Sachbuch zu lesen ist, in Anlehnung an die zwölf Stufen der anonymen Alkoholiker, mit deren Hilfe sie letztlich den Ausstieg schaffte. Abstinent schreibt es sich anders, die Kreativität geht entgegen aller Befürchtungen nicht verloren. Allen Bibliotheken empfohlen. Aloisia Altmanninger
Belletristik
Romane, Erzählungen, Novellen
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Jeong, Yu-Jeong: Der gute Sohn
Katzenbach, John: Der Verfolger
Ein junger Mann findet seine Mutter mit durchschnittener Kehle im Wohnzimmer und fragt sich entsetzt, wer der Täter sein könnte. (DR)
Unnötige, absurde Fortsetzung eines raffinierten Psychothrillers. (DR)
: Thriller / Jeong Yu-Jeong. Aus dem Korean. von Kyon-Hae Flügel. - Zürich : Unionsverl., 2019. - 320 S. ISBN kart. : ca. € 19,60
Yu-jin ist Student und wohnt bei seiner Mutter in einer eleganten Wohnung in Seoul. Nach einem nächtlichen Ausflug erwacht er am nächsten Morgen blutverschmiert und ohne Erinnerung an die vergangene Nacht in seinem Zimmer. Als er ins Untergeschoss geht, findet er seine Mutter mit durchschnittener Kehle. Verzweifelt versucht er zu ergründen, wie dieser Mord geschehen konnte. Seine Mutter hatte keine Feinde, auch ein Raub kommt nicht in Betracht, da offensichtlich nichts entwendet wurde. Schließlich wird ihm klar, dass alle Hinweise auf ihn deuten. Während er die Leiche versteckt und die Blutspuren beseitigt, steigen Bruchstücke von Erinnerungen in ihm auf. Vor vielen Jahren starben sein Vater und sein Bruder bei einem Familienausflug. Danach konzentrierte sich die Mutter ganz auf ihn und reglementierte penibel seinen Tagesablauf. Besonders bedacht war sie darauf, dass er regelmäßig sein Medikament gegen Epilepsie einnahm. Nun hat er gerade sein Jura-Studium erfolgreich abgeschlossen und sieht einer Karriere als Anwalt entgegen. Doch wie soll sein Leben weitergehen, kann es sein, dass er der Täter ist? Mit psychologischer Raffinesse schildert die Autorin eine enge Mutter-Sohn-Beziehung, die für beide belastend ist. Erst nach und nach zeichnen sich die Hintergründe für das Verhalten der Mutter ab und unversehens findet sich der Leser in einer alptraumhaften Welt wieder, aus der es keinen Ausweg gibt. Yu-Jeong ist in ihrem Land eine der bekanntesten Autorinnen und wird bereits als Stephen King Koreas bezeichnet. Leser_innen mit starken Nerven werden begeistert sein. Ingrid Kainzner
: Psychothriller / John Katzenbach. Aus dem Amerikan. von Anke und Eberhard Kreutzer. - München : Droemer, 2018. - 492 S. ISBN 978-3-426-30666-6 kart. : ca. € 15,50
In seinem erfolgreichen Thriller "Der Patient" (2006) schickt der Autor den Psychiater Dr. Frederick "Ricky" Starks durch ein persönliches Martyrium: Er wird von drei rachsüchtigen Geschwistern erpresst, die ihn für den Tod ihrer Mutter verantwortlich machen. Indem er seine gesamte Existenz aufgibt, gelingt es Ricky, den Spieß umzudrehen. Nun, fünf Jahre später, klopfen eben jene Geschwister wieder an seine Tür ... und bitten um seine Hilfe. Duelle mit scharfkantigen verbalen Klingen, die unter der Oberfläche belangloser Konversationen ausgetragen werden, das ist die Spezialität von John Katzenbach, mit der er seine Leser_innen auch hier wieder den Atem anhalten lässt. Seine Geschichte vollzieht eine radikale Wendung, in der die Rollen von Jäger und Beute umgekehrt werden, auch das ist typisch Katzenbach. Ricky deckt ein Komplott auf, dessen Ziel wieder einmal sein eigenes Ableben ist. Seine drei Widersacher, ein Profikiller, eine Schauspielerin und ein Anwalt, inszenieren zu diesem Zweck ein aufwendiges, detailreiches und gerade deshalb überaus fehleranfälliges Schauspiel. Der Psychiater selbst erweist sich unter Druck als ein mit allen Wassern gewaschener Überlebenskünstler und schlüpft mühelos in ihm eigentlich unvertraute Rollen. Gelangt man beim Lesen an den (unvermeidlichen) Punkt, an dem man die Logik der ausgesprochen komplex erscheinenden Konstruktion hinterfragt, bricht sie in sich zusammen und der Roman verliert schlagartig an Spannung. Wer "Der Patient" gelesen (und genossen) hat, sollte es dabei bewenden lassen. In "Der Verfolger" erzählt John Katzenbach die gleiche Geschichte ein weiteres Mal, nur wesentlich unglaubwürdiger. Wolfgang Brandner
Kautz, Alexander: Sugar Dead
: Kriminalroman / Alexander Kautz. - Wien : braumüller, 2018. - 231 S. ISBN 978-3-9920022-4-5 kart. : ca. € 18,00
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Romane, Erzählungen, Novellen
Kommissar Tannhacker, der stark an Ernst Hinterbergers "Trautmann" erinnert, klärt eine Mordserie in einem nur nach außen hin "diskreten Milieu" auf. (DR) Der 60-jährige Kommerzialrat Edwin Kohut-Bäumler liegt mit einem aus nächster Nähe abgegebenen Herzschuss am Boden der von ihm finanzierten Absteige in der Wiener Webgasse. Hier hat er sich regelmäßig mit seiner jungen Gespielin getroffen. Am Badezimmerspiegel steht - mit Lippenstift geschrieben - das Wort "Kinderficker". Auch der unsympathische Bauunternehmer Alfons Wyskidensky scheidet kurz darauf auf dieselbe Weise aus dem Leben. Er war wie Kohut-Bäumler gern im "Sugar Dad", einem schummrigen Begegnungszentrum für junge Damen und gutsituierte, ältere Herren, anzutreffen. Doch was für Oberst Karl Tannhacker vom LKA Wien und seinen Freund, den Grafiker Jonny Graberth, wie eine heiße Spur aussieht, zerschlägt sich mit dem Tod von Hans-Werner Strohmer. Der pensionierte Bahnbeamte konnte sich das "Sugar Dad" gar nicht leisten. Wer ist die Person, die diese drei Herren miteinander verbindet? Schließlich wird die junge Auxiliadora Scherwath angeklagt, die schon als Schulmädchen älteren Männern zugeneigt war. Doch Tannhacker und Graberth kommen ernsthafte Zweifel. Und das völlig zurecht, wenn man das Ende des Romans kennt. Alexander Kautz legt in diesem Krimi viele falsche Fährten, bis er die/den Leser_in mit einem raffinierten Plot belohnt. Ein äußerst empfehlenswertes Buch, das keine Spur von Langeweile aufkommen lässt! Johannes Preßl
Kegele, Nadine: Und essen werden wir die Katze
: [Mit Illustrationen und Collagen] / Nadine Kegele. - Wien : Kremayr & Scheriau, 2018. - 203 S. : Ill. ISBN 978-3-218-01123-5 fest geb. : ca. € 22,90
Ungewöhnlicher Sammelband gesellschaftskritischer Erzählungen, Illustrationen und Collagen. (DR) 320
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Belletristik
Es sind schwierige Schicksale, über die die Autorin in diesem Buch erzählt. Es geht um Migranten, um einfache Arbeiter, um enttäuschte Frauen - um Menschen, mit denen es das Schicksal nicht gerade gut gemeint hat. Ein Beispiel ist die namenlose Ich-Erzählerin, die sich eine Dogge angeschafft hat, nachdem in ihrer Nachbarschaft ein Asylantenheim angesiedelt wurde und dennoch ihre Angst vor den Fremden nicht im Zaum halten kann. Oder der Bauarbeiter, der sich zugrunde schuftet und heimlich ein Faible für Kunst hat. Doch nicht nur Erzählungen sind in diesem unkonventionellen Buch zu finden, sondern auch Collagen aus Bildern und Zeitungsausschnitten, die Schicksale aus vergangenen Zeiten erzählen. Nadine Kegele verfügt über eine ausdrucksstarke Sprache und spielt mit ungewöhnlichen Satzkonstruktionen, sie übt Gesellschaftskritik und scheut sich nicht, Bezug auf die aktuelle Politik zu nehmen. Ein herausforderndes Buch, das den Leser_innen volle Konzentration abverlangt und zum Nachdenken anregt. Nicht immer wird wirklich klar, worauf die Autorin hinauswill. Empfehlenswert für jene Leser und Leserinnen, die bereit sind, sich auf anspruchsvolle Literatur einzulassen. Michaela Grames
Kent, Hannah: Wo drei Flüsse sich kreuzen
: Roman / Hannah Kent. Aus dem austral. Engl. von Leonie von Reppert-Bismarck und Anja Kirchdörfer Lee. - München : Droemer, 2019. - 429 S. ISBN 978-3-426-30660-4 kart. : ca. € 11,30
Wenn Armut, Unkenntnis und Aberglaube eine unheilvolle Verbindung eingehen. (DR) Irland, County Kerry, 1825. Nur einmal haben Nóra und Martin ihren Enkelsohn Micheál gesehen, einen fröhlichen, kleinen Jungen, der herumlief und gerade zu sprechen begann. Doch dann verändert sich der Kleine, seine Mutter stirbt. Der Vater kann ihn nicht allein versorgen und bringt ihn zu den Großeltern. Anfangs glaubt man noch, der Hunger habe Micheál derart in der Entwicklung zurückgeworfen, aber seine Beine verkrüppeln immer mehr, er kann nicht mehr sprechen und schreit ohne Unterlass. Als auch noch Martin stirbt, nimmt Nóra die 14-jährige Mary als Magd zu sich. Sie versucht, Micheál vor den Dorfbewohner_innen zu verstecken, aber
Belletristik
die Gerüchte machen längst die Runde: Micheál ist ein Wechselbalg, ein Feenkind. Jedes Unglück, das von nun an geschieht, wird ihm zugeschrieben. Da wendet sich Nóra an die kräuterkundige Nance, die abseits in einer armseligen Hütte lebt. Sie hat schon vielen Dorfbewohner_innen geholfen und ist überzeugt, das richtige Mittel zu kennen, um Micheál gegen das Feenkind wieder zurückzutauschen. Obwohl man bald einmal weiß, wie die Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht, ausgeht, nimmt sie einen von der ersten Seite an gefangen. Die australische Autorin Hannah Kent hat ein gründliches Quellenstudium betrieben und man hat das Gefühl, hier würde eine Zeitzeugin berichten. Auch die Figuren sind absolut glaubwürdig gestaltet, allen voran Nóra, die nach dem Tod ihres Mannes völlig überfordert ist mit Micheál und schließlich in ihm kein menschliches Wesen mehr sehen kann. Dann ist da noch die gutherzige Mary, die trotz ihrer Jugend schon die eigenen kleinen Geschwister betreut hat. Anfangs graut ihr vor dem behinderten Jungen, aber dann schließt sie ihn immer mehr ins Herz. Und schließlich Nance, die schon früh auf sich allein gestellt war und von Ort zu Ort zog. Sie hat ein großes Wissen über Heilkräuter und die Menschen kommen mit ihren Beschwerden zu ihr. Aber sie tun es heimlich, denn aufgrund ihrer unabhängigen Lebensweise ist sie eine Außenseiterin, die angeblich in Kontakt mit den Feen steht. Für ihre Behandlungen nimmt Nance kein Geld, und sie tut es stets im Namen Gottes und der Jungfrau Maria. Diese Gläubigkeit, die Hand in Hand mit dem Glauben an die alten Geschichten über Feen und die Anderswelt geht, war besonders im ländlichen Irland weit verbreitet. So kann man Hannah Kents neuen Roman auch als historisches Dokument über ein noch gar nicht so lange zurückliegendes Irland lesen. Vor allem ist er aber ein unter die Haut gehender Roman, spannend zu lesen wie ein Thriller. Anita Ruckerbauer
Romane, Erzählungen, Novellen
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Kleindienst, Robert: Zeit der Häutung
: Roman / Robert Kleindienst. - Innsbruck : Laurin, 2019. - 234 S. ISBN 978-3-902866-72-1 fest geb. : ca. € 20,90
Kriegsverbrecherin oder Widerstandskämpferin? Eine junge Frau versucht ihrer Vergangenheit zu entfliehen. (DR) Ohne zu wissen, worauf sie sich einlässt, meldet sich die junge Kroatin Ana freiwillig zur Arbeit in einem Lager und erwacht bald in der "Hölle auf Erden": Die UstaschaFaschisten, die 1941 ihr Terrorregime von Hitlers Gnaden etablierten, quälen hier tausende großteils serbische Kinder zu Tode. Deren Eltern wurden meist erschossen oder zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Ana bleibt auf ihrem Posten, um die hilflosen Opfer, darunter sogar Babys, soweit wie möglich vor der Grausamkeit der Wärter zu schützen. Als Partisanen das Kinder-KZ befreien, flieht Ana über die Karawanken nach Norden. Da sie in Titos Jugoslawien als Kriegsverbrecherin verfolgt würde, versteckt sie sich vorerst im Salzkammergut. Doch ihr Ziel ist Argentinien. Ein geheimes Netzwerk katholischer Würdenträger unterstützt ihre Pläne. Anhand einer bis zum Schluss spannenden Romanhandlung beleuchtet Kleindienst ein in Kroatien wie auch in Österreich weitgehend verdrängtes Kapitel der Geschichte: die Gräueltaten der Ustascha, die mit Billigung der Kirche und unter aktiver Beteiligung von Priestern, insbesondere Franziskanerpatres, begangen wurden, um die "rote Sintflut" des Kommunismus aufzuhalten. Ebenso brisant sind die hier berichteten Geschehnisse nach 1945. Auf den sogenannten "Rattenlinien" wurden mit Hilfe hochrangiger Kleriker hunderte Kriegsverbrecher, darunter Prominente wie Adolf Eichmann, nach Südamerika verschifft, um ihnen unter falschem Namen einen Neuanfang zu ermöglichen. Ein emotional aufwühlendes, aufgrund seines Themas höchst wichtiges Buch, unbedingt zu empfehlen. Renate Langer bn 2019 / 2
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Romane, Erzählungen, Novellen
Klüssendorf, Angelika: Jahre später
: Roman / Angelika Klüssendorf. - Köln : Kiepenheuer & Witsch, 2018. - 156 S. ISBN 978-3-462-04776-9 fest geb. : ca. € 17,50
Dritter Teil einer Romantrilogie, diesmal das Erwachsenen- und Eheleben des "Mädchens" April - ein moderner Entwicklungsroman. (DR) Angelika Klüssendorf, 1958 in der DDR geboren und 1985 in den Westen übersiedelt, legt mit dem vorliegenden Roman den dritten Band ihrer Trilogie vor. Handelte der erste Band von der traumatischen Jugend des "Mädchens" mit Alkoholiker-Vater und gewalttätiger Mutter und schildert der zweite Band "April" die Jugend des Mädchens nach dem Kinderheim inklusive dem Erlebnis, erstmals Mutter zu werden, beschäftigt sich der nun vorgelegte dritte Band "Jahre später" mit dem Eheleben der erwachsenen April. Die Protagonistin lernt bei einer Lesung auf der Reeperbahn den Chirurgen Ludwig kennen, der sie von Anfang an mit seiner phantasievollen, exzessiven Lügerei und seinen phantastischen, zeitweise boshaften Geschichten und Einfällen irritiert, aber auch beeindruckt (Er behauptet, er könne jederzeit ein Treffen mit Samuel Beckett arrangieren und gibt seine Eltern als Millionäre aus; einer unwirschen Nachbarin schickt er ein Türschild aus Japan mit dem Brief eines fiktiven japanischen Verehrers zu). Sie lässt sich auf den westdeutschen Verehrer, der sie heiß umwirbt, ein und hofft, als sie schwanger wird (zum zweiten Mal in ihrem Leben, sie hat bereits den elfjährigen Sohn Julius, der sich durch ihre Hochzeit im Stich gelassen fühlt), auf eine glückliche Ehe und ein harmonisches Familienleben. Doch diese Rechnung geht - bedenkt man die Vorgeschichte des Romans - wie zu erwarten nicht auf. April findet keinen Anschluss als Schriftstellerin, leidet unter einer Schreibblockade und der finanziellen Abhängigkeit von ihrem Mann, die traumatische Kindheit kommt wieder hoch, Psychiater, Medikamente und Alkohol helfen nur bedingt. Ludwig widmet sich nur noch verbissen den Computerspielen und seiner Karriere, seine Frau, die er nicht bis ins Letzte beherrschen kann, ist ihm nicht repräsentativ genug. Nach einer kurzen Trennung und Wiederversöhnung im von ihm angezettelten Scheidungskrieg, in dem es um den Internatsbesuch des gemeinsamen Sohnes geht, sieht er in April nur noch die 322
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Belletristik
mit allen Mitteln zu bekämpfende Feindin. Dennoch schildert der autobiographisch wirkende Roman die langsame, schmerzhafte Entwicklung der Protagonistin zur Schriftstellerin, die sich in einem noch zu schreibenden Roman ihrer eigenen traumatischen Kindheit stellt. Die Figur des Ludwig wird in manchen Rezensionen übrigens mit Klüssendorfs 2014 verstorbenen Ehemann Frank Schirrmacher, Journalist und Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, gleichgesetzt. Wie auch immer, die Story, die Klüssendorf erzählt, überzeugt in ihrer klaren Analyse einer zum Scheitern verurteilten Beziehung auch ohne biographischen Hintergrund und wird wohl einige Leser_innen finden, die derart schwierige Themen nicht scheuen. Monika Roth
Lethem, Jonathan: Der wilde Detektiv
: Roman / Jonathan Lethem. Übersetzt von Ulrich Blumenbach. - Stuttgart : Tropen, 2019. - 335 S. Aus dem Engl. übers. ISBN 978-3-608-50385-2 fest geb. : ca. € 22,70
Gesellschaftskritik mit Detektivroman. (DR) Nach dem Wahlsieg von Donald Trump kündigt Phoebe ihren Job bei einem Radiosender. Sie fühlt sich mitschuldig daran, wie die Menschen manipuliert wurden. Just in dieser Zeit verschwindet die Teenager-Tochter ihrer Freundin. Also macht sich Phoebe von Brooklyn auf nach Kalifornien, um das Mädchen zu suchen, das auf den Spuren seines großen Idols Leonard Cohen zu wandeln scheint. Bei dieser Suche zieht sie den "Wilden Detektiv" Charles Heist zu Rate. Gemeinsam tauchen sie in die zum Teil gesetzlose Welt der Aussteiger-Stammesgruppen ein. Je mehr sie über die verschwundene Arabella erfahren, umso mehr geraten sie jedoch selbst in Lebensgefahr. Als sie auch noch zwei tote Jugendliche entdecken, schwinden die Hoffnungen, Arabella lebend zu finden. Der durchaus flüssig und leicht zu lesende
Belletristik
Start des Romans verspricht eine spannende Geschichte. Im Erzählverlauf rückt die Suche nach dem verschwundenen Mädchen jedoch ein wenig in den Hintergrund. Zentraler wird die Auseinandersetzung der beiden rivalisierenden Aussteiger-Stämme und die Beziehung zwischen Phoebe und dem Wilden Detektiv. Fast zu häufig wird Donald Trump erwähnt, was dem Werk den Nachgeschmack einer versuchten Gesellschaftskritik verleiht. Positiv hervorheben muss man die flüssige Erzählweise, die phasenweise einen "Lese-Sog" entwickelt. Eine Empfehlung für Leser_innen, die solides Romanwerk mögen, das stellenweise eine deftigere Sprache hinsichtlich Liebesbeziehungen und Erotik liefert. Gerti Proßegger
Libaire, Jardine: Uns gehört die Nacht
: Roman / Jardine Libaire. Aus dem Amerikan. von Sophie Zeitz. - Zürich : Diogenes, 2018. - 455 S. ISBN 978-3-257-30072-7 kart. : ca. € 16,50
Obsessive Liebesgeschichte. (DR) Elise Perez ist kompromisslos, leidenschaftlich und jung. Trotz oder gerade wegen ihrer Herkunft ist sie dem reichen, aber einsamen Yale-Studenten Jamey Hyde um Lebens- und Liebeserfahrung weit voraus. Die halbe PuertoRicanerin lässt ihr aussichtsloses, von Armut, Gewalt und Drogen geprägtes Leben mit ihrer Familie hinter sich und strandet in New Haven, wo sie sich bedingungslos in ihren Nachbarn Jamey, den Sohn eines Filmstars und eines Investmentbankers, verliebt. Die Story klingt nach "My Fair Lady", doch Libaire entwickelt die Figuren völlig anders: Elise hat kein Interesse daran, ihre Herkunft zu verleugnen, was sich mitunter auch in der harten Sprache des Romans niederschlägt. Und Jamey hat keine Ambitionen, sie zu verändern, ganz im Gegenteil. Was als heimliche Affäre beginnt, mündet in sexueller Abhängigkeit und führt überraschenderweise doch noch zu einer richtigen Liebesbeziehung. Die Geschichte lebt von der erotischen Spannung, der Persönlichkeitsentwicklung der beiden und schlussendlich von den völlig unerwarteten Wendungen. Der Roman hat die Dynamik eines Road-Movies, zeichnet sich durch seine einfache, mitunter derbe Sprache aus und charakterisiert sich durch zahlreiche erotische Szenen und seine
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Romane, Erzählungen, Novellen
emotionale Dichte. Die Protagonisten rebellieren auf ihre Art und Weise gegen das System und die Konventionen. Sie sind ungewöhnliche, bedingungslose Charaktere und sprechen damit insbesondere eine junge Leserschaft an. Sandra Brugger
Lipus, Florjan: Schotter. Aus dem Slowen. von Johann Strutz
/ Florjan Lipus. - Salzburg : Jung und Jung, 2019. - 138 S. ISBN 978-3-9902722-9-9 fest geb. : ca. € 20,00
Schmerzhafter Einblick in die Geschichte der Kärntner Slowenen. (DR) Florjan Lipus war sechs Jahre alt, als er seine Mutter zum letzten Mal sah. Weil sie vermeintliche Partisanen unterstützt hatte, wurde sie verschleppt und ermordet. Im neuen Buch tastet sich der Kärntner Slowene behutsam an das große Trauma seiner Kindheit heran. Der bilderreiche, poetische Text nimmt die Perspektive von Angehörigen weiblicher KZ-Opfer ein. Irgendwann in der Nachkriegszeit besuchen sie die Gedenkstätte Ravensbrück und gehen dort über den schwarzen Schotter, der dem Buch den Titel gab. Der Verbrechensort löst eine bis zur Identifikation gehende Empathie mit den gequälten Frauen aus. Hunger und Kälte, die Schinderei im Steinbruch, das stundenlange Stillstehen, das gedrängte Liegen auf den Holzpritschen werden bis in die Körperempfindungen vergegenwärtigt. Das Augenmerk des Erzählers gilt besonders zwei Kindern, die hier ihre Großmutter verloren haben. Als sie halb ernst, halb spielerisch auf dem Appellplatz strammstehen, wird die Düsternis durch etwas wie Zuversicht erhellt. Die Teilnehmer des Gedächtnismarschs kehren in ihr Dorf zurück. Das dort lebende "Mördergeschlecht" ist nie mit seiner Schuld konfrontiert worden und schottet sich gegen die Erinnerung ab. Mit Erfolg, denn das "Kainszeichen" auf den Stirnen verblasst bereits. Die "zwei kleinen Helden" vom Appellplatz wachsen indessen heran: bn 2019 / 2
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"Leise schlüpfen sie aus der Gemeinschaft, in die sie hineingeboren wurden." Nach Meinung des Autors verraten sie damit ihre slowenischen Wurzeln ebenso wie die ermordete Großmutter. Kein leichtes Lesefutter, aber ein notwendiges Buch: Das Schicksal der Kärntner Slowenen, von denen viele im Kampf gegen die Nazis starben, während andere (wie der Vater des Autors) in Hitlers Wehrmacht dienen mussten, ist bis heute ein unterbelichtetes Kapitel der österreichischen Geschichte. Renate Langer
Machado, Carmen Maria: Ihr Körper und andere Teilhaber
: Erzählungen / Carmen Maria Machado. Aus dem Amerikan. von Anna-Nina Kroll. - Stuttgart : Tropen, 2019. - 299 S. ISBN 978-3-608-50397-5 fest geb. : ca. € 20,60
Rätselhafte und drastische Geschichten von Frauen zwischen Horror und Realität. (DR) Um das Machtgefälle in der Geschlechterdebatte zu zeigen, das komplizierte Spiel von Begehren, Lust und Abhängigkeit, überschreitet die Autorin in ihren acht Kurzgeschichten alle genremäßigen Grenzen. Unbekümmert wechselt sie von realistischer Erzählweise zu Fantasy und Horror. Da purzelt ein Kopf vom Rumpf, werden Frauen in Kleider eingenäht, nachdem sie sich aufgelöst haben, erscheint das wegoperierte Fett als Fettmonster und ist nicht aus dem Leben der Protagonistin zu vertreiben, kann eine Frau die Gedanken von Pornodarstellern in Filmen lesen und an einem Halsband scheitert die fast perfekte Beziehung eines Paares. Überaus deutlich wird sie in den - meist lesbischen - Sexszenen, ansonsten sind die Geschichten gekennzeichnet von Offenheit, Uneindeutigkeit und oft rätselhaften Vorgängen. Es gibt zwar keine "politischen Botschaften" im Sinne feministischer Literatur, aber im Mittelpunkt stehen immer Frauen, ihr Körper und seine Reaktionen auf verschiedene negative Erfahrungen, die allerdings auch nur indirekt erschließbar sind, manchmal nur in einem einzigen Satz. Einige Texte sind auch sehr düster, Tod und Endzeitstimmung kommen ins Spiel, Unsicherheit und Bedrohung sind stets Thema. Was fasziniert, ist die Sprache, die Sprachgewalt der Erzählerin: eine Fülle an beeindruckenden Bildern und unverbrauchten Metaphern wechselt mit pointiertem Stil und 324
Belletristik
Romane, Erzählungen, Novellen
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atmosphärischen Schilderungen. Literatur pur, allerdings mit verstörenden Perspektiven und expliziten Darstellungen weiblicher Sexualität. Fritz Popp
McDermid, Val: Rachgier
: ein Fall für Carol Jordan und Tony Hill ; Thriller / Val McDermid. Aus dem Engl. von Doris Styron. - München : Knaur, 2018. - 474 S. - (Knaur Taschenbuch ; 52181) ISBN 978-3-426-52181-6 kart. : ca. € 10,30
Manche finden auf einer Hochzeit das ewige Glück, Kathryn McCormick findet dort ihren Mörder. (DR) Als die verkohlte Leiche einer Frau in einem ausgebrannten Auto gefunden wird, bestätigt sich bald, was schon befürchtet wurde: Die Büroangestellte Kathryn McCormick wurde ermordet. Erst vor kurzem hat die junge Frau einen attraktiven Mann auf einer Hochzeit kennengelernt. Für ihr Umfeld erschien es so, als ob Kathryn endlich ihren Mister Right gefunden hat. Nun ist sie tot. Detective Chief Inspector Carol Jordan und Profiler Tony Hill machen sich auf Spurensuche, um Kathryns Mörder zu finden. Sie müssen bald feststellen, dass sie es mit einem Serientäter zu tun haben, der die Einsamkeit seiner Opfer ausnutzt. In ihrem zehnten Fall schickt die Autorin Val McDermid ihr bekanntes Ermittlerduo auf die Suche nach dem "Wedding Killer" und lässt neben den beiden Protagonisten viele weitere bekannte Figuren wieder auftreten. Was für Kenner ihrer Bücher eine Wohltat ist, lässt Leser_innen, die mit diesem Werk erstmals in die Welt von Carol Jordan und Tony Hill eintauchen, streckenweise ratlos zurück. Denn neben dem Mordfall haben die beiden auch berufliche und private Kämpfe auszutragen. Auch unter den weiteren Teammitgliedern sind einige mit privaten Problemen beschäftigt. Obwohl die Handlung so immer wieder vom eigentlichen Fall abweicht, tut das der Spannung keinen Abbruch, denn Val McDermid ist mit "Rachgier" erneut ein toller und fesselnder Thriller gelungen. Edith Ratzberger
McGrath, Patrick: Die Gewandmeisterin
: Roman / Patrick McGrath. Aus dem Engl. von Brigitte Walitzek. - Stuttgart : Freies Geistesleben, 2018. - 399 S. ISBN 978-3-7725-3007-4 fest geb. : ca. € 24,70
Belletristik
Der Tod eines geliebten Menschen verändert alles. Doch was passiert, wenn man herausfindet, dass dieser Mensch große Geheimnisse hatte? Gefährliche Geheimnisse. (DR) Die Gewandmeisterin Joana Grice und ihre Tochter Vera müssen im verschneiten London des Jahres 1947 den geliebten Ehemann und Vater zu Grabe tragen. Charlie Grice, genannt Gricey, war ein erfolgreicher Theaterschauspieler und sehr beliebt. Sein plötzlicher Tod wirft Joana und Vera völlig aus der Bahn und lässt sie beinahe verzweifeln. Auf einer Abschiedsvorstellung zu Ehren von Gricey lernt Joana den Schauspieler Frank Stone kennen, welcher die Rolle ihres Mannes spielt. Dieser Mann verkörpert Shakespeares Malvolio exakt so wie es Gricey getan hat und fasziniert Joana ungemein. Sie trifft sich einige Male mit ihm und kommt ihm dabei näher. Ihre Tochter fühlt sich dagegen von ihrem eigenen Ehemann betrogen, der eine geflohene Deutsche in ihrem Haus aufgenommen hat. Deshalb verlässt sie ihn und kehrt zu ihrer Mutter zurück. Die beiden Frauen unterstützen sich gegenseitig, bis Joana etwas im Schrank ihres Mannes findet, was sie dort nicht erwartet hat. Der Mann, den sie geliebt hat, erscheint ihr nun fremd und sie ist bestürzt, dass er Geheimnisse vor ihr hatte, welche vielleicht zu seinem Tod führten. Diese Geheimnisse bringen nun auch Joana in Gefahr, denn sie muss sich entscheiden, ob sie für ihre Überzeugungen kämpfen oder die Augen vor der Wahrheit verschließen möchte. Patrick McGrath gelingt es, mit diesem Roman das London der Nachkriegszeit sehr anschaulich darzustellen und die gesellschaftlichen Probleme nach außen zu kehren. Mit diesen Problemen muss sich nun auch die Protagonistin Joana auseinandersetzen, nachdem ihr Mann gestorben ist. Joana wird als starke Frau charakterisiert und zugleich wird ihr Trauerprozess sehr tiefgehend und nachvollziehbar beschrieben. Die Storyline ist stringent und hält einige Überraschungen bereit. Der Schreibstil ist allerdings für geübte
Romane, Erzählungen, Novellen
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Leser_innen ausgelegt, da er etwas sprunghaft ist und die Gespräche der Protagonisten eine Mischung aus der Gedankenwelt von Joana und den wörtlichen Reden ihrer Gesprächspartner sind. Dies kann vor allem anfangs zu Schwierigkeiten führen. Die Leser_innen müssen sich bewusst sein, dass es sich sowohl beim Thema, als auch beim Stil des Buches um anspruchsvolle Literatur handelt. Ein lesenswerter Roman mit Tiefgang und kritischem Zugang zu den gesellschaftlichen Problemen im London von 1947. Pia Lackner
McKenzie, Elizabeth: Im Kern eine Liebesgeschichte
: Roman / Elizabeth McKenzie. Aus dem Engl. von Stefanie Jacobs. - Köln : DuMont Buchverl., 2018. - 475 S. ISBN 978-3-8321-9877-0 fest geb. . ca. € 24,70
Aber (leider?) nur im Kern. (DR) Veblen, Naturliebhaberin und Idealistin, ist seit kurzem mit Paul, einem karrierebewussten Neurologen, zusammen. Paul ist sich ganz sicher Veblen ist die Richtige. So macht er ihr kurzerhand einen Heiratsantrag, den seine Angebetete spontan bejaht. Doch so eine Hochzeit will geplant werden. Ein gemeinsamer Wohnsitz muss gefunden und die Verlobung offiziell gemacht werden und auch die Familien wollen miteinbezogen werden. Die Geschichte hat das Zeug zu einer wunderschönen, berührenden sowie authentischen Romanze und die amerikanische Autorin hat ohne Frage die Fähigkeit, diese in Worte zu fassen und die Leser_innen damit in ihren Bann zu ziehen. Elizabeth McKenzie entscheidet sich jedoch dafür, den banalen Schwierigkeiten, die nach der ersten Verliebtheit mit dem Alltag in eine Beziehung einziehen, das Hauptaugenmerk zu schenken. Dies allein tut dem Lesevergnügen jedoch keinen Abbruch. Ab der zweiten Hälfte des Romans empfinde ich dennoch eine gewisse Enttäuschung, da der Höhepunkt und das Ende vollkommen überhastet werden. Es wirkt störend, wie sich die Autorin in den Details weit entfernter Handlungsstränge verliert. Zum Schluss scheint es dann, als wäre nicht mehr genug Platz und Energie, um die Geschichte gebührend enden zu lassen. Titel und Klappentext versprechen leider mehr als sie halten. Martina Mansoor bn 2019 / 2
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Romane, Erzählungen, Novellen
Melamar: Bukuríe
: Roman / Melamar. - [Wien] : Verl. Wortreich, 2019. - 175 S. ISBN 978-3-903091-10-8 kart. : ca. € 14,90
Roman über die Beziehungen von Menschen, die erkennen müssen, dass Glück und Lebenszufriedenheit nicht von Äußerlichkeiten abhängen. (DR) Rita weiß, was es bedeutet, wenn man seine Heimat verlassen und in einem anderen Land neu anfangen muss. Auch ihr Freund Pablo kennt aus persönlicher Erfahrung die Auswirkungen, die Migration auf Menschen haben kann. Eines Tages trifft Rita auf Bukuríe, eine Romni, die Zeitungen vor einem Supermarkt verkauft. Die Begegnung mit ihr verändert das Leben aller Beteiligten auf nachhaltige Weise, denn Bukuríe öffnet sie für die Weisheiten und Traditionen ihres Volkes. Ein schmerzhafter, aber heilsamer Prozess geht vonstatten. Der Grat zwischen einer kitschig-anrührenden und melancholischen Geschichte ist manchmal ein schmaler. Melamar gelingt es trotz aller Emotionen, die sie mit ihrem Buch anspricht, nicht in Gefühlsduselei abzugleiten. Sie nimmt ihre Leser_innen mit in eine Welt, die sich mit dem Verstand nicht fassen lässt. Sie lässt sie staunen vor den Fähigkeiten, die verinnerlichte, sehende Menschen in sich tragen können. Ein Buch für Menschen, die wissen, dass sich nicht alles rational erklären lässt! Petra Fosen-Schlichtinger
Mermer, Verena: Autobus Ultima Speranza : Roman / Verena Mermer. - Salzburg : Residenz Verl., 2018. - 197 S. ISBN 978-3-7017-1699-9 fest geb. : ca. € 20,00
Geschichten aus den neuen Arbeitswelten in Europa. (DR)
Das Busunternehmen trägt übersetzt den beziehungsreichen Namen "letzte Hoffnung", das Fahrzeug ist noch dazu in Pink gehalten und ist knapp vor Weihnachten von Wien nach Cluj in Rumänien eine Nacht lang bei dichtem Schneetreiben unterwegs. An Bord: rumänische Arbeitsemigranten und die beiden Busfahrer, aber auch zwei Studierende aus dem Westen. Sie alle lässt die Autorin in einer Art Stimmencollage zu Wort kommen. Ihre Beweggründe und Erfahrungen als moderne Arbeitsnomaden, um nicht zu sagen Arbeitssklaven, ihre Hoffnungen 326
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Belletristik
und Enttäuschungen und ihr soziales Umfeld kommen zur Sprache. Ihre Gedanken sind hauptsächlich bei der Familie zu Hause, kreisen um Geldsorgen und unsichere wie ausbeuterische Arbeitsverhältnisse. Sie verdingen sich als Fotomodel, Putzpersonal, Schlachthofarbeiter, Pfleger oder Erntehelfer im Westen. Auch eine Roma-Familie, argwöhnisch beäugt von anderen Busreisenden, fährt nach Hause, wo es keine Arbeit mehr für sie gibt. Überhaupt findet zwischen den einzelnen Reisenden kaum ein Gespräch oder Kontakt statt. Ständiger Perspektivenwechsel erhält die Spannung des einfachen Plots aufrecht, der im Wesentlichen in der Wiedergabe einzelner Lebenserfahrungen und der Busreise besteht. Auch der angedeutete Konkurrenzkampf der Busfahrer mit den nicht ganz so koscheren und unsicheren Geisterbussen trägt etwas dazu bei. Schade, dass sich die Autorin nicht auf die Kraft der Geschichten, die sie eigenen Interviews verdankt, verlässt. Sie konstruiert noch weitere Ebenen und stellt stark überzogene Parallelen zu Filmen her, nämlich zu "E.T." und "Titanic", deren Inhalt sie passagenweise nacherzählt. Aktueller, interessanter Sozialroman der Gegenwart, der literarisch doch nicht ganz überzeugt. Fritz Popp
Moers, Walter: Weihnachten auf der Lindwurmfeste
: oder Warum ich Hamoulimepp hasse / Walter Moers. Von Hildegunst von Mythenmetz. Aus dem Zamonischen übertr. von Walter Moers. Ill. von Walter Moers und Lydia Rode. München : Penguin Verl., 2018. - 111 S. : zahlr. Ill. (farb.) ISBN 978-3-328-60071-8 fest geb.: ca. € 15,50
Eine bibliophile Ausgabe mit leider sehr geringem Umfang. (DR) Pünktlich vor dem Weihnachtsfest ist das neueste Werk von Walter Moers erschienen, auch dieses Mal wieder in Zusammenarbeit mit der Illustratorin Lydia Rode. Der Titel wurde, wie üblich
Belletristik
bei Veröffentlichungen von Walter Moers, heiß von seinen Fans ersehnt, die freudige Erwartung dürfte aber schnell in Ernüchterung umgeschlagen haben, als der Band schließlich vorlag. Der Umfang ist, nun ja, gering. Die bibliophile Aufmachung ist zwar hübsch zu betrachten und dürfte das Herz jedes Moers-Liebhabers kurz höherschlagen lassen, ist aber offenkundig nur ein Ablenkungsmanöver, um über die Marginalität des Inhalts hinwegzutäuschen. Das Buch umfasst insgesamt 111 Seiten, wovon 31 Seiten mit "Taxonomischen Tafeln" (wie immer zauberhafte Illustrationen von Lydia Rode) gefüllt sind, weitere 15 bestehen aus neu kolorierten, aber schon bekannten Moers-Illustrationen samt Beschreibungen der Abbildungen und weitere 8 Seiten beinhalten eine Leseprobe für den im Frühjahrsprogramm erscheinenden, neuen Roman des Autors. Damit umfasst der eigentliche Text gerade einmal die Hälfte des Buches. Zudem ist das Seitenlayout desselben extrem großzügig gestaltet. Wie einer Fußnote zu entnehmen ist, hängt der Text mit dem angekündigten, aber nicht erschienenen Briefroman "Die Insel der 1000 Leuchttürme" zusammen, der vor Jahren angekündigt wurde, aber nie erschienen ist. "Weihnachten auf der Lindwurmfeste" ist schlicht ein Brief des Lindwurms Hildegunst von Mythenmetz an der aus "Die Stadt der Träumenden Bücher" bekannten Figur Hachmed Ben Kibitzer, in dem er das Fest "Hamoulimepp" (ein Pendant der Lindwürmer zu Weihnachten) in all seinen Facetten beschreibt. Diese Ausführungen sind wie immer unterhaltsam und mit vielen intertextuellen Bezügen versehen. Trotzdem erinnert er in seiner Form stark an die bekannten "Mythenmetz'schen Abschweifungen", es ist also keine Narration vorhanden, sondern es werden Details aus dem Fantasie-Kontinent Zamonien erläutert. Diesen Auszug als vollwertiges Buch (zum Preis von _15,50) zu verkaufen, war eine mehr als fragwürdige Entscheidung des Verlags. Fazit: Die schöne, bibliophile Gestaltung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Text in seinem Umfang und Stil eher in eine Fußnote eines Moers-Romans gepasst hätte. Der kritische Großschriftsteller Mythenmetz selbst würde es wohl "Leichenfledderei" eines unfertigen Buch-Projekts ("Die Insel der 1000 Leuchttürme") nennen. Bestenfalls für Liebhaber_innen geeignet. Julia Walter
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Romane, Erzählungen, Novellen
Morrigan, Rita: Wir treffen uns am Ende der Welt
: Roman / Rita Morrigan. Aus dem Span. von Johanna Schwering. - Reinbek : Rowohlt Taschenbuch Verl., 2019. - 347 S. ISBN 978-3-499-27442-8 kart. : ca. € 10,30
Lena entflieht ihrem Leben, um neu anzufangen. (DR) Nach dem Tod ihres Vaters und dem Ende ihrer Verlobung bricht Lena, reiche Erbin einer spanischen Brotfabrik, ihre Zelte in Madrid ab und startet unbedarft einen Neuanfang in Buenos Aires. Kaum in der neuen Stadt angekommen, wird sie ausgeraubt und so flüchtet sie ohne Geld und ohne Papiere ins nächstbeste Lokal, dem "Café am Ende der Welt". Dort ist Lena, eine studierte Kunsthistorikerin, vom Ambiente und der Raumdekoration in Fileteado-Technik, einem alten Malstil mit stilisierten Blumen und Ranken, sofort fasziniert. Sie klagt dem Besitzer ihr Leid und bittet um eine Anstellung als Kellnerin. Alejandro reagiert sehr ruppig, stellt sie nach langem Betteln dennoch ein. Es entwickelt sich eine Liebesbeziehung, die einige Male auf eine harte Probe gestellt wird. Nachdem Alejandro seine Kreditraten nicht mehr bezahlen kann und Lena dadurch kurz vor ihrer Kündigung steht, entscheidet sie sich zu einem großen Schritt... Ein einfacher, leicht zu lesender Roman mit vorhersehbaren Entwicklungen, der ab und zu konstruiert und kitschig wirkt. Geeignet zur Bestandserweiterung der Unterhaltungsliteratur. Maria Dorrer
Mulder, Jan Jacobs: Joseph, der schwarze Mozart
: Roman / Jan Jacobs Mulder. Aus dem Niederländ. von Ulrich Faure. - Zürich : Unionsverl., 2018. - 312 S. ISBN 978-3-293-00535-8 fest geb. : ca. € 22,70
Historischer Roman, der sich mit einem heute weithin unbekannten Zeitgenossen Mozarts befasst, der in Paris ein schillerndes Leben führte. (DR) bn 2019 / 2
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Joseph Boulogne, Chevalier de Saint-Georges, Fechtmeister, Truppenführer und Komponist, wird Mitte des 18. Jahrhunderts in Guadeloupe als Sohn eines weißen Plantagenbesitzers und einer schwarzen Sklavin geboren. Dort verbringt er seine ersten zehn Lebensjahre. Danach kehrt sein Vater nach Frankreich zurück und lässt seinem Sohn eine sorgfältige Erziehung angedeihen. Da Joseph ein besonderes Talent für Musik erkennen lässt, bekommt er auch Unterricht in Kompositionslehre. Als er zu einem attraktiven und athletischen jungen Mann herangewachsen ist, zieht er bald die Aufmerksamkeit der Pariser Gesellschaft auf sich. Die Herren reißen sich darum, bei ihm die Fechtkunst zu erlernen, die Damen liegen dem Komponisten und Geigenvirtuosen zu Füßen. Joseph genießt das Leben in vollen Zügen. Er wird Ludwig XV. und Marie Antoinette vorgestellt und verkehrt in höchsten Kreisen. Mit Gluck verbindet ihn eine Künstlerfreundschaft, Mozart lässt sich von seinen Kompositionen inspirieren. Im vorrevolutionären Paris macht Boulogne sich mit den Gedanken der Aufklärung vertraut. Er teilt das Engagement der Abolitionisten und stellt eine Truppe zusammen, mit der er auf die französischen Karibikinseln segelt, um dort die Sklaven zu befreien. Bei den blutigen Auseinandersetzungen mit den Plantagenbesitzern wird er schwer verletzt und kehrt sterbend nach Paris zurück. Mulder hat Joseph Boulogne, der zu seiner Zeit hohes Ansehen und Berühmtheit genoss, dem Vergessen entrissen. Die heutigen Leser_innen mag erstaunen, dass im 18. Jahrhundert die Hautfarbe kein unüberwindbares Karrierehindernis war. Freilich war Boulogne ein Ausnahmetalent und hatte einen einflussreichen Vater, der ihm neben einer sorgfältigen Erziehung auch gesellschaftlich die Wege ebnen konnte. Die spannende Biografie liest sich wie ein Abenteuerroman und ist zugleich ein Sittengemälde, das eine turbulente Epoche eindrucksvoll darstellt. Ein Buch, das viele Leserinnen und Leser in Atem halten wird. Ingrid Kainzner 328
Belletristik
Romane, Erzählungen, Novellen
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Mullen, Thomas: Darktown
: Roman / Thomas Mullen. Aus dem Engl. von Berni Mayer. - Köln : DuMont Buchverl., 2018. - 479 S. ISBN 978-3-8321-8353-0 fest geb. : ca. € 24,70
