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Nr. 4 I November 2011 5. Jahrgang CHF 9.60

DER MENSCH – DAS GRÖSSTE SYSTEMRISIKO

SEITE 20

ERFOLGSKRITISCHE INVESTITIONEN – NEUES ERTRAGSPOTENZIAL ERSCHLIESSEN SEITE 8 VERSICHERUNGSKONZERNE – UNTER REGULIERUNGSDRUCK SEITE 14 DIE BANK ALS NETZWERK – DER KUNDE ÜBERNIMMT DIE REGIE SEITE 36



Inhaltsverzeichnis

12

30

Versicherungen: Netzwerke nutzen

Leitlinien für das strategisches Informationsmanagement

23

32

Kundenwunsch gefährdet Privacy

Cloud Computing: Rettung aus der Datenlawine

24

36

Prof. Heinz Zimmermann über regulatorische Eingriffe

Banking 2.0 Der Kunde übernimmt die Regie

5 Editorial

titelstory

@ Analyse

TECHNOLOGY REPORT

20 Persönlichkeit und Risikokultur I ETH-Professor Paul Embrechts über die Qualitätserfordernisse an den Banker

23 Kundenwunsch gefährdet Privacy I Je kundenfreundlicher, desto gefährlicher 24 Weniger ist mehr I Prof. Heinz Zimmermann über unbedachte kontraproduktive regulatorische Eingriffe 26 Die Konsequenz der Vernetzung I Zu hohe Risikobereitschaft als systemimmanentes Problem

32 Auch für Banken praktikabel I Ist Cloud Computing die Rettung vor der Datenlawine? 34 Web 2.0 mutiert zum Social Intranet I Social Media inside-out: Zusammenarbeit der nächsten Generation 36 Die Bank als Netzwerk I Banking 2.0: der Kunde übernimmt die Regie 39 Cloud Computing in Finance I Chancen und Risiken für den Finanzplatz Schweiz

banking & insurance 8 Neue Ertragspotenziale erschliessen I Panelgespräch mit profilierten Exponenten aus der Bankindustrie 11 Der Anpassungsdruck steigt I Chancen und Risiken im Cross Border Banking 12 Netzwerke nutzen I Herausforderungen und Trends im Schadenmanagement der Versicherungswirtschaft 14 Offensives Standardsetting I Internationale Versicherungskonzerne unter Regulierungsdruck 16 Informationspflichten mit Kostenfolgen I Revision des Versicherungsvertragsgesetzes 18 Dringender Handlungsbedarf I 6. Swiss Fund Day: erfolgskritisches Informations- und Datenmanagement

ict management 28 Ausweg aus dem Kostendruck I Neue Technologien, Abgeltungssteuer und Cross Border Banking erfordern neue Investitionen 30 Leitlinien fehlen I Wie Finanzinstitute strategisch mit Informationen umgehen sollten

Leadership-standpunkte

short News

6 Top 6 I Wichtige Firmennews kurz zusammengefasst 7 Top 6 I Interessante Wechsel im Management 43 Advocatus Diaboli 43 Impressum

42 Gerüstet für die Zukunf t I Enrico Lardelli, Leiter Informatik Postfinance

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“Die Veränderungen im

Bankgeheimnis ist für Privatbanken beträchtlich. Der Einsatz des als ASP betriebenen AnwendungsPortfolio ermöglicht Banken sich stärker auf ihre Kernkompetenz zu konzentrieren und ihre

Kosteneffizienz zu optimieren Daniel Bardini President Ambit Private Banking

AMBIT PRIVATE BANKING

Die gut geführte Bank SunGard unterstützt Banken, ihre Kunden optimal zu verwalten Die Privatebankbranche in der Schweiz unterliegt starken Veränderungen. Geringere Betriebskosten und erweiterte Produkt- und Dienstleistungsangebote sind dabei entscheidend um wettbewerbsfähig zu bleiben und ihren Kunden auch künftig exzellente Dienstleistungen und Investmenterträge zu bieten. Ambit Private Banking bietet eine kosteneffektive, einfach umzusetzende Lösung, zu der auch Funktionalitäten aus dem gesamten Produktangebot von SunGard zählen. Ambit Private Banking kann als Einzel- oder als kombinierte Lösung entweder vor 'in-house' oder als ASP (Application Service Provider) im Schweizer Rechenzentrum von SunGard eingesetzt werden. Privatbanken können damit ihren Kunden als wichtigstes Wertversprechen herausragende Bankdienstleistungen anbieten. Reden Sie mit uns. Telefon 044 560 84 00

www.sungard.com/ambitprivatebanking Folgen Sie uns auf Twitter http://twitter.com/SGPrivateBanking

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© 2010 SunGard.

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Trademark Information: SunGard, the SunGard logo and Ambit are trademarks or registered trademarks of SunGard Data Systems Inc. or its subsidiaries in the U.S. and other countries. All other trade names are trademarks or registered trademarks of their respective holders.

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EDITORIAL

Brigitte Strebel-Aerni

Verantwortung und Reputation Mitte der 90er Jahre trieb der Derivatehändler Nick Leeson in Singapur die renommierte britische Traditionsbank Barings mit einem Verlust von 1,3 Milliarden Euro (heutiger Wert) in den Konkurs. 13 Jahre später traf es die französische Société Générale. Sie musste wegen Fehlspekulationen ihres Händlers Jérôme Kerviel fünf Milliarden Euro abschreiben. Drei Jahre später, im Spätsommer 2011, verursachte Kweku Adoboli mit synthetischen Exchange Traded Funds einen Verlust von 2,3 Milliarden Dollar, was Oswald Grübel, CEO der UBS, zum Rücktritt bewog. Alle drei Derivatehändler haben eines gemeinsam: Als sie ihre Delikte begingen waren sie sehr jung – zwischen 27 und 33 Jahre alt – und sie verfügten alle über keine besondere Ausbildung. Bei allen diesen Vorkommnissen ist eines brutal zutage getreten: Die interne Aufsicht und das Risikomanagement haben versagt. Natürlich hat man seit Nick Leeson dazugelernt. Aber die Komplexität der Systeme und Kontrollprozesse ist offensichtlich stärker gestiegen als die Lernfähigkeit des Risiko-

managements. Überfordern die Modelle und Systeme den Menschen? Paradoxerweise haben die erwähnten jungen Händler genau diese Systeme ausgetrickst. Also ist klar: Es wurden die falschen Personen mit kritischen Aufgaben betraut, die sie überfordert haben. Ja, sie waren überfordert, aber nicht durch die Systeme, sondern durch ihr Persönlichkeitsprofil und ihren Charakter. Der Prototyp des Investmentbankers ist der junge, risikofreudige testosteron-getriebene Draufgänger. Genau hier liegt der entscheidende Punkt. Die zu starke Fokussierung auf die Risikomanagement-Technologie hat den kritischen Faktor Mensch in den Hintergrund gerückt. Oder wie es Professor Paul Embrechts von der ETH Zürich ab Seite 20 dieses Hefts sagt: «Letztlich reduziert sich die die Qualität eines Bankers auf zwei Faktoren, die Persönlichkeit und die Risikokultur. Als Verwaltungsratsmitglied einer Bank oder Versicherung möchte ich die verantwortlichen Risikomanager oder Akteure persönlich kennenlernen, ihnen in die Augen schauen und vertrauen kön-

nen.» Somit wird das Human-Resources-Management zum heikelsten Element des Risikomanagements. Hier geht es nicht um Technologieverständnis, sondern um Menschenkenntnis. Und das ist eine ausgesprochen schwierige Aufgabe. In Zukunft werden wieder soziale Kompetenz und Verantwortungsbewusstsein gefragt sein. Denn sie sind letztlich die Grundlagen für eine solide, nachhaltige Reputation. Und die Reputation ist nicht nur erfolgsentscheidend, sondern geradezu lebenswichtig. Die neuen Geschäftsmodelle, die eine viel intensivere und transparentere Interaktion zwischen dem Kunden und der Bank voraussetzen, werden für die Kundenberater zu einer echten Herausforderung. Ihre Leistung wird messbar und damit auch anfechtbar. Damit aber steigen die Chancen, dass sich grosse Banken wieder vermehrt auf ihre eigentliche volkswirtschaftliche Aufgabe zurückbesinnen: Das sind Problemlösungen, die in Zusammenhang mit der Finanzierung und Refinanzierung von Unternehmen und Haushalten entstehen können. Dies stärkt die Wirtschaft. Ausserdem gilt: Je höher das Verantwortungsbewusstsein der Akteure, desto besser die Reputation der Institute und des Managements. Damit könnte der gegenwärtige Teufelskreis durchbrochen werden. Denn je höher das Verantwortungsbewusstsein und die Reputation, desto weniger staatliche Regulierung und damit mehr Gestaltungsfreiheit und Spielraum für das Management.

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short News

Top 6 Die am häufigsten angeklickten Firmennews auf Moneycab.com Martin Ebners Patinex stockt Myriad-Beteiligung auf

Martin Ebner, Patinex

Der Schweizer Investor Martin Ebner hat seinen Anteil an dem Mobil-Softwareunternehmen Myriad weiter aufgestockt. Gemäss Börsen-Pflichtmitteilung erfolgte die Aufstockung des Anteils per 3.10.2011. Martin Ebner ist als aktiver Aktionär bekannt, der schon zuvor bei von ihm gehaltenen Beteiligungen Einfluss auf die Geschäftspolitik der Unternehmen oder die Zusammensetzung des Verwaltungsrates genommen hat. Patinex hält unter anderem Anteile an Scor, Ypsomed, Intershop, Mobilezone oder Galencia.

Bosch Software Innovations: Anlageberatung auf dem iPad Mit der mobilen Beratungslösung – dem Touch Investment Advisory – können Relationship Manager ihren Kunden ortsunabhängig eine strukturierte, systematische und interaktive Anlageberatung bieten. «Studien belegen, dass die Beratungsqualität kontinuierlich auf dem Prüfstand steht. Eine individuell auf den Kunden zugeschnittene Beratung ist darum von grosser Bedeutung. Mit dem Touch Investment Advisory unterstützen wir Banken dabei, ihren Kunden eine bestmögliche Anlageberatung zu bieten.»

Logica: Studie zu Payments Factories Payments Factories, gemeinsam genutzte Frank Klinkhammer, CEO von Logica Service Center, Schweiz die alle Zahlungseingänge und -ausgänge zentralisieren, sollen die Sichtbarkeit und Kontrolle von Geldflüssen verbessern. Zu diesem Ergebnis kommt eine von Logica beauftragte und von EuroFinance durchgeführte Umfrage unter 30 grossen europäischen Unternehmen. Die Ergebnisse basieren auf Interviews und Diskussionsrunden mit hochrangigen FinanzEntscheidern aus Unternehmen, die bereits Payments Factories verwenden oder den Einsatz planen.

iPad zur Anlageberatung

Sterci: Erster vollständig qualifizierter SWIFTNet 7.0 Anbieter STERCI hat die vollständige Interface Qualifikation für SWIFTNet 7 erfolgreich durchlaufen. Etienne Savatier, Die STP-LöLeiter Internationaler sungen von Vertrieb und Partnerschaften STERCI werden von 250 Kunden in 20 Ländern, sowie den Sterci Service Bureaus in der Schweiz und Grossbritannien eingesetzt. SWIFTNet 7 ist eines der umfangreichsten und aufwendigsten Upgrades des SWIFT-Netzwerks und seiner Protokolle der vergangenen Jahre – speziell seit der SWIFTNet-IP-Migration im Jahre 2003.

CREALOGIX bringt mit ScanMouse Weltpremiere in die Schweiz CREALOGIX E-Payment AG wird das LG-Produkt unter dem Namen CLX.ScanMouse Swiss Edition vermarkten und bietet dieses mit einer exklusiven «Pay-App» zum Einlesen von Einzahlungsscheinen an. Damit mit einer Maus überhaupt hochauflösendes Scanning von Dokumenten bis zur Grösse des A3-Formates möglich ist, wird die von der schweizerischen Firma Dacuda AG patentierte SLAM Scan®-Technologie eingesetzt. Diese Technologie erlaubt schnelle Datenerfassung von Texten, Bildern und Tabellen.

Multifunktionale Maus als Scanner

iWay Software: Echtzeit bei «Big Data»

Gregory Dorman, General Manager iWay Software

iWay Software, ein Geschäftsbereich von Information Builders, präsentiert neue Updates für seine Integrationslösungen Data Quality Center, Data Steward Portal und Master Data Center. Die neuen Versionen unterstützen eine Datenbereinigung in Echtzeit auch bei «Big Data», das heisst bei extrem umfangreichen Datenbeständen. Mit «Big Data» (besonders grosse Datenmengen, die in strukturierter und unstrukturierter Form vorliegen) befasst sich vor allem die Finanzindustrie.

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banking short & insurance News

Top 6 Die am häufigsten angeklickten Personen auf Moneycab.com Wechsel in der Geschäftsleitung von EMC2

Markus Malizia, Director Marketing & Communications EMC2

Daniel Renggli, Director Marketing & Communications hat bei Microsoft eine neue Herausforderung als Leiter Marketing Grosskunden angenommen. Sein Nachfolger bei EMC2 ist Markus Malizia. Er hat die die Position des Director Marketing & Communications sowie die Funktion von Renggli in der Geschäftsleitung übernommen. Malizia ergänzt und leitet das Marketing-Team mit Corina Erny, Channel Marketing, und Susanna Zimmermann, Field Marketing.

RÜCKTRITT VON JACK HERTACH ALS CEO Jack Hertach hat den Wunsch geäussert, per 31. Dezember 2011 als CEO der InCore Bank zurückzutreten. Die Familie Syz und der Verwaltungsrat respektieren diesen Wunsch und danken ihm für sein langjähriges Engagement an der Spitze der Bank. Sein Nachfolger wird André Bitzi, derzeit stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsleitung.

Swiss Re nominiert Robert Henrikson für Wahl in VR Der Rückversicherer Swiss Re nominiert den früheren CEO und heutigen Chairman des USVersicherers MetLife, Robert Henrikson, zur Wahl in den Verwaltungsrat. Henrikson soll an der nächsten Generalversammlung am 13. April 2012 in den VR gewählt werden und Robert Scott ersetzen, der altershalber aus dem Gremium ausscheidet. Henrikson hat als CEO und Präsident bei MetLife grosse Erfahrung in der Versicherungsbranche gesammelt und bringt fundierte Kenntnisse des Geschäfts der wichtigsten Kunden von Swiss Re im bedeutenden US-Markt mit. Robert Henrikson, designierter VR Swiss Re

Jack Hertach, InCore Bank AG

Sarah Trunk ist Regional Director für Region DACH SonicWALL erSarah Trunk, nennt Sarah Regional Director für Trunk zum Regidie Region DACH bei SonicWALL onal Director Germany, Austria and Switzerland. Darüber hinaus wird Thomas Bürgis ab sofort die Position des SE Manager Central Europe bei SonicWALL übernehmen. Sarah Trunk verfügt über 15 Jahre Erfahrung im Bereich IT Security und ist bereits seit dem Jahr 2006 für SonicWALL tätig. Bisher bekleidete die Vertriebsexpertin die Position des Country Manager für die Schweiz und Österreich. Ihr Fokus lag in den vergangenen Jahren auf dem Ausbau der Vertriebspartnerschaften und des ChannelGeschäfts in diesen beiden Länderorganisationen.

Petra Jenner übernimmt Leitung von Microsoft Schweiz Petra Jenner übernimmt die Führung von Microsoft Schweiz. In ihrer Funktion als Country General Manager von Microsoft Schweiz tritt sie die Nachfolge von Peter Waser an, der Anfang Oktober die Leitung der ServiceSparte von Microsoft Westeuropa übernommen hat. Vor dem Wechsel zu Microsoft Schweiz hat Petra Jenner die österreichische Niederlassung von Microsoft geleitet.

Petra Jenner, Country General Manager Microsoft Schweiz

Bruno Spicher wechselt zu Allianz Suisse Bruno Spicher wird per 1. Dezember 2011 als neuer Leiter Sach Unternehmensversicherungen zur Allianz Suisse wechseln. Der eidg. dipl. Versicherungsfachmann hat umfassende Erfahrungen im Unternehmenskundengeschäft und war lange für die Mobiliar Versicherung tätig, unter anderem als Leiter des Bereichs Sachversicherung und Leiter des Gross- und Bruno Spicher, Leiter Spezialgeschäfts. Zuletzt fungierte Spicher als RegiSach Unternehmensveronalleiter Bern für den auf Unternehmenskunden fosicherung kussierten Versicherungsbroker Kessler & Co. AG.

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WER NICHT INVERSTIERT, GLAUBT NICHT AN DIE ZUKUNFT

Neue Ertragspotenziale erschliessen Bigitte Strebel-Aerni

DIE MODERNE INFORMATIONS- UND KOMMUNIKATIONSTECHNOLOGIE ICT UND DAS BANKING BEEINFLUSSEN SICH GEGENSEITIG UND SIND NICHT MEHR ZU TRENNEN. INFOLGE STEIGENDER REGULIERUNGEN NIMMT DER INVESTITIONSBEDARF BEI DEN BANKEN ZU. IM PANELGESPRÄCH MIT PROFILIERTEN PERSÖNLICHKEITEN AUS DER BANKINDUSTRIE WIRD DIES MEHR ALS DEUTLICH. ICT in Finance: Neue Regulierungsvorschriften und die Implementierung der Abgeltungssteuer sind eigentliche Kos­ tentreiber. Wie halten Sie die Kostenentwicklung im Griff?

Zeno Staub, Bank Vontobel: «Konsequente Kostendisziplin»

Zeno Staub: Ganz einfach, indem wir uns eine konsequente Kostendisziplin verordnet haben. Das funktioniert aber nur, wenn das Management glaubwürdig agiert und mit einem guten Beispiel vorangeht. Der zunehmende Kostendruck ist für unsere Bank aber auch eine grosse Chance. Wir verfügen über die kritische Grösse und die nötige Infrastruktur, um andere Finanzdienstleister über unsere IT-Plattform zu bedienen – ein gutes Beispiel hierfür sind die Kooperationen mit Raiffeisen oder mit der Helvetia Versicherung. Diese Kompe-

tenzen interessieren immer mehr kleinere und mittelgrosse Finanzinstitute. Martin Scholl: Tatsächlich verursachen die anstehenden Regulierungen sowie die Abkommen mit ausländischen Staaten primär Kosten. Deshalb muss es das Ziel des Finanzplatzes sein, so viel wie möglich gemeinsam (sprich auf der gemeinsamen Infrastruktur) zu realisieren, damit die Kosten für die einzelnen Institute überschaubar bleiben. Im Übrigen ist Kostenmanagement eine Daueraufgabe. Der Zürcher Kantonalbank ist es in den letzten Jahren gut gelungen, die Kosten dem sich verändernden Umfeld anzupassen. Jürg Bucher: Die Sachkosten sind bei PostFinance in den letzten Jahren stabil geblieben. Der Personalaufwand ist hingegen gestiegen – einerseits dank der erfreulichen Entwicklung von PostFinance, andererseits wegen neuen Regulierungsvorschriften. Um die Kosten im Griff zu halten, gibt es nur eines: ein konsequentes Kostenmanagement. So müssen die höheren Kosten der Regulierung durch Effizienzsteigerungen wettgemacht werden. Pierin Vincenz: Regulierungsvorschriften und Abgeltungssteuer werden pragmatisch und Raiffeisen-konform umgesetzt; dabei verzichten wir auf Maxima-Lösungen. Abflachende Erträge und dadurch zunehmender Kostendruck erfordern eine laufende Überprüfung und Optimierung der Kostenstruktur. Verbesserungen werden sowohl bei den Raiffeisenbanken

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(Fokus: Marktbearbeitung / Kreditverarbei­ tung) als auch bei Raiffeisen Schweiz (Fokus: zentrale Dienste) angestrebt. Ziel ist die Stabilisierung und Reduktion der Kosten, ohne die vorhandenen und zukünftigen Wachstums- und Ertragsoppor­tuni­ täten zu gefährden. Massnahmen konzentrieren sich auf die Verbesserung der Effizienz in der Marktbearbeitung und bei den Verarbeitungsprozessen, um den Wandel zu «Lean»-Unternehmen zu forcie­ren. ICT in Finance: Bleibt wegen der sich öffnenden Kosten- und Ertragsschere überhaupt noch Raum für Investitionen? Falls ja, in welchen Bereichen? Martin Scholl: Selbstverständlich! Denn wer nicht mehr investiert, glaubt nicht mehr

Martin Scholl, ZKB: «Wer nicht investiert, glaubt nicht mehr an die Zukunft.»


