Wiedersehen in TUNIX! Ein Handbuch zur Berliner Projektekultur

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Wiedersehen in TUNIX! Ein Handbuch zur Berliner Projektekultur


Treffen in Tunix, Plakat, Archiv Diethard KĂźster.

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Inhalt Anina Falasca, Annette Maechtel, Heimo Lattner Einleitung: Hello Again! Annemie Vanackere und das Team des HAU Hebbel am Ufer

Das HAU Hebbel am Ufer und das Treffen in Tunix 04, 08 Stefan König Tunix: The Making Of Michael Sontheimer Von Tunix in die taz. Erinnerungen an spontaneistisches

Denken und Arbeiten Jana König Aufbruch oder Rückzug? Zur innerlinken Debatte um den Tunix-Kongress Julia Wigger Lesben und Schwule am Strand von Tunix? Über die West-Berliner Lesben- und Schwulenbewegung und ihr Verhältnis zum Tunix-Kongress 11, 25, 35, 43 Thomas Seibert In erster Person. Existenzökologie des Projekts Ulrich Bröckling im Gespräch mit Felix Klopotek Die unhintergehbare Differenz.

Was verweist von 68 und Tunix auf Neoliberalismus und den grassierenden Zwang zur Selbstoptimierung? Und was weist darüber hinaus? Sabeth Buchmann Zwischen Projekt und Bartleby: Tunix im Widerspruch. Nachträgliche Überlegungen zur vorweggenommenen Nachträglichkeit der 1990er Jahre Birgit Eusterschulte Vom Werk zum Projekt zur Ausstellung (und zurück). Projekt ’74 in Köln 54, 62, 74, 82 Annette Maechtel Tu-nix, Tu-was, Tu-es-anders: Berliner Alternativkultur?!

„Überleben im Stadtteil“. Berliner Projektekultur und linke Planungstheorie zwischen 1968 und 1978 Sibylle Plogstedt Der Ruf der Madame X. Arbeitsplätze in der Frauenbewegung – ein Traum? Sven Reichardt Arbeitsstrukturen: Die Alternativökonomie des „Projekts“ Christa Kamleithner

93, 109, 118, 128 Stephanie Kloss

Linke Stadt 2018. Bildstrecke

102–108, 117, 126/127,138/139 Programm Wiedersehen in TUNIX! Eine Revision der Berliner Projektekultur

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Einleitung: Hello again! Anina Falasca, Annette Maechtel, Heimo Lattner

Es ist über 40 Jahre her, dass eine kleine Gruppe zum Tunix-Kongress aufrief:1 Nur wenige Monate lagen zwischen der Idee und der Veranstaltung vom 27. bis 29. Januar 1978, zu der rund 20.000 Personen kamen. Die Angaben zur Teilnehmerzahl variieren, sicher ist aber, dass es überraschend viele waren, die dem Aufruf zu einer „Reise nach Tunix“ folgten. Dahinter stand das Bedürfnis, nach der Depression des Deutschen Herbsts 1977 konkrete Alternativen aufzubauen, anstatt sich weiter in einer hoffnungslosen Konfrontation mit dem Staat zu zermürben.2 Unterschiedliche subkulturelle Gruppierungen versammelten sich in der Technischen Universität (TU) in West-Berlin, um beim Tunix-Kongress über die Situation des linken Spektrums und ihre Standpunkte in der Gesellschaft zu debattieren. Das mediale Bild der Veranstaltung ist vor allem vom Verbrennen der Deutschlandflagge im Rahmen der Demonstration32und von Überschriften in der Presse wie „30 Polizisten verletzt“ bestimmt.43Die uns aus privaten Archiven zur Verfügung gestellten Fotografien54sowie die Bilder, die im Internet zu finden sind, zum Beispiel vom überfüllten Audimax, dokumentieren dagegen friedliche Praktiken des politischen Widerstands und der Selbstorganisation. Nur wenige Film- und Tondokumente sind heute noch auffindbar.65 Neben der besagten Demonstration und den unterschiedlichsten Gesprächskreisen standen beim Tunix-Kongress auch Konzerte7 und Theaterstücke, Filmvorführungen und Stadtteilaktionen sowie Podiumsdiskussionen und Seminarveranstaltungen auf dem Programm. Unter dem Motto „Rosa glänzt der Mond von TUNIX“ wurden Sketche und Debatten zum Thema „Wenn du nicht nur’n Linker, sondern 1 Zu dieser Gruppe gehörten Johannes Eisenberg, Peter Hillebrand, Stefan König, Diethard Küster, Harald Pfeffer, Renée Zucker und Monika Döring, vgl. Michael März, Linker Protest nach dem Deutschen Herbst: eine Geschichte des linken Spektrums im Schatten des „starken Staates“, 1977–1979, Bielefeld 2012, S. 206. 2 Vgl. Jana König, „Falsche Wege und neue Anfänge“. Die Bedeutung von Theorie in Zeiten linker Krisen – im Kontext des „Deutschen Herbstes“ 1977 und der „Wiedervereinigung“ 1989, in: Arbeit - Bewegung - Geschichte, 2018/II, S. 88–104. 3 Die Demonstration fand am Samstag, den 28.1.1978, um 11 Uhr statt. Angemeldet wurde sie vom Tunix-Organisator Peter Hillebrand. Nach Polizeiangaben nahmen ca. 4.000 Personen teil; v.a. so genannte Spontis, vgl. Bericht der Landespolizeidirektion West-Berlin, Dezernat Öffentliche Sicherheit, 3.2.1978, S. 2, in: Freie Universität Berlin, Universitätsarchiv, APO-Archiv, TunixOrdner 1135. 4 Tunix und dreißig verletzte Polizisten, in: Die Welt vom 30.1.1978; Fahne auf Ku-Damm verbrannt. Linksextremisten warfen Schaufensterscheiben mit Pflastersteinen ein, in: Mittelbayerische Zeitung vom 30.1.1978; Bundesflagge auf dem „Ku-Damm“ verbrannt. Demonstrationen gegen das „Modell-Deutschland“ – Widerstandsstrategien diskutiert, in: Nürnberger Nachrichten vom 30.1.1978; 30 Polizisten bei Ausschreitungen in Berlin verletzt, in: Westdeutsche Allgemeine vom 30.1.1978; Linksradikale Demonstration: Steine, Scherben, 30 Verletzte, in: Bild-Zeitung vom 30.1.1978; Von der Straßenschlacht zum „Tunix-Treff“. Berlin hat wieder ein heißes Wochenende hinter sich – 30 Polizisten verletzt, in: Münchner Merkur vom 30.1.1978. 5 Fotografien von Rainer Meißle und unbekannten Fotograf*innen im Archiv Diethard Küster. 6 Alternativbewegungen, Monitor, WDR, 28.2.1978; Treffen in Tunix, Extra III, NDR, 1.2.1978; sowie folgende Radiobeiträge: Zur Debatte: Tunix-Veranstaltung („Tue nichts“), Auszüge aus der heutigen Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, SFB, 9.2.1978; Impulse aus der Subkultur, SFB, 9.5.1978; Gulliver – Sätze und Gegensätze: Tuwat-Kongress, SFB, 22.8.1981 (inkl. kurzem Rückblick auf Tunix). Siehe dazu auch das Filmprogramm von Florian Wüst beim Wiedersehen in TUNIX!.

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auch noch schwul bist (oder umgekehrt)“ angekündigt, Feminismus und Ökologie sollten ebenso thematisiert werden wie alternative Bildungsmodelle und die Neonazi-Szene in der Bundesrepublik. Es gab Arbeitsgruppen zum Thema Staat („Erobern oder zerstören?“), zur Anti-Psychiatrie (mit Gästen wie Michel Foucault, Peter Brückner, Félix Guattari) oder zu selbstverwalteten Jugendzentren (am Beispiel des Georg-von-Rauch-Hauses). Es sollte um Food-Coops („Aufbau einer eigenen Nahrungsmittelkette“), um linke Buchhandlungen, um Kneipen („Gegenöffentlichkeit oder Abfüllstation?“) und um die Gründung einer linken Tageszeitung für die Bundesrepublik gehen (siehe Faksimiles des Programms in diesem Heft).86 Das Programm zeigt, dass Tunix von einem veränderten Politik- und Aktionsverständnis geprägt war: Der Kongress präsentierte sich nicht als Forum einer allgemeinen politischen Auseinandersetzung, sondern als Ort der spontanen Aktion, der konkreten Diskussion und des gemeinsamen Feierns. Nicht nur das Was, sondern auch das Wie war entscheidend. Der Tunix-Kongress brachte damit etwas auf die Bühne, was rückblickend als „Projektekultur“ bezeichnet werden kann: Der Begriff des Projekts stand dabei für Vernetzung, Beweglichkeit und selbstbestimmte Aktivitäten, wie sie sich in Berlin in den 1970er und 1980er Jahren in Verlagen, Buchläden, Fahrradwerkstätten, Wohnprojekten, Stadtteilzentren oder auch Bürgerinitiativen mit einer eigenen Ökonomie ausprägten. Thematisch ging es vom Feminismus über alternative Bildungsansätze, Selbstversorgung im medizinischen Bereich bis hin zu neuen Energien und einer kritischen Medienpraxis. Anknüpfen konnten diese neuen Projekte und die mit ihnen realisierten oder angestrebten Arbeitsweisen an die sozialen Bewegungen in den USA (Grassroots)97 und an neue Theorien aus Frankreich.10 Während „klassisch“ marxistische Theorieansätze und die Kritische Theorie bislang streng akademisch rezipiert worden waren, schafften es Heidi Paris und Peter Gente mit ihrem kleinen Merve-Verlag, französische Philosoph*innen ab 1972 auch abseits akademischer Diskurse in Deutschland zu popularisieren.118 Der Tunix-Kongress gilt heute als ein wichtiger Schritt hin zu einem Selbstverständnis des linksalternativen Milieus als soziale Bewegung, die gesellschaft-