Moderner US-Krimi mit Retro-Feeling. (DR) Die neuen Polizisten sind schwarz, und viele Weiße finden es in den 40er-Jahren in den Südstaaten nicht gut, dass man Schwarzen eine Waffe und eine Uniform gibt. Die Apartheid Südafrikas ist noch gar nicht erfunden, aber die Rassentrennung und die Vorurteile sind in den USA stärker als in Südafrika. Da ist es egal, dass eine junge Schwarze tot im Müll gefunden wird. Die ermittelnden Beamten haben die Gegner in den eigenen Reihen und richten mehr Schaden an als sie helfen. Doch in einem ordentlichen Krimi gibt es eine vernünftige Lösung, auch wenn dafür einige Leute sterben müssen. Die Vorbilder von Mullen sind klar: Dashiell Hammett und Raymond Chandler haben in den 30er und 40er Jahren den knallharten US-Krimi mit Sozialkritik angereichert und dieses belächelte Trivialliteraturgenre salonfähig gemacht. Auch Mullen gelingt es, hier kein politisch korrektes Kitschwerk abzuliefern, sondern einen hoch spannenden Krimi in einer sehr düsteren Atmosphäre. Während man sich in Deutschland und Österreich nach 1945 mit Verdrängung und Aufarbeitung der Gräuel der Faschisten herumplagte, war es den Befreiern offensichtlich nicht bewusst, dass sie mindestens so rassendiskriminierende Ansichten hatten wie die Nazis. Martin Luther King wird "erst" 1968 erschossen, und im April 2018 steht in den weltweiten Schlagzeilen, dass wieder ein weißer Polizist einen unbewaffneten Schwarzen in den USA erschossen hat. Aus diesem Blickwinkel ist dieser Krimi trotz des historischen Settings brandaktuell. Michael Wildauer
Muñoz Molina, Antonio: Schwindende Schatten
: Roman / Antonio Muñoz Molina. Aus dem Span. von Willi Zurbrüggen. - München : Penguin Verl., 2019. - 504 S. ISBN 978-3-328-60013-8 fest geb. : ca. € 26,80
Kehrseiten der Biografie. (DR) Es hätte ein postmoderner Krimi werden können: Meditationen über Realität und Fiktion, ein
Belletristik
Autor, der sich im Mörder spiegelt, der sich im vom Mörder erfundenen angeblichen Täter spiegelt. Aber Muñoz Molina zeigt, ohne plakativ zu sein, Korrespondenzen zwischen der eigenen Biografie, der Fluchtbiografie des Attentäters und den letzten Minuten Martin Luther Kings: Der junge Autor flüchtet sich in die Literatur, der Mörder flieht vor der Verhaftung, und auch King ist Gefangener seiner Auftritte und bereit zur Veränderung. Motive wie Freiheit vs. Gefangenschaft, Flucht, Reise und Entwicklung, und Fiktion, um (sich) zu verbergen, sind dicht verwoben. Die Schatten der recherchierten Biografien sind so vergangen wie das alte, erinnerte Ich des Autors. Er wertet nicht, gibt die rassistische Prägung des Attentäters wieder, beschreibt King auch als "Helden der Armen im Maßanzug" und schildert sein persönliches Glück, aus der Perspektive eines erfüllten Lebens erzählen zu können. Formal geschieht das anspruchsvoll in Vor-, Rück- und Zwischenblenden, teils nur über die Personalpronomen (ich, er, wir, du) verknüpft. Angesichts der Themen Fremdheit, Flucht und Fremdenhass ein aktuelles Buch. Für geübte Leser_innen und große Bibliotheken mit Angeboten europäischer Literatur empfohlen. German Brandstötter
Nagenkögel, Petra: Dort
: Geografie der Unruhe / Petra Nagenkögel. - Salzburg ; Wien : Jung und Jung, 2019. - 172 S. ISBN 978-3-99027-231-2 fest geb. : ca. € 21,00
Glücklich verwirrt in der Fremde. (DR) "Du kommst an und bist glücklich verwirrt". Wir sind in Argentinien, das Land, in dem Che Guevara 1928 geboren wurde, eines, das nach dem Zweiten Weltkrieg zu den reichsten der Welt gehörte, gegenwärtig von politischer Unruhe und einer Inflation von fünfzig Prozent geprägt ist sowie vom Erbe europäischer Einwanderer. Hier, in der Fremde, lässt sich die Autorin nieder, beobachtet, positioniert
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sich neu. Es ist ein Streunen, absichtslos und lustvoll, um alles Fragmentarische aufzusaugen wie ein Schwamm. In Beobachtungsskizzen "übersetzt" Petra Nagenkögel Eindrücke unbeschriebener Orte und Spuren verdrängter Geschichte in Sprache. "Juan Péron (.) steht am Wegrand als Pappfigur, als würde seine symbolische Macht dabei helfen, Raben (.) von den Feldern zu vertreiben" (S.49). Bei den Kapitelüberschriften wie "verbinden", "dauern", "kreuzen" handelt es sich in Summe um Mosaiksteinchen, die separat gelesen werden können und doch ein Gesamtbild ergeben. Mit den Augen der Autorin durchqueren wir ein Argentinien, das Begegnungen und Überraschendes bereithält. Ein ruhiger Text, der neugierig macht und entspannend wirkt. Petra Nagenkögel, geboren 1968 in Linz, beeindruckte 2002 mit ihrem Debüt "Dahinter der Osten". Empfohlen! Cornelia Stahl
Noll, Ingrid: Goldschatz
: Roman / Ingrid Noll. - Zürich : Diogenes, 2019. - 357 S. ISBN 978-3-257-07054-5 fest geb. : ca. € 24,70
Geld verdirbt den Charakter - so auch im neuen Roman von Ingrid Noll. (DR) Fünf junge Freunde gründen im von Tante Emma geerbten Bauernhaus eine WG und wollen es der Wegwerfgesellschaft zeigen. Den schrulligen Nachbarn, der sich schnell mal unerlaubt den Griller ausleiht und am nächsten Tag wieder zurückstellt, erbt die WG gleich mit. Ganz will man aber nicht auf Komfort verzichten und so muss schnell Geld her, um die Sanitäreinrichtungen zu erneuern und eine Heizung und neue Fenster einzubauen. Die Freunde versuchen dabei alles, was Emma in ihrem Haus angesammelt hat, zu Geld zu machen: Leinenwäsche, alte Bauernmöbel, Gerätschaften, Geschirr und schließlich auch einen Goldschatz, den zwei der Freunde eines Tages im Schuppen finden und von dem sie den anderen zunächst nichts erzählen. So nimmt das Verhängnis seinen Lauf und bald ist das Gerüst aus Lügen und Geheimnissen so dicht gewebt, dass niemand mehr sicher ist, ob er wirklich alles über den anderen weiß. Der Plot ist gut, aber schlecht umgesetzt: Das Buch hat immense Längen. Immer wieder sitzt man als Leser_in mit der WG gemeinsam beim bn 2019 / 2
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Romane, Erzählungen, Novellen
Abendessen, fährt mit ihnen zusammen zur Uni und streitet sich, wer heute mit dem Kochen dran ist. Über weite Strecken passiert nicht viel bzw. nichts für die Handlung Relevantes, das ermüdet während des Lesens. Ingrid Noll versucht mit ihren 83 Jahren in ihrer Beschreibung der heutigen Jugend gerecht zu werden, hat dabei aber vergessen, dass heutzutage nur mehr wenige Jugendliche beispielsweise Goethe überhaupt kennen, geschweige denn beinahe den gesamten "Faust" fehlerfrei rezitieren können. Bei diesen Schilderungen und Eigenheiten hat man sofort eine WG aus den 70ern, aber keine aus der Gegenwart vor Augen. Fazit: Das Buch ist nur etwas für treue NollLeser_innen, das lahme Tempo könnte abschreckend wirken. Birgit Stessl
Nothomb, Amélie: Happy End
: Roman / Amélie Nothomb. Aus dem Franz. von Brigitte Große. - Zürich : Diogenes, 2018. - 186 S. ISBN 978-3-257-07042-2 fest geb. : ca. € 22,60
Gefühlvoller Außenseiter-Liebesroman. (DR) Der Roman handelt vom Schicksal zweier Außenseiter: Déodat ist sehr intelligent, Vogelliebhaber und furchtbar hässlich. Ab einem gewissen Alter läuft er Gefahr, bucklig zu werden und muss sich drei Jahre mit dem Tragen eines starren Korsetts quälen. Trémière ist bildhübsch, aber, so meinen Schulkolleginnen und die Nachbarn, extrem dumm. Mobbing ist Teil ihres Alltags. Der hässliche Junge findet Rückhalt bei seinen Eltern, das schöne Mädchen bei einer exzentrischen, ausgeflippten Großmutter. Die Härte der Gesellschaft treibt die beiden in die Isolation, sie flüchten in den berühmten Elfenbeinturm. Dann lernen sie sich kennen, die Liebe schlägt zu. In den Augen Trémières wandelt sich das hässliche Entlein in einen attraktiven jungen Mann, Déodat wiederum bemerkt, dass die Angebetete alles andere als einfältig ist. Ein Happy End ist möglich. Die 330
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Belletristik
Autorin, deren feinfühliger, poetischer Roman ein Bekenntnis zur Liebe ist, weist darauf hin, dass in unserer Zeit ein Happy End von der Literaturkritik meist als kitschig empfunden wird. Sie stemmt sich erfolgreich gegen dieses Vorurteil. Vorlage für den Roman war das Märchen "Riquet mit dem Schopf " von Charles Perrault, die ebenfalls ein Lobgesang auf die Liebe ist. Der kurze Text ist als Anhang dem Buch beigegeben. Ein Werk, das dem Lesenden in trüben Stunden Hoffnung vermitteln kann. Roman Schweidlenka
Oldenhave, Mirjam: Und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende : Roman / Mirjam Oldenhave. Aus dem Niederl. von Andrea Kluitmann. - Hamburg : HarperCollins, 2019. - 303 S. ISBN 978-3-9596723-9-9 kart. : ca. € 15,50
Nach der Trennung von ihrem arroganten, untreuen Ehemann findet eine Frau auf äußerst ungewöhnliche Weise ein neues Zuhause und eine sinnvolle Aufgabe. (DR) Julia ist Mitte vierzig und verheiratet mit Stan, der ein gefragter Suchtarzt ist. Als er sie wieder einmal mit einer jungen Klientin betrügt, packt sie spontan das Notwendigste zusammen und sucht eine neue Bleibe. Durch Zufall findet sie ein großes, fein eingerichtetes Haus in einer vornehmen Gegend, in dem sie günstig wohnen kann, wenn sie einige Gegenleistungen erbringt. Sie muss täglich der im Koma liegenden Hausbesitzerin Frau Smit im Krankenhaus die Gliedmaßen bewegen und sie am ganzen Körper eincremen. Alleiniger Erbe, falls die alte Frau stirbt, ist der geldgierige Neffe Berend, mit dem Julia es nun zu tun hat. Doch solange Frau Smit am Leben ist, darf Julia in der Villa bleiben und mit ihr die vielen Außenseiter, die die alte Dame in ihrer gesunden Zeit bei sich aufgenommen hat: die siebenjährige, von ihrer Mutter geprügelte Veronique, den polizeibekannten Alexi, den kurdischen Asylanten Magwan, den alten Gärtner Louis und den Cannabisvertreiber Dylan. Als aktives Mitglied dieser bunt zusammengewürfelten Außenseiterfamilie findet Julia zu einer sinnvollen Aufgabe und zu neuem Lebensmut, sodass der untreue Exgatte Stan immer mehr in den Hintergrund tritt. In einer teilweise saloppen, flapsigen Sprache und in einem sich
Belletristik
dem inneren Monolog annähernden Erzählstil wird diese Geschichte von Trennung und Neubeginn aufgerollt. Durchaus unterhaltsam und aufmunternd, als leichtes Lesefutter geeignet für größere Bestände. Maria Schmuckermair
Oyeyemi, Helen: Was du nicht hast, das brauchst du nicht
/ Helen Oyeyemi. Aus dem Engl. von Zoë Beck. - Hamburg : CulturBooks, 2018. - 285 S. ISBN 978-3-9598810-3-6 fest geb. : ca. € 20,50
Neun äußerst fantasievolle, kaum fassbare Kurzgeschichten vereint in einem Band. (DR) Helen Oyeyemi, eine in Großbritannien bereits bekannte und ausgezeichnete Autorin, bereichert mit ihrer Kurzgeschichtensammlung "Was du nicht hast, das brauchst du nicht" nun auch die deutschsprachigen Leser_innen. Die neun enthaltenen Geschichten sind kaum in Worte zu fassen. Oyeyemis Erzählkunst ist teils schwer dechiffrierbar, sie beginnt einen Erzählstrang, lässt ihn unmittelbar wieder fallen und greift ihn beizeiten an einer unerwarteten Stelle wieder auf. Die Figuren ihrer Geschichten wandern durch die verschiedenen Texte, mal sind sie Protagonisten, mal bleiben sie Randfiguren. Allen ist ihnen aber gemein, dass sie ungewöhnlich, fantasievoll und eigenwillig von der Autorin entworfen wurden. Alter, Ethnie oder auch sexuelle Orientierung sind breit gefächert, Oyeyemi lebt in ihrem Werk den Diversität-Gedanken. Diese Vielfältigkeit trifft nicht nur auf die Figuren zu, sondern auch auf Inhalt und Gestaltung der einzelnen Geschichten. Manche haben einen stark märchenhaften Charakter, in einem Fall mit direktem Bezug zum Grimm'schen "Rotkäppchen", eine andere ist in ihrer Länge und ihrem Aufbau schon eher als Novelle einzuordnen. Jedenfalls ist ein übernatürliches Moment gegeben, das die Nähe der Autorin zum Magischen Realismus betont. Nicht alle Geschich-
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ten sind qualitativ vergleichbar, jede bietet aber eine eigene Reflexionsfläche, die Leser_innen in unterschiedlichen Lebensphasen- und -situationen einen Anknüpfungspunkt bietet. Eine mitreißende, fantasievolle Lektüre, die aufmerksames, mehrmaliges Lesen erfordert, um gewisse Referenzen in und zwischen den Geschichten aufdröseln zu können - was manchmal gelingt, manchmal gar nicht gelingen kann. Für Bibliotheken, die ihren Bestand um ein besonderes Buch erweitern möchten. Julia Walter
Paretzky, Sara: Kritische Masse
/ Sara Paretzky. Deutsch von Laudan & Szelinski. - Hamburg : Argument-Verl., 2018. - 539 S. - (Ariadne ; 1236) Aus dem amerikan. Engl. ISBN 978-3-86754-236-4 fest geb. : ca. € 24,00
Die wehrhafte Chicagoer Privatdetektivin V. I. Warshawski stößt bei ihren Ermittlungen auf ein Naziwaffenentwicklungsprogramm, auf geheime nukleare Forschungsaktivitäten, auf Drogen-Gorillas und auf düstere Familiengeheimnisse. (DR) Die Chirurgin Lotty Herschel bittet ihre Freundin Victoria Iphigena Warshawski nach der drogenabhängigen Judy zu suchen. Für die Privatdetektivin Warshawski beginnt nun ein Abenteuer, das sie in viele lebensbedrohliche Situationen führt, hat sie es doch mit dem brutalen Drogenmilieu, mit dem nicht minder zimperlichen amerikanischen Heimatschutz, mit der korrupten IT-Branche und mit der Atomwaffenforschung zu tun. Die mit zahlreichen Preisen bedachte Autorin Sara Paretzky folgt auch in diesem äußerst spannend gestalteten Detektivroman ihrer feministischen Linie, indem sie starke, kluge und engagierte Frauen in die vorderste Reihe stellt. Angeregt durch das reale Vorbild der österreichischen Wissenschaftlerin Marietta Blau, erfindet sie die außergewöhnliche Figur der genialen Physikerin Martina Saginor, um die herum die üppige Handlung aufgebaut ist. Atomare bn 2019 / 2
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Forschung, Entwürfe eines Computers, Patentrechte und militärische Geheimnisse führen zu Verwicklungen und Morden. Zerbrochene Freundschaften, Nazigräueltaten und Familienkonflikte zerstören die menschliche Psyche. Der an Figuren und Handlungssträngen reiche, auf mehreren Zeitebenen spielende Krimi ist fesselnd und wirft einen kritischen Blick auf die gegenwärtige amerikanische Gesellschaft. Für Liebhaber_innen dieses Genres absolut lesenswert! Maria Schmuckermair
Poznanski, Ursula: Vanitas
: Schwarz wie Erde. Thriller / Ursula Poznanski. - München : Knaur, 2019. - 377 S. ISBN 978-3-426-22686-5 kart. : ca. € 15,50
Psychokrimi um auffällig gehäufte Todesfälle in der Baubranche. (DR) Carolin arbeitet in der Gärtnerei des Wiener Zentralfriedhofs still und unauffällig im Hinterzimmer an Gestecken und Kränzen. Sie ist froh, wenn sie von niemandem beachtet wird, denn sie lebt eigentlich ein fremdes Leben unter neuem Namen in einem neuen Land, seit sie als Polizeispitzel in einer der brutalsten Banden des organisierten Verbrechens aufflog. Nur durch die Inszenierung ihrer eigenen Beerdigung konnte sie mit dem Leben davonkommen. Nun aber erhält sie einen neuen Auftrag in München. Sie soll die Familie einer der drei führenden Baufirmen unter die Lupe nehmen. Auf den Baustellen der Konkurrenten Vossen und Korbach passieren in letzter Zeit gehäuft Unfälle, teils unter mysteriösen Umständen. Carolin wird also in die Nachbarwohnung der Tochter des Bauunternehmers Lambert einquartiert und bald schon ist sie in die familiären Umstände dieser Familie eingeweiht. Noch kann sie sich auf diverse Vorkommnisse keinen Reim machen, aber als sie Schritt für Schritt hinter die Geheimnisse kommt, die bis in die 1950er-Jahre zurückreichen, ist es für Carolin und ihre Sicherheit fast 332
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Belletristik
schon zu spät. Dieser Roman ist der Auftakt der neuen Reihe psychologischer Thriller der Bestsellerautorin Ursula Poznanski. Er beginnt furios und verliert bis zum Ende nicht an Schwung und Spannung, da die latente Angst Carolins, von der Bande doch aufgespürt und brutal ermordet zu werden, wie ein Damoklesschwert über der Handlung hängt. Für Krimifans sehr zu empfehlen. Hertwiga Kröss
Procházková, Iva: Der Mann am Grund
: der erste Fall von Kommissar Holina / Iva Procházková. Aus dem Tschech. von Mirko Kraetsch. - Wien : braumüller, 2018. - 445 S. ISBN 978-3-9920022-2-1 kart. : ca. € 19,00
Ein Prag-Krimi mit vielen Handlungssträngen. (DR) In der Nähe der tschechischen Hauptstadt wird ein für seine umstrittenen Methoden bekannter Polizist - tot in seinem Auto sitzend - auf dem Grund eines Baggersees entdeckt. Die Spuren führen Hauptkommissar Marián Holina und seinen jungen Kollegen unter anderem zu einem renommierten Architekten, zur Inhaberin einer Sprachschule und zu einem Pärchen, das Marihuana züchtet. Der Kreis der Verdächtigen wird schnell immer größer und als im Laufe der Ermittlungen auch noch mehrere Zeugen auf teils spektakuläre Weise ums Leben kommen, wird klar, dass der Mord mit der Vergangenheit zusammenhängt, in der mehrere Verdächtige etwas zu vertuschen haben. Bis die Geschichte einmal Fahrt aufnimmt, braucht man als Leser_in einen langen Atem. Die Autorin gibt der Psychologie ihrer Figuren viel Platz, lässt dabei aber immer wieder erkennen, dass ihr bisheriges Metier das der Kinder- und Jugendliteratur war. Die Handlungsstränge der Geschichte sind zwar gut überlegt, dennoch schleppt sich die Geschichte mit zuviel Ballast vorwärts. Iva Procházková ist keine Autorin für atemlose Lesestunden. Ihrem Buch fehlt jene professionelle Leichtigkeit, die viele andere Autoren dieses Genres auszeichnet. Johannes Preßl
Rachman, Tom: Die Gesichter
: Roman / Tom Rachman. Aus dem Engl. von Bernhard Robben. - Dt. Erstausg. - München : dtv, 2018. - 411 S. ISBN 978-3-423-28969-6 fest geb. : ca. € 22,70
Belletristik
Wie der Vater, so der Sohn? (DR) George Bavinskys Eltern sind Künstler. Sein Vater ist ein weltberühmter Maler und eine beeindruckende, egozentrische Persönlichkeit. Seine Mutter hingegen ist labil, unsicher, ohne Erfolg und nur eine der vielen Frauen des gefeierten Malers. George, von seinen Eltern mit dem Spitznamen Pinch kleingehalten, ist sensibel und feinfühlig, jedoch genauso unsicher wie seine Mutter. Zeitlebens hungert er nach der Anerkennung seines Vaters. Er beginnt zwar zu malen, doch das vernichtende Urteil seines Vaters bereitet seinen künstlerischen Anfängen ein jähes Ende. Rachmans Roman ist sehr vielschichtig und psychologisch überaus interessant. Wie fühlt es sich für einen Menschen an, wenn der Vater einen extrem dominanten Charakter hat, so berühmt, aber gleichzeitig kaum anwesend ist? Wenn die Welt etwas von einem erwartet, das man nicht sein kann? Am Ende stellt Rachman die Kunst an sich in Frage. Denn erfolgreich sind Künstler nicht nur aufgrund ihres Schaffens, sondern auch dank ihrer Persönlichkeit, ihres Lebensstils und weil sie sich zur richtigen Zeit am richtigen Ort aufhalten. Das Buch ist perfekt ausbalanciert. Zieht einen anfangs die Beziehung zwischen Vater und Sohn in den Bann, so wird das Leben Pinchs mit der Zeit immer trostloser. Man beginnt ihn zu bedauern, bis sich plötzlich das Blatt auf eine geniale Art und Weise wendet. Das Ende überrascht, stimmt nachdenklich, befriedigt. Sehr gelungen! Martina Mansoor
Rosenfeld, Astrid: Kinder des Zufalls
: Roman / Astrid Rosenfeld. - Zürich : Kampa, 2018. - 269 S. ISBN 978-3-311-10001-0 fest geb. : ca. € 22,60
Interessant erzählte Lebensgeschichten von unterschiedlichsten Menschen, die zufällig oder in familiären Banden miteinander verbunden sind. (DR)
Romane, Erzählungen, Novellen
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Als Maxwell, der nach 17 Jahren als Cowboy Jill in einer erfolgreichen Fernsehserie abdanken musste, und die nach drei Knieoperationen arbeitslose Balletttänzerin Elisabeth einander in der Wüste von Texas begegnen, sind die beiden "Kinder des Zufalls". Was sie innig verbindet, ist ihr gemeinsames Schicksal, dass ihre Karriere beendet ist. Astrid Rosenfeld hat die Dramen vieler Menschen rund um die beiden Protagonisten, deren Begegnungen und Verstrickungen nach dem 2. Weltkrieg über viele Jahrzehnte und in mehreren Teilen der Welt - von Vietnam über Deutschland und die USA - in schnell aufeinanderfolgenden Sequenzen aneinandergefügt. Auch wenn es nicht immer leicht ist, den Überblick zu bewahren, gehen einem die Geschichten der "harten" Männer und der mutigen Frauen, mit ihren Träumen und Erinnerungen, ihren Kämpfen und Niederlagen, nahe. Und immer steht die Frage im Raum, ob es Zufall oder Schicksal ist, wenn Menschen einander begegnen oder was sie zu bestimmten Entscheidungen für ihren weiteren Weg führt. Der über Glück und Sinn in der Welt zum Nachdenken anregende Roman passt gut in jede Bibliothek. Birgit Leitner
Roßbacher, Verena: Ich war Diener im Hause Hobbs
: Roman / Verena Roßbacher. - Köln : Kiepenheuer & Witsch, 2018. - 380 S. ISBN 978-3-462-04826-1 fest geb. : ca. € 22,70
Ein Diener und seine Liebe zum Detail. (DR) Der junge Vorarlberger Christian arbeitet als Diener bei der wohlsituierten und angesehenen Familie Hobbs in Zürich. Die Familie besteht aus dem Anwalt Jean-Pierre Hobbs, seiner attraktiven Ehefrau, ihren Kindern und Gerome Hobbs, Jean-Pierres Zwillingsbruder - das genaue Gegenteil seines erfolgreichen Bruders. Christian - oder Robert, wie er von seinen Dienstgebern genannt wird - gefällt bn 2019 / 2
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Belletristik
sich in seiner Rolle als Butler. Diskret beobachtet Kraus dazu, ihn gegen eine in Aussicht gestellte er alle Vorgänge im Haus. Dabei kommt er mit ordentliche finanzielle Abgeltung nach Sarajevo der Zeit hinter verstörende Geheimnisse. Beruf- zu begleiten, wo der Genesende nach dem Mörliches und Privates vermischt sich auf unwill- der seiner großen jüdischen Jugendliebe suchen kommene Weise und zwei Todesfälle geben der will. Mit dabei: der letzte Baedeker-Reiseführer ganzen Erzählung eine tragische Wende. Verena der Monarchie aus dem Jahr 1913, den WinRoßbachers neuer Roman ist so originell wie das terberg fast auswendig kennt und ständig vorechte Leben. Ihr Erzählstil ist äußerst fesselnd. trägt. Auch im Reisegepäck der beiden: etliche Christian erzählt beschwingt und scheinbar zu- traumatische Erfahrungen in ihren sehr untersammenhanglos aus seiner Jugend im provinzi- schiedlichen Lebensgeschichten. Die Zickzackellen Feldkirch und seiner Arbeit. Daneben stellt reise auf den Spuren des alten Eisenbahnnetzes er humorvoll Überlegungen über das Leben eines führen den Eisenbahnbegeisterten und GegenDieners und reiche Haushalte an. Am Ende en- wartspessimisten sowie sein eher schweigsames steht aus dieser Aneinanderreihung von Nichtig- Gegenüber nach Königgrätz, Prag, Wien, Budakeiten jedoch ein komplexes Gebilde. pest und etliche andere Stationen. Die komplexe Genial spannender und amüsanter, jedoch auch Geschichte Böhmens und der Habsburgermoverstörender Roman über die Verstrickungen im narchie, der Sudetendeutschen im NationalsoziLeben eines Dieners. Sehr unterhaltsam! alismus, aber auch der CSSR wird in vielen Ein Martina Mansoor zelaspekten und teilweise grotesken Erzählungen aufgerollt und auf die Erzählschiene gebracht - mit etlichen Nebenbahnen und unerwarteten Weichenstellungen. Rudis, Jaroslav: Winterbergs letzte Reise Großartiges europäisches Geschichtspanorama, : Roman / Jaroslav Rudis. - München : Luchterhand, 2019. erzählt im Stile Jaroslav Haseks und Bohumil - 540 S. Hrabals, Kafka und Karl Kraus könnten zudem ISBN 978-3-630-87595-8 fest geb. : ca. € 24,70 auch noch Pate gestanden haben. Großes LeEine Zeit- und Lebensreise durch die "schöne severgnügen für literarische Leser_innen mit Landschaft der Friedhöfe, Schlachten und Ruinen" Freude an schwarzem Humor und historischem Mitteleuropas. (DR) Interesse, speziell an Militärhistorie, SchlachtenPolitische und private malerei, Eisenbahnkunde und Feuerbestattung. Fritz Popp Geschichte und Ge- schichten verknüpft der Roman: Da ist einmal der 99-jährige Winter- Ruile, Margit: God‘s Kitchen berg, ein Sudetendeut/ Margit Ruile. - Bindlach : Loewe, 2018. - 316 S. scher, geboren in der ISBN 978-3-7855-8447-7 kart. : ca. € 15,40 Tschechoslowakei im Jahr ihrer Gründung Unheimlicher Kampf gegen eine künstliche Intelli1918, später Straßen- genz. (ab 14) (DR) bahnfahrer in Berlin. Celine hat Schwierigkeiten mit ihrem Leben. Er monologisiert und Sie ist Waise, und sie hat die "Gabe": Sie sieht schwadroniert größmanchmal Ereignisse aus der Zukunft. Doch tenteils ohne Rücksicht sie leidet darunter und fühlt sich einsam. Umso auf seinen Reisebegleiter, den aus dem südböhmehr freut sie sich, als man sie einlädt, in God‘s mischen Winterberg stammenden Tschechen Kitchen mitzuarbeiten, einem Labor, in dem ein namens Jan Kraus. Zusammengeführt hat die Roboter entsteht, der sich selbst Dinge beibrinbeiden die Tatsache, dass Winterberg so gut wie gen kann. Zu spät erkennt sie, wie gefährlich dieim Sterben lag und Kraus sein Sterbebegleiter se Arbeit ist. sein sollte, was dieser seit Jahren in Deutschland Der Roman kommt mit allerhand Zutaten dapraktiziert. Allerdings erwachen unerwarteterher. Namen aus der griechischen Mythologie, das weise Winterbergs Lebensgeister und er bringt chinesische "Buch der Wandlungen", Hellseherei 334
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Romane, Erzählungen, Novellen
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und eine alleswissende, bedrohliche künstliche die ihnen an den Kragen wollen, finden Freunde, Intelligenz. Wenn das auch gar nicht notwendig streifen durch trockene Steppen und überqueren wäre und sehr jugendbuchhaft wirkt, so möch- reißende Flüsse. Sie gehen am Meeresstrand spate man doch immer wissen, wie es weitergeht zieren und schleppen sich durch dichtes Schneeund blättert "nur noch einmal" um. Das Ende treiben über hohe Berge. Immer wieder geraten ist ziemlich außergewöhnlich und für die mei- sie in lebensgefährliche Situationen. Abenteuer sten wahrscheinlich überraschend. Und wenn reiht sich an Abenteuer und jede überwundene man sich erinnert, dass der große Physiker Ste- Gefahr bindet sie mehr und mehr aneinander, bis phen Hawking neben Viren, Atombomben und sie die Liebe zueinander entdecken. Erderwärmung die künstliche Intelligenz als "Mit der Seele ist es wie mit der Natur. Je mehr vierte große Gefahr für die gesamte Menschheit die Menschen glauben, über sie zu wissen, desto genannt hat, lässt einen diese Thematik auch in- weniger verstehen sie ihr tatsächliches Wesen." tellektuell nicht kalt. Emotional zieht Ruile so- (192 S.) wieso alle Register, Liebe, nicht erwiderte Lie- Ist es eine Fabel, eine Parabel oder ein Gleichnis be, magische Anziehung und kalte Berechnung menschlicher Seelen in eine Tierwelt verpflanzt? wechseln sich so schnell ab, dass der Blutdruck David Safiers kraftvolle Sprache reißt die Lesteigt, bevor man sich erinnert, dass es nur ein ser_innen in einen Sturm der Gefühle mit seiner fiktionaler Roman ist. Nur der Titel ist etwas un- spannungsreichen Erzählung. glücklich. Die Geschichte spielt in München und Ob Tier, ob Mensch, jede Seele zählt auf Ihre hat nichts mit einer Küche oder Gott zu tun. Art. Die Charakterzüge jedes Wesens beeindru Michael Wildauer cken und regen zum Nachdenken und Hinterfragen seiner selbst an. Die Wahrheit in der Fiktion durchbricht die Grenzen der Wahrnehmung im großen Maße und man erkennt schnell Parallelen Safier, David: zum realen Leben. Die Kraft der Liebe überwinDie Ballade von Max und Amelie det jegliche Gewalt des Daseins und so schließt : Roman / David Safier. - München : Kindler, 2018. - 366 S. man, erleichtert über ein Happyend, dieses maISBN 978-3-463-40709-8 fest geb. : ca. € 18,50 gische Buch. Absolut empfehlenswert! Ilse Hübner Ein Bekenntnis zur Liebe über alle Hindernisse des Lebens hinweg. (DR) Narbe, eine einäugige Hündin, lebt mit ihrem Rudel auf einer großen Müllhalde am Rande der Stadt. Als sie Max schwer verletzt und ohne Bewusstsein in Mitten von Abfällen auffindet, beschließt sie, ihn zu retten, bevor ihre gewaltbereite Verwandtschaft ihn umbringt. Auch sie kann danach nicht mehr bei ihrem Rudel bleiben, hat sie ja mit dieser Tat ihre eigene Familie hintergangen. So zieht sie, nachdem Max sich einigermaßen erholt hat, mit ihm in eine ihr unbekannte Welt. Auf der Suche nach seiner Menschenfamilie durchqueren sie fremde Städte, Wälder und Auen. Die beiden Hunde treffen auf wilde Tiere,
Schirach, Ferdinand von: Kaffee und Zigaretten / Ferdinand von Schirach. - München : Luchterhand, 2019. - 190 S. ISBN 978-3-630-87610-8 fest geb. : ca. € 20,60
Des Menschen Hass und Würde. (DR) Dieser Band beinhaltet 48 biografische Begebenheiten, Arbeiten für Zeitungen und Zeitschriften, Beobachtungen, bizarre Anekdoten und Ausflüge in den Wandel des Rechtsverständnisses. Inhaltlich behandelt der Autor immer wieder Kriminalfälle, unterschiedliche Bewertungen von Taten, heutige Wiedergänger des Nationalsozialismus, moralische und ethische Fragen, aber auch persönlichere Themen wie Depressionen, die Brüchigkeit des Alltags und das Festhalten an der äußeren Form, die kurzen Augenblicke des Glücks, die Macht des Erinnerns und den Versuch eines glückenden Lebens. Die Texte sind kurz und feuilletonhaft bunt bn 2019 / 2
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Romane, Erzählungen, Novellen
gemischt, teils aktuell, teils literarisch. Es gilt als das autobiographisch reichhaltigste Buch von Ferdinand von Schirach, hat einen melancholischen Unterton mit vielen Toten, viel Scheitern und viel Gewalt, aber auch konstruiert wirkende Zusammenstellungen von Geschichte mit Heutigem und banale Aussagen, wie dass das Leben kurz und die Menschen zu Gutem und Schlechtem fähig seien. Eher etwas für Fans. German Brandstötter
Schlie, Tania: Die Kirschen der Madame Richard
: Roman / Tania Schlie. - Hamburg : MIRA Taschenbuch, 2019. - 303 S. ISBN 978-3-7457-0017-6 kart. : ca. € 10,30
Ein Kirschgarten, eine späte Liebe und der steinige Weg zur Erfüllung eines Traumes. (DR) Die Hamburgerin Miriam erhält unverhofft eine große Erbschaft und entschließt sich, aus der grauen, nebel- und regenschweren Stadt in den Süden zu entfliehen. An der französischen Grenze zu Spanien entdeckt sie in einem winzigen Dorf nahe den Pyrenäen ein altes kleines Haus in einem blühenden Kirschgarten. Trunken von der Schönheit und der Ruhe dieses Anblickes entschließt sie sich kurzerhand, dieses romantisch anmutende Anwesen zu kaufen. All ihre Ersparnisse und auch die ganze Erbschaft kostet sie diese spontane Entscheidung. Miriam bricht die Brücken zu ihrem alten Leben ab und startet in eine neue, ungewisse Zukunft. Wird sie vom Ertrag des Kirschenhaines leben können? Nimmt sie die Dorfgemeinschaft auf und was ist mit dem gutaussehenden, aber eher übellaunigen Nachbarn? Viele Fragen, die beantwortet werden wollen. Tania Schlie erzählt eine flockig-leichte Frühlingsepisode, die für den belasteten Menschen ein wenig Erholung bedeuten kann. Weg von den Plagen des Daseins und hinein in eine wunderschöne, erträumenswerte Geschichte - um sich für eine Weile vom Getöse des Alltags zu lösen. Das Cover mit dem blütenverflochtenen Steinhaus und der einladenden Bank empfiehlt, sich niederzulassen und ein vielleicht etwas zu süßes, aber dennoch schmackhaftes Lesevergnügen zu genießen. Ilse Hübner 336
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Belletristik
Schmidt, Eva: Die untalentierte Lügnerin
: Roman / Eva Schmidt. - Salzburg ; Wien : Jung und Jung, 2019. - 207 S. ISBN 978-3-99027-230-5 fest geb. : ca. € 20,00
Lebenslange Suche nach Nähe. (DR) Maren, Anfang zwanzig, lebt seit vielen Jahren mit Mutter und Stiefvater in einem luxuriösen Haus am See. Nach abgebrochenem Schauspielstudium kehrt sie an ihren Heimatort, ins elterliche Haus, zurück. Als die Spannungen zwischen ihr und der Mutter, einer egozentrischen und erfolglosen Künstlerin, unerträglich werden, bietet ihr der Stiefvater an, seine Firmenwohnung zu nutzen. Maren entdeckt, dass der Stiefvater ein Doppelleben führte, die Mutter belog und sich heimlich mit Frauen traf. Die aufkeimenden Freundschaften zu Lisa, Max und Alex sind wie ein Lichtblick am sonst so düsteren Himmel, doch nur von kurzer Dauer. Der verzweifelte Versuch, erneut Kontakt zu den beiden Stiefbrüdern aufzubauen, um das Bedürfnis nach Nähe und Zugehörigkeit endlich zu stillen, scheitert. Erst mit der Arbeit in Thomas' Fotoatelier und der Übersiedlung in sein Haus scheint sich eine Wende in Marens Leben abzuzeichnen. Eva Schmidt, geboren 1952 in Vorarlberg, schreibt eindringliche Prosa, bietet mit Maren eine Figur, die ausreichend Identifikation ermöglicht. Ihr Roman "Ein langes Jahr" wurde 2016 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Eine Autorin, deren Erzählkunst den Lesenden nicht mehr loslässt. Allen Bibliotheken empfohlen! Cornelia Stahl
Simon, Christoph: Spaziergänger Zbinden
: Roman / Christoph Simon. - Zürich : Unionsverl., 2019. 188 S. ISBN 978-3-293-20827-8 kart. : ca. € 13,40
Berührende Erzählung über einen liebenswürdigen Greis, der sein Leben rekapituliert. (DR)
Belletristik
Lukas Zbinden ist hoch in den Achtzigern und lebt in einem Seniorenheim. Früher ein passionierter Spaziergänger, kann er sich nun nur noch bedächtig am Arm des Zivildienstleistenden Kazim wenige Meter durchs Heim bewegen. Doch der alte Mann ist weit davon entfernt, sich aufzugeben und verfügt immer noch über Lebensmut. Während er sich Meter für Meter vorwärts kämpft, erzählt er dem jungen Pfleger aus seinem Leben. Er erzählt von seiner nicht immer einfachen Arbeit als Lehrer, von seiner geliebten Frau Emilie, deren Tod ihn tieftraurig zurückgelassen hat und von der schwierigen Beziehung zu seinem einzigen Sohn. Und er gibt Einblick in seine Gedanken und Erkenntnisse, die ihn während seiner unzähligen Spaziergänge, die sein Leben geprägt haben, beschäftigten. Eine wunderschöne, tiefgründige und bewegende Erzählung über das Leben eines feinsinnigen Mannes mit viel Gespür für die Details des Alltags. Autor Christoph Simon verfügt über eine facettenreiche, poetische Sprache und gleichzeitig viel Wortwitz und versteht es, Emotionen und Atmosphäre zu vermitteln. Ein geistreiches Buch, das keine großen Höhepunkte benötigt, um seine Leserschaft zu faszinieren. Sehr empfehlenswert. Michaela Grames
Sloan, Robin: Der zauberhafte Sauerteig der Lois Clary
: Roman / Robin Sloan. Aus dem Amerikan. von Dietlind Falk. - München : Blessing, 2018. - 271 S. ISBN 978-3-89667-615-3 fest geb. : ca. € 20,60
Auf den Spuren eines geheimnisvollen Sauerteigansatzes. (DR) Lois Clary, eine junge Computerspezialistin für künstliche Intelligenz, arbeitet in einem ambitionierten Start-Up-Unternehmen in San Francisco und hat praktisch kein Privatleben. Sie ernährt sich von flüssiger Instantnahrung, bis sie auf den Lieferservice von Beoreg und Chaiman, mit ihrer Double-Spicey-Suppe und dem phänomenalem Brot, stößt. Als die beiden jungen Männer das Land verlassen müssen und Lois ihren Sauerteigansatz hinterlassen, soll dieser ihr Leben gewaltig auf den Kopf stellen. Mit dem daraus selbst gebackenen Brot wird die junge Frau überraschend erfolgreich und begibt sich (nicht nur
Romane, Erzählungen, Novellen
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essenstechnisch) auf vollkommen neue Wege. Der neue Roman von dem amerikanischen Autor ist nicht einfach zu verstehen. Er spricht über die Abwege der Nahrungsmittelindustrie und die Gegenbewegungen in der Welt der Kulinarik und des Genusses. Auch die Entwicklung hin zu Menschen, welche zwar hochkomplizierte Roboter produzieren, jedoch von den grundlegendsten Prozessen des Lebens keine Ahnung mehr haben, ist ein Thema. Im Entferntesten geht es auch um die Frage, wie man Kultur definieren kann und wie die Gesellschaft diese am besten zu schätzen lernt. Die Geschichte um den Sauerteig nimmt allerdings meiner Meinung nach einen etwas zu skurrilen Lauf. Der Sauerteig erhält eine Art Eigenleben und tritt derart in den Vordergrund, dass es fraglich ist, wie viele LeserInnen dies unterhaltsam oder spannend finden werden. Martina Mansoor
Słoniowska, Żanna: Das Licht der Frauen
: Roman / Żanna Słoniowska. Aus dem Poln. von Olaf Kühl. - Zürich : Kampa, 2018. - 271 S. ISBN 978-3-311-10003-4 fest geb. : ca. € 22,60
Vier Frauen aus vier Generationen vor dem Hintergrund der Geschichte von Lemberg. (DR) Vier Frauen wohnen in dem Haus mit dem berühmten Glasmosaik. Sie entstammen der gleichen Familie, sind Uroma, Mutter, Tochter und Enkelin. Das Zusammenleben ist nicht immer reibungsfrei, aber doch möglich. Die wechselhafte Geschichte der Stadt in der Westukraine, nahe der polnischen Grenze, hat diese vier Frauen sehr unterschiedlich geprägt. Die gewählte Erzählperspektive entspricht der Sicht der Enkelin. Eindrucksvoll wird die Vita aller vier Frauen erzählt. So verschieden sie auch sind, das verbindende Glied ist eine große musisch-künstlerische Begabung, die alle auszeichnet. Nur die Tochter konnte dieses Talent in ihrem Beruf als Sängerin an der Lemberger bn 2019 / 2
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Belletristik
Oper ausleben. Neben ihrem Beruf wurde sie auch politische Aktivistin im Kampf für eine unabhängige Ukraine. Bei einer dieser Kundgebungen fällt sie einem Attentat zum Opfer. Der damalige Liebhaber der Mutter, der sich in der Folge um die Enkelin kümmert, wird Jahre später der Liebhaber derselben. Der Liebhaber ist im Übrigen der einzige männliche Protagonist in dem Roman. Neben der Schilderung der politischen Situation in der multiethnischen Stadt, werden auch weitere große Themen der Literatur behandelt, wie z.B. Liebe, unglückliche Liebe, Religion und Neubeginn. Diese Vielzahl an unterschiedlichen Themen erklärt, warum der Roman phasenweise als zu dicht empfunden wird. Ein bisschen weniger hätte hier mehr bedeutet. Dennoch ein faszinierender Roman über eine Stadt, die nur knapp 800 km von Wien entfernt ist. Sehr zu empfehlen, besonders auch vor dem Hintergrund der aktuell geführten Diskussion über Mehrsprachigkeit. Ursula Pirker
als Slowene aus, denn "da denken die Leute an Skifahrer, nicht an Kriegsopfer". So erfahren wir langsam, was es heißt, als Geflüchteter in einem fremden Land zu leben und welche Demütigungen zu ertragen sind. Bald aber entdeckt der Autor die deutsche Romantik für sich und lernt Hölderlin, Eichendorff sowie eine junge Dame sehr schätzen: "In einer lauen Sommernacht in meinem zweiten deutschen Jahr habe ich dort mein Herz verloren an ein Mädchen mit rotem Haar, das mir versucht hat beizubringen, das Verb stehe in deutschen Relativsätzen immer am Satzende, was ich schon längst wusste, aber sie erklärte so schön." Fazit: Auch wenn Stanišić die erbärmliche Gegenwart nicht aus dem Blick verliert und präzise wiedergeben zu vermag, ist sein Wille zur Romantik und sein Hang zur poetischen Sprache doch stärker, sodass man "Herkunft" gerne freiwillig liest. Auch das sehr mangelhafte Lektorat vermag die Lesefreude kaum zu trüben. Simone Klein
Stanišić, Saša: Herkunft
Stift-Laube, Andrea: Schiff oder Schornstein
/ Saša Stanišić. - München : Luchterhand, 2019. - 355 S. ISBN 978-3-630-87473-9 fest geb. : ca. € 22,70
Ein neues Leben nach der Migration. (DR) Der 1978 im bosnischen in Visegrad geborene Saša Stanišić erzählt in seinem autobiografischen Roman, wie er als 14-Jähriger mit seiner Mutter aus seiner Heimat über Serbien, Ungarn und Kroatien flüchtete und schließlich 1992 in Heidelberg ankam gerade zu jener Zeit, als Neonazis das Rostocker Wohnheim anzündeten, in dem vietnamesische Arbeiter hausten. Kurz darauf begann Stanišić mit dem Sprachunterricht, bei dem er und andere Geflüchtete Zeitungsausschnitte über die Pogrome zu lesen bekamen: "Diesmal hatten das Wesentliche wohl alle begriffen. Diesmal waren wir gemeint." Stanišić wollte aber nicht gemeint sein. Darum gibt er sich fortan 338
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: Roman / Andrea Stift-Laube. - Wien : Kremayr & Scheriau, 2019. - 185 S. ISBN 978-3-218-01154-9 fest geb. : ca. € 19,90
Kreative Ideen gegen Klimawandel und Wachstumswahn. (DR) Zwei Schwestern wachsen getrennt voneinander auf. Die eine, Ila, am Land bei der Großmutter mit Schnecken, Katzen, Käfern und was da sonst noch alles im Garten herumschwirrt. Franzi, die andere Schwester, lebt in der Stadt. Als sie verschwindet, begibt sich Ila sogleich auf die Suche, trifft auf den Umweltaktivisten Konstantin, der mit Franzi in einer WG wohnte und bis über beide Ohren in sie verknallt ist. Um ihrer Trauer zu entfliehen, gründen die beiden ein Kunstprojekt: einen Onlineversand mit Katzenfleisch. Andrea Stift-Laube zeichnet humorvoll und sarkastisch Figuren, die sich dem Wachstumswahn mit unkonventionellen Mitteln widersetzen. Sie thematisiert in lockerem Stil und in skurrilen Szenen Probleme des Klimawandels und der Wachstums- bzw. Postwachstumsgesellschaft, weiß ihre Leser_innen zu fesseln ohne dabei mit dem pädagogischen Zeigefinger zu agieren oder Probleme zu verniedlichen.
