"Tochter Amy" von Christoph Dallach

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»Tochter Amy« Mitch Winehouse über sein Kind, die begnadete Sängerin und Songschreiberin.

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T e x t: C h r i s t o p h D a l l a c h

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ass Amy Winehouse in den Hitparaden der Welt wiederauferstehen würde, war klar. Ebenso war ihr Platz im Hades der »Forbes Top-Earning Dead Celebrities« nur eine Formalität. Pünktlich zu Weihnachten vergangenen Jahres schneite dann auch noch ihre erste posthume CD »Lioness: Hidden Treasures« in die Läden. Und weil die Archive rappelvoll mit ungenutzten WinehouseSongs sind, dürfte es mit ähnlichen »neuen« Winehouse- CD Bescherungen noch einige Jahre lang weitergehen. Auch Bücher über Amy Winehouse gibt es seit ihrem Abgang wie Sand am Meer. Meist hastig hingehauene Werke mit Titeln wie Remembering Amy: The Life and Times of Amy Winehouse oder Open Book: The Life and Death of Amy Winehouse und, und, und. Das Problem bei all diesen Fleiß­ arbeiten ist allerdings, dass sie Nullkommanichts Nennens­ wertes an frischen Erkenntnissen zu bieten haben. Denn das Dilemma aller selbsternannten Amy-Winehouse-Biografen ist ja, dass die Hauptdarstellerin nicht mehr verfügbar ist, und alle anderen, die etwas Interessantes beitragen könnten, sich in Schweigen hüllen. Nun aber meldet sich einer zu Wort, den viele Biografen gern befragt hätten: Mitch Winehouse, Amys Vater. Amy. ­Meine Tochter heißt sein Buch schlicht und ganz unreißerisch. Selbstverständlich stellt sich da sofort die Frage, was den 60-jährigen Ex-Taxifahrer antreibt. Wäre viel Geld die Antwort, wäre die Angelegenheit banal und schnell abgehakt. Aber um die materiellen Dinge dieser Welt müssen sich die Winehouse-Eltern Mitch und Janis keine Sorgen mehr machen. Immerhin sind sie die alleinigen Erben des Multimillionen-Vermögens ihrer Tochter, die kein Testament hinterließ. So kann Mitch Winehouse es sich leisten, alle Einnahmen aus dem Buchprojekt der – von der Familie ins Leben gerufenen – AmyWinehouse-Stiftung zu überlassen. Bleibt also die entscheidende Frage, weshalb ihr Vater ohne Not nun so ein Buch schrieb. Will er das öffentliche Bild seiner Tochter korrigieren? Will er Schuldige zur Verantwortung ziehen? Oder sucht er auf diesem Weg nach Erklärungen für den furchtbaren Absturz seiner Tochter? Fest steht, dass Mitch Winehouse ohnehin an einem Buch über seine Tochter saß, als diese noch lebte. Damals war das ganze noch als Geschichte des Winehouse-Clans, von ihm »Dynastie« genannt, gedacht und sollte ebenfalls in diesem Jahr ­erscheinen. Aber die tragischen Ereignisse brachten Mitch Winehouse dazu, seine Pläne zu ändern. Das Buch, so kündigt er an, wird in drei Abschnitte eingeteilt sein: Zu Anfang ist der Lesestoff noch entspannend, wenn es um Amys Jugend geht. Im zweiten Teil zieht das Tempo an, wenn ihr Aufstieg in der Musikindustrie ausgeleuchtet wird. Im dritten Abschnitt wird es dann düster. Mitch Winehouse

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Mitch Winehouse und Amy.

nennt diesen Teil »A hard read«, eine Erinnerung an schlimme Tage. Die Lebensgeschichte von Amy Winehouse passt natürlich wunderbar in das schreckliche Klischee von der mit so viel Talent gesegneten wie gequälten Künstlerseele, in die gruselige Ahnengalerie geschundener Künstler mit Billie Holiday, Jim Morrisson, Janis Joplin und Kurt Cobain. Aber ob zwischen Qual und Talent nun ein Zusammenhang besteht, ist schwer zu sagen. Erwiesen ist, dass Amy Winehouse oft gelitten hat. Sie war ein wildes Kind, schreibt ihr Vater. Geboren und aufgewachsen in North Finchley, im Norden Londons, fiel Amy Winehouse bereits früh durch Ambition und Talent auf. Schon mit acht Jahren wurde sie Mitglied in einer Theaterschule und absolvierte später diverse ähnliche Institute. Ebenso auffällig war aber auch ihr Hang, aus der Reihe zu tanzen. »Amy dürstete nach Aufmerksamkeit und flog von mehreren Schulen, nur weil sie für so viel Trubel sorgte«, ­erinnert sich Mitch Winehouse. Mit 16 entdeckte seine Tochter ­ihre Begeisterung für Tattoos und begann ­regelmäßig Cannabis zu rauchen. Die früh geschiedenen Eltern kapitulierten vor der Erziehung des aufmüpfigen Kindes. Amy Winehouse gab einmal zu Protokoll: »Ich tat, was ich wollte, das war eben so!« Erste Songs schrieb sie, nachdem sie mit 13 Jahren eine Gitarre in die Hand bekommen hatte und dann in allerlei Bands trällerte. Einer ihrer beeindruckten Freunde leitete eine Kas­ sette mit Amys Musik an eine große Plattenfirma weiter, wo man ihr umgehend einen Vertrag offerierte. Der Super-Manager ­Simon Fuller, Erfinder der Spice Girls und der Pop Idol-TVShows, nahm sie flugs unter seine Fittiche. Amy Winehouse war gerade 20, als ihr Debütalbum »Frank« erschien, auf dem sie mit ihrer außergewöhnlichen Stimme und mit raffinierten Jazz-Pop-Songs erstes Aufsehen erregte. Abseits der Musik verlief ihr Leben noch relativ unscheinbar. Doch dann kreuzte der Videoclip-Zuarbeiter Blake Fielder-Civil ihren Weg. Das sei der Beginn der »finsteren Phase« ihres Lebens gewesen, meint

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Es gibt viele Bücher über Amy Winehouse, aber jetzt hat einer eins geschrieben, der es wis­sen muss: Mitch Winehouses Buch über seine Tochter Amy, die be­gnadete Sängerin und Song­schreiberin, erscheint im Juli auf Deutsch bei Edel:Books.