7 U.a. laut Programmankündigung Teller Bunte Knete, Real Ax Band, Dementia Precox, Missus Beastly, Munju (nur instrumental). 8 Vgl. Tunix-Programm, in: Zitty, Heft 3, 1978, S. 13–15. Das Originalprogramm wurde in der BUG-Info veröffentlicht: vgl. BUG-Info, Heft 1005, 1978, S. 14f. Papiertiger-Archiv. 9 Vgl. hierzu den Whole Earth Catalog (1968–1988), das Sprachrohr der US-amerikanischen Grassroots-Bewegung: Back Issues, Whole Earth Catalog, unter: www.wholeearth.com/back-issues. php [Stand: 21.9.2018]. Und: Diedrich Diederichsen und Anselm Franke (Hg.), The Whole Earth. Kalifornien und das Verschwinden des Außen, Berlin 2013. 10 Gilles Deleuze und Félix Guattari, Rhizom, Berlin 1977. Rhizom war 1976 in Frankreich und ein Jahr später bei Merve in Deutschland erschienen ebenso wie ein vorab auf Deutsch veröffentlichtes Vorwort zum Nachfolger von Anti-Ödipus, dem Werk Tausend Plateaus. Siehe auch das Faksimile des Textes von Félix Guattari Neue Räume der Freiheit für das minoritäre Begehren gegen den majoritären Konsens in diesem Heft. Jean-François Lyotard, Das Patchwork der Minderheiten. Für eine herrenlose Politik, Berlin 1977. 11 Suhrkamp hatte die französischen Philosophen schon früher übersetzt, so waren u.a. Foucaults Wahnsinn und Gesellschaft 1969, Derridas Die Schrift und die Differenz 1972 und Deleuze und Guattaris Anti-Ödipus 1974 erschienen. 12 Vgl. Anina Falasca, „Spaßige Spontis“ und „fröhliche Freaks“. Zur theoretischen Neuorientierung der Neuen Linken um 1978, in: Arbeit - Bewegung - Geschichte, 2018/II, S. 72–87.

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lich bis heute nachwirkt und den Alltag vielerorts prägt.12 Der Historiker Michael März schreibt diesem Ereignis eine „Initialwirkung auf die Annäherung von Spontis zur Alternativszene“ zu: „Noch heute existieren Biolebensmittelunternehmen, Kulturzentren, Verlage und Druckereien, die ihren Ursprung in TUNIX sehen.“139 Diese nicht zuletzt durch den Tunix-Kongress repräsentierte gesellschaftliche Entwicklung fand ihren Wiederhall auch in der Politik. Denn es gab die Befürchtung, dass eine große Anzahl junger Menschen das „Modell Deutschland“ grundsätzlich ablehnte oder zumindest in einer Alternativkultur lebte. Der damalige Berliner Wissenschaftssenator Peter Glotz sprach auf dem Tunix-Kongress in diesem Zusammenhang von „zwei Kulturen“. Im Kunst- und Kulturbereich reagierte die Berliner Politik in der Folge mit der Einführung von ersten Projektförderprogrammen. Zunehmend ist seither ein Ineinanderfallen von Produktion und Reproduk­ tion, die Entgrenzung sowie die Subjektivierung und Flexibilisierung von Arbeit zu diagnostizieren. Luc Boltanski wählt gar die Formulierung „Leben als Projekt“,1410 alles könne heute zum Projekt werden. Seit die „Seele“ keinen Rückzugsort mehr darstellt, sondern zur Produktivkraft geworden ist (The Soul at Work, Franco Bifo Berardi), werden Arbeits- und Organisationsformen (in künstlerischen Feldern) bzw. die Bewältigungsstrategien von Prekarität und Unsicherheit wie auch Modelle künstlerischer Arbeit für andere Arbeitsmärkte als attraktiv „verkauft“. Die Beschreibung des netzförmig organisierten Kapitalismus, der seine Legitimation aus der Kooptation künstlerischer Kritiken und Forderungen nach Autonomie, Kreativität und Selbstverwirklichung bezieht, ist eine allgegenwärtige These. Unsere Beschäftigung mit dem Tunix-Kongress entspringt dem Bedürfnis, den gesellschaftspolitischen Kontext und die Praxis der Projektekultur aus verschiedenen historischen und gegenwärtigen Perspektiven zu beleuchten. Der Tunix-Kongress ist sicher nicht die „Geburtsstunde“ des „Projekts“, trotzdem hat vieles von dem, was wir heute unter „Projekten“ verstehen, 1978 seinen Ausgang genommen. Und ebenso vieles hat sich seither verändert. Dabei wollen wir über die Kritik hinaus das Politische am Projektbegriff und an der Projektepraxis wieder heben, indem wir entgegen neoliberalen Pauschalisierungen differenzieren. Von der Gegenwart ausgehend fragen wir nach der gesellschaftspolitischen Relevanz der im Kontext von Tunix aufgeworfenen Diskussionen. Die vorliegende Publikation ist integraler Bestandteil der Veranstaltung Wiedersehen in Tunix! und will diese als ein Handbuch durch Textbeiträge und historische Quellen ergänzen. Es gibt dabei drei Themenschwerpunkte: historische Perspektiven auf den Tunix-Kongress, eine Auseinandersetzung mit dem Projektbegriff und seinen Praktiken sowie die Frage danach, wie sich diese neuen Praktiken, insbesondere in Berlin, in die Stadt und den Kulturbetrieb eingeschrieben haben. Ein gewichtiger Unterschied zum Tunix-Kongress 1978 ist festzuhalten: Unser Projekt ist vom Hauptstadtkulturfonds gefördert und ist damit Teil eines „förderungswürdigen Kulturprogramms“ der Stadt. Ohne diese Mittel hätten wir die Veranstaltung und die begleitende Publikation nicht realisieren können. 13 März, Linker Protest nach dem Deutschen Herbst, S. 242. 14 Luc Boltanski, Leben als Projekt. Prekariat in der schönen neuen Netzwerkwelt, in: polar, Heft 2, Frühjahr 2007, S. 7–13.

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Bedanken möchten wir uns an dieser Stelle auch bei allen, die dieses Projekt durch Gespräche, das Zurverfügungstellen von Zeitdokumenten, Kontakt­ ver­ mittlungen, durch Anzeigen (taz-Medienpartnerschaft), zusätzliche Mittel (Rosa-Luxemburg-Stiftung), Abdruckrechte (konkret, Courage, Archiv Diethard Küster, Rainer Meißle), Archivrecherchen (Papiertiger-Archiv & Bibliothek der sozialen Bewegungen, Universitätsarchiv der Freien Universität Berlin, Barbara Friese vom Wissenschaftlichen Dienst im Abgeordnetenhaus von Berlin, Evelyn Kuwertz), Ko­operationen (taz, Institut für Kunst im Kontext und Forschungsprojekt „Autonomie und Funktiona­lisierung der Kunst“ der Universität der Künste Berlin), umfassende Mitarbeit (Birgit Effinger), produktives Lektorat (Karolin Nedelmann), einfühlsame Gestaltung (Anna Voswinckel), Verlagsarbeit (Berliner Hefte zur Geschichte und Gegenwart der Stadt) und durch eine wunderbare personelle und technische Infrastuktur (HAU Hebbel am Ufer) unterstützt haben. Last but not least gilt unser herzlicher und ausdrücklicher Dank allen Beteiligten. Sie alle machen das Wiedersehen in TUNIX! erst möglich.

Grafik der Titelseite BUG-Info, Heft 1004, Berlin 1978 (bearbeitet), Autor*in unbekannt, Papiertiger-Archiv.

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Das HAU Hebbel am Ufer und das Treffen in Tunix Annemie Vanackere und das Team des HAU Hebbel am Ufer

Im Januar 1978 trafen sich mehrere tausend Menschen, die sich zur undogmatischen Linken zählten, in der Technischen Universität (TU) in West-Berlin, um im Rahmen eines gemeinsamen Kongresses samt Kulturprogramm über so unterschiedliche Themen wie Bildungs- und Psychiatriekritik, mediale Gegenöffentlichkeit und politische Stadtteilarbeit zu diskutieren. Nicht nur Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet waren gekommen, sondern auch Theoretiker*innen wie Michel Foucault oder Félix Guattari. Motivation der Teilnehmer*innen war es, linke Politik aus der Sackgasse zu befreien, in der sie sich nach dem Deutschen Herbst befand. Hoffnungen auf eine Veränderung der Gesellschaft waren auf Grund staatlicher Repressionen und einer tiefen innerlinken Spaltung in Bezug auf die theoretischen Grundlagen und die Kritik an Gewalt als politischem Mittel verschüttet. Eine neue Praxis im Hier und Jetzt sollte gefunden werden. Politische Inhalte und Strukturen sollten in der Gegenwart eine Alternative etablieren. „Wir wollen wegkommen von der Hilflosigkeit des Reagierens zu neuen Formen des Agierens“1, heißt es im Aufruf.1Rückblickend gilt der Tunix-Kongress als Startschuss für eine Vielzahl von alternativ-ökonomischen, selbstverwalteten Betrieben und kulturellen Projekten, die noch heute die Struktur des politischen Lebens in Berlin prägen. Für das HAU Hebbel am Ufer als internationales Produktionshaus, das mit Berliner, nationalen und internationalen Künstler*innen, Gruppen und Kollektiven zusammenarbeitet, ist das historische Zusammentreffen vor allem interessant, um nach dem politischen Erbe eines Theatersystems zu fragen, das mittlerweile seit über 30 Jahren andere Produktionsbedingungen, als sie an den Stadt-, Staats- und Nationaltheatern existieren, realisiert. Eine eigenständige Produktionsweise und Ästhetik sind entstanden. Dabei ist es eine kontinuierliche Linie im Programm des HAU Hebbel am Ufer, sich die historischen Bedingungen für das eigene Denken und Handeln zu vergegenwärtigen und den gesellschaftlichen Zusammenhang zwischen Politik und Kunst aufzuzeigen. Ende der 1960er Jahre waren es vor allem Schauspieler*innen, die sich gegen die vorherrschenden Strukturen auflehnten. Forderungen wie die nach einer kollektiven Leitung, nach Einheitsverträgen, nach Mitbestimmung bei der Spielplangestaltung und bei der Rollenbesetzung oder nach der Abschaffung von „karikierenden Fachbezeichnungen“2 wie dem Regietitel wurden laut. Ab 1961 arbeitete zum Beispiel der junge Regisseur Peter Stein mit seinem Team an einer kollektiven Theaterstruktur in der Schaubühne am Halleschen Ufer (dem heutigen HAU2). Für den Theaterwissenschaftler Joachim Fiebach wurde die Schaubühne nicht zuletzt dadurch in den 1970er Jahren „zum wohl bedeutendsten 1 Flugblatt: Treffen in Tunix. Oder auch: Koordinationsausschuß TUNIX: Aufruf zur Reise nach Tunix. Broschüre, Berlin 1978, in: APO-Archiv, Ordner: Tunix, zit. nach: Michael März, Linker Protest nach dem Deutschen Herbst. Eine Geschichte des linken Spektrums im Schatten des „starken Staates“, 1997–1979, Bielefeld 2012, S. 212. 2 Zit. nach: www.theaterderzeit.de/index.php/1968/10/ [Stand 14.10.2018].