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an die Zukunft. Angesichts des aktuellen Umfelds sind die verschiedenen Anforderungen (also Regulation, Betriebssicherheit bzw. Stabilität und Innovation) noch sorgfältiger auszubalancieren. Zeno Staub: Gefragt ist aber ein gesundes Augenmass. Wir investieren gezielt in unseren Beratungsprozess Advisory@ Vontobel und richten unsere IT-Tools konsequent auf die zeitgemässen Kundenbedürfnisse aus. Ferner optimieren wir laufend unsere IT-Infrastruktur. Im Vordergrund stehen hier die Prozessoptimierung sowie die Operationalisierung aktueller Finanzplatz-Themen in den Bereichen Legal, Compliance und Tax. Pierin Vincenz: Ziel von Investitionen muss

Pierin Vincenz, Raiffeisen: «Fokussierter Mitteleinsatz und konsequentes Controlling»

es sein, zukünftige Wachstums- und Ertragspotenziale zu erschliessen sowie die Betriebskosten zu senken. Der Auf- und Ausbau von neuen Ertragsquellen betrifft v.a. das Firmenkunden- und das Anlagegeschäft. Die Senkung der Betriebskosten wird u. a. durch Investitionen in die IT erreicht, mit dem Ziel, die Applikationslandschaft zu standardisieren und somit Synergiepotenziale auszuschöpfen. Der zunehmende Kostendruck erfordert in Zukunft einen noch fokussierteren Mittel­ einsatz sowie das konsequente Controlling der Investitionen und Projekte. Jürg Bucher: Raum für Innovationen muss es geben, sonst bleibt man stehen. PostFinance ist die Nummer eins im EBanking und strebt diese Position auch im Mobile Banking mit dem Smartphone an. Wir werden in den nächsten Monaten

einige Überraschungen in diesen beiden Bereichen präsentieren. PostFinance will es ihren Kundinnen und Kunden noch einfacher machen, ihre Finanzgeschäfte selbständig zu erledigen. ICT in Finance: Die Nationalbank flutet den Geldmarkt, um den Frankenkurs zu drücken. Die Zinsen haben ein Rekordtief erreicht. Wie gross schätzen Sie die Zinsexposure bei einem Wiederanstieg der Zinssätze ein und wie gestalten Sie Ihr Asset & Liability Management? Jürg Bucher: PostFinance hält zurzeit sehr viel Liquidität. Wir tätigen seit April 2011 keine längerfristigen Anlagen mehr auf dem Kapitalmarkt, sondern halten das Geld flüssig. So können wir bei einem Anstieg der Zinsen schnell reagieren und profitieren. Durch den Verzicht auf neue Anlagen am Kapitalmarkt verkürzen wir zudem die Laufzeit unseres Assetportfolios und senken die Risiken noch weiter. Martin Scholl: Die Schuldenkrise einzelner Euroländer sowie der USA schwächt das Vertrauen in deren Währungen. Um die Exportwirtschaft nicht abzuwürgen, muss die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Schweizer Franken mit tiefen Zinsen unattraktiv machen. Steigende Leitzinsen der SNB wären daher ganz allgemein ein erfreuliches Zeichen. Andererseits würde die ZKB bei der Verzinsung der Spar­ gelder von höheren Leitzinsen profitieren, da ZKB-Sparer einen Zins von 0,25 Prozent bei einem AAA-Rating erhalten, während das ZKBKonto bei der SNB zu null verzinst wird (AAA- eingestufte Schuldverschreibungen der Eidgenossenschaft rentieren sogar mit Negativzinsen!). Im Asset & Liability Management verfolgen wir das Ziel, den Zinsensaldo auf einem mittleren Horizont zu stabilisieren. Bei weiterhin tiefen Zinsen wird der Druck auf den Zinsensaldo zunehmen, während wir bei höheren Zinsen einen Anstieg des Zinsensaldos erwarten dürfen. Pierin Vincenz: Das Eingehen von Zinsrisiken ist eine der Kerndisziplinen in unserem Geschäftsmodell. Die Höhe der Risiken ist dabei limitiert. Schwankungen im Nettozinsergebnis aufgrund von eingegan­ genen Zinsrisiken sind normal und Teil unseres Geschäfts. Raiffeisen evaluiert

und beurteilt Zinsrisiken sorgfältig, unter Berücksichtigung eines umfassenden Sets an Szenarien, deren Auswirkungen simuliert werden. Bei der Beurteilung der Zinsrisiken berücksichtigt Raiffeisen unter anderem die Auswirkungen unterschiedlicher Zinsszenarien auf die Einkommenssituation, auf den Wert des Eigenkapitals und auf die Kundenbonität. Die aus den Zinsrisiken resultierenden Einkommens- und Werteffekte liegen innerhalb der gesetzten Leitplanken. Die Auswirkungen dieser Szenarien auf die Erfolgsrechnung wie auf die Kapitalausstattung sind auch im Stressfall eindeutig tragbar. Die Auswirkungen von Zinserhöhungen auf die Kundenbonität erachten wir mittelfristig als überschaubar: Erstens überwiegen bei Raiffeisen Festhypotheken (insbesondere im Geschäft mit der Finanzierung von selbstgenutztem Wohneigen­ tum, welches rund 80 Prozent des Volumens ausmacht). Diese entlasten den Kunden vom Zinsänderungsrisiko bzw.

Jürg Bucher, Postfinance: «Raum für Innovationen muss es geben.»

geben ihm Zeit für Anpassungen des eigenen Finanzbudgets. Zweitens erfolgt die Einschätzung der Tragbarkeit auf der Basis von kalkulatorischen Zinssätzen, die deutlich über den aktuellen Marktsätzen liegen – es bestehen mithin Reserven. Zeno Staub: Unser Produktgeschäft beansprucht rund die Hälfte des Bilanzvolumens. Dieses Geschäft betreiben wir bekanntermassen sehr professionell und hedgen es optimal. Im Privatkundengeschäft ist es wiederum so, dass wir die

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uns anvertrauten Kundengelder aus Prinzip eher konservativ investieren. Im derzeitigen volatilen Marktumfeld steht für unsere Privatkundinnen und -kunden der Vermögenserhalt an erster Stelle. Entsprechend verhalten ist unser Risikogebaren. Deshalb beläuft sich unser Zinsexposure selbst bei einem schnellen und kräftigen Anstieg der Zinssätze auf einen tiefen einstelligen Prozentbereich unseres Eigenkapitals. Das ist absolut vertretbar, denn im aktuellen Frankenumfeld werden die Zinsen kaum schnell und kräftig steigen. ICT in Finance: Können Sie es sich auf Grund des rasanten Innovationstempos leisten, Investitionen in die ICT-Infrastruktur Ihrer Bank zurückzustellen, ohne an künftiger Wettbewerbsfähigkeit einzu­büssen? Zeno Staub: Hier wie anderswo müssen wir das Nötige vom Wünschbaren trennen. Mit

der Einführung von Avaloq in der ganzen Bank haben wir in Sachen Effizienz und Effektivität einen grossen Schritt nach vorne gemacht. Nun geht es darum, die getätigten Investitionen zu rentabilisieren. Jürg Bucher: PostFinance ist auch in ihrer ICT-Infrastruktur innovativ. In den nächsten Jahren werden wir unsere Zahlungsverkehrssysteme erneuern – ein riesiges Projekt. Mit dieser Modernisierung im Zahlungsverkehr erhalten wir in unserem Kerngeschäft mehr Flexibilität, wovon schliesslich unsere Kundinnen und Kunden profitieren. Martin Scholl: Unsere IT-Applikationslandschaft und -Infrastruktur sind in einem guten, stabilen Zustand. Investitionen nimmt die Zürcher Kantonalbank laufend vor, weshalb unsere Wettbewerbsfähigkeit ausgewiesen ist. Pierin Vincenz: Es ist nicht geplant, die ICTInvestitionen zurückzufahren. Im Gegenteil:

Raiffeisen hat in den letzten Jahren stark in die Hard- und Software investiert und wird dies auch in Zukunft tun. Die laufende Aktualisierung der ICT-Infrastruktur erachten wir als unerlässlich und sie wird entsprechend mit hoher Priorität angegangen. Im Fokus der nächsten Jahre steht die Erneuerung des Kernbankensystems von Raiffeisen. Ziel ist die Sicherstellung eines weiterhin hohen Wachstums und die mittelfristige Senkung der Betriebskosten.

die teilnehmer Jürg Bucher Leiter Post und Postfinance Pierin Vincenz CEO Raiffeisen Martin Scholl CEO ZKB Zeno Staub CEO Bank Vontobel

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CHANCEN UND RISIkEN IM CROSS BORDER BANKING 2.0.

Anpassungsdruck steigt Filip Zirin

Neben dem Investmentbanking ist es das Auslandgeschäft, das Cross Border Banking, das sich Wegen neuer Regulierung auf veränderte Wettbewerbsbedingungen einstellen muss.

Den Schweizer Banken geht es wie den Sandrosen in der Wüste: Sie müssen sich flexibel an erschwerte Rahmenbedingungen anpassen.

Oliver Zibung, Mitarbeiter der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA, stellte anlässlich des Cross-Border-Banking-Seminars der Academy of Best Execution fest, dass die Rechts- und Reputationsrisiken im Ausland stark zugenommen haben. Auch aus diesem Grund gibt es seit April 2011 eine Meldepflicht beim Aufbau von Präsenzen im Ausland. Gegen Ende seiner Rede machte der Referent klar, die Behörde sehe die Auslagerung von Risiken, bei der die Betreuung von Kundenbeziehungen durch externe Vermögensverwalter durchgeführt wird, nicht als wirksame Strategie zur Minimierung oder Eliminierung des Risikos. Gleich anschliessend sprach Fiona Hawkins, seit 2010 bei der Schweizerischen Bankiervereinigung für Cross Border Banking verantwortlich. Sie zeigte in ihrem Beitrag zunächst auf, wie heterogen die Regulierer im Ausland das Cross Border Banking zurzeit handhaben. Während

beispielsweise in Italien eine Bewilligung für den ausländischen Finanzdienstleister eingeholt werden muss, ist in Deutschland lediglich eine Registrierung nötig. In einem zweiten Teil stellte sie den Anwesenden die Plattform «Länderinformationen» der SBVg vor. Dieses nach Ländern geordnete Angebot stellt eine Zusammenfassung aller für Cross Border Banking relevanten Informationen dar und kann im Abonnement bezogen werden. Obwohl die Nachfrage gross sei, gab Fiona Hawkins zu, konnte für die USA ein solches Dossier bisher noch nicht zusammengestellt werden. Bisher fehle es noch an Rechtsexperten in den USA, die sich abschliessend zur Thematik äussern wollten. Die Academy lud einen breiten Fächer von Experten ein, die mit ihrem Fachwissen verschiedene Aspekte beleuchteten und den Stand der Dinge aufzeigten. Mit Prof. Dr. Nils Hafner, Dozent für Kunden-

beziehungsmanagement an der Hochschule Luzern und Unternehmensberater, konnte nicht nur ein eloquenter Redner, sondern auch ein Experte für den Aufbau von langfristig profitablen Kundenbeziehungen gewonnen werden. Die Wahl von Hafner als Moderator geht einher mit einer Botschaft dieses Nachmittages: Im Cross Border Banking werden sich die Schweizer Unternehmen stärker zum Kunden hinbewegen und eine langfristige Beziehung aufbauen müssen. An diesem Punkt setzte auch Michael Stöckli, Partner des Bankenberatungszentrums Bernet & Partner in St. Gallen an. Die Finanzdienstleister müssen sich auf eine radikal veränderte und fragmentierte Marktarena einstellen. Damit haben sich die Anforderungen an die Kundenbetreuung und Akquisition erhöht und die Unternehmen werden sich die Frage stellen müssen, ob und wie sie dieses Geschäft weiterhin betreiben können. Neben dem Verzicht werden die dominanten Strategien, so die Einschätzung von Stöckli, die Zusammenarbeit und die Fokussierung auf bestimmte Märkte sein. Er fasste es mit dem Satz «you can’t be everthing to everybody» zusammen. Der letzte Redner Steven Loepfe, Managing Partner und Gründer der Loepfe & Partner AG, versuchte den anwesenden Vertretern von Finanzinstituten auf erfrischende Art klar zu machen, wie schnell die Reputation verloren und wie schwer sie wieder herzustellen ist. Wenn man erst dann an die Reputation denkt, wenn das Haus brennt, kann man nur noch darauf achten, dass es nicht im Bild ist, wenn man das Interview gibt.

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HERAUSFORDERUNGEN UND TRENDS IM SCHADENMANAGEMENT DER VERSICHERUNGSWIRTSCHAFT

Netzwerke nutzen Patrick Mäder

HEUTE WIRD DAS SCHADENMANAGEMENT NICHT NUR ALS STRATEGISCHES INSTRUMENT ZUR NACHHALTIGEN SENKUNG DER SCHADENAUFWÄNDE UND -KOSTEN EINGESETZT, ES WIRD INSBESONDERE IN EINEM WETTBEWERBSINTENSIVEN MARKT ALS EIN ZENTRALES ELEMENT ZUR OPTIMIERUNG DER KUNDENBEZIEHUNG GESEHEN.

Die Erfüllung der Qualitäts- und Kompetenzanforderungen wird mit Hilfe von Service Level Agreements (SLA) für interne und externe Partner unterstützt.

Zunehmender Wettbewerb und geringe Profitabilität zwingen Versicherer zur Senkung ihrer Kosten. Die Unternehmen haben das erhebliche finanzielle Potenzial eines effizienteren Schadenmanagements erkannt und wollen in den nächsten drei Jahren in die Optimierung ihrer Abläufe und Strukturen investieren. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Management- und Technologieberatung BearingPoint unter 28 führenden Versicherungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Demnach wollen mehr als 90 Prozent der Teilnehmer die Effektivität ihrer Schadenbearbeitung erhöhen. ­Geschäftsmodell Gleichzeitig wird die qualitätsorientierte, servicezentrierte Regulierung in den Mittelpunkt der strategischen Ausrichtung gestellt. Dies wird durch 93 Prozent aller

befragten Unternehmen bestätigt, die in hoch qualifizierten, motivierten und kundenorientierten Sachbearbeitern den zentralen Erfolgsfaktor ihrer Schadenstrategie sehen. Da 79 Prozent aller Unternehmen die Qualität der Schadensachbearbeitung als Handlungsfeld für ihre mittelfristige Schadenstrategie ansehen, ist festzustellen, dass hier erhebliche Potenziale bestehen. Betrachtet man den strategischen Rahmen des Nicht-LebenMarktes, dann ist dieser Handlungsbedarf gut nachvollziehbar. Zwar wurden in den letzten Jahren eine Reihe von Einzelinitiativen – teilweise auch als konzentrierte Branchenaktion – gestartet (z. B. Car Claims Information Pool oder HelpPoint der Zurich), eine branchenweite Erhöhung der Effizienz der Schadenbearbeitung ist jedoch nicht nachweisbar. Bezieht man eine weitergehende Analyse des Erfolgs von Strategien einzelner Un-

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ternehmen in den oben genannten Rahmen ein, fallen nur wenige erfolgreiche Strategien auf. Hier ist z. B. der Aufbau des Schaden-Service-Plus-Netzes der HUK-Coburg zu nennen, durch das bereits nach wenigen Jahren mehr als zehn Prozent aller deutschen Mfz-Schäden abgewickelt werden. Weitere Unternehmen, die vertriebsseitig in hartem Wettbewerb stehen, nutzen bereits dieses Netz, was somit ein seltener Fall von «coopetition» ist – also die Gleichzeitigkeit von Kooperation («cooperation») und Wettbewerb («competition»). Als alternativer strategischer Pfad ist im Bereich der Mfz-Versicherung (u. a. Allianz) die enge Kooperation mit den Automobilherstellern zu beobachten. Vermehrt setzen die Versicherungen wieder auf Prävention zur Verbesserung der Kundenbeziehung und -zufriedenheit sowie zur Reduktion der Schadenquote. Trotz beachtlicher Investitionen in Prozess- und IT-Landschaften kann keine Zu­ friedenheit im Top-Management der Nicht-Leben-Versicherer festgestellt wer­ den. Die in anderen Branchen weit fortgeschrittene Industrialisierung und Automation der Prozesse ist bei vielen Versicherern noch deutlich ausbaufähig. Etliche Teile der Wertschöpfungskette könnten deutlich stärker von IT-Systemen unterstützt und damit für die Bearbeitung effizienter gestaltet werden. Die weitere maschinelle Unterstützung von Prozessen bei gleichbleibender oder steigender Kundenzufrie­ denheit findet sich in den strategischen Unternehmenszielen für die nächsten drei Jahre bei vielen Teilnehmern der Umfrage.


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Schadenmanagement-Prozesse Die Ergebnisse zu den Prozessen im Schadenmanagement unterstreichen zusätzlich den Handlungsbedarf bei der Automatisierung der Prozesse. Nur ca. ein Drittel der Unternehmen verfügt über eine maschinelle Unterstützung der Schadenerfassung. Dieses Resultat wird auch durch weitere wissenschaftliche Studien gestützt, die den Automatisierungsgrad des Kernprozesses «Schaden» mit etwa 30 Prozent beziffern. Oft ist die Auslagerung von Teilen der Prozesskette als Ausweg aus der EffizienzMisere der Versicherungswirtschaft in den letzten Jahren diskutiert worden. Aktuell kann nur bei ca. 20 Prozent der befragten Unternehmen ein Outsourcing partieller Prozessschritte erkannt werden. Ein Grund für die zurückhaltende Sourcing-Bereitschaft dürfte darin liegen, dass das Angebot an qualitativ hochwertigen und kostengünstigen Outsourcing-Partnern sehr gering ist. Nur wenige sind in der Lage, die hohen Qualitäts- und Kompetenzanforderungen der Versicherer zu erfüllen. Ein weiteres Motiv könnte sein, dass die Assekuranz hier den zweiten Schritt vor dem ersten versucht – die Auslagerung vor der Standardisierung. Ohne eine brancheneinheitliche Standardisierung wird sich kein eigenständiger Zulieferer-Markt für Schadenprozesse etablieren, da die Verlagerung von Komplexität keine Skaleneffekte ermöglicht. Schadenorganisation Die hohe Komplexität und der damit verbundene hohe Grad an Eigenfertigung spiegeln sich auch in der aufbauorganisatorischen Gestaltung der Schadenprozesse wider. Die Regulierung erfolgt überwiegend durch die Schadenabteilungen, Service-Centers oder die angestellten Aussendienste. Externe Schadenabwickler spielen heute mit weniger als 20 Prozent eine eher untergeordnete Rolle, werden aber in Zukunft zunehmend in die Abwicklung eingebunden. Die Bedeutung der Nutzung von Schadennetzwerken hat in den letzten Jahren zugenommen. Dabei wirken immer mehr unterschiedliche Kooperationspartner und Beteiligte zusammen, welche (Teil-)Prozessschritte übernehmen und ein Netzwerk zwischen den un-

terschiedlichen Beteiligten aufspannen. Mehr als die Hälfte der Befragten nutzt eigene Schadennetze oder plant ihre Nutzung in den nächsten drei Jahren. Schadensystem Die Erweiterung des Nutzerkreises ist ein Schwerpunkt der künftigen Entwicklung in den Schadensystemen. Während derzeit nur 27 Prozent der Makler und 19 Prozent der Versicherungsnehmer bzw. Geschädigten direkten Zugriff auf die Schadensysteme haben, planen die Versicherer, diese Gruppen in den nächsten Jahren deutlich stärker an die Schadensysteme anzubinden. Dabei wird die Nutzung von Portallösungen eine technisch herausgehobene Rolle spielen. Der internetbasierte Zugang wird in Zukunft insbesondere auch Versicherungsnehmern und Geschädigten zur Anbindung dienen und soll bei mehr als 50 Prozent der befragten Unternehmen in den nächsten drei Jahren realisiert sein. Trotz dieser Planung ist festzustellen, dass die durchgehende

Kosten senken – Effizienz steigern Anbindung aller Prozessbeteiligten auf längerfristige Sicht nicht in allen Unternehmen der Fall sein wird. Die Schadensysteme sind bei über 80 Prozent aller Befragten in Eigenleistung erstellt, ein signifikanter Markttrend hin zu Standardsoftware ist noch nicht zu verzeichnen, auch wenn einige Versicherer diese Richtung bereits eingeschlagen haben. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob sich die Standardprodukte am Markt durchsetzen werden. Eine grosse Mehrheit der Befragten setzt auf die Optimierung der bestehenden Schadensysteme. Im Zuge der funktionalen Erweiterungen bilden die Umsetzung der elektronischen Schadenakte, die Entschädigungsberechnung und automatisierte Zahlungen sowie automatische Betrugserkennung

die Schwerpunkte der Investitionen. Damit ist die mittelfristige technologische Weiterentwicklung des Kernprozesses Schaden durch graduelle Verbesserung des Automatisierungsgrades und Erweiterung des Systemnutzerkreises durch Portallösungen geprägt. Schadencontrolling Die zunehmende Nutzung von Schadennetzen führt zu erhöhten Controlling-Anforderungen. Deshalb wollen 43 Prozent der befragten Unternehmen in den nächsten Jahren verstärkt in ihr Controlling-Instrumentarium investieren. Des Weiteren werden im Zusammenhang mit der Nutzung externer Schaden-Dienstleister zunehmend Scoring-Verfahren eingesetzt (ca. 60 Prozent in den nächsten drei Jahren), deren Nutzung aber im Speziellen auch auf Sachverständige und Handwerkbetriebe ausgedehnt wird. Die wesentliche Herausforderung für das Schadencontrolling wird in den nächsten drei Jahren der Ausbau der Prognose- und Simulationsfunktionen sein. Eine nachhaltige Steuerung mit Hilfe des Schadencontrollings bedingt die Erkennung von Mustern in der Vergangenheit und die Simulation von unterschiedlichen Szenarien für die Entscheidung von operativen und strategischen Fragestellungen. Angesichts der jüngsten negativen Entwicklungen in der Lebensversicherung (Solvency II, Unisex-Tarife) und der strukturellen Probleme in der privaten Krankenversicherung ist der Stellenwert der Schaden- und Unfallversicherung in der Versicherungswirtschaft unvermindert hoch, wenn nicht sogar gestiegen. Mit zu den unternehmenspolitisch wichtigsten Aufgaben gehört es, – über ein effizientes Schadenmanagement hinaus – die Schadenkosten und -aufwände zu senken und die Profitabilität in der Versicherungstechnik zu verbessern. Patrick Mäder ist Partner und firmenweiter Leiter des Versicherungssegments, bei BearingPoint Management & Technology Consultants

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INTERNATIONALE VERSICHERUNGSKONZERNE UNTER REGULIERUNGSDRUCK

Offensives Standardsetting Brigitte Strebel-Aerni

DIE JÜNGSTEN ENTWICKLUNGEN AN DEN FINANZMÄRKTEN HABEN EINE EIGENTLICHE REGULIERUNGSDYNAMIK AUSGELÖST. NICHT NUR BEI DEN BANKEN, AUCH BEI DEN VERSICHERUNGSGESELLSCHAFTEN. ANLÄSSLICH EINES MITTAGSVORTRAGS DES EUROPA INSTITUTS DER UNIVERSITÄT ZÜRICH ZEIGTEN GROUP GENERAL COUNSEL DR. YANNIK HAUSMANN UND DR. IRENE KLAUER, HEAD REGULATORY AFFAIRS, WOHIN DIE REISE FÜR DIE ZURICH FINANCIAL SERVICES GEHT.

