11 minute read

Dank dem Wald weg vom Holzweg

Interview, Text: Judith Brandsberg

Das Zusammenleben der Pflanzen im Wald

Advertisement

ist das beste Beispiel dafür, wie Koexistenz ohne Konkurrenz zum Wohl aller Beteiligten und in Symbiosen möglich ist. Im Interview zeigt Erwin Thoma, Betriebswirt und Autor mehrerer Bücher, auf, wie viel wir vom Wald lernen können: Zum Beispiel, wie er mit Krisen und dem Klimawandel

umgeht. Thoma macht darauf aufmerksam, dass wir wieder vermehrt mit der Natur zusammenarbeiten müssen statt

gegen sie.

«Der Wald wird die Klimakrise besser verkraften als wir Menschen.»

Sattes Grün, frische Luft, Ruhe: Ein Waldspaziergang ist entspannend. Wieso haben der Wald und die Waldluft diesen positiven Einfluss auf uns Menschen?

Die Duftstoffe im Wald haben einen grossen Einfluss auf unser Gehirn. Etwa indem sie

uns Energie geben, gut für die Psyche sind und uns helfen, Stress abzubauen. Wir haben uns jedoch leider von diesen positiven Einflüssen entfremdet, und mittlerweile benötigen wir die medizinische Forschung, um wieder zur Tatsache zurückzufinden, dass uns der Wald guttut. Tatsächlich gibt es verschiedene Studien, welche die Wirkung des Waldes auf den Menschen untersucht haben. Und in Japan werden Therapien in der Natur, zum Beispiel das Waldbaden, verschrieben. Denn wer die Natur in sein Leben lässt, der verfügt über viel mehr Abwehrstoffe gegen Krankheiten. Diese Wirkung haben übrigens auch Innenräume aus Holz.

Was ist denn eigentlich ein Wald? Lässt sich das definieren?

Der Wald ist – wie alles Leben – eine organische Biomasse. Dazu gehören die Pflan-

«Mit Zucker bekommt man im Wald fast alles.»

zen, die Tiere, und auch der Mensch ist Teil des Waldes. Biomasse wiederum besteht

aus chemisch gebundener Sonnenenergie, Sauerstoff, Kohlenstoff und Wasser. Diese Komponenten verändern stets die Konstellation zueinander, was bewirkt, dass das Leben ein Fluss ist, ein ewig dauernder Kreislauf, ein Kommen und Gehen, ein Wachsen und Sterben (siehe auch Infobox nebenan).

Wovon ernähren sich Bäume? Was brauchen sie, damit sie wachsen und ihre zum Teil sehr dicken Stämme und Äste bilden können?

Der Baum materialisiert sich aus Luft, Licht und Nährstoffen. Die Blätter des Baums filtern mittels Fotosynthese den Kohlenstoff aus der Luft, den der Baum für die Bildung des Stammes und der Äste benötigt. Den Sauerstoff hingegen gibt er wieder an die Luft ab. Die Nährstoffe und die Spurenelemente, die er benötigt, liefern ihm Mikroorganismen aus dem Boden. Diese Mikroorganismen leben schon so lange in einer Symbiose mit dem Baum, dass sie

genau erkennen, was der Baum wann braucht, um dann mithilfe von Pilzen die entsprechenden Spurenelemente an die Wurzelspitzen abzugeben – von wo aus sie bis zu den Blättern weitertransportiert werden. Wenn im Frühjahr die Blätter austreiben, erhält der Baum zum Beispiel Magnesium, später Kalium. Wenn der Baum verletzt ist, liefern die Mikroorganismen das entsprechende Spurenelement, damit er sich selbst heilen kann. Im Gegenzug tut der Baum einiges dafür, dass es den Mikroorganismen gutgeht. Im Herbst beispielsweise wirft er seinen organischen Blattabfall auf die Erde ab und liefert so neue

Lebenssubstanz. Den bei der Fotosynthese hergestellten Zucker wiederum transportiert er hinunter bis an die Wurzeln, wo kein Sonnenlicht hinkommt. Dort bekommen

dann auch die Mikroorganismen noch einen Teil davon ab als Belohnung für ihre

 Wer die Natur in sein Leben lässt, verfügt über mehr Abwehrstoffe gegen Krankheiten.