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Theater Europas“.3 In alltäglicher Theaterpraxis entwarf das Team ein Modell von nicht entfremdeter Arbeit, das sich in dieser Breite jedoch nicht bis in die Gegenwart halten konnte. War zu dieser Zeit noch eine Antihaltung gegen das Establishment prägend, rief die Generation der 1978er positive Erneuerungen aus. Sie fragte sich, ob ihre Kunst Teil der Kräfte einer veränderten Gesellschaft werden kann. Nach dem Treffen in der TU Berlin kam es verstärkt zu Gründungen von Freien Gruppen und neuen Arbeitsund Aufführungsorten, wobei beides eng miteinander verknüpft war. In den letzten Jahrzehnten ist das Bewusstsein dafür gewachsen, dass viele Ini­ tiativen in einer Projektekultur aufgegangen sind, die auf der einen Seite zwar als konkrete Utopie verstanden werden kann, die andererseits aber auch Ausdruck und Träger eines äußerst flexiblen Kapitalismus und dessen Verwertungsprozessen ist. Absurderweise gelten dabei gerade Künstler*innen – die in der Regel mit prekären Arbeits- und Lebensbedingungen zu kämpfen haben und denen es nur unter hohem persönlichen Einsatz gelingt, finanziell über die Runden zu kommen – als Vorbild für das „unternehmerische Selbst“, das versucht, sich in kurzlebigen Start-ups zu verwirklichen. Das HAU Hebbel am Ufer und viele Künstler*innen, mit denen wir kooperieren, thematisieren dies in ihren Arbeiten und engagieren sich für eine solidarische Gesellschaft. Die Professionalisierung der Performing Arts in den letzten Jahrzehnten und die kulturpolitischen Kämpfe haben mittlerweile zu einer Verstetigung und Erhöhung der finanziellen Mittel für diese Kunstform geführt. Um deren Weiterentwicklung entsprechend zu fördern und sichtbarer zu machen, ist das HAU Hebbel am Ufer Teil des Bündnisses internationaler Produktionshäuser, zu dem sich sieben Institutionen der zeitgenössischen performativen Künste zusammengeschlossen haben: das Europäische Zentrum der Künste Dresden-Hellerau, das Forum Freies Theater Düsseldorf, Kampnagel Hamburg, das Künstlerhaus Mousonturm in Frankfurt am Main, das tanzhaus nrw in Düsseldorf und PACT Zollverein in Essen. Durch kontinuierliche Kooperationen fasst das Bündnis die Erfahrungen seiner zentralen kultur- und gesellschaftspolitischen Akteure zusammen und bringt dadurch Künstler*innen vor Ort, lokale Zuschauergruppen und diverse Stadtgesellschaften in einen Austausch mit internationaler Perspektive. Wir freuen uns auf die Debatten der kommenden Tage, in denen wichtige Errungenschaften der Tunix-Generation, aber auch Leerstellen wie die Unterrepräsentation von feministischen sowie People-of-Color-Perspektiven diskutiert werden, um mit einem kritischen Blick auf die Geschichte unsere Gegenwart besser zu verstehen und zu gestalten. Dabei ist es ein gemeinsames Anliegen, den Zurichtungen von Mensch und Gesellschaft im Kapitalismus beständig etwas entgegenzusetzen. Wir wünschen dem ganzen Team des Tunix-Kongresses 2018 eine gelungene Veranstaltung und danken für die ausgezeichnete Zusammenarbeit.

3 Joachim Fiebach, „Altes denken für ein Neues. Die Revolution im Theater muss nicht neu erfunden, sondern fortgeschrieben werden“, in: Theater der Zeit, August 2018 (Sonderausgabe zur Volksbühne), S. 73–74.

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Von Tunix in die taz

Erinnerungen an spontaneistisches Denken und Arbeiten Michael Sontheimer

Ute legte den Zeigefinger auf ihre Lippen und rollte mit den Augen. Sie saß am Schreibtisch schräg gegenüber, in der taz-Redaktion in Berlin-Wedding. Es war der Sommer 1979. Rechts neben mir arbeitete Holger, mit dem Ute locker liiert war, aber gestern Abend hatte ich Ute in unserer weitläufigen WG-Wohnung mit einem anderen jungen Mann im Bett gesehen. Kein Wort davon, wollte Ute mir zu verstehen geben. Wir waren 24 Jahre alt. Unser Denken und Fühlen war damals, von heute aus betrachtet, sehr romantisch und sehr radikal. Wir mochten Slogans wie: Das Persönliche ist politisch. Gemeinsam leben, lieben, arbeiten. Kollektiv geht nie schief. Ute Scheub und ich arbeiteten in der Ökologieredaktion der taz, fuhren morgens zusammen in die Redaktion, abends in die „Osteria No. 1“ in Kreuzberg, schließlich in unsere Wohnung, in der wir mit fünf, sechs Leuten lebten. Wenn wir uns wegen des Abwaschs in der Wohngemeinschaft gestritten hatten, schlug das auf die Arbeit in der Redaktion durch. Und wenn wir beim Zeitungmachen Streit hatten, beeinflusste das die Stimmung zu Hause. Leben und Arbeiten waren eine Einheit, ein einziger Resonanzraum. Die Totalität, die entstand, wirkte einerseits berauschend, andererseits war sie auf Dauer schwer auszuhalten. Dass wir versuchten, unsere Ideen vom anderen Arbeiten und Leben in der taz umzusetzen, hatte auch mit einem Ereignis zu tun, das mittlerweile gern als Wendepunkt der Geschichte der westdeutschen radikalen Linken begriffen wird: mit dem Tunix-Kongress. Wenn ich heute versuche, mich an dieses große Treffen Ende Januar 1978 in WestBerlin zu erinnern, ist die stärkste Erinnerung eine akustische. In den kahlen Betonräumen und nackten Fluren des Hauptgebäudes der Technischen Universität klang es, als hätten sich zahlreiche Bienenvölker festgesetzt. Ein beständiges Brummen und Surren füllte die Gänge und Säle. An- und abschwellend. Freudig, vielstimmig, erregt. Ein Hochgefühl. So viele gab es also, die ähnlich dachten. Tausende. So viele gab es, die das „Modell Deutschland“ von Bundeskanzler Helmut Schmidt anödete. Atomkraftwerke, Berufsverbote, Anti-Terror-Gesetze. So viele, die aber nicht gewillt waren, aufzugeben und auszuwandern. Sondern etwas tun wollten. Und einige taten schon etwas. Von den Münchner Freundinnen und Freunden, die während des Tunix-Kongresses in unserer Wohngemeinschaft unterkamen, arbeitete Tina für den feministischen Verlag Frauenoffensive, Peter für den TrikontVerlag, den Hausverlag der Spontis, der Bücher von Rudi Dutschke, Bommi Baumann und Dany Cohn-Bendit veröffentlicht hatte. Die Generation Tunix – Leute, die in der Schule oder Lehre durch die Studentenbewegung „politisiert“ worden waren, wie das damals genannt wurde – diese Generation glaubte nicht mehr an eine Weltrevolution. Darin unterschieden wir uns 25


von den Studenten, die im gleichen Saal zehn Jahre zuvor, im Februar 1968, zu einer kämpferischen Vietnam-Konferenz zusammengekommen waren. Die Losung Che Guevaras „Die Pflicht des Revolutionärs ist es, die Revolution zu machen“ hatte damals groß auf einem Banner über der Bühne gestanden. Die Generation Tunix wollte keine Pflicht mehr erfüllen. Uns ging das großspurige Pathos der Kommunisten auf die Nerven, wir setzten ihm einen trotzigen Unernst entgegen. Bei Tunix hieß es auf Papierbahnen, die von der Empore hingen: „Experimentiert, ohne zu wissen, wo ihr landet.“ Und: „Entdeckt die Symbole der Rebellion in euren alten Kinderzeichnungen. Hihi.“ Oder: „Es gelten nur Augenblicke. Laßt eure Sinne brennen.“ Und: „Es lebe die kurzlebige, pessimistische, revoltierende Jugend.“1 Die Weltrevolution war wegen offensichtlicher Undurchführbarkeit abgesagt, aber wir hatten dennoch das Gefühl, dass die Wahrheit und die Geschichte auf unserer Seite waren. Wir hießen „Spontis“. Das leitete sich von Spontaneisten ab, wie sich in Italien diejenigen Linksradikalen nannten, die auf die Spontanität der Massen setzten. Nach dem Zerfall der Studentenbewegung ab 1969 hatte sich eine Minderheit der Linksradikalen der „Organisationsfrage“ verweigert und dem Aufbau kommunistischer Kaderparteien entzogen. Sie lebte in Wohngemeinschaften, gründete Sponti-Initiativen an den Unis, Stadtteilgruppen, Betriebsgruppen, Food Coops und autonome Frauenzentren. Die Spontis hatten Karl Marx gelesen, Lenin und Trotzki, aber sie bewunderten die Anarchisten des Spanischen Bürgerkriegs. Sie hatten diffuse Ideen von einer Rätedemokratie; Basisdemokratie überall. Das Verhältnis zu den Militanten der RAF und der Bewegung 2. Juni war schwierig. Diese Männer und Frauen waren ursprünglich Genossen und Genossinnen; als Justizopfer hatten sie Solidarität verdient, aber ihre Strategie der militärischen Eskalation war ganz offensichtlich ein falsches, hoffnungsloses und moralisch verwerfliches Unterfangen gewesen. Nach der dumpfen Depression des Deutschen Herbstes 1977, der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer und des Suizids der RAF-Führung im Gefängnis von Stammheim manifestierte sich beim Tunix-Kongress unerwartet eine Aufbruchsstimmung. Es war beflügelnd zu erfahren, dass etliche dabei waren, Kollektive aller Art zu gründen, oder schon betrieben: Kneipen, Verlage, Buchläden, Tischlereien und Kfz-Werkstätten. Die ersten Erfahrungen des alternativen Arbeitens wurden bereits auf dem Tunix-Kongress diskutiert, etwa unter dem Titel: „Linke Kneipen – Abfüllstation oder Gegenöffentlichkeit: Berichte von Berliner Kneipenkollektiven aus ihrer mehr oder weniger feuchten Praxis“.2 Das Programm von Tunix zeigt, wie weit die Protagonist*innen damals der Zeit beziehungsweise der Gesellschaft und ihrem Mainstream voraus waren: Unter dem Motto „Rosa glänzt der Mond von Tunix“ wurden „Sketche und Diskussionen über das Problem“ annonciert, „wenn du nicht nur ’n Linker bist, sondern auch noch schwul (oder auch umgekehrt)“. Es trafen sich Männer, die bald darauf die Paraden zum Christopher Street Day organisierten. Frauen diskutierten über „Feminismus und Ökologie“, in der Arbeitsgruppe „Alter1 Zit. nach: die tageszeitung vom 27.1.2018. 2 Vgl. das Tunix-Programm in BUG-Info, Heft 1005, Doppelnummer, 1978, S. 14f.