Belletristik
Andrea Stift-Laube, geboren 1976 in der Steiermark, erhielt zahlreiche Literaturpreise, z.B. den Theodor-Körner-Preis. Als Artist in Residence war sie in Lettland und Kroatien zu Gast. Insbesondere jungen Leser_innen empfohlen! Cornelia Stahl
Strout, Elizabeth: Alles ist möglich
: Roman / Elizabeth Strout. Aus dem Amerikan. von Sabine Roth. - München : Luchterhand, 2018. - 249 S. ISBN 978-3-630-87528-6 fest geb. : ca. € 20,60
Amerikanische Kleinstadtgeschichten mit tragikomischem Tiefgang. (DR) Schauplatz des Romans ist die amerikanische Kleinstadt Amgash im Bundesstaat Illinois. Es ist eine Welt zwischen Maisfeldern, Sojabohnenanbau und Windparks, in dem ein genügsamer, schweigsamer, in sich gekehrter Menschenschlag lebt, dessen Wortkargheit sich in einfacher Sprache manifestiert. In "Short Cuts", in neun kunstvoll miteinander verbundenen Erzählungen, entsteht ein aktuelles Soziogramm von Menschen zwischen fünfzig und achtzig: Der Erzählreigen beginnt mit dem erfolgreichen Farmer Tommy, der durch einen verheerenden Brand alles verliert und als Hausmeister in einer Schule eine neue Existenz findet. Er hilft dem ehemaligen Nachbarskind Lucy, die mit ihren Geschwistern in der Familie bitterste Armut, Inzest und Brandstiftung erlebt, aber später als Autorin einen Weg in ein selbstbestimmtes, freies Leben findet. Andere, wie Patty, Linda, Charlie, Mary, Pete und Dottie, leben den typischen Provinzalltag, bestimmt von Angst, Hoffnung, Sehnsucht und jenem kleinen Glück, das in der Gewissheit liegt, dass für jeden irgendwie doch "alles möglich ist". Der Erzählkreis schließt mit dem wohlhabenden Abel, einem Cousin von Lucy, dessen Enkelin bei einer Aufführung von Dickens' Weihnachtsklassiker ihr geliebtes Plastikpony verliert. Abel kehrt spät in der Nacht ins Theater zurück, um das
Romane, Erzählungen, Novellen
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Spielzeug zu holen. In der Begegnung mit dem verwahrlosten Darsteller des perfiden Geizhalses Scrooge erlebt der gesundheitlich angeschlagene Abel im Zeitraffer den düsteren, schuldbeladenen, doch nie hoffnungslosen Beziehungsreigen seiner Generation. Ein sprachlich und gedanklich beeindruckender Roman mit Alltagsgeschichten von Menschen einer amerikanischen Kleinstadt, die allgemeingültig die unendliche Vielfalt des Lebens beschreiben und gleichzeitig ein gesellschaftlichpolitisches Psychogramm nicht nur in Trumps Amerika skizzieren. Eine vielschichtige Lektüre mit Mehrwert. Jutta Kleedorfer
Swobodnik, Sobo: Alles ist anders
: Roman / Sobo Swobodnik. - Stuttgart : Tropen, 2019. - 395 S. ISBN 978-3-608-50416-3 fest geb. : ca. € 22,70
Zunehmend absurde Reise einer schrillen Großmutter mit ihren zwei Enkeln von Schwaben nach Estland. (DR) Magnus hat sein Studium abgebrochen, hält sich als Kameraassistent und Fahrradkurier so recht und schlecht über Wasser und hat - als notorischer Erotomane - aktuell die reiche, mit einem hochrangigen Politiker verheiratete Galeristin Liane als Geliebte. Seine Großmutter Terese lebt in einem Stuttgarter Altersheim. Sie möchte das Grab ihres 1944 in Estland gefallenen Mannes besuchen und bittet Magnus, sie dort hinzufahren. Mit Lianes teurem Audi holt der lebensuntüchtige, verkiffte Enkel seine Oma aus dem Heim ab und los geht die Fahrt Richtung Norden. Zuvor aber wird noch der vermeintliche Großcousin Landolf aus dem Kloster geholt. Er soll das verrückte Trio komplettieren. Die Reise zum Soldatenfriedhof im estnischen Narva entpuppt sich als immer absurder werdender Trip, in dessen Verlauf sich viele prägende Begegnungen ereignen und alte Familiengeheimnisse aufgedeckt werden. Das Handlungsgerüst enthält neben Passagen in Ich-Form (Landolf erzählt von seiner Vergangenheit als RAF-Mitglied und seinem Untertauchen in einem Kloster, Magnus von seiner Kindheit in der BRD und DDR und seinem verkorksten Gefühlsleben) auch Kapitel in auktorialer Erzählweise. Dazwischen eingeschoben sind die erschütternden bn 2019 / 2
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Feldpostbriefe des Soldaten Anton aus Estland an seine Frau Terese und das gemeinsame Baby Johanna in Schwaben. In einer einfachen Sprache wird der Zeitraum vom Kriegsende bis zur Gegenwart anhand von drei Generationen einer Familie abgetastet und als plastischer, durchaus spannender Roadmovie dargeboten. Maria Schmuckermair
Tallent, Gabriel: Mein Ein und Alles
: Roman / Gabriel Tallent. Aus dem Amerikan. von Stephan Kleiner. - München : Penguin-Verl., 2018. - 480 S. ISBN 978-3-328-60028-2 fest geb. : ca. € 24,70
Die erschütternde Leidensgeschichte eines Mädchens, das seinem Vater - einem gewalttätigen Peiniger ausgeliefert ist. (ab 14) (DR) Die 14-jährige Julia Alveston, genannt "Turtle", wächst abgeschieden bei ihrem Vater in den nordkalifornischen Wäldern auf. Außer ihm und ihrem Großvater hat sie kaum soziale Kontakte, obwohl sie - um das Jugendamt nicht aufmerksam zu machen - die Schule besuchen muss. Ihr Vater Martin erzieht sie mit unmenschlicher Härte. Er glaubt, sie damit auf das drohende Weltende vorbereiten zu müssen. Obwohl Martin seine Liebe zu Turtle immer wieder beteuert, sind emotionale und physische Misshandlungen an der Tagesordnung. Nur bei ihren langen Streifzügen durch die Wälder gelingt es dem Mädchen, ein bisschen Abstand von ihrem besitzergreifenden Vater zu gewinnen. Bei einem dieser Spaziergänge lernt sie Jacob kennen, einen Jungen, der ihr zeigt, dass es auch ein menschliches Miteinander gibt, das auf Freundschaft und Liebe basiert. Turtle beginnt, sich von ihrem Vater abzuwenden, doch das führt zu einer inneren Zerrissenheit, die für das Mädchen existenzbedrohend wird. Dieses Buch kann niemand unberührt lassen. Es ist ein aufwühlendes Leseerlebnis, das nach der letzten Seite noch lange nachklingt. Jedem Bestand zu empfehlen! Sophie Preßl 340
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Belletristik
Taneja, Preti: Wir, die wir jung sind : Roman / Preti Taneja. Aus dem Engl. von Claudia Wenner. - München : C.H.Beck, 2019. - 628 S. ISBN 978-3-406-73447-2 fest geb. : ca. € 26,80
Opulent angerichtete King Lear-Adaption im zeitgenössischen Indien. Tragödie um das Erbe eines Industriemoguls mit drei Töchtern. (DR) Neudeutungen europäischer Literaturklassiker in einer globalisierten Welt haben Saison im britischen Literaturbetrieb. Nach der EuripidesBearbeitung "Hausbrand" von Kamila Shamsie verlegt Preti Taneja Shakespeares King Lear in das Indien des Jahres 2012. Gleich vorweg: Der Übersetzerin Claudia Wenner ist hoher Respekt zu zollen, denn das umfangreiche Werk ist zwar aus dem Englischen übersetzt, enthält aber zahlreiche Einschübe in Hindi und pausenlos Fachausdrücke aus der indischen Alltagskultur - von den Speisen über Mode bis zur Film- und Medienwelt. Wenners Glossar und Nachwort sind unersetzlich für eine gewinnbringende Lektüre. Der alte Devraj führt seine "Company" wie es einem ehemaligen Maharadscha gebührt, auch wenn er allgemein "Bapuji", also Väterchen, genannt wird. Seine drei Töchter bringen sich in das Unternehmen auf unterschiedliche Weise ein. Daneben gibt es den Berater und Freund Ranjit Singh, dessen unehelicher Sohn Jevan gerade aus den USA zurückkehrt, sowie seinen ehelichen Sohn Jeet. Der jungen Generation, die die Macht im Firmenimperium übernehmen soll/will, ist Person für Person ein langes Kapitel des Romans gewidmet - aus der jeweiligen Sicht. Der alte Chef darf dazwischen wirre Erinnerungen und Geschichten erzählen. Die Figur des Narren, die in King Lear sehr prominent ist, kommt wohl der alten Großmutter zu, eine Maharani, die vieles im Leben gesehen hat und die weiß, was es bedeutet, zu herrschen und beherrscht zu werden. Die Konzentration auf die einzelnen Figuren macht deren Sicht sehr plastisch, nimmt der Geschichte aber das Tempo, sodass Leser_innen neben Interesse für indische Kultur auch viel Geduld mitbringen müssen. Erst nach gut 200 Seiten erkennt man die King-Lear-Dramaturgie deutlich. Dann wird es aber spannend und der Showdown in Kaschmir wirkt vergleichsweise überstürzt.
Belletristik
Romane, Erzählungen, Novellen
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Preti Taneja zeigt, dass der Kampf um Macht und Einfluss in einem vom Wirtschaftsboom trunkenen Imperium eine Generationenfrage und eine Frage der Geschlechterrollen ist. Ihr Buch stellt aktuelle politische Themen Indiens, wie Korruption, das Erstarken eines frauenfeindlichen Hindu-Populismus, aber auch soziale und ökologische Reformvorhaben in den Kontext von gerechter Machtverteilung. Dass alles in einer Tragödie endet, ist nicht nur der Vorlage geschuldet. Josef Mitschan
dem Angriff von Orks, Drachen und Balrogs zu warnen. Christopher Tolkien, der hochbetagte Sohn von J. R. R. Tolkien, konnte nach "Die Kinder Húrins" und "Beren und Lúthien" mit "Der Fall von Gondolin" nun den abschließenden Teil der Trilogie aus dem ersten Zeitalter vorlegen. Neben den verschiedenen Versionen, die Tolkien ab 1916 unter dem Eindruck seiner Erlebnisse im Ersten Weltkrieg schuf, versammelt diese Ausgabe Briefe und Kommentare und ermöglicht damit eine Forschungsreise in das Entstehen der Geschichte. Ohne Vorwissen nicht für alle Leser_innen geeignet, aber unentbehrlich für hartgesottene Tolkien Fans, die dem Werk genau auf den Grund gehen möchten, und für Liebhaber_innen der fantastischen Bilderwelt von Alan Lee. Doris Schrötter
Tolkien, J. R. R.: Der Fall von Gondolin
Tuomainen, Antti: Palm Beach, Finland
Der verzweifelte Kampf um die geheimnisvolle Elbenstadt Gondolin - Abschluss der Mittelerde-Trilogie aus dem ersten Zeitalter. (DR)
Um seine Ferienanlage zu einem Erfolg zu machen, schreckt der Besitzer vor nichts zurück und bringt damit nicht nur seine Angestellten, sondern auch sich selbst in Gefahr. (DR)
/ J. R. R. Tolkien. Hrsg. von Christopher Tolkien. Ill. Von Alan Lee. Aus dem Engl. von Helmut W. Pesch. - Stuttgart : Klett-Cotta, 2018. - 351 S. : Ill. (farb.) - (Hobbit Presse) ISBN 978-3-608-96378-6 fest geb. : ca. € 22,70
Schon beim Betrachten der wunderschönen Illustrationen von Alan Lee kommt "Herr der Ringe" Feeling auf - Drachen, Krieger, Elben in epischen Landschaften. Tolkien-Fans kennen die Geschichte bereits aus dem Silmarillion, dem großen Mythenband, der vom ersten Zeitalter der vom Oxford-Professor J. R. R. Tolkien erfundenen Fantasywelt Mittelerde erzählt. Die Geschichten rund um die unsterblichen Elben bilden das komplex ausgearbeitete Fundament zu den bekannten Büchern Tolkiens, dem "Hobbit" und "Der Herr der Ringe". Es werden ihre Wanderungen durch die Wälder, Berge und Auen der neu erschaffenen Welt und ihre schon bald beginnenden Kämpfe an der Seite der Menschen gegen das immer wieder aufkeimende Böse - hier in Gestalt des unheimlichen Morgoth - beschrieben. Mit einem Tarnmantel ausgestattet und auf Rat des Schöpfers Ulmo macht sich der junge Mensch Tuor auf den Weg in die verborgene Elbenstadt Gondolin, um König und Bewohner vor
: Roman / Antti Tuomainen. Aus dem Finn. von Niina Katariina Wagner und Jan Costin Wagner. - Reinbek : Rowohlt, 2019. - 364 S. - (Hundert Augen) ISBN 978-3-498-06556-0 fest geb. : ca. € 20,60
Der Geschäftsmann Jorma Leivo hat sich einen Traum verwirklicht und das schlichte Urlaubsresort Kähärä in das schicke Palm Beach Finland verwandelt. Die frisch gestrichenen Strandhäuschen, das Restaurant und der Surfbrett-Verleih warten nur noch auf Gäste. Doch diese müssen erst gewonnen werden, das raue nordische Klima lässt die in Aussicht gestellten Badefreuden zumindest zweifelhaft erscheinen. Und so hat Leivos Personal vorerst wenig zu tun. Chico, der Rettungsschwimmer, der Koch Robin und die Surflehrerin Olivia sind froh, einen Job gefunden zu haben, denn sie alle befinden sich in einer misslichen finanziellen Lage. Olivia träumt davon, ihre baufällige Villa zu renovieren. Diese steht auf einer reizvollen Halbinsel, die direkt an Palm Beach Finland grenzt und Leivo in die Augen gestochen ist. Er macht Olivia ein Kaufangebot, das sie ausschlägt. Nun verfällt er auf einen fiesen Plan: Er stellt Chico und Robin einen Zusatzverdienst in Aussicht, wenn sie es schaffen, bn 2019 / 2
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Romane, Erzählungen, Novellen
Olivia durch gezielte Schikanen das Leben in ihrem Haus zu verleiden. Doch gleich der erste Coup schlägt gewaltig fehl. Chico und Robin werfen Steine in ein Fenster der Villa, woraufhin sie einen Wehlaut vernehmen. Als sie ins Haus schleichen, wird ihnen mit voller Wucht ein Mixer entgegengeschleudert. In dem nun folgenden Handgemenge passiert ein Unfall und sie meinen schon, Olivia das Genick gebrochen zu haben. Doch es ist nicht Olivia, sondern ein unbekannter Mann. Die Aufklärung des mysteriösen Falles gestaltet sich schwierig. Ein verdeckter Ermittler, Jan Nyman, wird zugezogen. Als vermeintlicher Mathematiklehrer mietet er sich in Palm Beach Finland ein und nimmt Surfunterricht bei Olivia, die er einerseits als Verdächtige betrachtet, andererseits aber unheimlich anziehend findet. In dem Katz-und-Maus-Spiel, das nun beginnt, verdächtigt jeder jeden und richtig ernst wird es, als "echte" Kriminelle auf den Plan treten. Der Krimi ist spannend, unheimlich komisch und hat einen ganz eigenen Charme. Der Autor lässt nicht einen Gag auf den anderen folgen, was die witzigen Passagen umso mehr zur Geltung bringt. Sehr sympathisch ist auch die liebevolle, nicht idealisierende Zeichnung der Figuren. Wer weder Fan blutrünstiger Thriller noch verblödeter Provinzkrimis ist, findet in Palm Beach Finland eine wunderbare Alternative. Ingrid Kainzner
Turjman, Jad: Wenn der Jasmin auswandert
: die Geschichte meiner Flucht / Jad Turjman. [Mit einem Vorwort von Karim El-Gawhary]. - St. Pölten : Residenz-Verl., 2019. - 254 S. ISBN 978-3-7017-3480-1 fest geb. : ca. € 22,00
Ein junger Syrer beschreibt die Geschichte seiner Flucht aus seiner heißgeliebten Heimatstadt Damaskus und die eher zufällige Ankunft in Österreich. (DR) Jad Turjman, geboren 1989, arbeitet im Jahr 2014 bei der Stadtverwaltung Damaskus und ist hier für die Organisation von neuen Wohnungen für Bewohner_innen, die durch den Krieg ihre Wohnung verloren haben, verantwortlich. Er hat schon einiges hinter sich, eine Entführung durch die islamistische Al-Nusra-Front, die er - im Gegensatz zu seinen alevitischen Zellenkollegen - mit viel Glück, aber von Folter gezeichnet überlebt. Auch erhält er Einblicke in die Foltertätigkeit der syrischen Regierung, als er plötzlich, trotz bereits 342
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Belletristik
in Friedenszeiten absolvierten Militärdiensts, seinen Einberufungsbefehl erhält. Angesichts dieser Tatsache, die einem Todesurteil gleichkommt und seinem Gewissen widerspricht, muss er innerhalb von wenigen Tagen seine Flucht organisieren. Beeindruckend wird geschildert, wie seine Familie die nötigen Gelder und einen - wie sich später herausstellt - sehr unverlässlichen Schlepper auftreibt, wie ihn der Abschied von seiner Freundin und der geliebten Nichte bis ins Mark erschüttert und wie er immer wieder, beginnend mit der fast misslungenen Ausreise aus Syrien in den Libanon, aufgeben und zurückkehren möchte. Auf dem abenteuerlichen Weg mit der gefährlichen Überfahrt von der Türkei nach Griechenland, den mehrmaligen vergeblichen Versuchen, vom Flughafen Athen nach Schweden zu fliegen, der von ihm professionell mit Hilfe von Google-Earth organisierten Flucht durch Nordmazedonien und dem Spießrutenlauf auf dem Budapester Bahnhof in den Zug nach Österreich sowie dem unvorhergesehenen Ende seiner Flucht an der DeutschÖsterreichischen Grenze begegnen ihm insgesamt fünf "Schutzengel", die ihm weiterhelfen, der fünfte bezeichnenderweise der Polizist, der ihn am Überfahren der Grenze nach Deutschland hindert. Tjurman lebt seit 2015 in Salzburg, wo er für die Jugendorganisation "Akzente" im Projekt "Heroes", das sich durch präventive Männerarbeit im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen auszeichnet, mitarbeitet und fühlt sich in seiner neuen Heimat nicht zuletzt durch weitere "Schutzengel" voll integriert. Ein Tatsachenroman, der viele Fragen zu Flucht und Migration aus der Eigensicht eines WiderWillen-Flüchtenden in neuem Licht erscheinen lassen kann (nachdenklich machte mich hier unter anderem, dass Turjman von drei Botschaften in Athen die illegale Flucht unter der Hand empfohlen wurde, da er mit der angefragten legalen Einreise kaum Chancen habe). Sehr zu empfehlen. Monika Roth
Belletristik
Vigan, Delphine de: Loyalitäten
: Roman / Delphine de Vigan. Aus dem Franz. von Doris Heinemann. - 2 - Köln : DuMont Buchverl., 2018. - 173 S. ISBN 978-3-8321-8359-2 fest geb. : ca. € 20,60
Die Einsamkeit im Alkohol ertränkt. (DR)
Romane, Erzählungen, Novellen
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Vorstadt, Suburbia, 8 Uhr früh: Frances holt die Kinder der halben Nachbarschaft ab und bringt sie zur Schule und in den Kindergarten. Sie ist die gute Seele der Nachbarschaft, derzeit Hausfrau und Mutter. Sie regelt viel und fängt alle einmal auf. Eines Tages vergisst die Nachbarstochter ihre Bastelmaterialien und Frances holt sie bei ihrer Freundin ab. Doch da ertappt sie ihre Freundin Anne in unmissverständlicher Pose mit einem jüngeren Mann, der eindeutig nicht ihr Ehemann ist. Und ab hier beginnt die Nachbarschaft mit all ihren Beziehungen zu schwanken: Geheimnisse fliegen auf, ein lesbisches Paar ringt um Kinder und Karriere, Freunde sind gekränkt. Dazu kommen noch ein beleidigter Ehemann und auch ein ehemaliger Liebhaber, der um seine Geliebte trauert. Ein buntes Panoptikum an Personen, die allesamt den Status quo aufrechterhalten möchten, bis dann doch manches zu wackeln beginnt und Neues beginnen darf. Das Buch unterhält, wenn auch mit moralischen (typisch amerikanischen) Tendenzen, setzt sich mit allerlei Beziehungen auseinander und mit den Fragen nach dem, was diese erhalten oder zerstören kann. Angela Zemanek-Hackl
De Vigan skizziert im Roman "Loyalitäten" Missstände zwischenmenschlicher Beziehungen. Da ist zunächst Théo, der als Scheidungskind wöchentlich zwischen den Eltern pendelt, sich von der Mutter die Hassparolen anhören muss, die den Vater betreffen und ihn gleichermaßen verletzen. Die Wunden wollen nicht heilen. Zum Glück gibt es Mathis, mit dem Théo Freizeit und Wodka teilt. "Es ist eine Wärmequelle, (.) weiß, brennend, versengend und schmerzlich und tröstlich zugleich (S.11), beschreibt er die Wirkung des Alkohols auf seinen Körper. Seine Lehrerin Hélène, selbst traumatisiert, beobachtet Théo, macht sich Sorgen um ihn, doch auch von Mathis erfährt sie nichts. Der Freund bleibt loyal, Whitehouse, David: Der Blumensammler verrät nichts. / David Whitehouse. Aus dem Engl. von Dorothee Merkel. De Vigan fragt indirekt nach Grenzen von Lo- 2 - Stuttgart : Tropen, 2018. - 345 S. yalität, fordert dazu auf, im eigenen Umfeld ge- ISBN 978-3-608-50373-9 fest geb. : ca. € 20,60 nauer hinzuschauen, Schweigen und Schönfärberei zu vermeiden. Ihr gelingt eine eindringliche Die seltensten Blumen der Welt befinden sich an Figurenzeichnung. In knappen Sätzen erschafft exotischen Plätzen, die wir gemeinsam mit dem ruhigen, liebenswürdigen Peter Manyweathers aufsusie eine bedrückende Melancholie, die der/dem chen. Dabei erleben wir die variantenreiche Liebe zu Leser_in mitunter den Atem nimmt. Blumen und Menschen. (DR) Delphine de Vigan, geboren 1966, lebt in Paris, veröffentlichte 2017 ihr Debüt "Tage ohne Hun- Peter Manyweather reinigt Wohnungen, in denen ger". Zuvor, 2015, erhielt sie den "Prix Renandot". jemand verstorben ist und liebt es, in botanischen Erwachsenen und Jugendlichen empfohlen! Büchern zu lesen. Er findet 1983 in der New Yorker Bibliothek einen wunderschönen Liebesbrief, Cornelia Stahl in denen die sechs seltensten Blumen der Welt erwähnt werden. Von da an ist es sein Ziel, jede einzelne davon zu finden, um diese Wunder der Waxman, Abbi: Vorstadtgeflüster Botanik mit eigenen Augen zu sehen. : Roman / Abbi Waxman. Aus dem Engl. von Gertrud WitIn unterschiedlichen Erzählsträngen, die zeitlich tich. - Reinbek : Rowohlt Taschenbuch Verl., 2018. - 414 S. auseinander liegen, begegnen wir auch dem jun- (rororo ; 27596) gen Dove, der seine leiblichen Eltern nie kennen ISBN 978-3-499-27596-8 kart. : ca. € 10,30 gelernt hat. Eine Mischung aus "Vorstadtweiber" und "Desperates An anderer Stelle spielt Professor Cole eine RolHousewives" begegnet uns in diesem Buch. (DR) le, der einen Flugschreiber in einem Walmagen bn 2019 / 2
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gefunden hat, der jahrzehntelang verschollen war. Er gibt Pressekonferenzen, denn seine Rettung und die des Flugschreibers waren dramatisch. Dove leidet manchmal unter unerklärlichen Kopfschmerzen, die vielleicht mit seiner bewegten Kindheit zusammenhängen. Er weiß nichts mehr, doch die Adoptiveltern haben ihm viel Ruhe und Liebe geschenkt. So besucht er auch eines Tages einen betagten Mann. Der Mann redet seit Jahren nichts. Er schaut nur in den Garten... Abwechselnd werden die drei Erzählstränge miteinander verbunden. Immer wieder begleiten wir Peter Manyweathers gefährliche Reise durch die Länder und Kontinente. So stürzt er auf der Suche nach der GibraltarLichtnelke fast in den Abgrund. Ein anderes Mal kann ihn eine schöne sanfte Frau gerade noch aus den Stacheln und Dornen der "Schaf fressenden Pflanze" retten. "Der Blumensammler" handelt vom Suchen, Finden, sich Erinnern und Gefundenwerden. Poetisch, etwas melancholisch, mit fein ausgearbeiteten Charakteren leuchtet der Autor in Sehnsüchte und Urgründe von Liebe, Einsamkeit und Trost. Der Roman ist anfangs wie eine verschlossene Blume, die sich nicht so einfach öffnet, doch bis zum Ende blüht die Geschichte in voller Pracht! Eine Empfehlung. Angela Zemanek-Hackl
Wiegele, Ursula: Was Augen hat und Ohren : Roman / Ursula Wiegele. - Salzburg : Otto Müller Verlag, 2019. - 208 S. ISBN 978-3-7013-1266-5 fest geb. : ca. € 22,00
Belletristik
jedoch in die Fänge von Traian Voicu. Dieser, ein ehemaliges Mitglied der Securitate, hat sich den Umsturz von 1989 zunutze machen können und ist reich geworden. Da Bogdan Schulden hat sowie Alimente für zwei Kinder zahlen muss, willigt er mehr oder weniger freiwillig ein, die Aufträge dieses zwielichtigen Mannes auszuführen. Er muss in dessen privatem Fernsehsender drittklassige TV-Shows moderieren und in seltsamen Filmen mitwirken, einmal sogar als Hund halbnackt an der Leine einer Schauspielerin auf allen Vieren kriechen. Er wird kreuz und quer durch Italien geschickt und erhält die Regieanweisungen erst kurz vor dem Auftritt übermittelt. Dafür bekommt er eine nicht gerade üppige Gage und Logis in schäbigen Hotelzimmern. Außerdem beunruhigen ihn merkwürdige Zwischenfälle. Er ist überzeugt, dass versteckte Kameras seine Schritte überwachen. Vollends verwirrend ist die Begegnung mit einer jungen Frau, die ihn nicht nur frappierend an seine Jugendliebe erinnert, sondern die auch Kenntnisse über ihn hat, die nicht zu erklären sind. Hat Voicu, außer dem Vorteil einen begabten und billigen Schauspieler zur Verfügung zu haben, noch einen anderen Grund, aus dem er Bogdan benutzt? Seine oft sadistischen Inszenierungen deuten darauf hin. Doch vielleicht gelingt es Bogdan, sich aus diesem Netz zu befreien... Die Autorin erzählt die Geschichte eines Menschen, der das Pech hatte, in einer Diktatur aufzuwachsen, deren Strukturen auch lange nach ihrem Zusammenbruch fortwirken. Menschen werden ausgebeutet und versklavt, ganz einfach, weil es die Gelegenheit dazu gibt. Und dazu bedarf es gar nicht mehr einer Ideologie sondern es genügt eine Mafia, die das Kapital und die Beziehungen hat. Ein kluges Buch und ein Appell, das hohe Gut der Freiheit zu verteidigen. Sehr zu empfehlen. Ingrid Kainzner
Ein nach Italien geflohener Rumäne wird von einem Mitarbeiter des Geheimdienstes viele Jahre später aufgespürt und gezwungen, seine Aufträge auszuführen. (DR)
Wolff, Lina: Die polyglotten Liebhaber
Bogdan Marinescu, ein regimekritischer rumänischer Schauspieler, ist Ende 1980 nach Italien geflohen. Fünfundzwanzig Jahre später gerät er
Ein Roman über das Scheitern von Beziehungen zwischen Mann und Frau sowie einem überraschenden Neubeginn. (DR)
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: Roman / Lina Wolff. Aus dem Schwed. von Stefan Pluschkat. - Hamburg : Hoffmann und Campe, 2018. - 282 S. ISBN 978-3-455-00143-3 fest geb. : ca. € 22,70
Belletristik
Der vorliegende zweite Roman der schwedischen Schriftstellerin Lina Wolff wurde in ihrem Heimatland mit dem begehrte "Augustpris" ausgezeichnet, was bei der Lektüre nicht erstaunt. Zwar wird auf dem Klappentext der im Hofmann und Campe Verlag erschienenen deutschen Fassung empfohlen, den Roman langsam zu lesen, um die Verzauberung länger zu spüren, das ist mir zumindest nicht gelungen. Zu sehr hat mich dieses Buch gefesselt. Wolff beschreibt in ihrem Roman das Scheitern von Beziehungen unter dem Einsatz von Gewalt und Rache, den Verrat und Machtmissbrauch in Liebesbeziehungen und die dennoch immer wieder neu begonnene Suche nach wirklicher Kommunikation und Nähe zwischen Mann und Frau. Die Kapitel sind nach den drei Hauptfiguren Ellinor, einer einfachen Frau aus Südschweden, Max, einem bekannten schwedischen Schriftsteller, und Lucrezia, einer jungen, ehemals reichen und nunmehr verarmten Italienerin aus adeligem Hause, benannt. Die 36-jährige Ellinor hat von ihrem Jugendfreund gelernt, sich zu prügeln. Ein Hobby, das sie lange ausübt und das ihr mit der damit verbundenen Abhärtung den nötigen Selbststand verleiht, die zeitweise gewalttätige Romanhandlung durchzustehen. Es wird wohl die Einsamkeit sein (auch wenn sich das aus Ellinors kühler Sprache nicht sofort erschließt), die sie in die Beziehung zum Stockholmer Literaturkritiker Calisto, Liebhaber der Bücher von Michel Houellebecqs, treibt. Eine Beziehung, die mit einem äußerst gewalttätigen ersten Sexualkontakt beginnt. Um sich zu rächen (und um Schlimmeres zu verhindern, sie wäre durchaus imstande, den Kritiker zu töten), verbrennt Ellinor das stark riechende Manuskript auf Calistos Schreibtisch mit dem Namen "Die polyglotten Liebhaber". Ein mit der Schreibmaschine geschriebenes Einzelexemplar, das ihm der Schriftsteller Max Lamas anvertraut hat. Wider Erwarten entwickelt sich eine Form von Beziehung zwischen Ellinor und Calisto, von der ihr Calistos Ex-Frau, die blinde
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Mildred, unter Hinweis auf sein aus einer früheren Beziehung gebrochenes Herz, abrät. Mildred wiederum ist die Expertin für paranormale Phänomene, also das Medium, dem sich Max Lamas anvertraut. Max, der in dem ihm zugeordneten Kapitel in schöner, klingender Sprache die Sehnsucht nach einer polyglotten Liebhaberin, die alle seine Sprachen spricht, die Entfremdung von seiner Gattin, den Machtmissbrauch gegenüber einer kurzfristigen, unattraktiven Liebhaberin und die Flucht vor deren Fluch nach Italien beschreibt. Im dritten Kapitel schließlich wird die/ der Leser_in in die sonderbare, aus der Zeit gefallene Kindheit und Jugend der mittlerweile verarmten Lucrezia entführt. In das Haus ihrer Großmutter, der Marchesa Latini, bricht Max ein, beginnt eine Liebesbeziehung mit der über 80-jährigen und verfasst das Manuskript "Die polyglotten Liebhaber", das von der psychisch labilen Tochter der Marchesa, Lucrezias Mutter, in einem spektakulären Racheakt als Urinierunterlage verwendet wird. Ein Roman, voll von Leben und ungewöhnlichen Charakteren, deren Grausamkeit, aber auch ihre Sehnsucht nach Liebe packend geschildert wird, mit einem phantastisch anmutenden, fragil wirkenden Neubeginn als Ende. Sehr empfehlenswert. Monika Roth
Wolitzer, Meg: Das weibliche Prinzip
: Roman / Meg Wolitzer. Aus dem Engl. von Henning Ahrens. - 3 - Köln : DuMont Buchverl., 2018. - 494 S. ISBN 978-3-8321-9898-5 fest geb. : ca. € 24,70
Ein Roman über die Macht der Frauen in der Millennial-Generation. (DR) Die schüchterne, aber ehrgeizige Protagonistin Greer Kadetsky aus Massachusetts hat kaum am Durchschnitts-College in Ryland zu studieren begonnen, als sie auf einer Campus-Party sexuell belästigt wird. An dieser Hochschule ist sie gelandet, weil ihre Eltern zu viel gekifft haben, um das Anmeldeformular für Yale richtig auszufüllen. Greers Freund Cory hingebn 2019 / 2
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gen studiert in Princeton. Bald trifft Greer am Campus auf eine Altfeministin namens Faith Frank, die stark an Gloria Steinem erinnert und in Greer das feministische Feuer entfacht. Nicht zuletzt, weil Faith ihr nach ihrem Studium eine Stelle in ihrer Stiftung anbietet und Greer dort bald sehr erfolgreich wird, unter anderem indem sie eine Karriere ihrer College-Freundin Zee verhindert. Somit dreht sich der Roman - etwas langatmig auf knapp 500 Seiten - letztlich um die Frage, ob eine Frau der Millennial-Generation noch immer männliche Strategien übernehmen muss, um mächtig und erfolgreich zu sein. Eher implizit handelt er auch von der (amerikanischen) Frauenbewegung der letzten Jahrzehnte. Die wenig einfühlsame und vor Floskeln strotzende Übersetzung erleichtert die Lektüre nicht gerade, wenn Menschen "wie aus dem Ei gepellt" bald "eine Fliege machen" oder sich zumindest "verkrümeln", es sei denn, es ist gerade "alles in Butter". Die solcherart seichte Sprache weist damit ausgerechnet jene Attribute auf, die man unter dem Schlagwort "Frauenliteratur" subsumiert. Es empfiehlt sich, das Buch in der englischen Originalsprache lesen! Simone Klein
Wray, John: Gotteskind
: Roman / John Wray. Aus dem Engl. von Bernhard Robben. - Reinbek : Rowohlt, 2019. - 343 S. ISBN 978-3-498-07394-7 fest geb. : ca. € 23,70
Eine junge Amerikanerin reist nach Pakistan, um den Islam zu studieren und wird von den Mudschaheddin als Kämpfer angeworben. (DR) Die 18-jährige Aden Sawyer ist vom Islam fasziniert und beschließt nach Pakistan zu reisen, um dort in einer Medrese den Koran zu studieren. Diesen Plan kann sie nur in die Tat umsetzen, wenn sie sich als Junge präsentiert. Also rasiert sie ihren Kopf, trainiert die Stimme auf eine tiefere Tonlage und schlüpft in Männerkleidung. Zur Seite steht ihr ein Freund mit pakistanischen Wurzeln. Die beiden schaffen es, in einer Koranschule aufgenommen zu werden. Als Bruder Suleyman macht Aden rasche Fortschritte und beeindruckt mit Inbrunst und Eifer. Gefährlich wird es, als sie in die Kreise der Mudschaheddin gerät. Sie durchläuft das harte Ausbildungstraining zum Kämpfer und wird bewundert, aber auch misstrauisch beäugt. Schließlich kommt es 346
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zu Einsätzen, in denen sie beweisen muss, dass sie hundertprozentig hinter der Sache steht. Bei einem Luftangriff kann sie sich mit Ziar, dem Anführer ihrer Gruppe, in eine Höhle retten. Die beiden fühlen sich schon lange von einander angezogen, nun gestehen sie sich ihre Liebe ein. Kurz darauf wird Aden schwer verletzt und gerät in Gefangenschaft. John Wray, Sohn eines amerikanischen Vaters und einer österreichischen Mutter, ist in den USA bereits ein gefeierter Autor. In "Gotteskind" greift er ein aktuelles Thema auf, die Konversion westlicher Jugendlicher zum Islam und deren Bereitschaft, für den neuen Glauben zu kämpfen. Besonders spannend wird der Roman dadurch, dass Aden sich als Mann verkleidet und dauernd in Gefahr ist, enttarnt zu werden. Als Leser_in fragt man sich natürlich, was einen amerikanischen Teenager dazu bringt, sich so leidenschaftlich zum Islam zu bekennen. Wray vermeidet, darauf eine eindeutige Antwort zu geben. Zwar kommt seine Protagonistin aus einer zerrütteten Familie, doch macht er nicht diesen Umstand allein für die Konversion verantwortlich. Es spielen wohl immer mehrere Faktoren mit und vielleicht genügt dann ein scheinbar banaler Zufall, um einen Prozess in Gang zu setzen, der schwer umkehrbar ist. Der Roman ist ausgezeichnet geschrieben, vermeidet plakative Schuldzuweisungen und eignet sich gut für Diskussionen zum Thema. Ingrid Kainzner
Zehnder, Christian: Die verschobene Stadt
: Roman / Christian Zehnder. - Salzburg : O. Müller, 2019. - 206 S. ISBN 978-3-7013-1267-2 fest geb. : ca. € 22,00
Fremd bin ich eingezogen. (DR) Felix Legalier, der Glückliche, dem aber alles gleich ist, zieht zu seiner Mutter in die ihm fremde Stadt Lausanne, lernt Französisch, studiert Medizin. Er ist einer der Flaneure, die die
Belletristik
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schweizerische Literatur hervorgebracht hat, ein Romantiker, zu "Empfindungen fähig, die es in der Sprache der Nachrichten noch gar nicht gab", lässt sich treiben, hat Freunde, mit denen er nichts spricht, lebt recht beziehungslos, passt sich allem widerstandslos an wie das Wasser des Lac Léman, kümmert sich nur um das Kleinkind seiner Mieter, seine Patienten und zuletzt um seine Kommilitonin. Am Ende entscheidet er sich, allein in Lausanne zu leben. Nicht nur die Stadt ist verschoben, Irrtümer sind die neuen Gewissheiten, wir folgen Legalier fast 5 Jahre durch seine Wahrnehmungen und Erinnerungen. Beziehungen, Dialoge und Handlungen brechen plötzlich ab, er erreicht nichts, nähert sich an und entfernt sich. In diesem Roman bleibt alles bruchstückhaft, es gibt sprechende Namen und Anklänge an das antike Griechenland, ohne dass die oft erwähnte Ilias ihren Krieg oder Zorn zeigen würde. Alles ist immer in Bewegung, aber es fehlen Motive wie Flucht, Reise, Wandel, Entwicklung. Romantik und Poesie, mehr aber leider auch nicht. German Brandstötter
an seinem neuen Wohnort bittet, ist es Clay, der zweitjüngste der Brüder, der ihm diesen Wunsch erfüllt. Die Fertigstellung der Brücke bedeutet für Vater und Söhne die Überwindung des Traumas der Vergangenheit und die erneute Annäherung. Das über 600 Seiten starke Buch ist schwer beladen mit erzählerischen Details: Man erfährt auch die Liebesgeschichte zwischen Michael und seiner ersten Frau, es wird Clays erste große Liebe zu einer jungen Nachbarin beschrieben, die tragischerweise stirbt. Ein großer Teil der Geschichte beschäftigt sich detailreich mit dem Pferderennsport. Dazu kommen noch viele Symbole ("Clay" = Ton, der zusammenhält, die Brücke steht für das Überbrücken von Differenzen, etc.), Metaphern und merkwürdige Wendungen, z.B. "Das Licht war schlüsselbeinweiß" (S. 469). Das Lesen der Geschichte erfordert sehr viel Konzentration, Geduld und Achtsamkeit, um den Faden nicht zu verlieren. Fazit: "Nichts weniger als ein Wunder" ist eine traurige Geschichte mit vielen verschiedenen Charakteren und Handlungssträngen, die mehr an gefälligem Erzählstil und weniger an hochemotionalen Details vertragen hätte. Doris Göldner
Zusak, Markus: Nichts weniger als ein Wunder
Zwagerman, Joost: Duell
: Roman / Markus Zusak. Dt. von Alexandra Ernst. - München : Limes, 2019. - 634 S. ISBN 978-3-8090-2706-5 fest geb. : ca. € 22,70
: Novelle / Joost Zwagerman. Übers. aus dem Niederl. von Gregor Seferens. - München : Piper, 2018. - 155 S. ISBN 978-3-492-31355-1 kart. : ca. € 10,30
Familienepos über fünf Brüder, deren Mutter an Krebs stirbt und die kurz darauf vom Vater verlassen werden. (DR)
Satirisch-kriminalistische Spurensuche in der Welt der großen Kunst. (DR)
Penelopes Mutter starb bei ihrer Geburt und sie wuchs mit ihrem schweigsamen Vater im kommunistischen Polen auf. Er lehrte sie das Klavierspielen und die Liebe zu Homers Ilias. Und er sorgte dafür, dass Penelope bei der ersten sich bietenden Gelegenheit Polen verließ und sie schließlich über Österreich nach Australien kam. Durch Zufall lernt sie den geschiedenen Bauarbeiter Michael kennen, mit dem sie ein Haus kauft und fünf Söhne bekommt. Bei ihrem Krebstod ist der älteste Sohn Matthew (der als Verfasser dieser Familiengeschichte fungiert) gerade erwachsen, alle anderen noch Schulkinder. Einige Jahre später, als der Vater, der von Trauer gebeutelt die Kinder verlassen hatte, zurückkommt und um Hilfe beim Bau einer Brücke
Jelmer Verhoof scheint auf dem Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn angekommen zu sein. Als Direktor des renommierten "Hollands Museum" ist er der Shootingstar der Kunstszene, Herrscher über eine Schar von Angestellten und über eine der wertvollsten Kunstsammlungen Europas. Als letzte aufsehenerregende Ausstellung vor der längst fälligen Renovierung des Gebäudes lässt Verhoof junge, ambitionierte Künstler in eine Art Dialog mit den alten Meistern treten. bn 2019 / 2
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Romane, Erzählungen, Novellen
Die junge Künstlerin Emma Duiker beschäftigt sich mit den klassischen Werken des Museums, wobei ihr Fokus auf einer möglichst originalgetreuen Kopie der Meisterwerke liegt. So widmet sie sich einer akribischen Nachbildung des (fiktiven) Rothko-Gemäldes "Untitled No. 18". Monate nach der erfolgreichen Ausstellung meldet sich der Restaurator Olde Husink bei Verhoof. Er hat bei näherer Untersuchung des Bildes, das mittlerweile wieder im Depot untergebracht wurde, festgestellt, dass das Original offenbar durch eine Kopie ausgetauscht wurde. Rasch wird klar, dass an diesem Diebstahl nur eine Person schuld sein kann. Emma gibt auch schnell und unverblümt zu, dass sie das Original vorsätzlich durch ihre eigene Kopie ersetzt hat, um Rothkos wertvolles Bild nun als Teil eines Kunstprojektes anonym ausstellen zu können. Mit dieser Art der Präsentation in Schulen, Kinderheimen, Seniorenresidenzen und Gefängnissen erhofft sich Emma
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die Rückkehr zu einem unmittelbaren, von den Zwängen der Kunstwelt befreiten Zugang der Kunstvermittlung. Was nun folgt ist eine rasante Aneinanderreihung von komischen und beinahe grotesk wirkenden Situationen. Verhoof reist gemeinsam mit dem misanthropischen Restaurator nach Slowenien, engagiert zwei halbstarke Kleinkriminelle und unternimmt allerlei Verzweiflungstaten, um wieder in den Besitz des Kunstwerkes zu gelangen. Diese unterhaltsame, in satirisch-ironischem Grundton verfasste kriminelle Bildentführung stammt aus der Feder des leider verstorbenen niederländischen Schriftstellers und Journalisten Joost Zwagerman und ist ein unterhaltsamer und lesenswerter Einstieg in die Welt dieses Ausnahmekünstlers. In pointierter, spitzer Sprache geschrieben, schickt Zwagerman die/den Leser_in auf eine absurd-komische Odyssee durch eine realitätsferne Kunstszene. Absolut lesenswerte und kurzweilige Literatur auf höchstem Niveau. Barbara Tumfart
Kinder- und Jugendbücher
Kinder- und Jugendsachbücher
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Kinder- und Jugendbücher Kinder- und Jugendsachbücher
Auf den Spuren der Wölfe
Bernardy, Jörg: Mann Frau Mensch
Wölfe als interessante, heimische Raubtiere sind derzeit wieder präsent. Hier werden sie informativ, sachlich und aufschlussreich porträtiert. (ab 5) (JN)
Was genau versteht man unter dem Begriff Geschlecht, was bedeuten die englischen Ausdrücke sex und gender? Womit identifizieren wir uns als Mensch und Person? (ab 14) (JP)
/ Bilder von Jonathan Woodward. Text von Smriti PrasadamHalls. Aus dem Engl. von Sophie Birkenstädt. - Hamburg : Aladin, 2018. - 48 S. : zahlr. Ill. ISBN 978-3-8489-0139-5 fest geb. : ca. € 17,50
Der große stilisierte Wolfskopf auf dem Hardcover zeigt das Rudeltier in seiner natürlichen Umgebung. Viele Zuschreibungen gibt es für den Wolf, manchen fällt nur "böse" ein. Eigentlich er ist ein Gruppentier, sozial, ein Räuber zwar, doch nur zum Überleben jagt er, so wie jedes andere fleischfressende Tier auch. Andere schreiben ihm die Attribute majestätisch, stolz oder auch wild zu: Der Wolf ist für den Menschen seit jeher eine Quelle der Faszination und der Angst. Mit dem detailreichen Wissen aus diesem Buch, das Vorurteile enthüllt und interessante Fakten präsentiert, wird man zum echten Wolf-Versteher, vielleicht sogar zum Verteidiger der Gattung gegen die aufgeregten Stimmen in manchen Gegenden. Ein Sach-Bilderbuch, das zum Vorlesen wie zum Selberlesen wunderbar geeignet ist und auch dem/ der Vorleser_in Freude macht. Angela Zemanek-Hackl
: Was macht mich aus? / Jörg Bernardy. - Weinheim : Beltz & Gelberg, 2018. - 154 S. : Ill. ISBN 978-3-407-75442-4 fest geb. : ca. € 17,50
Die gesellschaftliche Unterteilung der binären Geschlechter ist vielfältig: getrennte Toiletten, die Farbe Rosa für Mädchen und Blau für Buben, zweierlei Spielzeugabteilungen und anderes mehr. Dies ist alles ist schon auf den ersten Blick bemerkbar, wurde aber in den letzten Jahren zunehmend diskutiert und hinterfragt. Vom biologischen Standpunkt aus haben beide Geschlechter sowohl Testosteron als auch Östrogene, nur die Verteilung variiert. Außerhalb der Biologie sind eher soziale Zuschreibungen prägend, denn in verschiedenen Kulturen nehmen Frauen und Männer unterschiedliche Rollen ein. Die Unterscheidung männlich/weiblich funktioniert nicht immer so gut, die beiden Geschlechter als Gegenpole sind eher kulturell und medial geprägt als eine Tatsache. Im Buch finden sich viele Anregungen zum Nachdenken: Was macht uns aus? Was unterscheidet und was verbindet Geschlechter? Was ist unsere Identität? Der Autor stellt viele Fragen bn 2019 / 2
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Kinder- und Jugendsachbücher
Kinder- und Jugendbücher
und analysiert die Rollen, die Jungen und Mädchen schon in jungen Jahren zugewiesen werden. Er hinterfragt, ob diese wirklich so unabänderlich sind, wie sie oft erscheinen. Immer wieder sind Bilder eingestreut, die unkommentiert zum Nachdenken anregen, Gedichte oder auch Gedanken eines jungen Menschen, der seine/ihre Rolle entdeckt, hinterfragt und vielleicht auch findet. In den Spannungsfeldern Identität, Umfeld, Körper, Liebe, Beruf und Zusammenleben beschreibt der Autor das Feld, in dem die jeweilige Person heranwächst. Dieses Buch ist ungewöhnlich, es lädt ein mitzudenken, sich zu positionieren, Menschen zu verstehen und all das, was zwischen den angeblichen Polen männlich und weiblich ist, genauer zu hinterfragen. Auch die eigenen Geschlechterbilder sollen neu gedacht werden können. Es geht im Kern um innere Fragen: Wo will ich hin, wer kann ich sein? Antworten darauf muss noch immer jeder Einzelne für sich finden. Für alle Bibliotheken! Angela Zemanek-Hackl
eine Altersempfehlung von 8 Jahren aus). Und besonders die Bilder aus den historischen Himmelsbildern werden auch dieser Zielgruppe etwas sagen. Aber da Duprat sehr um wissenschaftliche Genauigkeit bemüht ist, wimmelt es in dem Buch von Namen und Fachausdrücken, die nicht unbedingt zur Erklärung von kosmischen Theorien oder Phänomenen beitragen. Es ist kaum anzunehmen, dass Achtjährige mit Begriffen wie Isotop, Quantenmechanik, Branen oder MyonNeutrino etwas anfangen können. Auch für mich hat das Buch viele Fragen aufgeworfen, aber vielleicht ist das ja auch das Ziel - ein Buch, das man wegen der schönen Gestaltung immer wieder in die Hand nehmen muss und in das man mit der Zeit "hineinwächst". Neugierig macht es auf jeden Fall. Anita Ruckerbauer
Duprat, Guillaume: Wie laut war eigentlich der Urknall?