Versicherungskonzerne müssen der Globalisierung gerecht werden.

Auch die Versicherungswirtschaft steht unter dem Druck nationaler Aufsichtsbehörden. Für die Vertreter der ZFS ist klar: Internationale Versicherungskonzerne müssen mit einer eigenen Gruppenaufsicht, die der Globalisierung gerecht wird, als Standardsetter in die Offensive gehen. Mit Ausnahme der amerikanischen AIG sind die Versicherungen von der jüngsten Krise weniger stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Nach wie vor klafft eine Lücke zwischen nationaler Aufsicht und international orientiertem Versicherungsgeschäft. Die Versicherungen wurden zu Beginn des Jahrtausends, während der Dotcom-Krise, auf dem falschen Fuss erwischt. Damals wurde auch die SolvencyII – Initiative gestartet und die Entwicklung des Gesamtbilanzansatzes wurde angeregt. Dieser sieht den Aufbau eines ökonomischen und eines risikobasierten Kapitalsystems vor. Der Fokus lag dabei gemäss Yannick Hausmann auf den internen Governance-Prozessen und den Kontrollsystemen. Mit Ausnahme der AIG, die stark im branchenfremden Kreditderivate-Bereich engagiert war, kamen die Versicherungsgesellschaften in der jüngsten Finanzmarktkrise mit einem «blauen Auge» davon. Jetzt wurde auch klar, dass sich das Geschäftsmodell global aktiver Versicherungsgesellschaften in der Regel doch wesentlich von jenem der Banken und deren Kapitalmarktakti-

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vitäten unterscheidet. «Das traditionelle Versicherungsgeschäft verursacht keine systemischen Risiken», erklärt Yannick Hausmann. Wobei er Versicherungsgesellschaften wie die AIG, die sich in bankähnlichen Geschäften exponiert hatten, als die berühmte Ausnahme bezeichnet, welche die Regel bestätigt. Aber die Bank- und Kapitalmarktregulierung habe eine starke Ausstrahlung auf die Versicherungsbranche. Vielfältige Regulierungsagenda Einerseits werde die Regulierungsagenda auf internationaler Ebene von «non traditional policy makers» getrieben. Daneben wurden Initiativen auf nationaler Ebene gestartet wie «too big to fail» in der Schweiz und Dodd Frank in den USA. Für Hausmann ist klar: Die Internationalisierung des Finanzgeschäfts erfordert eine Verstärkung der historisch national ausgerichteten Aufsichtsstrukturen. Eine neue Aufsichtsarchitektur ist gefragt. Die komplexen global ausgerichteten Geschäftsmodelle erfordern demnach eine verstärkte Gruppenaufsicht sowie einen intensivierten Austausch zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden. Irene Klauer, Head Regulatory Affairs, ist bei der ZFS zuständig für die Beziehungen zur Schweizer Finanzmarktaufsicht FINMA. Sie nennt als typische Auf-


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gabenbereiche der Gruppenaufsicht die Struktur und Organisation der Versicherungsgruppe, die Solvenz, die Risikokonzentration, gruppeninterne Transaktionen sowie Risiko- und Kontrollprozesse (Governance). Institutionalisierte Zusammenkünfte wie Supervisory Colleges sorgen für die Koordination auf internationaler Ebene. Im Rahmen dieser Supervisory Colleges setzen sich nationale Aufsichtsbehörden wie die FINMA, FSA, APRA, CBI, ISVAP und die US-Behörden an einen Tisch, um nach global wirksamen regulatorischen Lösungen zu suchen. In diesem Kollegium hat die Schweiz mit ihrem Swiss Solvency Test eine Art Vorreiterrolle gespielt. Dadurch entsteht zwar ein umfassendes, aber nach wie vor national ba-

Supervisory Colleges siertes Aufsichtssystem. Im Gegensatz dazu erteilt die EU mit Solvency II der Gruppenaufsicht grenzüberschreitende Kompetenzen und kodifiziert die Supervisory Colleges. Dadurch entsteht ein regional harmonisiertes, Drittstaaten zugängliches System. Im Juli 2010 wurde von der International Association of Insurance Supervisors IAIS das sogenannte ComFrame-Projekt gestartet. Das Common Framework for the Supervision of Internationally Active Insurance Groups (ComFrame) steht unter der Leitung von Monika Mächler, Vizedirektorin der schweizerischen Finanzmarktaufsicht FINMA. Das ComFrame-Projekt will Methoden zur Gruppenaufsicht international aktiver Versicherungsgruppen (IAIGs) entwickeln sowie ein umfassendes Regelwerk schaffen, das die Zusammenarbeit der einzelnen nationalen Aufsichtsbehörden verbessert, um einen integrierteren internationalen Regulierungsapproach zu ermöglichen. Dies alles soll die globale Konvergenz von regulatorischen und aufsichtsrechtlichen Massnahmen fördern. Das Konzeptpapier befasst sich mit fünf Modulen: Anwendungsbereich,

Struktur und Geschäft, quantitative und qualitative Erfordernisse, behördliche Zusammenarbeit sowie Anforderungen an die Aufsichtsbehörden. Anvisiert wird ein global koordiniertes und harmonisiertes Aufsichtssystem für grosse internationale Versicherungsgruppen. Diese werden in Zukunft proaktiver und transparenter sowie kontinuierlicher mit der Aufsicht kommunizieren müssen. Das heisst konkret: Bündelung des Informationsflusses von und zur Aufsicht, Sicherstellung der Konsistenz der Aussagen, Antizipation des behördlichen Austausches sowie Präsenz gegenüber internationalen Aufsichtsgremien, insbesondere gegenüber der IAIS. Dabei wird auch das Senior Management stärker in aufsichtsrechtliche Themen involviert werden. Paradigmenwechsel «Wir stehen vor einem eigentlichen Paradigmenwechsel im Umgang mit der Aufsicht», erklärt Irene Klauer. Ihrer Meinung nach wird sich der Aufsichtsfokus stärker auf die Governance-Prozesse ausrichten. Dabei wird die qualitative Aufsicht zur wichtigen Säule der modernen Versicherungsaufsicht. Auch Solvency II wird mit Fokus auf die Governance geprüft. Dabei geht es auch um die Angemessenheit und Effektivität wesentlicher unternehmensinterner «Governance»Prozesse sowie um deren Nachhaltigkeit. Vor allem die FINMA und die europäischen Aufsichtsbehörden legen den Fokus auf die Corporate Governance der einzelnen Institute. Dabei wird die Corporate Governance zunehmend strenger und differenzierter. Ein Beispiel dafür ist auf EU-Ebene das Grünbuch 2011 über den europäischen Corporate-Governance-Rahmen sowie lokale BestPractise-Erwartungen. Oft ergibt sich daraus ein Spannungsfeld zwischen gruppenweiten und lokalen gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen sowie zwischen dem Management und der Compliance. Deshalb wird ein Training zur Sensibilisierung des Gruppenmanagements sowie der lokalen Verwaltungsräte erforderlich. Dies wiederum fördert den Dialog mit den Aufsichtsbehörden und schafft die nötige Balance zwischen Gruppenzusammenhalt und lokalen

«Best-Practise»-Anforderungen. Gruppenintern wiederum müssen Mindestvorgaben zuhanden der Tochtergesellschaften erstellt werden, und zwar abgestuft nach der Bedeutung der jeweiligen Tochtergesellschaft. All dies soll robuste gruppenweite Governance-Prozesse garantieren, sogenannte «Subsidiary Corporate Governance Principles». Alles in allem sind die Compliance-Erwartungen der Aufsicht auf nationaler und internationaler Ebene stark gestiegen. Ein Positionspapier der FINMA zu den Risiken im grenzüberschreitenden Finanzdienstleistungsgeschäft aus dem Jahre 2010 hält fest, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen und Risiken im Ausland grundlegend analysiert werden müssen. Das Geschäftsmodell der international aktiven Versicherungsgruppe muss konform sein mit den ausländischen rechtlichen Rahmenbedingungen und den damit verbundenen Risiken. Dies gilt auch für die Risikoüberwachung von Vermittlern (Broker). Bei einer Auseinandersetzung mit ausländischen Behörden muss die FINMA sofort und umfassend informiert werden. Ausländische Regularien wie zum Beispiel FACTA haben ihre Auswirkungen auch auf die Produktgestaltung, insbesondere auf internationale Versicherungsprogramme. Vor allem, wenn es darum geht, die Bezie-

Neue RegulierungsAgenda hung zwischen Masterpolice und lokalen Policen korrekt zu strukturieren. Das hat Auswirkungen auf die Regulierungsagenda der internationalen Versicherungsgruppen. Für sie wird ein aktives Regulatory Affairs Management immer wichtiger. Das führt zu einer Verstärkung der internen GovernanceStrukturen und -Prozesse. Last but not least müssen die internen Systemkapazitäten massiv erweitert werden. Dies wiederum erhöht den Investitionsbedarf in die IT-Infrastruktur.

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REVISION DES VERSICHERUNGSVERTRAGSGESETZES

Informationspflichten mit Kostenfolgen Eugénie Holliger-Hagmann

DAS GEPLANTE VERSICHERUNGSVERTRAGSRECHT AUFERLEGT DER ASSEKURANZ WEITEREN AUFWAND UND BRINGT NEUE AUFGABEN FÜR IT-SYSTEME. nente Information der Versicherungsunternehmen und ihres Aussendienstes über die Fristen, während derer eine Police noch gültig ist, sowie die ent-

Was früher in Dossiers landete, muss heute auf der IT-Ebene umgesetzt werden.

Der Entwurf zur Totalrevision des Versicherungsvertragsgesetzes (E-VVG) liegt beim Parlament. Er bringt der Assekuranz vermehrte Informationspflichten gegenüber ihren Kunden und diesen mehr Gelegenheiten, aus einem Versicherungsvertrag auszusteigen. Die Versicherer müssen häufiger damit rechnen, dass ein Vertrag vorzeitig beendet wird, unter Umständen sogar mit Kostenfolgen. Das führt zu Unsicherheiten, weil eine Police gleichsam in einen Schwebezustand gerät. Die perma-

sprechende Abstimmung/Synchronisierung gewinnt an Bedeutung und muss durch das IT-System unterstützt werden. In der Lebensversicherung müssen den Kunden künftig auch mehr Berechnungsgrundlagen geliefert werden als bisher – einige sogar sofort auf Verlangen des Kunden. Ebenso wichtig ist, dass der Versicherer der Aufsichtsbehörde FINMA jederzeitig nachweisen kann, dass sein Aussendienst die vorvertraglichen Informationspflichten

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gegenüber den Kunden strikte erfüllt. Auch die neu definierten Anzeigepflichten der Kunden bei der Antragsstellung müssen für den Versicherer wie auch für seinen Aussendienst noch jahrelang nachweisbar sein. Der EVVG ist derart mit Informationspflichten und Terminen vollgepackt, dass ein Versicherer nur noch dann unbeschadet über die Runden kommt, wenn er sein ITSystem zur Unterstützung des Aussendienstes und des Backoffice sowie als Beweisinstrument auf Vordermann gebracht hat. Der Versicherer ist gegenüber einem «Konsumenten» mindestens drei Wochen lang an seinen Antrag gebunden. Schweigt er bei einem Antrag des Kunden auf Verlängerung/Veränderung einer bestehenden oder auf Wiederinkraftsetzen einer sistierten Police während drei Wochen, gilt der Antrag als angenommen. Die Versicherungskunden – also nicht nur die eigentlichen «Konsumenten», sondern auch die KMU – können zwei Wochen lang ihren Antrag oder den Vertragsabschluss ohne Begründung widerrufen. Wurden bereits Versicherungsleistungen erbracht, muss sie der Kunde zurückerstatten und er kann verpflichtet werden, dem Versicherer die Kosten besonderer Abklärungen zu ersetzen. Ein langes Gedächtnis erfordert die Vorschrift, dass der Kunde die Prämie trotz Widerruf noch so lan-


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ge schuldet, als geschädigte Dritte gegenüber dem Versicherer einen Anspruch geltend machen können, beispielsweise aus Motorfahrzeughaftpflicht. Bis spätestens zwei Jahre nach Vertragsabschluss muss der Versicherer damit rechnen, dass der Kunde noch abspringt. Dann nämlich, wenn der Kunde erfährt, dass ihm der Versicherer oder dessen Agent vor der Antragsunterzeichnung geschuldete Informationen vorenthielt. Dann hat er vier Wochen Zeit, den Vertrag zu künden. Die Police befindet sich insgesamt 25 Monate in einem Schwebezustand. Es geht um die bei der VVG-Revision auf elf Punkte aufgestockte Liste mit den vorvertraglichen Informationspflichten gegenüber den Kunden. Zusätzliche Informationen sind bei der Rechtsschutz- und Lebensversicherung vorgesehen, ebenso bei der Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung. Das ganze Informationspaket muss dem Kunden so formuliert und dargelegt werden, dass es für ihn verständlich ist. Es muss ihm schriftlich übergeben werden und so rechtzeitig, dass er die Informationen vor dem Antrag zur Kenntnis nehmen kann. Schriftlich bedeutet gemäss Botschaft auch andere Formtypen, «welche den Nachweis durch Text ermöglichen». Für die durch das Informationspaket verursachten Änderungen bei den Versicherungsunternehmen veranschlagt die Botschaft rund 4 Mio. CHF , wobei sie sich auf die seinerzeitige Regulierungsfolgenabschätzung beruft. Ein Teil davon dürfte in das Aufrüsten der ITSysteme fliessen. Alljährlich müssen Lebensversicherer die Versicherungsnehmer über die Zuteilung und den Stand der individuellen Überschussanteile informieren, unter Angabe der Berechnungsgrundlagen und Verteilungsgrundsätze. Ebenfalls alljährlich und auf Verlangen sogar jederzeit ist dem Versicherungsnehmer der Rückkaufswert einer Lebensversicherung mitzuteilen. Neuer Dokumentationsaufwand entsteht auch durch die vorvertragliche Anzeigepflicht des Kunden hinsichtlich erheblicher Gefahrentatsachen. Künftig

muss der Versicherer darüber schriftlich, verständlich und genau spezifiziert Auskunft verlangen. Er kann vier Wochen, nachdem er Kenntnis erhielt, dass ihm der Kunde eine erhebliche Gefahrentatsache verschwiegen hat, den Vertrag künden. Liegt bereits ein Schadenfall vor, kann er die Leistung verweigern bzw. kürzen. Der E-VVG regelt die Abrechnungsmodalitäten für die Prämie bei vorzeitiger Vertragsbeendigung. Künftig soll die Versicherungsleistung bereits mit Ablauf von vier Wochen nach genügender Substanziierung des Anspruchs und Nennung oder Übergabe der Beweise fällig werden. An diesem Tag gerät der Versicherer denn auch

den Vertrag bis zu jenem Zeitpunkt künden kann. Deshalb befindet sich der Versicherer während zwei Monaten in Unsicherheit über den Weiterbestand des Vertrags. Ein solcher Schwebezustand wird auch dadurch herbeigeführt, dass bei Handänderung der neue Eigentümer des Versicherungsobjekts – beispielsweise eines Automobils – den Übergang der Versicherung auf sich spätestens einen Monat nach der Handänderung ablehnen kann. Der Versicherer hat dann das Recht, den Vertrag mit einer Frist von mindestens einem Monat zu künden. Auch ein auf längere Dauer vereinbarter Versicherungsvertrag

Neue Dokumentations- und Informationspflichten für Broker Die Offenlegung der Entschädigung, welche ein Versicherungsbroker von Dritten – in der Regel von Versicherungsunternehmen – in Form von Provisionen, Courtagen und anderen geldwerten Vorteilen entgegennimmt, muss vor Vertragsabschluss schriftlich erfolgen und sich auf die Art und Höhe der Leistung beziehen. Die vollständige, wahrheitsgetreue und verständliche Information muss jeweils sofort greifbar sein. Hinsichtlich der Leistungen, die beim Vertragsschluss noch nicht betragsmässig feststellbar sind, hat der Broker seinen Auftraggeber umfassend und verständlich über Art und Berechnungsweise zu informieren. Er muss die entsprechenden Angaben und Berechnungsmodalitäten also bereits zu Beginn des Kundenkontakts auf den Bildschirm holen und ausdrucken können. Überdies muss der Broker die von ihm erhobenen Bedürfnisse der Kunden inklusive der Gründe für die Empfehlung eines bestimmten Versicherungsprodukts schriftlich festhalten. Sowohl die von einem oder mehreren Versicherern abhängigen Agenten wie auch die unabhängigen Broker müssen ihren Kunden beim ersten Kontakt schriftlich zahlreiche Informationen abgeben zu Firma, Adresse, Eigenschaft als Broker oder Agent, Registereintrag, Zusammenarbeit mit Versicherungsunternehmen usw. Das gleiche gilt für allfällige Änderungen, die beim folgenden Kontakt – ebenfalls schriftlich – nachzumelden sind. Alle diese Informationen müssen ständig à jour gebracht und abrufbar sein. Es empfiehlt sich, dafür zu sorgen, dass die Änderungen den Brokern und Agenten vor jedem Kundenkontakt automatisch in Erinnerung gerufen werden. /ehh

schon in Verzug, also ohne vorherige Mahnung. Die Terminüberwachung wird deshalb immer wichtiger. Macht der Versicherer Gebrauch von einer Prämienanpassungsklausel, dann tritt die Prämienerhöhung frühestens acht Wochen nach begründeter schriftlicher Mitteilung an den Kunden in Kraft. Der Kunde muss auch darüber informiert werden, dass er

kann auf das Ende des dritten und später jeweils auf das Ende des folgenden Jahres gekündigt werden. Nach Beendigung eines Versicherungsvertrags können noch bis zu zehn Jahre lang Deckungsansprüche entstehen, wenn ein Schaden erst in dieser Zeit eintritt, die versicherte Gefahr sich aber noch während der Laufzeit des Vertrags verwirklicht hat.

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6. SWISS FUND DAY: ERFOLGSKRITISCHES INFORMATIONS- UND DATENMANAGEMENT

Dringender Handlungsbedarf! Brigitte Strebel-Aerni

Die Informationstechnologie spielt gemäss Martin Thommen, Präsident der Swiss Fund Association SFA eine zentrale Rolle im operativen Geschäft der Fondsindustrie. Und ihre Bedeutung wird noch weiter steigen. Dies zeige sich auch an der steigenden TeilnehmerZahl, die den Umzug in den grossen Saal des Hotels Widder in Zürich nötig machte.