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native Energiegewinnung“ sprachen Aktivist*innen darüber, wie sich Wind- und Sonnenenergie propagieren und durchsetzen ließen. Dogmatische marxistische Theorie war bei vielen Spontis, die sich damit auch von den älteren Achtundsechzigern abheben wollten, nicht sonderlich populär. Dennoch sorgten die Philosophen Michel Foucault, Gilles Deleuze und André Glucksmann sowie die Anti-Psychiater David Cooper und Félix Guattari für einen neuen theoretischen Horizont. Auf Einladung von Peter Gente und Heidi Paris vom Merve-Verlag waren sie angereist und offerierten postmarxistisches Denken, sprachen von Rhizomen als Form der kollektiven Organisation von Wissen. Für alle, denen der Marxismus der Maoisten und Leninisten mit seiner Fixierung auf die Arbeiterklasse schon lange auf die Nerven gegangen war, präsentierten die neuen Theorien aus Frankreich eine willkommene Alternative. Eine größere Rolle spielte der heute weltbekannte Foucault bei Tunix aber nicht: Er hielt keinen Vortrag, sondern diskutierte nur ein wenig mit. Tunix, so lautet das geläufige Narrativ mittlerweile, war die strategische Wende der radikalen Linken vom hoffnungslosen Kampf gegen den Staat zum Kampf um die Gesellschaft, zum Kampf um die Köpfe und Herzen. Die Initiatorinnen und Initiatoren des Kongresses hatten es dabei weder beabsichtigt noch erwartet, dass der Kongress zu einem Meilenstein der Sponti-Bewegung werden würde. Doch auf dem Treffen manifestierte sich ein Paradigmenwechsel: Statt sich weiter in einer aussichtslosen Konfrontation mit dem Staat zu verschleißen und eine Revolution unter der Führung der Arbeiterklasse zu propagieren, die ohnehin nicht kommen würde, sollten jetzt konkrete Alternativen geschaffen werden, Inseln des richtigen Lebens im falschen System; neue Arbeitszusammenhänge in egalitären Kollektiven, Freiräume. „Die auf dem Tunix-Kongress initiierte taz“, schrieb der Sponti-Kabarettist Arnulf Rating unlängst, „war die gelungene Alternative auf dem Mediensektor.“3 Auch in den „Zusammengefassten Hinweisen zum antikommunistischen Presseerzeugnis der BRD/Westberlin ‚die Tageszeitung‘ (TAZ)“ des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit vom Juni 1981 heißt es: „Das ‚Tageszeitungs‘-Projekt wurde 1978 auf dem sogenannten TUNIX-Kongreß in Westberlin initiiert.“4 Das stimmt so nicht. Schon mehr als ein Jahr vor Tunix, 1976, hatte eine Runde um den Rechtsanwalt Christian Ströbele und den Buchhändler Max Thomas Mehr die Gründung einer linken Tageszeitung debattiert. Sie luden den mit der Idee sympathisierenden Spiegel-Redakteur Jörg Mettke ein, der ihnen erklärte, dass man mindestens eine Million Mark für dieses Projekt bräuchte. Diese Auskunft nahm selbst dem notorisch optimistischen Ströbele vorübergehend den Mut. Doch die große Neugier und positive Resonanz auf dem Tunix-Kongress gab dem Projekt neuen Schwung. Knapp einen Monat nach dem Treffen gründeten fünf Männer und zwei Frauen Ende Februar 1978 in der „Osteria No. 1“, einem Lokal italienischer Genossen, den Verein „Freunde der alternativen Tageszeitung e.V.“.5 3 Arnulf Rating, Die Anstifterin, in: Irene Moessinger, Berlin liegt am Meer, Berlin 2018, S. 436. 4 Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), Ministerium für Staatssicherheit (MfS) – HA XXII, Nr. 373, Teil 2, Bl. 310.

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Etliche Gründer*innen der taz – die Ökologieredakteurin Ute Scheub, die Auslandsredakteure Stefan Schaaf und Andreas Rostek, ich selbst und andere – waren im Jahr 1955 geboren. Vier, fünf waren ältere Achtundsechziger. Kaum jemand hatte Kinder. Gewohnt wurde in billigen Altbauwohnungen. Wir warfen uns mit aller Kraft in das Projekt tageszeitung. Projekt nannten wir es, weil wir ebenso große wie berechtigte Zweifel hatten, ob die Gründung gelingen würde. Und weil wir eine radikal andere Zeitung machen wollten. Weg mit der Objektivität, weg mit dem „bürgerlichen Journalismus“. Eine Reise mit unbekanntem Ziel, eine strapaziöse Reise. Der Frankfurter Layouter Johannes Beck, damals 18 Jahre alt, beschrieb die Produktion der vierten Nullnummer als „große Fertigmache, die Akkumulation von Sachzwängen“.6 Es gab keinen eingespielten Produktionsplan. Der Redaktion fehlten Erfahrungen und Strukturen, also wurde unaufhörlich über notwendige Strukturen diskutiert. Die Redaktion war nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen, die Setzer*innen und Layouter*innen saßen beschäftigungslos herum. Irgendwie klappte es schließlich doch: „Dieter hat wohl noch nie so große Augen gehabt und Joachim sah aus, als würde er jeden Moment losheulen. Andere wirkten eher wie zwei Tage Dünnbier mit Lebertran.“7 Die Produktion der Nullnummern war streckenweise ein kollektiver Psychotrip. „Ich habe meinen Sarkasmus entwickelt, habe Leute mies angemacht, was ich eigentlich nicht wollte, und – das ist der Hammer! – ich habe mich nicht einmal besonders toll dabei gefühlt“, resümierte Johannes Beck. Am Ende aber stand ein Happy End: „Allgemeine Euphorie, wie immer wenn die Zeitung gerade da ist.“ Es gab radikale Ideen. Die Münchner taz-Aktivisten wollten die Redaktion auf eine permanente Reise schicken. Damit sich keine Machtstrukturen entwickeln konnten und der Kontakt zur Basis erhalten bliebe, sollte die Zentralredaktion alle paar Wochen umziehen. Von Frankfurt nach München, dann nach Hamburg und Berlin. Daraus wurde natürlich nichts. Als die Frage der Entlohnung der Mitarbeitenden diskutiert wurde, waren zwei Dinge schnell Konsens. Erstens würde ein Einheitslohn gezahlt wie schon bei Christian Ströbele und seinem 1969 gegründeten Sozialistischen Anwaltskollektiv. Zweitens könne der nur sehr bescheiden sein. Alle sollten, unabhängig davon, in welchem Bereich sie welche Arbeit taten, das Gleiche bekommen. 650 D-Mark netto monatlich, bald 800 D-Mark. In den ersten taz-Arbeitsverträgen sind großzügige 30 Tage Urlaub eingeräumt. Dort heißt es auch: „Die Arbeitszeit beträgt grundsätzlich 35 Stunden pro Woche“, ausgenommen die Arbeit im Satz: Vor den Bildschirmen sollte nur 4 Stunden gearbeitet werden. In Wirklichkeit arbeiteten manche bis zu 60 Stunden die Woche – freiwillige Selbstausbeutung. Ein eindrucksvolles Dokument der Arbeitsverhältnisse in der frühen taz findet sich im Archiv von Christian Ströbele, ein Bericht eines Marketingexperten, der nach einem Monat der Erarbeitung eines Konzepts zur Werbung für die Zeitung entnervt 5 Michael Sontheimer und Peter Wensierski, Berlin. Stadt der Revolte, Berlin 2018, S. 205. Und: Michael Sontheimer, Wie alles anfing, in: 40 Jahre taz. Das Buch, Berlin 2018, S. 15. 6 Johannes Beck, Der diskrete Charme der Zentralredaktion oder so, in: Dieses Objekt uns’rer Begierde. Die Tageszeitung, Diskussionspapiere & Leserbriefe, Sumpfverlag, Frankfurt am Main 1979, S. 63–66. 7 Ebd.