Ein Ratgeber zu einem schwierigen Thema. (ab 6) (JN)
: wie sich Menschen unser Universum vorstellen / Guillaume Duprat. Wissenschaftliche Beratung: Jean-Philippe Uzan. [Übers. von Susanne Schmidt-Wussow]. - Dt. Erstausg. - München : Knesebeck, 2018. - 47 S. + 21 Klappen : zahlr. Ill. (farb.) ISBN 978-3-9572820-8-8 fest geb. : € 20,60
Ein schön illustriertes Sachbuch über die Kosmologie im Wandel der Zeit. (ab 10) (JN) In schönen Bildern geht der französische Künstler hier der Frage nach, wie sich Menschen in früheren Zeiten das Universum vorstellten, was heute Fakt ist und welche Theorien sich daraus entwickeln lassen. Jedes Kapitel beginnt mit dem Bild eines Setzkastens, das verschiedene Darstellungen des Sonnensystems, der Galaxien und astronomischer Instrumente zeigt. Duprat beginnt mit dem Weltbild der Griechen. Er will offensichtlich vor allem neugierig machen, denn er arbeitet mit vielen Klappen, wobei die ersten Bilder sehr Gegenständliches wie Wagenräder oder Donuts zeigen. Klappt man das Bild auf, sieht man die astronomische Entsprechung dazu. Die Texte sind sehr kurz gehalten und auch die Klappen sprechen für das neugierige Forschen von Kindern im Vorschulalter (der Verlag spricht 350
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Herlofsen, Sarah: Wie ist das mit dem Krebs? / Dr. Sarah Herlofsen. Mit farb. Ill. von Dagmar Geisler. Stuttgart : Gabriel, 2018. - 93 S. : Ill. (farb.) ISBN 978-3-522-30504-4 fest geb. : ca. € 13,40
Sarah Herlofsen hat neben Biologie und Philosophie auch Biomedizin studiert und ist vierfache Mutter. Konfrontiert mit Krebserkrankungen in der eigenen Familie, engagierte sie sich in der Stammzellenforschung, um neue Medikamente zu entwickeln. Sie wanderte 2002 nach Norwegen aus und arbeitete dort in Lehre und Forschung. Durch die Fragen ihrer Kinder entschied sie sich, ihr Fachwissen zu nutzen und mit Unterstützung der norwegischen Krebsgesellschaft ein Buch zu schreiben. Sie sammelte dazu Fragen und Erfahrungen anderer Familien, besuchte Kinderkrebsstationen, Gesprächskreise und Selbsthilfegruppen und versuchte, kindgerechte Erklärungen für diese angstbesetzte Krankheit zu finden. Im ersten Teil wird die Funktionsweise der unterschiedlichen menschlichen Zellen erklärt. Bei der Erneuerung der Zellen kommt es immer wieder zu Abschreibfehlern und wenn diese in
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großer Zahl passieren, dann erkrankt man an aussuchen, denn das Auge isst ja bekanntlich mit. Krebs. Im zweiten Teil beschreibt die Autorin die Es finden sich 08/15-Gerichte wie Omelett geReaktion und Gegenwehr des Körpers durch sein nauso wie Extravagantes, etwa Lammtopf oder Immunsystem und die Möglichkeiten der Ärzte, Sushi. Ein Register nach Zutaten erleichtert das dies zu unterstützen und einem Krebspatienten Auffinden der Rezepte. Zusätzlich finden sich zu helfen. Das Thema Tod wird ebenso angespro- noch einige linierte Seiten am Ende des Buches, chen wie die Chancen auf Gesundung durch die damit eigene Lieblingsrezepte ergänzt werden Behandlungen. Die Illustrationen von Dagmar können. Geisler unterstützen in kindgemäßer Form den "Das einfachste Kochbuch der Welt" ist eine gute Gelegenheit, um mit Kindern gemeinsam über Text. Die Autorin steht für Ehrlichkeit und Erklä- Lebensmittel und deren Verarbeitung ins Gerung der Krankheitsvorgänge trotz großer Ta- spräch und auch ins Tun zu kommen, allerdings buisierung. Sie argumentiert, dass Kinder sofort sicher nicht dafür gedacht, jeden Tag daraus zu die Anspannung und Ängste ihrer Umgebung kochen. Ein Wermutstropfen ist der Einband, wahrnehmen und durch Verharmlosung und der beim Rezensionsexemplar recht bald am Gerti Proßegger Schonung eher verwirrt werden. In einem spe- Buchrücken aufgerissen ist. ziellen Nachwort für die Erwachsenen gibt sie Hilfestellung zu Art und Zeitpunkt der Gespräche mit Kindern. Die Eltern werden er- Mayer-Skumanz, Lene: Ein Löffel Honig mutigt, offen und ehrlich zu reden. Im Internet findet sich der positive Erfahrungsbericht einer : eine Geschichte zur Erstkommunion / Lene MayerKrankenschwester, die dieses Buch auch auf ih- Skumanz [Text]. Birgitta Heiskel [Ill.]. Bearbeitet von Kathrin Wexberg. - 5., aktual. und neu ill. Aufl. - Innsbruck : Tyrolia, rer Station verwendet. 2019. - 128 S. : Ill. Die Deutsche Krebshilfe ermöglichte die Über- ISBN 978-3-7022-3726-4 fest geb. : ca. € 14,95 setzung des Buches, das gerade für Schulen und Vorbereitung auf die Erstkommunion. (ab 8) (JP) Betroffene nur empfohlen werden kann. Josef Kunz Die achtjährige Julia geht seit kurzem mit fünf weiteren Kindern Mallet, J.-F.: Simplissime - Das einfachste in den VorbereitungsKochbuch der Welt unterricht für die Erstkommunion. Ulli, ihre : Richtig gut kochen mit maximal 5 Zutaten / J.-F. Mallet. Tischmutter, versucht [Aus dem Franz. übertr. von Jutta Schiborr]. - München : Edition Michael Fischer, 2018. - 223 S. : überw. Ill. mit Liedern, GeschichISBN 978-3-9609303-2-7 fest geb. : ca. € 20,50 ten und gemeinsamen Gesprächen den KinKochen kann so einfach sein. (JV) dern dieses besondeDer Autor bietet in diesem Buch einfache Rere Ereignis näher zu zepte für alle Geschmacksrichtungen, die einzelbringen. Auch der alte nen Disney-Charakteren zugeordnet sind. Mit Pfarrer mit seiner steten Freundlichkeit ist oft in maximal fünf Zutaten (Gewürze sowie Essig und dieser Runde zu finden. Julia kommt gerne zum Öl werden vorausgesetzt) kann hier gemeinsam Unterricht, obwohl sie mit manchen Kindern mit Kindern gekocht werden. Man muss aller- anfangs nicht gut zurechtkommt, denn einige dings dazu sagen, dass auch schon mal Fertigpro- von ihnen leben in einem ganz anderen sozialen dukte (z. B. Blätterteig) zum Einsatz kommen. Umfeld als sie. Dadurch entstehen oft SchwieDie Kochanleitungen sind einfach und sehr ver- rigkeiten, hervorgebracht durch Vorurteile und ständlich gehalten, Zubereitungszeit und Anzahl Missverständnisse. Doch mit der Zeit lernen sie der Portionen werden übersichtlich angegeben. sich nicht nur besser kennen, sondern sie können Besonders positiv fällt auf, dass jedes Gericht de- auch gegenseitig nachvollziehen, warum der antailgetreu abgebildet wird. Auf diese Weise kann dere so anders ist als man selbst. Es bilden sich man gemeinsam mit dem Kind nach dem Bild Freundschaften über alle sozialen Barrieren hinbn 2019 / 2
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Kinder- und Jugendsachbücher
weg. Und auch Gott, der immer wieder dazwischen das Wort ergreift, hilft Julia über Grenzen zu gehen und den wahren guten Kern ihrer Mitschüler zu erkennen. Eine einfühlsame Geschichte mit kindgerechter Sprache ermöglicht auch sehr jungen Leser_innen den Zugang zum Wort und der Liebe Gottes. Allerdings erfordert diese Neuauflage des Buches die Begleitung eines Erwachsenen. Kinder mit acht Jahren können kaum den Umfang und auch den Inhalt voll erfassen ohne Hilfe von Eltern oder Lehrern. Und dennoch ist es eine wunderbare Erzählung, realistisch auf die heutige Zeit bezogen. Absolut empfehlenswert - so wie ein Löffel Honig. Ilse Hübner
Morgen kommt die Hyäne zum Essen / Nasrin Siege. Mit Bildern von Barbara Nascimbeni und Kerstin Meyer. - Weinheim : Beltz & Gelberg, 2019. - 50 S. : überw. Ill. ISBN 978-3-407-81230-8 fest geb. : ca. € 14,40
Fünf in sich abgeschlossene, unterhaltsame Tiergeschichten aus Afrika. (ab 5) (JM) In allen Kulturen gibt es kleine Geschichten, sogenannte ätiologische Erzählungen, die das, was ist, in ihrer Entstehung zu erklären versuchen. Häufig werden daher solche Episoden bei der Entstehung der Welt angesiedelt. In drei der fünf Erzählungen im vorliegenden Band ist also Gott mit im Spiel, wenngleich sehr menschlich-handwerklich gedacht. Auch manches Verhalten von Tieren wird zum Auslöser einer Geschichte herangezogen, insbesondere das leicht zu beobachtende, aber möglicherweise befremdliche Gebaren rund um die Darmentleerung: Das Nashorn durchwühlt seinen Haufen, die Zwergantilopen legen alle ihre Haufen immer an dieselbe Stelle. Die Faszination der afrikanischen Fauna, die Besonderheiten in der Pflanzen- und Tierwelt geben Anlass zum Staunen und Schmunzeln. Nasrin Siege erzählt kurzweilig und sehr unterhaltsam. Eventuell regen diese Geschichten sogar an, selbst Ätiologien auszudenken für besonderes, 352
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Kinder- und Jugendbücher
bei Tieren beobachtetes Verhalten. Die Illustrationen der beiden Künstlerinnen stehen in Witz, Farbenpracht und überbordender Fantasie dem Text um nichts nach - auch sie liefern viele Anregungen zum Weitererzählen, Weiterträumen und machen einfach Spaß. Empfohlen ab 5 Jahren. Gertie Wagerer
Professor Astrokatz - Reise durch den Körper / geschrieben von Dr. Dominic Walliman und Ben Newman. Ill. von Ben Newman. Aus dem Engl. von Sylvia Prahl. - Zürich : NordSüd Verl., 2018. - 62 S. : überw. Ill. (farb.) ; 29,5 cm ISBN 978-3-314-10456-5 fest geb. : ca. € 23,70
Eine Katze erklärt den Körper - vom Aufbau des Skeletts über das Immunsystem bis zur Genetik. (ab 9) (JN) Das Buch "Professor Astrokatz - Reise durch den Körper" von Dr. Dominic Walliman und Ben Newman ist ein lehrreiches Werk für Kinder und Jugendliche, die sich für den menschlichen Körper interessieren oder ihr Wissen für den Biologieunterricht erweitern möchten. Professor Astrokatz und Felicitiy sind ComicKatzen, die durch das Buch führen und komplexe Inhalte zum Aufbau des menschlichen Körpers erläutern. Zu Beginn wird erklärt, was es bedeutet, lebendig zu sein. Dann wird der Frage "Woraus bist du gemacht?" nachgegangen. Hier wird zuerst im Überblick beschrieben, dass das Skelett das Gerüst des Körpers ist und aus Knochen besteht, dass Muskeln für Beweglichkeit sorgen und Arterien und Venen das Blut durch den Körper befördern. Nachdem anschließend genau auf die einzelnen Bestandteile des Körpers wie die Augen, das Nervensystem oder das Hormonsystem eingegangen wird, folgen allgemeine Informationen über die Fortpflanzung, Pubertät, Genetik, Gesundheit, körperliche Beeinträchtigungen und Zukunftstechnologie. Das Buch ist gut geeignet, um Schüler_innen durch den gesamten Biologieunterricht zu begleiten. So finden sie im Werk neben "einfachen" Informationen über das Skelett und die Haut auch komplexe Inhalte, etwa die Funktion des Herzes, Aufgaben der einzelnen Gehirnareale oder den genauen Aufbau der DNA. Für Kinder ab 9 Jahren sehr empfehlenswert! Monika Brugger
Kinder- und Jugendbücher
Warum Pinguine nicht frieren
: außergewöhnliche Lebenskünstler in der Natur / Pavla Hanácková & Linh Dao. - Bindlach : Loewe, 2019. - 35 S. : zahlr. Ill. - (Naturkind) ISBN 978-3-7432-0048-7 fest geb. : ca. € 13,40
In schönen Bildern wird gezeigt, wie sich Tiere den unterschiedlichen Lebensbedingungen anpassen. (ab 4) (JN) Auf einer Doppelseite wird immer ein bestimmter Lebensraum vorgestellt mit den besonderen Anforderungen, die für ein (Über-) Leben in diesem Teil der Welt nötig sind. Die darauffolgende Doppelseite zeigt Tiere und Menschen, die bestens damit zurechtkommen. Begonnen wird dabei mit der Wüste, dann folgen die Berge, der Regenwald, die Polarregionen, die Wälder, die Meere und die Grasregionen. In gewohnt einfachen und doch erklärenden Texten wird hier ein guter Überblick über die Habitate unserer Erde geboten, von Linh Dao kindlich-verspielt illustriert. Allerdings lernen Kinder hier nur eine völlige Idylle kennen. Beim Regenwald etwa werden die Yanomami erwähnt, die eins mit der Natur sind, ohne Probleme mit Urwaldrodungen, Staudämmen oder Goldsuchern anzusprechen. Und beim Habitat der Wälder sitzt ein kanadischer Holzfäller vor einer netten kleinen Blockhütte, neben sich eine Axt. Im Text ist von einem harmonischen Zusammenleben mit der Natur die Rede. Man muss nicht auf jeder Seite mit der Öko-Keule kommen, aber zumindest eine abschließende Doppelseite mit einigen der größten Probleme hätte nicht geschadet. Zumindest beweisen unsere Kinder und Jugendlichen gerade, dass sie sich nicht mehr länger für dumm verkaufen lassen. Ansonsten ist das Buch aus der Reihe "Naturkind" wieder sehr schön geworden. Anita Ruckerbauer
Kinder- und Jugendsachbücher
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Zommer, Yuval: Das große Buch der Krabbeltiere
/ Text und Ill.: Yuval Zommer. Expertin für Krabbeltiere: Barbara Taylor. Aus dem Engl.: Cornelia Panzacchi. - Frankfurt a. M. : Fischer Sauerländer, 2019. - 63 S. : zahlr. Ill. (farb.) ISBN 978-3-7373-5619-0 fest geb. : ca. € 17,50
Ein wunderschönes Kinderbuch über Insekten, Schnecken, Würmer und andere kleine Lebewesen. (ab 5) (JN) "Das große Buch der Krabbeltiere" von Yuval Zommer ist ein schön gestaltetes, großformatiges Werk, das in Kindern die Liebe zu den kleinen Lebewesen wecken soll. Zu Beginn werden Gemeinsamkeiten der sogenannten "Krabbeltiere" vorgestellt, z. B. dass sie keine Knochen haben. Im Anschluss folgt die Doppelseite "Krabbeltiere finden", auf der die Kinder u. a. lernen, wo sich die Tiere verstecken und welche Ausrüstung für die Insekten-Forschung benötigt wird. Mittels nett illustriertem Stammbaum werden Insekten, Spinnen, Hundert- bzw. Tausendfüßer, Würmer und Spinnen miteinander verglichen. Es folgen kindgerecht aufbereitete Texte über einzelne Tiergruppen. So wird erklärt, warum die Hinterleibe von Glühwürmchen leuchten oder warum Regenwürmer Feuchtigkeit benötigen. In weiteren Kapiteln wie "Baby-Krabbeltiere", "Krabbeltiere auf Reisen" oder "Nützliche Krabbeltiere" erhält man viele spannende Informationen über diese Lebewesen und unseren Umgang mit ihnen. Die Leser_innen erhalten außerdem Aufträge, beispielsweise müssen sie Wespen in einem gezeichneten Bienenschwarm finden oder eine Termitenkönigin entdecken. Am Ende des Buches findet man eine Art Glossar, in dem Wörter wie Nektar, Lebenszyklus oder Tarnung erklärt werden. Dieses Buch eignet sich für naturbegeisterte Kinder im Kindergarten- und Volksschulalter. Monika Brugger
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Für Kinder bis 6 Jahre
Kinder- und Jugendbücher
Für Kinder bis 6 Jahre Altès, Marta: Äffchen
Amsel & Papagei
Das kleine Äffchen zeigt Größe, indem es besonders mutig ist. (ab 2) (JD)
Ein unscheinbarer Waldvogel entdeckt sein bisher verborgenes Gesangstalent und findet neue Freunde. (ab 4) (JD)
/ Marta Altès. [Übers. von Gertrud Posch]. - Münster : Bohem, 2018. - [32] S. : überw. Ill. (farb.) ISBN 978-3-95939-064-4 fest geb. : ca. € 17,40
Es gibt so vieles, für das das Äffchen zu klein ist. Wegen seiner Winzigkeit kann es manches nicht sehen, erreichen oder mit der übrigen Affenbande mitmachen. Nichtsdestotrotz beschließt Äffchen eines Tages, sich auf die Reise zu machen, um auf den höchsten Baum im Dschungel zu klettern. Auf dem Weg dorthin entdeckt es viel Winzigkleines, das trotzdem großartig ist. Als es den höchsten Baum erreicht, klettert es munter und ausdauernd bis an die Spitze, von der aus es einen grandiosen Blick über den ganzen Dschungel und gleichzeitig die Bewunderung der unten gebliebenen Affen genießt. Mimik, Gestik und Körperhaltung der quietschvergnügten Äffchen sind kleinen Kindern abgeschaut und geben der Handlung eine erfrischende Lebendigkeit. Die paradiesisch anmutenden Farben sind kräftig und fröhlich. Die großteils mit Kreide gezeichneten Figuren vor dem aquarellierten Hintergrund stehen stets im Mittelpunkt. Ein rundum gelungenes, empfehlenswertes und äußerst charmantes Mutmacherbuch für alle Kinder ab 2 Jahren. Maria Schmuckermair 354
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/ Antonie Schneider. Jana Walczyk [Ill.]. - Wien : Nilpferd, 2019. - [32] S. : überw. Ill. ISBN 978-3-7074-5217-4 fest geb. : ca. € 14,95
Andere Vögel, wie etwa der Grünspecht oder der Stieglitz, haben dezent und hübsch gemusterte Gefieder und fühlen sich wohl in ihrer Haut. Nur die Amsel findet ihr dunkles Federkleid hässlich und bildet sich ein, dass keiner sie beachtet. Was gar nicht stimmt, aber von ihrer eingeschränkten Wahrnehmung zeugt. Immer tiefer verbohrt sie sich in ihre negativen Grübeleien. Ein klinischer Psychologe würde ihr wohl eine Depression attestieren. Doch Hilfe naht von unerwarteter Seite. Eines Tages zieht ein exotisches Wesen die Aufmerksamkeit der Waldbewohner auf sich. Ist der grellrotgelb-blau-grüne Ara direkt aus Südamerika eingewandert oder ist er seinem Besitzer entfleucht? Wir erfahren es nicht. Jedenfalls sieht man ihm den Migrationshintergrund an. Er wird von den hiesigen Vögeln gemobbt und erkennt in der Amsel eine Leidensgenossin. Indem diese sich dem einsamen Außenseiter zuwendet, durchbricht sie ihre Isolation und entdeckt, was für eine wunderschöne Singstimme sie besitzt. Von ihren Liedern bezaubert, stimmen die anderen Vögel in ihren Gesang ein.
Kinder- und Jugendbücher
Der Papagei freilich ist weggeflogen. Die simple und wenig stringente Geschichte tritt in den Hintergrund gegenüber den farbenprächtigen Illustrationen. Was die Präzision der Darstellung angeht, scheinen die großen vogelkundlichen Standardwerke des 18. und 19. Jahrhunderts als Vorlage gedient zu haben. Jana Walczyks Bilder überwältigen jedoch mit intensiver Leuchtkraft, denn nicht nur der Ara ist bunt, auch Löwenzahn, Mohnblumen und Kapuzinerkresse strahlen um die Wette. Umso deutlicher hebt sich die schlichte Amsel ab, die wohl so manches Kind zur Identifikation einladen könnte. Renate Langer
Baruzzi, Agnese: Spiel mit mir
/ Agnese Baruzzi. - Bargteheide : minedition, 2018. - 24 S. : überw. Ill. ISBN 978-3-86566-290-3 unzerr. Pappe : ca. € 10,30
Ein Spielebuch für die Kleinsten. (ab 2) (JD) Jedes Doppel-Bild erfasst eine kindliche Spielsituation, in der die Arme oder Beine bewegt werden: Ballspiel, Tanz, Turnen... Im Karton sind hier zusätzlich Ausnehmungen, durch die das Kind oder der erzählende Erwachsene seine Finger stecken und bewegen kann. Soweit, so bekannt. Es ist schon viel Fantasie seitens der Begleitenden gefordert, aus diesem Buch ein Erlebnis werden zu lassen - schließlich ist der Spielraum begrenzt, für kindliche Finger vermutlich ungeeignet und der Text bloß ein Appellativ: Fahre Ski mit mir. Tanze mit mir etc. Die einfache Spiel-BuchForm ist als Hinführung zum Medium Buch aber sicherlich geeignet. Die Illustrationsmotive sind zentral angeordnet und nicht überladen, die Ausstattung gut tauglich für Kleinkinder. Für große Bestände empfohlen ab 2 Jahren. Gertie Wagerer
Bist du der Frühling?
/ Chiaki Okada. Ko Okada. Aus dem Jap. von Ursula Gräfe. Frankfurt a. M. : Moritz, 2019. - [32] S. : überw. Ill. (farb.) ISBN 978-3-89565-372-8 fest geb. : ca. € 14,40
Ein optisch sehr ansprechendes Bilderbuch über die Sehnsucht nach dem Frühling. (ab 3) (JD) Ganz tief im verschneiten Wald lebt eine große Hasenfamilie und wartet nach den langen kalten
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Für Kinder bis 6 Jahre
Wintermonaten auf den Frühling. Der jüngste und kleinste Hase wartet besonders sehnsüchtig, denn es ist der erste Frühling, den er in seinem noch ganz jungen Hasendasein erleben wird. Er freut sich auf die warmen Sonnenstrahlen, das Aufblühen der Pflanzen und das frische, sprießende Grün in der Natur. Vor allem aber freut er sich darauf, endlich das Meer sehen zu können. Eines Tages hört er vor dem Bau der Familie ein lautes Stapfen und saust neugierig nach draußen - ob das vielleicht endlich der Frühling ist? Tatsächlich ist es ein großer Eisbär, der sich aufgemacht hat, um in kältere Regionen zu ziehen. Die beiden so unterschiedlichen Tiere gehen ein Stück des Weges gemeinsam und werden dabei rasch Freunde. Als der Eisbär den kleinen Hasenjungen zum Schluss auf einen hohen Baum hinaufhebt, wo er die aufgehende Sonne über dem Meer bewundern kann, ist dessen Freude grenzenlos. Sie verabreden, sich im nächsten Winter wiederzutreffen und der kleine Hase läuft mit den Worten "Mama, ich habe den Frühling getroffen!" überglücklich nach Hause. Das vorliegende Bilderbuch von dem japanischen Ehepaar Chiaki und Ko Okada ist eine wundervoll gestaltete, textlich einfach gehaltene Ode an den Frühling. Die in gedeckten Farbschattierungen fein gezeichneten Bilder sind ästhetisch sehr ansprechend und die einfach gehaltenen Textpassagen laden zu weiterer Reflexion ein. Fazit: Ein vor allem optisch sehr ansprechendes Bilderbuch für ein junges Publikum von 3 bis 5 Jahren. Barbara Tumfart
Dieses Tier bleibt jetzt hier!
/ Jörg Isermeyer ; Claudia Weikert. - Weinheim : Beltz & Gelberg, 2018. - [16] Bl. : überw. Ill. (farb.) ISBN 978-3-407-75420-2 fest geb. : ca. € 13,40
Surreal witziges Bilderbuch über mögliche und unmögliche Haustiere. (ab 5) (JD) Es ist so eine Sache mit den Haustieren. Vor allem, wenn man sich wie Etta alle möglichen Tiere dafür vorstellen kann. Ihre Eltern werden von ihrer Tochter mit immer neuen bn 2019 / 2
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Für Kinder bis 6 Jahre
Mitbewohnern überrascht, die rasch ein eher unverträgliches Eigenleben entwickeln - es beginnt mit einer Maus und endet - ziemlich surreal - mit einem überdimensionalen Phantasiewesen. Dazwischen haben Mama und Papa schon allerlei überstanden, bis hin zum Verschluckt- und wieder Ausgespien-Werden von einem T-Rex. Sehr rasch kann ein betrachtendes Kind bei allem Spaß erkennen, dass die Erfüllung des Haustierwunsches in einer Kleinfamilienwohnung keine Spontanentscheidung sein sollte, sondern gut überlegt. Etta ist ja diesbezüglich wenig einsichtig, am Ende steht eine ganze Phalanx von mächtigen Geschöpfen (sogar ein Einhorn ist dabei) vor der Tür und soll in die Wohnung Einlass finden. Nicht Lösung, sondern Übertreibung lautet der Schlussakkord. Die Illustrationen unterstreichen den humorvollen Charakter dieses witzigen Bilderbuches. Die Texte sind gereimt, leicht verständlich und sehr eingängig. Empfohlen. Gertie Wagerer
Drescher, Daniela: Giesbert hört das Gras wachsen
/ Daniela Drescher. - Stuttgart : Urachhaus, 2018. - 102 S. : Ill. (farb.) ISBN 978-3-8251-5174-4 fest geb. : ca. € 18,50
Nach "Giesbert in der Regentonne" gibt es nun neue Abenteuer mit dem bezaubernden Regenrinnenwichtel! (ab 4) (JE) Giesbert ist ein Regenrinnenwichtel. Zusammen mit allerhand anderen kleinen, gutmütigen Wesen, mehr oder weniger real, macht er die wunderbar illustrierte Welt dieses Vorlesebuches teils unsicher, teils zu einem wunderbaren Traumort. Da wären zum Beispiel der Hauswicht Herr Schnur, der Butz im Garten, das freche Kätzchen oder das Ziegenböckchen. Der erste Schnee, das erste Mal Geburtstag feiern, aber auch der Tod eines Mitbewohners werden kindgerecht und liebevoll in Geschichten verpackt. Es handelt sich um wunderbare Abenteuer aus einem geheimen Garten, die zum Vorlesen für Kinder ab 4 Jahren geeignet sind. Ältere lesen die Geschichten sicher auch gerne selbst. Vor allem die Illustrationen begeistern und führen Jung und Alt in eine schöne Traumwelt. Empfehlenswert für alle Büchereien. Sabine Eidenberger 356
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Kinder- und Jugendbücher
Dubois, Claude K.: Pfff...
/ Claude K. Dubois. Aus dem Franz. von Tobias Scheffel. Frankfurt a. M. : Moritz, 2019. - [32] S. : überw. Ill. ISBN 978-3-89565-371-1 fest geb. : ca. € 11,30
Langeweile, wenn sie ganz lange weilt, macht erfinderisch. (ab 4) (JD) Zwei Vogelkinder dürfen nicht mehr mit ihrem Tablet spielen und werden von ihrem Papa in den Garten geschickt. Da hängen sie nun rum und langweilen sich schrecklich. Papas Vorschläge werden allesamt abgeschmettert. Schließlich stellt dieser ihnen ein Planschbecken hin. Die zwei finden auch das öd und zu kalt. Nicht so ein Spatz, der mit größter Begeisterung und Taucherbrille in den Mini-Pool hüpft. Selbst dessen Gehopse motiviert sie nicht. Doch da passiert es: einer der beiden macht einen Pups! Der andere kriegt sich vor Lachen kaum ein. Der Spatz zeigt ihnen, dass das unter Wasser noch ganz anders klingen kann - und plötzlich haben drei Vogelkinder eine nachmittagfüllende Unterhaltung. Bekanntermaßen können sich Kinder mit Körperfunktionen dieser Art lang und ausgiebig unterhalten, eine (scheinbare) Kleinigkeit wird plötzlich großes Thema. Großartig erzählen die Bilder von der Fadesse, die sich einstellen kann, wenn man nicht durch die Technik unterhalten wird. Der Titel - eine Mischung zwischen Ausdruck von Ignoranz und bedeutungsloser Geräuschkulisse - unterstreicht dies. Köstliche Unterhaltung, empfohlen ab 4 Jahren. Gertie Wagerer
Dubuc, Marianne: Komm mit, Lulu!
/ Marianne Dubuc. Aus dem Franz. von Anna Taube. Hamburg : Carlsen, 2019. - [76] S. : zahlr. Ill. ISBN 978-3-551-51943-6 fest geb. : ca. € 15,50
Lulu will hoch hinaus - und bekommt dabei Hilfe von Frau Dachs. (ab 4) (JE) Frau Dachs ist schon alt und doch macht sie sich jeden Sonntag auf den Weg zum Berg Zuckerhut. Unterwegs trifft sie ihre Freunde und eines Tages auch Lulu, den kleinen Kater. Er denkt von
Kinder- und Jugendbücher
sich selbst, dass er noch zu jung ist, um auf den Berg zu steigen. Aber mit Frau Dachs ist nichts unmöglich. Und so wird der Berg von Frau Dachs langsam zum Berg von Lulu. Er lernt viel von seiner Freundin, und als diese eines Tages zu müde ist, um mitzukommen, wagt er den Weg alleine. Und auch er trifft irgendwann jemanden, der gerne mit zum Berg möchte - so schließt sich der Kreis. "Komm mit, Lulu!" erzählt wundervoll von Freundschaft, Vertrauen und vertraut machen, aber auch von Abschied und Loslassen. Die Geschichte ist detailreich erzählt, man spürt richtig, wie sich Frau Dachs für jeden ihrer sonntäglichen Schritte Zeit lässt. Auch in den entzückenden Grafiken lassen sich unendlich viele liebevolle Details entdecken. Als Vorlesebuch ist es sicherlich ab etwa 4 Jahren geeignet, aufgrund der kurzen Sätze auch als Buch für Erstleser_innen. "Komm mit, Lulu" kann mit bestem Wissen und Gewissen für alle Bestände empfohlen werden. Gerti Proßegger
Eland, Eva: Gebrauchsanweisung gegen Traurigkeit
/ Eva Eland. Aus dem Engl. von Saskia Heintz. - München : Carl Hanser Verlag, 2019. - [14 Bl.] : zahlr. Ill. ISBN 978-3-446-26210-2 fest geb. : ca. € 8,30
Wunderbar schlichtes Buch über den Umgang mit einer ungeliebten Stimmung. (ab 4) (JD) Die Traurigkeit ist ein unförmig monströses, zugleich aber konturloses Wesen, das plötzlich vor der Tür steht und um Einlass bittet. Sie lässt sich nicht wegsperren, sondern folgt der Ich-Figur, einem kleinen Kind, überall hin. Die Gebrauchsanweisung empfiehlt, mit ihr Kontakt aufzunehmen oder miteinander zu schweigen, etwas (mit ihr) zu tun, was man selbst
Für Kinder bis 6 Jahre
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gerne macht (malen etwa oder Kakao trinken) und vor allem mit ihr hinauszugehen und lange Spaziergänge zu machen. Es kann dann sein, dass sie am nächsten Morgen verschwunden ist. Nein, sympathisch wird einem die Traurigkeit nicht, wohl aber gibt das kleine Bilderbuch Hilfestellungen für den Umgang - und wenn Traurigkeit nicht gemieden, sondern akzeptiert werden kann, wenn man in der Lage ist ihr zu sagen, "dass sie willkommen ist", kann es sein, dass sie sich auch wieder auflöst. Ein wunderbares Bilderbuch für alle Altersstufen (von 4 bis 99). Gertie Wagerer
Göhlich, Susanne: Elchhörnchen
/ Susanne Göhlich. - Hamburg : Aladin, 2018. - [32] S. : überw. Ill. (farb.) ISBN 978-3-8489-0156-2 fest geb. : ca. € 13,40
Über das Anderssein. (ab 3) (JD) In diesem Buch geht es um Mats, der anders als seine Eichhörnchen-Geschwister ein Elchgeweih auf dem Kopf trägt. Durch dieses Geweih kann er vieles nicht machen, was seine Geschwister tun. Er kann keine Purzelbäume schlagen, nicht von Ast zu Ast springen und auch keine Wettrennen gewinnen. Das macht Mats ganz traurig und er versucht sein Geweih loszuwerden, allerdings ohne Erfolg. Erst als es schneit und der Boden gefroren ist, sind Mats' Talente gefragt. Er wittert die vergrabenen Haselnüsse und gräbt sie mit seinem Geweih aus. So rettet er seine ganze Familie vor dem Verhungern und stellt fest, dass sein Geweih doch etwas Nützliches ist. Der Autorin gelingt es auf sehr einfache Weise, Kindern deutlich zu machen, dass es nicht immer notwendig ist, sich an den anderen zu orientieren und so sein zu wollen wie sie. Die ganzseitigen Illustrationen - mit nur wenig Text - regen zum Schauen, Erforschen und Nachdenken an. Kurt Haber
Der große Mann und die kleine Maus
/ Mara Bergman. Birgitta Sif [Ill.]. Aus dem Engl. von UweMichael Gutzschhahn. - Hildesheim : Gerstenberg, 2019. - [32] S. : überw. Ill. ISBN 978-3-8369-5667-3 fest geb. : ca. € 13,40
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Kinder- und Jugendbücher
Für Kinder bis 6 Jahre
Gemeinsam lassen sich Probleme viel leichter lösen. (ab 4) (JD) In einem hohen Haus am Berg wohnen ein großer Mann und eine kleine Maus, die sich aber vorerst nie begegnen, weil der Mensch untertags werkt und das Nagetierchen nachtaktiv ist. Als der Mann eines Tages die kaputte Turmuhr reparieren will, findet er keine Lösung. Aber wie er in seine Stiefel schlüpft, stößt er auf die kleine Maus, die darin geschlafen hat. Sie kommt ihm gerade recht - soll die Winzigkleine doch im Inneren des Uhrwerkes nach dem Fehler suchen. Tatsächlich findet das Mäuslein das kaputte Teil und macht es mithilfe der Gegenstände, die es in den Nächten zuvor eingeheimst hat - mit Nadeln, Nägeln, Korken, Münzen und Garnrollen wieder heil. Als die Uhr wieder tickt und die Glocken erklingen, feiern der große Mann und die kleine Maus den gemeinsamen Erfolg und ihre neu geschlossene Freundschaft. Diese Teamwork-Geschichte wird in Reimform erzählt und mit ausgesprochen hübschen und fröhlichen Illustration untermalt. Teilweise seitenfüllende aquarellierte Buntstiftzeichnungen entzücken durch ihre entschiedene Farbigkeit. Kalte und warme Farben kontrastieren einander, was die Lebendigkeit und die Heiterkeit steigert. Der schlaksige Mann und die flotte, kleine Maus vermitteln eine gewisse Leichtigkeit. Text und Bilder wirken zusammen dynamisch, tänzerisch und gefühlvoll. Ein wunderbares Bilderbuch, humorvoll und ermutigend, zum Vorlesen und Betrachten ab 4 Jahren. Maria Schmuckermair
Gut gemacht, kleiner Hase!
/ Ulrike Motschiunig. Bilder von Antje Bohnstedt. - Wien : G&G, 2019. - [26] S. : überw. Ill. ISBN 978-3-7074-2261-0 fest geb. : ca. € 12,95
Ein Vorlese-Bilderbuch Fähigkeiten. (ab 3) (JD)
zum
Thema
eigene
Magnus, ein kleiner Hase, darf im Hasenzirkus ausprobieren, was er am besten kann. Voll 358
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motiviert nimmt er an den Erprobungen teil. Doch es stellt sich immer mehr heraus, dass er zwar vieles kann, aber eben nichts davon so richtig gut. Er springt nicht weit genug, seine Haken sind mangelhaft geschlagen, seine Malerei ist zu wild, Gerüche kann er nicht gut erkennen und mutig ist er auch nicht. Er erklärt den Hasenältesten, dass er sehr gut hören kann, doch die tun das als etwas ab, das ohnehin jeder Hase besonders gut kann. Doch als er alle Hasen vor dem Mähwerk rettet, das er als einziger kommen hört, sehen auch die Ältesten ein, dass Magnus eine ganz besondere Fähigkeit hat! Ein liebevoll illustriertes Bilderbuch, das Kindern ab 3 Jahren verständlich macht, dass jeder etwas Außergewöhnliches leisten kann. Sabine Eidenberger
Hund, Katze, Maus hecken was aus!
/ Heinz Janisch. Mit Ill. von Carola Holland. - Wien : Annette Betz, 2018. - [13] Bl. : überw. Ill. (farb.) ; 29,5 cm ISBN 978-3-219-11780-6 fest geb. : ca. € 13,40
Kein Kühlschrank ist zu hoch. (ab 3) (JD) Die Katze hat Hunger. Die Maus auch. Und der Hund sowieso. Also wird flugs ein Plan geschmiedet, weitere Freunde zur Hilfe geholt und los kann's gehen. Was zuerst nach einem katastrophalen Ausgang aussieht, endet in einem Festmahl für die Freunde - zumindest so lange, bis die Kühlschrankbesitzer die Plünderung entdecken. Aber das ist eine andere Geschichte. Das Werk ist eigentlich eine Rätselgeschichte in 12 Sätzen, denn erst im 11. wird langsam klar, was die Freunde wollen. Besonders geeignet für kleinere Vorlesekinder, deren Aufmerksamkeitsspanne noch nicht so hoch ist. Die Geschichte ist schnell vorgelesen und auf den Illustrationen gibt es einiges zu entdecken. Ein sehr gelungenes Werk und damit eine klare Empfehlung für den Kinderbüchertisch. Gerti Proßegger
Kein Platz für uns
: jede Geschichte hat zwei Seiten / Kate & Jol Temple. Terri Rose Baynton [Ill.]. Übers. von Bernd Stratthaus. - Wien : Annette Betz, 2019. - [40] S. : überw. Ill. ISBN 978-3-219-11793-6 fest geb. : ca. € 15,40
Kinder- und Jugendbücher
Ein Buch, das von zwei Seiten gelesen werden kann und dementsprechend auch zu mehreren Lesarten einlädt. (ab 4) (JE) Drei Seehunde liegen auf einer Eisscholle und lassen niemanden Platz nehmen oder sich hier ausrasten. Zwei Ruhe oder vielleicht auch Schutz suchende Artgenossen werden nicht aufgenommen und fortgeschickt. Das Ende scheint unversöhnlich, bis die Leser_innen den kleinen Hinweis entdecken, die Geschichte noch einmal - aber dieses Mal von hinten nach vorne - zu lesen. Liest man das Buch dann andersherum, so ergibt sich eine Einladung und die Aufnahme der reisenden Seehunde. Niemand wird abgewiesen, sondern es gibt Platz für alle. Das in Pastelltönen illustrierte Buch bietet viele Gesprächsanlässe, es erzählt vom Ankommen und Ausschließen und wird sicher viele (Kinder)Herzen erobern. Angela Zemanek-Hackl/ Redaktion
Leitl, Leonora: Königin für eine Nacht / Leonora Leitl. - Mannheim : Kunstanstifter-Verl., 2019. [32] S. : überw. Ill. (farb.) ISBN 978-3-942795-73-9 fest geb. : ca. € 20,60
Mama hat ihre Arbeit verloren - die Familie lässt sich einen kreativen Ausweg einfallen. (ab 5) (JD) Mama ist Biologin mit Herz und Seele und im Biologiezentrum als Forscherin und Vermittlerin tätig. Aber sie verliert diesen Job und schlittert in eine Depression. Ihre drei Kinder und ihr Mann, der als Kindergärtner die Familie nicht gut erhalten kann, mühen sich um einen Ausweg. Der erste Schritt ist eisernes Sparen: es gibt keinen Urlaub und Kleidung wird im Secondhandladen gekauft. Der zweite, wichtigere Schritt ist aber, Mama wieder eine Perspektive zu geben. Und so regen die Kinder an, dass sie ihrer Liebe zu Pflanzen auch als Gärtnerin nachkommen könnte. Mit viel Energie wird im Gartenhäuschen Platz geschaffen und ein Eröffnungsfest für die neu gegründete Gärtnerei gegeben.
Für Kinder bis 6 Jahre
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Titelgebend ist eine aus Mamas Forschung stammende Kakteen-Art, die bloß für eine Nacht blüht. Papa hat ein Exemplar besorgt und diese - und Mama - erblühen in der Eröffnungsnacht zu strahlendem Glanz. Die wunderbar erzählte Geschichte führt ohne Sentimentalität, aber mit Fingerspitzengefühl an eine leider recht häufige Situation heran - die unverschuldete Arbeitslosigkeit und die Bedrohung durch Armut. Die Illustrationen sind künstlerisch sehr ansprechend und bieten den kindlichen Betrachter_innen viel Abwechslung. Überdies behält das Buch durch die menschlich agierenden Haustiere einen beinah märchenhaften Charakter. Sehr empfohlen. Gertie Wagerer
Mein Papa / Annemarie van Haeringen; Ao De und Ao Teer. [Aus dem Nierländ. von Rolf Erdorf]. - Stuttgart : Freies Geistesleben, 2018. - [32 S. ] : überw. Ill. (farb.) ISBN 978-3-7725-2737-1 fest geb. : ca. € 16,50
Papa ist eine Schlafmütze. (ab 3) (JD) Der kleine Elefant liebt seinen Papa über alles. Aber Papa ist immer sooo müde, vor allem am Wochenende. Da muss man als Sohn schon alle möglichen Ideen und Geschütze auffahren, um von Papa das zu bekommen, was man möchte. Tief wird in die Trickkiste gegriffen, um den Elefantenherren wachzubekommen, vom Gießkannenangriff über Kitzelattacken ist da alles dabei. Und am Ende des Buches kommt die Conclusio, dass der eigene Papa sowieso der beste auf der ganzen Welt ist. Ein entzückend illustriertes Buch für junge Leser_innen ab etwa drei Jahren. Niemals nimmt Papa dem kleinen Sohn die Weckversuche übel, auch wenn er manchmal wieder einnickt - also eine aus dem Leben gegriffene Geschichte. Nachahmungsgefahr in der Wecktechnik besteht, also besser nach dem Vorlesen alle Gießkannen in Sicherheit bringen. Gerti Proßegger bn 2019 / 2
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Psst! Ich lese!
