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Mit polyvalenten Lösungen zur Dekarbonisierung
Interview
Mit polyvalenten Lösungen zur Dekarbonisierung
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Im Interview spricht Adrian Altenburger, Instituts- und Studiengangsleiter an der Hochschule Luzern, über die vielfältigen Möglichkeiten und den sinnvollen Einsatz der erneuerbaren Energien in der Schweiz.
Interview: Pascal Grolimund, Otto Fischer AG
Solarmodule gibt es schon seit über 60 Jahren. Was hat sich seither in diesem Bereich geändert?
Die Photovoltaik kommt ja ursprünglich aus der Raumfahrt. Aufgrund der hohen Kosten für eine PV-Anlage war es aber lange Zeit nicht attraktiv, diese Technologie auch für Gebäude zu nutzen – die Gestehungskosten vor 20 Jahren lagen mit etwa 80 Rappen pro Kilowattstunde noch weit über dem Netztarif. Deshalb war die Solarthermie, also die Produktion von Warmwasser mittels Solarkollektoren, viel populärer. Als die Preise der PV-Module zu sinken begannen, warf dies die Frage auf, wie die Solarenergie, die nun in Form von günstigem Strom verfügbar war, verwendet werden soll. Denn PV-Strom ist vielseitiger verwendbar als Solarwärme; schliesslich können damit sämtliche elektrischen Haushaltgeräte, die Beleuchtung sowie auch Wärmepumpen versorgt werden. Später dann hat die Photovoltaik auch im Zusammenhang mit der Möglichkeit des Zusammenschlusses zum Eigenverbrauch (ZEV), der seit 2018 praktikabel ist, einen weiteren Schub erhalten. Denn damit kann ein Grossteil des produzierten Stroms dank mehrerer Verbraucher, die sich zusammenschliessen, in einer Gemeinschaft selber verbraucht werden.
Jahrelang wurde die Photovoltaik durch die KEV (kostendeckende Einspeisevergütung) gefördert. Sind Sie der Meinung, dass Förderung immer noch notwendig ist?
Um eine nachhaltig geeignete Technologie zu etablieren, ist es wichtig, diese zu fördern. Aber danach muss auf dem Markt bewiesen werden, dass die Technologie vorwärtskommt. Trotzdem ist es wichtig, einen Verdrängungsmarkt mit Lenkungsabgaben zu steuern. Das heisst konkret: Wenn es darum geht, fossile Brennstoffe zu vermeiden, braucht es Zuschläge wie eine CO2-Abgabe.
Inwiefern ist die Photovoltaik an der Hochschule Luzern ein Thema?
An der Hochschule Luzern – Technik & Architektur ist die Photovoltaik ein Kernthema. Wir erhalten regelmässig Forschungsaufträge von Bund, Industrie, Verbänden oder Label-Organisationen. Die Studierenden der HSLU nahmen auch schon erfolgreich am Solardecathlon teil. Das ist ein internationaler Hochschulwettbewerb, bei dem möglichst energieeffiziente Gebäude mit solarer Nutzung entworfen und gebaut werden.
Was ist zu beachten, wenn heute eine PV-Anlage geplant wird?
Bei Neubauten sollte eine architektonisch elegante Lösung angestrebt werden, also eine integrierte PV-Anlage. Diesbezüglich forschten wir auch an fassadenintegrierten Lösungen. Bei Bestandsbauten sind solche Lösungen natürlich schwieriger zu realisieren. Wenn aber eine Dach- oder Fassadensanierung ansteht, ist eine integrierte Lösung möglich. Es wäre auch eine Überlegung wert, ob ausschliesslich PV zum Einsatz kommen soll oder sich eine Hybridlösung (PVT) eignen würde, mit der gleichzeitig Strom und Wärme produziert werden.
Sollte, wer heute eine PV-Anlage baut, einen Stromspeicher einplanen?
Gemäss heutigem Stand würde ich bei Neubauten von Ein- und Mehrfamilienhäusern zumindest den Platz für einen Stromspeicher vorsehen. Denn Stromspeicher sind ein probates Mittel, um die Tag-Nacht-Differenz auszugleichen und den Eigenverbrauch deutlich zu steigern. Ob jemand bereits heute einen Speicher einsetzen soll, hängt davon ab, ob eine möglichst grosse Netzunabhängigkeit angestrebt wird oder ob der wirtschaftliche Aspekt im Vordergrund steht. Schliesslich sind die Preise dieser Speicher momentan noch relativ hoch, sie sinken allerdings bereits. Wir haben bei uns eine Laborinfrastruktur aufgebaut, das «GEE-Live-Lab». Ein kleines Gebäude, das mit Dach- und fassadenintegrierter Eigenstromerzeugung, Stromspeicher, Wärmepumpe, Haushaltsgeräten und Lastmanagement ausgerüstet ist. Im Rahmen einer
■ «Das Potenzial der Photovoltaik ist in der Schweiz noch sehr gross.» Adrian Altenburger im Interview mit Pascal Grolimund, Otto Fischer AG.