Stefan Müller, Swiss & Global Asset Management Ltd, über Erfahrungen im Informationsmanagement bei Exchange Traded Funds (ETF)

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v.l.n.r.: Reto Käser (Quartal FS), Gerd Klask

Die Fondsindustrie wird durch die neuen regulatorischen Anforderungen gefordert. Trotz Finanzkrise erfreue sie sich relativ stabiler Kapitalzuflüsse. Aber die eigentliche Bewährungsprobe komme erst, wenn sich die Märkte wieder erholen, davon ist SFA-Präsident Martin Thommen überzeugt. In der Schweizer Fondsindustrie habe die Anpassung des Bundesgesetzes für kollektive Kapitalanlagen KAG an die europäischen MIFID-Richtlinien erste Priorität. Der Fahrplan steht bereits fest: Mitte 2012 müsse das KAG an die alternative Investmentfond Management Directive angepasst werden. Heute existiere nämlich in der Schweiz eine Regulierungs-Lücke in der Überwachung der Asset Manager. Während in der EU sämtliche Asset Manager durch die Manager Directive überwacht würden, sei dies in der Schweiz nicht der Fall. Deshalb

v.l.n.r.: Daniel Jazbec (Bellevue Asset Management), Ulrich Jacobi (Diamos)

bestehe dringender Handlungsbedarf in der Schweiz, mahnt der SFA-Präsident. Alle Ressourcen müssten auf die KAGAnpassung ausgerichtet werden. Die SFA und die Bankiervereinigung würden in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe diesbezüglich kooperieren. Sie konnten sich aber nicht zu einer gemeinsamen Stellungnahme durchringen. Ziel der gemeinsamen Anstrengungen sei es, den Anlegerschutz für professionelle Anleger zu verbessern. Die Angleichung an die EU-Normen sei entscheidend für den sehr wichtigen Zugang zu den europäischen Märkten. Bei der Alternative Investment Directive AIF gehe es um die Verwaltung, die Verwahrung und den Vertrieb von Nicht-UCITS. Weil die Schweizer Kollektivanlage in Europa als

Martin Thommen (Swiss Fund Association SFA)

Alternative Investment gilt, sind Schweizer Fondsprodukte Nicht-UCITS. Martin Thommen lobte in dieser Sache das dezidierte und rasche Vorgehen des Finanzdepartements und seiner Vorsteherin Bundesrätin Evelyne Widmer-Schlumpf. Es gelte auch den Produktionsstandort Schweiz zu fördern. Michael Graf, Head Business Controlling Switzerland, Europe & Fund Services ging in seinem Referat auf das Informationsmanagement der UBS-Fondsplattform ein. Die UBS führt 23 500 Fonds im B2BBereich. Die Bank ist marktführender Asset Manager und hat ihre ehemals fragmentierte Systemlandschaft durch eine integrierte Gesamtlösung ersetzt. Seine Erfahrung: Die grossen Themen sind Da-

v.l.n.r.: Daniele Santori (SG Analytics), Anita Weber (Swisscanto AM)

tenintegration, Ausbildung und Testing. Seit 1. Juli 2011 hat das neue Key Investor Information Document (KIID, KII bzw. KID) den vereinfachten Verkaufsprospekt für Fonds abgelöst. Das KIID wird – abgesehen von der UCITS-IV- bzw. OGAW-IV-Richtlinie – durch eine Vielzahl von Vorschriften geregelt. Da ist es schwer, den Durchblick zu behalten. Steven Wicki von Vontobel Asset Management und Marco Chinni von Primecoach GmbH erläuterten Sinn und Zweck des neuen Key Investor Information Document. Der Inhalt müsse das Anlageziel und die Anlagepolitik klar und verständlich wiedergeben. Das sei eine Kunst, bestätigten die Referenten, denn der Platz für Erläuterungen ist knapp bemessen und technische Ausdrücke verpönt. Information sei nur so viel Wert, wie sie beim Empfänger verstanden wird. Eine klare Absage an Fachchinesisch und Begriffskonfusionen.

v.l.n.r.: Steven Wicki (Vontobel AM), Marco Chinni (Prime Coach GmbH)

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titelstory

DIE QUALITÄT DES BANKERS REDUZIERT SICH AUF ZWEI FAKTOREN:

Persönlichkeit und Risikokultur Brigitte Strebel-Aerni

PROFESSOR PAUL EMBRECHTS, DIREKTOR RISKLAB AN DER ETH ZÜRICH, RIEF ANLÄSSLICH DES RISK DAY DAZU AUF, SICH WIEDER AUF DIE TRADITIONELLEN WERTE DES BANKING ZURÜCKZUBESINNEN. MAN MÜSSE SICH DER GRENZEN DER MODELLE BEWUSST SEIN. VOR ALLEM GELTE ES, DIE EINGESETZTEN SYSTEME ZU BEHERRSCHEN. NUR DANN GELINGE ES WIEDER, ECHTE WERTE FÜR DIE VOLKSWIRTSCHAFT ZU SCHÖPFEN.

Geschwindigkeit und Hektik im Business erfordern Charakter und Verantwortungsbewusstsein. Das stärkt Risikokultur und Reputation.

Der Milliardär Warren Buffet hat die ausserbörslich gehandelten Derivate (OTC Derivatives) schon vor Beginn der Finanzkrise als eigentliche Massenvernichtungs-Waffen der Finanzmärkte bezeichnet. Inzwischen hat sich das Undenkbare real bestätigt. Allerdings müsse man auch hier differenzieren, erklärt Paul Embrechts, Mathematik-Professor und Direktor des RiskLab an der ETH Zürich: «Es ist ein Unterschied, ob ein Einfamilienhausbesitzer eine Festhy-

pothek oder ein Exporteur einen Währungsswap zur Absicherung seines Erlöses eingeht, beides macht durchaus ökonomisch Sinn. Im Gegensatz dazu werden mit synthetischen CDOs (Collateralized Debt Obligations) sehr riskante und wenig sinnvolle Wetten eingegangen.» Im jüngsten Verlust der UBS über 2,3 Milliarden CHF waren zwar keine synthetischen CDOs, hingegen aber synthetische ETFs im Spiel. Bei Letzteren handelt es sich um synthetische Ex-

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change Traded Funds. Das sind Fonds die mit Hilfe derivativer Instrumente Börsenindizes abbilden. Tickende Zeitbomben Warren Buffet hat das gigantische Volumen der ausserbörslich gehandelten Derivate gemeint, als er von einer tickenden Zeitbombe sprach. Und genau diese Zeitbombe ist trotz aktueller Finanzkrise noch nicht wirklich entschärft worden. «Der nominale Wert der OTC-Derivate


titelstory

beläuft sich inzwischen auf 600 Billionen (600  000 Milliarden) Dollar. Das entspricht dem zehnfachen globalen Bruttosozialprodukt», erklärt Professor Paul Embrechts, Direktor des RiskLab an der ETH Zürich. Der Bruttomarktwert entspricht noch immer stattlichen 25 Billionen oder 25 000 Milliarden Dollar. Laut Professor Embrechts erreichte das Volumen der Kreditausfall-Swaps (CDS) im Jahr 2007 60 Billionen oder 60 000 Milliarden Dollar, was ungefähr dem globalen Bruttosozialprodukt, also der Leistung der gesamten Weltwirtschaft, entspricht. Collateralized Debt Obligation (CDO) ist ein Überbegriff für Finanzinstrumente, die zu der Gruppe der forderungsbesicherten Wertpapiere (Asset Backed Securities) und strukturierten Kreditprodukte gehören. CDOs bestehen aus einem Portfolio aus festverzinslichen Wertpapieren. Diese werden in mehrere Tranchen aufgeteilt, die in Reihenfolge ihrer Seniorität üblicherweise als SeniorTranche, Mezzanine-Tranche und EquityTranche bezeichnet werden. Das Ausfallrisiko steigt – aufgrund der nachrangigen Bedienung im Fall eines Ausfalls – mit sinkendem Rating, daher bietet die Equity-Tranche als Ausgleich die höchste Verzinsung. CDOs sind eine Geldanlage (z.B. von Conduits) und ein wichtiges Refinanzierungsmittel für Banken auf dem Kapitalmarkt. Mit Eintritt der Finanzkrise im Jahre 2007 sind sie in die Kritik geraten. Dank ihres Einsatzes wurden in hohem Masse risikobehaftete Kreditforderungen als vermeintlich sichere Investments

Synthetische CDO-Bomben auf dem Kapitalmarkt platziert. Dies erwies sich für die Anleger als Trugschluss. Für Professor Paul Embrechts sind es vor allem die «synthetischen» Derivate, deren Existenzberechtigung fraglich ist. In seinem Vortrag, den er vor kurzem am Risk Day an der ETH Zürich gehalten hat, zitiert er aus dem Buch der US-Wissen-

schafter B. McLean & J. Nocera «All the devils are there». Sinngemäss übersetzt lautet das Zitat: «Im Jahre 2006 wurde eines der unnatürlichsten und destruktivsten Finanzprodukte geschaffen, das synthetische CDO. Dieses hat sich inzwischen als ebenso explosiv wie das finanzielle Äquivalent einer Atombombe erwiesen.» Damit spielen die Autoren auf die US-Ramschhypotheken an, die Auslöser der weltweiten Finanzkrise. Inzwischen wissen wir, dass der Handel mit synthetischen ETFs auch zu hohen Verlusten führen kann. Die Krise ist noch nicht vorbei Viele ausserbörslich gehandelte derivative Konstrukte werden aufgrund eines Modells bewertet. Denn oft fehlt die nötige Marktliquidität, um einen eigentlichen Marktpreis zu berechnen, der sich normalerweise aus realem Angebot und realer Nachfrage ergibt. Zwar mache es durchaus Sinn, gewisse Risiken über den Kapitalmarkt zu verteilen, erklärt Professor Embrechts. «Aber durch die AAA-Benotung der sogenannten Senior-CDOTranche durch die Rating-Gesellschaften konnten die Banken diese vom Banking Book problemlos ins Trading Book transferieren, ohne zusätzliches Eigenkapital unterlegen zu müssen.» Dies sei nichts anderes als «Regulatory Arbitrage». Und da die Rating-Agenturen den sogenannten Senior CDO - Tranchen Bestnoten verliehen, mussten sie diese nicht mit zusätzlichem Eigenkapital unterlegen. Dies bewog die Banken dazu, riesige Mengen solcher Finanzinstrumente in ihre Handelsbücher zu nehmen, was sich in einem enormen Volumen-Leverage (Hebelwirkung) zum Eigenkapital ausgewirkt hat. So hatte die magische AAA-Note der Rating-Agenturen eine gewaltige Wirkung. Dies obwohl sie ebenfalls auf einer Modellberechnung basiert, die bei veränderten Rahmenbedingungen dann nicht mehr einer Marktbewertung entspreche, erklärt Professor Embrechts. Dies ist mit ein Grund, weshalb die Rating-Agenturen ebenfalls nicht über alle Zweifel erhaben sind. Gegenwärtig erleben wir dies besonders intensiv, wenn Moody’s oder Standard & Poor’s ganze Länder zurück-

stufen. Mit den entsprechenden Konsequenzen auf den Finanzmärkten. Gemäss Professor Embrechts bedrohen diese Auswüchse an den Finanzmärkten zunehmend das kapitalistische marktwirtschaftliche System mit gefährlichen Auswirkungen auf die Demokratie. Für ihn ist klar: «Die Krise ist noch nicht vorbei.» Gefährlich sei auch die gegenwärtige Tiefzinspolitik. Zinsen nahe der Nullmarke führen seiner Meinung nach immer zu künftigen Blasenbildungen. Andererseits gefährden zu tiefe Zinsen das ganze Sozialversicherungssystem, weil das Kapital nicht mehr angemessen verzinst werden kann. Professor Embrechts bezieht sich auf die 3-6-9-Faustregel: «Wenn wir zum Beispiel mit etwa drei bis vier zurückliegenden Generationen vergleichen, dann dauert heute im Schnitt die Ausbildung drei Jahre länger, wir lassen uns durchschnittlich circa sechs Jahre früher pen-

Deflationäre Tendenzen sionieren und leben etwa neun Jahre länger. Das wirkt sich zusammen mit der tiefen Verzinsung unseres Alterskapitals verheerend auf die Finanzierung unserer Renten aus.» Die enorme Wertvernichtung hat zu deflationären Tendenzen an den Finanzmärkten geführt. Die «Immobilien-KreditPandemie» hat sich nun auf die Ebene der Nationalstaaten ausgebreitet. Waren Banken und Anleger vor der Finanzkrise davon überzeugt, sich gegen alles und jeden absichern zu können und sozusagen risikolose Renditen einzufahren, so sind die Marktteilnehmer am Boden der Realität angekommen. Auch die besten mathematischen Modelle müssen immer wieder auf ihre Plausibilität überprüft werden und können den gesunden Menschenverstand nicht ersetzen. Professor Embrechts zitiert in seinem Vortrag ein Referat von L.C.G. Rogers (Cambridge, UK) über «Mathematical Finance, the P&L»: «In der Mathematik ist ein Resultat richtig, wenn es

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titelstory

bewiesen wurde, im Banking ist ein Resultat richtig, wenn es profitabel ist.» Professor Embrechts warnt davor, sich wegen der jetzigen Krise von der Finanzmathematik abzuwenden. «Modelle erleichtern das Verständnis und die Preisbildung im Finanzbereich, bei Versicherungen und in der Wirtschaft ganz allgemein. Modelle erfordern klare Fragen und Definitionen. Sie zeigen aber auch klare Bedingungen und Restriktionen auf und erläutern explizite Beispiele. Dadurch wird der Weg frei zu einem Stresstesting, das die Widerstandsfähigkeit von Systemen prüft.» Der damalige Chief Financial Officer von AIG Financial Products hat den grossen amerikanischen Versicherungskonzern massiv in CDSs engagiert und exponiert. Trotz der milliardenschweren Engagements war er überzeugt, keine Risikoexposure eingegangen zu sein. Bereits als die Krise im Anzug war und es zu brennen begann, war er immer noch überzeugt: «Ich sehe kein Szenario, in dem wir mehr als einen Cent auf diesen Positionen verlieren werden!» Sechs Monate später musste er einen Verlust von 85 Milliarden Dollar ausweisen. Noch immer glaubten einige Banker, es gebe risikolose Gewinnchancen. Aber auch kleine Gewinnchancen können bei gigantischen Volumina zu gewaltigen Verlusten führen. Aber, so gibt Professor Embrechts zu bedenken, man dürfe Banker, Versicherungen und Mathematiker nicht alle in einen Topf werfen. Die Mehrheit halte sich an ethische Grenzen und mache eine hervorragende Arbeit. Allerdings würden gewisse Anreize bei einer eher kleinen Gruppe dazu führen, gewisse ethische Grenzen zu testen und zu überschreiten, sowohl im Verkauf als auch in der Produktgestaltung. Eine extreme Gewinn- und Bonusorientierung könne dazu verleiten, solche ethischen Grenzen zu durchbrechen, was dann auch zu juristischen Vergehen mit kriminellen Handlungen führen könne. Aktuelles Beispiel ist der UBS-Händler des Delta-one Teams in der Londoner UBSInvestment-Bank. Vieles deutet aber auch darauf hin, dass die moderne ICTTechnologie viele Manager überfordert. Schon mit 16 Jahren kam Paul Emb-

rechts im Gymnasium in einem Aufsatz zum Schluss: «Früher erschuf der Mensch die Werkzeuge, um sich zu helfen, heute dient der Mensch den Werkzeugen». Geschwindigkeit und Komplexität Als Mathematiker gebe ihm vor allem die rasante Zunahme von Geschwindigkeit und Komplexität zu denken. Beim

Prof. Paul Embrechts: «Modelle haben ihre Grenzen.»

Program und High Frequency Trading geht es um Bruchteile von Sekunden, da bestehe immer die Gefahr, dass Kontrolle über die Systeme in irgendeiner Form verloren gehe könne. «Zum Beispiel können nun Gerüchte viel einfacher gestreut werden und zu heftigen Kursausschlägen führen. Wir liefern ja die Instrumente dazu. Die Kol-lokation von Handelshäusern und Hedgefonds, die ihre algorithmischen Handelssysteme immer näher an den Handelsplattformen von Wallstreet oder anderen Börsen zu platzieren versuchen, zeigen, wie extrem wichtig der Faktor Zeit geworden ist. Und genau dieser lasse sich kaum richtig im RisikomanagementModell abbilden. Hier macht sich Professor Embrechts Sorgen. Der kulturelle Unterschied zwischen Banken und Versicherungen liege unter anderem im unterschiedlichen Zeithorizont, erklärt er. «Ein Rückversicherungsvertrag ist ein Jahresvertrag. Der Versicherer kennt seinen Kunden persönlich.» Banking ist mehr und mehr vollautomatisiert

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und anonymer. Mit dem Start der elektronischen Börse und mit dem DerivateHype haben sich die Volatilitäten an den Aktienmärkten möglicherweise erhöht. Aber Professor Embrechts warnt vor voreiligen Schlüssen: «Das ist dasselbe wie Rauchen und Lungenkrebs. Eine Studie allein genügt noch nicht als endgültiger Beweis». Für ihn ist klar: Das Investmentbanking muss mehr von den anderen Sparten getrennt werden, damit es eigenständig finanziert und betrieben werden kann. Einen Trost gibt es doch in diesem Schlamassel: Krisen bieten immer auch Chancen! Professor Embrechts legt deshalb besonderen Wert auf Bildung und Ausbildung. Man solle nicht so schnell zur Tagesordnung übergehen und vergessen: «Wir alle haben eine enorme Verantwortung beim Heranbilden einer echten Kultur des Wissens. Dazu gehört auch die Verantwortung in der Produktgestaltung und in der Kundenbetreuung. Man muss unbedingt wissen, wann und unter welchen Bedingungen ein theoretisches Modell funktioniert und wann nicht. Eigentlich sind sich alle Manager im klaren, dass der ‹Value at Risk› ein Mass ist, das indikativ aber nicht absolut gilt. Insofern ist es wie mit dem AAA der Rating-Agenturen. Auch dieses Modell hat seine Grenzen. Wir müssen zeigen, dass TradingSysteme limitiert sind und von den Daten abhängen, mit denen sie gefüttert werden.» Sinngemäss heisse dies «Garbage in Garbage out». Einzelne Gruppen dürfen sich nicht absetzen und arrogant werden. «Die Strukturen in einer Bank müssen so sein, dass, gegeben die gesetzlichen Rahmenbedingungen, jeder mit jedem offen kommunizieren kann. Am Ende des Tages fällt dann jeder seine Entscheidung. Dann reduziert sich das Risiko auf das Business Risk. Letztlich reduziert sich die Qualität eines Bankers auf zwei Faktoren: die Persönlichkeit und die Risikokultur. Als Verwaltungsratsmitglied einer Bank oder Versicherung möchte ich die verantwortlichen Risikomanager oder Aktuare persönlich kennenlernen, ihnen in die Augen schauen und vertrauen können.»


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PRIVACY UND E-BANKING: GEHT DAS?

Kundenwunsch gefährdet Privacy Kaspar geiser

E-BANKING IST HEUTE AUCH FÜR KLEINE UND PRIVATbANKEN EINE SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT. DOCH WIE STEHT ES MIT DER WAHRUNG VON PRIVACY BEI DER REALISIERUNG UND DEM BETRIEB SOLCHER LÖSUNGEN? IM FOLGENDEN WERDEN ZWEI ASPEKTE HERAUSGEGRIFFEN, DIE GERNE VERNACHLÄSSIGT WERDEN.

Testumgebungen und integrierte Lösungen können zu Schwachstellen und Angriffspunkten für die Privacy werden.

Komfort und Kundenanforderungen stehen meist in einem Gegensatz zu Sicherheit und Privacy in elektronischen Anwendungen. So wollen sich die Kunden via Mobile-Apps, SMS oder E-Mail über Veränderungen in ihrem Depot informieren. Dies hat zur Folge, dass persönliche Daten wie Handynummer und E-Mail-Adressen in E-Banking-Anwendungen gespeichert werden müssen. Beim Versand von solchen elektronischen Nachrichten ist es dann ohne grossen Aufwand möglich, die Daten der Empfänger und Inhalte zu lesen und Rückschlüsse auf Personen und deren Bankzugehörigkeit zu ziehen.

Die Betreiber von E-Banking-Anwendungen setzen alles daran, dies so sicher wie möglich und unter Wahrung der höchstmöglichen Privacy zu gewährleisten. Doch besteht ein E-Banking nicht nur aus der produktiven Umgebung. Typischerweise werden Testinstanzen für funktionelle und Usability Tests betrieben. Der Schutz dieser Umgebungen wird tendenziell vernachlässigt. Dabei müssen alle, auch die nicht produktiven Umgebungen, dieselben Netzwerk- und physischen Schutzmassnahmen erfahren wie das produktive Umfeld. Hierbei gilt es, besonderen Wert auf die Generierung von Datensätzen für

Testzwecke zu legen. Diese müssen mindestens anonymisiert und auf Standardwerte, z.B. für E-Mail-Adressen gesetzt werden. Um die Risiken innerhalb eines EBankings zu minimieren, empfiehlt es sich zudem, einzelne Funktionen – und somit den Zugang zu potenziell privaten Daten – aufzutrennen. So wird zum Beispiel die Anmeldung bzw. das Login auf E-Banking-Anwendungen als eigenständige und vom E-Banking unabhängige Software entwickelt und betrieben. Kaspar Geiser ist Inhaber und Geschäftsführer der Aspectra AG.