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aufgegeben hatte: Harald Pfeffer, einer der Mitinitiator*innen von Tunix.8 In der Ein­leitung heißt es: „die taz ist ein grosses nur sinnwidrig systematisierbares sammelsurium von unkoordinierten einzelaktivitäten.“ Die Zeitung „ein erstaunliches zufallsprodukt“. Pfeffer schrieb sichtbar entnervt: „bestimmend für die arbeit der einzelnen ist nur in seltenen fällen die ‚höhere idee der taz‘ selbst, meist geht’s in traditioneller linker manier nach dem ‚bockprinzip‘.“ Da war etwas dran. Entsprechend dem Bonmot über die DDR „Wenn die Arbeiter das Sagen haben, schaffen sie die Arbeit ab“ war der Einsatz bei manchen in der taz sehr bescheiden, das Lustprinzip stark ausgeprägt. Der frustrierte Marketing-Mann Pfeffer stellte fest: „es wird ungeheuer viel diskutiert in der taz, aber mit wenig effekt.“ Das Ende der irgendwann redundanten Diskussionen sei „dadurch gekennzeichnet, dass es langweilig wird; überzeugt ist nach wie vor jeder von seiner eigenen position. trotzdem wird ein beschluss eher unwidersprochen und muffelig hingenommen, als gefasst.“ Alle, die nicht mit dem Beschluss einverstanden waren, versuchten anschließend, ihn zu hintertreiben. Das Chaos, die schwer durchschaubaren informellen Hierarchien, das ganze strukturarme Fluidum des Kollektivs brachte die meisten taz-Mitarbeitenden dazu, Durchhalte- und Überlebensstrategien zu entwickeln: „ein tazler findet immer einen weg, uninteressantem auszuweichen, unangenehmes zu vergessen, missliebige termine zu versäumen; und er findet immer eine allerliebste ausrede. spezialist und beispielhaft in dieser hinsicht ist der computer-horst. Wenn ihm was nicht passt, so hört er einfach nicht mehr zu. wie neben einem oberarzt steht man plötzlich neben ihm in bittstellerpose, horst aber hört nicht. tritt man ihm dann mit wucht auf die füsse, so erschrickt er wie ein ertapptes kind und wird in widerwärtiger manier bereitwillig. im übrigen ist das verhalten von horst bekannt und das allgemeine gegenmittel: man redet nicht mehr mit ihm.“9 Computer-Horst war sozial einfach nicht kompatibel und verließ bald die taz. In der ätzenden Analyse von Harald Pfeffer fanden sich auch versöhnliche Töne: „so handwerkelt die zentralredaktion vor sich hin, die tägliche taz immer wieder als zufallsprodukt bewundernd. tatsächlich kann niemand sagen, wie die taz zustandekommt, da es aber an nichts anderem als der ‚gemeinsamen‘ arbeit liegen kann, fühlt man sich allgemein geehrt, wichtig und unersetzlich und macht in der alten weise weiter.“ Eine „kritik der eigenen arbeit“ fände leider nicht statt. Noch härter als die Strukturdebatten wurden die politischen Diskussionen in der taz geführt. Denn auch unter undogmatischen Linksradikalen gab es jede Menge Kontroversen. Ein Stasi-Offizier vermerkte zur politischen Ausrichtung des Blattes, dass es im „Anhängerpotential“ sehr gegensätzliche Auffassungen gebe; zwischen „gewaltsame Aktionen befürwortenden bzw. durchführenden Kräften, insbesondere anarchistisch orientierten so genannten Gewaltspontis und Sympathisanten anarcho-terroristischer Organisationen und Gruppen, sowie Vertretern der undogmatischen ‚Neuen Linken‘, welche terroristische Aktivitäten ablehnen und eine alternative und pluralistische Sammlungsbewegung mit parlamentarischem Anstrich anstreben (z.B. im Rahmen der Alternativen Liste Westberlin)“.10 8 Harald Pfeffer, Nobodys blues but mine. Unveröffentlichter Bericht, Berlin 1979. 9 Ebd. 10 BStU, MfS – HA XXII, Nr. 373, Teil 2, Bl. 310.

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Zwischen Projekt und Bartleby: Tunix im Widerspruch

Nachträgliche Überlegungen zur vorweggenommenen Nachträglichkeit der 1990er Jahre Sabeth Buchmann

Über die künstlerischen Aktivitäten in den 1990er Jahre zu schreiben hat neben ihrem Gegenstand – die Verbindung von Kunst-, Ausstellungspraxis, Theorie („shared knowledge“), politischem Aktivismus und Nischenökonomie in Gestalt so genannter Projekte – einen evokativen Charakter: Reminiszenz oder Reaktivierung? Oder etwas dazwischen, denn auch wenn viele Orte von „damals“ verschwunden sind, so sind viele der im Rahmen kollektiver Formationen in den 1990er Jahren praktizierten Arbeits- und Diskursformen nicht aus der Welt: Das Kunst-Machen – als Motivation, Bestandteil oder Ausweitung von Kontextproduktion durch das Betreiben von Bars, Clubs und Läden, das Produzieren von Magazinen und Videos oder das Organisieren von Performances und Konferenzen – ist dazu angetan, einen sich der eigenen Widersprüche stellenden Blick auf die (Selbst-)Einbindung in eine prekarisierte Ökonomie reflexiv zu schärfen. Wenn in diesem Zusammenhang von „Projektekultur“ die Rede ist, dann, weil sie für kollektiv organisierte Praktiken steht, die damals dabei waren, die Konzeption von „Künstlerschaft“ – nicht nur der Künstler*in, sondern auch der Künstlergruppe – zugunsten temporärer Arbeitsformen zu ersetzen: Formen, die heute etwas akademisierter „Case Studies“ oder etwas genrefixierter „urbaner Aktivismus“ heißen und die ihre zweifelsohne US-amerikanisch geprägten Vorbilder in Ausstellungsund Publikationsformaten wie jenen von Martha Roslers (If you lived here) und von Group Material hatten: Gegenstand war unter anderem die Berliner Stadt- und Immobilienpolitik, die bekanntlich die Interessen der Investor*innen, aber nicht die der Bewohner*innen vertritt und die mit neuen, den so genannten Wohlfahrtsstaat sukzessive aushöhlenden Formen der sozialen Ausgrenzung und Verdrängung, mithin der so genannten Gentrifizierung einhergingen. Eine in diesem Zusammenhang relevante Zeiterscheinung war und ist die Synthese von Jugend-, Sub- und Alternativkulturen, die so etwas wie eine „Neue Mitte“-Mentalität (mit-)erzeugt hat und dabei sowohl den Prozess der Verdrängung weiter vorangetrieben hat, gleichzeitig aber auch Plattform für die Artikulation der Kritik an der Gentrifizierung war und ist. Die Frage ist nur, ob damit alles über die Projektekultur der 1990er Jahre gesagt ist oder in welchen ihrer bis heute andauernden, dabei modifizierten Formen sich Ansatzpunkte sowohl für eine kritische Perspektive auf Stadtentwicklung als auch auf heutige Arbeits- und Produktionsformen finden lassen. Wie Annette Maechtel in ihrer in diesem Zusammenhang instruktiven Dissertation Das Temporäre politisch denken. Raumproduktionen im Nachwende-Berlin am Beispiel von Botschaft e.V. (1990–1996) zeigt,1 hat sich die Projektekultur, also die 1 Annette Maechtel, Das Temporäre politisch denken. Raumproduktionen im Nachwende-Berlin am Beispiel von Botschaft e.V. (1990–1996), 2018, unveröffentlichtes Manuskript, i.E.

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Kultur des Arbeitens in Projekten, von vornherein als ein temporäres Geschehen begriffen, das darauf ausgerichtet war, Freiräume entweder im buchstäblichen, das heißt raumbezogenen, oder im übergreifenden, das heißt im übertragenen Sinn, zu nutzen, um alternative Modelle des Sozialen als Modelle non-territorialer Selbst­ organisation denkbar zu machen. Diese Projektekultur richtete sich gegen gängige institutionelle Hierarchien, wie sie sich etwa im Verhältnis von Kurator*innen, Galerien, Künstler*innen und Vermittler*innen manifestierten, und gegen damit einhergehende Arbeitsteilungen. Gleichzeitig etablierte sich im Rahmen dieser Produktionsweise aber auch eine auf Multitasking beruhende Arbeitsstruktur, die als ein Symptom von und Reaktion auf Prekarität betrachtet werden kann, welche durch die Ausweitung neoliberaler Organisationsformen hervorgebracht und/oder verstärkt wurde. Die mehr oder weniger erfolgreichen, dabei nicht selten an dominanzgesellschaftlicher Verfasstheit gescheiterten Entwürfe egalitärer Gruppenstrukturen sind dabei ihrerseits Ausdruck einer neuen Interdisziplinarität, die (nicht nur) für die Projekte der 1990er Jahre entscheidend war. Die Gründe für diesen Bedeutungsgewinn der Interdisziplinarität sind vielfältig, zum Teil spielen die gesellschafts- und globalpolitischen Umbrüche, wie sie vor, mit und nach 1989 zu Tage traten, eine Rolle, aber auch die Veränderungen in den Informations- und Kommunikationstechnologien im Sinne einer Art „general social technique“.2 Zudem brachte die wachsende Popularität von Cultural, Gender und Postcolonial Studies sowie von Sozialwissenschaft, Architektur- und Urbanismustheorien eine Akademisierung bzw. ein auf Wissensproduktion ausgerichtetes Umdenken künstlerisch-politischer Denk- und Praxisformen mit sich. Die funktionale Ausdifferenzierung und gelegentliche Überlagerung von Kunst- und Wissensproduktion fand jedoch nicht erst im Rahmen der Projektekultur der 1990er Jahre statt, sondern wurde bereits durch die Konzeptkunst der 1960er und 1970er Jahre vorweggenommen, an die sich die Kontextkunst und Institutionskritik der 1980er und 1990er Jahre anschloss. Der Aufbau dezentraler, das heißt am Rande oder außerhalb des Galerien- und Museumsbetriebs situierter nischenökonomischer Vermittlungs- und Vertriebsstrukturen, die für die institutionskritische Haltung der 1968er und ihrer postrevolutionären Nachfolgeprojekte charakteristisch ist, wird in der so genannten Netzkultur der 1990er Jahre ihr Pendant finden. So lässt sich ausgerechnet in der zeitlichen Limitiertheit von Projekten, das heißt in konzeptiven Provisorien, ein Moment von künstlerischem und politischem Beharrungsvermögen entdecken: buchstäblich vor allem dort, wo solche Projekte zum konkreten Ausdruck jener Zwischennutzung wurden, die sie zwangen, stets ihre eigenen Grenzen und damit auch die Bedingtheit von kultureller Repräsentation mitzudenken. So steht laut Maechtel Zwischennutzung für die Möglichkeit „temporärer Raumproduktionen“, die sich in Berlin vor allem Mitarbeiter*innen der Wohnungsbaugesellschaft Mitte und des Senats verdankte, die in der DDR sozialisiert worden waren.3 Mit Zwischennutzung ist die Umwidmung leerstehender Lokalitäten zu kollektiv und divers genutzten Räumlichkeiten gemeint, deren Verwertung im Rahmen der fraglos neoliberalen Berliner Immobilienpolitik von Anbeginn absehbar war. 2 John Roberts, Art After Deskilling, in: Historical Materialism, Heft 2, 2010, S. 77–96, hier S. 78. 3 Maechtel, Das Temporäre politisch denken.

