Edel:Books Artikel aus dem Literatur.Magazin über Robert Sheltons Dylan-Biografie

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Meister des gesprochenen, geschriebenen und gesungenen Wortes: Dylan in einem historischen Vorläufer des Musikvideos. SONY MUSIC

M EH R ÜB E R B OB D YLAN Stoff für Legenden schuf Dylan, als er sich 1967 in sein Haus in Woodstock zurückzog und in Keller-Sessions mehr als 100 Songs einspielte. US-Autor Greil Marcus sieht in den „Basement Tapes“ mehr als bloß Material für Bootlegs – sie sind für ihn das Dokument eines Kulturbruchs. 1967 erhob das „alte, unheimliche Amerika“ ein letztes Mal sein Haupt, hetzerisch, zerstörerisch. Dylan war der Protagonist des Wandels, für Marcus sogar dessen Zentrum – wenn nicht Ursache. Greil Marcus: Basement Blues. Rogner & Bernhard, Berlin 2011. 320 S., 12,90 Euro (erscheint Ende April). Das Beste ist die Einleitung des Herausgebers: Klaus Theweleit räsoniert kreuz und quer über die Vielschichtigkeit der DylanTexte und über die alles entscheidende Stimme des Künstlers. Was sein Lesebuch ansonsten versammelt, sind einschlägig bekannte Texte. Keine Rarissima also. Auch nicht der Buchauszug von Suze Rotolo, der frühen New Yorker Freundin, den man gleichwohl mit Wehmut liest, ist sie doch Ende Februar gestorben. Klaus Theweleit (Hg.): How does it feel. Rowohlt, Reinbek 2011. 300 Seiten, 19,95 Euro (Juni). Kompaktes Dylanwissen in alphabetischer Ordnung – braucht man das? Hardcorefans werden hier wenig Neues finden, aber wer sich nicht durch die üblichen dickleibigen Kompendien baggern will, findet hier klar formulierte und strukturierte Daten, Fakten, Hintergründe zum Rumschnuffeln. Schlagworte: Baez, Joan (komplizierte Freundschaft); DDR (Dylan bei der FDJ im Treptower Park); US-Präsidenten (haben sich immer wieder rangewanzt – und Dylan sich ihnen entzogen). Michael Endepols: Bob Dylan von A - Z. Reclam, Ditzingen 2011. 170 S., 9,95 Euro (Anfang April).

Dylan revisited Bob Dylans Songtexte gelten als Poesie, HipHop liefert den Rhythmus für Romane – Musik und Literatur befruchten einander auf vielfältige Weise. Auf den nächsten Seiten stellen wir aktuelle Bücher vor: Erzählungen, die einen besonderen Sound haben, und Geschichten von und über Musiker.

Die Mutter aller Dylan-Biografien ist zurück: Zum 70. Geburtstag des Musikers am 24. Mai bringt die Neuausgabe von „No Direction Home“ noch mehr Details und Statements aus der Zeit des Aufbruchs in den 60ern. Nicht nur Hardcore-Fans, sondern auch Einsteiger wird das freuen: Buchautor Shelton war mit dem frühen Dylan selbst viel unterwegs / Von Martin Oehlen Oh, nein! Nicht noch ein Bob-DylanBuch! Jahrein, jahraus werden neue Titel angeschwemmt, die sich mit Leben und Werk der berühmtesten aller lebenden Popgestalten befassen. Darunter übrigens schon vor 20 Jahren „Oh no! Not another Bob Dylan Book“. Und jetzt, da die Feierlichkeiten anlässlich des 70. Dylan-Geburtstages am 24. Mai nahen, gibt es gar eine kleine Bücherflut. Ein Titel schwimmt dabei ganz oben: Robert Sheltons „No Direction Home“. Die Biografie ist eine sprudelnde Quelle, die vor allem aus den frühen Jahren des Musikers schöpft. Die Erzählung ist nun noch reicher geworden, denn der Klassiker von 1986 erscheint in einer erweiterten Neuausgabe. Mit Shelton begann ja alles Schreiben über Bob Dylan, seine Musik, seine Magie und seinen My-

thos. Denn die Konzertkritik, die der Journalist am 29. September 1961 in der New York Times veröffentlicht hat, katapultierte den jungen Sänger in den Pop-Orbit. Dylan komponiere neue Songs schneller als er sie behalten könne, schrieb Shelton, und platze vor Talent aus allen Nähten. Angeblich hat Dylan diese Besprechung seines Aufritts im New Yorker Folkszene-Lokal „Gerde’s“ so lange mit sich herumgetragen, bis sie zerbröselte. Auch zitierte er daraus sofort bei seinen weiteren Auftritten in einem „Talking Blues“. Sheltons Hymne hat nach gängiger Meinung dafür gesorgt, dass Dylan mit seinem späteren Manager Albert Grossman in Kontakt kam und einen Plattenvertrag bei Columbia erhielt. Shelton selbst schrieb zudem ein paar begleitende Zeilen für das erste Album „Bob Dylan“. Mit anderen

Worten: Shelton ist einer aus dem innersten Kreis der frühen Jahre. Das wird in dieser Mutter aller DylanBiografien immer wieder deutlich. Die Nähe zum Künstler öffnete dem Autor damals viele Türen in Duluth und Hibbing, bei seinen Recherchen zu Kindheit und Jugend in Minnesota. Auch antwortete ihm Dylan ausführlich. Dies zumal auf einem Flug von Lincoln (Nebraska) nach Denver (Colorado). Was Dylan da in einem großen Wortschwall aufs Band sprach, wird nun noch ausführlicher dokumentiert. 20 000 neue Wörter hat die Neuausgabe, ist dafür allerdings an anderen Stellen gekürzt worden. Freunde der Dylanologie – eines Forschungszweiges noch ohne Lehrstuhl – werden sich freuen. Zum Beispiel über Dylans Auslassungen über Shakespeare oder über den

Hinweis, dass Dylans Motelzimmer auf den Namen „Ashes & Sand“ reserviert waren. Muss man das wissen? Nein. Möchte man das wissen? Ja. Robert Shelton (1926 – 1995) hat 20 Jahre lang an dieser Biografie gearbeitet. Als sie erschien, war er nicht mehr in New York, sondern arbeitete als Feuilleton-Redakteur in Brighton. Ein Porträt, schreibt er, könne man nie fertig stellen. Das gilt erst recht bei einer Person, die so viele Seiten hat wie Bob Dylan – so viele Seiten, sagte einmal ein Witzbold, dass er schon ganz rund sei. Aber wer sich dem frühen Dylan lesend nähern will, der wird von Shelton kundig geführt. Robert Shelton: Bob Dylan - No Direction Home. Aus dem Englischen von Gisbert Haefs. Edel, Hamburg 2011. 688 Seiten, 29,95 Euro.


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