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UNBEDACHTE REGULATORISCHE EINGRIFFE SIND KONTRAPRODUKTIV

Weniger ist mehr Brigitte Strebel-Aerni

HIGH FREQUENCY TRADING SEI REINE GELDVERSCHWENDUNG, ERKLÄRT PROFESSOR HEINZ ZIMMERMANN VON DER UNI BASEL. Differenzierter beurteilt ER DIE ERRICHTUNG SOGENANNTER DARK TRADING POOLS AN DEN BÖRSEN. DIESE SIND ZWAR WENIGER TRANSPARENT ALS DER ELEKTRONISCHE HANDEL, ABER SIE ERMÖGLICHEN ES institutionellen INVESTOREN, WIE Z.B. PENSIONSKASSEN, GROSSE AKTIENPAKETE ZU HANDELN, OHNE DESWEGEN MASSIVE KURSSCHWANKUNGEN AUSZULÖSEN. Wie effizient diese handelsform sei, hänge letztlich von ihrer fragementierung ab. Zurück in die Zukunft Mit der Zusammenarbeit mit Liquidnet will sich die SIX Exchange als «The Investment Network of Choice» etablieren. Die beiden Gesellschaften stellen einen Dark Pool für Institutionelle Investoren bereit. Damit wird die Transparenz reduziert , was den Blockhandel erleichtert und das Gegenparteien-Risiko abbaut. Die elektronische Börse hat die Transparenz im Wertpapierhandel erhöht. Das hat aber auch Schattenseiten, vor allem für Institutionelle Investoren, wie Pensionskassen. Für diese wird es zunehmend schwieriger grosse Pakete von Aktien (Blocktrading) zu handeln, ohne die Kurse zu beeinflussen. Mit der Etablierung eines sogenannten Dark Pools erhalten die SIX Exchange-Teilnehmer einfachen Zugang zu globaler institutioneller Liquidität und zu fast 3000 Aktien in fünf europäischen Aktienmärkten. Dieser Zugang zu zusätzlicher Liquidität vereinfacht und beschleunigt die Handelsaktivitäten der Teilnehmer an der SIX Swiss Exchange. Indem diese dem Block-Trading-Pool zusätzliche Aufträge zukommen lassen, können sie höhere Anlageerträge generieren. Damit will die SIX Exchange Handelsvolumen von den ausserbörslichen OTC-Märkten abziehen.

Prof. Heinz Zimmermann: «Dark Pools eignen sich zum Handel grosser institutioneller Aufträge, die nicht zeitkritisch sind. Sie sind das pure Gegenteil von High Frequency Trades.»

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ICT in Finance: Haben nicht standardisierte OTC-Derivate einen Einfluss auf die Entwicklung des Basismarktes (Underlying Values)? Prof. Heinz Zimmermann: In normalen Zeiten ist der Einfluss auf die Preisfindung am Basismarkt durchaus positiv: Die Swapsätze werden für das Pricing von Anleihen verwendet, und selbst die kritisierten CDS (Credit Default Swaps) erleichtern bei illiquiden Bondmärkten das Pricing der Kreditrisiken, wie eine neuere Untersuchung an unserem Institut zeigt. Wenn die Finanzmärkte unter Stress geraten, sind OTC-Märkte (wenn sie nicht sogar Auslöser der Probleme sind) davon allerdings stärker betroffen als die organisierten Märkte, da die Risikopositionen weniger einfach angepasst werden können: Gegenpartei- und Liquiditätsrisiken, aber auch die aus komplexen Konstruktionen resultierenden Strukturrisiken, wirken sich hier destabilisierend aus. ICT in Finance: Welche Rolle spielten OTCs bei der Vermögensinflation und der jetzigen Vermögensdeflation (und somit für die Systemstabilität der internationalen Finanzmärkte)? Zimmermann: Das ist ein wissenschaftlich kaum untersuchtes Feld, sodass man höchstens Spekulationen anstellen kann. Bestimmt haben die OTC-Instrumente zu einem drastischen Wachstum der ausstehenden Finanzinstrumente beigetragen (der Marktwert der ausstehenden OTC-Derivate wird von der BIZ auf rund 21  000 Mrd. USD geschätzt, im Vergleich zu 50 000 Mrd. USD der globalen Aktienkapitalisierung). Da mit Vermögensinflation aber meist eine Preisinflation bezeichnet wird, ist der Zusammenhang alles andere als klar. ICT in Finance: Bringt die zunehmende Grösse (durch Zusammenschlüsse) der CCPs eine Risikominderung oder werden diese eher zum latenten Klumpenrisiko? Zimmermann: Zur Zeit erleben wir ja, im Zuge von MiFiD II, eher eine Zunahme des Wettbewerbs und damit auch eine steigende Zahl von Anbietern von C&SDienstleistungen. Aber aufgrund der starken Skalen- und Verbundeffekte ist

tatsächlich eine Konsolidierung hin zu grösseren zentralen Gegenparteien abzusehen. Dies bedeutet einerseits ein Klumpenrisiko. Anderseits sind grosse CCPs auch besser über Produkte und Gegenparteien diversifiziert als kleinere, vielleicht auf spezifische Derivate ausgerichtete Gegenparteien. Es ist schwierig, die beiden Risiken gegeneinander abzuwägen. Entscheidend ist auch, wie hoch die CCPs im Zuge des verschärften Wettbewerbs die Zutrittsschranken für die Clearing-Mitglieder ansetzen. Auf alle Fälle werden die Regulierungsbehörden in den nächsten Jahren mit der Aufsicht über die CCPs gefordert sein! Ich habe allerdings nicht den Eindruck, dass diesem Traktandum nicht die nötige Priorität eingeräumt wird. ICT in Finance: Wie kann die Zeitbombe OTC-Derivate entschärft werden? Zimmermann: Indem man nicht durch unbedachte regulatorische Eingriffe die Problematik verschärft! An sich finde ich es ja durchaus sinnvoll und es entspricht einem jahrelangen Anliegen, die wichtigsten OTC-Geschäfte über zentrale Gegenparteien zu clearen. Dass dieser Zwang nun just in dem Moment kommt, wo mit MiFiD zusätzlicher Wettbewerb beim C&S gefordert wird, ist eine Koinzidenz, welche mit erheblichen systemischen Risiken verbunden ist. Man darf nicht vergessen, dass mit dem Clearing von OTC-Risiken völlig andere, nämlich weniger liquide Risiken auf die CCPs zukommen als bei börsengehandelten Derivaten. Aus diesem Grund scheint mir für die Systemstabilität eine Rückversicherung der Clearinghäuser bei den monetären Behörden absolut unerlässlich zu sein. Auf alle Fälle haben in dieser Phase Fragen der Sicherheit Vorrang vor Wettbewerb. ICT in Finance: Welche Rolle spielt die Technologie, z.B. das High Frequency und Program Trading? Wer prüft die Daten und Infos, mit denen solche Handelssysteme gefüttert werden? Zimmermann: High Frequency Trading ist reine Geldverschwendung. Ich sehe nicht, wo den riesigen Geldsummen, die investiert werden, damit die Märkte – wenn

überhaupt – noch etwas effizienter werden, ein volkswirtschaftlicher Nutzen gegenüber steht. Vor allem fügen sie dem Finanzsystem keine Liquidität zu und verbessern die Konsolidierung der Handelsströme nicht, womit auch der Beitrag zur Preisfindung nicht offensichtlich ist. ICT in Finance: Kommen solche Systeme auch in Dark Pools zur Anwendung? Zimmermann: Im Allgemeinen nicht. Diese Systeme setzen transparente, schnelle Handelssysteme voraus – also gerade das Gegenteil von Dark Pools. Dunkle Liquiditätsteiche verfügen, als konstitutives Merkmal, über kein offenes Handelsbuch, womit auf Vorhandelstransparenz hinsichtlich Preis und Volumen verzichtet wird. Sie eignen sich zum Handel grosser, institutioneller Aufträge, deren Abwicklung nicht zeitkritisch ist – also gerade das Gegenteil von High Frequency Trades. Natürlich müssen die dunklen Transaktionen zum besten an einer transparenten Börse gehandelten Preis abgeschlossen werden – aber das Volumen muss nicht im Voraus bekannt gegeben werden. Die Transaktionskosten sind tiefer als an einem offenen Handelssystem, und der volumeninduzierte Preisdruckeffekt kann vermieden werden. ICT in Finance: Sind wir auf dem Weg zu einer Art Weltbörse? Zimmermann: Nein, ganz im Gegenteil. Wir leben in einer Börsenwelt, welche immer komplexer, unübersichtlicher und trotz technologischer Möglichkeiten überhaupt nicht weniger fragmentiert wird. Die Fragmentierung entsteht dadurch, dass trotz der Vielzahl der Auftragsabwicklungsmöglichkeiten der Strom der Aufträge selbst nicht besser konsolidiert wird. Aber die Konsolidierung des Auftragsvolumens ist die Voraussetzung für eine funktionierende Preisfindung an den Wertpapierbörsen. Die hohe Zahl von MTFs (multilaterale Handelssysteme) sowie die von den Börsen und MTFs betriebenen Dark Pools haben die Fragmentierung weiter gefördert. Die Durchsetzung der Best-Execution-Regel unter MiFiD erscheint in diesem Zusammenhang als schlechter Witz.

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ÜBER DIE ZU HOHE RISIKOBEREITSCHAFT ALS SYSTEMIMMANENTES PROBLEM

Die Konsequenz der Vernetzung Filip Zirin

Die Finanzindustrie gerät unter Druck. An verschiedenen Ecken und Enden des Finanzsystems brechen Krisenherde auf. Das aktuellste Beispiel ist die AFFÄRE um einen UBS-Banker in London. Auf den ersten Blick sind das Singuläre Ereignisse. Ob dem wirklich so ist, hat ICT in Finance Klaus Peter Rippe gefragt. Er ist Professor für Praktische Philosophie an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und hat permanente Lehraufträge an der Fachhochschule Nordwestschweiz im Bereich Wirtschaftsethik.

ICT in Finance: Im letzten Heft von ICT in Finance wurde das Hochfrequenz-Trading thematisiert. Mein Fazit: Der Computer liefert genau das, was er soll, doch über die Nebeneffekte macht man sich erst jetzt Gedanken. Klaus Peter Rippe: Beim Investmentbanking erleben wir seit 40 Jahren eine wahn­ sinnige Beschleunigung. Das heisst: Um die Möglichkeiten auszuschöpfen, ist man auf den Computer angewiesen. Es ist zwar für jeden einzelnen Akteur rational, den Computer zu verwenden, doch wenn es alle tun, ergeben sich unangenehme Nebeneffekte. Blasen sind nichts Neues, doch heute entstehen sie viel schneller.

Die Vernetzung der Kapitalmärkte mit der Wirtschaft führt zu gegenseitigen Abhängigkeiten.

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ICT in Finance: Prägen die Möglichkeiten des Computers den Handel auf den Märkten? Manchmal scheint mir, dass sich die Gesellschaft den Computern anpasst, nicht umgekehrt. Klaus Peter Rippe: Es gibt die Tendenz, nur noch in technischen Lösungen zu denken. Aber das ist nicht das eigentliche Problem, sondern die Tatsache, dass die Gesellschaft in bestimmten Bereichen der Wirtschaft riskantes Handeln immer honoriert hat. Doch heute liegt durch die Vernetzung des Finanzsystems und die gegenseitige Absicherung das Risiko nicht mehr beim einzelnen Unternehmen, son-


banking @ Analyse & insurance

dern bei der Gesellschaft. Der Computer deckt dabei lediglich das Problem auf. ICT in Finance: Hat sich mit der Verwendung der Informatik also das Problem ­eigentlich nur akzentuiert? Klaus Peter Rippe: Ja, das ist ein altes Strukturproblem. Auch früher gab es schon Blasen, doch war weder die gesamte globale Struktur betroffen noch das Tempo so hoch. Heute füttern die Menschen die Computer und programmieren die Algorithmen. Dann ziehen sie sich aber aus dem Handel zurück und die Möglichkeit nachzudenken oder abzuwägen, gibt es so nicht mehr.

Prof. Klaus Peter Rippe ist überzeugt,

ICT in Finance: Computer und Märkte haben eine Gemeinsamkeit: Sie werden gerne vermenschlicht. Wieso neigen wir Menschen dazu? Klaus Peter Rippe: Zu Gegenständen baut der Mensch eine emotionale Beziehung auf. Komplexe Systeme werden hingegen als Organismen mit bestimmten Eigenschaften gesehen. Das Problem ist, «den Markt» gibt es nicht, nur sehr viele Akteure. Es gibt auch kein System, welches durchschaut und beherrscht werden könnte, denn der Handelnde ist immer die einzelne Person. Wenn also jemand von dem Markt spricht und behauptet zu wissen, wie er funktioniert, dann weiss er nicht wovon er spricht.

dass der computergestützte

ICT in Finance: Wenn niemand mehr nachdenkt oder abwägt, dann ist auch die Verantwortlichkeit nicht geklärt. Klaus Peter Rippe: Früher war der Bankier eine besonders verantwortungsvolle Person. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die Branche bewusst damit begonnen, junge, risikofreudige Leute in die Banken zu holen. Ihnen wurden Ziele gesteckt und Belohnungssysteme versprochen, die das Risiko entschädigen. In einem zweiten Schritt hat man dann die neue Generation in die zweite Reihe verschoben und überliess das Handeln komplett den Computern. Deswegen wird die Verantwortung auf dieser Ebene komplett negiert. Das wäre aber kein Problem, wenn die Verantwortung auf der nächsthöheren Ebene getragen würde. Würde, wohlgesagt.

ICT in Finance: Stattdessen wird gerne, so wie jetzt im Fall UBS London wieder, der kriminelle Einzeltäter ins Scheinwerferlicht geschoben und der Fall ad acta gelegt ... Klaus Peter Rippe: Es ist bedauerlich, dass gleich von Anfang an diese Strategie gefahren wurde. Eigentlich sollte man die Untersuchungen abwarten. Es wäre möglich, dass diese Person, abgesehen vom Versuch, mit unerlaubten Mitteln ihr Defizit wieder auszugleichen, nicht mehr oder weniger Risiken eingegangen ist als die anderen und einfach nur kein Glück hatte. Wäre das der Fall, müsste das System als solches überdacht werden.

ICT in Finance: Geht es dabei um Komplexitätsreduktion? Klaus Peter Rippe: Es ist eine alte Angewohnheit der Menschen, soziale Systeme funktional und als Einheit zu betrachten. Dabei wird aber übersehen, dass einerseits viele Einzelpersonen involviert sind, und diese nicht nur rational hinsichtlich der Erreichung eines Zieles handeln. Es kommen Emotionen, unterschiedliche Risikoeinschätzungen und Zieldifferenzen ins Spiel. Damit wird das ganze System weniger durchschaubar und weniger prognostizierbar. Auch wenn das Verhalten der Trader und Banker, ob nun elektronisch oder menschlich, stark zum einfachen Verhaltensmuster «Geld ist gut und mehr Geld ist besser» neigt , ist die Summe des Marktes trotzdem keiner einheitlichen Logik unterworfen.

13 Zurich Financial Services, Europa Institut der Universität Zürich 18 Quartal Financial Solutions, Bellevue Asset Management, Diamos, SG Analytics, Swisscanto Asset Management, Vontobel Asset Management, Prime Coach GmbH 22 UBS 23 Aspetra AG 24 SIX Exchange 28 Avaloq, B-Source, Banca della Svizzera Italiana BSI

31 Wildhaber Consulting, UBS AG, Raiffeisen, Postfinance 32 EMC, Swisscom IT Services 34 Swiss Re 35 Aspectra 42 Postfinance 30 Avaloq 34 Swisscom 37 pmOne 38 Resources Global Professionals 40 Assentis 42 Credit Suisse, Suisse Venture

Handel lediglich ein altes Strukturproblem aufdeckt.

FIRMENREGISTER 6 Myriad, Patinex, Bosch Software Innovations, STERCI, SWIFT Net, Logica, Crealogix E-Payment AG, Dacuda AG, iWAY Software, Information Builders 7 EMC, InCore Bank AG, SonicWall, Swiss Re, Microsoft, Allianz Suisse 8 Bank Vontobel, Zürcher Kantonalbank, Raiffeisenbanken, Postfinance 10 iimt 12 BaringPoint Management& Technology Consultants

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ict management

NEUE TECHNOLOGIEN, ABGELTUNGSSTEUER UND CROSS BORDER BANKING ERFORDERN NEUE INVESTITIONEN

Ausweg aus dem Kostendruck Brigitte Strebel-Aerni

NEUE REGULIERUNGEN ERHÖHEN DEN AUFWAND FÜR DIE COMPLIANCE. DER KONKURRENZDRUCK STEIGT. INNOVATION UND NEUE GESCHÄFTSMODELLE SIND GEFRAGT. DIES BEI STEIGENDEM KOSTEN- UND MARGENDRUCK. DAS BANKMANAGEMENT IST IN SEINEN INVESTITIONSENTSCHEIDEN GEFORDERT. FRANCISCO FERNANDEZ CEO AVALOQ UND ALFREDO GYSI PRÄSIDENT DES VERWALTUNGSRATS B-SOURCE UND CEO BSI KOOPERIEREN, UM LÖSUNGSALTERNATIVEN ZU BIETEN. ICT in Finance: Werden die Banken durch die rasante Entwicklung der ICTTechnologie nicht nur gefordert, sondern überfordert? Alfredo Gysi: Bei der ICT handelt es sich nicht um das Kerngeschäft der Banken. Auch darf man von einem Bank-CEO nicht erwarten, dass er ein ICT-Spezialist ist. Die Komplexität hat in diesem Bereich extrem zugenommen. Heute muss man sich noch mehr auf seine Kernkompetenzen konzentrieren, deshalb wird es für eine Bank immer schwieriger, die richtigen Investitionsentscheide im ICT-Bereich zu treffen. Es gilt nämlich einerseits, die Kosten im Griff zu behalten und trotzdem – im Hinblick auf die Zukunft – ein Maximum an Flexibilität und Innovationskraft zu bewahren. Hier fehlen oft die nötigen Kompetenzen. ICT in Finance: Bestimmt nun das Bankgeschäft die Strategie oder ist es doch eher die ICT, die das Geschäftsmodell und die Strategie des Banking mitbestimmt? Francisco Fernandez: In den meisten Instituten ist die Beeinflussung gegenseitig. Steve Jobs sagte dazu einmal:«Es ist nicht die Aufgabe des Kunden, seine künftigen Bedürfnisse zu artikulieren.» Es ist die Aufgabe von uns Technologen, das Business unserer Kunden zu verstehen und vorauszusehen, welche neuen Technologien sich für das zukünftige Geschäftsmodell unserer Kunden eignen. Dennoch muss der CEO einer Bank

IT-Systeme sind komplex und gleichen einem Labyrinth mit schwierigem Ausweg.

seinen Investitionsentscheid aus einer Palette von präsentierten Lösungsvarianten eigenständig treffen können. ICT in Finance: Aber das Bankengeschäft und die ICT sind doch so stark miteinander verwoben, dass sie kaum mehr voneinander getrennt werden können. Geld ist doch nichts anderes als reine Information! Alfredo Gysi: Zum Bankgeschäft gehören das Sammeln, Produzieren und die Verarbeitung von Informationen. Die Verbindung von IT- und Banking muss aber gegenseitig sein. Der Banker braucht einen Partner, um im gemeinsamen Dialog die richtige Lösung für sein Geschäftsmodell zu finden. Francisco Fernandez: Die Banker haben die

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Derivate erfunden. Aber solche Finanz­ instru­mente benötigen den Einsatz von ICT. Sonst werden die Bewertung, die Bewirtschaftung und der Handel solcher Instrumente illu­ sorisch. Bis vor kurzem benutzten die Banken riesige Trading Rooms für das Arbitrage-Geschäft. Heute läuft z. B. über 70 Prozent des TradingVolumens in New York über die Computer. Also längst nicht mehr über die eigentlichen Börsen, sondern innerhalb von Nanosekunden via sogenannte Dark Pools. Diese Innovation hat das Handelsgeschäft der Banken komplett verändert. ICT in Finance: Diese Systeme mögen gut und recht sein, aber sie hängen von den da-


ict management

Francisco Fernandez: «Datensicherheit und Privacy sind gefragt.»

zugehörigen Programmen und den ein­ gegebenen Daten ab. Auf jeden Fall haben die Kurssprünge (Volatilität) mit ihrem Einsatz stark zugenommen. Werden die eingesetzten Systeme vom Management in den Banken wirklich noch beherrscht und kontrolliert? Francisco Fernandez: Über die Beteiligung an der B-Source und dank Avaloq hat sich Herr Gysi das dafür nötige Know-how und Verständnis direkt bei uns eingekauft. Grundsätzlich kann sich aber jeder CEO einen Chief Information Officer und Chief Technology Officer zu Seite zu stellen, der das nötige Wissen mitbringt. ICT in Finance: Herr Gysi, sind Sie eine Ausnahme? Alfredo Gysi: Nein, sicher nicht! Die Wahrscheinlichkeit, den richtigen Entscheid zu treffen, ist grösser, wenn man Mitglied der sogenannten Community ist, als wenn man sich als Einzelkämpfer versucht. Selbst dann noch , wenn man einen genialen CIO zur Seite hat. Manchmal eröffnen sich auch plötzlich neue Chancen, die man vorher gar nicht beachtet hat.