/ John Kelly. Elina Ellis [Ill.]. - Schriesheim : TigerStern, 2019. - [28] S. : überw. Ill. ISBN 978-3-96185-518-6 fest geb. ca. € 13,30
Bella ist so vertieft in ihr Buch, dass sie sogar Piraten abblitzen lässt. (ab 3) (JD) Die Spielsachen in Bellas Zimmer sollen das Mädchen vom Lesen des "besten Buches der Welt" abhalten, doch weder die Piraten, noch die Pinguinband mit ihrer tollen Musik, oder Marsimotus, der Außerirdische, können sie von ihrer Lektüre ablenken. Nachdem sie fertig ist, widmet sie sich wieder ihren Spielsachen und fragt, wer mit ihr spielen möchte. Doch nun hat sie alle neugierig gemacht und die KinderzimmerBewohner wollen ebenfalls das "beste Buch der Welt" lesen! Dieses zauberhafte Bilderbuch sollte in keiner Bibliothek fehlen, denn niemand kann so überzeugend lesen wie Bella - eine Liebeserklärung an das Lesen! Angela Zemanek-Hackl
Sanna, Francesca: Geh weg, Herr Berg!
/ Francesca Sanna. - Zürich : Atlantis, 2018. - [14] Bl. : überw. Ill. (farb.) ISBN 978-3-7152-0754-4 fest geb. : ca. € 15,40
Wenn Kinder Berge versetzen. (ab 3) (JD) Lily lebt am Fuße eines Berges und wünscht sich nichts sehnlicher als zu sehen, was hinter dem Felsmassiv liegt. Unermüdlich versucht sie Herrn Berg dazu zu bringen, ihr aus dem Weg zu gehen. Während der allzeit ruhige Berg ihr erklärt, dass er nicht weggehen kann, bleibt sie stur. Genervt lässt er es regnen, lässt starken Wind aufkommen und sogar Schnee fallen. Nichts davon beeindruckt Lily. Ganz im Gegenteil: Sie genießt jedes Wetter und bittet ihn weiterhin zu verschwinden. Schließlich setzt er sie auf seine Bergspitze. Der Ausblick macht Lily glücklich, sie gewinnt den Berg lieb und lernt zu klettern. Kurze Zeit später ist das Mädchen aber weg und der Berg erkennt, dass er sich erstmals seit Millionen Jahren einsam fühlt. Seine Traurigkeit wirkt sich auf das Wetter und damit auf die am Fuß 360
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des Berges lebenden Menschen aus. Erst als Lily von ihrer Reise zurückkehrt und wieder bei ihm ist, ist Herr Berg versöhnt. Lilys Hartnäckigkeit führt zwar nicht dazu, dass der Berg verschwindet, aber sie erreicht ihr Ziel, einen weiteren, offenen Blick auf die Welt zu haben. Francesca Sanna erzählt von einem Mädchen mit starkem Willen, das Berge verstehen lernt, von einer ungewöhnlichen Freundschaft und von der Liebe zur Welt. Die reduzierten, flächigen Illustrationen unterstützen die Geschichte, indem sich etwa die Emotionen in der Mimik des Berges und des Kindes deutlich widerspiegeln, und auch der Text ist leicht verständlich. Das Buch empfiehlt sich für Kinder ab 3 Jahren. Sandra Brugger
Schmachtl, Andreas H.: Tilda Apfelkern : ein zauberhaftes Hausboot-Abenteuer / Andreas H. Schmachtl. - Würzburg : Arena, 2019. - [25] S. : zahlr. Ill. ISBN 978-3-401-71279-6 fest geb. : ca. € 13,40
Wieder eine wunderbare Geschichte mit der holunderblütenweißen Kirchenmaus. (ab 3) (JE) Tildas Freundin Molly stürmt den Heckenrosenweg herauf und alle, die sie kennen, wissen: Ein neues Abenteuer steht bevor! Diesmal ist es das Hausboot von Onkel Bob, das alle in helle Aufregung versetzt. Denn Onkel Bob möchte sich zur Ruhe setzen und gibt das Boot daher an Tilda, und somit natürlich an alle Freunde aus dem Heckenrosenweg, weiter. Mit Rupert, dem Igel als Kapitän geht es auf Entdeckungsfahrt, denn zufällig taucht auch noch eine Schatzkarte auf. Mit den üblichen Verwicklungen (Rupert weiß wieder einmal nicht so genau, wo es langgeht) finden die Freunde jedoch den richtigen Weg und den Schatz. Ein hübsches Vorlesebuch für die kleineren Tilda-Fans, das kurze Geschichten, die meist auf eine Seite passen, bietet. Und natürlich sind die Illustrationen wunderschön. Für Kinder ab 3 Jahren. Sabine Eidenberger
Sif, Birgitta: Fieps & Pieps spitzen die Ohren / Birgitta Sif. Aus dem Engl. von Tara Weißner. - Freiburg im Breisgau : kizz., 2019. - [26] S. : überw. Ill. ISBN 978-3-451-71449-8 fest geb. : ca. €
Kinder- und Jugendbücher
Zwei kleine Mäusekinder nehmen die Welt über das Hören wahr. (ab 3) (JD) Birgitta Sif ist in den Frühjahrsprogrammen der Kinderbuchverlage gleich zweimal vertreten. Neben "Der große Mann und die kleine Maus", das bei Gerstenberg erschienen ist, wurde das Bilderbuch "Fieps und Pieps spitzen die Ohren" im kizz-Verlag, dem Kinderprogramm von Herder, herausgebracht. Wie der Titel bereits vermuten lässt, geht es um das Hören und die Geräusche, die tagtäglich auf die beiden Mäusekinder Fieps und Pieps einprasseln. Das fängt bereits beim Frühstück an, bei den Knusper-Geräuschen der morgendlichen Cornflakes-Schüssel, über das nachmittägliche Lied, das Pieps in der Bibliothek schmettert, bis hin zu den Schlummergeräuschen der träumenden Mäuse. Durch den Abschluss der Geschichte im kuscheligen Mäuse-Bett, eignet sich das Buch wunderbar als Gute-Nacht-Lektüre. Die Kinder werden eingeladen, auf die schönen und weniger angenehmen Geräusche ihres eignen Alltags zu achten und auch die vorlesenden Erwachsenen werden so zur Reflexion animiert. Die Alltagsabenteuer von Fieps und Pieps sind vornehmlich in Pastelltönen gehalten, wobei sich die Illustratorin auf verträumte Rosé-Schattierungen fokussiert. Diese Farbgestaltung wird in erster Linie kleine Leserinnen ansprechen. Die zuckersüßen Illustrationen erfreuen aber nicht nur kleine, sondern auch große Kinder. Empfehlenswert. Julia Walter
Die Spur führt in den Hühnerstall
/ eine Geschichte von Hubert Flattinger. Mit Bildern von Bine Penz. - Innsbruck : Tyrolia, 2018. - [24] S. : überw. Ill. ISBN 978-3-7022-3730-1 fest geb. : ca. € 12,95
Info über die Qualitäten des Tiroler Freilandeis in eine hübsch illustrierte Detektiv-Geschichte für Kinder verpackt. (ab 4) (JD) Papa und Paula sind allein zu Hause - da gibt's zum Frühstück Spiegelei und später DetektivSpiele. Das wissbegierige Vorschulkind erfährt, was die aufgestempelten Zahlen auf den Eiern bedeuten, wie Hühner leben sollten und wozu man Eier noch verwenden kann - für Palatschinken zum Beispiel. Agrarmarketing Tirol ist Kooperationspartner des Buchprojekts und wirbt für das "Goggei" mit
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dem "Qualität Tirol-Gürtel", auf dem der Tiroler Wappen-Adler abgebildet ist. Die Illustratorin Bine Penz platziert den Gürtel auf der Titelseite und lässt über dem Adler ein weißes Huhn balancieren. Ihre farbenfrohen Aquarelle schaffen den Spagat zwischen Produktinfo und Bilderbuchgeschichte mit einem Augenzwinkern. Der Text von Hubert Flattinger ist knapp und dialogreich, passend für das Bilderbuchformat. Papa schwärmt eingangs von der kräftig gelben Dotterfarbe, Paula wird mit Lupe ausgestattet, entziffert den "Erzeugercode" und entdeckt Unterschiede in der Färbung der Eier. Dass auf dem Notizblock der Detektive nur der Name des Bauern angeführt wird, obwohl seine Bäuerin als Gesicht der Goggei-Kampagne fungiert, verwundert - vielleicht würde ein moderner Vater auch im Internet recherchieren. Dafür sieht man den Papa nicht nur als "Meisterdetektiv", sondern auch beim Kochen und Abwaschen. Paulas Kuschel-Einhorn als neugierige Begleiterin des spannenden Vormittags gehört die SchlussPointe, die Kindern bestimmt Spaß macht. Schade nur, dass der titelgebende Hühnerstall nirgends zu sehen ist. Josef Mitschan
Sís, Peter: Robinson / Peter Sís. Aus dem Engl. von Brigitte Jakobeit. Hildesheim : Gerstenberg, 2019. - [48] S. : überw. Ill. ISBN 978-3-8369-5697-0 fest geb. : ca. € 17,50
Ein kleiner Bub lernt, wie er mit einer Kränkung umgehen kann und sie zu etwas Positivem macht. (ab 4) (JD) In der Schule findet ein Kostümfest statt. Eigentlich will Peter ja als Pirat gehen, genauso wie alle seine Freunde. Da er aber Robinson Crusoe so mag, überredet ihn seine Mutter, als seine Lieblingsfigur zu gehen. Mit stolzgeschwellter Brust kommt Peter am nächsten Tag in die Schule, voller Neugier, was seine Freunde sagen werden. Doch diese lachen ihn nur aus. Peter ist gekränkt und will nur noch weg - heim ins Bett. Dort tragen ihn seine Träume fort auf eine unbekannte, geheimnisvolle Insel, weit weg von bn 2019 / 2
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allem Alltäglichen. Plötzlich schlüpft er selbst in die Rolle von Robinson Crusoe und muss sich auf der fremden Insel bewähren. Diese wird schon bald zu seinem Zuhause, seinem Zufluchtsort. Nach einiger Zeit kommen auch die Piraten auf seine Insel. Das ist aber in Ordnung, denn Peter ist jetzt bereit, ihnen zu verzeihen. Der vielfach ausgezeichnete Autor Peter Sís hat mit seinem neuesten Bilderbuch einen fantastischen Schatz geschaffen. Das Buch kommt mit wenig Text aus, auf jeder Seite stehen die Illustrationen im Mittelpunkt. Viele Darstellungs-Varianten kommen dabei zum Einsatz (das Spiel mit Hell und Dunkel, Bild im Bild, vier Bilder nebeneinander, ComicStil uvm.). Spannend ist auch der stetige Wechsel der Perspektive. Einmal sieht man eine Detailaufnahme von Peter, dann wieder das ganze Geschehen aus der Vogelperspektive, anschließend wieder "viele" Peters (also Peter mehrmals abgebildet) bei allen Tätigkeiten, die er auf der Insel verrichtet. Die Zeichnungen mit Peters Mutter erinnern darüber hinaus aufgrund der Art der Figurendarstellung und der TerrakottaFarbe an altägyptische Wandmalereien. Das Buch eignet sich hervorragend zum gemeinsamen Anschauen und Entdecken und zeigt zudem den Wert der Versöhnung und die Kraft der Fantasie auf. Birgit Stessl
Tallec, Olivier: Hund im Glück
/ Olivier Tallec. Aus dem Franz. von Ina Kronenberger. - Hildesheim : Gerstenberg, 2019. - [32] S. : überw. Ill. ; 25 x 35 cm ISBN 978-3-8369-5690-1 fest geb. : ca. € 13,40
Olivier Tallec erzählt in humorvollem Ton die Geschichte einer Freundschaft zwischen Zwei- und Vierbeiner. (ab 4) (JD) "Man kann auch ohne Hund leben, aber es lohnt sich nicht.", sagte schon Heinz Rühmann. Im Bilderbuch "Hund im Glück" wird der Alltag zweier Freunde erzählt, einem Buben und seinem Hund. Sie spielen miteinander, gehen spazieren, fahren gemeinsam auf Urlaub und noch vieles mehr. Der Junge hat einen Freund fürs Leben gefunden. Während der Lektüre dämmert den Leser_innen 362
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allmählich, dass die Geschichte eigentlich aus Sicht des Hundes erzählt wird, wenn es da etwa heißt "Er [der Bub] hat allerdings die schlechte Angewohnheit, auszubüxen. Ich [der Hund] suche dann den ganzen Tag nach ihm. Zwar kommt er immer irgendwann zurück, trotzdem frage ich mich, wo er die ganze Zeit steckt." Zu diesen Zeilen sieht man den Hund, der vor dem Haus wartet und dem Buben entgegenblickt, der mit der Schultasche am Rücken des Weges kommt. Diese Erkenntnis der vertauschten Perspektiven gibt dem Buch einen humorvollen Unterton, den die Kinder bestimmt mögen werden. Die Sache mit den vertauschten Rollen wird in der Geschichte nicht aufgeklärt, bietet allerdings Gelegenheit, das Bilderbuch nach dem Fertiglesen gleich noch einmal anzuschauen, diesmal immer den Hund vor Augen, der es nicht leicht mit seinem Menschen hat, diesen aber dennoch sehr liebt. Besonders ist das Format des Buches, es ist etwas breiter als üblich; außerdem blättert man nicht von links nach rechts, sondern von unten nach oben (ähnlich einem Kalender). Ein entzückendes, humorvolles Bilderbuch mit liebevoll gestalteten Zeichnungen. Birgit Stessl
Udo findet Streiten doof
/ Jana Heinicke [Text]. Joëlle Tourlonias [Ill.]. - Bad Rodach : HABA, 2018. - [16] Bl. : überw. Ill. (farb.) ISBN 978-3-86914-254-8 fest geb. : ca. € 12,95
Der Löwe Udo wohnt mit seinen Tier-Freunden in einer WG. Nicht immer läuft alles glatt. (ab 5) (JE) Zebra hatte die Idee, dass Udo mit ein paar anderen eine WG bilden kann, denn alleine Wohnen ist fad. Aber mit der Zeit sind die Brösel in der Hängematte, die Pupse von Elefant, die Selbstverliebtheit des Flamingos und der pingelige Eifer des Ziegenbocks ganz schön nervig. Beim Mittagessen geht es hoch her, bis sie bemerken, dass sie einander doch noch mögen. Und das auch wollen. So steht einem gemeinsamen Fest nichts mehr im Wege. Eine sehr lebensnahe, liebevolle Geschichte vom Zusammenleben. Egal, ob Familie oder WG, manches stört, doch mit der Besinnung auf das Gemeinsame lebt es sich fröhlicher. Ein schönes Buch mit ansprechenden Illustrationen, das gut in jede Bibliothek passt. Angela Zemanek-Hackl
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Unsere kleine Höhle
Ustinov, Nikolai: Die Füchsin und der Wolf
/ Céline Claire ; Qin Leng [ Aus dem Franz. von Oliver Ilan Schulz]. - Zürich : Diogenes, 2018. - [48 S.] : überw. Ill. ISBN 978-3-257-01233-0 fest geb. : ca. € 16,50
: ein russisches Märchen / Nikolai Ustinov. [Aus dem Russ. von Evelies Schmidt]. - Stuttgart : Urachhaus, 2018. - [32 S.] : überw. Ill. (farb.) ISBN 978-3-8251-5177-5 fest geb. : ca. € 16,50
Die immer gültige Geschichte von Mitmenschlichkeit, Uneigennützigkeit und Selbstlosigkeit wird hier von Wald-Tier-Familien erzählt. (ab 4) (JD) Ein Sturm ist angekündigt. Alle Tierfamilien sichern daher Unterstand und Vorrat. Da bricht der Sturm los - und durch die Ritzen ihrer Höhlen-Verschläge sehen die Füchse, die Kaninchen, die Wildschweine, ja sogar die Meisen, dass zwei Gestalten unbehaust durch den Wald taumeln. Bären sind es, die bei den anderen allerdings keine Aufnahme finden. Bloß der kleine Fuchs trägt ihnen eine Laterne nach. Als er wieder heimkommt, stellt sich heraus, dass der Fuchsbau dem Sturm nicht standhalten wird. Mutter, Vater, Babyschwester und er müssen ihre Höhle rasch verlassen. Die beiden Bären haben inzwischen aus dem gefallenen Schnee ein kleines Iglu gebaut, das von der Lampe des kleinen Fuchses warm erleuchtet wird. Als die entwurzelte Fuchs-Familie um Einlass bittet, werden sie freundlich aufgenommen. Immer und immer wieder werden Geschichten von Flucht, Entwurzelung, von der Begegnung mit Fremden und der Weitherzigkeit der Helfenden erzählt. Diese Geschichte richtet sich an sehr junge Bilderbuch-Konsument_innen: Die Tiere sind stark anthropomorph dargestellt und die Höhlen erinnern an kleine Wohnungen. Die Katastrophe des Sturms ist nur angedeutet, der beginnende Wintereinbruch und der heftige Schneefall ebenso. Es geht einzig um die Empathie mit jenen, die draußen stehen, die zwar Tee zum Teilen haben, aber keine Kekse dazu, die um Wärme und Schutz bitten. Der Text ist eingängig und gut verständlich in der vorauseilenden Angst der einen und in der mitfühlenden Sorge der anderen erzählt. Die Illustrationen wirken mit den "bekleideten" Tieren allerdings etwas antiquiert. Gertie Wagerer
Volksmärchen in gekürzter Fassung mit Bildern von Nikolai Ustinov. (ab 7) (JD) Märchen sind Kondensate menschlicher Lebensweisheit, die einen langen Weg durch die mündlichen Erzählorte gegangen sind. Auch dieses russische Märchen, das eine gekürzte Fassung des gleichnamigen Märchens aus der Sammlung von Alexander Nikolajewitsch Afanassjew ist, ist keine niedlich-beschauliche, moralische Geschichte. Sie erzählt vielmehr von der Schläue der Füchsin, die den naiven Bauern um seinen Fischfang bringt und den gierigen Wolf dazu veranlasst, seinen Schwanz in ein Eisloch zu stecken, um ebenfalls Fische zum Fraß zu haben. Dieser friert natürlich fest und die herbeistürzenden Bäuerinnen vertreiben den Wolf mit Schlägen, sodass er ohne Schwanz flüchten muss. Das wirkt in Summe schon ziemlich brutal, zumal die Füchsin, die zwischenzeitlich ihre Schnauze in eine Pfannkuchenteig-Schüssel steckt, den Wolf auch noch glauben macht, sie sei von den Menschen noch viel übler zugerichtet worden ("mir .quillt das Gehirn heraus"). So nimmt der Wolf sie schlussendlich auch noch auf den Rücken, um ihr das Laufen zu ersparen. Nein, die Welt ist nicht gerecht und das Märchen lässt verstehen, dass es im täglichen Überlebenskampf selten ausschließlich Sieger gibt. Größere Kinder können an dieser Geschichte und den Ränken der Füchsin durchaus ihren Gefallen finden. Die naturalistischen Bilder des russischen Künstlers setzen den Text sehr stimmig und lebendig um. Ab 7 Jahren und für Märchenliebhaber empfohlen. Gertie Wagerer
Wohlleben, Peter: Weißt du wo die Baumkinder sind? / Peter Wohlleben. Bilder von Stefanie Reich. - Hamburg : Oetinger, 2018. - [14] Bl. : überw. Ill. (farb.) ISBN 978-3-7891-0960-7 fest geb. : ca. € 13,40
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Der "Waldpädagoge" Peter Wohlleben lässt einen Förster mit einem kleinen Eichhörnchen nach dem Ort suchen, an dem die Baumkinder wachsen. (ab 6) (JD) Ein gemütlich-vertrauliches Setting: Ein Förster und ein schwatzendes Eichhörnchen, das darunter leidet keine Familie zu haben, machen sich auf die Suche nach den Baumfamilien, genauer: nach Baumkindern. Zwei Tage lang streifen sie durch den Wald, treffen auf eine Rodungsmaschine und einen Bauern, der mit einem Pferd einen Baumstamm abtransportiert,
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stoßen auf Arbeiter, die frische Baum-Setzlinge zwischen Baumstümpfe pflanzen, um schließlich in einem Buchenwald den Boden von Schösslingen, also von "Baumkindern", übersät zu finden. Wieder zu Hause "adoptiert" der Förster das kleine Eichhörnchen, damit es auch die Geborgenheit einer Familie erfahren kann. Dieses Bilderbuch richtet sich eher an jüngere Bilderbuchkinder, die eine erste Sensibilisierung für den Lebensraum "Wald" erfahren sollen. Für größere Kinder wären realistischere Illustrationen, die den Sachbuchcharakter der Geschichte unterstreichen würden, geeigneter. So aber ist das kleine, quirlige Eichhörnchen wunderbarer Begleiter durch eine speziell für Stadtkinder fremde, faszinierende Welt mit ihren Wundern und Gefahren. Gertie Wagerer
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Für Kinder von 6 bis 10 Jahren
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Für Kinder von 6 bis 10 Jahren Anderson, Laura Ellen: Amalia von Flatter - Wer hat Angst vor Einhörnern?
/ Laura Ellen Anderson. Aus dem Engl. von Katrin Segerer. - München : Schneiderbuch Egmont, 2018. - 232 S. : Ill. (Amalia von Flatter ; 3) ISBN 978-3-505-14087-7 fest geb. : ca. € 12,40
Halloweenferien im Königreich der Nacht. (ab 9) (JE) Im Königreich der Nacht leben Amalia von Flatter und ihre Freunde Flora, Todd, Kürbinian und Prinz Marillo, die in ihren Halloweenferien zu einem gefährlich-gespenstischen Abenteuer ins Königreich des Lichts aufbrechen. Sie planen, die Mutter von Prinz Marillo, die Fee Morgentau, zu suchen, die unter geheimnisvollen Umständen verschwunden ist. Marillos Vater König Vladimir ist ein Vampir, deshalb ist der Sohn halb Fee, halb Vampir. In raffinierten Kostümen brechen die Freunde als Vampir, Fee, Einhorn, Engelskatze und Gänseblümchen verkleidet nach Glitzeropolis, einer Stadt, in der immer die Sonne scheint und alle Träume wahr werden, auf. Unterwegs kommen sie zu einem Wunschbrunnen. Zwei Wünsche vergeuden sie, beim dritten verwandeln sie König Vladimir unabsichtlich in eine Biene. Sie begegnen Fabio, dem Sohn von Alpha Einhorn, der die Angst in beiden Königreichen schürt, um an der Macht zu bleiben. Schlussendlich befreien die Kinder Königin Morgentau, die König Vladimir wieder in einen Vampir zurückverwandelt. Zurück zu Hause gibt es ein großes Wiedersehensfest und sie stellen fest, welch Glück es ist, gute Freunde zu haben. Der Plan vom Königreich des Lichts und die Portraits der Protagonisten auf den ersten Seiten helfen den jungen Leser_innen beim Verständnis der relativ komplexen Geschichte. Lustige
Schwarz-Weiß-Illustrationen unterstützen den Text. 18 amüsant-gruselige Kapitel in großer Schrift für Einhornliebhaber_innen ab 9 Jahren! Monika Brugger
Bate, Helen: Peter in Gefahr
: Mut und Hoffnung im Zweiten Weltkrieg / Helen Bate. Aus dem Engl. von Mirjam Pressler. - Frankfurt a. M. : Moritz, 2019. - 44 S : zahlr. Ill. ISBN 978-3-89565-373-5 fest geb. : ca. € 12,40
Eine wahre Geschichte aus dem 2. Weltkrieg schonend erzählt. (ab 7) (JD.C) Helen Bate hat sich in ihrer Heimat England als Illustratorin einen Namen gemacht und bereits einige Kinderbücher veröffentlicht, bevor sie sich an das schwierige Unterfangen gewagt hat, Kindern im Volksschulalter die Schrecken des Nationalsozialismus möglichst behutsam vor Augen zu führen. Sie erreicht dies in Gestalt einer Graphic Novel und indem sie aus der Perspektive des jüdischen Buben Peter erzählt. Dieser wächst zunächst ganz normal auf. Seine Lieblingsbeschäftigungen sind Fußballspielen und Kuchenessen. Eines Tages aber erlebt er, wie das Kindermädchen die Familie verlassen muss und die Mutter plötzlich gelbe Sterne auf die Mäntel näht. Gleich darauf muss Peter seine Spielsachen zur Nachbarfamilie bringen und sein Zuhause verlassen. Fortan bekommt man seinen ewigen Hunger und seibn 2019 / 2
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ne Angst zu spüren. Letztlich aber haben Peter und seine Familie Glück, denn sie entgehen der Deportation, finden Unterschlupf und alle überleben. Da Bate konsequent aus Peters Perspektive erzählt, kann sie in der Geschichte Erklärungen weitgehend aussparen und den Blick auf das Überleben und die Solidarität lenken. Leider erfahren wir indes auch im Nachwort kaum etwas über die realen Hintergründe, denn offen bleiben die Fragen, was Menschen erwarten mussten, wenn sie Jüdinnen und Juden dabei halfen, den Nazis zu entkommen und was deren Motivationen waren, überhaupt zu helfen. Das erläuternde Nachwort hätte schon deshalb ausführlicher ausfallen müssen, um Eltern die Gelegenheit zu geben, mit ihren Kindern über solche wichtigen Fragen zu sprechen. Simone Klein
"Die kleine Gruselfee" erzählt die Geschichte der gleichnamigen Protagonistin, die in den Wilden Wald kommt. In einzelnen kurzen Kapiteln muss sie erst ihren Platz unter den Tieren des Waldes finden, bevor sie alle gemeinsam lustige, gruselige und schöne Abenteuer erleben können. Ansprechende Zeichnungen untermalen die Handlung beim Lesen. Beim Vorlesen können sich vor allem jüngere Kinder in die Betrachtung der Details vertiefen. Alexandra Gölly-Liebich
Bauer, Jana: Die kleine Gruselfee
Wieder einmal ärgert sich King Kofi darüber, dass er an sein Lieblingsessen - Erdmännchen und Pinselohrschwein - einfach nicht herankommt. Deshalb beschließt er, noch einmal die Schulbank zu drücken und diesmal besser zuzuhören. Das könnte gefährlich werden, denkt Tafiti. Er lässt von Omama ein Löwenkostüm für sich und Pinsel schneidern und damit schleichen sich die beiden in der Löwenschule ein. Einige Male wird es ganz schön gefährlich für die zwei "Löwenkinder", aber Tafiti ist eben schlauer als King Kofi. Und wir erfahren jetzt endlich, warum King Kofi lispelt. Ein weiteres nettes Abenteuer (Band 12) aus der beliebten Reihe und als Lesefutter bestens geeignet. Anita Ruckerbauer
/ Jana Bauer. Aus dem Slowen. von Ann Catrin Bolton. Mit farb. Bildern von Caroline Thaw. - Frankfurt am Main : FISCHER Sauerländer, 2018. - 121 S. : Ill. ISBN 978-3-7373-5636-7 fest geb. : ca. € 15,50
Eine Geschichte über die ungezogene, kleine Gruselfee, die dann doch Freunde findet und tolle Abenteuer erlebt. (ab 6) (JE) Eines Tages kommt ein merkwürdiges Objekt in den so friedlichen, ruhigen Wilden Wald geflogen. Die Tiere haben Angst und wissen nicht, was es mit dem Teekessel, der an einem großen Ballon hängt, auf sich hat. Es stellt sich heraus, dass die kleine Gruselfee in diesem Teekessel anreist, denn sie wurde von zu Hause vertrieben, nachdem sie eine Teetasse ihrer Urgroßmutter zerbrochen hat. Die kleine Gruselfee nistet sich im Wilden Wald ein und legt sich gleich mit seinen Bewohnern an - denn sie hat leider überhaupt kein Benehmen! Nach anfänglichen Schwierigkeiten freundet sie sich dann doch langsam mit den meisten Waldbewohnern an. Nur der Igel möchte den ungezogenen Quälgeist immer noch mit allen Mitteln loswerden. 366
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Boehme, Julia: Tafiti und die Löwen-Schule : [Band 12] / Julia Boehme. Ill. von Julia Ginsbach. - Bindlach : Loewe, 2019. - 73 S. : zahlr. Ill. ISBN 978-3-7855-8848-2 fest geb. : ca. € 8,20
King Kofi merkt, dass er im Unterricht besser hätte aufpassen sollen. (ab 6) (JE)
Fabsits, Tanja: Der Goldfisch ist unschuldig / Tanja Fabsits. - Innsbruck : Tyrolia, 2018. - 169 S. ISBN 978-3-7022-3699-1 fest geb. ca. € 14,95
Ein berührend-unterhaltsames Kinderbuch über eine schwierige Phase im Leben eines kleinen Buben. (ab 9) (JE) Henri ist wütend und verzweifelt zugleich, denn sein Leben ist momentan nicht so wirklich fein. In der Schule hat er keine Freunde und wird von dem präpotenten Maximilian terrorisiert. Zuhause fühlt er sich teilweise von der Mutter unverstanden, aber das Schlimmste ist die
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Stimmung seines Papas. Der liegt nämlich tagein, tagaus nur noch auf dem Wohnzimmersofa, redet nichts mehr und starrt mit trauriger Miene auf die Wände. In seiner Verzweiflung wirft Henri dann sogar seinen geliebten Goldfisch samt Glas aus dem Fenster, nur um beim Vater eine Reaktion zu provozieren. Durch seine Verzweiflungstat lernt Henri glücklicherweise den Hausmeister Signore Montesanto kennen und zwischen dem Jungen und dem älteren Mann entwickelt sich eine wunderschöne, respektvolle Freundschaft. Henri ist mit neuer Energie geladen und beschließt, seinem Papa in seiner Krankheit zu helfen. Er ist davon überzeugt, dass ein gemeinsames Weihnachtsfest mit dessen Bruder Anton die Lösung wäre. Der kleine Bub setzt alle Hebel in Bewegung, um den Onkel dazu zu bringen, bei der Familie zu feiern. Doch das Unterfangen erweist sich als schwieriger als gedacht, vor allem, weil ausgerechnet die Mutter des gehassten Maximilian die neue Freundin von Onkel Anton ist. Mehr soll nun aber nicht mehr verraten werden, nur dass das erhoffte friedliche Weihnachtsfest sich gänzlich anders entwickelt als von Henri geplant. Eine anrührende Geschichte rund um ein sehr ernstes Thema, nämlich die psychische Erkrankung eines Elternteils. Zugleich ein großartiges Buch, das auf witzig-unterhaltsame Weise beschreibt, wie der introvertierte Henri mit dieser schwierigen Situation umgeht, neuen Mut schöpft und sich nicht unterkriegen lässt. Uneingeschränkt zu empfehlen für junge Leser_innen ab 9 Jahren. Barbara Tumfart
Fleming, Anne: Ziegen bringen Glück
/ Anne Fleming. Aus dem Engl. von Ingo Herzke. Mit Bildern von Philip Waechter. - Hamburg : Carlsen, 2019. - 156 S. : Ill. ISBN 978-3-551-55382-9 fest geb. : ca. € 11,30
Die 11-jährige Kid zieht mit ihren Eltern nach New York. In dem neuen Wohngebäude leben nicht nur ganz besondere Menschen, sondern angeblich auch eine Ziege. (ab 9) (JE)
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Kid zieht wegen ihrer Mutter, die ihr Theaterstück an den Broadway bringen kann, nach New York. Anfangs ist es ein wenig einsam in der neuen Umgebung. Doch auf den Hundespaziergängen im Central Park treffen sie und ihr Vater bald eine ältere Dame mit einem Jungen. Dieser besucht auch keine Schule, genauso wie Kid. Will, so heißt er, ist ein Waisenkind. Beim Erkunden von Kids neuem Lebensmittelpunkt merken die beiden, dass sie nicht die einzigen besonderen Bewohner sind. Kid selbst ist Autistin, ein Nachbar ist blind und dennoch ein Könner auf dem Skateboard und außerdem verdichten sich die Hinweise auf eine Ziege im Haus. So machen sich Will und Kid auf die Suche nach dieser ominösen Ziege, wobei beide an ihre Grenzen gehen. Will überwindet seine Höhenangst und Kid läutet tatsächlich an fremde Haustüren und redet mit den Fremden! Diese warmherzige, sehr inspirierende Geschichte über verschiedene Menschen und einer Ziege eignet sich als Klassenlektüre, ist wie Tee mit Kuchen und ist einfach herzerwärmend. Aus wechselnden Perspektiven erfahren wir von allen Beteiligten nach und nach ein Stück der Geschichte, bis aus den Puzzleteilen ein tolles, spannendes Ganzes wird. Angela Zemanek-Hackl
Frank, Astrid: Uli Unsichtbar
/ Astrid Frank. Mit Ill. von Regina Kehn. - Stuttgart : Urachhaus, 2018. - 89 S. : Ill. ISBN 978-3-8251-5164-5 fest geb. : ca. € 14,40
Pädagogisch lehrreiches Kinderbuch über das Thema Mobbing in der Volksschule. (ab 8) (JE) Nach den Sommerferien steht die Welt des Volksschülers Uli auf dem Kopf. Er musste wegen eines neuen Jobs seines Vaters mit seinen Eltern umziehen, was für ihn eine große Herausforderung darstellt. Er muss sich nun an eine neue Wohnung, eine neue Umgebung, neue Nachbarn und vor allem an eine neue Schule und Klasse gewöhnen. Der introvertierte, schüchterne Bub tut sich generell mit Neuerungen sehr schwer, am liebsten bleibt er bei ihm vertrauten Gewohnheiten und so klammert er sich an sein großes Interesse, die Welt der Zahlen. So erfährt man, wieviel Fenster und Stufen das neue Haus hat oder wieviel Schritte er bis zur Schule braucht. Glücklicherweise findet Uli rasch Kontakt zu bn 2019 / 2
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Für Kinder von 6 bis 10 Jahren
zwei Nachbarkindern, die zufälligerweise in dieselbe Klasse gehen. Doch bereits der 1. Schultag wird zu Ulis ganz persönlichem Alptraum. Als er sich seinen Mitschülern vorstellen soll, beginnt er vor lauter Nervosität zu stottern und wird sogleich von einem präpotenten Klassenkollegen verspottet. Da die Hänseleien nicht aufhören und ihn auch die Nachbarskinder zusehends ignorieren, zieht sich Uli immer mehr in sein Schneckenhaus zurück. Er wird ruhiger, immer stiller und quasi nahezu "unsichtbar". Erst als eine neue Mitschülerin, die freche und stets fröhliche Ulrike in der Klasse dazukommt, verbessert sich die Situation. Denn Ulrike spricht das Problem offen an und hält damit unverblümt den Kameraden und der Lehrerin einen Spiegel vor. Das vorliegende Kinderbuch von Astrid Frank behandelt kindgerecht und einfühlsam die schwierige Thematik von Mobbing, erklärt dessen Entstehung und die Gefahr von negativer Gruppendynamik. Es zeigt aber auch mögliche Lösungen und Ausstiegsszenarien aus einer scheinbar verfahrenen Situation und die Möglichkeiten des Mobbingopfers, aktiv seine Lage zu ändern und zu verbessern. Die Illustrationen von Regina Kehn lockern den Text auf und bieten eine gute und anregende Verbildlichung des Geschehens. Das beigelegte Plakat mit AntiMobbing-Regeln für eine gut funktionierende Klassengemeinschaft ergänzt die wichtige Thematik der Geschichte. Fazit: Ein wirklich gutes, kindgerecht abgefasstes Buch über Mobbing, Ausgrenzung und negative Gruppendynamik, ein nachhaltiges MutmachBuch für junge Leser_innen ab 8 Jahren, das sich auch besonders zur gemeinsamen Klassenlektüre eignet. Barbara Tumfart
Grusnick, Sebastian: Grüße vom Mars : Notlandung bei Oma und Opa / Sebastian Grusnick ; Thomas Möller. Ill. von Frollein Motte. - Orig.-Ausg. - Hamburg : Dressler, 2019. - 168 S. : Ill. (farb.) ISBN 978-3-7915-0067-6 fest geb. : ca. € 13,40
Notlandung bei Oma und Opa. (ab 9) (JE) Tom ist 10 Jahre alt und er hat Großes vor. Er möchte einmal den Mars besuchen. Tom interessiert sich für alles, was den Weltraum betrifft. Er liest viele Bücher über das Thema und ist auch 368
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sonst perfekt für die Mission vorbereitet. Er besitzt sogar einen Astronautenanzug und den passenden Helm dazu. Immer wenn er fremdes Gebiet erforschen muss, zieht er den Anzug an. Bei besonders gefährlichen Ausflügen setzt er auch seinen Helm auf. Leider hat er Schwierigkeiten mit rot gefärbten Gegenständen. Alles Rote bedeutet für ihn Stress. Er kann durch keine rote Tür gehen oder einen roten Streifen auf dem Boden überqueren. Rot ist nämlich die Farbe von Blut, und das ist äußerst bedenklich. Eines Morgens teilt ihm seine Mutter mit, dass er für einige Zeit mit seinem 13-jährigen Bruder und seiner 15-jährigen, frisch verliebten Schwester zu Oma und Opa ziehen muss. Die Geschwister sind nicht sehr begeistert. Oma und Opa wohnen in einem kleinen Dorf, wo sich die Füchse gute Nacht sagen, meint seine Schwester. Aber es nützt nichts, es muss sein. Mama schenkt Tom für diese Reise ein Logbuch und meint, Tom kann diesen Ferienaufenthalt doch als Vormission zum Mars sehen. Wenn er Lunau (dort wohnen Opa und Oma) schafft, dann schafft er auch eine Reise zum Mars. Tom sieht das ein, und so kann das große Abenteuer beginnen. Eine wirklich interessante Geschichte, die nicht nur die Probleme einer alleinerziehenden Mutter aufgreift, sondern auch auf die Schwierigkeit eingeht, ein außergewöhnliches Kind in den Familienverband so zu integrieren, dass jedes Familienmitglied nicht nur Rücksicht auf die Eigenheiten des Kindes nimmt, sondern gleichzeitig noch davon profitiert. Mit viel Feingefühl hat der Autor die außergewöhnlichen Gegebenheiten eingefangen und sie ins reale Leben eingefügt. So wird schon jungen Kindern gezeigt, wie wichtig es ist, die Menschen so anzunehmen, wie sie sind. Die humorvollen Illustrationen runden diese Erzählung wunderbar ab. Ein spannendes, heiteres und gleichzeitig tiefsinniges Buch. Ilse Hübner
Kinder- und Jugendbücher
Hach, Lena: Flo und Valentina
: Ach, du nachtschwarze Zwölf! / Lena Hach. Mit Ill. von Tine Schulz. - Weinheim : Beltz und Gelberg, 2019. - 135 S. : Ill. ISBN 978-3-407-81236-0 fest geb. : ca. € 13,40
Skurrile Geschichte für Jungleser_innen mit kleinem Gänsehautfaktor. (ab 8) (JE) Eines Nachts schreckt der kleine Flo plötzlich hoch. Jemand hat an seinem Kissen gezerrt, ist durchs Zimmer gelaufen, hat offenbar das Fenster geöffnet und ein Lied gesungen. Oder hat er das alles nur geträumt? Oder ist es wieder einmal sein älterer Bruder Anton, der keine Möglichkeit auslässt, um das jüngere Geschwisterchen zu nerven und zu schikanieren? Aber da steht doch wirklich ein kleines, blasses, ganz in schwarz gekleidetes Mädchen vor Flo. Sie stellt sich als Valentina-Viola von Valenzia vor und ist nicht die (erwartete) Zahnfee, sondern ein Vampirmädchen! Da sie noch sehr jung für ihre Spezies ist (gerade einmal so um die 100 Jahre alt), hat sie noch keine spitzen Zähne, die sie allerdings für den bevorstehenden Vampirball ganz dringend bräuchte. Nachdem Flo im Moment einen wackeligen Eckzahn hat, ist ihr Besuch im Zimmer des kleinen Buben nicht ganz zufällig. Doch bald merken die beiden, wie gut sie sich verstehen: sie lachen über dieselben Sachen, lieben Süßigkeiten (vor allem leckere Nougat-Schokolade) und ärgern sich über ihre fiesen Geschwister. In der nächsten Nacht nimmt das kleine Vampirmädchen den sonst so ängstlichen Jungen auf einen waghalsigen und rasanten Flug mit. Endlich kann sich Flo bei Anton rächen und sie spielen dem ungeliebten großen Bruder so manchen nächtlichen Streich. Als Dankeschön dafür hat Flo letztendlich sogar ein besonderes Geschenk für Valentinas Auftritt am Vampirball, mit dem sie sicherlich großen Eindruck machen wird. Das lustige, in 38 kurze Kapitel unterteilte Kinderbuch der deutschen Autorin Lena Hach unterhält mit einfachen, aber witzigen Dialogen, einer skurrilen Geschichte mit kleinem Gänsehautfaktor und ansprechenden Schwarz-Weiß-
Für Kinder von 6 bis 10 Jahren
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Illustrationen von Tine Schulz. Uneingeschränkte Leseempfehlung für Kinder ab 8 Jahren. Barbara Tumfart
Hagerup, Linde: Ein Bruder zu viel / Linde Hagerup. Aus dem Norw. von Gabriele Haefs. Mit Bildern von Felicitas Horstschäfer. - Hildesheim : Gerstenberg, 2019. - 72 S. : Ill. ISBN 978-3-8369-5678-9 fest geb. : ca. 15,40
Das wunderschön gestaltete Buch ist eine originelle Familiengeschichte um einen adoptierten 5-Jährigen, erzählt aus der Perspektive der 9-jährigen Schwester, die mit der neuen Situation zunächst nicht zurechtkommt. (ab 8) (JE) Sara ist 9 Jahre alt und die kleine Schwester in einer netten Familie. Als die beste Freundin der Mutter überraschend stirbt, kommt deren Sohn Steinar dazu und Sara wird nicht nur Dazwischenkind, sondern muss auch noch ihr Zimmer mit dem quengeligen und verwöhnten 5-Jährgen teilen. Das nervt sie gewaltig und obendrein wollen die Eltern und die 14-jährige Schwester Emilie, dass sie nett zu ihrem neuen Bruder sein soll. Sara gefällt diese Vorstellung eigentlich nicht, aber denkt sich dann doch: "[M]anchmal muss man Dinge tun, von denen man nicht gewusst hat, dass sie möglich sind". Und sie denkt nicht nur, sie tut auch. Über Nacht verwandelt sich Sara in Steinars großen Bruder: Sie schneidet sich die Haare, zieht Bubenklamotten an und lässt sich Alfred nennen. Die Eltern sind überrascht, Emilie schockiert, aber dann helfen alle zusammen und Steinar hat einen großen Bruder an seiner Seite, der ihm beim Eingewöhnen in die neue Familie hilft. Wie Sara dennoch Sara bleiben kann, ist das Spannende an der Geschichte, wodurch das Buch bis zur letzten Seite faszinierend beibt. Linde Hagerup stellt diese außerordentliche Familienerweiterung konsequent aus der Sicht Saras dar. Der Text im Flattersatz lässt oft an Lyrik denken, ist aber genauso gut für Leseanfänger_innen verständlich, weil er die bn 2019 / 2
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Für Kinder von 6 bis 10 Jahren
sprachlichen Möglichkeiten einer 9-Jährigen nicht übersteigt. Die Buchgestaltung mit den kontrastierenden Farben Gelb und Dunkelblau ist effektvoll und korrespondiert sehr gut mit der unaufgeregt geschilderten Sozialkompetenz der Familie. Vor allem der Vater ist als wichtige Beziehungsperson Saras eine Lichtgestalt: "Es ist die Liebe, die uns trägt", vermittelt er seinen Töchtern. Zeitlich ist die Romanhandlung um das erste Weihnachtsfest in der neuen Konstellation angesiedelt - für Steinar das erste ohne die leibliche Mutter. Vielleicht hat die Illustratorin Felicitas Horstschäfer, deren Bilder das norwegische Kinderbuch zu einem Gesamtkunstwerk machen, Nachtblau und Sonnengelb als Assoziation zur Wintersonnenwende gewählt - es fällt leicht das hineinzuinterpretieren. Das Buch ist in Gestaltung und Text so unaufdringlich schön, dass es allen sensiblen Leser_innen ab 8 empfohlen werden sollte, auch Erwachsenen. Josef Mitschan
Heger, Ann-Katrin: Die Heuboden-Bande : Ermittler mit Scha(r)fsinn / Ann-Katrin Heger. Ill. von Dominik Rupp. - Bindlach : Loewe, 2019. - 75 S. : zahlr. Ill. ISBN 978-3-7432-0166-8 fest geb. : ca. € 9,20
Ein Schaf und ein Huhn eröffnen auf dem Bauernhof ein Detektivbüro. (ab 5) (JE) Auf dem Bauernhof Kraut und Rüben beschließt das Schaf Wolle zusammen mit der wilden Hilde, einem Huhn, dass man ein Detektivbüro eröffnen will. Doch woher soll man einen Fall nehmen? Außer Streitigkeiten über die Zahl der gelegten Eier tut sich nichts auf dem Hof. Bis ein Fremder gesichtet wird - kann das denn gar ein Wolf sein? Es folgen turbulente Szenen, als man versucht, den wilden Wolf einzufangen. Es stellt sich jedoch sehr schnell heraus, dass es sich bei dem "Wolf " um den schon etwas älteren Hund "Herr Schulz" handelt. Kurzhand wird der Hund als Detektiv rekrutiert. Ein spritziges, lustig illustriertes Buch. Band 1 der neuen Kinderbuchserie von Ann-Katrin Heger, für Kinder ab 5 Jahren. Sabine Eidenberger 370
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Kinder- und Jugendbücher
Kennedy, A. L.: Onkel Stan und Dan
: und das fast ganz ungeplante Abenteuer / A. L. Kennedy. Aus dem Engl. von Ingo Herzke. Ill. von Gemma Correll. Zürich : Orell Füssli Kinderbuch, 2018. - 188 S. : Ill. ISBN 978-3-280-03575-7 fest geb. : ca. € 15,40
Eine skurril-lustige Abenteuergeschichte rund um einen Dachs, vier depressive Lamas und den rettungswilligen Onkel Stan. (ab 9) (JE) Dan der Dachs wird von den zwei fiesen, widerwärtigen Schwestern Martha und Esther McGloone entführt und fortan gemeinsam mit vier Lamas auf dem Hof des McGloone-Clans gefangen gehalten. Der Dachs soll in einem Boxkampf ein gutes Preisgeld erzielen, die Lamas Wolle, Fleisch und Leder liefern. Aber statt sich ordentlich und artgerecht um die Tiere zu kümmern, hat die böse Familie in ihrer Gier nach Macht und Geld nichts anderes im Sinn, als die Tiere zu quälen und verwahrlosen zu lassen. Glücklicherweise taucht eines Tages Onkel Stan auf. Onkel Stan, ein lustiger, schräger Geselle mit wirren Haaren am Kopf, möchte den armen Tieren helfen. Die aberwitzige, wortgewandte Abenteuergeschichte ist gespickt mit skurrilen Figuren, die comicartigen Illustrationen von Gemma Correl unterstreichen auf geniale Weise dieses entzückende, höchst unterhaltsame Buch aus der Feder des englischen Autors A. L. Kennedy. Ein Lese- und Vorlesespaß allerhöchster Qualität, garantiert beste Unterhaltung für Groß und Klein. Für Selbstleser empfehlenswert ab 9 Jahren. Barbara Tumfart
Mebs, Gudrun: Ferien nur mit Papa
/ Gudrun Mebs. Mit Bildern von Catharina Westphal. Mannheim : Sauerländer, 2019. - 137 S. : Ill. ISBN 978-3-7373-5547-6 fest geb. : ca. € 12,40
Die im Rollstuhl sitzende Maja darf mit Papa das erste Mal auf Urlaub fahren. Majas Tage mit Daddy entwickeln sich allerdings anders als geplant. (ab 9) (JE)
Kinder- und Jugendbücher
Maja lebt bei ihrer Mutter und sieht alle heiligen Zeiten ihren Papa, der von ihr Daddy genannt werden will. Das ist irgendwie okay, auch wenn sie gerne einen Vater hätte, der ihre Kleidergröße kennt oder weiß, welche Bücher sie mag. Aber sie ist sicher, dass der bevorstehende Urlaub schön wird. Ihr Vater hat ein Ferienhaus mit Pool gemietet. Doch die gemeinsamen Tage gestalten sich völlig anders als gedacht. Papa hat vergessen, das Auto vollzutanken und so stranden sie mitten im Wald. Dass er auch sein Handy zuhause liegen gelassen hat, ist nahezu undankbar. Sie finden eine nette, etwas schmutzige Hütte, in der es sogar Konserven und einen Herd gibt, und beschließen, vorerst hier zu bleiben. Und ja, Maja sitzt im Rollstuhl. Ihr Vater schafft es, mit ihr dort ein paar Tage zu verbringen, die Hütte zu putzen, zu kochen und mit Maja ein vertrauteres Verhältnis aufzubauen. Sie lernen sich besser kennen, allmählich wird Daddy der Papa, den Maja immer schon gerne gehabt hätte. Papa ist kein Supermacher, sondern zuckt auch mal aus und Maja ist die Besonnene, die Herz und Verstand hat und vieles regeln kann. Warmherzig erzählt die Autorin von einem etwas belasteten Vater-Tochter-Verhältnis, von zwei Menschen, die sich nach und nach aufeinander einlassen, kennenlernen und feststellen, dass sie einander wirklich mögen. Angela Zemanek-Hackl
Moniz, Madalena: Ich bin heute... : von A bis Z ; ein Alphabet der Gefühle / Madalena Moniz. - Zürich : Midas, 2018. - [64] S. : überw. Ill. (farb.) - (Midas Collection) ISBN 978-3-03-876121-1 fest geb. : ca. € 16,50
ABC-Liste kindlicher Stimmungslagen. (ab 6) (JD) Auf 26 Doppelseiten werden typische kindliche Empfindungen mit einem Begriff und seinem Anfangsbuchstaben auf der linken Seite und einer charakteristischen Szene zu dieser Gefühlslage auf der rechten Seite dargestellt. Eigenschaftswörter, wie "entspannt", "leicht", "traurig" oder "unerschrocken" werden beispielhaft in Bilder umgesetzt: in Rückenlage auf dem Wasser schwebend, mit einem Bündel Luftballons zum Himmel fliegend, einem entfleuchten Drachen nachblickend, ein Mädchen wacker auf die Wange küssend.