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Zwischennutzung kann aber auch – im übertragenen Sinne – als Produktionsform verstanden werden, die eine Affinität zum Versuchshaften, Noch-Unerprobten aufweist: Damit sind ephemere, aktivistische Interventionen, Theorieveranstaltungen und situative Ausstellungen gemeint, die nur einen Tag oder einen Abend lang in Off-Spaces, Clubs oder Buchläden stattfinden. Diese performativen Präsentations­ formate, wie sie in Berlin in den 1990er Jahren zu sehen waren, haben das Provisorische betont und dabei oftmals den Anschein erweckt, dass sie noch im Prozess des Planens, Machens, Ausprobierens und Aushandelns stecken. Zudem galt das Denken in „Werk“-Kategorien als altbacken und kommerziell und damit einhergehende Genrekategorien – Malerei, Skulptur, Fotografie, Film/Video oder Performance – waren in den frühen 1990er Jahren eher verpönt. Stattdessen zeichneten sich Projektausstellungen eher durch Mischformen aus, wobei szenographische Präsentationsweisen aus Bild-Text-Montagen, aus dokumentarischen Formaten und theatralen Darbietungen den Ton angaben. Das hatte auch damit zu tun, dass für viele Künstler*innen die sichtbare Reflexion techno-medialer Determinierungen und Normierungen des Ästhetischen sowie der Rolle von Sprache und Kultur für die Subjekt- und Identitätsbildung wichtig war. Wenn im Zusammenhang mit der Projektekultur von „Kunst als sozialer Praxis“ die Rede war und ist, dann deshalb, weil sie in der Tradition der Kritik an einem Autonomiebegriff der Kunst steht, der kreatives Schaffen auf den Ausdruck subjektiven Geschmacks, individueller Handschrift, auktorialer Biographie und spezifischer Handwerklichkeit reduziert. Ein solches Konzept von ästhetischer Autonomie stellt gleichsam das Gegenteil der Projektekultur dar. Sie muss vielmehr in Anlehnung an die damals populäre, dabei vor allem auf Pierre Bourdieu verweisende Definition von Kunst als gesellschaftlicher Institution als Ausdruck eines zugleich sozio-kulturellen und polit-ökonomischen Strukturwandels gesehen werden, der Begriffe des Künstlerischen und Ästhetischen gleichermaßen betraf. Diese Transformation zeigt sich auch darin, dass die Bild- und Objektsprachen heute wieder offener gegenüber Kategorien des Werks sind. Es lassen sich viele Beispiele für zeitgenössische Kunstwerke finden, die sich dem Gestus der Improvisation oder Probe, der Versuchsanordnung oder des Provisoriums bedienen und somit den modularen Charakter der Projekte fortschreiben. Es wäre zu einfach – oder besser: Es war oft zu einfach – nur Kant’sche oder adornitische Autonomiebegriffe, denen zufolge der Zweck der Kunst in ihrer Zwecklosigkeit oder in der Zweckentfremdung des Zweckhaften liege, auf philosophischer Ebene widerlegen zu wollen; dies haben ohnehin bereits die politisch aktiven Künstler*innen und Theoretiker*innen um und nach 1968 mit mehr oder weniger Erfolg getan. Die im Rahmen der Projektekultur vonstatten gegangene Dezentrierung und Partikularisierung des Autonomiebegriffs war auf jene situationsspezifischen, sprich: immer nur temporären Mischungen aus künstlerischen und sozialen Praktiken gemünzt, in denen hehre Emanzipationsbegriffe durch Begriffe des Spielraums und der Handlungsfähigkeit ersetzt wurden. Die (postmoderne) Vorliebe für fake identities und fiktive Labels zeigt, dass und in welchem Maße hergebrachte ordnungsgesellschaftliche Institutionen zum Horizont künstlerisch-sozialer Parodie und/oder Transformation erhoben wurden: Sammlung Brinkmann (Düsseldorf/ Berlin), Botschaft e.V. (Berlin), BüroBert (Düsseldorf/Berlin,) Klasse2 (eine aus der 76


freien Klasse an der Universität der Künste, damals noch Hochschule der Künste, hervorgegangene Gruppe), sind nur einige Beispiele hierfür. Solche Formationen standen für eine programmatisch uneindeutige Insider-Outsider-Politik, das heißt für eine Pseudo-Instituierung gegebener Formate unter dem Vorzeichen kollektiver und/oder kollaborativer Produktionsstrukturen. Seit Ève Chiapellos und Luc Boltanskis Rede von der „projektbasierten Polis“ als Ausdruck einer postfordistischen Reorganisation künstlerischer Arbeit, die nach Meinung der beiden Soziolog*innen maßgeblichen Anteil am Primat des kreativen, alle menschlichen Ressourcen akkumulierenden Selbstunternehmertums hat, sind inzwischen fast 20 Jahre vergangen.4 Das führte in den 2000er Jahren dazu, dass die in die Kritik geratenen Projektbetreiber*innen eine Mischung aus Scheiter- bzw. Schuldgefühl und übersteigerten Relevanzansprüchen entwickelten: so als seien sie tatsächlich die Avantgarde der neuen, sprich: neoliberalen Ökonomie und als käme der erweiterten Kunstpraxis hierbei eine essentielle, weil (mono-)kausale Funktion zu. Bezeichnenderweise übergeht Der neue Geist des Kapitalismus die Weise, in der Künstler*innen und andere Projektebetreiber*innen zu diesem Zeitpunkt die komplizitäre Rolle der künstlerischen Sozialkritik längst zum Gegenstand ihrer Selbstuntersuchungen und entsprechender Gegenstrategien gemacht hatten: Die Bedeutung, die den temporär gedachten Konzepten der Orts- und Kontextspezifik, des Spielraums und der Handlungsfähigkeit zukam, war ja bereits Ausdruck der Erkenntnis, dass der Begriff der Kreativität falsche Versprechungen auf individuelle Selbstverwirklichung5 weckt und jede Intervention in die bestehenden, exkludierend-hierarchischen Sozialstrukturen deren Modernisierung, nicht aber deren Überwindung bewirkt. Der von der Berliner Künstlerin Judith Hopf geprägte, auf die Überlappungen von sozial erweiterter Kunst und Kreativindustrie gemünzte Begriff der Vorhölle spricht in diesem Zusammenhang Bände. Es lohnt hier übrigens, das Wort Vorhölle ernst zu nehmen, handelt es sich hierbei doch weder um eine kleine, harmlose Hölle noch um eine Vorform der Hölle: Der Limbus, so die theologische Bezeichnung für Vorhölle, ist vielmehr ein Zustand des ziellosen Wartens, der lähmenden Zeitlosigkeit, der leerlaufenden Produktivität. Zwischenlösungen laufen immer auch Gefahr, abzustumpfen gegenüber einer Ökonomie, die von der Affirmation des Provisoriums lebt (Stichwort Wowereit: „arm, aber sexy“.) Mehr noch: Im Begriff der Vorhölle zeigt sich die Skepsis und Selbstrelativierung hinsichtlich „avantgardistischer“ Selbstbefreiungsemphasen. Wenig verwunderlich, dass Bartleby, Hauptfigur in Herman Melvilles gleichnamiger Erzählung, Ende der 1990er Jahre ein Revival erlebte. Das mantragleiche „I prefer not to“ Bartlebys, das im Zentrum einer Doku-Fiction-Parodie über Kreativunternehmen von Judith Hopf und Stephan Geene steht,6 vereint Unvereinbares: die Verweigerung, die Anordnungen des Chefs zu befolgen und zu arbeiten, mit der Verweigerung, den Arbeitsplatz, also den Ort der Vergesellschaftung, zu verlassen. Der Film zeigt Herman Melvilles Bartleby nicht als Anarchisten, der sich außerhalb von Vergesellschaftungs- und Ausbeutungsverhältnissen positioniert, sondern als jemanden, dem „gute, kritische Produktivität“ kein Begriff und damit wesensfremd 4 Luc Boltanski und Ève Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus [1999], Konstanz 2003. 5 Vgl. Marion v. Osten und Peter Spillmann: Be Creative! Der kreative Imperativ, Zürich 2003. 6 Judith Hopf und Stephan Geene, Bartleby, 1999, 19 Min.