ICT in Finance: Was bringt die Mehrheitsbeteiligung von Avaloq an B Source der Kundschaft? Francisco Fernandez: Meinen Bestandeskunden habe ich erklärt, dass wir jetzt sozusagen ebenfalls Kunde von Avaloq geworden sind. Indem B-Source den «B-Source Master powered by Avaloq» selbst betreibt, können wir unser System im Betrieb beobachten, Innovationen testen und verbessern – und dies in unserem eigenen Unternehmen. Alfredo Gysi: Es ist wie bei einem Arzt der die Pillen, die er verschreibt, am eigenen Körper austestet. ICT in Finance: Könnten Sie sich vorstellen, dass die Schweiz wegen ihrer guten Infrastruktur zu einem Outsourcing Hub für Europa werden könnte? Francisco Fernandez: Das könnte ich mir gut vorstellen. Besonders im heutigen Umfeld sind Rechtssicherheit, Disziplin und eine Datensicherheit (Privacy) besonders gefragt. Alfredo Gysi: Die Stärke des Schweizer Frankens ist ein Zeichen für die Attraktivität der Schweiz. Swiss Banking ist nach

Alfredo Gysi Präsident des Verwaltungsrat B-Source und CEO BSI

ICT in Finance: So verstehen Sie Ihre neue Plattform als eine Art lösungsorientierte Community? Alfredo Gysi: Jawohl. Die Teilnahme an einer breiten und qualifizierten Community ermöglicht einerseits grösseres Innovationspotenzial zu tieferen Kosten und andererseits optimierte Interbankenleistungen, wie beispielweise im Custodian Service (Depotverwaltung), dank höherer Volumen zu verbesserten Konditionen.

wie vor ein Gütesiegel. Daran hat die Finanzkrise nichts verändert. Abgesehen davon ist B-Source heute schon ein Hub. B-Source bedient aus der Schweiz heraus Banken in Singapur, Luxemburg und Monaco. Francisco Fernandez: Ein weiteres Beispiel ist der internationale Einsatz von Avaloq aus der Schweiz heraus wie bei der RBS Coutts.

ICT in Finance: Welche Ziele haben Sie im Visier? Francisco Fernandez: Wir fühlen uns bereits als Mitglied der Swiss Value Chain und möchten hier Standards setzen. Wir wollen international weitere Marktanteile gewinnen und vermehrt ins Tier-1-Segment (Grossbanken) stossen. ICT in Finance: Ist das Controlling für Sie ein Thema? Francisco Fernandez: Wir stellen den Controllern entsprechende Instrumente wie Reports zur Verfügung. Bank-Auditoren schätzen diese Instrumente. Das System liefert auf präzise Fragestellungen die entsprechenden Antworten. Es gibt nur eine Wahrheit. In fragmentierten Systemen muss der Auditor sich durch mehrere Systeme durchkämpfen. Dies kostet Zeit und Nerven – und ist nicht zuletzt auch fehleranfällig. Alfredo Gysi: B-Source hat bereits Erfahrungen mit dem Outsourcing von Controlling-Aktivitäten einer Bank gesammelt. Aber das hängt natürlich sehr stark von der Grösse der betroffenen Bank ab. ICT in Finance: Wird das herkömmliche Outsourcing einmal durch Cloud Computing abgelöst werden? Francisco Fernandez: Wir befassen uns mit der Technologie, deren Möglichkeiten und Grenzen. Aber weder die Technologie noch die Security-Akzeptanz ist hier effektiv reif für den Einsatz für unsere Kunden. Für die Banken ist es zentral, zu wissen wo sie ihre Daten lagern und wer Zugriff dazu hat. «Customer Privacy is an Asset». Daran hat sich nichts geändert. Deshalb bin ich überzeugt, dass unsere Kunden einen DatenTresor in der Schweiz vorziehen, statt ihre Daten in eine Cloud zu setzen. Alfredo Gysi: B Source muss sich natürlich mit neuen Technologien befassen und diese verstehen. Auch für die B Source und Avaloq Community gilt der Grundsatz: stets den Puls der Technologie zu fühlen und eine sinnvolle Umsetzung zu prüfen. Mit anderen Worten muss die Innovationskapazität einer solchen Community intensiv gepflegt werden. Dabei muss aber das Thema des Datenschutzes und der Privatsphäre der Bankenkunden immer im Vordergrund stehen. Privacy ist bei B-Source nach wie vor die Top Priority.

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ict management

LEITFADEN «INFORMATION-MANAGEMENT-STRATEGIE»:WIE FINANZINSTITUTE STRATEGISCH MIT INFORMATIONEN UMGEHEN SOLLTEN.

Leitlinien fehlen Bruno Wildhaber*

Virtuelle Rechner und Anwendungen werden im Netz zur Verfügung gestellt und können durch den Anwender beliebig zusammengestellt werden («Cloud Computing»). Obwohl die Finanzbranche dieser Entwicklung nur verzögert unterliegt, wird sie mit den daraus entstehenden Folgen unmittelbar konfrontiert. Eine arbeitsgruppe aus it-spezialisten hat sich damit auseinandergesetzt.

Explodierende Betriebskosten und unübersichtliche Datensilos fordern neue IT-Strategien.

Während die Basisleistungen der IT immer einfacher verfügbar werden, wachsen die Datenmengen ins Unermessliche. Durch die permanente Zunahme der Dateigrösse und die daraus resultierenden Anforderungen an die Speicher wird es unumgänglich werden, mit den Informationen intelligenter als heute umzugehen. Probleme die gelöst werden müssen: • Die Betriebskosten explodieren, weil die Suche nach Daten zeitlich und personell unkontrollierbar wird, bzw. sich zum Generalstabsmanöver auswächst («E-Discovery»). • Management und Mitarbeiter verlieren das Vertrauen in die Qualität der Informationsverarbeitung und die IT sowie weitere mit dem Management von Informationen betraute Organisationseinhei-

ten als Leistungserbringerin. • Rechtliche Anforderungen können nicht mehr erfüllt werden, Prozesse gehen wegen mangelnder Beweismittel verloren. • Es entstehen unüberschaubare Datensilos. In der Realität wird Informationsbearbeitung aber heute noch immer von unten her angegangen. D.h., bei der Aufarbeitung der gezeigten Anforderungen kommt zuerst der produktive Teil ins Spiel, nämlich die IT. Dies ist nicht grundsätzlich von Nachteil, aber leider sind die produzierenden Abteilungen in der Regel in vorgegebenen Strukturen gefangen und haben eine rein vertikale, disziplinäre Sicht – Datensilos sind der Regelfall. Ein Trend, der sich im letzten Jahrzehnt noch weiter verstärkt hat. Die horizontale Integration, d.h. die unternehmerische Sicht auf die ver-

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schiedenen Datenhaltungstöpfe, fehlt weitgehend. Es besteht also die dringende Notwendigkeit, einer übergeordneten Sicht zu folgen, die es auch den Parteien im Unternehmen ermöglicht, einer gemeinsamen Strategie im Rahmen der Informationsbearbeitung zu folgen. Heute sind die verschiedenen Disziplinen der Informationsverarbeitung organisatorisch im Unternehmen verteilt. Es fehlt aber eine übergeordnete Leitlinie, die es ermöglichen würde, sich auf die unternehmerischen Ziele zu orientieren. Dazu gehört eine IM-Strategie, welche die strategische Unternehmensführung mit dem Wertschöpfungsfaktor Information verbindet. Information Management ist eine Langzeitaktivität und hat damit zwingend strategischen Charakter. Mit der strategischen Positionierung des Themas IM und dessen konsequenter Umsetzung kann das Unternehmen somit die folgenden Ziele erreichen: • Die Unternehmensstrategie wird mit dem Wertschöpfungsfaktor Information verbunden. • Der Wert des Produktionsfaktors Information kann transparent und greifbar gemacht werden. • Es wird ein Rahmen geschaffen, der für alle Parteien die zentrale Leitlinie bildet. • Die notwendigen Methoden, Strukturen, Prozesse und Verfahren werden etabliert, um den universellen Zugriff auf alle Unternehmensdaten zu ermöglichen («Data Highway»). *Wildhaber Consulting


ict management

Bruno Wildhaber, Consultant

Urs A. Müller-Lhotska, UBS AG Peter Senn, Raiffeisen

Michael Rumpf, PostFinance

Wieso ist strategisches IM für Alle für ein erfolgreiches UnIhr Institut wichtig? ternehmens-Management relevanten Gesellschaftsdokumente müssen sicher jederzeit abrufbar und permanent aufbewahrt werden. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, braucht es eine effiziente IM-Strategie.

Die regulatorischen Anforderungen im Bankenumfeld werden laufend erhöht. Es ist wichtig, die geschäftsrelevanten Unterlagen jederzeit und ortsunabhängig in einer vernünftigen Zeit zur Verfügung stellen zu können.

Die Abhängigkeiten der verschiedenen Disziplinen im Informationsmanagement ist enorm gross. Die Koordination ist deshalb besonders wichtig. Der Gefahr von Fehlinvestitionen kann nur mit strategischer IM-Planung begegnet werden.

Mittels einer qualitativen Triage reduzieren und kanalisieren wir die Informationen. Diese werden in ein Langzeitarchivierungsformat migriert. Diese kryptierten Daten müssen allen Interessierten im Bedarfsfall weltweit zur Verfügung stehen.

Die Kostensteigerungen aufgrund der zunehmenden Datenflut und der redundanten Datenhaltung müssen in den Griff bekommen werden. Nur mit einem adäquaten IM lassen sich die Kosten optimieren und somit auch die Prozess- und Effizienzsteigerung realisieren.

Wir stecken mitten in der Umsetzung eines Grossvorhabens im Bereich des IM. IM hilft, den Überblick zu behalten und die Prioritäten richtig zu setzen, indem man die richtigen Fragen stellt.

Weshalb haben Sie in dieser Uns Teilnehmern hat sich die Arbeitsgruppe mitgemacht? einmalige Möglichkeit geboten, eine Auslegeordnung von aktuellen IM-Problemen zu erstellen und gemeinsam nach praxisorientierten Lösungsansätzen zu suchen.

Um den Erfahrungsaustausch mit anderen Finanzinstituten herzustellen und einen gemeinsames, breit abgestütztes Vorgehen zu definieren, beschlossen wir, uns aktiv in die Arbeitsgruppe einzubringen.

Wir können voneinander lernen und vielleicht die eine oder andere unangenehme Erfahrung vermeiden.

Welchen Nutzen versprechen Das Resultat unserer BemühunSie sich davon? gen, ein von Bruno Wildhaber redigierter Leitfaden zur «Information-Management-Strategie» soll dazu beitragen, unser Top-Management für diese strategisch wichtige Thematik zu sensibilisieren bzw. für entsprechende Lösungsvarianten zu mobilisieren.

Wir erhoffen uns, das Top-Management sensibilisieren zu können, damit wir die notwendige Unterstützung zur Lösung der bestehenden Herausforderungen erhalten.

Die Awareness für die Aspekte des Informationsmanagements geht in der Hektik des Tagesgeschäftes manchmal verloren. Es ist hilfreich, sich diese gelegentlich wieder vor Augen zu führen.

Welche konkreten Probleme haben Sie heute, und wie können Sie diese mit Hilfe von IM adressieren?

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TECHNOLOGY REPORT

IST CLOUD COMPUTING DIE RETTUNG VOR DER DATENLAWINE?

Auch für Banken praktikabel Brigitte Strebel-Aerni

NEUE REGULIERUNGEN, VERSCHÄRFTES RISIKOMANAGEMENT UND ANSPRUCHSVOLLERE KUNDEN VERURSACHEN EINE EXPONENTIELL STEIGENDE DATENFLUT. DIES AUSGERECHNET ZU EINER ZEIT STEIGENDER KOSTEN UND SINKENDER MARGEN. VIELE BANKEN SIND GEGENÜBER CLOUD COMPUTING SEHR ZURÜCKHALTEND. JACQUES BOSCHUNG MANAGING DIRECTOR EMC SCHWEIZ AG ERKLÄRT, WESHALB SOGENANNTE PRIVATE UND HYBRID CLOUDS EINEN AUSWEG AUS DIESEM DILEMMA BIETEN.

Banken müssen ihre eigene «Private Cloud» bauen.

«Die Banken leiden unter der Datenund Regulierungsflut. Diese steigert die Kosten bei gleichzeitig sinkenden Margen», betont Jacques Boschung, Managing Director EMC Schweiz, «der Druck auf die interne IT steigt. Grosse Organisationen verwenden 75 Prozent ihres Budgets ausschliesslich für den Unterhalt der IT-Infrastruktur (Datenbanken, Applikationen, Server, Storage und Netzwerk-Komponenten) und nur gerade 25 Prozent der Mittel stehen effektiv

für Innovationen zur Verfügung. Das ist eine Verschwendung knapper Mittel, denn die IT-Innovation in den Banken ist geradezu erfolgskritisch im immer härter werdenden Wettbewerb um die Kunden.» Nun müsse man sich fragen, ob diese Institute das Datenwachstum von jährlich 60 Prozent auch in Zukunft noch auf die herkömmliche Weise bewältigen können, erklärt Boschung. Eine neue Lösung dränge sich hier geradezu auf. Auch wenn bei den Banken gegenwärtig wegen bestehender Sicherheitsprobleme noch grosse Skepsis gegenüber dem Cloud Computing besteht, werden sie nicht um auf Schweizer Banken angepasste Lösungen herumkommen, davon ist Jacques Boschung überzeugt. Man müsse allerdings klar differenzieren zwischen übergeordneten Clouds wie zum Beispiel Google, Amazon und Microsoft Azur. Diese Provider bieten «Platform as a Service» «Infrastructure as a Service», sowie gewisse Applikationen an. Dabei handelt es sich um sogenannte nicht standardisierte Cloud Services. Hier sei es für Unternehmen leicht, einen «Check-in» aber schwierig einen «Check-out» zu machen. Und genau diese übergeordneten Cloud Services schrecken die Banken ab, weil sie nicht wissen, wo ihre Daten abgelegt und eventuell sogar ohne ihr Wissen kopiert werden.

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Aus fixen werden variable Kosten Diese übergeordneten Cloud Services sind vor allem für den individuellen Benutzer sehr interessant. Der Zugriff ist einfach und sehr günstig. Das hat Konsequenzen für die IT-Chefs in den Banken und Versicherungen. Die IT-Abteilung wird immer stärker an den Leistungen und Kosten der übergeordneten Cloud Services gemessen. Dabei muss der IT-Chef mit einer kostspieligen Infrastruktur, Megadaten und einer rasant steigenden Datenmenge sowie mit Sicherheitsproblemen kämpfen. Es gebe nur eine Lösung aus diesem Dilemma, ist Jacques Boschung überzeugt: «Der interne Service Provider einer Bank muss viel flexibler werden. Daher muss er seine eigene ‹Private Cloud› bauen.» Dabei handelt es sich um ein unternehmensinternes hochvirtualisiertes Rechenzentrum. Die Ressourcen wie Storage, Netzwerk und Server befinden sich nicht mehr dediziert in eigenen Silos, sondern in einem Pool. Dank diesem Ressourcen-Pool können in einer Private Cloud sehr rasch neue Services aufgesetzt werden. Dem Benutzer einer Private Cloud steht ausserdem ein Self Service Portal zur Verfügung. Das Ganze ist zudem automatisiert und berücksichtigt sämtliche Auflagen und Vorschriften. Das System ist also compliant. Laut Jacques Boschung beginnen nun einzelne Banken


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variablen Kosten, was sich dann vorteilhaft in der Ertragsrechnung niederschlägt. Zwischen das institutseigene hoch virtualisierte Rechenzentrum in der «Private Cloud» und der «Public Cloud» des Service Providers (zum Beispiel Swisscom IT-Services) schiebt sich damit eine «Hybrid Cloud». Hinzu kommt ein automatischer Archivierungsprozess, der weniger sensible «schlafende» Daten direkt in die hybride Cloud auslagert. Auch hier winkt eine Kostenersparnis. Effektiv handle es sich hier um ein selektives «Outtasking», erklärt Jacques Boschung. Jacques Boschung, Managing Director EMC: «Einzelne Banken beginnen mit dem Aufbau einer Private Cloud.»

mit dem Aufbau einer Private Cloud. Eine UBS oder eine Credit Suisse könnten zum Beispiel eine solche Private Cloud betreiben Die New Yorker Börse zum Beispiel betreibe ihr hochvirtualisiertes Rechenzentrum in einer Private Cloud, betont Boschung. «In der Zwischenzeit bietet sie als Provider den Finanzinstituten auf dem Platz New York entsprechende Dienste an. Dies sei deshalb möglich, weil eine Private Cloud sehr flexibel sei. Sie vereinige nicht nur Wendigkeit, sondern auch tiefe Kosten, kurze Durchlaufzeiten, also Schnelligkeit, mit Hochverfügbarkeit und Sicherheit. «Insofern umfasst diese Strategie das Beste der beiden Welten, jener der unternehmenseigenen IT-Infrastruktur und jener der External Cloud.» Spitzen abfedern Bisher mussten die IT-Infrastruktur und das Rechenzentrum eines Finanzdienstleisters stets auf die Spitzenbelastungen ausgerichtet werden. Das werden sich angesichts der immer stärker sich öffnenden Kostenschere viele Banken nicht mehr leisten können. Deshalb rät Jacques Boschung dazu, Cloud Services eines externen Providers, wie zum Beispiel Swisscom IT Services, für solche Spitzenbelastungen in Anspruch zu nehmen. Auf diese Weise können die Kapazitäten zum Beispiel am Jahresende flexibel ausgedehnt und in Normalzeiten wieder zurückgefahren werden. Damit werden ehemals fixe zu

CyberAttacken Aber alles hat seine Schattenseiten: Je virtueller die Welt wird, desto exponierter wird sie gegenüber den Cyberattacken.

Im Juli dieses Jahres hat das Pentagon einen Bericht publiziert, in dem vier wichtige Schlachtfelder definiert wurden: die Luft, das Wasser, das Land und der Cyberspace. Im vergangenen Jahr wurden die IT-Systeme von einer 60 MillionenMalware-Armada bedroht. Ein Drittel davon wurde erstmals in Jahr 2010 erzeugt. Die Bedrohung steigt exponentiell. Natürlich müsse eine Hypbrid Cloud tagtäglich solche Angriffe parieren, aber das interne Rechenzentrum eines Finanzinstituts sei mindestens so gefährlichen Angriffen ausgesetzt, erklärt Jacques Boschung. Somit sei es womöglich sicherer, die Daten in einer Hybrid Cloud zu lagern, weil man sich hier der Bedrohung und der nötigen Abwehr von Cyberattacken ständig bewusst und dagegen gewappnet sei.

Die Datenflut kanalisieren Daten allein sind noch keine Informationen. Erst wenn es gelingt, gewisse Datenmuster herauszuschälen, dann entstehen verwertbare Informationen. Wichtig sei es, aus der Datenflut die richtigen und wichtigen Informationen herauszufiltern, erklärt Jacques Boschung, Managing Director EMC Schweiz. «Zuerst einmal muss die Datenflut kanalisiert werden. Dazu muss man sich bewusst werden, mit welchen Grössenordnungen wir es zu tun haben und welcher Natur diese Daten sind. In den nächsten zehn Jahren wird sich das Wachstum der Menge neuer Daten um einen Faktor 50 multiplizieren. Wir sprechen da von 1,2 Zettabyte ausschliesslich neuer Daten. Allerdings genügen die globalen Produktionskapazitäten nicht mehr, um ein solches Nachfragewachstum abzufangen. «Für mich ist dies ganz klar ein Zeichen dafür, dass wir hier neue Wege beschreiten müssen, um diese Datenflut überhaupt noch bewältigen zu können.» Hinzu kommt laut Boschung noch die Tatsache, dass 90 Prozent dieser Daten unstrukturiert sind. Früher war das Gegenteil der Fall, d.h., damals stammten rund 90 Prozent der Daten aus Datenbanken. Ebenso habe sich die Finanzwelt noch vor Jahren auf eine Mehrheit von strukturierten Daten stützen können. Dies sei heute vorbei, erklärt Jacques Boschung. In unserer heutigen mobilen Gesellschaft stammen diese Daten aus den verschiedensten stationären und mobilen Devices. «In diesem Jahr werden wir die unvorstellbare Menge von 300 Millionen von Milliarden Files erzeugen. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Daten aus den verschiedensten Quellen stammen. Ich denke da an Facebook oder sogenannte Smart-Zähler in der Energiebranche, etc.» Aber auch die Grösse der einzelnen Files nehme zu, und zwar bis zu 5 Terabyte. Nun stellen sich völlig neue Fragen, wie man solche Files noch bewegen, speichern, ein Back-up erstellen und verarbeiten könne. «In der Fähigkeit, diese Riesenmenge an Daten zu verarbeiten und entsprechend intelligente Informationen herauszufiltern, liegt die grosse Kunst.» Dabei werde die Erkennung von Mustern und die richtige Analyse und Interpretation dieser Datenmenge immer wichtiger. Parallel dazu wird die weltweit zur Verfügung stehende Anzahl von IT-Fachkräften von heute 15 Millionen in den nächsten zehn Jahren auf «nur» 22 Millionen steigen. Die personellen Engpässe sind somit bereits vorprogrammiert.

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SOCIAL MEDIA INSIDE-OUT – ZUSAMMENARBEIT DER NÄCHSTEN GENERATION

Web 2.0 mutiert zum Social Intranet Filip Zirin

Während in der Regel Unternehmen Social Media durch ihre Kommunikationsabteilungen kennenlernen und dort ihre ersten Erfahrungen machen, gibt es auch Firmen, die den umgekehrten Weg gehen. Der Rückversicherer Swiss Re hat sich das Web 2.0 ins Intranet geholt. ICT in Finance sprach darüber mit Wolfgang Jastrowski, Head Unite CRM, Collaboration & Communication bei Swiss Re.