Für Kinder von 6 bis 10 Jahren
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Dass auch Fremdwörter wie "brillant", "isoliert", "originell" und "penibel" dabei sind, ist wohl der Übersetzung aus dem Portugiesischen geschuldet. Aber Grundschulkinder, für deren Alter das Bilderbuch gedacht ist, dürfen durchaus mit schwierigeren Begriffen konfrontiert werden. Die pastellfarbenen, mit Konturen versehenen Aquarelle fügen sich sehr harmonisch ins Gesamtbild, obwohl der Bezug zum Wort auf der linken Seite manchmal weit hergeholt scheint (Beispiele: Das Gefühl eines Kleinkindes auf einem leicht schief gestellten Balkon wird als "krumm" definiert; und wie soll man sich wohl den seelischen Zustand "quergestreift" vorstellen?). Als Bilderbuch für Kinder ab 6 Jahren denkbar, als Arbeitshilfe für Lehrer_innen im ersten Schuljahr eine kreative Anregung. Maria Schmuckermair
Muszynski, Eva: Trudel Gedudel purzelt vom Zaun / Eva Muszynski & Karsten Teich. - München : cbj, 2019. [88] S. : zahlr. Ill. (farb) ISBN 978-3-570-17592-7 fest geb. : ca. € 10,40
Ein Huhn entdeckt das Meer. (ab 6) (JE) Trudel Gedudel lebt nicht weit weg vom großen Meer auf einem eingezäunten, kleinen Hühnerhof, an dem jeden Morgen der Hahn Karuso auf den Misthaufen steigt und die Hühner wachkräht. Immer war Trudel schon neugierig, was hinter dem Zaun ist. Die Möwe Gräten-Käthe erzählt ihr von Currywurst und Pommes, die besser schmecken als Regenwürmer, und vom riesigen Meer. Das klingt nach Freiheit. Bei einem Streit mit den beiden Puten Ete und Petete wird sie über den Zaun katapultiert. Noch benommen vom Sturz, schlägt Trudel einen falschen Weg ein und kommt über sandige Hügel zu einem alten Strandkorb nahe dem sagenumwobenen Meer. Ab jetzt muss sie sich in der weiten Welt am Rande des großen Wassers bn 2019 / 2
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Für Kinder von 6 bis 10 Jahren
alleine zurechtfinden. Ob das gut geht? Eine kleine, wunderbare Geschichte über die Neugier aufs Leben ohne Schranken, voller Freiheit und Abenteuerlust. Humorvoll geschrieben, leicht verständlich und mit ausgezeichneten Illustrationen. Ilse Hübner
Roeder, Annette: Rosa Räuberprinzessin
/ Annette Roeder. Ill. von Katrin Engelking. - München : cbj, 2018. - 167 S. : Ill. (farb.) ISBN 978-3-570-17088-5 fest geb. : ca. € 15,50
Rosa liebt die Farbe Rosa, ihre Freundin Irmela und auch den Esel Einhorn. Und sie isst gerne Grillenburger. (ab 6) (JE) Wirbelwind Rosa würde viel lieber rosa T-Shirts tragen, aber meist muss sie Kleidung ihrer Brüder in Blau und Grün auftragen. Die lebhafte Rosa meint auch, vielleicht im Krankenhaus vertauscht worden zu sein, denn ihre Eltern könnten ja nicht Grillenzüchter sein, wo sie sich als Königskind fühle. Mit drei älteren Brüdern braucht sie wohl auch ein bisschen Rosa im Leben. Auf der Kirmes ergibt es sich, dass sie als eine Art Geburtstagsgeschenk den Esel I-A bekommt, der jedoch von der quirligen Rosa gleich in Esel Einhorn umgetauft wird und dessen Gedanken sie irgendwie versteht. Nicht unbeteiligt daran ist auch die Bäckerstochter Irmela, ihre beste Freundin, mit der sie sogar eine Werbeaktion auf die Beine stellt, damit der Bäcker gegen den grausigen Billigsemmelanbieter im Nachbarort bestehen kann. Einmal ist Rosa so unzufrieden mit ihren Eltern, dass sie sich kurzfristig adoptieren lässt. Doch bald erkennt sie, dass nicht alles, was ein rosa Kleid verspricht, zukunftsfähig ist. Das Buch ist in einige Teilbücher unterteilt, wobei die Teile einzeln zu lesen sind, aber auch aufeinander aufbauen. Obwohl die Titel alle etwas Prinzessinnenhaftes haben, ist Rosa eine lustige, bodenständige, quirlige Person und nie und nimmer ein "Girlie". Für Kinder ab 6 Jahren es ist es ein tolles Vorlesebuch. Zum Selberlesen wird es 372
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Kinder- und Jugendbücher
für ca. 8-Jährige geeignet sein, weil es doch 160 Seiten umfasst. Rosa sollte unbedingt in allen Haushalten mit Mädchen vor-gelesen werden. Es ist witzig, emphatisch, gesellschaftskritisch und macht einfach Spaß! Selten hat die Rezensentin so ein sympathisches "Mädchenbuch" für Kinder gelesen! Angela Zemanek-Hackl
Shepherd, Andy: Wenn Drachen Sachen machen
/ Andy Shepherd. Aus dem Engl. von Emma und Sabine Ludwig ; Mit Ill. von Sara Ogilvie. - Hamburg : Dressler, 2018. - 207 S. : Ill. ISBN 978-3-7915-0111-6 fest geb. : ca. € 13,40
Ein kleiner Drache bringt den Haushalt von Tomas und seiner Familie gehörig durcheinander. (ab 8) (JE) Der Ich-Erzähler Tomas wendet sich direkt an die kleinen Leserinnen und Leser, wenn er von Flicker erzählt, dem Drachen, der eines Tages mit einem lauten Plopp aus der harten Schale der Drachenbaumfrucht herausschießt. Das stachelige Tier findet in einer Hand Platz, hat rote Schuppen und glitzernde Flügel. Es hat feurigen Atem und lässt im Flug stinkende Kackebomben fallen. Vor seinen Eltern und dem in der Nachbarschaft lebenden Opa muss Tomas den neuen Mitbewohner geheim halten, nur die knapp 3-jährige kleine Schwester Lolli weiß Bescheid. Als Flicker, versteckt im Schulrucksack, mit ins Klassenzimmer kommt, richtet er dort erheblichen Schaden an. Auch im Nachbarsgarten des grantigen Mr. Grimm müssen Salatpflanzen und Kohlköpfe dran glauben. Tomas weiht seine drei Freunde in sein Geheimnis ein. Kat, Kai und Ted wollen nun auch so einen aufregenden tierischen Freund haben. Dazu müssen sie eine höchst turbulente Nacht zu viert im Zelt verbringen, um ebenfalls eine reife Drachenfrucht zu pflücken. Die sich durch das ganze Buch ziehende Illustration aus lavierter Tusche orientiert sich an der Graphik der 1970er Jahre: viel Gestricheltes,
Kinder- und Jugendbücher
Comicartiges, die Figuren mit Kulleraugen und bloß mit einem Strich angedeuteten Mundpartien. Auf jeder Seite befindet sich zumindest ein schwarzer Tintenklecks, der wohl die Drachenkacke darstellen soll, oder die Andeutung, dass der Seitenrand vom feurigen Drachenatem angesengt ist. Das kunterbunte Treiben in der Geschichte setzt sich in der Bebilderung fort. Amüsantes Lesefutter, zusammengesetzt aus gängigen Abenteuerbuch-Komponenten, geeignet für kleine Leser_innen ab 8 Jahren. Maria Schmuckermair
Till, Jochen: Luzifer junior
: ein höllischer Tausch ; Band 5 / Jochen Till. Mit Ill. von Raimund Frey. - Bindlach : Loewe, 2019. - 2017 S. : Ill. (sw) ISBN 978-3-7432-0279-5 fest geb. : ca. € 13,40
Im neuesten Band der Serie "Luzifer junior" wechseln die beiden Geschwister Luzie und Lilly die Körper. Der Umtausch gestaltet sich eher schwierig, aber lustig! (ab 9) (JE) Lilly, die seit neuestem Wissensstand die Schwester von Junior-Teufel Luzie ist, ärgert sich in der Schule mit Chiara herum. Diese streut dumme Gerüchte und fotografiert Lilly in unmöglichen Situationen, worunter diese leidet. Dass Luzie und Lilly deswegen um das teuflische Handbuch streiten, weil Chiara aus Rache in eine Assel verwandelt werden soll, ist der Beginn eines neuen Problems: Plötzlich tauschen Lilly und Luzie die Körper. Dieser Umstand soll sofort rückgängig gemacht werden, doch kein Zauberspruch passt. So müssen sich die beiden fürs Erste wohl oder übel in ihren neuen Rollen einleben, was gar nicht so einfach ist. Irgendwie überstehen beide einige Tage im Körper und im Leben des anderen. Luzie merkt am eigenen Leib, dass Chiara eine Pest auf zwei Beinen ist. Immer wieder versuchen die Geschwister, ihre Körper zurückzutauschen, vergeblich! Es dauert also einige Zeit, Mühe und Gedanken, bis vielleicht doch noch eine Lösung gefunden wird. Als Fortsetzung der Luzifer-Reihe durchaus empfohlen, es ist gutgemachtes, ansprechendes Lesefutter. Angela Zemanek-Hackl
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Für Kinder von 6 bis 10 Jahren
Wostokow, Stanislaw: Frossja Furchtlos
: oder von sprechenden Hühnern und verschwindenden Häusern / Stanislaw Wostokow. Aus dem Russ. von Thomas Weiler. Ill. von Marija Woronzowa. - München : Knesebeck, 2019. - 176 S. : Ill. ISBN 978-3-9572825-9-0 fest geb. : ca. € 14,40
Eine Heldin in Pippi-Langstrumpf-Manier, beheimatet in einem Dorf à la Bullerbü. (ab 9) (JE) Frossja lebt mit ihrer Großmutter in einem winzigen russischen Dorf, in dem die Winter eiskalt sind und die Schule nur von drei Schülern besucht wird. Frossja bewohnt ein mu s e u m s t a u g l i c h e s Haus, an dem man unentwegt etwas reparieren muss. Bei einer dieser Reparaturen stürzt die Großmutter von der Leiter und muss ins Krankenhaus der weit entfernten Kleinstadt. Frossja ist aber zum Glück ein "gestandenes Bauernweib", wie Großmutter immer sagt, und schafft vieles alleine. Sie lernt schnell, wie man sich selbst versorgt oder mit seinen Mitschülern einen Traktor entwendet, einem Schneesturm trotzt und die Großmutter im Krankenhaus besucht ohne Geld für den Bus auszugeben. Die einzige Hilfe ist ihr der kaffeetrinkende Gerasim, ein Braunbär, den ihr der Onkel geborgt hat. Aber eine Sache bringt sie fast zur Verzweiflung: Ihr wird einfach das Haus gestohlen, da es im Freilichtmuseum ausgestellt werden soll! Was nun? Eine humorvolle, lebensbejahende Geschichte, die nicht nur eine völlig andere Lebensweise und Kultur zeigt, sondern auch Einblick in eine ferne, fast vergessene Welt gibt. Alles ist etwas verrückt und gleichzeitig wunderbar real. Der Spannungsbogen verläuft gezielt und lässt die interessierten Leser_innen fast atemlos und dennoch gut aufgefangen in ein sanftes Ende gleiten. Witzige Illustrationen ergänzen diese beeindruckende Erzählung. Ilse Hübner
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Kinder- und Jugendbücher
Für Kinder von 10 bis 14 Jahren
Für Kinder von 10 bis 14 Jahren Bach, Tamara: Wörter mit L
/ Tamara Bach. [Ill.von Hämmerleinova, Petra]. - Hamburg : Carlsen, 2019. - 171 S. : Ill. ISBN 978-3-551-55386-7 fest geb. : ca. € 8,40
Paulines Welt steht Kopf! Realitätsnahe, einfühlsame Geschichte über Familienpatchwork, Pubertät und viele schöne Wörter mit L. (ab 11) (JE) Scheidungskind Pauline hat zwei Zuhause. Mal wohnt sie bei Papa, seiner sympathischen neuen Frau Jette und ihrem entzückenden kleinen Halbbruder Jonathan, mal bei ihrer alleinstehenden, arbeitssamen Mama, die stets kluge Antworten parat hat. Pauline liebt schöne Wörter, denkt sich gerne Geschichten aus und hat eine allerbeste Freundin zur Seite. Eigentlich kann die 11-jährige Ich-Erzählerin ganz zufrieden sein, doch Pubertätsprobleme und der sehnliche Wunsch nach einem eigenen Hund machen der aufgeweckten, sehr selbständigen Pauline neuerdings zu schaffen. Plötzlich scheinen alle verliebt zu sein: Busenfreundin Natasha zeigt ihr die kalte Schulter und unterhält sich lieber mit Leonie über Jungs, ihre Mama hegt Gefühle für einen Kollegen und ein Junge mit Hund sucht ihre Nähe - "die haben doch nicht mehr alle Stifte im Mäppchen!". Der ganze Herzschamott lässt Paulines Stimmung leicht kippen und stürzt sie in ein Gefühlschaos aus Eifersucht, Enttäuschung und Unsicherheit. Ob ein entzückendes erstes Liebesgedicht die Lage retten kann? Die mehrfach ausgezeichnete deutsche Autorin 374
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Tamara Bach schreibt diesmal für ein deutlich jüngeres Zielpublikum. Mal poetisch-philosophisch "Und mir tut irgendwas Kleines weh", mal flapsig-locker erzählt sie in ihrem signifikanten Tonfall eine klassische Pubertätsgeschichte, die einen starken Realitätsbezug, viel Herzenswärme und so manches liebevolle Detail im Text aufweist. Wohltuend ist die positive, unkonventionelle Darstellung von Paulines Stiefmutter Jette, aber auch alle anderen Charaktere sind glaubhaft, lebendig und individuell gezeichnet. In 19 kurzen, leicht lesbaren Kapiteln finden sich originelle Sprachbilder, der sinnliche Umgang mit Wörtern regt zu eigenen kreativen Sprachspielereien an. Eine gelungene Ergänzung sind die zarten Schwarz-Weiß-Zeichnungen von Petra Hämmerleinova. Sicherlich werden sich Leserinnen und Leser ab 11 Jahren mühelos in der Geschichte wiederfinden. Bitte mehr davon! Elisabeth Zehetmayer
Burgis, Stefanie: Katie Wildheart
: mit dem Zauberspiegel durch die Wand / Stefanie Burgis. Aus dem Engl. von Sigrid Ruschmeier. - Frankfurt a. M. : Fischer KJB, 2019. - 365 S. ISBN 978-3-7373-4146-2 fest geb. : ca. € 15,50
Als Katies älteste Schwester mit Sir Neville verheiratet werden soll, versucht sie ihre Schwester davor zu bewahren. (ab 11) (JE) Die 12-jährige Katie hört, wie ihre Stiefmutter und ihr Vater darüber reden, dass sie ihre älteste Tochter mit einem Mann verheiraten wollen, der um viele Jahre älter ist als sie. So wollen sie die Spielschulden von Katies Bruder begleichen. Katie will ihre Schwester davor bewahren und flüchtet von zuhause. Doch schon am Gartentor
Kinder- und Jugendbücher
wird sie von ihren Schwestern bemerkt. Später hört die Stiefmutter Geräusche und kommt in das Zimmer, in dem Katie und ihre Schwestern über die bevorstehende Hochzeit grübeln. Katie versteckt sich schnell unter dem Bett ihrer Schwester und entdeckt dort die alten Zauberbücher ihrer Mutter. Heimlich sucht Katie ebenfalls nach Zaubersachen. Sie findet einen Spiegel, der ihr nicht mehr von der Seite weicht, der aber auch noch andere Geheimnisse für sie bereithält... Ich finde das Buch sehr spannend und aufschlussreich. Es spielt im Jahr 1803 und man erfährt viel über das Leben in dieser Zeit. Die Geschichte ist aus Katies Sicht erzählt und spielt in der Gegend von London. Ich empfehle das Buch unbedingt für Büchereien und für alle Leser_innen ab 11 Jahren. Sarah Atzlesberger, 12 Jahre
Carter, Aimée: Animox
: der Flug des Adlers ; [Band 5] / Aimée Carter. Aus dem Engl. von Maren Illinger. - Hamburg : Oetinger, 2019. - 426 S. - (Animox ; 5) ISBN 978-3-7891-0920-1 fest geb. : ca. € 15,50
Der Abschlussband der Animox-Serie bringt endlich die spannungsgeladene Auflösung des großen Duells zwischen Orion und Simon. (ab 11) (JE) Simon kann mit Unterstützung seiner Familienmitglieder Malcolm und Zia in einer Wohnung unterkommen, damit er vor Orion, dem Adlerherrscher, geschützt ist. Er ist nicht mehr im Besitz seiner bereits gesammelten Teile des Greifstabes des Reiches des ehemaligen Bestienkönigs - diese wurden von seinem Bruder Nolan sowie seine Großmutter mitgenommen. Orion lädt ihn aber ein, mit ihm zu kommen. Das und die Zusicherung von Kooperation sind die Bedingungen dafür, dass Simons Mutter, die in der Gewalt des Adlerherrschers ist, frei kommt. Dieses Angebot ist so verlockend, dass er schließlich einwilligt, aber nicht ohne seine Vertraute Ariana, die Herrin über das Insektenreich,
Für Kinder von 10 bis 14 Jahren
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und einen weiteren Helfer mitzunehmen. Simon ist nach wie vor bestrebt, alle Teile des Stabes zu finden, um seine Mutter aus Orions Händen zu befreien und das Böse aus der Welt zu tilgen. Mit viel List, aber auch durch Misserfolge zeitweilig gestoppt, treibt er die Aktion durch scheinbare Zusammenarbeit mit Orion voran. Das Arsenal der weitverzweigten Familie Simons ist durchaus vielfältig und anspruchsvoll. Der 13-jährige Gestaltwandler setzt sich für eine friedliche Welt ein, obwohl ihm einige nach dem Leben trachten. Ein wenig Pathos, äußerst viel Spannung und viel gute Unterhaltung, auch durch die junge Brigade in Orions Vogelreich, garantieren kurzweilige Lesefreude. Angela Zemanek-Hackl
Czapnik, Dana: Ich werde fliegen
: Roman / Dana Czapnik. Aus dem Amerikan. von Stefanie Frida Lemke. - München : Heyne fliegt, 2019. - 366 S. ISBN 978-3-453-27203-3 fest geb. : ca. € 17,50
Über das Erwachsenwerden eines Mädchens, das nicht wie die anderen ist. (ab 14) (JE) Lucy ist nicht das "typische" Mädchen und verbringt ihre Nachmittage am liebsten mit Körbe werfen. Fast täglich trifft sie sich mit ihrem besten Freund Percy, mit dem sie entweder Basketball spielt oder bei einem Joint philosophische Gespräche führt. Lucy ist heimlich in ihn verliebt, wovon er freilich nichts ahnt. Eigentlich möchte sie aber nur wissen, wer sie selbst ist und ihren Platz in der Welt finden. Die Geschichte wird aus der Sicht der Protagonistin Lucy erzählt. Sie hat eine sehr ruppige Art und ich konnte ihre Gedankengänge oft nicht nachvollziehen. Außerdem sind die Kapitel manchmal bis zu 50 Seiten lang und wenn man diese nicht am Stück liest, verliert man den Faden. Der Roman wird mit so vielen Rückblenden und weit hergeholten Zusatzgeschichten ausgeschmückt, dass es den Leser_innen sehr schwer gemacht wird, sich zu erinnern, welche der Geschichten mit der jeweils aktuellen Situation zusammenhängt. Im Gegensatz dazu erfährt man von den Nebencharakteren meiner Meinung nach zu wenig. Die Autorin hat mit dieser Erzählweise auf jeden Fall die Eigenart der Hauptfigur gut getroffen, jedoch trifft dieses Buch sicher nicht den Geschmack von jeder/m Leser_in. Caroline Bauer bn 2019 / 2
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Für Kinder von 10 bis 14 Jahren
Czerny, Theresa: Die Pferde von Eldenau Mähnen im Wind
: Band 1 / Theresa Czerny. - Bamberg : Magellan, 2018. 301 S. - (¬Die¬ Pferde von Eldenau ; 1) ISBN 978-3-7348-5038-7 fest geb. : ca. € 15,50
Gemeinsam versuchen Frida und Jannis dem Pferd Dari zu helfen. (ab 12) (JE) Frida liebt den Pferdehof Eldenau, auf dem sie gemeinsam mit ihrer Familie und vielen Tieren lebt. Am liebsten reitet sie mit Liv am Strand entlang. Doch als das benachbarte Gut Carlshof einen neuen Besitzer findet, wird einiges anders. Zwei Reiterinnen gehen auf den Carlshof, weil sie dort auch Springreitturniere bestreiten können. Frida passt das gar nicht, weil sie Turniere für Tierquälerei hält. Trotzdem hilft sie Jannis vom Carlshof, der Stute Dari mehr Vertrauen beizubringen. Als dann nach einem Turnier alles schiefläuft, Dari sich nicht mehr an Jannis heranwagt und sie ohne Grund ausreißt, schmeißt Jannis Frida vom Hof. Doch ihm wird bewusst, dass er ihr Unrecht getan hat und gemeinsam mit ihren Freunden gehen sie Daris Misstrauen auf den Grund. Ein spannender Pferderoman, der gleichzeitig eine Detektivgeschichte ist und von Vertrauen handelt. Die Geschichte wird abwechselnd von Jannis und Frida in der Ich-Perspektive erzählt. Mir hat das Buch gut gefallen und ich freue mich schon auf den nächsten Band. Es ist für Büchereien und nicht nur für Pferdemädchen empfehlenswert. Sarah Atzlesberger, 12 Jahre
Ferguson, R. L.: Die Schule der Alyxa
: Morvans Erbe ; Band 2 / R. L. Ferguson. Aus dem Engl. von Leo Strohm. - Ravensburg : Ravensburger Buchverl., 2019. - 386 S. ISBN 978-3-473-40829-0 fest geb. : ca. € 15,50
Das spannende Abenteuer um die Schule der Alyxa geht weiter. Was wird Finn und seine Freunde dieses Mal erwarten? (ab 10 ) (JE) Als Finn und John in der Schule der Alyxa 376
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Kinder- und Jugendbücher
eintreffen, stimmt etwas nicht. Immer mehr Lehrer werden von Skorpiongift getötet. Doch wer steckt dahinter? Sind es etwa die finsteren Wachen, die auf die Hüter aufpassen? Da am Schluss nur noch Susan Arnott übrig bleibt, beschließt Kildar, der Dekan der Schule, Alyxa zu schließen. Doch Finn gibt nicht auf, er will die Schule retten. Bald darauf wird Susan Arnott von ihrer vermeintlich toten Tochter Adriana, die auf merkwürdige Weise in Alyxa auftaucht, zu einem gefrorenen See geführt und dort ins Wasser geschubst. Adriana bleibt danach spurlos verschwunden. Finn rettet Susan und beiden wird klar, das Morvan, der böse Hüter des sechsten Sinnes, in Adriana steckt. Aber wieso? Hat er es auf Finn abgesehen? Am liebsten hätte er sich Morvan zum Kampf gestellt, doch der Dekan will dies alleine erledigen. Wird Finn Morvan trotzdem besiegen, kommen sie dem Geheimnis des Skorpiongiftes auf die Spur und wird Adriana wieder ganz die Alte? Der zweite Band von Alyxa ist spannend, fesselnd und lustig geschrieben. Finn wird als abenteuerlustiger Junge dargestellt, wie er es im ersten Band auch schon war. Das Buchcover ist wieder mystisch von Frauke Schneider gestaltet. Durch den Wechsel von glatter und matter Oberfläche versprüht es noch mehr Magie. Ich persönlich finde "Morvans Erbe" genauso spannend wie den ersten Band "Der dunkle Meister" und freue mich schon sehr auf den dritten Band "Der sechste Sinn", der im Herbst 2019 erscheinen wird. Der Fantasyroman findet in jeder Jugendbibliothek Platz und ist für Jungs und Mädchen ab 10 Jahren geeignet. Katrin Aher, 12 Jahre
Flint, Emma: Mein Leben voller Feenstaub und Konfetti (schön wär's)
/ Emma Flint. Mit Vignetten von Eva Schöffmann-Davidov. Würzburg : Arena, 2019. - 247 S. : Ill. ISBN 978-3-401-60490-9 fest geb. : ca. € 13,40
Auf Anweisung ihrer Schwester versucht Leni in der neuen Schule nicht aufzufallen. Das ist jedoch schwieriger als gedacht. (ab 10) (JE) In Lenis Familie sind alle von ihrer Schwester Fiona begeistert. Diese spielt nämlich in einem Film eine wichtige Rolle. Leni, die in ihrer Freizeit
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mit ihrem Mountainbike fährt und schon alle möglichen Tricks beherrscht, ist in der Familie diejenige, die am wenigsten von Fionas Schauspielkarriere hält. Immer ist ihre Schwester in allem die Beste und ihre Familie wünscht sich, dass Leni zumindest annähernd so wird wie Fiona. Als sie ins Gymnasium kommt, schärft diese ihrer Schwester ein, sie nicht zu blamieren. Das ist jedoch nicht so leicht wie es scheint - trotz der neuen, braven Klamotten. Mir hat das Buch gut gefallen, da die Handlung sehr realistisch ist. Manchmal ist es im echten Leben ja tatsächlich so: Ein Kind hat tolle Hobbys und die Eltern erwarten, dass die anderen Kinder genauso sind, auch wenn diese vielleicht lieber Rad fahren, anstatt Ballett zu tanzen. Die Geschichte wird aus Lenis Sicht erzählt. Ich empfehle das Buch für Büchereien und Leser_ innen, die gerne Geschichten in Tagebuchform lesen. Sarah Atzlesberger, 12 Jahre
George, Kallie: Wings of Olympus
: die Pferde des Himmels / Kallie George. Aus dem Amerikan. übers. von Nadine Mannchen. - Bindlach : Loewe, 2019. - 218 S. ISBN 978-3-7432-0163-7 fest geb. : ca. € 13,40
Durch ein Pferderennen bei den griechischen Göttern muss Pippa beweisen, dass Liebe stärker ist als Macht. (ab 11) (JE) Pippa wurde als Kleinkind in einem Körbchen ausgesetzt und kennt ihre Eltern nicht. Seit einem Jahr arbeitet sie auf einem Pferdehof als Stallgehilfin. Als sie eines Tages den Flügel von Nikomedes, Zeus geflügeltes Pferd, sieht und dadurch ihre Arbeit vergisst, wirft sie der Stallbursche raus. In der Nacht schläft sie auf freiem Weg, doch am Morgen wird sie auf Marmorfliesen, inmitten von fremden Kindern, die alle aus reichen Familien stammen, wach. Sie alle wurden für das Rennen der geflügelten Pferde am Olymp auserwählt. Pippa reitet für Aphrodite und bekommt das Pferd Zephyr zur Verfügung gestellt.
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Für Kinder von 10 bis 14 Jahren
Drei Wochen haben die Kinder Zeit, um die Grundlagen des Reitens auf geflügelten Pferden zu lernen. Ein spannendes Buch, das in der griechischen Götterwelt spielt. Die Personen sind logisch und realistisch dargestellt: Es gibt Menschen, die mittellos sind und nichts haben - nicht einmal Eltern - und Menschen, die im Überfluss leben und die Ärmeren nicht beachten. Auf die Fortsetzung im Herbst 2019 freue ich mich! Das Buch ist für Büchereien empfehlenswert, vor allem dann, wenn auch Bücher über griechische Sagen vorhanden sind. Sarah Atzlesberger, 12 Jahre
Giles, Amy: Jetzt ist alles, was wir haben
/ Amy Giles. Aus dem amerikan. Engl. von Isabel Abedi. München : cbj, 2018. - 397 S. ISBN 978-3-570-16487-7 fest geb. : ca. € 17,50
Ein Buch zum Thema Gewalt in der Familie. (ab 14) (JE) Hadleys Vater ist Perfektionist. Er zwingt seine Tochter erbarmungslos zu einem knochenharten Training, erlaubt ihr nicht, mit Jungs auszugehen, akzeptiert in der Schule nur Bestnoten und bestimmt alle ihre Freizeitaktivitäten. Hadleys Freunde halten ihn für einen Kontrollfreak. Niemand weiß, dass er seine Wut seit Jahren auch in Form von Schlägen und Fußtritten an seiner Tochter auslässt. Züchtigung, wie es ihre Mutter nennt. Hadley wird bald 18, sie hat seit kurzem heimlich einen Freund und sie wünscht sich nichts sehnlicher, als von zuhause wegzukommen. Doch da ist auch noch ihre kleine Schwester Lila, die bis jetzt vom Vater verschont geblieben ist, allerdings nur, weil Hadley sie beschützt... Der Debütroman der amerikanischen Schriftstellerin Amy Giles würde auch in der Erwachsenenliteratur seinen Platz behaupten können. Der Auftakt gelingt der Autorin mit einer berührenden Geschichte über die erste bn 2019 / 2
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Für Kinder von 10 bis 14 Jahren
Kinder- und Jugendbücher
große Liebe zwischen zwei Heranwachsenden. Gratz, Alan: Langsam aber sicher tritt das Hauptthema - Amy und die geheime Bibliothek Kindesmisshandlung und Gewalt in der Familie / Alan Gratz. Aus dem Engl. von Meritxell Janina Piel. - immer mehr in den Vordergrund. Die Autorin München : Carl Hanser Verlag, 2019. - 243 S. verpackt ihre Handlung aber in eine besonders ISBN 978-3-446-26211-9 fest geb. : ca. € 15,50 spannende Geschichte, die einen bis zur letzten Gemeinsam mit ihren Mitschülern schmiedet Amy Seite nicht mehr loslässt. Außerdem ist der Ro- einen Plan, damit alle die aus der Schulbibliothek man auch ein Appell an alle Kinder die selbst verbannten Bücher lesen können. (ab 9) (JE) misshandelt werden und glauben, dass es keinen Die 9-jährige Amy liest Ausweg gäbe, unbedingt um Hilfe zu bitten. für ihr Leben gern, am Sehr empfehlenswerter Roman. Realistisch, nicht liebsten das Buch "Gilzu düster, mitreißend, überraschend. ly Hopkins - Eine wie Martina Mansoor keine". Dieses Buch
Gläser, Mechthild: Bernsteinstaub
/ Mechthild Gläser. - Bindlach : Loewe, 2018. - 463 S. ISBN 978-3-7855-8860-4 fest geb. : ca. € 20,60
Ophelia hat die Aufgabe, die Zeitströme wieder in die richtigen Bahnen zu bringen. (ab 14) (JE) Als sie eines Tages plötzlich Staubfäden in der Luft sieht, wird Ophelia sofort zu ihren Verwandten nach Paris geschickt, wo sie erfährt, dass sie eine Zeitlose ist. Der Staub, den sie und die anderen Zeitlosen sehen können, ist die Zeit, die überall vergeht. Auf der ganzen Welt gibt es nur einen Ort, an dem sie stillsteht und das ist der Bernsteinpalast in Rom. Da ein neuer Herr oder eine neue Herrin der Zeit gefunden werden muss, werden alle Zeitlosen in den Palast gerufen. Die Aufgabe des Herrn oder der Herrin der Zeit ist es, die Seelen der verstorbenen Menschen ins Jenseits zu bringen. In einem Wettbewerb müssen sich vier auserwählte Kandidat_innen beweisen. Doch der Wettkampf wendet sich, als plötzlich seltsame Anomalien in den Zeitströmen auftreten. Während Ophelia ganz neu in der Welt der Zeitlosen ist, kommen immer wieder verschiedene Leute auf sie zu und sie muss sich entscheiden, wem sie vertrauen kann und wer ein falsches Spiel mit ihr spielt. Außerdem kommt sie auch der Todesursache ihres Vaters näher. Durch die Rolle des Herrn der Zeit werden die Themen Tod und Vergänglichkeit näher thematisiert. Eine empfehlenswerte Lektüre, bei der die Spannung nicht zu kurz kommt. Caroline Bauer 378
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borgt sie sich fast jede Woche aus der Schulbibliothek aus. Doch eines Tages steht es nicht mehr im Regal und die Bibliothekarin erzählt, dass das Buch verbannt worden ist. Auch einige andere Titel sind vom Schulausschuss verboten worden. Amy ist furchtbar verzweifelt und ihre Eltern kaufen ihr das Buch. Ihre beste Freundin möchte es auch lesen und so borgt Amy es ihr. Ein Mitschüler hat die Unterhaltung mitbekommen und borgt Amy ein anderes Buch. So eröffnen sie die G.S.B., die Geheime Schließfachbibliothek. Mehr und mehr Schüler steuern Bücher bei oder borgen sich welche aus. Immer wieder bekommt Amy Ärger, doch sie lässt sich nicht entmutigen. Mir hat das Buch sehr gut gefallen, weil ich selbst gerne lese und auch handeln würde, wenn mein Lieblingsbuch verbannt werden würde. Ich finde es toll, wie Amy sich für die Bücher einsetzt, obwohl es ihr einigen Ärger einbringt. Das Buch ist für Büchereien sehr empfehlenswert, auch wenn es wohl nach den Vorstellungen des Schulausschusses in der Geschichte verbannt werden würde, weil Amy nicht immer so handelt, wie man es von "braven" Kindern erwartet. Vielleicht ist es auch gerade deshalb so empfehlenswert. Sarah Atzlesberger, 12 Jahre
Hartmann, Lukas: Die magische Zahnspange / Lukas Hartmann. Mit Ill. von Julia Dürr. - Zürich : Diogenes, 2018. - 231 S. : Ill. ISBN 978-3-257-01236-1 fest geb. : ca. € 16,50
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Der Zahnspangen-Spion. (ab 10) (JE) Als der 12-jährige Tobi eine Zahnspange benötigt, bekommt er eine Sonderanfertigung von Dr. Letrou. Dabei wird mittels Chip überwacht, wie lange er die Zahnspange trägt. Doch die magische Zahnspange kann noch viel mehr, sie hilft Tobi sogar bei den Hausaufgaben. In der Ordination begegnet er Herrn Brandauer, der neue Schaltelemente bringt. Als Tobi die Zahnspange eines Tages verliert, droht ihm Dr. Letrou, dass das nicht wieder passieren dürfe. Noch seltsamer wird es, als sein Vater, der eine geheime Arbeit hat, einen neuen Mitarbeiter einstellt - Herrn Brandauer. Tobi erzählt Dr. Letrou davon und dieser gebietet ihm, stillzuschweigen - anderenfalls würde er Tobi einsperren. Der Junge muss sich jemandem anvertrauen und findet bei seiner Schulfreundin ein offenes Ohr. In der Folge wird auch noch das Schließ- und Alarmsystem seines Vaters gehackt. Tobi weiß, wer dahintersteckt und erkennt, dass er mit seiner Zahnspange ein Spion ist. Schließlich bitten die Kinder ihre Lehrerin um Hilfe. Frau Bodenheimer erzählt, dass sie und Dr. Letrou einmal ein Paar waren und beim Zirkus gearbeitet haben, er wollte damals schon reich werden. Auf abenteuerliche Weise gelingt es ihnen am Ende Dr. Letrou auszutricksen, der vorgibt, er wollte armen Kindern mit Gratis-Zahnspangen helfen. Eine in gut verständlicher Sprache erzählte, spannende, wirklich lesenswerte Abenteuergeschichte, die nicht nur Zahnspangenträger_innen ab 10 Jahren begeistern wird! Monika Brugger
Hasse, Stefanie: Heliopolis
: Magie aus ewigem Sand / Stefanie Hasse. - Bindlach : Loewe, 2018. - 460 S. ISBN 978-3-7432-0092-0 fest geb. : ca. € 17,50
Zwei Mädchen leben in verschiedenen Welten, doch trotzdem verbindet sie etwas... (ab 12) (JE) Akasha, die Prinzessin von Heliopolis, soll an
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Für Kinder von 10 bis 14 Jahren
ihrem sechzehnten Geburtstag eine von acht magischen Gaben erhalten und Riaz heiraten. Doch Ash, wie sie kurz genannt wird, bekommt nur das leere Zeichen und damit keine magischen Fähigkeiten. Als sie dann auch noch den vorlauten Dante heiraten soll, schickt ihr Vater sie in einer für das Volk wichtigen Mission auf die Erde. Dort soll sie sich als Hailey ausgeben. Ihre Freunde Riaz, Malak und Yasmeen begleiten sie. Aber das ist noch nicht alles! Dante muss auch mitkommen und er schlüpft in die Rolle von Nicolas - den Freund der echten Hailey. Ash ist fest davon überzeugt, mithilfe ihres Zwillings Heliopolis zu retten. Doch es gibt Gegner, die das verhinden wollen und versuchen, den Zwilling in ihre Gewalt zu bringen... Wird es Akasha gelingen, Heliopolis zu retten, und somit auch ihr eigenes Leben? Das Buch ist spannend in der Ich-Perspektive, abwechselnd aus der Sicht von Akasha und Hailey geschrieben, man muss jedoch aufpassen, den roten Faden nicht zu verlieren, da es teilweise etwas verwirrend ist. Akasha ist ein mutiges, etwas zartbesaitetes Mädchen. Stefanie Hasse hat mit ihrem Buch einen magischen und dramatischen Roman erschaffen. Das Cover ist bezaubernd gestaltet, Karl Ramona hat sich große Mühe gegeben. Man weiß sofort, dass es sich bei diesem Buch um eine Fantasiegeschichte handelt. Der Roman ist für alle Mädchen ab 12 Jahren geeignet. Katrin Aher, 12 Jahre
Hasse, Stefanie: Schicksalsbringer
: ich bin deine Bestimmung / Stefanie Hasse. - Bindlach : Loewe, 2019. - 412 S. ISBN 978-3-7432-0382-2 kart. : ca. € 10,30
Als Kiera beim Umzug eine längst verloren geglaubte Münze findet, wird ihr Leben auf einen Schlag um einiges komplizierter. (ab 12) (JE) Kiera war mit ihrer Mutter vor vielen Jahren auf dem Jahrmarkt. Dort hat sie von einem Mann eine Münze bekommen. Als ihre Eltern bn 2019 / 2
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sich trennen, findet sie die Münze beim Umzug wieder und schneidet sich daran. Sie sieht keine Wunde, trotzdem schmerzt es immer wieder, wenn jemand ihre Hand berührt. In der Schule tauchen plötzlich die Brüder Hayden und Phönix auf. Die beiden weihen sie in ein Geheimnis ein: Kiera kann nämlich mithilfe der Münze das Schicksal beeinflussen und Phönix darf deshalb ein Monat lang nicht von ihrer Seite weichen. Am Anfang findet sie es nervig, aber mit der Zeit gefällt es ihr immer besser in Phönix' Nähe. Das Buch ist spannend, mysteriös und düster. Aber gleichzeitig ist es eine Liebesgeschichte zwischen Phönix und Kiera sowie eine Geschichte über die Freundschaft zwischen Kiera und ihrem besten Freund. Der Roman hat mir sehr gefallen, da ich gerne spannende Bücher lese. Besonders toll war die logisch aufgebaute Handlung, bei der ich immer genau wusste, was gerade passiert. Ich empfehle das Buch für Büchereien und hoffe, dass es anderen Menschen genauso gut gefällt wie mir. Sarah Atzlesberger, 12 Jahre
Kirby, Jessi: Offline ist es nass, wenn's regnet
/ Jessi Kirby. Aus dem Amerikan. übers. von Anne Brauner. - Bindlach : Loewe, 2019. - 331 S. ISBN 978-3-7432-0377-8 kart. : ca. € 15,40
Mari beschließt, den John-Muir-Trail für ihre verstorbene Cousine Bri zu gehen. (ab 14) (JE) Mari und Bri hatten am selben Tag Geburtstag und haben früher alles zusammen gemacht. Doch als sie älter wurden, haben sie sich auseinandergelebt. Mari hat sich mehr ihrem Leben auf Social Media gewidmet, während Bri die Welt bereiste und immer auf der Suche nach neuen Abenteuern war. An ihrem 18. Geburtstag bekommt Mari von ihrer Tante die Wanderausrüstung von Bri geschenkt. Bri hatte für ihren gemeinsamen Geburtstag geplant, dass sie beide den John-Muir-Trail miteinander gehen. Da Bri 380
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einen tödlichen Unfall hatte, beschließt Mari, den Trail alleine für sie beide zu gehen und verlässt ihre kleine Welt auf Social Media. Auch wenn sich die Geschichte an manchen Stellen ein bisschen in die Länge gezogen hat, ist das Buch auf jeden Fall sehr lesenswert. Es handelt davon, wie ein junges Mädchen zu sich selbst findet und dabei den Tod ihrer besten Freundin und Cousine verarbeitet. Eine sehr traurige Geschichte, die den Leser_innen mitteilt, dass man das Leben jede Sekunde genießen soll. Caroline Bauer
Kordon, Klaus: Hadscha, ich und der Himmel über der Pampa : Roman / Klaus Kordon. - Weinheim : Beltz & Gelberg, 2018. - 236 S. ISBN 978-3-407-75434-9 fest geb. : ca. € 18,50