Mitch Winehouse und fügt hinzu: »Er machte Amy mit den harten Drogen bekannt.« Seine Tochter verliebte sich trotzdem unsterblich und litt noch viel mehr, nachdem die Beziehung nach einigen Monaten fürs Erste wieder vorbei war. »Ich wollte tot sein«, hat sie über diese Zeit gesagt. Zum Glück lebendig, schrieb sie sich ihren Schmerz von der Seele, in Songs mit vielsagenden Titeln wie »Love Is a Losing Game«, »Tears Dry on Their Own«, »Wake Up Alone« oder dem besonders düsteren »Back to Black«, dem Titelsong ihres spektakulären zweiten Albums. Der Produzent Mark Ronson veredelte die WinehouseKlagelieder mit einem knisternden Retro-Soul-Sound und das Werk wurde zu einem Multimillionen-Bestseller und katapultierte die leidende Londonerin ins globale Rampenlicht. Ab­ gesehen von all den Turbulenzen, mit denen die Künstlerin danach von sich reden machte, gilt »Back to Black« längst als einer der großen Klassiker der jüngeren Popgeschichte. Eine außer­ gewöhnlich ausdrucksstarke Platte, auf der die 22-Jährige virtuos und geschmackssicher alten Jazz und Soul mit Hip-HopBeats zu modernen Großstadt-Klageliedern kreuzte, als würde sie seit einer Ewigkeit nichts anderes gemacht haben. Wenn sie da sang, dass die Liebe ein Spiel sei, das man nicht gewinnen könne, und potentielle Interessenten grundsätzlich davor warnt, sich mit ihr einzulassen – »I’m No Good« – litt ein großes Publikum gerne mit. Dass Amy Winehouse eine hochbegabte Musikerin war, wird in manchen Berichten einfach übergangen. Dabei erinnerte sie immer wieder an die großen, furiosen Melancholiker der Popmusik wie Nina Simone oder Dusty Springfield. Weil Winehouse es verstand, ihren Schmerz in Melodien und Worte zu kleiden, gelang ihr »Back To Black«, dieses Meisterwerk über zertrümmerte Beziehungen, so wie ­Sinatras »No One Cares« oder Dylans »Blood on the Tracks«. Der Preis war allerdings, dass ihr Privatleben zunehmend aus den Fugen geriet. Denn der Haken an ihrer Kunst war, dass die Dramen ihrer Lieder eben keiner Phantasiewelt entsprungen waren.

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Mit Männern und Alkohol tat sich Amy Winehouse in der realen Welt schwer. Daraus machte sie kein Geheimnis. Wer mit der Londonerin mal ausging und sich daneben benahm, durfte sich nicht wundern, wenn sie später in einem Lied abrechnete. Das größere Problem war ihre Trinkerei. Wenn sie übertrieb, was sie regelmäßig tat, endete es oft wild. »Man hat tatsächlich schon probiert, mich auf Entzug zu schicken, weil die Leute glauben, dass das die Lösung aller Probleme sei. Aber ich bin keine Alkoholikerin. Wenn ich trinke, liegt das an Depressionen oder einfach nur an Langeweile.« Aber für die gefährlichsten Turbulenzen sorgte zunehmend ihre immer wieder auflodernde Beziehung zu Blake Fielder-Civil plus Unmengen von Alkohol und Gott weiß was für Substanzen. Auch äußerlich verwandelte sie sich in ein Schattenwesen, die Tattoos nahmen zu, ihr Körpergewicht drastisch ab. Bedrohlich wurde es für Amy Winehouse aber auch dank brutaler medialer Ausleuchtung, einer Maschinerie, die via Internet und mit Hilfe von Foto-Handys jeden kleinen Ausrutscher überdimensional aufbläst. Dazu kamen all die gedruckten Magazin-Geschichten, die zum Teil überaus lustvoll eine Frau am Boden zur Schau stellten. Zuletzt ließ sich Winehouse an Orten wie Dubai und Belgrad von der Bühne buhen. Erschütternde Einblicke darin, wie es sich im Zentrum dieses ­Orkans angefühlt haben muss, bietet nun Mitch Winehouse. »Was war mit meinem kleinen Mädchen passiert? Wie konnte das alles sein? Ich fühlte mich hilflos«, notiert er und berichtet dann sehr detailliert von einigen Abstürzen seiner Tochter. Deren Freund und Kollege Paul Weller hatte recht, als er sich erinnerte, dass er geschockt war, als er von ihrem Tod hörte, aber nicht überrascht. Es bleibt die Frage, warum es keinem gelang, ihr die so dringend benötigte Hilfestellung zu bieten. Nun gibt Mitch Winehouses Buch einige Antworten, auf die ­viele Fans schon so lange hoffen.

Chris toph Dall ach geboren 1964 in Hamburg, ist Journalist. Er schrieb für Tempo, Die Woche, DER SPIEGEL und das ZEITmagazin und ist heute v.a. für den KulturSPIEGEL tätig.

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