Das Musikexperiment - 3 Tage ohne Musik - Ein Bericht von Julian aus der egoFM Musikredaktion

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egoFM Musikredakteur Julian im Selbstversuch

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Es sind zwei Wörter … ….auf die sich meine Arbeit hier bei egoFM herunterbrechen lässt. Musik hören. Wenn mich aber ein Freund oder ein Familienmitglied, das ich lange nicht mehr gesehen habe, fragt, was denn jetzt genau mein Job ist und mit hochgezogenen Augenbrauen nachsetzt: „Einfach Musik hören, ja?“, fange ich an mich zu rechtfertigen, „Ja nee, da gehört schon viel mehr dazu!“ Erzähle von Interviews, Konzepten, Konzerten und ende irgendwann damit,

dass all das obere dann in die komplizierte Musikplanung einfließt. „Das ist, wie eine Playlist zu erstellen. Am Ende muss es halt gut klingen.“ „Und woher weißt du, welche Songs zusammenpassen?“. Ich kleinlaut: „Naja, ich… muss sie mir halt vorher anhören.“ Und jetzt soll ich also auf diesen elementarsten Teil verzichten. Drei Tage ohne Musik. Klar, dass das nicht während der Arbeitszeit passieren kann, deswegen wird ein Wochenende vorgeschlagen. „Easy“, denke ich, „da mach ich ja eh ständig was“. Wenn mir die mp3-Playerlose U-Bahnfahrt nach Hause noch keine Warnung gewesen war, so ist es das stumme Frühstück am Samstagmorgen. Klar, am Wochenende hat man was zu tun, aber immer ist überall Musik dabei. Hab ich wohl nicht dran gedacht.

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Am Tisch ist es still… …bis auf meine eigenen ekligen Kau- und Schluckgeräusche. Ich staubsauge extra lange und räume die Wohnung auf. Einkaufen steht als nächstes auf dem Plan. Die Kopfhörer bleiben zu Hause. Im Supermarkt höre ich die erste Musik des Tages. Das steigert meine Laune aber nicht, weil ich jetzt das Gefühl habe, beim Experiment beschissen zu haben. Draußen sein ist doof, weil mich The National, Kendrick Lamar, Chet Faker oder einer ihrer Kollegen nicht wie sonst

begleiten. Es ist erst die Hälfte der Zeit um und ich zweifle langsam an meiner Entscheidungsfähigkeit. Natürlich ist für mich Musik ganz oft auch nur Begleiterscheinung, Hintergrundrauschen. Wenn ich all die alltäglichen Dinge mache, die ich gerade aufgezählt habe, zum Beispiel. Klar, dass man sich auch mal intensiv nur mit Musikhören beschäftigt, und sich nur auf Text, Stimme, Melodie und Rhythmus und die Gefühle, die in einem ausgelöst werden, konzentriert, aber meistens ist Musik einfach da, fast schon natürlich. Wie Luft oder das Handy in der linken Hosentasche. Den Rest des Tages verbringe ich schlechtgelaunt mit Lesen, was mir auch schwerfällt, ohne die Möglichkeit ab und zu mal lauter zu drehen oder mit zu summen. Endlich Sportschau, die aber irgendwie viel zu schnell vorbeigeht. Danach fühle ich mich noch isolierter, ich kann kaum Leute zu mir einladen und sie in dieses Musikvakuum bringen. Ich

räume noch ein bisschen auf, der Fernseher läuft jetzt im Hintergrund mit, auch auf die Gefahr hin, dass das erste Lied, das ich seit Langem höre, ein dämlicher Werbejingle ist. Mein Blick fällt auf die drei großen Verpackungen im Eck. Ein Tag noch. Dann darf ich die Musikanlagen endlich auspacken.

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Der Sonntag vergeht ähnlich schlimm… …Alles, was ich tue, tue ich lustlos, halbherzig und schlecht gelaunt. Die Stille ist unerträglich laut und ich haue mich vor die Glotze und sehe mir Dinge an, die ich mir schon hundertmal angesehen habe. Auf meinen Lieblingsblogs gibt es, so scheint mir, mehr neue Songs als normal und keinen davon werde ich bis morgen anhören können. Wahrscheinlich war das Experiment nicht gesundheitsschädigend, denke ich mir als es dunkel wird, leistungs-

steigernd oder stimulierend war es aber auch nicht. Im Gegenteil. Und so reiße ich noch vor dem Schlafengehen die Kartons auf und leite einige Stunden früher als beabsichtigt die nächste Phase des Experiments ein. Ich gestehe mir ein, dass ich drei musiklose Tage nicht durchstehe, während ich mich durch das erstaunlich einfache Setup lese. Zehn Minuten später ist alles in zwei verschiedenen Zimmern angesteckt, die frischinstallierte App bediene ich in Ermangelung eines Smartphones vom Laptop aus. Es ist alles ziemlich selbstverständlich. Nachdem ich ein paar Radiosender, meine Musikbibliothek und meine Spotify-Playlisten zu meinen Sonos Favoriten hinzugefügt habe, kommt das schwierigste: Womit fange ich an? Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit hab ich wieder sowas wie Adrenalin. Doppelklick. Es kommt mir logisch vor, ein neues Soundsystem mit LCD Soundsystem einzuweihen und ich merke, wie ich grinse, als sie loslegen.

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Der Sound ist der Wahnsinn... … Ich stelle mir vor, dass es so geklungen haben muss, als der Song frisch aus dem Studio kam. Nicht zu vergleichen mit meiner alten Stereoanlage (ein Konfirmationsgeschenk von mir an mich) oder meinen Kopfhörern. Während im Schlafzimmer also LCD über meinen Media Player laufen, starte ich in der Küche eine Spotify-Playlist mit Soulmusik, weil ich denke, dass das zu einem sonntagabendlichen Ausklang passen könnte. Mit zwei Sätzen bin ich in der Küche

und werde dort von einem warmen, alten Soulklassiker begrüßt, der mich zu umschließen scheint. Das Schwierigste ist das Ruhigsitzenbleiben. Ich will, so kommt es mir vor, jeden Song der Welt in einem anderen Zimmer hören. Ich sitze auf der Couch in der Küche, lese noch ein bisschen, teste Hip Hop, Soul, Rock, und elektronische Musik, gehe ab und zu ins Schlafzimmer, nur um dort einen Song zu hören, auf den ich im Moment die meiste Lust hätte, wäre der, der in der Küche läuft, nicht auch so gut. Generell scheint es jetzt keine schlechte Musik zu geben.

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„Hätte ich nur früher gemogelt“,… ….„denke ich. Wahrscheinlich hätte ich mich ebenso isoliert gefühlt wie zuvor, nur aus freien Stücken. Wäre drin geblieben, weil ich draußen nicht diesen Sound gehabt hätte. Hätte aber auch niemanden eingeladen, weil ich die Musik sonst nicht für mich alleine gehabt hätte. Später als sonst gehe ich ins Bett. Die nächsten beiden Tage verlaufen ähnlich. Zwar arbeite ich ganz normal, werfe aber zu Hause zu allererst Sonos an. Schon erschreckend, wie sehr die

Abwesenheit von Musik an einem zehrt und ich hab das Gefühl, so viel verpasst zu haben, dass ich es nur schwer wieder aufholen kann. Ihre reine Anwesenheit macht einfach alles besser. Wenn man dann auch noch in den Genuss kommt, sie in einer solchen Qualität, nicht nur um sich herum, sondern in sich drin, wahrzunehmen, ist sie das Beste der Welt.

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