Ein Jugendroman über Freundschaft, Verantwortung und das Freiheitsbedürfnis Jugendlicher. (ab 13) (JE) Als sich der 15-jährige Matti zunehmend von den Problemen mit den Eltern, der Freundin und in der Schule überfordert fühlt, erinnert er sich an das kleine Dorf, in dem er vor einigen Jahren mit der Familie Urlaub gemacht hat. Auch Inka fällt ihm wieder ein, ein Mädchen aus dem Dorf, mit der er eine vertrauensvolle, gute Zeit verbracht und eine verlassene Ruine erkundet hat. Mit dem Fahrrad macht sich der verzweifelte Junge auf den Weg und erlebt eindrucksvolle Tage mit dem weisen alten Mann Hadscha, der ihm von seinen Erfahrungen erzählt und ihm beibringt, was im Leben wirklich wichtig ist. Die Begegnungen mit dem Flüchtlingskind Muhammad und schließlich auch mit Inka, die er dann doch noch trifft, helfen Matti dabei, eine wichtige Entscheidung zu treffen und zu erfahren, was es bedeutet, wirklich frei zu sein. Ein ermutigendes Buch, das zum Nachdenken anregt und in jede Bibliothek gehört. Birgit Leitner
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Lauren, Ruth: Valor
: Rivalinnen der Macht / Ruth Lauren. Aus dem Engl. von Katja Maatsch. - Weinheim : Gulliver von Beltz & Gelberg, 2019. - 331 S. - (Valor ; 2) ISBN 978-3-407-74953-6 fest geb. : ca. € 15,40
Gemeinsam mit ihren Freunden versucht Valor, den Prinzen zu befreien und gleichzeitig der Prinzessin das Handwerk zu legen. (ab 12) (JE)
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erkrankten Schwester zu zeigen, wie wertvoll das Leben ist. Kann es gut gehen, wenn die beiden einander mitten in der unerforschten Wildnis einer kanadischen Insel treffen? Natürlich, denn auf der Suche nach Janas verschwundenem Onkel werden die beiden nicht nur von Bären angegriffen und müssen mit mangelnden Ressourcen kämpfen, sondern finden auch die große Liebe ineinander. Das sehr leichte Buch wird aus der Sicht der beiden Hauptcharaktere erzählt, dazu kommt noch eine dritte Stimme. Man ist gut unterhalten, wenngleich die Handlung an manchen Stellen allzu vorhersehbar ist. Etwa, wenn Janas Bein "unabsichtlich" Lukes berührt. Insgesamt aber gut geeignet für regnerische Tage, an denen man sich gemütlich in Decken eingewickelt in die wilde Abgeschiedenheit der Insel im Great Bear Rainforest denken kann. Eleni Steinborn, 14 Jahre
Als Valor heimlich an der Tür ihres Vaters lauscht, hört sie, dass der Prinz verbannt wurde. Sie möchte ihn unbedingt zurückholen, aber die Königin fordert Valor auf, die Verfolgung ihrer Tochter aufzunehmen, da diese aus dem Gefängnis ausgebrochen ist. Doch als dann die Königin ebenfalls spurlos verschwindet, versucht Valor herauszufinden, was die Prinzessin vorhat. Sie vermutet richtig, dass die Prinzessin den Thron für sich haben will. Mit ihren Freunden macht sie sich auf, um das Königreich zu retten. Der zweite Band von Valor hat mir zwar gefallen, allerdings hat mir ein richtiger Spannungsbogen gefehlt. Insgesamt waren einzelne Handlungsstränge und Erklärungen zu lang und teilweise auch verwirrend. Bei diesem Buch hätte man am Anfang und am Ende etwas weglassen können, dann wäre es insgesamt spannender gewesen. Mir hat der erste Band besser gefallen und ich würde den zweiten Band nicht unbedingt für Bü- Martin, Andrea: chereien empfehlen, es sei denn die Leser_innen Die Geheimnisse von Oaksend wollen Valors Geschichte weiterverfolgen. : die Monsterprüfung / Andrea Martin. Mit Ill. von Max Mein Sarah Atzlesberger, 12 Jahre zold. - München : cbj Verlag, 2019. - 309 S. : Ill. ISBN 978-3-570-17613-9 fest geb. : ca. € 13,40
Leuze, Julie: Das Glück an meinen Fingerspitzen
/ Julie Leuze. - Orig.-Ausg. - Ravensburg : Ravensburger Buchverl., 2018. - 308 S. ISBN 978-3-473-40166-6 fest geb. : ca. € 15,50
In der Wildnis einer kanadischen Insel laufen Jana und Luke vor ihren Geschichten weg und kommen einander näher. (ab 13) (JE) Zwei wunderbar klischeehafte Figuren mit traumatischen Erinnerungen stehen im Mittelpunkt dieses Romans: Einmal Jana, die seit einem Vorfall vor einem halben Jahr, bei dem sich ein Video von ihr viral verbreitet hat, unter Angstzuständen und Panikattacken leidet. Und Luke, der Videos von sich und seinen Kanu-Touren auf Youtube veröffentlicht, um seiner an Multipler Sklerose
Robin hat endlich einen Freund - ein Schutzmonster. (ab 10) (JE) Seit seine Eltern bei einem missglückten Raubüberfall getötet wurden, lebt Robin bei seinem Großvater Rufus, der menschliche Interaktion mit seinem Enkel auf das Nötigste beschränkt. Deshalb hat es auch keinen Sinn, diesem zu erzählen, dass Robin Lieblingsopfer des Schulrowdys Freddie ist. Bis Melvin Montgomery in seinem Zimmer auftaucht und sich als sein Schutzmonster (Warmblut, Europäisch Langhaar, Blue Tabby) vorstellt. Allerdings ist Melvin noch in der Ausbildung, was für einige witzige Hoppalas sorgt. Bald merken sie, dass Melvin nicht das einzige Monster in Oaksend ist. Und alle scheinen hinter einem alten Buch her zu sein, das Robin im hiesigen Antiquariat für Rufus bn 2019 / 2
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abholen soll. Dann gerät Robins Welt endgültig aus den Fugen. Die Geschichte spielt zweifellos irgendwo in Großbritannien - Druidenstein, Beltane, ein Alchimist aus dem 14. Jhdt., trotzdem dienen Stinktiere und Opossums den Tramps als Nahrung. Doch USA? Die Autorin scheint auch nicht die besten Erfahrungen mit Bibliothekar_innen gemacht zu haben. Robins Vater, ein völlig farbloses Wesen, war einer. Und der örtliche Bibliothekar geht locker als das männliche Pendant zu Knolle Murphy durch. Davon abgesehen, bietet die Geschichte genügend humorvolle und spannende Einfälle, sodass man es als unterhaltsames Lesefutter durchaus empfehlen kann. Anita Ruckerbauer
Pessl, Marisha: Niemalswelt
/ Marisha Pessl. Aus dem Engl. von Claudia Feldmann. Hamburg : Carlsen, 2018. - 381 S. ISBN 978-3-551-58400-7 fest geb. : ca. € 18,50
Fünf junge Menschen. Eine Abstimmung. Die Entscheidung über Leben und Tod. (ab 14) (JE) Sie waren immer zu sechst. Jetzt sind sie nur noch zu fünft. Jim stirbt unter ungeklärten Umständen und lässt die Protagonistin Beatrice allein zurück. Diese wendet sich von ihren Freunden ab, um den Tod ihrer großen Liebe zu verarbeiten. Ein Jahr später nimmt sie die Einladung zu einem Treffen der alten Clique an und hat bereits ein mulmiges Gefühl, als sie die Einfahrt zu dem Anwesen der Freundin hinauffährt. Beatrice hat sich fest vorgenommen, mit ihnen über Jims Tod zu reden, findet allerdings nicht die passende Gelegenheit dazu, da sie gemeinsam zu einem Konzert fahren. Auf dem Heimweg haben sie einen Unfall mit einem Lastwagen und landen neben der Straße, von wo aus sie zu Fuß zurück zum Anwesen gehen. Dort angekommen eröffnet ihnen ein Fremder, dass sie den Unfall nicht unbeschadet überstanden haben, sondern alle bis auf einen gestorben sind. Es ist nun an ihnen zu ent382
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scheiden, wer überleben soll. Sie hängen in einer Endlosschleife dieses einen Tages fest, solange, bis sie eine Entscheidung getroffen haben. Beatrice versucht nun die Gruppe zusammenzuhalten und mehr über Jims Tod zu erfahren. Denn jeder ihrer Freunde scheint mehr darüber zu wissen, als er zugeben möchte. So beginnt Beatrices Suche nach der Wahrheit und einem Weg zurück ins Leben. Der Roman ist bis zur letzten Seite fesselnd. Die Charaktere sind sehr gut ausgearbeitet und lassen tief in die Seelen dieser jungen Menschen blicken. Beatrice scheint im Gegensatz zu den anderen eher unscheinbar zu sein, was sich aber ändert, als klar wird, dass sie das Bindeglied der Gemeinschaft ist. Es ist sehr spannend zu verfolgen, wie jede Figur seine eigenen Ziele verfolgt und seinen eigenen Weg in der Niemalswelt macht. Die erreichte psychologische Tiefe ist sehr ansprechend und lässt die Leser_innen die genauen Beweggründe einer handelnden Figur nachvollziehen. Das Problem der Zeit in der Niemalswelt wird hervorragend herausgearbeitet, denn wie geht man damit um, wenn sich ein und derselbe Tag bis in alle Ewigkeit wiederholt und man dem nicht entkommen kann? Insgesamt ein sehr spannender Roman, der sich mit fünf jungen Menschen beschäftigt, die sich in einem Chaos aus Angst, Liebe, Lüge, Treue, Misstrauen und Wahrheit wiederfinden. Eine klare Empfehlung für alle Leser_innen, welche sich an eine tiefsinnige, spannende und dramatische Lektüre heranwagen wollen. Pia Lackner
Pressler, Mirjam: Dunkles Gold
: Roman / Mirjam Pressler. - Weinheim : Beltz & Gelberg, 2019. - 331 S. ISBN 978-3-407-81238-4 fest geb. : ca. € 18,50
Die beiden 15-jährigen Mädchen Rachel und Laura verbindet eine Geschichte, die sich über 700 Jahre erstreckt. (ab 14) (JE) Mirjam Pressler erzählt in ihrem neuesten und letzten Roman - die große deutsche Schriftstellerin und Übersetzerin ist Anfang 2019 knapp 80-jährig gestorben - die Geschichten zweier Mädchen, die durch einen Schatz verbunden sind. Laura ist 15 Jahre alt und lebt in Erfurt. Durch ihre Mutter, die Historikerin ist, weiß sie viel über den Schatz von Erfurt, der 1349 von
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Juden, auf der Flucht vor dem Pestpogrom, vergraben und zurückgelassen wurde. Über diesen Schatz, 1988 durch einen Zufall gefunden, will Laura eine Graphic Novel schreiben und zeichnen. Dazu sucht sie die Hilfe des gleichaltrigen Juden Alexej, in den sich das Mädchen dann auch verliebt. In ihrer Graphic Novel erzählt Laura wiederum die Geschichte der historischen Figur Kalman von Wiehe, einem reichen Juden, der mit seinen (allerdings fiktiven) Kindern Rachel und Joshua vor dem Pestpogrom nach Polen flieht. Vor seiner Abreise vergräbt er mit seiner Tochter noch seinen gesamten Besitz. Mirjam Pressler gelingt durch die beiden Mädchen, die kapitelweise aus ihrer Sicht schreiben, eine interessante Mischung: Sie präsentiert einerseits historische Fakten, andererseits gibt sie einen Einblick in die Probleme der beiden Figuren, die so viele Jahre trennen. Und sie macht klar, dass sich hinsichtlich Antisemitismus in 700 Jahren nicht viel geändert hat. Eleni Steinborn, 14 Jahre
Rabinowich, Julya: Hinter Glas
/ Julya Rabinowich. - München : Hanser, 2019. - 200 S. ISBN 978-3-446-26218-8 fest geb. : ca. € 16,50
Alice entfliegt der Enge des elterlichen Hauses zu Gunsten eines unsteten Lebens auf der Straße. Damit setzt sie einen Kontrapunkt zur Familiengeschichte. (ab 14) (JE) Wer wünscht sich das nicht, wenn er in der Pubertät steckt: der häuslichen Enge entfliehen, Schluss mit Eltern und Verpflichtungen machen und stattdessen die Welt erobern. Koste es, was es wolle. Alice will das auch und hat mit Nico einen jungen Mann an der Seite, der ihren Egotrip sogar unterstützt. Dass das nicht gut gehen kann, zeigt bereits der Prolog, den Julya Rabinowich ihrem Buch "Hinter Glas" voranstellt. Oder geht es vielleicht doch gut aus? Schließlich durchbricht Alice als Erste familiäre Muster und fügt so dem bisher gekannten Familienleben vollkommen neu strukturierte Kapitel
Für Kinder von 10 bis 14 Jahren
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hinzu. Die Autorin lässt die Leser_innen zweifelnd zurück. Die Erwartungen an die vielfach ausgezeichnete und mit Stipendien bedachte Julya Rabinowich sind auch bei diesem Buch hoch. Doch mit "Hinter Glas" hält sie diesen nicht stand. Seltsam blass sind die Figuren gezeichnet, vom Familienpatriarchen bis zum Schulprofessor, der in der Not seine helfenden Hände ausstreckt. Sie alle entsprechen gängigen Stereotypen. Oder ist das Absicht und "Hinter Glas" ist gedacht als Märchen, in dem es Gut und Böse gibt, Schwarz und Weiß und in jedem Fall ein Happy End? Petra Fosen-Schlichtinger
Roehrig, Caleb: Niemand wird sie finden
/ Caleb Roehrig. Aus dem Amerikan. von Heide Horn und Christa Prummer-Lehmair. - München : cbj, 2017. - 414 S. ISBN 978-3-570-17334-3 kart. : ca. € 15,50
Als der Hauptverdächtige beschließt, das Verbrechen selbst aufzuklären, begibt er sich auf einen Weg voller unerwarteter Wendungen. (ab 14) (JE) Der 15-jährige Flynn ist verzweifelt. Seine Freundin January ist verschwunden und da er die Nacht vor ihrem Verschwinden mit ihr verbracht hat, ist er für die Polizei der Hauptverdächtige. Immer wieder stellen sie ihm Fragen, die er nicht beantworten kann. Als sie beginnen, seine Freunde und Klassenkameraden zu befragen, zeichnet sich ein völlig neues Bild von January - von dem Mädchen, das er zu kennen glaubte. Der Autor Caleb Roehrig bringt seinen Protagonisten Flynn in eine derart aussichtslose Lage, dass dieser selbst beginnt, über die Hintergründe ihres Verschwindens zu recherchieren. Im Gegensatz zu den anderen Figuren, die während des gesamten Handlungsverlaufs blass und konturlos bleiben, hat der Autor mit Flynn einen authentischen Protagonisten geschaffen, der schlüssig handelt und Einblick in die Seele eines Teenagers gewährt. Als Teenager schafft er es noch nicht, zu sich selbst und seinen sexuellen Präferenzen zu stehen und verstrickt sich so lieber in Lügen, als ehrlich zu sein. Caleb Roehrig ist mit "Niemand wird sie finden" ein guter Jugendthriller gelungen, der trotz des etwas konstruierten Schlusses lesenswert ist. Edith Ratzberger bn 2019 / 2
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Ronnefeldt, Caroline: Quendel
/ Caroline Ronnefeldt. - 2. Aufl. - Berlin u.a. : Ueberreuter, 2018. - 445 S. ISBN 978-3-7641-7077-6 fest geb. : ca. € 20,60
Wenn die Barriere zur Anderswelt plötzlich dünn wird. (ab 12) (JE) Das kleine Völkchen der Quendel führt ein friedliches und beschauliches Leben und kennt Abenteuer nur aus Geschichten, die man sich abends am Kaminfeuer erzählt. Besonders gruselig sind jene rund um den Finsterwald, in den deshalb auch kein Quendel freiwillig einen Fuß setzen würde. Bis auf Bullrich Schattenbart, ein Kartenzeichner, den der weiße Finsterwald-Fleck auf seiner Landkarte schon lange wurmt. Also macht er sich auf, auch den Finsterwald zu erforschen. Als er am Abend nicht heimkehrt, befürchtet man das Schlimmste. Sein Vetter Zwenitbold, die resolute Hortensia, sein Lieblingsneffe Karlmann und der geheimnisvolle, alte Odilio machen sich sofort auf die Suche nach ihm. Und tatsächlich scheint etwas Unheilvolles im Finsterwald zu erwachen. Natürlich müssen sich die Quendel einen Vergleich mit den Hobbits gefallen lassen; zu ähnlich ist ihre Lebensweise. Sie lieben Geselligkeit, ihre Gärten, Pflanzen und alle Arten von Pilzen. Deshalb sind auch Kraftausdrücke wie "Stock und Schwamm" sehr beliebt. Allerdings hat Caroline Ronnefeldt in ihrem ersten Jugendbuch den Quendel eine ganz eigene Geschichte auf den Leib geschrieben und die wird zunehmend schauriger. Dabei nimmt sie Anleihen bei der europäischen Sagen- und Märchenwelt - die Wilde Jagd, Schattenwölfe und verführerische Halbwesen aus der Anderswelt, die an bestimmten Nächten einen Durchgang finden. Auch der Stil der Autorin ist bemerkenswert und passt wunderbar zu der märchenhaften Geschichte. Hier hetzt nicht ein Ereignis das nächste, das Gruseln kommt vielmehr auf leisen Pfoten, was auch die Spannung immer mehr erhöht. Und wenn ein Quendel einen über den Durst 384
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getrunken hat, dann torkelt er nicht einfach vor sich hin. "Es schien ihm einfacher, an der Mauer entlangzugehen, seit seine Füße sich kurz zuvor überraschende Schlenkerer erlaubt hatten, die ihn anschließend zu unvorhergesehenen Kurven zwangen." Das gelungene Coverbild und die Landkarte stammen übrigens ebenfalls von der Autorin, die Kunstgeschichte und Illustration studiert hat. Und wer sich jetzt ärgert, dass viele Fragen offen bleiben, der darf sich auf den 2. Band freuen, der für den Herbst dieses Jahres angekündigt ist. Breite Leseempfehlung. Anita Ruckerbauer
Rundell, Katherine: Mitten im Dschungel / Katherine Rundell. Aus dem Engl. von Henning Ahrens. Hamburg : Carlsen, 2018. - 299 S. ISBN 978-3-551-55480-2 fest geb. : ca. € 15,50
Nachdem eine Propellermaschine abgestürzt ist, befinden sich vier Kinder im Dschungel. Können sie überleben? (ab 10) (JE) Als eine kleine Propellermaschine abstürzt, finden sich die Insassen Fred, Con, Lila und Max alleine im Dschungel wieder. Es gibt nur wenig Chancen zum Überleben und sie machen sich auf den Weg, um Essbares zu finden. Dies ist gar nicht so leicht, denn der kleine Max jammert sehr viel und Con ist ein geiziges Mädchen. Doch zum Glück finden sie Nahrung und eine Hütte, die einmal bewohnt war. Bald schon fahren sie weiter, auf einem Boot aus Lianen und Holz, das Fred selbst gebaut hat. Zu ihrem Glück stoßen sie auf einen Piloten, der vor vielen Jahren auch abgestürzt ist und jetzt mit einem Geier in einer alten, kleinen Stadt lebt, die nur von ihm bewohnt wird - Wissenschaftler haben schon lange nach dieser Stadt gesucht. Der "Abenteurer", wie sie ihn nennen, verbietet ihnen aber, jemandem von der Stadt zu erzählen und auch, in eine geheimnisvolle Hütte zu gehen. Als Fred sich heimlich hineinschleichen will, wird er erwischt. Bald darauf wird der kleine Max auch noch von einer Kolonie von Riesenameisen gebissen,
Kinder- und Jugendbücher
die tödlich sein können, wenn man sich nicht im Krankenhaus behandeln lässt. Können die Kinder Max retten und finden sie dann endlich heraus, was sich hinter den Ranken der Hütte befindet? Das Buch ist durchgehend spannend geschrieben, Fred wird als tapferer, mutiger und abenteuerlustiger Junge dargestellt, Con war zuerst ein geiziges und nerviges Mädchen, doch im Laufe der Geschichte wird sie immer fröhlicher. Lila ist ein normales, freundliches und liebenswertes Mädchen. Max ist ein liebevolles Kind, er kann aber auch seine "Ich bin der Boss"- Seite zeigen. Das Cover des Buches ist sehr interessant gestaltet und die abgebildeten grünen Blätter passen toll zum Titel. Der Abenteuerroman ist für alle Mädchen und Jungs ab 10 Jahren und sollte in keiner Bibliothek fehlen. Katrin Aher, 12 Jahre
Rutkoski, Marie: Spiel der Macht
/ Marie Rutkoski. aus dem Engl. von Barbara Imgrund. Hamburg : Carlsen, 2018. - 366 S. ISBN 978-3-551-58388-8 fest geb. : ca. € 20,60
Wird sich Kestrel für die Liebe oder für ihr Reich entscheiden? (ab 14) (JE) Kestrel, die Tochter des ranghöchsten Generals von Valoria, lernt den Sklaven Arin auf einer Auktion kennen, bei der sie ihn für 50 Stück Silberlinge erwirbt. Denn als der Auktionator erklärt, dass Arin singen kann, löst das bei ihr den Drang aus, ihn zu besitzen. Kestrel weiß, dass in ihrem Heimatland nicht viele etwas für die Musik übrighaben. Sie selbst soll entweder früh heiraten oder in die Armee gehen. Doch was ist, wenn die junge Frau keines der beiden Dinge möchte? Noch dazu bemerkt sie, dass sie im Laufe der Zeit immer mehr für den Sklaven empfindet, als sie sollte. Doch Arin trägt ein dunkles Geheimnis mit sich, das sie nicht nur ihr Herz kosten könnte. Das Cover des Buches war definitiv nicht mein Geschmack. Obwohl ich anfangs etwas skeptisch war, hat mich der Roman vom Gegenteil überzeugt. Es beginnt mit der Auktion und man befindet sich sofort in der Mitte des Geschehens. Meiner Meinung nach ist der Stil sehr fließend und wenn man einmal begonnen hat, drängt es regelrecht zum Weiterlesen. Die Autorin hat mit dieser Geschichte Spannung, Lebenslust
Für Kinder von 10 bis 14 Jahren
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und Liebe in einem Buch vereint. Die Charaktere sind nachvollziehbar dargestellt und man kann sich gut in die Figuren hineinversetzen. Ich empfehle das Buch Jugendlichen ab 14, die gerne Fantasiegeschichten lesen. Elisabeth Haselbacher
Rühle, Alex: Traumspringer
/ Alex Rühle. Mit Ill. von Max Meinzold. - Orig.-Ausg. München : dtv, 2019. - 248 S. : Ill. ISBN 978-3-423-76246-5 fest geb. : ca. € 15,40
Als Leon eines Tages einen merkwürdigen Kiosk mit noch merkwürdigeren Dingen entdeckt, verändert sich auf einen Schlag sein ganzes Leben. (ab 12) (JE) Leon ist ein Junge, der in der Schule gerne aus dem Fenster starrt und vor sich hinträumt. Als er eines Tages vor dem Fenster eine schwarze Fledermaus entdeckt, wird er stutzig. Immer wieder trifft er auf Fledermäuse, und als er mit seiner Schwester im Zoo ist, findet er einen Kiosk, an dem ihm ein Mann einen schwarzen Kaugummi anbietet. In dieser Nacht träumt er von diesem Mann und zwar, dass dieser in seinem Klassenzimmer sitzt. Das Klassenzimmer sieht jedoch anders aus: Überall liegen Sitzsäcke und es gibt Hängematten. Nur die Tafel ist gleich. Der merkwürdige Mann wischt mit dem Tafeltuch über die Tafel und es erscheint ein schwarzer Tunnel. Als Leon den Tunnel betritt, findet er sich selbst schlafend in seinem Zimmer. Leon ist nämlich ein Traumspringer und er kann in die Träume von anderen Menschen springen. So erlebt er viele spannende Abenteuer. Mir hat das Buch sehr gut gefallen, da es sehr gruselig und spannend ist und ich gerne Bücher lese, die in diese Richtung gehen. Es ist sehr fantasievoll und ich bewundere den Autor für die vielen außergewöhnlichen Einfälle, durch welche die Geschichte so richtig interessant wird. Ich finde das Buch besonders empfehlenswert, weil es sowohl Mädchen als auch Jungen anspricht und es von 15-Jährigen bestimmt genauso gerne gelesen wird wie von 12-Jährigen. Sarah Atzlesberger, 12 Jahre bn 2019 / 2
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Für Kinder von 10 bis 14 Jahren
Savina, Nataly Elisabeth: Meine beste Bitch
/ Nataly Elisabeth Savina. - Frankfurt a. M. : Fischer, 2018. 281 S. - (Die Bücher mit dem blauen Band) ISBN 978-3-7373-4139-4 fest geb. : ca. € 16,50
Aufwühlende Erzählung über die Freundschaft zweier lebenslustiger, junger Mädchen, die auf der Suche nach ihrer Identität sind. (ab 13) (JE) Faina lebt in einer Kleinstadt und besucht das Gymnasium. Als sie die durchgeknallte, ein Jahr ältere Nike kennenlernt, beginnt eine innige Freundschaft, die scheinbar durch nichts zerstört werden kann. Nike steckt voller verrückter Ideen und kennt keine Tabus. Die anfangs noch zurückhaltendere Faina lässt sich begeistert auf jede Laune ihrer Freundin ein. Doch dann macht Nike Abitur und zieht in die Welt hinaus, während Faina zurück bleibt. Faina verliebt sich in den unkonventionellen jungen Künstler Julian und nachdem sie endlich auch mit der Schule fertig ist, folgt sie ihrer Liebe nach Berlin. Dort erlebt die junge Frau eine Zeit ohne Zwänge und Regeln, probiert alles aus, was verboten ist und scheint eine neue Identität gefunden zu haben. Als dann auch noch Nike nach Berlin kommt, scheint alles perfekt - doch dann begeht Nike einen unglaublichen Verrat an ihrer Freundin. Zutiefst verletzt flieht Faina zurück in ihre Heimatstadt. Noch ahnt sie nicht, welches Schicksal der lebenslustigen Nike bevorsteht. Eine spannende, mitreißende und sprachgewaltige Erzählung über eine junge Frau, die sich Hals über Kopf ins Leben stürzt und eine Gefühlsachterbahn erlebt. Die Autorin versteht es, Emotionen authentisch zu vermitteln, sie leuchtet ihre Charaktere bis in die tiefsten Tiefen aus und verfügt über eine starke und präsente Sprache. Ein außergewöhnlicher, anspruchsvoller Roman über das Erwachsenwerden, der alle Gefühlsfacetten - von überschäumender Lebensfreude über Kränkungen und Verzweiflung bis hin zu großer Melancholie durchlebt. Sehr empfehlenswert. Michaela Grames 386
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Kinder- und Jugendbücher
Schlick, Oliver: Penny Maroux und das Geheimnis der 11
/ Oliver Schlick. [Vignette: Constanze Guhr]. - Berlin u.a. : Ueberreuter, 2019. - 343 S. : Ill. ISBN 978-3-7641-5153-9 fest geb. : ca. € 15,40
Als Penny Maroux elf Jahre alt wird, verändert sich mit einem Schlag alles. (ab 10) (JE) Penny Maroux ist laut ihren Mitschülern durchgeknallt und verrückt und manche Leute aus ihrem Ort können sie nicht ausstehen, allein schon wegen ihres Namens. Als sie an ihrem elften Geburtstag einen grünen Brief mit einer großen 11 auf dem Umschlag bekommt, der von den Elfer-Kindern stammt, taucht plötzlich überall die Zahl 11 auf. In der Schule trifft sie ein Mädchen, das genauso denkt wie Penny und ebenfalls die Buchserie "Rory Shy" liebt. Die beiden sind sich von Anfang an sympathisch und Penny ahnt, dass das Mädchen ebenfalls ein Elfer-Kind ist. Mir hat das Buch sehr gut gefallen, weil es eine originelle Idee ist, dass es sogenannte "ElferKinder" gibt, die alle ein bisschen "verrückt" sind, denen es aber nichts ausmacht, wenn andere Menschen sie für durchgeknallt oder komisch halten. Außerdem finde ich es gut, dass Penny sich nicht unterkriegen lässt, obwohl ihre Tante ihr immer wieder erzählt, wie wichtig es ist, unter "normalen Kindern" zu sein. Penny ist das komplette Gegenteil von dem, was sich ihre Tante wünscht. Trotzdem schafft sie es immer wieder, den Plänen ihrer Verwandten auszuweichen und diese Sache bewundere ich an ihr. Ich empfehle das Buch für Büchereien und rate allen, die es gelesen haben, manchmal auch ein bisschen verrückt zu sein. Sarah Atzlesberger, 12 Jahre
Singer, Nicky: Davor und danach
: überleben ist nicht genug / Nicky Singer. Aus dem Engl. von Birgit Salzmann. - Hamburg : Dressler, 2019. - 382 S. ISBN 978-3-7915-0100-0 kart. : ca.€ 19,60
Zusammen mit einem ihr fremden Jungen tritt die 14-jährige Mhairi die beschwerliche Flucht in den Norden an und muss dabei alles riskieren. (ab 14) (JE) Mhairi ist auf der Flucht. Aus dem Süden der Erde, wo infolge des Klimawandels Trockenheit herrscht und daher die Menschen gezwungen sind, fortzuziehen. In den Norden. Wo infolge der Überbevölkerung ein Gesetz in Kraft
Kinder- und Jugendbücher
Für Kinder von 10 bis 14 Jahren
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getreten ist, das bestimmt, dass Menschen im Al- ineinander und erschafft so eine historische Fanter von 74 Jahren sterben müssen. Aber Mhairi tasywelt voller Magie. Evelyn Skyes leichter und hat keine Wahl, sie muss trotzdem in den Nor- flüssiger Schreibstil führt dazu, dass man regelden. Und sie hat bessere Karten als die vielen recht über die Seiten fliegt. In den einzelnen Kaanderen Fliehenden, schließlich ist das Mädchen piteln gibt sie ihren beiden Protagonisten Raum, in Schottland geboren und ihre Großmutter lebt um sich weiterzuentwickeln und ihren Teil zur nach wie vor dort. Und sie hat Kraft und einen Geschichte beizutragen. außergewöhnlichen Ehrgeiz. Dazu kommen die Alles in allem ein runder Jugendroman, der die Beschützergefühle, die sie nach und nach für den Leser_innen in eine magische Welt führt, aus der namenlosen Jungen entwickelt, der sich ihr an- man nicht so schnell wieder auftauchen will. Edith Ratzberger geschlossen hat. Gemeinsam müssen die beiden etliche Auffanglager, allzu freundliche Leute und andere Hürden überwinden, um an das Ziel ihrer Reise zu kommen. Und auch danach läuft nicht Sparkes, Ali: alles nach Plan. Die Nachtflüsterer - das Erwachen Das schon durch ein aufwendig gestaltetes Cover auffallende Buch ist emotional herausfordernd. : [Band 1] / Ali Sparkes. Aus dem Engl. von Manuela Knetsch. - München : Hanser, 2019. - 265 S. Aus der Sicht von Mhairi erzählt, angereichert ISBN 978-3-446-26232-4 fest geb. : ca. € 15,50 mit Monologen mit ihrem verstorbenen Vater und zahlreichen reflexiven Passagen, führt der Jede Nacht wachen drei Kinder in derselben Stadt Roman auch für die Leser_innen zu Fragen, de- um die gleiche Zeit auf. Das Leben der Menschen ren Antworten kein Happy End erwarten lassen. und Tiere liegt in ihrer Hand... (ab 11) (JE) Ein aktueller Roman, der einen wachrüttelt. 1:34 Uhr. Alle Men Eleni Steinborn, 14 Jahre schen der Stadt schla-
Skye, Evelyn: The Crown‘s Game
/ Evelyn Skye. Aus dem Engl. von Friederike Levin. - Weinheim : Beltz & Gelberg, 2018. - 463 S. - (Gulliver) ISBN 978-3-407-74948-2 fest geb. : ca. € 18,50
Ein magischer Kampf um Leben und Tod, der am Schluss nur durch Liebe gewonnen werden kann. (ab 14) (JE) Vika und Nikolai sind wie Schwarz und Weiß. Sie ist eine starke und selbstbewusste junge Frau, er ist zurückhaltend und introvertiert. Die beiden sind grundverschieden und es gibt nichts, was sie gemeinsam haben, außer der Tatsache, dass die beiden die einzigen Magier Russlands sind. An sich wäre das kein Problem, wenn sie nicht im "Spiel der Krone" gegeneinander kämpfen müssten. Denn nur einer von beiden kann als Magier an der Seite des Zaren weiterleben, der andere muss sterben. So beginnt das Spiel auf Leben und Tod und um den Platz an der Seite des zukünftigen Zaren Pascha - der Nikolais bester Freund und verliebt in Vika ist. Die Autorin entführt die Leser_innen in das Russland des neunzehnten Jahrhunderts. In diesem Setting verwebt sie Fiktion und Geschichte
fen. Nur Matt, Tima und Elena sind wach. Sie drehen ihre nächtliche Runde. Es ist schon die neunte Nacht, in der sie um diese Zeit aufwachen. Die drei sind verwirrt, doch dann merken sie, dass sie über besondere Gaben verfügen. Elena unterhält sich mit Füchsen, Matt hat einen Star namens Glückes als Freundin, die sogar einzelne Wörter wiederholen kann, und Tima muss nur in Gedanken eine Bitte formulieren, schon sind ihre Insektenfreunde für sie da. Die drei werden Freunde und gehen jede Nacht zur Lagerhalle, in der sie merkwürdige Dinge erleben. Sie treffen auf ein komisches Wesen, das immer um 1:34 Uhr auftaucht und alle Vögel in der Lagerhalle vergiftet. Als sie weglaufen und nach Hause gehen, bemerken die Freunde, dass sie schon die ganze Zeit beobachtet werden und erfahren auch, von wem. Der geheimnisvolle Junge Spin, der wie ein Vampir aussieht, hat ständig ein Auge auf sie geworfen und ist ihnen gefolgt. Doch so schnell er da ist, so plötzlich ist er wieder weg. Trotzdem bn 2019 / 2
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Für Kinder von 10 bis 14 Jahren
versuchen die Kinder, das merkwürdige Wesen, das in der Nacht in der Lagerhalle sogar zwei Menschen umgebracht hat, zu beseitigen. Sie schaffen es aber nicht rechtzeitig vor 1:34 Uhr mit Metallschrott eine Mauer zu bauen, damit sie das DLG-Wesen (Dunkellichtgott) ablenken können. An dem Abend, an dem Tima und Elena ein Musikvorspiel haben, tauchen dann mitten in Timas Vorspiel am Himmel der DLG und auch Spin auf. Können die Freunde mithilfe des Vampirs den DLG besiegen und so die Menschen und die Tiere retten? Das Fantasy- und Actionbuch ist in einem spannenden, geheimnisvollen und mitreißenden Stil geschrieben. Jeder der drei Hauptpersonen hat einen anderen Charakter. Tima ist ein fröhliches, abenteuerlustiges, aber auch etwas ängstliches Mädchen, ihre Freundin Elena ist freundlich und mutig. Matt ist ein selbstsicherer Junge, der auch sehr nett sein kann. Das Buch hat mir sehr gut gefallen, es wäre schön, selbst ein Nachtflüsterer zu sein. Das Fantasy-Buch ist für alle Jungs und Mädchen ab 11 Jahren geschrieben, die mit Matt, Elena und Tima den Kampf gegen eine geheimnisvolle Macht miterleben möchten. Das dunkle Cover und der dreidimensional gedruckte Titel mit dem glänzenden Vollmond im Hintergrund verleiht dem Buch etwas Mystisches. Ich bin schon sehr gespannt, welche Abenteuer die Nachtflüsterer im zweiten Band, der im Herbst 2019 erscheint, erleben und ob sie auf weitere unheimliche Gestalten treffen werden. Katrin Aher, 12 Jahre
Standiford, Natalie: Ein Baum voller Geheimnisse
/ Natalie Standiford. Aus dem Engl. von Claudia Max. Hamburg : Carlsen, 2019. - 299 S. ISBN 978-3-551-31769-8 kart. : ca. € 8,20
Ein Blick in die eigene Zukunft. (ab 10) (JE) Minty steht auf der Schwelle zum Teenageralter. Weil ihre beste Freundin sich plötzlich nicht mehr für ihre alten, "kindischen" Hobbys interessiert, sondern sich viel lieber mit älteren Mädchen trifft, hat Minty plötzlich jede Menge Zeit alleine. Da stößt sie überraschenderweise im nahegelegenen Wald auf einen alten Baum, dem die umliegenden Nachbarn ihre Geheimnisse in 388
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Kinder- und Jugendbücher
Papierform anvertrauen. Zeitgleich lernt sie auf ihren Streifzügen einen rätselhaften Jungen kennen. Zusammen mit dem scheinbar elternlosen Raymond legt das Mädchen sich auf die Lauer, um die Besitzer der Geheimnisse ausfindig zu machen und ihnen bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen. Das heranwachsende Mädchen findet es spannend herauszufinden, wie andere Leute leben und wie es ist, älter zu werden. Gleichzeitig erfährt sie in diesem Sommer aber auch, dass fast jeder Mensch Geheimnisse hat. Oft sind es gerade diese, die uns menschlich machen verletzlich und hilfsbedürftig. "Ein Baum voller Geheimnisse" ist ein schönes, positives und sehr zu empfehlendes Jugendbuch. Minty ist ein charakterstarkes Mädchen. Ihr Herz befindet sich am rechten Fleck. Im Laufe der Ereignisse, die sie zum Teil stark verunsichern, bleibt sie ihrer Persönlichkeit treu und steht zu ihren Werten. Die Ansiedlung des Romans im Süden der Vereinigten Staaten von Amerika verleiht der Erzählung außerdem einen angenehmen, leicht exotischen Hauch. Martina Mansoor
Strange, Lucy: Der Gesang der Nachtigall / Lucy Strange. Aus dem Engl. von Nadine Püschel. Hamburg : Carlsen, 2018. - 331 S. ISBN 978-3-551-31784-1 kart. : ca. € 8,30
Um sich und ihre Familie zu retten, muss die 12-jährige Henry viel Mut und Tapferkeit aufbringen. (ab 12) (JE) England, 1919. Henrietta lebt mit ihrer Familie beziehungsweise dem, was von ihr noch übrig ist - in einem Landhaus im kleinen Dorf Little Birdham. Seit einem Jahr ist ihr Bruder Robert tot, ebenso lange leidet die Mutter an einer psychischen Krankheit. Henrys Vater ist arbeitsbedingt im Ausland und die Nanny vertraut nur dem seltsamen Arzt Doktor Hardy, der die Mutter in eine Irrenanstalt einweisen will. Henry ist also eigentlich ganz allein mit ihrer kleinen Schwester, es
Kinder- und Jugendbücher
liegt an ihr, ihre Familie zu retten. Hilfe bekommt sie einzig von Moth, die als Einsiedlerin im Wald lebt. Ihr Ratschlag an die mutige Protagonistin: "Gegen Trauer gibt es kein Heilmittel, Henrietta. Doch es gibt etwas, das Licht ins Dunkel bringen kann - immer nur ein bisschen -, und das ist das Leben selbst." (S. 115) Die Ich-Perspektive von Henry sorgt dafür, dass man einen großartigen Einblick in die Gefühlswelt des Mädchens bekommt, wenngleich man dadurch oft nur schwer zwischen ihrer Realität und ihrer Fantasie unterscheiden kann. Dazu wirkt dieses Erzählen so emotional, dass der Leserin manchmal Tränen in die Augenwinkel kamen. Vor allem in jener Passage, in der mit Entschlossenheit und Mut beschlossen wird, etwas gegen das Schicksal zu tun. Eleni Steinborn, 14 Jahre
Tasane, Steve: Junge ohne Namen
/ Steve Tasane. Aus dem Engl. von Henning Ahrens. Frankfurt a. M. : Fischer, 2019. - 140 S. ISBN 978-3-7373-5643-5 fest geb. : ca. € 16,50
Sachlich gehaltene Darstellung zur Frage, wie es einem ca. 10-jährigen, unbegleiteten Flüchtling in einem Lager geht. (ab 12) (JE) Das Buch macht einen merkwürdigen Eindruck: Eine Art Karton ist der Deckel, die Geschichte beginnt schon auf dem Einband, kein Name des Autors wird genannt, kein Schmutztitel, keine ISBN, einfach nichts, was man von einem Buch gewohnt ist. Lesende landen in der Geschichte, genauso wie der Junge ohne Namen im Lager gelandet ist und dort "überlebt". Nur von einem Augenblick auf den nächsten, heimlich einen Apfelbutzen geklaut, ein paar Plastikfiguren gefunden, mit denen gespielt werden kann, immer auf der Hut, den Aufsehern nicht aufzufallen, Träume von der Vergangenheit, den weichen Umarmungen der Mutter und die Konfrontation mit der harten Realität, wenn die Bulldozer alles Vertraute dem Erdboden gleichmachen.