Grosse Unternehmen, deren Mitarbeiter weltweit verteilt sind, können bei einer Integration von Web 2.0 von einer verbesserten Kommunikation, Zusammenarbeit und optimiertem Wissensmanagement profitieren.

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zur Verfügung gestellt werden. Swiss Re nennt die Plattform Ourspace. ICT in Finance: Mittlerweile läuft das Projekt schon zwei Jahre. Wie hat sich die Beteiligung entwickelt? Wolfgang Jastrowski: Wir sind jetzt ziemlich nahe an den Zahlen, die wir uns gewünscht haben. Von den in Frage kommenden Mitarbeitern erstellen 20 Prozent Inhalte wie Dokumente, Diskussionen oder Blogs. Insgesamt sind über 50 Prozent in mehreren Gruppen aktiv und haben ein eigenes Profil. Total waren 85 Prozent aller Mitarbeiter mindestens einmal auf der Plattform. ICT in Finance: Solche Projekte drohen ohne Beteiligung der Business-Abteilungen zum reinen IT-Projekt zu verkommen. Am Anfang dürfte es Berührungsängste gegeben haben. Wie haben Sie diese überwunden? Wolfgang Jastrowski: Wir haben Wert darauf gelegt die Business-Abteilungen von Anfang an zu beteiligen. Es wurden

ein persönliches Statement handelt, das auch ein direktes Feedback ermöglicht. Sie sind sich aber auch bewusst, dass der Verfasser keinen Dialog sucht, denn dieser geschieht in Diskussionsforen. ICT in Finance: Experten raten immer dazu Richtlinien aufzustellen. Hat das Swiss Re auch gemacht? Wolfgang Jastrowski: Ja und Nein. Wie in jedem anderen grossen Unternehmen gibt es bei Swiss Re einen Code of Conduct. Dieser eignet sich ebenfalls für Ourspace, denn die Regeln, wie man miteinander umgeht, sind immer gleich. Trotzdem haben wir die wesentlichen Punkte in eine kleine Policy übernommen und diese dem Medium gerecht aufbereitet. Es funktioniert sehr gut. ICT in Finance: Social Media steht im Verruf viel Arbeitszeit zu schlucken. Wie sieht es auf Ourspace aus? Wolfgang Jastrowski: Es gibt keine konkreten Zahlen, doch wir gehen anhand

Wolfgang Jastrowski ist überzeugt, dass das Potenzial der Plattform noch lange nicht ausgeschöpft ist.

Zu den ersten Entdeckern von Social Media gehören in der Regel die Mitarbeiter der externen Kommunikationsabteilung, und so beschränken sich die Tätigkeiten in diesem Bereich auf die Kommunikation gegen aussen. Gerne wird dabei übersehen, welches Potenzial diese neue Kommunikation im Netz in sich birgt. Gerade grosse Unternehmen, deren Mitarbeiter weltweit verteilt sind, können bei einer Integration von Web 2.0 von einer verbesserten Kommunikation, Zusammenarbeit und optimiertem Wissensmanagement profitieren. Diese Vorteile waren es, die den Rückversicherer Swiss Re dazu motiviert haben, mit Web 2.0 im Intranet zu beginnen. Dazu wurde eine globale Collaborations-Plattform geschaffen, mittels derer alle Mitarbeiter sich in selbst gebildeten Gruppen austauschen können. Neben Foren und Blogs, die vollständig indiziert sind, können Dokumente gepostet und der Gruppe

«Die Aspectra-Mitarbeitenden, welche für uns eine Lösung entwickeln, bleiben unsere Ansprechpartner. Dies erleben wir täglich als grossen Vorteil.» Rolf Scheidegger, Leiter Application Management BlueCare AG Hosting - Monitoring - Business Continuity

www.aspectra.ch

gleich zu Beginn Pilot-Gruppen gebildet, um sicherzustellen, dass die Plattform in allen Bereichen Geschäftsnutzen im Alltag bringt. Wir haben so ein breites Nutzungsspektrum erreichen können. Ausserdem spricht der Nutzen für sich.

des regelmässigen Life-Cycle-Managements davon aus, dass maximal eine von zehn Gruppen wenig bis gar nicht geschäftsrelevant ist. Das liegt im Bereich unserer Erwartungen und stellt kein Problem dar.

ICT in Finance: Wie hat das Management zur Beteiligung animiert? Wolfgang Jastrowski: Schon kurz nach dem Go-live hat der damalige COO den Stein ins Rollen gebracht und eine Gruppe für seine globale Initiative eröffnet. Er war auch recht aktiv in dieser Gruppe und ist so mit gutem Beispiel vorangegangen. Mittlerweile kommunizieren immer mehr Manager mittels Blogs mit der Belegschaft. Die Mitarbeiter schätzen dies, weil es sich um

ICT in Finance: Wie geht es weiter mit dem Projekt? Wolfgang Jastrowski: In Zukunft möchten wir unser bisheriges Intranet mit dieser Plattform zusammenlegen und daraus ein Social Intranet entwickeln. Dieses neue Intranet wird neben den bekannten Funktionen mehr Möglichkeiten für die Dokumentierung und Kommentierung bieten. Wir möchten Mitte nächstes Jahr damit live gehen.

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BANKING 2.0: DER KUNDE ÜBERNIMMT DIE REGIE

Die Bank als Netzwerk Brigitte Strebel-Aerni

DIE SICHT DES KUNDEN AUF DIE BANK rückt zunehmend in den Mittelpunkt. DAMIT WEICHT DIE PRODUKTZENTRIERTE INSIDE-OUT-SICHT DER BANK EINER KUNDENORIENTIERTEN OUTSIDE-IN-PERSPEKTIVE. DIE BANK KONFIGURIERT SICH MIT IHREM NETZWERK AUSGEHEND VON DEN KUNDENBEDÜRFNISSEN, DIE IN KUNDENANFORDERUNGSPROFILEN ERFASST WERDEN. DAMIT RÜCKT DER LÖSUNGSANSPRUCH DES KUNDEN NOCH STÄRKER IN DEN MITTELPUNKT.

Die kunden- und serviceorientierte Gestaltung vernetzter Banken ist das zentrale Forschungsthema des Kompetenzzentrums «Sourcing in der Finanzindustrie» (kurz «CC Sourcing»), das von den Universitäten Leipzig, St. Gallen, Zürich sowie dem Swiss Design Institute for Finance and Banking getragen wird. Die beiden Forscher Dr. Thomas Puschmann und Thomas Zerndt gaben anlässlich des Business-Engineering-Forums in Bregenz Auskunft darüber, wie die Technologie die Bank der Zukunft mitgestalten wird. Die beiden sind Forscher und Projektleiter am Institut für Wirtschaftsinformatik an der Uni St. Gallen.

ICT in Finance: Wie sieht die Bank der Zukunft aus? Was ist die Quintessenz Ihrer Studie? Thomas Zerndt: Unsere Studie fokussierte sich auf den betriebswirtschaftlichen Aspekt der Bank. Wir untersuchten nicht die einzelnen Produkte und Produktkonstrukte etc., sondern die Organisation und den Prozessablauf einer Bank. Diese Studie analysierte die Bankstrukturen im Frontbereich sowie in der sogenannten Vertriebsproduktion. Bei Letzterem geht es um die Kompetenzzentren der Bank, wie beispielsweise die Finanzplanung, das Portfoliomanagement oder die Finanzierungskompetenz. Dabei gingen wir von der Hypothese aus, dass sich auch hier die Bank künftig noch vermehrt vernetzen wird.

Zusätzlich untersuchten wir, inwiefern sich hier ebenfalls Industrialisierungstendenzen abzeichnen, so wie man sie beispielsweise ja bereits vom Zahlungsverkehr her kennt. ICT in Finance: Also in der Beratung und in der Kundenpflege, im sogenannten Customer Relationship Management? Thomas Zerndt: Bis hin zur Kundenberatung wird es Standardisierungsansätze geben. Denn die Front kann nur dann langfristig bestehen, wenn in gewissen Bereichen die Kundenberatung ebenfalls standardisiert ist. ICT in Finance: Das Internet hat den Gegensatz von global und lokal aufgelöst. Ermöglicht jetzt die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie eine Standardisierung der individuellen Kundenberatung? Kann man einen Privatkunden mit standardisierten Ansätzen individuell beraten? Thomas Zerndt: Auf jeden Fall! Wir haben solche standardisierten Beratungsansätze auf unserem iPad-Prototyp umgesetzt und versucht, gewisse Standards

Im Zeitalter des Web 2.0 rückt der Kunde ins Zentrum. Er übernimmt die Regie.

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im Beratungsprozess abzubilden. Die Grenzen der Standardisierung liegen jedoch im Aufspüren der Verbindung zu den individuellen Themen des Kunden. Die Verbindung zu bestimmten Lebensereignissen wie Familiengründung oder die Veränderung des Lebensmittelpunktes, etc. des Kunden zu finden, liegt nach wie vor in der Kompetenz des Kundenberaters. Bei der eigentlichen Umsetzung, da lösen sich teilweise die bisherigen Gegensätze zwischen Standardisierung und Individualisierung in der Beratung auf.

Thomas Zerndt: «Die Affinität zu den neuen Tools ist weder alters- noch vermögensabhängig.»

ICT in Finance: Aber dann wird doch die bisherige Trennung zwischen Private und Retail Banking obsolet? Thomas Zerndt: Nein. Thomas Puschmann: Je mehr der Blick ins Private Banking geht, desto grösser wird der individualisierte Teil des Beratungsprozesses. Bei einem Ultra High Networth Individual kommen zum Beispiel Spezialfinanzierungen zum Einsatz. Von der Natur der Sache her sind das einmalige Transaktionen, die sich so nicht standardisieren lassen. Umgekehrt nimmt der Standardisierungsgrad zu, je mehr sich der Fokus auf das Retailbanking richtet. Die Unterscheidung zwischen Retail, Affluent und Private Banking wird bestehen bleiben, die Grenzen an den Schnittstellen aber verschwimmen zunehmend. So werden zukünftig auch PrivateBanking-Kunden immer stärker elektronische Self Services wie z.B. MyPrivate-

Banking.com nutzen oder gar, wie das Beispiel von Nettobank zeigt, komplett über den elektronischen Kanal bedient. Aber ganz allgemein gilt, mit steigendem Kostendruck in der Bank nimmt der Zwang zur Standardisierung zu. ICT in Finance: Steigende Kosten bei sinkenden Margen erhöhen somit den Innovationsdruck in Richtung neuer Geschäftsmodelle? Thomas Puschmann: Unsere Studie hat zwei wesentliche Erkenntnisse gebracht. Zum einen verändert sich die Interaktion mit dem Kunden, weil immer mehr und immer komplexere Dienstleistungen an den Kunden «ausgelagert» werden. Die Services reichen dabei von der Finanzplanung über Tablet PCs in der Beratung bis hin zu ausgefeilten Online-Avataren, welche zu unterschiedlichen Themen Kunden beraten. Würde man beispielsweise den IBMSupercomputer «Watson», der erst jüngst als Sieger aus dem Spiel «Jeopardy» in den USA gegen zwei ehemalige Gewinner des Spiels hervorging mit Finanzthemen füttern, könnte dieser schon heute den Kunden online umfassend zu sämtlichen Finanzthemen beraten. Der Kunde wird diesem Trend folgend zukünftig immer stärker in die Leistungserbringung mit einbezogen. Als Konsequenz davon müssen die Banken sogenannte Kunden-Interaktionsplattformen bereitstellen, welche nicht nur die Interaktion der Kunden mit Banken, sondern auch den Austausch von Kunden untereinander nach dem Vorbild von Facebook & Co. unterstützen. Beispiele wie Clariden Leu und NZZ sowie bank zweiplus und cash.ch von Ringier zeigen, dass an der Front neue Kooperationsmodelle entstehen. Hier werden neutrale Partner zur Kundenansprache miteingebunden. Dies nicht zuletzt, um das Thema Vertrauen wieder stärker in den Vordergrund zu rücken. ICT in Finance: Werden Mobile Banking und iPad von den Private-Banking-Kunden intensiver genutzt als zum Beispiel von Retail-Banking-Kunden? Wer nutzt eigentlich all diese modernen Geräte? Thomas Zerndt: Aus den Feedbacks der Banken sehen wir, dass die Affinität der Kunden zu den neuen Tools weder altersnoch vermögensabhängig ist. Mit anderen

Worten wird die Komplexität der verschiedenen Vertriebskanäle umso herausfordernder. Inzwischen wird von Banken erwartet, dass sie neben den bestehenden Kanälen auch in Neuerungen wie eine Plattform für Communities oder ein umfassendes Mobile Banking investieren. ICT in Finance: Wie sollte dann so eine Community aussehen? Thomas Puschmann: Gegenwärtig konzentrieren sich diese Communities, wie die Beispiele der Bank of America und der Deutschen Bank zeigen, auf das Firmenkundengeschäft. Die Deutsche Bank versucht beispielsweise über dieses Netzwerk Verbesserungswünsche bezüglich ihrer

Kunden integrieren Produkte zu ermitteln. Gleich im ersten Anlauf gingen 27 Optimierungsvorschläge ein. Dank dieser Ideen hat die Bank dann ihr Angebot nachgebessert. Im Privatkundenbereich stehen diese Ansätze noch am Anfang. Ein Beispiel gibt jedoch die Fidor Bank mit ihrem «Banking unter Freunden»Konzept oder die bereits erwähnte Private Banking Community My PrivateBanking. com. ICT in Finance: Somit sind diese Communities auch ein neues Marktforschungskonzept? Thomas Puschmann: Natürlich geht es einerseits darum, Rückmeldungen der Kunden zu erhalten. Andererseits soll der Kunde aber dadurch stärker in die Bankprozesse integriert werden. Und dies betrifft nahezu alle Frontprozesse der Bank. Im Innovationsprozess sind dies z.B. neue Produktideen (das sogenannte Crowdsourcing), in der Beratung beispielsweise der Vergleich von Anlageprofilen mit Profilen anderer Kunden derselben Bank oder im Marketing das Generieren von Kundenprofilen aufgrund von Kommentaren und Meinungen, welche Kunden zu einzelnen Produkten oder Themen auf Communities «posten». Der Bank of America gelang es zum Beispiel mit Hilfe von sogenannten Social Media Analytic

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Softwarewerkzeugen, mehr als 41  000 Beiträge in öffentlichen Online Communities auszuwerten. Die Bank stellte dabei fest, dass viele ihrer Kunden unzufrieden mit der Integration des E-Banking-Systems mit dem Finanzplanungswerkzeug mint. com waren, dass eine Vielzahl an Kunden keine neuen EC-Karten erhalten hatten, obwohl diese abgelaufen waren oder dass Steuerformulare nicht rechtzeitig ankamen. ICT in Finance: Wenn sich nun aber ein Community-Teilnehmer über seinen Berater beschwert, dann wird Letzterer doch sehr exponiert. Der Druck auf die Kundenberater steigt enorm. Könnte das im schlimmsten Fall in ein Berater-Bashing ausarten? Thomas Puschmann: Es gibt in Deutschland eine Plattform, die «who finance» heisst. Da werden die verschiedenen Berater schon heute von den Kunden qualifiziert. ICT in Finance: Da wird die Kundenberatung zum Kamikaze-Job? Thomas Zerndt: Nein – Kamikaze ist sicherlich übertrieben. In der Schweiz hat es übrigens eine ähnliche Initiative gegeben. Hier waren die Feedbacks bezüglich des persönlichen Kundenberaters eher konstruktiv und moderat. Gegenüber dem einzelnen Finanzinstitut fallen die Antworten häufig viel härter aus. In der Schweiz kommt der Kundenberater aus ganz anderen Gründen stark unter Druck. Er muss effizient und mit einem grossen Wissen über die neuesten technischen Errungenschaften beraten. Ausserdem muss er sämtliche Compliance-Standards einhalten. Diese zusätzlichen Anforderungen machen seinen Job immer schwieriger. Einige Banker, die wir interviewt haben, meinten, angesichts der steigenden Komplexität müsse der Kundenberater inzwischen eine umfassende Ausbildung wie ein Universitätsstudium aufweisen. ICT in Finance: Diese Banking-Communities sind zwar eine Chance, aber sind sie nicht auch eine grosse Gefahr für die Marke eines Finanzinstituts? Thomas Zerndt: Banken müssen sich noch klar darüber werden, wie sie damit umgehen. Die neuen oder angepassten

Geschäftsmodelle sind zu entwickeln und müssen richtig angewendet werden. Wie man sich hier positioniert, das ist und wird zu einer grossen Herausforderung. Vor allem vor dem Hintergrund der seit drei Jahren in jeder Hinsicht zunehmend angespannteren Marktsituation.

Neue Kompetenzfelder ICT in Finance: Jetzt sind wir bei der Reputation angelangt. Eigentlich wären Social Media eine Chance zur Stärkung der Reputation, weil man die Message aussendet: Wir kommen zurück auf den Boden der Realität. Jetzt geht es nur noch ausschliesslich um den Kundennutzen. Andererseits kann die Reputation aber auch gerade wegen der Social Media in Gefahr geraten.

nes ist klar: Es braucht neue Modelle zur Verbesserung der Kundenbetreuung. Aber diese müssen richtig austariert sein, sonst funktioniert dies nicht. ICT in Finance: Werden diese neuen vertriebsorientierten Sourcing-Modelle nicht nur den Service, sondern auch die Produktepalette der Banken verändern? Thomas Puschmann: Praktisch alle Banken investieren in die sogenannte Vertriebsproduktion. Das sind das Kundendesk, das Helpdesk für elektronische Kanäle sowie der Front Support. Diese Betreuung an der Front wird durch die Kompetenzzentren unterstützt. Hier sind die Finanz- und Vermögensplanung, das Portfoliomanagement, das Produkt- und Dienstleistungsmanagement, das Händler- und Execution-Desk, das Kredit-Center sowie die ergänzenden Dienstleistungen wie Steuerberatung, Versicherungen etc. untergebracht. Interessanterweise halten auch die Versicherungsleistungen wieder Einzug ins Dienstleistungsangebot der Banken. ICT in Finance: Also werden die Banken in Zukunft weniger Produkte sondern vielmehr Lösungen für den Kunden präsentieren, die sich dann wirklich nach den Bedürfnissen ausrichten. Thomas Zerndt: Der Kunde will keinen Kredit, er will ein Haus. Er erwartet ein entsprechendes Lösungspaket für seine Finanzierungsprobleme.

Thomas Puschmann: «Banken investieren in die Vertriebsproduktion»

Thomas Zerndt: Man kann den Einfluss von Social Media noch nicht abschliessend abschätzen. Wahrscheinlich wird sich zunächst eine Ernüchterung einstellen, bevor sich solche Plattformen im Orchester der Distributionskanäle etablieren können. Wir müssen zunächst noch lernen, wie man dies ökonomisch und sicherheitsmässig vernünftig implementiert. Ei-

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ICT in Finance: In welche Bereiche investieren die Banken? Thomas Zerndt: In das Netzwerk ganz allgemein. Vor zwei Jahren war beispielsweise ein Begriff wie das Sourcing Desk praktisch unbekannt. Aus unserer Umfrage geht hervor, dass mindestens 80 Prozent der befragten Banken auch im Frontbereich in die Netzwerksteuerung investieren, um die zugekauften Leistungen so zu kanalisieren, damit diese optimal in die kundenspezifischen Lösungen einfliessen können. So baut die Bank ihr neues Kompetenzfeld auf. Die Bedeutung des Netzwerkes wird noch zunehmen und zu einem differenzierenden Faktor für Banken werden.


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CHANCEN UND RISIKEN FINANZPLATZ SCHWEIZ

Cloud Computing in Finance Stefan Ruchti, Stella Gatziu Grivas

Stark getrieben durch neue regulatorische Eigenkapitalvorschriften wie Basel III sowie neue Steuerabkommen mit den USA und der EU forscht der Finanzmarkt nach neuen Konzepten und Strategien, um dieser Entwicklung effizient und effektiv zu begegnen. Die Hauptfrage dabei ist: «Hat Cloud Computing eine Chance auf dem Finanzplatz Schweiz oder stellt die neue IT-Generation ein zu hohes Risiko dar?