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Stephanie Arzt, Lachyogaleiterin nach Dr. Madan Kataria, lebt und lacht in Berlin. Lothar Baumgarte, Lichtdesigner, lebt in Berlin. Elisa T. Bertuzzo, Stadtsoziologin, lebt in Berlin. Barbara Bohl, Heilpraktikerin mit Schwerpunk Akupunktur, Projektleitung und Organisation im HeileHaus, Berlin. Sabeth Buchmann, Kunsthistorikerin und -kritikerin, Berlin/Wien. An-Chi Cheng, Kulturschaffender, promoviert im Promotionskolleg Art Education der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zur Geschichte des Instituts für Kunst im Kontext der Universität der Künste Berlin. Franziskus Claus ist Schauspieler und lebt in Berlin. Martin Conrads Dozent an diversen Hochschulen; freier Autor, Lektor und Vermittler. Gründungsmitglied des Berliner Kunstvereins „luxus cont.“, Gründungsmitglied beim Berliner Netzradiokollektiv „convex tv.“, Gründungsmitglied von mikro e.V. Hans-Christian Dany lebt in Hamburg und schreibt am Morgen. Zuletzt erschien sein Buch MA-1. Mode und Uniform, Edition Nautilus, Hamburg 2018. Katja Diefenbach, Theoretikerin, b_books, Berlin. Nikola Duric ist Regisseur und lebt in Hamburg. Annette Cornelia Eckert, Malerin, Journalistin und Autorin, Mitgründerin der Courage, Alexander-Technik-Lehrerin, lebt in Berlin. Birgit Effinger, Kunstwissenschaftlerin, freie Projektemacherin in Sachen Kunst und Kultur, Autorin, Berlin. Birgit Eusterschulte, Kunsthistorikerin und Kuratorin, lebt in Berlin. Tashy Endres ist Architektin, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität der Künste Berlin und seit vielen Jahren in unterschiedlichen stadtpolitischen Gruppen aktiv. Anina Falasca, Historikerin, Berlin. Bernd Frank, Grafiker, 1970 bis 2002 an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, bis 2007 Professor an der HAWK – Hochschule für angewandte Kunst und Wissenschaft Hildesheim/Holzminden/Göttingen. Vera Gaserow, nach Tunix als Mitbegründerin 13 Jahre bei der taz, danach Journalistin u.a. bei Die Zeit und Frankfurter Rundschau in Berlin. Konny Gellenbeck, taz- Mitarbeiterin, Vorstand taz-Panter-Stiftung, reiste 1978 von Münster zum Tunix-Kongress nach Berlin, lebt in Berlin.

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Ulrich Gutmair ist Kulturredakteur der taz

und lebt in Berlin. Thomas Hartmann, Mitbegründer der taz,

früher Journalist, jetzt Projektleiter „tazReisen in die Zivilgesellschaft“. Das Helmi ist ein Puppentheaterkollektiv, benannt nach seinem Geburtsort, dem Helmholtzplatz in Berlin. Dieter Hoffmann-Axthelm, Planer und Publizist, zuletzt erschien Hochhaus und Gemeinschaft. Zum Erbe der Moderne, Berlin 2018. Helmut Höge, Journalist und Schriftsteller, war 1978 beim Tunix-Kongress, lebt in Berlin. Claudia Hummel, Dozentin am Institut für Kunst im Kontext der Universität der Künste Berlin, Berlin. Çiğdem Inan, Soziologin, b_books, Berlin. Christa Kamleithner, Kulturwissenschaftlerin, lebt in Berlin. Felix Klopotek, Journalist und Autor, lebt in Köln. Stephanie Kloss, Bildende Künstlerin, lebt in Berlin. Gertrud Koch, Filmwissenschaftlerin, Professorin für Filmwissenschaften an der Freien Universität Berlin, lebt in Berlin. Dorothea Kolland, Musik- und Kulturmanagerin, Kulturamtsleiterin a.D., lebt in Berlin. Jana König, Historikerin, promoviert in Berlin / Bochum zu Krisen der deutschen Linken im Kontext von „Deutscher Herbst“ und „Wiedervereinigung“, lebt in Berlin. Stefan König, Rechtsanwalt, Strafverteidiger, Honorarprofessor an der Universität Göttingen, Mitinitiator von Tunix, lebt in Berlin. Markus Krajewski, Kulturwissenschaftler und Medienhistoriker, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Basel. Nina Kronjäger ist Schauspielerin und Produzentin, lebt in Berlin. Diethard Küster, Regisseur, Produzent, Autor, Mitinitiator von Tunix, lebt in Berlin. Tom Lamberty, Digitalisierungsexperte bei Cisco Systems und Geschäftsführer des MerveVerlags, lebt in Naumburg an der Saale. Heimo Lattner, Künstler, Autor und Verleger, lebt in Berlin. Gert Levy, Gestalt-, Sucht-, und Traumatherapeut und Heilpraktiker Psychotherapie, lebt in Köln. Isabell Lorey, politische Theoretikerin am European Institute for Progressive Cultural Policies (eipcp), Mitherausgeberin von transversal texts, lehrt Queer Studies an der Kunsthochschule für Medien Köln. Annette Maechtel, freie Kuratorin, Kunst-/ Kulturwissenschaftlerin, lebt in Berlin. Luise Meier ist Autorin und lebt in Berlin.


Angela Melitopoulos, Medienkünstlerin, lebt

Hans-Christian Ströbele, Rechtsanwalt, lang-

in Berlin.

jähriger direkt gewählter Bundestagsabgeordneter der Grünen für Friedrichshain-Kreuzberg und Prenzlauer Berg-Ost, Mitbegründer der Tageszeitung taz, lebt in Berlin. Klaus Trappmann, Mitbegründer der Schule für Erwachsenenbildung, lebt in Berlin Margarita Tsomou ist Kuratorin, Autorin, Verlegerin, Dramaturgin, sie gehört dem Verlagskollektiv b_books sowie der künstlerischen Aktivist*innengruppe Schwabinggrad Ballett an, ist Mitherausgeberin des pop-feministischen Missy Magazines und kuratiert ab Januar 2019 das diskursive Programm des HAU Hebbel am Ufer. Annemie Vanackere, Intendantin und Geschäftsführerin des HAU Hebbel am Ufer. Julia Wigger, Historikerin, lebt in Berlin. Andy Wolff, Mitglied des Kollektivs der Regenbogenfabrik in Berlin-Kreuzberg, lebt in Berlin. Florian Wüst, Filmkurator, Künstler, Verleger, lebt in Berlin.

Barbara Meyer, Bildungsaktivistin und

künstlerische Leiterin des Kunstlabors S 27 – Kunst und Bildung, Berlin. Guillaume Paoli, Philosoph und Autor, zuletzt erschien: Die lange Nacht der Metamorphose, Matthes & Seitz, lebt in Berlin. Kathrin Peters, Professorin für Geschichte und Theorie der visuellen Kultur an der Universität der Künste Berlin. Sibylle Plogstedt, Journalistin und Mitbegründerin der feministischen Zeitschrift Courage, lebt in Dannenberg. Eva Quistorp, Mitglied des Europäischen Parlaments a.D., Autorin, Mitbegründerin der Frauen-Friedens-und Umweltbewegung und Grünen, Aktivistin bei Tunix mit Frauen-ÖkoZelt, lebt in Berlin. Sven Reichardt ist Historiker und Professor für Zeitgeschichte an der Universität Konstanz. Cord Riechelmann, Biologe, Philosoph, Autor und Journalist, war 1978 beim Tunix-Kongress, lebt in Berlin. Janine Sack, Verlegerin, Art-Direktorin und Dozentin. Zuletzt Neugestaltung der taz. E-Book-Verlag „EECLECTIC – Digital Publishing for Visual Culture“. Angelika Sautter ist Schauspielerin und lebt in Berlin. Elisabeth Schäfer lebt und arbeitet als Philosophin in Wien. Peter Schmidt gained his Diploma in physics in Aachen. He pursued to Vienna, where he obtained his Master of Science from the Postgraduate Studio Urban Strategies University of Applied Arts. He worked for several independent bookstores until he founded the bookstore and distributor Books People Places together with his wife Maria Mora in Berlin Schöneberg. Enrico Schönberg, Initiative Stadt von Unten, Berlin. Schwabinggrad Ballett/Arrivati ist ein Hamburger Agitprop-Kollektiv, aus RefugeeKämpfen entstanden und beschäftigt sich mit seiner zwischen Punk, Afro, Elektro, Jazz und Noise oszillierenden Musik unter anderem mit Solidarität. Thomas Seibert, Philosoph und Autor, lebt in Frankfurt am Main. Uwe Sonnenberg, Historiker, arbeitet für die Rosa- Luxemburg-Stiftung in Berlin. Michael Sontheimer, Historiker und Journalist, war an Tunix beteiligt, Mitbegründer der taz, lebt in Berlin. Katja Steuer ist Schauspielerin und lebt in Berlin.

Selbstverwaltetes Jugendzentrum Drugstore, www.drugstore-berlin.de Stadt von Unten, https://stadtvonunten.de/ Staub zu Glitzer, https://staubzuglitzer.de/ Kotti & Co, https://kottiundco.net/ Kunstblock and beyond,

www.facebook.com/KunstblockB/

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Unter dem Druck des Ereignishaften entstehen blinde Flecken, alternative Sichtweisen und Erzählungen bleiben verborgen, Texte und Bilder unveröffentlicht, das Verschwinden von Orten undokumentiert. Die Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt sind eine fortlaufende Reihe kleiner Publikationen, die künstlerische, essayistische und aktivistische Praxen miteinander verbinden. Die Hefte thematisieren die sozialen, kulturellen und ökonomischen Veränderungen in Berlin und anderen Städten, und greifen in die stadtpolitischen Debatten sowohl historisch reflektierend wie aktuell informierend ein. Die Berliner Hefte verstehen sich als ein Produktionszusammenhang, der unterschiedlichen Autor*innen und Herausgeber*innen offensteht und das analoge und digitale Publizieren in Veranstaltungs- und Ausstellungsformate einbezieht.


Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt #7 Wiedersehen in TUNIX! Ein Handbuch zur Berliner Projektekultur Anina Falasca, Annette Maechtel, Heimo Lattner (Hg.) Dezember 2018 Texte: Ulrich Bröckling, Sabeth Buchmann, Birgit Eusterschulte, Anina Falasca, Christa Kamleithner, Felix Klopotek, Jana König, Stefan König, Heimo Lattner, Annette Maechtel, Sibylle Plogstedt, Sven Reichardt, Thomas Seibert, Michael Sontheimer, Julia Wigger Bildstrecke: Stephanie Kloss Lektorat: Karolin Nedelmann, text-arbeit.net Korrektorat: Helen Bauerfeind, lektorat-bauerfeind.de Recherche: Birgit Effinger Gestaltung: Anna Voswinckel E-Book-Erstellung: Lena Appenzeller Titelbild: Tunix-Kongress 1978 (Ausschnitt), Foto: Rainer Meißle Erschienen bei: EECLECTIC, contact@eeclectic.de, eeclectic.de © die Autor*innen, die Fotograf*innen, die Herausgeber*innen, Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt e.V. und EECLECTIC ISBN 978-3-947295-23-4 (epub) ISBN 978-3-947295-24-1 (pdf) Druckfassung erschienen bei: Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt (Valeria Fahrenkrog, Joerg Franzbecker, Erik Göngrich, Heimo Lattner, Katja Reichard, Ines Schaber, Florian Wüst), berlinerhefte.de ISBN: 978-3-946674-06-1 Vertrieb Druckfassung: Books People Places, Kulmer Straße 20a, D-10783 Berlin, +49-30-23633447 distribution@bookspeopleplaces.com, bookspeopleplaces.com Die Herausgeber*innen danken Pascal Jurt, Aenne Quiñones, Sarah Reimann, Anna Krauß, Susanne Görres, Diethard Küster, Michael Sontheimer, Annette Cornelia Eckert, Helke Sander, Valeria Fahrenkrog, Florian Wüst, neue Gesellschaft für bildende Kunst und Rainer Meißle.


Produziert anlässlich der Veranstaltung Wiedersehen in TUNIX! Eine Revision der Berliner Projektekultur 1./2. Dezember 2018 HAU Hebbel am Ufer Stresemannstraße 29 10963 Berlin Konzeption: Heimo Lattner, Annette Maechtel Koordination: Birgit Effinger Licht: Lothar Baumgarte Grafik Transparente: Bernd Frank mit: Stephanie Arzt, Lothar Baumgarte, Elisa T. Bertuzzo, Barbara Bohl, An-Chi Cheng, Franziskus Claus, Martin Conrads, Hans-Christian Dany, Katja Diefenbach, SJZ Drugstore, Nicola Duric, Annette Cornelia Eckert, Birgit Effinger, Tashy Endres, Bernd Frank, Vera Gaserow, Konny Gellenbeck, Ulrich Gutmair, Thomas Hartmann, DAS HELMI Puppentheater, Dieter Hoffmann-Axthelm, Helmut Höge, Claudia Hummel, Çiğdem Inan, Christa Kamleithner, Felix Klopotek, Stephanie Kloss, Gertrud Koch, Dorothea Kolland, Kotti & Co, Stefan König, Markus Krajewski, Nina Kronjäger, Kunstblock and beyond, Diethard Küster, Tom Lamberty, Heimo Lattner, Gert Levy, Isabell Lorey, Annette Maechtel, Luise Meier, Angela Melitopoulos, Barbara Meyer, Guillaume Paoli, Kathrin Peters, Eva Quistorp, Sven Reichardt, Cord Riechelmann, Janine Sack, Angelika Sautter, Elisabeth Schäfer, Enrico Schönberg, Peter Schmidt, Schwabinggrad Ballett/ Arrivati, Schwarze Risse, Thomas Seibert, Uwe Sonnenberg, Michael Sontheimer, Stadt von Unten, Staub zu Glitzer, Katja Steuer, Hans-Christian Ströbele, Klaus Trappmann, Margarita Tsomou, Andy Wolff, Florian Wüst

In Koproduktion mit dem HAU Hebbel am Ufer

In Projektpartnerschaft mit

Mit freundlicher Unterstützung von

In Medienpartnerschaft mit

Gefördert aus Mitteln des Hauptstadtkulturfonds



Vom 27. bis 29. Januar 1978 kamen zahlreiche Vertreter*innen der undogmatischen Linken auf dem legendären Tunix-Kongress an der Technischen Universität in West-Berlin zusammen. Rund 20.000 Menschen waren der Einladung zu einem „Treffen all derer, denen es stinkt in diesem, unserem Lande“, gefolgt – gemäß der Parole: „Wir hauen alle ab! Zum Strand von TUNIX!“. In einer Atmosphäre von Diskussion, Aktion und Party fanden lebhafte Debatten statt, u.a. zu alternativer Energiegewinnung, selbstverwalteten Jugendzentren, Neonazis in der Bundesrepublik, Feminismus und Ökologie, ‚neuer‘ Theorie aus Frankreich, zum Überleben im Stadtteil, zu linken Buchhandlungen und Kneipen. Das Treffen in Tunix war ein Nährboden für neue Projektformen. Es ging um erreichbare Ziele. Der Begriff des Projekts stand dabei für Vernetzung, Beweglichkeit und Selbstbestimmung. Die emanzipa­ torischen Ansätze umfassten gleichermaßen die Kritik an etablierten Institutionen, den Wunsch nach Befreiung aus engen politischen Strukturen und den Aufbau neuer Handlungs(spiel)räume. Seither hat sich der Projektbegriff verändert – das Projekt selbst ist als Arbeitsund Organisationsform zum neoliberalen Leitbild geworden. 40 Jahre nach Tunix gilt es, diese Ambivalenz zur Sprache zu bringen und die Projektepraxis auf ihre politischen Anliegen hin zu befragen.


Alle Berliner Hefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt erhältlich als E-Book bei: EECLECTIC –Digital Publishing for Visual Culture www.eeclectic.de

#1

Die Mauerpark-Affäre Heimo Lattner, Judith Laub Was die detaillierte Rekonstruktion der Geschichte des Mauerparks veranschaulicht, findet über den lokalen Kontext hinaus seine Entsprechung an vielen Orten Berlins wie auch in anderen Städten: Es geht um die Grenzen der repräsentativen Demokratie. 104 Seiten (pdf), zahlreiche Abbildungen Mit Fotografien u.a. von Jürgen Henschel und Steffen Osterkamp ISBN 978-3-947295-01-2 (epub) ISBN 978-3-947295-08-1 (pdf) 3,99 EUR Direkt hier kaufen

#2 Die Legende vom Sozialen Wohnungsbau Andrej Holm, Ulrike Hamann, Sandy Kaltenborn Dieses Heft räumt mit Missverständnissen auf und erklärt, warum der Soziale Wohnungsbau in seiner bundesdeutschen und Westberliner Ausprägung eine Legende ist: Statt einer nachhaltigen Wohnraumversorgung für einkommensschwache Haushalte ging es bisher vor allem um Wirtschaftsförderung ISBN 978-3-947295-02-9 (epub) ISBN 978-3-947295-09-8 (pdf) 3,99 EUR Direkt hier kaufen


#3 Marx-Engels-Forum – JA! Erik Göngrich

#4 Gemeingut Stadt Stavros Stavrides, Mathias Heyden

Die Geschichte des Ortes und seine wiederholten Neuverhandlungen, auch im Rahmen des Beteiligungsverfahrens von 2015, werden in diesem Heft zeichnerisch zur Diskussion gestellt: Wie lässt sich ein offenes Gelände – JA, genau darum geht es – an dieser zentralen Stelle erhalten und mit dem Ziel einer ständig wechselnden Nutzung gestalten?

Gemeingüter sind weder etwas, das einfach da draußen existiert, noch sind sie etwas, das – objektiv gesehen – bestimmten Ressourcen oder Dingen innewohnt. Sie sind eine Beziehung zwischen Menschen und den von ihnen kollektiv als essentiell für ihre Existenz beschriebenen Bedingungen“, schreibt Stavros Stavrides, Architekt, Aktivist und Autor von Common Space: The City as Commons.

128 Seiten (pdf), zahlreiche Abbildungen ISBN:978-3-947295-03-6 (pdf) 3,99 EUR Direkt hier kaufen

64 Seiten (pdf), zahlr. Abbildungen, 3,99 EUR ISBN 978-3-947295-04-3 (epub) ISBN 978-3-947295-10-4 (pdf) Direkt hier kaufen Englische Version: City as Commons ISBN 978-3-947295-05-0 (epub) ISBN 978-3-947295-11-1 (pdf) 3,99 EUR Direkt hier kaufen


#5 Zur Verfassung – Recherchen, Dokumente 1989–2017 Elske Rosenfeld, Kerstin Meyer, Joerg Franzbecker (Hg.) Vom Zentralen Runden Tisch der DDR zum Tempelhofer Feld: 1990 galt in Ost-Berlin für ein halbes Jahr eine Verfassung, die weitreichende politische Bürgerrechte enthielt. Diese waren aus den Erfahrungen der Revolution 1989 von den Bürger­ bewegungen und der Opposition am Zentralen Runden Tisch der DDR formuliert worden. 2016 wurde das Volksbegehren „Volksentscheid Retten“ eingeleitet, um die Volks­gesetzgebung in der Verfassung zu stärken. Beide Vorgänge, 1989/90 und 2016, hatten zum Ziel, dass alle Berliner*innen an der Ausgestaltung der Verfassung teilhaben können. 96 Seiten (pdf). Mit einer Bildstrecke von Elske Rosenfeld ISBN 978-3-947295-06-7 (epub) ISBN 978-3-947295-12-8 (pdf) 3,99 EUR Direkt hier kaufen

#6 Zingster Straße 25 Sonya Schönberger Um die Bevölkerung mit dringend benötigtem Wohnraum zu versorgen, setzte die DDR-Regierung ab Mitte der 1950er Jahre auf die industrielle Plattenbauweise. Eine der zuletzt errichteten Großsiedlungen Ost-Berlins ist Neu-Hohenschönhausen. Die auf Interviews basierenden Geschichten dieses Heftes erzählen auf sehr persönliche Weise vom Alltag in der DDR, vom Wechsel der politischen Systeme und von der Gegenwart im wiedervereinten Deutschland. 192 Seiten (pdf) Mit Fotografien von Ulrich Dießner ISBN 978-3-947295-07-4 (epub) ISBN 978-3-947295-13-5 (pdf)3,99 EUR Direkt hier kaufen


Erhältlich als E-Book bei: EECLECTIC Digital Publishing for Visual Culture www.eeclectic.de oder als Buch bei: Books People Places www.bookspeopleplaces.com

Mehr Informationen: BerlinerHefte zu Geschichte und Gegenwart der Stadt www.berlinerhefte.de


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