Der Einfluss des Menschen auf die Biomasse der Erde

Menschen machen lediglich 0,01 Prozent der Biomasse aller Lebensformen auf der Erde aus. Trotzdem ist ihr Einfluss auf die Natur beeindruckend. Die Eingriffe des Menschen in die Natur lassen sich über die Biomasse nachweisen. Der Mensch hat es innerhalb von gut 10 000 Jahren (das ist eine sehr kurze Zeitspanne) durch Landwirtschaft, Viehhaltung und industrielle Revolution geschafft, die Biomasse seiner Art und die seiner Nutztiere zu vervielfachen. So haben alle Menschen zusammen mit den Nutztieren (grösstenteils Rinder und Schweine) inzwischen einen höheren Anteil an der globalen Biomasse (0,16 Gigatonnen Kohlenstoff) als die wild lebenden Säugetiere (0,007 Gigatonnen Kohlenstoff). Auch bei den Vögeln gibt es inzwischen mehr Geflügel (0,005 Gigatonnen Kohlenstoff, hauptsächlich Hühner) als wild lebende Vögel (0,002 Gigatonnen Kohlenstoff).

Insgesamt hat die Biomasse von wild lebenden Säugetieren (Land und Meer) seit Beginn der menschlichen Zivilisation auf ein Sechstel der ursprünglichen Menge abgenommen. Bei der pflanzlichen Biomasse (und damit auch bei nahezu der gesamten globalen Biomasse) gab es seit Beginn der Zivilisation Einbussen um 50 Prozent. Die durch Ackerbau hinzugekommene Biomasse beträgt dabei gerade mal 10 Gigatonnen Kohlenstoff oder 2 Prozent der gesamten pflanzlichen Biomasse.

Kooperation mit dem Baum. Ohnehin ist die Währung im Wald Zucker; damit ist fast alles zu bekommen.

Vergleichbar also mit unserem Geld? Genau. Auch wir bezahlen für Waren oder

Dienstleistungen, die wir benötigen. Aber es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen Wald und Mensch: Bei uns Menschen versuchen die meisten, so viel wie möglich zu verdienen, zu vermehren und zu horten, damit es ihnen im Alter gutgeht. Oder Manager studieren ihre Bilanz und überlegen sich, wie sie noch mehr Gewinn machen können. Die Bäume hingegen machen genau das Gegenteil – sie möchten so viel wie möglich weitergeben. Der Baum nämlich, der es schafft, am meisten Zucker zu liefern, hat am meisten Freunde, also Mikroorganismen, die mit ihm kooperieren – wodurch er wiederum am meisten Nährstoffe zurückbekommt. Und wenn er dann

am stärksten gediehen ist, verdrängt oder vernichtet er die anderen Bäume nicht, sondern nutzt seine Stärke, um seiner Umgebung möglichst viel zu geben.

Dann stimmt es also nicht, dass sich im Wald immer der Stärkere durchsetzt, wie es der allgemeinen Meinung entspricht? Es gibt im Wald keinen Baum, der ein Interesse daran hat, den Schwachen zu beseitigen; denn sonst würde er sich selbst vernichten. Es gibt auch keinen Baum, der für sich das grösste Waldstück beanspruchen würde. Und auch bei den Tieren ist nicht

immer der Stärkere überlegen. Ein Beispiel dazu: Wir denken, dass der Fuchs der Maus überlegen sei. Dies ist aber nur so lange der Fall, wie die Population der Mäuse genügend gross ist, dass sich durch sie die Füchse ausreichend ernähren können, um sich

Zur Person

Erwin Thoma wurde am 14. Februar 1962 in Bruck an der Grossglocknerstrasse geboren. Er ist ein österreichischer Forst- und Betriebswirt, der als Unternehmer und Autor auf dem Gebiet «Baumwissen und Holzinnovation» tätig ist. Die Thoma-Holz GmbH bietet unter anderem Familienhäuser mit unverleimter Vollholzhülle an (sogenannte Holz100-Häuser). Aus Liebe zur Natur wurde er zunächst Bergführer, dann Revierförster in der Eng im Karwendel. Begegnungen mit Mittenwalder Geigenbauern steigerten sein Interesse für traditionelle Holzverarbeitung und fast in Vergessenheit geratene Überlieferungen. Das Wissen des Grossvaters Gottlieb Brugger, der im Oberpinzgau bei Krimml als Zimmermann Blockhäuser im alpinen bäuerlichen Stil baute, übte grossen Einfluss auf seine Denkweise aus. Diese handwerklichen Traditionen setzte er nach und nach in seiner industriellen Fertigung puristischer Holzhäuser auf moderne Weise um.

Nach Fällen von Asthma in der Familie wurde der eigene Holzverarbeitungsbetrieb auf eine holzschutzmittelfreie Produktion unter Verzicht auf giftige Leime umgestellt. Zu diesem Zweck wird Wissen angewendet, welches dem Mondphasenholz bessere Stabilität, Haltbarkeit und Feuerbeständigkeit zuspricht.