Mit Cloud Computing die Effizienz erhöhen und die dunklen Wolken am Finanzplatz vertreiben

Cloud Computing profiliert sich durch die markanten Vorteile eines hoch verfügbaren, sehr elastischen und flexiblen sowie skalierbaren und kostensparenden IT-Konzepts. Die Hauptphilosophie dabei ist die Industrialisierung von serviceorientierten Architekturen und Virtualisierungstechnologien unter der Ausnutzung von enormen Skalenef-

fekten. In einer Befragung zum Thema «Cloud Computing Finanzplatz Schweiz», welche zwischen November 2010 und Mai 2011 im Rahmen einer MAS-Thesis an der Fachhochschule Nordwestschweiz stattgefunden hat, haben Vertreter aus unterschiedlichen Unternehmen und Organisationen teilgenommen.1

Aus den Antworten kann zusammenfassend entnommen und interpretiert werden, dass durch die Virtualisierung noch viel Einsparpotenzial vorhanden ist. Gerade bei zurzeit geplanten oder in der Ausführung befindlichen Projekten in diesem Bereich. Ein weiteres wichtiges Thema scheinen die Governance und die Compliance einzunehmen mit einer

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Konzentration auf momentane Marktveränderungen im Bereich neuer Gesetze und Vorschriften wie Basel III. Datenschutz und Datensicherung Welche Informationen und Daten, welche Art von Datenschutz- und Datensicherungsmassnahmen in welchem Umfang erfordern, ist unter anderem davon abhängig, wie schutzwürdig die jeweiligen Daten sind. Um im Einzelfall schnell entscheiden zu können, bietet sich ein Schutzkonzept an, das sich an dem 3-Stufen-Modell des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) orientiert. • normal: Die Schadensauswirkungen sind begrenzt und überschaubar. • hoch: Die Schadensauswirkungen können beträchtlich sein. • sehr hoch: Die Schadensauswirkungen können ein existenziell bedrohliches, katastrophales Ausmass erreichen. Bei [17 Prozent] der Unternehmungen gilt die Schadensauswirkung durch Manipulation oder Verlust der Daten als normal. Weitere [17 Prozent] stufen einen Angriff auf ihre Daten als eine hohe Schadensauswirkung ein. [49 Prozent] beantworten die Frage mit sehr hoch, d.h., die Auswirkungen des Schadens können existenziell bedrohliche und katastrophale Ausmasse annehmen. Cloud Computing Know-how Die Mehrheit der Entscheider auf dem Finanzplatz Schweiz hat den Mehrwert von Cloud Computing erkannt und sich reichlich darüber informiert. [51 Prozent] haben angegeben, dass sie sehr gute Informationen besitzen. [33 Prozent] sind gut informiert und jeweils [8 Prozent] haben sich teilweise oder gar nicht über Cloud Computing informiert. Einstellung zu Cloud Computing Über die allgemeine Einstellung haben die Umfrageteilnehmer zu Cloud Computing Folgendes geantwortet: [8 Prozent] gehen davon aus, dass Cloud Computing in den nächsten zwei bis

fünf Jahren vom Markt verschwunden sein wird. [17 Prozent] sind ein wenig optimistischer und meinen, dass die neue Sourcing-Strategie erst in fünf bis zehn Jahren in der Finanzwelt Einzug findet. Weitere [17 Prozent] vertreten die Meinung, dass Cloud Computing sich in zwei bis fünf Jahren in der Finanzbranche durchsetzen könnte, jedoch nur in temporärer Form Anwendung und Einsatz finden wird. Die Mehrheit also [58 Prozent] ist jedoch davon überzeugt, dass sich das neue IT-Sourcing-Modell in den nächsten zwei bis fünf Jahren, als eine ergänzende IT-Beschaffungskonzeption in der Finanzbranche flächendeckend etabliert. Marktchancen von Cloud Computing Die Cloud-Marktchancen und -Prognosen im internationalen Vergleich: 71 Prozent der IT-Entscheider weltweit sind sich einig: Sie sehen in Cloud Computing eine echte Technologiechance, die ihnen hilft, sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren, schneller auf Markt- und Geschäftsveränderungen zu reagieren und ihre Flexibilität zu steigern. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie unter mehr als 500 Managern und IT-Entscheidern in der Schweiz und 16 weiteren Ländern, die vom IT-Berater Avanade in Auftrag gegeben wurde. Einbezug in eigene IT-Strategie [17 Prozent] haben auf die Frage, wie sie Cloud Computing bezogen auf die IT-Strategie gewichten, wie folgt geantwortet: Cloud Computing wird in den nächsten ein bis zwei Jahren weiterhin irrelevant für die IT-Strategie bleiben. [25 Prozent] vertreten jedoch die Meinung, dass die Cloud im gleichen Zeitraum eine strategische Relevanz einnimmt. [50 Prozent] sprechen von einem IT-strategischen innerhalb von zwei bis fünf Jahren und lediglich [8 Prozent] denken, dass es noch länger als fünf Jahre geht, bis sich Cloud Computing in den IT-Strategien aktiv wieder findet.

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Aktuelle Cloud-ComputingProjekte Die vielversprechenden Vorteile von Cloud Computing sind anscheinend ausschlaggebend, sodass sich die Hälfte [50 Prozent] der Befragten ernsthafte Gedanken darüber macht, Cloud Computing in die langfristige Planung einzuschliessen. [19 Prozent] arbeiten schon an kleineren Pilotprojekten und Machbarkeitsstudien, jedoch erst [7 Prozent] führen grosse Cloud-Projekte aus oder sind in der Vorbereitungsphase dazu. Die restlichen [24 Prozent] verfolgen im Moment keine konkreten Cloud-Ziele. Welche Art von Cloud? Finanzinstitute sind äusserst vorsichtig und können sich hinsichtlich starker Kontrollpflichten wie gesetzliche Normen, Gesetze und Vorschriften stark eingeschränkt fühlen. Sie sehen keine Möglichkeiten und sind nicht dazu befugt, ihre Daten einfach in eine öffentliche Wolke zu migrieren. Der Fokus steht in dieser Brache also klar im Zeichen der Private Cloud mit dem Ziel auf jeden Fall die Risiken wie Governance-Abwanderung, Manipulation oder Verlust ihrer Daten in jeder Hinsicht zu vermeiden sowie um den hohen Datenschutz und Datensicherheitsstandards zu erfüllen. Mit der Frage, in welcher Art von Cloud sie momentan tätig sind oder welche Art von Cloud sie anstreben, gaben [43 Prozent] die Antwort: «In einer Private Cloud, in der das Rechenzentrum bei uns im Haus steht.» Weitere [14 Prozent] erklärten, dass ihr Rechenzentrum komplett bei einem dritten Anbieter extern «gehostet» und betrieben wird. Die noch übrigen [14 Prozent] beschäftigen sich mit Cloud-Community-Projekten. Welcher Cloud-Typ? Die Umfrageanalyse hat ergeben, dass [7 Prozent] Cloud Computing im Bereich Software-as-a-Service (SaaS) bereits nutzen oder in der Planungsphase stehen. [40 Prozent] zeigen starkes Interesse an den plattform-übergreifenden Software-Engineering-Dienstleis-


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tungen (PaaS); stark ins Gewicht fallen mit [53 Prozent] IaaS also Rechenleistung und Storage etc. aus der Wolke. Chancen Der Trend im Abbau von interner Hardware durch Virtualiserungsprojekte geht weiter. Es werden Chancen im Abbau und der Reduktion von Energiekosten im Rechenzentrum gesehen. Im Weiteren sehen die Befragten Chancen im Bereich einer Erhöhung der Flexibilität, schnelleren IT-Implementierungszeiten (Time to Market) und einer Steigerung von Skalierbarkeit und Agilität. Risiken Wie bereits erwähnt sind noch einige Unklarheiten betreffend Cloud Computing aus dem Weg zu schaffen. Gerade bei Finanzinstitutionen, bei denen

Cloud Computing aus: 36 Prozent der Schweizer CIOs wollen ihre Aktivitäten im Cloud Computing verstärken, weltweit wollen dies hingegen ganze 51 Prozent tun. Die Meinung der Befragten hat bei 17 Prozent ergeben, dass technologische und organisatorische Aspekte als hohes Risiko eingestuft werden. 19 Prozent sehen starke Risiken in Form von rechtlichen und regulatorischen Einschränkungen. Fazit Mit Sicherheit kann man die Aussage treffen und die Ergebnisse dieser Umfrage bezeugen es, dass die Finanzbranche nur sehr vorsichtig in Richtung Cloud Computing tendiert, denn zuletzt geht es immer um die grossen Reputationswerte wie Kundenvertrauen. Bei Grossbanken und Versicherungen geht es um erhebliche Auswirkungen auf volkswirtschaftli-

Master Thesis «Cloud Computing Finanzplatz Schweiz» Der vorliegende Beitrag ist ein Auszug aus der Master Thesis «Cloud Computing Finanzplatz Schweiz« von Stefan Ruchti im Rahmen des MAS Information Systems Management der Fachhochschule Nordwestschweiz. Die Master Thesis wurde betreut von Frau Prof. Dr. Stella Gatziu Grivas, Leiterin des Kompetenzschwerpunktes Cloud Computing am Institut für Wirtschaftsinformatik der Fachhochschule Nordwestschweiz und Studiengangsleiterin des MAS Information Systems Management. Für weitere Informationen wenden Sie sich direkt an die Autoren.

es um hohe Reputationsrisiken geht, ist das richtige und effiziente Management von Risiken ein sehr wichtiges, marktentscheidendes Kriterium. Dies gehört wohl auch zu den möglichen Gründen, warum 45 Prozent noch Mangel in der Datensicherheit und dem Datenschutz sehen. 14 Prozent machen ein fehlendes Know-how der Mitarbeiter dafür verantwortlich, 4 Prozent erklären, zu wenig Unterstützung der Fachbereiche und des Managements zu bekommen. Schweizer CIOs sind gegenüber Trend-Technologien skeptischer als ausländische CIOs. Nur 26 Prozent wollen Software as a Service nutzen, weltweit liegt der Wert bei 35 Prozent. Ähnlich sieht es beim

che Werte wie Wohlstand beziehungsweise Wohlfahrt. Der ständige Kostendruck, ausgelöst durch die Sicherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit wird der Kreditwirtschaft keine andere Wahl lassen, als das Cloud Computing verstärkt ins Auge zu fassen. Die Mehrheit der Entscheider auf dem Finanzplatz Schweiz hat jedoch den Mehrwert von Cloud Computing erkannt. Der Finanzmarkt braucht Innovationskraft, Flexibilität und mehr Kundenorientierung, um die Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten und die Reputationsrisiken zu minimieren. Die Kostenreduktion ist in einigen Unternehmungen mit klassischen IT-Infrastrukturen bei maximal 3 Prozent fast schon statisch.

Steigerungen in der Effektivität beim Einsatz von altbewährten MainframeSystemen haben schon lange die oberste Grenze der Machbarkeit erreicht. Der Finanzmarkt sucht also intensiv nach neuen Konzepten und Lösungen. Die altbewährten Mainframe-Systeme auf neue effizientere Systeme zu migrieren würde Millionen kosten und solche Projekte sind zurzeit, wenn überhaupt jemals, schwer umsetzbar. Man erfährt durchaus sehr positive Resonanzen, speziell im Bereich von Private-CloudLösungen. Es wird aktiv über mögliche IT-Infrastruktur-Synergien und CloudComputing-Lösungen nachgedacht. Einige Projekte haben die ersten Meilensteine erreicht oder sind schon abgeschlossen. Leider sind hier auch kürzlich gescheiterte Synergieprojekte anzumerken. Der Versuch, eine gemeinsame Informatik- und Backoffice-basierende Community Cloud im Joint-Venture zwischen ZKB und der BCB zu realisieren, ist aus zeitlichen und Kostengründen abgebrochen worden; der Risiko-GAP der Zielerreichung war zu gross. Die Medien berichten von ungefähr 50 Millionen Abschreibungen total, auf beiden Seiten. Die Prioritäten bezüglich starker Compliance-Veränderungen liegen in den Agenden und Pflichtenheften der IT-Verantwortlichen. Aus den Antworten der Umfrage ist auch klar ersichtlich, dass Finanzinstitute ihre sensiblen Daten nicht in eine Public Cloud auslagern, was zurzeit bleibt, sind Private-Cloud- oder Community-Cloud-Lösungen in Hochsicherheits-Rechenzentren, bei denen die Datenhoheit unter strengen Sicherheits- und Risikomanagement-Konzepten kontrolliert eingehalten werden kann. Auf der anderen Seite müssen die Cloud-Anbieter mehr Vertrauen schaffen, indem sie in die Sicherheit ihrer Technologien und Prozesse investieren. Erste Schritte wären allgemein anerkannte Zertifizierungen und transparente Cloud-Prozesse. 1) 19 Prozent aus Grossbanken, 7 Prozent aus Kantonalbanken, 7 Prozent aus Raiffeisenbanken, 20 Prozent aus Schadensversicherungen, 20 Prozent aus Lebensversicherungen, 7 Prozent Allfinanz-Unternehmen, 20 Prozent aus sonstigen Finanzinstituten/Organisationen

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Leadership-standpunkte

ENRICO LARDELLI, LEITER INFORMATIK POSTFINANCE

Gerüstet für die Zukunft Brigitte Strebel-Aerni

DIE POSTFINANCE IST FÜHREND IM INLÄNDISCHEN ZAHLUNGSVERKEHR UND WILL AUCH IN ZUKUNFT ZU DEN KLASSSENBESTEN GEHÖREN. MIT DER UNTERSTELLUNG UNTER DIE FINANZMARKTAUFSICHT FINMA MUSS SIE AUCH DIE VORGABEN VON BASEL III BEZÜGLICH OPERATIONELLER RISIKEN ERFÜLLEN.

kostengünstig umzusetzen. Nicht die IT bestimmt die heutigen und künftigen Geschäftsopportunitäten, sondern das Business. Die IT soll unterstützend und manchmal auch differenzierend wirken.

Enrico Lardelli, Leiter Informatik Postfinance

ICT in Finance: Eröffnet die Migration von TCS Bancs neue Geschäftsopportuni­ täten für PostFinance? Welche? Enrico Lardelli: Mit der Migration des Zah­ lungsverkehrs auf die TCS-Bancs-Plattform sind per se keine neuen Geschäftsopportunitäten verbunden. Diese sind alleine durch die Geschäftspolitik und in unserem Fall auch durch den gesetzlichen Auftrag (Postgesetzgebung) bestimmt. Die Plattform TCS Bancs hält uns aber alle Optionen offen, künftige Anforderungen aus dem Geschäftsumfeld schnell und

ICT in Finance: PostFinance ist Marktführer im inländischen Zahlungsverkehr. Sind Sie systemrelevant für die Schweizer Volkswirtschaft? Enrico Lardelli: 900 Millionen verarbeitete Transaktionen sind viel und zeigen, wie leistungsfähig die Informatik von PostFinance ist. Aber systemrelevant sind wir deswegen nicht. Die Expertenkommission, die sich mit der Systemrelevanz im Zahlungsverkehr beschäftigt, kam zum Schluss, dass vor allem jene Finanzinstitute systemrelevant sind, die den Zahlungsverkehr mit grossen Beträgen unter den Banken regeln. PostFinance ist vornehmlich im Massenzahlungsverkehr mit eher kleineren Beträgen tätig und somit per Definition nicht systemrelevant. Nichtsdestotrotz stellen wir für unsere Kunden stabile und hochverfügbare Zahlungsverkehrsdienstleistungen zur Verfügung. ICT in Finance: Was bedeutet dies für Ihr Datenmanagement und für die Erhaltung der Geschäftsausfall-Sicherheit (Business Continuity)? Enrico Lardelli: Wer eine solch starke Stellung im Zahlungsverkehr hat, muss in verschiedenen Bereichen zu den Klassen-

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besten gehören. Die Business Continuity stellen wir mit den beiden identischen Rechenzentren in Bern und Zofingen sicher. Kein anderes Schweizer Finanzinstitut hat seine Rechenzentren geografisch soweit voneinander getrennt wie PostFinance. Wir sind in der Lage, alle Systeme von einem Standort aus zu betreiben, wenn das andere Rechenzentrum ausfällt. Sämtliche Daten werden in beiden Rechenzentren repliziert. Die Daten, die für den Betrieb benötigt werden, sind innerhalb von Millisekunden bereits im anderen Rechenzentrum gespeichert und abrufbar. ICT in Finance: Welche Konsequenzen hat die geplante Unterstellung unter die FINMA-Aufsicht aus der Sicht der IT und des operationellen Risikomanagements. Bedeutet dies, dass Sie die Richtlinien nach Basel III übernehmen müssen? Enrico Lardelli: Die Unterstellung unter die FINMA ist ein wichtiger Schritt für PostFinance. Das viertgrösste Finanzinstitut der Schweiz muss branchenüblich beaufsichtigt werden, und das erreichen wir mit der FINMA-Unterstellung. Gleich wie die Banken werden wir die Richtlinien nach Basel III übernehmen. Auf die IT von PostFinance hat dieser Schritt keine gros­ sen Auswirkungen. Auch bezüglich operationeller Risiken, die schon heute professionell und nach Best Practice gemanagt werden, sehen wir keine neuen Anforderungen.


Kolumne I impressum

ADVOCATUS DIABOLI

Ist der Ruf einmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Hochverehrte Leserschaft, ach was waren wir nicht gut, wir Berater und Manager der Finanzwirtschaft. Wir haben die Securitization erfunden, wir haben mathematisch treffsichere Modelle in unseren elfenbeinernen Palästen ersonnen und Struktur in die Welt der Produkt- und Service-Entwicklung gebracht. Was interessierte uns die Realität, wir hatten schliesslich die Bestätigung von Grössen wie Hayek, Pareto und anderen Lichtgestalten der Ökonomie. Was soll daher dieses Gejammere und Gejaule derer, die es noch nicht realisiert haben, dass aufgrund von ein paar fehlenden Informationen zwischen Markt und Business und später Business und IT ein paar Milliarden Verlust entstanden sind. Was wir alle, sowohl die Berater und die Entscheider, in der schon jetzt durchregulierten Bank- und Finanzwelt wissen, ist doch Folgendes: Geld, Geldbesitz und Geldfluss werden nicht von einer unsichtbaren Hand gesteuert, sondern von residualen evolutionären Mustern unseres Stammhirnes. Damit ist die Begründung, dass auch der Homo Habilis schon ökonomisch gehandelt hat, erbracht. Es ist also nicht schwer zu erkennen, warum wir uns in einem Monkey Business befinden, und dies auch in Zukunft so sein wird. Was soll also das Geschrei im Affenwald? Aber, und auch das ist erwiesen: Da wir als Spätabkömmlinge unserer noch behaarten ökonomischen Vorbilder, enthaart und stattdessen mit Armani-Dreiteiler gewandet, Kunstkniffe wie mathematische Modelle, Wortspiele wie Schwarz- und Weissgeld und Glücksspielmechanismen wie Absicherungswetten zum Ruferhalt erfunden haben, ists auch nicht so schlimm, wenn durch eine kleine Baisse unser Ruf kurzfristig lädiert ist. Wie war es doch schon bei den Bonobos. Sobald ein geächtetes Männchen wieder

IMPRESSUM

ICT in Finance – Das Praxismagazin für Banken und Versicherungen Verlag: ProfilePublishing GmbH Pfadacher 5, CH-8623 Wetzikon ZH Telefon +41 (0)43 488 18 44 Fax +41 (0)43 488 18 43 info@profilepublishing.ch Anzeigenleitung: Karin Stich stich@ict-magazine.ch Chefredaktorin: Brigitte Strebel brigitte.strebel@strebelconsulting.ch Freie Mitarbeiter: Hans-Jürgen Maurus Beat Hochuli Volker Richert Claudia Bardola Lektorat: Nadya Dalla Valle, Zürich Gestaltung/Produktion: ProfilePublishing GmbH, Wetzikon

Der «Advocatus Diaboli» frönt in loser Folge hier seiner Lieblings— beschäftigung.

ausreichend Bananen (neue Schlagworte, lustverheissendes Gebrüll und andere Status-Chimären) aufbieten konnte, haben doch alle anderen in der Herde auf jedes neue Regulativ gepfiffen und dem Lernen und der Vernunft abgeschworen. Konklusio: Ist Dein Ruf einmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Solange wir als Finanz- und IT-Berater nicht erkennen, dass es die Instinkte und Selbstbeweihräucherungsmuster sind, die uns immer wieder in ein Desaster reinlaufen lassen, werden wir uns erfolgreich immer neu erfinden, nichts wird besser, aber wir enden zumindest mit glorreichen Nachrufen in der Wirtschaftspresse.

Druck: Bechtle Verlag & Druck Zeppelinstrasse 116 73730 Esslingen Verkaufspreis: 15.– CHF pro Exemplar Im Abonnement 45.– CHF (zzgl. Porto & MwSt.) Erscheinung: 4 x jährlich ISBN-Nr.: 3-905989-13-7 Copyright: ProfilePublishing GmbH, Wetzikon Kooperationspartner: University of Friboug International institute of managent in technology Finance Forum Management AG

Kurznews- und Portalpartner: Moneycab.ch

Portalpartner: Inside-it.ch

Weitere Magazine vom gleichen Verlag:

Mit grimmigem Grinsen

Business Intelligence Magazine, BIM 4 Ausgaben pro Jahr Im Abonnement 45.– CHF (zzgl. Porto & MwSt.) www.bi-magazine.net

Advocatus Diaboli

Contact Management Magazine, CMM 4 Ausgaben pro Jahr Im Abonnement 45.– CHF (zzgl. Porto & MwSt.) www.cmm-magazine.ch

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21. FINANCE FORUM ZÜRICH 9. novemBer 2011 im kongressHaUs ZüricH

Banking meets it TRADITION TRIFFT PRÄGNANZ Das 21. Finance Forum geht neue Wege und lädt Sie in diesem Jahr ein zu Information, Wissens-Update und einem exquisiten Networking-Anlass. Lassen Sie sich begeistern von einer Keynote der Extraklasse, fokussierten Informationsangeboten und einem Dinner für Aussteller, Partner und geladene Gäste.

mehr informationen finden sie unter: www.finance-forum.com

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