Für Kinder von 10 bis 14 Jahren
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Das Buch erschien 2018 unter dem Titel "Child I". Durch die Augen des Ich-Erzählers erleben wir das eigentlich Unaussprechliche. Ein Elend, mit dem wir im Alltag meist nicht konfrontiert sind. Das Spiel im Matsch. Das Finden und Verlieren eines ca. 3-Jährigen. Der Autor Steve Tasane betont ausdrücklich, dass er zwar der Sohn eines Flüchtlings ist, aber diese Geschichte nicht seine eigene ist. Er verknüpft Elemente seiner Kindheit mit dem Schicksal junger Flüchtlingskinder in der heutigen, von Krisen geschüttelten Welt. Der Text ist auf 140 Seiten mit großem Zeilenabstand gedruckt, daher leicht lesbar (und auch verständlich) ab 12 Jahren. Das Buch sollte aber unbedingt auch Erwachsene erreichen und könnte breit in der Schule und Jugendarbeit eingesetzt werden! Sehr zu empfehlen. Doris Göldner
Thomas, Angie: On the Come Up
/ Angie Thomas. Aus dem Amerikan. von Henriette Zeltner. München : cbj Verlag, 2019. - 508 S. ISBN 978-3-570-16548-5 fest geb. : ca. € 18,50
Authentische Story über ein dunkelhäutiges Mädchen aus schwierigen Familienverhältnissen, das als Rapperin durchstarten will. (ab 14) (JE) Die 16-jährige Brianna lebt mit ihrer Mutter und ihrem Bruder in tristen Verhältnissen. Nachdem ihr Vater, ein erfolgreicher GhettoRapper, ermordet wurde, als Brianna vier Jahre alt war, ist ihre Mutter der Drogensucht verfallen. Auch wenn sie mittlerweile wieder clean ist, hält sich die kleine Familie nur mühsam über Wasser und schafft es kaum, alle Rechnungen zu bezahlen. Brianna hat einen Traum - sie möchte in die Fußstapfen ihres Vaters treten und eine berühmte Rapperin werden. Als die 16-jährige bei einem Talentwettbewerb einen Song vorstellt, in den sie all ihre Emotionen einfließen lässt, wird dieser über Nacht ein Mega-Hit. Doch schnell stellt sich heraus, dass Briannas Song sie in den Augen ihrer Umwelt bn 2019 / 2
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Für Kinder von 10 bis 14 Jahren
als gewaltbereite Gangster-Braut abstempelt. Autorin Angie Thomas hat einen authentischen, emotionalen und spannenden Roman geschrieben und thematisiert tabulos das Leben dunkelhäutiger Menschen am Rande der Gesellschaft, wo Armut, Vorurteile und unverhohlener Rassismus zum täglichen Leben gehören. Doch auch wenn die Umstände noch so trist sind, sprießen Hoffnungen auf eine bessere Zukunft, und mit der Figur des Mädchens Brianna wird aufgezeigt, dass mit Kampfgeist, Mut und Leidenschaft ein Ausweg aus jeder Misere gefunden werden kann. Dass immer wieder Vokabular aus dem amerikanischen Jugend-Slang und der Rapper-Szene verwendet wird, mag gewöhnungsbedürftig sein, dem unkundigen Publikum wird jedoch ein umfangreiches Glossar im Anhang zur Verfügung gestellt. Ein tiefgründiges, aufrüttelndes und fesselndes Buch voller Emotionen und Atmosphäre. Michaela Grames
Kinder- und Jugendbücher
zu finanzieren, haben eines gemeinsam: Sie scheitern. Das macht den charismatischen Jungen allerdings nur noch sympathischer. Etwa, wenn er die Zeit fürs Flyer-Austragen beim Fußballspielen übersieht, seine Freunde ihm schließlich helfen, doch noch mit der Arbeit fertig zu werden und er im Gegenzug die Truppe zu Pommes einlädt, was ihm den Großteil seines Verdienstes kostet. Oder als er Lotte kennenlernt, die verzweifelt ihre Haube sucht und er 17,98 Euro des soeben gefundenen 20-Euro-Scheines für eine neue ausgibt, damit sie keine Probleme mit den Eltern bekommt. Die charmanten Illustrationen - jedes Kapitel ist in einem anderen Grundton gehalten - unterstützen die humorvolle Geschichte, die nicht nur, aber vor allem leidenschaftliche Fußballer ab 10 Jahren bestimmt begeistern wird. Sandra Brugger
Wagner, Anja: Dolphin Dreams
Waechter, Philip: Toni
: Im Meer wartet die Freiheit / Anja Wagner. - Bindlach : Loewe, 2019. - 175 S. - (Dolphin Dreams ; 4) ISBN 978-3-7432-0243-6 fest geb. : ca. € 10,30
: und alles nur wegen Renato Flash / Philip Waechter. Weinheim : Beltz & Gelberg, 2018. - 64 S. : durchg. Ill. ISBN 978-3-407-75425-7 fest geb. : ca. € 15,40
Zwei unterschiedliche Freunde, die sich nur gemeinsam helfen können. (ab 11) (JE)
Eine bezaubernde Graphic Novel über das Erwachsen-Werden, Geldverdienen und das Weihnachtswunder. (ab 10) (JE) Philip Waechter beschreibt ein Dilemma, das nicht nur Jugendliche wie sein Protagonist Toni kennen: Man möchte etwas kaufen, etwa den Markenfußballschuh Renato Flash, den man aber eigentlich gar nicht benötigt. Tonis Mutter unterstützt den Kommerz nicht, sie setzt sogar noch eins drauf und erklärt ihrem Sohn im November, dass sie in diesem Jahr generell auf Weihnachtsgeschenke verzichten wird und das Geld stattdessen spenden will. In sechs Kapiteln werden Tonis engagierte Versuche Geld zu verdienen beschrieben. Seine Bemühungen, sich durch Arbeit, Straßenmusik oder Glück seine blinkenden Sportschuhe selbst 390
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Summer kommt in den Ferien in das Oceanlive Rescue Center, obwohl sie das gar nicht möchte. Ihre große Schwester May ist auch jedes Jahr in dem Camp und behandelt sie schlecht und verspottet sie dauernd, da Summer seit dem Tod ihres Grandpas nicht mehr redet. Im Sommercamp lernt sie den Delfin Jack kennen, der Menschen gegenüber scheu ist. Doch als er sich in Summers Nähe traut und sich von ihr füttern und streicheln lässt, sind alle begeistert. Besonders Dr. Hanson und seine Tochter Vicki. Vicki und Summer freunden sich an und bald darauf fragt sie Summer, ob sie bei ihnen wohnen will. Summer willigt ein zu Vicki zu ziehen und die beiden Mädchen besuchen jeden Tag Jack in der Krankenstation. Können sie Jack wieder gesund ins Meer zu seiner Delfinschule hinauslassen und werden sich Summer und May am Ende doch noch vertragen? Das Buch ist durchgehend spannend in der IchPerspektive geschrieben. Man hätte, ohne einen Blick auf das Cover, gar nicht gemerkt, dass nicht Catherine Hapka, die bereits die ersten drei Bände der Dolphin Dreams Reihe, sondern
Kinder- und Jugendbücher
Anja Wagner den Roman geschrieben hat. Der Schreibstil ist lustig, fröhlich und einfühlsam. Es werden Werte wie Freundschaft, Geschwisterliebe, Streit, Eifersucht und auch Liebe behandelt. Die Hauptperson Summer wird als sensibler, ernster und stiller Mensch dargestellt. Das Buch ist für alle Mädchen ab 11 Jahren geeignet, die das Abenteuer von Summer und dem Delfin Jack miterleben möchten. Katrin Aher, 12 Jahre
Weger, Nina: Als mein Bruder ein Wal wurde / Nina Weger. - Hamburg : Oetinger, 2019. - 253 S. : Ill. ISBN 978-3-7891-0963-8 fest geb. : ca. € 14,40
Belas großer Bruder ist zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort, wird überfahren und liegt von da an im Wachkoma. (ab 11) (JE) Bela muss erleben, wie sein Bruder schwer verunglückt und ins Wachkoma fällt. VJU und NJU - vor Julius' Unglück und nach Julius' Unglück - ist seine neue Zeitrechnung. Er beobachtet, wie alles versucht wird, um seinem Bruder zu helfen. Bela nennt es die Wattezeit, so unwirklich und gedämpft erscheint ihm das Leben. Aber nichts nützt und irgendwann sind alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Von da an wird Julius weiter im Wohnzimmer von Spezialistinnen betreut. Trauer, Hoffnung und Sorge - sie sind immer dabei und für jeden unterschiedlich. Bela allerdings kann nicht mehr zusehen und bald steht eine Frage im Raum: Wer entscheidet, ob und wann die Geräte ausgeschaltet werden? Was würde Julius wollen? In dieser schwierigen Zeit bringt ihn die gleichaltrige Martha, die er eher seltsam findet, die aber auch die einzige ist, die eine gewisse Ruhe ausstrahlt, auf die Idee, den Papst um seine Meinung zu fragen. Dieser müsse doch wissen, was das Richtige ist. Mit geliehener Kreditkarte und etwas Taschengeld sind die zwei auf allerhand Bahnstrecken dann schnellentschlossen unterwegs zum Vatikan. Die Autorin wirft existentielle Fragen auf, die allerhand von den Leser_innen
Für Kinder von 10 bis 14 Jahren
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verlangen. Doch werden die Gedanken zu Leben und Tod von lustigen Momenten unterbrochen und begleitet. Abenteuer und Freundschaft, Liebe und Abschied, Trauer und Leben, alles ist hier enthalten, ein pralles Buch voller grundsätzlicher Fragen, auf die es schlussendlich auch eine Antwort gibt. Der wunderbar einfühlsame Text sollte zur Grundausstattung aller Stellen werden, die sich mit Kindern und Jugendlichen, mit Trauer und dem Leben selbst beschäftigen. Angela Zemanek-Hackl
Wheatle, Alex: Die Ritter von Crongton
: Roman / Alex Wheatle. Aus dem Engl. von Conny Lösch. München : Antje Kunstmann, 2018. - 254 S. ISBN 978-3-9561425-5-0 fest geb. : ca. € 18,50
Ein farbiger, übergewichtiger Junge als Held auf gefährlicher Mission in einem sozial benachteiligten Viertel von London. (ab 14) (JE) Der Ich-Erzähler McKay leidet unter seinem Gewicht, dem Tod seiner Mutter, der angespannten Stimmung zwischen seinem älteren Bruder und dem Vater und der Angst vor dem Gerichtsvollzieher. Was ihm hilft, all diese Widrigkeiten auszuhalten, ist sein Freundeskreis in der Schule (vielleicht schon bekannt aus dem Vorgängerband "Liccle Bit. Der Kleine aus Crongton"). Doch es sind Loyalität und Mut gefordert, als es gilt, das Handy eines Mädchens mit kompromittierenden Fotos aus der Hand des Feindes (dem Exfreund) zurückzuholen. Dazu müssen die drei Burschen und zwei Mädchen quasi durch ein Minenfeld (das Gebiet einer verfeindeten Gang) und durch einen Polizeisperrgürtel. Fast geht die Aktion schief... Im Mittelpunkt dieses Buchs stehen Protagonisten, die man hierorts bestenfalls aus dem Fernsehen kennt, der Autor allerdings aus eigener Erfahrung, denn er ist in diesem Milieu aufgewachsen. Die geballte Gewalt und Aggressivität machen einem über weite Strecken sprachlos. Da bn 2019 / 2
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Kinder- und Jugendbücher
Für Kinder von 10 bis 14 Jahren
hilft es wirklich, diese Welt durch die Augen von McKay zu sehen, dem es fast genauso geht, der aber zum Handeln gezwungen ist, da dies seine Lebensrealität ist. Dabei lässt sich erkennen, wie das Überleben in einer so feindlichen Umgebung überhaupt gelingen kann. Die Sprache im Buch ist gewöhnungsbedürftig; die Übersetzerin Conny Lösch musste den Slang der Jugendlichen aus dem sozial benachteiligten Milieu Englands ins Deutsche übertragen, was nicht ganz einfach zu lesen ist. Allerdings wird
man durch den rasanten Verlauf der Story für die Lesemühen belohnt! Eine Empfehlung für "Die Ritter aus Crongton" ab 14, weil es eine Abenteuergeschichte ist, die dennoch die Realität sehr benachteiligter Jugendlicher abbildet. Ich möchte noch auf den sehr interessanten Beitrag "Nicht gestellte Fragen" von Magali Heißler zu diesem Buch hinweisen: https://titel-kulturmagazin.net/2018/11/05/jugendbuch-alex-wheatle-die-ritter-von-crongton/. Doris Göldner
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1001 Buch. Das Magazin für Kinder- und Jugendliteratur Nr. 2/2019 | Info und Bestellung: www.1001buch.at office@1001buch.at | +43 1 5050359
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Hörbücher
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Hörbücher ausgewählt und besprochen vom Team der Hörbibliothek Graz Mariahilf
Drachenerwachen [Tonträger]
/ Valija Zinck. Gelesen von Jona Mues. - Berlin : Argon Hörbuch, 2018. - 4 CDs (325 Min.) ISBN 978-3-8398-4185-3 ca. € 16,95
Spannende Drachengeschichte. (ab 6) (TD.J) In der Geschichte "Drachen erwachen" geht es um die anfangs sehr launische, Kinder verachtende Frau Tossilo, die durch Zufall bei einem ungewollten Koffertausch an ein Drachenei gerät. Doch erst durch die Hilfe der beiden Nachbarskinder Johann und Janka erkennt die Dame, womit sie es zu tun hat. Mit der Zeit werden die drei und der nun schon geborene Drache ein eingespieltes Team, und es beginnt eine innige Freundschaft. Allerdings treten damit auch Probleme auf, da der ursprüngliche Besitzer des Dracheneis, Blackwest, dieses zurückhaben möchte. Und so befinden sie sich plötzlich in einem spannenden Abenteuer. Mir gefällt das Hörbuch sehr gut, da es eine wunderbare Geschichte über Freundschaft erzählt, niemals langweilig wird und die Hörer_innen in seinen Bann zieht. Somit ist es etwas für Klein und Groß. Daher würde ich diese Lesung, die durch die Stimmvariationen von Jonas Mues wie ein Hörspiel klingt, für Kinder ab 6 Jahren empfehlen. Die CDs sind in einer Jewel-Box verpackt. Katia Wiener-Pucher, 14 Jahre
Das Erbe der Macht [Tonträger]
: Schattenchronik 1. Das Erwachen / Andreas Suchanek. Gelesen von Clemens Benke. - Ungekürzte Lesung - Frankfurt : Steinbach Sprechende Bücher, 2019. - 2 mp3-CDs (679 Min.) ISBN 978-3-86974-357-8 ca. € 22,50
Der spannende Auftakt einer magischen FantasyReihe. (TD.D) Alexander Kent ist ein normaler Mensch, der gerne feiert und Frauen abschleppt. Doch als er plötzlich von einem grünen Licht umhüllt wird, ändert sich sein Leben schlagartig. Denn er ist ein Erbe der Macht. Das Erbe, das er antritt, ist das des Kampfgefährten der Lichtkämpferin Jenifer Danvers. Seit über einem Jahrhundert bewachen Lichtkämpfer den "Wall" - eine magische Barriere, die die Gesellschaft der Magier vor nicht magischen Wesen verbirgt und somit schützt. Doch nicht alle Magier sind gut. Die Schattenkrieger wollen nicht länger verborgen bleiben. Durch das Schicksal verbunden, geraten Alex und Jenifer in einen Kampf, in dem sie versuchen müssen, die Mächte des Bösen davon abzuhalten, den Wall zu zerstören. "Das Erbe der Macht - Schattenchronik 1: Das Erwachen" ist der Auftakt einer umfangreichen, magischen Urban-Fantasy-Reihe. Andreas Suchanek schafft es, alltägliche und fantastische Elemente zu einer neuen Komposition zusammenzuführen. So werden zum Beispiel bn 2019 / 2
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Hörbücher
historische Persönlichkeiten wie Johanna von Orléans und Leonardo da Vinci als unsterbliche Magier in die Gegenwart versetzt. Nicht zuletzt dadurch werden leicht humoristische Elemente in die ansonsten düstere Story eingebaut. Denn das Schicksal der magischen Welt steht auf dem Spiel, sollten die Lichtkämpfer den Kampf um den Wall verlieren. Obwohl sich Alex und Jenifer als Hauptcharaktere herauskristallisieren, ist die Geschichte aus der Sicht mehrere Personen erzählt. Der Sprecher Clemens Benke hat das Sprechtempo und die Intonation so angepasst, dass es den Hörer_innen gut möglich ist, der komplexen Story trotz der vielen Perspektivenwechsel zu folgen. Das Cover der Plastik-CD-Hülle imitiert vergilbtes Papier. Die dominanten Farben sind Braun, Gelb und Gold. Die beiden MP3 CDs haben ein schlichteres Design. Bettina Koller
Kleinhirn an alle [Tonträger]
: die große Ottobiografie - Nach einer wahren Geschichte / Otto Waalkes. Gelesen von Otto Waalkes. - Gekürzte Lesung - München : Random House Audio, 2018. - 5 CDs (372 Min.) ISBN 978-3-8371-4135-1 ca. € 24,70
"Ich weiß auch nicht genau, woran mich so viele Leute auf der Straße erkennen, im Winter total vermummt durch eine Stadt, Mütze mit Ohrenklappen, Kragen hoch bis zur Nasenspitze und mit Sonnenbrille, trotzdem ruft meist jemand OTTO!" (TD.B) Was, 70 Jahre, so lange ist nun Otto Waalkes schon auf der Welt? Eigentlich ist er ein Überbleibsel aus einer anderen Comedy-Zeit, vielleicht der Ottifantenzeit? Schon beim Hören der ersten Worte, mit seiner typischen Stimme und dem Dialekt, seinen ihm eigenen Wortspielchen und Witzchen, sieht man Otto vor dem geistigen Auge. Jeder, der ihn kennt und liebt, wird begeistert sein. Eigentlich ist er das Wahrzeichen Ostfrieslands und auch des Humors seiner Generation. Bei jeder Erwähnung dieses Landstriches denkt man beinahe automatisch an ihn. Er erzählt von seiner Kindheit und Jugend und davon, wie er dann zur Musik gekommen ist. Als Mitglied der Band 394
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"The Rustlers" machte er seine ersten Bühnenerfahrungen. Auch die Erzählungen aus seiner WG-Zeit in der "Villa Kunterbunt", in der er unter anderen mit Udo Lindenberg und Marius Müller-Westernhagen unter einem Dach lebte, sind urkomisch und einprägsam. Er erzählt über Hamburg und Ostfriesland, über Europa und die ganze Welt, über Eltern und Freunde, Musik, Witze und Kunst, was ihn bewegt, ihn nervt und erstaunt. Auch über seine beiden gescheiterten Ehen spricht er zum Beispiel nie negativ. Er erzählt über Erfolge, ebenso über sein Scheitern und seine Misserfolge. Otto Waalkes hat eine überaus charmante und amüsante Art zu erzählen. Wenn man einfach nur zuhört, hat man das Gefühl, alles sei nur Humor, Comedy und Blödelei. Wenn man sich aber konzentriert dem Hörbuch hingibt, dann kann man einen anderen Otto Waalkes entdecken: Er ist ein sehr einfühlsamer, tiefgründiger Mensch, der, so macht es den Eindruck, vieles aus seinem Inneren mit seinen Späßen übertüncht. Man kann dieses Hörbuch wirklich weiterempfehlen. Ganz besonders ist es an seine Fangemeinde gerichtet und an alle, die etwas mehr über sein Leben erfahren möchten. Die Länge des Hörbuches soll auf keinen Fall abschrecken, die Zeit vergeht beim Zuhören wie im Flug! Alle technischen Informationen sind auf der Hülle bzw. im Booklet zu finden und mit sehr guter Lupe auch lesbar. Fritz Hadler
Das Mädchen, das im Buchladen gefunden wurde [Tonträger]
/ Sylvia Bishop. Übers. von Sigrid Ruschmeier. Gelesen von Ilka Teichmüller. - Berlin : Argon Hörbuch, 2018. - 2 CDs (160 Min.) ISBN 978-3-8398-4184-6 ca. € 12,95
Kann man Bücher lesen, ohne Lesen zu können? (ab 8) (TD.J) Property wird als 5-jähriges Mädchen in einem Buchladen zurückgelassen, von Michael, dem Sohn der Buchladenbesitzerin Netty, zwischen den Fundsachen entdeckt und damit in die kleine Familie aufgenommen. Property kann nicht lesen, das ist aber keinem bewusst, da sie es so gut verbergen kann, dass keiner von den beiden dahinterkommt.
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Bei einem Preisausschreiben gewinnen sie eine riesige, magische Buchhandlung, das "Montgomery Bücherparadies". Property ist anfangs auch sehr glücklich, merkt jedoch, als eine zwielichtige Gestalt ein sehr teures Manuskript aus der Büchersammlung zurückverlangt, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Dank Propertys Spürsinns und ihrer Neugier können die drei das Problem lösen. Ilka Teichmüller erzählt diese Geschichte äußerst spannend und mit guter Stimme, es macht große Freude ihr zuzuhören. Die Charaktere werden sehr gut dargestellt. "Montgomerys Bücherparadies" wirkt für Leserratten wahrlich paradiesisch. Propertys Analphabetismus wird nie negativ dargestellt, aber dem Kind als Zuhörer wird vermittelt, wie wichtig, spannend und bereichernd es ist, wenn man lesen kann. Die 2 CDs befinden sich in einer Faltbox, Booklet ist keines vorhanden. Ulrike Nowak-Hölzer
Robert Reinagl liest Franzobel: Rechtswalzer [Tonträger]
/ Franzobel. Gelesen von Robert Reinagl. - Autorisierte bearbeitete Fassung - Köln : Lübbe Audio, 2019. - 8 CDs (554 Min.) ISBN 978-3-7857-5974-5 ca. € 22,50
Ein Krimi, der geschickt Gesellschaftskritik und eine spannende Handlung verbindet. (TD.D) Im Österreich des Jahres 2024 regiert der "Limes", eine ultrarechte Partei, die von dem "Meister" geführt wird und systematisch die Demokratie untergräbt. Das Feindbild des "Limes" ist der Islam. Rassismus, Intoleranz und staatliche Willkür sind bis in den letzten Winkel der Gesellschaft vorgedrungen und deshalb verwundert es auch nicht, dass der unbescholtene Bürger Malte Dinger aufgrund von Schwarzfahren in die Mühlen der Justiz gerät und schlussendlich ins Gefängnis geht. Zeitgleich ermittelt Kommissar Groschen in einem bestialischen Mordfall, der ihn immer weiter in ein Geflecht aus Lügen, Intrigen und Manipulation manövriert. Seine Ermittlungen führen ihn von der Mafia über eine gesellschaftlich und wirtschaftlich angesehene Bauunternehmerfamilie und schlussendlich zur
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Limes Partei, die unter dem Deckmantel des Vaterlandes und des Patriotismus den Ausverkauf von Österreich plant. In "Rechtswalzer" denkt Franzobel die derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen zu Ende. Was passiert, wenn die Demokratie immer mehr zu einem Instrument der Reichen und Mächtigen wird? Was passiert, wenn Rassismus und Intoleranz in der Bevölkerung geduldet und praktiziert werden? Was passiert, wenn kritische Medien durch solche ersetzt werden, denen es nur um Unterhaltung und Profit geht? Gesprochen wird der Text von Robert Reinagl, der dem Krimi durch seine stimmliche Präsentation eine zusätzliche Spannung verleiht und den Roman zu einem Hörvergnügen macht. Es handelt sich um eine bearbeitete Lesefassung. Das Booklet bietet eine Kurzbiographie des Autors und des Sprechers. Sophie Trogbacher
Die rote Frau [Tonträger]
: ein Fall für August Emmerich / Alex Beer. Gespr. von Cornelius Obonya. Regie: Harald Krewer. - Gekürzte Hörfassung München : Random House Audio, 2018. - 6 CDs (479 Min.) ISBN 978-3-8371-4130-6 ca. € 22,50
Routiniert gekocht, brillant serviert. (TD.D) Unter dem Pseudonym Alex Beer verfasst die Vorarlbergerin Daniela Larcher historische Kriminalromane im Jahresabstand: 2017 erscheint "Der zweite Reiter" als mit Fug und Recht preisgekrönter Erstling einer Serie, die im Nachkriegswien der frühen 1920er Jahre angesiedelt ist. Darin klärt Rayonsinspektor August Emmerich komplexe Kriminalfälle mit nicht immer ganz legalen Methoden auf. So auch im Folgewerk "Die rote Frau". Erneut geht es um ehemalige Angehörige der k. u. k. Armee, um Kriegsgewinnler, Kleinkriminelle, Künstler, die allesamt überzeugend und mit einer gehörigen Portion Humor gezeichnet werden. Weniger plausibel sind dagegen der vom Kapp-LüttwitzPutsch von 1913 inspirierte Plot und vor allem das Mordmotiv des zweiten Teils der "EmmerichSerie", der allerlei küchenlateinischen Nonsens bemüht und schließlich mit einem blutreichen bn 2019 / 2
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coup de théâtre endet. Das ist schade, zumal die zahlreichen von der Autorin zitierten Wiener Schauplätze und Institutionen wieder auf akribischer Recherche basieren. Derlei Sorgfalt hätte man sich freilich auch in stilistischer Hinsicht gewünscht, um arge Fehlgriffe in der Wortwahl zu vermeiden: "Sexeskapaden" waren um 1920 nachweislich unbekannt, wiewohl sexuelle Eskapaden durchaus geläufig sein mochten; "vergiss es" lieferte noch keinen brauchbaren Ersatz für "lass es gut sein". Für die gedruckte Fassung gibt es also nur eine eingeschränkte Empfehlung. Umso euphorischer sei hingegen die Hörfassung empfohlen, auch wenn diese zumindest an einer Stelle sinnstörend gekürzt wurde. Das ändert nämlich nichts am hinreißenden Vortrag von Cornelius Obonya. Wie schon in "Der zweite Reiter" sprengt der bekannte österreichische Schauspieler in "Die rote Frau" erneut die Grenze zwischen Hörbuch und Hörspiel, indem er jeder der zahlreichen Figuren ihre unverwechselbare und gleichzeitig milieugerechte Stimme verleiht, etwas, was man sonst nur von prominenten angelsächsischen Schauspielern kennt. Obonya macht das derart virtuos, dass man als Hörer_in über das böhmakelnde Faktotum Jeschek lachen muss, während man den Kriegsveteranen Peppi mit halb fehlendem Unterkiefer entsetzt bemitleidet. Beim staublungenkranken Ziegelarbeiter Kofler atmet man vor lauter Empathie mit ein- und aus, vor Emmerichs Zornesausbrüchen duckt man sich. Und wer genau auf die Gestalten aus der besseren Wiener Gesellschaft hört, bemerkt auch dort sprachliche Nuancen aller Art. Was für eine Wunderkammer tönender Sozialkunde! Hugo Kubarth
Verrückt nach Schweden [Tonträger]
/ Miika Nousiainen. Gelesen von Christoph Maria Herbst. Aus dem Finnischen von Elina Kritzokrat. - Ungekürzte Lesung - Berlin : Argon Hörbuch, 2019. - 5 CDs (360 Min.) ISBN 978-3-8398-1708-7 ca. € 19,95
Eine schwarze Komödie über einen selbsternannten "Nationaltransvestiten", der seine Liebe zu Schweden über alles setzt. (TD.D) Mikko Virtanen ist ein Finne, der sich als solcher von klein auf unwohl fühlt. Seine große Liebe ist nämlich Schweden und deswegen hat er sich schon früh als Lebensziel gesetzt, ein Teil 396
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von dessen glücklicher, demokratischer und empathischer Gesellschaft zu werden. Dieser Traum bekommt eine reelle Chance, als er den lebensmüden Schweden Mikael kennenlernt. Die zwei schließen eine Vereinbarung ab: Mikael unterrichtet Mikko über sein Leben und alles, was ein Mensch - und vor allem ein "richtiger Schwede" - über Schweden wissen sollte in puncto Sprache, Geschichte und Kultur. Im Gegenzug dazu verhilft ihm Mikko zum Selbstmord und darf sich danach seine schwedische Identität aneignen. Als Mikko nach Göteburg zieht und eine Liebesbeziehung mit der Schwedin Maria eingeht, scheint sein Glück kein Ende zu nehmen... bis zu dem Tag, an dem er auf einen alten finnischen Nachbar trifft und dieser sein neues Leben als Mikael Anders zu bedrohen scheint. Miika Nousiainen ist ein finnischer Schriftsteller, TV-Journalist und Drehbuchautor, der für seine Romane mit dem Kalevi-JänttiPreis ausgezeichnet wurde. Mit seinem Roman "Verrückt nach Schweden" erzählt er die Geschichte eines Menschen, der sich in der falschen Staatsangehörigkeit geboren fühlt. Er führt uns durch dessen Gedanken, die in Form von Tagebucheinträgen zum Ausdruck kommen, in die "schwedische Welt" ein. Im direkten Vergleich dazu steht das vom Protagonisten gehasste Finnland. So erfahren wir, zumindest aus seiner Sicht, von den Unterschieden und Klischees dieser beiden Länder. Der Sprecher Christoph Maria Herbst schafft es mit angenehmer Stimme, sich der abwechselnden Gefühlslage des Protagonisten anzupassen. Um eine stimmliche Annäherung an die weiblichen Charaktere ist er hörbar bemüht und diese ist größtenteils positiv zu werten, auch wenn sie an manchen Stellen leicht übetrieben wirkt. Das Cover des Hörbuchs passt sich mit realistischer Ästhetik dem Inhalt an, auf der Rückseite finden sich ausreichende Informationen bezüglich Inhalt, Autor, Sprecher und Laufzeit. Die einzige negative Kritik meinerseits zielt auf das Aussprechen eines rassistischen Schimpfwortes (das N-Wort), da dies aus der Sicht von AntiraAktivisti_innen zur Reproduktion von rassistischen Denkmustern führt - ja, auch wenn es in
Hörbücher
der Kunstwelt mit einem eigentlich nicht negativen Zweck geschieht wie hier. Ein Hörbuch, das ich jenen Erwachsenen ans Herz legen möchte, die Interesse an einer kleinen, ungezwungenen Audio-Reise durch Schweden haben, geführt von einem "Nationaltransvestiten". Amra Felic
Die Welt ist böse! [Tonträger]
: wahre Kriminalgeschichten / Julian Hannes. - gekürzte Autorenlesung - Freiburg i. Br. : Audiobuch, 2018. - 1 mp3-CD (145 Min.) ISBN 978-3-95862-090-2 ca. € 14,95
Wahre ungelöste Kriminal-Fälle - auf der Suche nach dem Täter. (TD.D) Der Autor und Sprecher Julian Hannes ist intensiv auf YouTube tätig und stellt auf seinem Kanal ungelöste Kriminalfälle vor. Möglicherweise ist der Auslöser dieser Passion ein Erlebnis, das er als Schüler hatte. Seine Schule wurde einmal während des Unterrichts vorsorglich von der Außenwelt abgeschottet, da man befürchten musste, dass sich ein in der Nähe befindlicher flüchtiger Mörder in die Schule retten könnte. Sechs ungeklärte wahre Kriminalfälle aus aller Welt werden in diesem Hörbuch vorgestellt. Begonnen wird mit der einzigen ungelösten Flugzeugentführung (USA), in der 45 Jahre erfolglos ermittelte wurde. Im zweiten Fall wird die Leiche einer Studentin in einem Wassertank auf einem Hotel entdeckt. Wie konnte sie dorthin gelangen? Der dritte Fall kommt aus Oberbayern. Vor rund 100 Jahren wurde auf einem entlegenen Bauernhof eine komplette Familie brutal ermordet, der Mörder konnte nicht überführt werden. In Russland kam, wie im vierten Fall aufgezeigt, eine Studentengruppe, die im Ural auf Expedition war, unter völlig mysteriösen Umständen ums Leben. In Bulgarien, Schauplatz von Fall fünf, verschwindet 2014 ein junger Deutscher knapp vor dem Heimflug aus dem Urlaub. Der sechste Fall kommt wieder aus den USA, wo zwei junge Mädchen alleine in einem Parkgebiet spazieren gehen, um Fotos für Snapchat zu machen und nicht mehr lebend zurückkommen. Am Ende
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des Hörbuchs gibt es noch eine gruselige Zugabe. Spannende Fälle, teils unglaubliche Ermittlungsfehler oder bewusstes Verschweigen von Ergebnissen durch Institutionen werden uns hier vom Autor persönlich zu Ohr gebracht. Der junge Autor spricht recht gut und verständlich. Das Hörbuch ist als 1 MP3-CD in einem Jewelcase verpackt - leider ohne Booklet. Dadurch sind nur wenige Angaben zu finden. Christa Wiener-Pucher
Winterkalt [Tonträger]
: ein Julia-Schwarz-Thriller / Catherine Shepherd. Gelesen von Svenja Pages. - Ungekürzte Lesung - Freiburg i. Br. : Audiobuch, 2018. - 1 mp3-CD (472 Min.) ISBN 978-3-95862-079-7 ca. € 14,95
Eine spannende Geschichte, kurzweilig, nervenaufreibend und fesselnd. (TD.D) Mitten in Köln wird eine beleuchtete Eisskulptur gefunden - darin eingeschlossen ein Frauenkörper in einem weißen Kleid und mit einem Spiegel in der Hand. Die Rechtsmedizinerin Julia Schwarz und ihr Freund, der Kriminalkommissar Florian Kessler, haben keine Ahnung, wie das Opfer in das Eis gekommen ist und wie die Skulptur auf den Platz gelangen konnte. Es findet sich kein einziger Zeuge, der etwas beobachtet hat. Schon bald wird die nächste Frauenleiche im Eis eingeschlossen gefunden. Die junge Tänzerin Annabelle, die hart trainiert, um die Stelle der Primaballerina bei einer bevorstehenden Ballettaufführung zu bekommen, findet die nächste Tote im Eis. Man muss befürchten, dass auch sie ein Opfer des Eiskünstlers wird. Die Ermittlungen ergeben, dass die toten Frauen in den Eisskulpturen Göttinnen der griechischen Mythologie darstellen sollen. Die Autorin schafft es immer wieder, die Hörer_innen auf eine falsche Fährte zu locken. Das Buch ist bis zum Ende spannend, fesselnd und rätselhaft, sodass man bis zum Schluss nicht weiß, wer der wahre Täter ist. Die Aufklärung der Morde ist überraschend und bringt erschreckende Einsichten in das Gefühlsleben des Mörders. Die Autorin Catherine Shepherd (Künstlername) wurde 1972 in Greifswald/Deutschland geboren. Sie lebt mit ihrer Familie in Zons am Rhein. bn 2019 / 2
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Die angenehme Stimme von Svenja Pages verleiht jedem Charakter eine individuelle Note und beschert den Hörer_innen viele spannende Stunden. Sie wurde 1966 in Mönchengladbach/ Deutschland geboren und ist Schauspielerin, Hörspiel- und Synchronsprecherin. Margit Weis
Die Wurzel alles Guten [Tonträger] / Miika Nousiainen. Aus dem Finn. von Elina Kritzokat. Sprecher: Christoph Maria Herbst. Regie: Oliver Versch. Bearbeitung: Marie Steinert. - Autorisierte Lesefassung Berlin : Argon Verlag GmbH, 2017. - 4 CDs (285 Min.) ISBN 978-3-8398-1571-7
Auf der Suche nach seinem Vater findet Pekka mehrere Halbgeschwister. (TD.D) Das Leben des Finnen Pekka Kirnuvaaras könnte einiges besser laufen. Seine Ehe ist gescheitert, seine Kinder sieht er nur in Abständen, in seinem Beruf in der Werbebranche ist auch "viel Luft nach oben" und seine Zähne peinigen ihn. Um endlich einen Termin zu bekommen, wählt er einen Privatarzt, der interessanterweise den gleichen Familiennamen hat wie er. Ein weiteres Päckchen, das Pekka mit sich herumträgt, ist der Umstand, dass er nichts über seinen Vater weiß. Dieser hat die Familie verlassen, als Pekka drei war, und die Mutter hat ihn seitdem totgeschwiegen. Bei einem letzten Anruf
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zu Weihnachten hat er seinem damals 7-jährigen Sohn eine eigenartige Botschaft mitgegeben: "Eine Axt haben und schneller sein, das ist bei einer Schlägerei die halbe Miete". Während der Behandlung fragt er den Arzt nach dessen Vater. Esko, ein humorloser Einzelgänger der in seinem Beruf aufgeht, reagiert nicht. Im Laufe der mehrmaligen Sitzungen aufgrund der notwendigen Wurzelbehandlung kommen sich die beiden jedoch langsam näher und stellen fest - auch wegen einer ganz besonderen Zahnstellung - dass sie Halbbrüder sind. Gemeinsam machen sie sich auf, um ihren Vater zu finden und treffen rund um die Welt auf weitere Halbgeschwister. Pekka und Esko erzählen abwechselnd als IchPerson den Fortlauf der wunderbaren Geschichte, was diese unglaublich lebendig macht, und sie geben uns Einblick in ihr Gefühls- und Seelenleben. Der mit vielen Preisen ausgezeichnete Sprecher Christoph Maria Herbst lässt das Hörbuch zu einem herrlichen Erlebnis werden, das man sich gerne mehrmals anhört. Der Name der jeweiligen Person wird immer angesagt, zusätzlich werden die Charaktere von Herbst bewährt sprecherisch großartig dargestellt. Ich möchte auf jeden Fall besonders darauf hinweisen, dass man sich von den Geräuschen von Zahnbehandlungen und ebensolcher Beschreibungen bloß nicht davon abbringen lassen darf (man ist anfangs fast versucht), dieses großartige humor- und gefühlvolle Hörbuch anzuhören. Die 4 CDs sind in Klappkarton eingepackt, auf der Rückseite ist eine kurze Vorstellung des Autors und des Sprechers zu finden. Christa Wiener-Pucher
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20 Questions
/ Robert Moog und Scott Mednick. - Wien : Piatnik, 2018. 26,5 x 26,5 x 6 cm - (Piatnik-Spiele ; 661396) (300 Karten, 1 Spielplan, 6 Spielfiguren, 25 Chips, 1 Spielanleitung) ISBN 900-1-89066-139-6 Karton : ca. € 35,00
Neuauflage eines modernen Quizspiel-Klassikers für 2-6 Spieler_innen ab 8 Jahren. (SP) "20 Questions" ist bereits 1988 bei University Games in englischer Sprache erschienen und wurde 1989 von MB unter demselben Titel auf den deutschen Markt gebracht, 1993 in einer Neuauflage unter dem Titel "Querdenker". Dass Piatnik uns exakt 25 Jahre nach der letzten deutschsprachigen Ausgabe eine Neuauflage unter dem Ursprungsnamen beschert, ist erfreulich. Am Spielprinzip hat sich nichts geändert: Auf 300 Ratekarten steht je ein gesuchter Begriff mit 20 Hinweisen bzw. Handlungsanleitungen. Reihum darf sich jeder Spieler einen Hinweis wünschen, indem er eine Nummer zwischen 1 und 20 nennt. Danach hat er einen Rateversuch. Sobald ein Spieler den richtigen Begriff nennt, werden die Punkte zwischen ihm und dem Vorleser verteilt: Der Vorleser erhält die Anzahl der vorgelesenen Hinweise, der erratende Spieler den verbleibenden Rest auf 20. Das Spiel endet, sobald die Spielfigur eines Spielers die Ziellinie (nach 60 Feldern) überschreitet. Die Option, bei einigen Hinweisen offene Fragen zu stellen, ist weggefallen, stattdessen kamen
Handlungsanweisungen, z. B. "Rücke vier Felder vor", "Du musst aussetzen" o.ä. dazu, ansonsten ist das Spiel mit Ausnahme eines grafischen Redesigns unverändert. Wer es noch nicht hat, sollte es sich kaufen, da es zur Grundausstattung einer gut sortierten Ludothek gehört. Auch wer die alten Begriffe schon auswendig kann und neue sucht, ist gut bedient. Dennoch ist es bedauerlich, dass keinerlei Regelanpassungen vorgenommen wurden, was die Zugweite betrifft. Denn es kann immer wieder vorkommen, dass Spieler schon ganz am Anfang eines Begriffs einen sehr leichten Hinweis bekommen und dadurch unverhältnismäßig weit fahren dürfen. Was wird es wohl für ein Ding sein, das man manchmal "Flimmerkiste" nennt, oder welche Person könnte wohl der "King of Rock'n'Roll" sein? Ein (nicht in der Regel vorgesehener) Ausgleich kann dadurch erfolgen, dass der Vorleser die Reihenfolge der Hinweise entscheidet, was ein allzu abruptes Beenden der Raterunde meistens vermeidet. Trotz allem: Grundausstattung für alle Spielbestände, die auch ältere Spieler_innen bedienen. Andreas Waltenstorfer
6 nimmt! - 25 Jahre Jubiläumsausgabe
/ Wolfgang Kramer. Ill.: Franz Vohwinkel. - Dietzenbach : Amigo, 2019. - 12,5 x 10 x 3 cm - (Amigo-Spiele ; 01906) (132 Spielkarten, 1 Spielblock, 1 Stift, 1 Spielanleitung) ISBN 400-7-396-01906-3 Karton : ca. € 12,00
Erweiterte Jubiläumsausgabe des modernen Kartenspielklassikers für 2-10 Spieler_innen ab 8 Jahren. (SP) Auch "6 nimmt!", der moderne Klassiker unter den Kartenspielen aus der Feder von Wolfgang Kramer, ist schon in die Jahre gekommen und feiert sein 25-jähriges Jubiläum. Grund genug für bn 2019 / 2
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Amigo, eine Jubiläumsedition herauszugeben, die mit einigen Schmankerln aufwartet. Das Grundrinzip ist unverändert: Jeder Spieler bekommt 10 Karten, die er möglichst so an die ausliegenden vier offenen Reihen in der Tischmitte anlegen soll, dass er nicht in die Verlegenheit kommt, die 6. Karte einer Reihe anzulegen. Geschieht dies, muss er alle ausliegenden Karten der Reihe vor sich ablegen, alle darauf abgebildeten Hornochsen zählen als Minuspunkte und seine abgelegte Karte bildet den Ausgangspunkt für eine neue Reihe. Für Puristen ist das Spiel perfekt, eine Verbesserung durch eine Erweiterung kaum vorstellbar. Die Jubiläumsedition enthält neben einer Profivariante, in der sich jeder Spieler seine Karten zu Beginn selbst aussucht, auch eine Variante mit 28 neuen Sonderkarten. Im Unterschied zum Grundspiel erhält jeder Spieler 12 Karten und 3 Sonderkarten auf die Hand. Diese bieten beim Ausspielen taktische Zusatzmöglichkeiten, wie z. B. das temporäre Eröffnen einer 5. Reihe, die Anlage einer 6. Karte, das Verschieben ausliegender Karten u. ä. Minimiert wird der Glücksfaktor der Verteilung dieser Karten durch die Möglichkeit, in jedem Zug eine Sonderkarte auf der Hand durch eine der verbliebenen verdeckten auszutauschen. "6 nimmt!" ist bereits in der Grundvariante durch die leichten Regeln, seinen hohen Wiederholungsreiz und die flexible Spieleranzahl von 2-10 (!) Spielern eine Ausnahmeerscheinung am Spielemarkt. Die Sonderkarten reduzieren den Glücksfaktor und ermöglichen eine taktischere Ausprägung. Klein, handlich, breit einsetzbar und dringend zu empfehlen für alle Spielbestände, auch für jene, in denen das Original schon vorhanden ist. Andreas Waltenstorfer
Doppelt so clever
/ Wolfgang Warsch. Gestaltung: Leon Schiffer. - Berlin : Schmidt, 2019. - 18 x 13 x 4,5 cm - (Schmidt-Spiele ; 49357) (1 Block, 6 Würfel, 4 Stifte, 1 Spielanleitung) ISBN 400-1-504-49357-8 Karton : ca. € 14,00 400
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Eigenständige Erweiterung des Würfelspiels "Ganz schön clever" für 1-4 Spieler_innen ab 8 Jahren. (SP) "Doppelt so clever" ist eine erweiterte Variante des Kartenspiels "Ganz schön clever", das 2018 auf die Nominierungsliste des Kennerspiels des Jahres 2018 gesetzt wurde. Jeder Spieler bekommt ein Spielblatt, auf dem die ausgewählten Würfelzahlen eingetragen werden und mit dessen Hilfe die Punktewertung erfolgt. Ist ein Spieler an der Reihe, würfelt er drei Mal mit verschiedenfarbigen Würfeln und darf jeweils einen davon auf sein Blatt setzen bzw. den Wert in einen passenden Bereich eintragen. Würfel, die eine niedrigere Zahl als der gewählte aufweisen, stehen nicht mehr zur Verfügung, mit den restlichen darf erneut gewürfelt und gesetzt werden. Prinzipiell gibt es zu jeder Würfelfarbe einen entsprechenden Bereich, in dem die Würfel eingesetzt werden und der unterschiedlich gewertet wird. Im blauen Bereich steigt die erzielte Punktesumme mit jedem eingesetzten Würfel an. Die Herausforderung ist, dass jeder nächste gesetzte Würfel kleiner oder gleich dem zuvor gesetzten sein muss, man sollte also mit möglichst hoher Augenzahl starten. Im grünen Bereich werden zur Wertung immer Paare gebildet, wobei der zweite Würfel vom ersten abgezogen wird, allerdings mit unterschiedlichem Multiplikationsfaktor. Der graue Bereich besitzt die Besonderheit, dass hier nicht nur der graue Würfel, sondern auch alle niedrigeren angekreuzt werden dürfen bzw. müssen. Fertige Zahlenreihen der unterschiedlichen Farben bringen Punkte und Sonderaktionen. Interessant ist auch der gelbe Bereich, wo zweifach angekreuzt wird: Beim ersten Mal wird die Zahl nur eingekreist, beim zweiten Mal angekreuzt. Wenn eine Reihe fertig eingekreist ist, bringt das Sonderaktionen. Die Gesamtzahl der angekreuzten gelben Zahlen bringt Punkte, manchmal soviel, dass diese Kategorie spielentscheidend sein kann. Ganz wichtig sind die erwähnten Sonderaktionen, die beim Fertigstellen von Reihen oder bei bestimmten Feldern zur
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Verfügung stehen: Sie erlauben Kettenreakti- nicht drinnen, jedenfalls aber Festigung für jene, on, mit denen weitere Sonderaktionen ausgelöst die mit von der Partie sind. Empfehlenswert für werden können. größere Bestände. Andreas Waltenstorfer Wenige haben geglaubt, dass es ein Würfelsetzspiel auf die Nominierungsliste zum Kennerspiel schafft. "Doppelt so clever" setzt der Fast-Preis- Overload träger-Vorgängervariante nochmal die Krone auf und steigert Komplexität und Varianz. Sehr / Wolfgang Riedl. Ill.: Leon Schiffer. - Berlin : Schmidt, 2019. - 27,5 x 19 x 6,5 cm - (Schmidt-Spiele ; 49350) empfehlenswert für alle Bestände. (8 Spielplanteile, 80 Scheiben, 1 Schale für die Scheiben, 10 Andreas Waltenstorfer Spielfiguren, 98 Siegpunktchips, 1 Würfel, 1 Spielanleitung) ISBN 400-1-504-49350-9 Karton : ca. € 24,00
Hochspannung
/ Maureen Hiron. Grafik: Antje Stephan.. - Dietzenbach : Amigo, 2019. - 12 x 9,5 x 2 cm - (Amigo-Spiele ; 01908) (61 Spielkarten, 1 Spielanleitung) ISBN 400-7-396-01908-7 Karton : ca. € 9,00
Hektisches Kartenablegespiel für 2-6 multiplikationsstarke Spieler_innen ab 10 Jahren. (SP) 7 mal 6 ist 42, also schnell eine Karte mit einem Vierer draufgelegt. Darauf steht 6 mal 2, das macht 12. Passt, da kann ich meine Karte mit dem Zweier drauflegen. Mist, mein Nachbar war schneller, mal sehen, was jetzt gefragt ist. Jeder Spieler hat Karten in der Hand, auf denen in der Ecke zwei Zahlen stehen und in der Mitte eine Rechnung. Eine Startkarte wird in der Tischmitte ausgelegt, es geht immer darum, möglichst schnell die Rechnung zu lösen und eine Karte darauf zu legen, die in den Ecken eine der Zahlen der Lösung aufweist. Wenn also z.B. in der Mitte 4 x 9 liegt, passt jede Karte drauf, die in der Ecke einen Dreier oder einen Sechser aufweist, weil 36 die Lösung von 4 mal 9 ist. Flott gespielt, hektisch und anspruchsvoll. Die Kopfrechenfähigkeiten sollten ziemlich gleich verteilt sein, sonst sind einzelne Spieler besonders aktiv, während die anderen zu Statisten werden und zweifellos keine zweite Runde spielen wollen. Lernen ist bei der Geschwindigkeit
Kurzweiliges, taktisches Wettlauf- und Umverteilungsspiel für 3-5 Spieler_innen ab 8 Jahren. (SP) Die Spielfiguren bei diesem Spiel sind simple Stangen mit Ständern, auf die man Spielscheiben auffädeln kann, maximal 8 Stück. Jedesmal wenn ein Spieler eine seiner beiden Figuren neu einsetzt, muss er entscheiden, mit wievielen Scheiben beladen er starten möchte. Das ist nicht leicht, denn letztlich bringt jede Scheibe beim Überqueren der Ziellinie Punkte. Wer genau 8 Stück ins Ziel bringt, erhält sogar zwölf Punkte. Allerdings verändert sich die Scheibenanzahl unterwegs: Für jeden überholenden Spieler gibt es eine zusätzlich, und sobald man genau am Feld mit einer oder mehreren gegnerischen Figuren landet, kann man sich entscheiden, ob man eine Scheibe übernehmen oder eine abgeben möchte. Überschreitet man die Anzahl von 8 Scheiben, ist die gnadenlose Konsequenz der Verlust aller Scheiben und der Neustart. Sobald ein Spieler die (abhängig von der Spieleranzahl) nötige Punktezahl erreicht, endet das Spiel sofort und er gewinnt. Overload ist ein spannendes und kurzweiliges Taktikspiel mit würfelbedingter Glückskomponente. Einfache Regeln, schnell gespielt und hoher Wiederholungsreiz. Sehr empfehlenswert für alle Bestände. Andreas Waltenstorfer
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