Erwin Thoma hat drei erwachsene Kinder. Er lebt mit seiner Frau Karin in Goldegg im Pongau, Österreich. stark zu vermehren. Dies ist in sogenannten «Mäusejahren» der Fall. Ist aber die Mäusepopulation nur sehr klein, dann gehts den Füchsen schlecht. Das bedeutet, dass die Mäuse die Füchse mittels ihrer

Population ebenso beherrschen wie diese die Mäuse.

Können Sie erklären, welchen Einfluss der Klimawandel auf unsere Wälder hat? Im April und Mai hat es fast nicht geregnet. Wie geht der Wald damit um? Die einzelnen Wetterperioden werden länger. Das bedeutet: Wenn es trocken ist, bleibt es lange trocken, und das setzt dem Wald zu. Der Wald, wie wir ihn heute

 Auch bei Bauten aus Holz ist wichtig, dass sie langlebig und nicht als Wegwerfprodukt konzipiert sind.

 Wie es sich anfühlt, in einem Zimmer aus Vollholz zu wohnen, wird der Gewinner des Wettbewerbs auf Seite 39 erfahren. Mitmachen lohnt sich also.

 Der Woodcube in Hamburg. Aus Holz100 wurde das erste Hochhaus – Gebäudeklasse 5 – mitten in einer deutschen Grossstadt ganz aus Holz und ohne die bis dahin übliche Gipskapselung gebaut.

Übernachtung im Holz100-Hotel zu gewinnen

passen die Baumarten jetzt nicht mehr ganz in das wärmere und trocknere Klima von heute. Naturgemäss wachsen deshalb andere Holzarten, welche die Trockenheit besser aushalten – genau das passiert übrigens gerade. Grundsätzlich ist der Wald also extrem anpassungsfähig. Es ist beispielsweise erstaunlich, wie in mittleren Lagen plötzlich Nussbäume mitten im Wald wachsen, die niemand gesät hat. Aus menschlicher Sicht dauern solche Anpassungsprozesse zwar sehr lange, der Wald existiert jedoch seit Jahrtausenden und hat immer wieder

Klimaveränderungen erlebt. Es ist daher sicher, dass der Wald diese Krise viel besser verkraften wird als wir Menschen.

Der Regenwald wird in grossem Mass ausgebeutet, weil das dort vorhandene Holz sehr beliebt ist und deshalb rücksichtslos abgebaut wird. Was denken Sie diesbezüglich? Es ist tragisch, dass die ganze Welt zusieht, wie diese Lungen der Erde der Zerstörung preisgegeben werden. Der Grund dafür ist, dass dieses Wunder der Natur auf Geld

reduziert wird – auch in diesem Fall geht es darum, ohne Rücksicht auf die Natur möglichst viel zu verdienen. Natürlich ist der Wald ein Ort der Ernte. Und selbstverständlich benötigt auch mein Unternehmen Holz für den Hausbau. Die Nutzung des Waldes muss aber mass- und verantwortungsvoll sein. Was das anbelangt, kann der europäischen Forstwirtschaft übrigens ein gutes Zeugnis ausgesprochen werden: Die nachhaltige Waldwirtschaft hat sich etabliert, es wird geerntet und nachgepflanzt.

Gehen wir davon aus, dass künftig alle Häuser aus Holz gebaut würden. Wäre es dann überhaupt möglich, den dadurch anfallenden Bedarf an Holz ausschliesslich aus eigenen Wäldern zu decken?

In Europa wächst mehr Holz als benötigt worden wäre, wenn in allen Ländern des Kontinents nur Holzhäuser stehen würden.

Allerdings ist es auch bei Bauten aus Holz wichtig, dass sie langlebig und nicht als Wegwerfprodukt konzipiert sind. Leider ist es aber ein aktuelles Problem, dass die Bausubstanz vieler heutiger Gebäude oftmals so beschaffen ist, dass nur noch eine riesige Masse an Sondermüll bleibt, wenn sie abgerissen werden. Unser Unternehmen hat hingegen in 30 Ländern über tausend Häuser fast komplett aus Holz gebaut, die abfallfrei sind. Das heisst, dass diese Häuser

«Es ist besser, mit der Natur zu arbeiten als gegen sie.»

rückgebaut werden können, um das Holz danach wieder zu verwenden. Das bedingt natürlich auch, dass keine giftigen Klebestoffe verwendet werden, sondern die mechanisch verbindende Holzbauweise

angewendet wird. Wenn wir das Holz also nach dem Ernten verantwortungsvoll einsetzen, können wir es jahrhundertelang nutzen und wiederverwenden – ohne je ein Materialproblem zu haben.