GEE-Masterarbeit wird aktuell unter anderem das Kosten-Nutzen-Verhältnis der möglichen Konfigurationen untersucht.
Was halten Sie von energieautarken Häusern oder Quartieren?
Aufgrund der beschlossenen Abschaltung der AKWs und des Ziels, den Strom erneuerbar zu produzieren, steht uns eine grosse Aufgabe bevor. Dennoch ist die Autarkie oder eine nur dezentrale Stromproduktion wenig sinnvoll. Meiner Meinung nach sollten wir das Stromnetz, das ohnehin zur Verfügung steht, im Verbund mit dezentralen Lösungen optimal nutzen. Dabei ist es wichtig, das Netz bzw. die zentrale Infrastruktur bezüglich Spitzen zu entlasten. Es sollten also eher Synergien gesucht werden als die Autarkie. Aufgrund der stetigen Verbreitung der Elektromobiliät kommt zudem noch ein wichtiges Element dazu. Wir forschen diesbezüglich ebenfalls im GEE-Live-Lab und untersuchen, inwiefern Elektrofahrzeuge auch als Stromspeicher optimal ins System mit einbezogen werden können.
Wie sehen Sie die Zukunft, wenn wir die AKWs abschalten und gleichzeitig die E-Mobilität zunimmt, die ja zusätzliche Stromverbraucher generiert?
Das stellt sicher eine Herausforderung dar. Es gibt hierzu aber verschiedene Lösungen. Beispielsweise, dass nicht nur in die erneuerbare Energieproduktion, sondern auch in die Energieeffizienz investiert wird. Daneben kann Fernwärme, also etwa bei der Abfallverbrennung erzeugte Hitze, auch für die Stromerzeugung genutzt werden. Zusätzlich wäre es sinnvoll, das Gasnetz, das heute mit Erdgas bewirtschaftet wird, zu dekarbonisieren und weiter zu nutzen. Schliesslich ist das Gasnetz nichts grundsätzlich Negatives – sondern entscheidend ist, welcher Energieträger damit befördert wird. Wenn es gelingt, Biogas oder synthetisches Gas mittels Elektrolyse aus sommerlichen Stromüberschüssen in grossen Mengen zu produzieren und für das Winterhalbjahr verfügbar zu machen, wäre diese CO2-neutrale Variante eine ausgezeichnete Alternative zum Erdgas. Für den Personentransport sind Elektrofahrzeuge effizient, im Gütertransport jedoch stösst die Elektromobilität an ihre Grenzen, da wären synthetisches Gas oder Wasserstoff effiziente Lösungen. Ich denke, dass es deshalb und auch zur Sicherstellung einer adäquaten Versorgungsredundanz statt einer monovalenten Lösung mit Elektrizität eine entsprechende Parallelinfrastruktur braucht. Wir werden in Zukunft mehr Strom benötigen, weil es immer mehr elektrische Verbraucher geben wird. Die erste hochalpine Solaranlage «Albigna» produziert Strom an einer Staumauer. Müssten Grossanlagen nicht vermehrt angestrebt werden?
Wir haben in der Schweiz eine gute Topografie für Wasserkraft – für PhotovoltaikGrossanlagen fehlen uns aber die grossen und einfach zugänglichen Freiflächen. Deshalb dürften, im Vergleich zu anderen Ländern, grossflächige Photovoltaikanlagen in unserer dicht besiedelten und kleinstrukturierten Schweiz eher weniger realisiert werden. Und deshalb ist es intelligent, möglichst viele Dachflächen sowie auch geeignete Fassaden zu nutzen, denn das Potenzial in der Schweiz ist in diesem Bereich noch sehr gross.
Was werden die Herausforderungen sein, um jedes zweite Gebäude mit PV zu versehen?
Die Schweiz ist ein Land, in dem Gebäude zum Teil sehr alt sind. Das ist wertvoll, macht es aber gleichzeitig schwieriger, bestehende Gebäude zu transformieren. Und zwar nicht nur bezüglich der Solarstromproduktion, sondern ebenso bei der Dekarbonisierung, denn noch immer sind viele Öl- und Gasheizungen in Betrieb. Dank der zunehmend verschärften Gesetzgebung befinden wir uns jedoch auf dem richtigen Weg, und es werden vermehrt Alternativen wie Wärmepumpen oder Holzheizungen eingesetzt. Diesen Weg gilt es nun konsequent weiterzugehen, denn im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung dürfen wir keine Zeit mehr verlieren.
Zur Person
Name: Prof. Adrian Altenburger Funktion: Instituts- und Studiengangsleiter für Gebäudetechnik und Energie, Hochschule Luzern