Krisenerfahrungen infolge eines Virus sind in diesem Jahr plötzlich sehr präsent geworden. Können wir auch diesbezüglich Vergleiche mit dem Wald anstellen?

Wenn im Wald eine Gesundheitskrise auftaucht, dann hat bereits vorher etwas nicht gestimmt. Und Krisen kommen auch in unserer Gesellschaft nicht von ungefähr. Weshalb fragen wir uns also nicht, warum sich ein solches Virus verbreitet? Diese

Debatte wird leider gar nicht geführt. Die Pest im Mittelalter ist entstanden, weil damals erbärmliche hygienische Zustände geherrscht haben. Es war folglich an der Zeit, diese Bedingungen zu verändern. Zur Zeit der Industrialisierung, als die Menschen beinahe wie Tiere hausen mussten, gab es immer wieder Krankheitswellen; bis erkannt worden ist, dass daran etwas geändert werden muss. Das Problem ist, dass wir Menschen meist aus einer Position der

Angst handeln. Wir haben dieses Jahr weite Teile der wirtschaftlichen Produktion massiv eingeschränkt, um derweil fieberhaft nach Impfmitteln zu suchen. Es ist hingegen seit eh und je ein Naturgesetz, dass Angst krank macht. Angstfreiheit aber ist eine wesentliche Voraussetzung für die Heilung. Wir müssten uns folglich Gedanken darüber machen, wie wir uns als Gemeinwesen stärken können, und was wir verändern müssen, damit wir uns stärken können. Nach jeder Krise wird dann so schnell wie möglich vom Wiederaufbau gesprochen. Das hört sich für mich entsetzlich an. Denn Wiederaufbau heisst, dass wir danach wieder dieselben Verhältnisse

schaffen wie zuvor – und folglich dieselben Fehler begehen. Im Forstwesen – womit wir wieder beim Wald wären – sind auch

Fehler gemacht worden. Zum Beispiel, als Fachleute versucht haben, die Borkenkäfer mit Insektiziden zu vernichten. Dadurch

sind jedoch auch die Ameisen vernichtet worden, welche die Borkenkäfer als Nahrung benötigen.

Was sollten wir denn in unserer Gesellschaft ändern?

Jetzt ist die Zeit des Wandels, wir müssen Schluss machen mit unserer Wegwerfwirtschaft und eine Kreislaufwirtschaft auf-

bauen. Wir müssen aufhören mit dem ökologischen Wahnsinn. Zum Beispiel damit, Kartoffeln vom Norden Deutschlands nach

Italien zum Schälen zu verfrachten, nur, um sie danach wieder zurück zu transportieren. 80 bis 90 Prozent der Antibiotika, die in Europa konsumiert werden, sind in China hergestellt worden. Es gibt grosse Unternehmen, deren Produktion von Warenlieferungen abhängt, die vom anderen Ende der Welt kommen. Wir müssen wieder zurück

zu einem gesunden Mass finden – und jetzt bietet sich die Chance dazu. Das bedeutet, auf eine Gesellschaft hinzuarbeiten, die lebensorientiert und nicht geldorientiert ist.

Was würden Sie sich wünschen, wenn Sie einen Wunsch frei hätten?

Dass wir unseren Planeten schützen und

nicht zerstören. Dazu müssen wir selbst-

verständlich unsere Struktur überdenken.

Denn kein Kind wünscht sich, in einer Betonwelt aufzuwachsen und von Fastfood

leben zu müssen. Wenn es aber nichts anderes kennt, dann wird es sich dieser Struktur anpassen. Diesen menschenfeindlichen Rahmenbedingungen müssen wir uns entgegenstellen. Der Klimawandel verschärft sich, und seine Auswirkungen sind wirklich extrem. Etwas dagegen zu unternehmen, ist somit keine Frage des Wollens mehr, sondern schlicht eine Notwendigkeit. Es gibt keine Alternative mehr. Und alles Flickwerk

bringt nichts. Wir müssen etwas verändern – nicht immer noch kurzlebiger produzieren, noch mehr Müll verursachen und noch mehr Rohstoffe verschwenden. Vor dieser

grossen Aufgabe stehen wir und unsere nachfolgenden Generationen.

Die Bücher von Erwin Thoma können bestellt werden auf: www.thoma.at oder im Buchhandel.

Wenn wir das Holz nach dem Ernten verantwortungsvoll einsetzen, können wir es jahrhundertelang nutzen und wiederverwenden.

 Erwin Thoma denkt an die Zukunft: «Wir sollten unseren Planeten schützen und nicht zerstören.»

This article is from: