Villa Jauss Alpengedöns Kunstausstellung

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Eine ze i t g e n รถ ssi sc h e P e r sp e k t i ve a u f d a s A l p e n i d y l l

KU N STAU SSTELLU N G


Eine zeitgenössische Perspektive auf das Alpenidyll Ausgehend von der Villa Jauss selbst und ihrem Standort in den Allgäuer Alpen eröffnet die Sommerausstellung 2018 eine zeitgenössische Perspektive auf die Wahrnehmung des heutigen Alpenidylls. Die Künstler der Sommerausstellung 2018 beschäftigen sich mit den Alpen als Sehnsuchtsort, Touristenmagnet, Heimat, verklärtes Ideal und Naturerlebnis. Hierbei werden vor allem Symbole der Alpen und der Alpenkultur aufgegriffen, welche von Folklore bis Kitsch reichen und in einen neuen Kontext gestellt werden. Die Arbeiten stammen aus den Bereichen Malerei/Graffti, Skulptur, Objektarbeit und Installation, Fotografie sowie Animationsfilm und Zeichnung.


d y l l ( 7. 7. – 3 0 . 9 . 2 0 1 8 ) Ich möchte mich ganz herzlich bei allen beteiligten Künstlern bedanken, die sich des Themas nicht nur angenommen haben, sondern zum größten Teil Arbeiten völlig neu für diese Ausstellung und den Rahmen der Villa Jauss konzipiert und umgesetzt haben. Den Besuchern wünsche ich viel Freude und vielleicht auch neue Impulse für den heutigen Blick auf die Bergidylle und dessen Bedeutung. VICTORIA UL MSCHNEIDER ( K u r a t o r i n d e r S o m m e r a u s s t e l l u n g 2 018 )


JOCHEN EHMANN

Der Animationsfilmregisseur Jochen Ehmann zeigt die Installation Medienwäldchen. Seit vielen Jahren initiiert er Kürzestanimationsfime von wenigen Sekunden Länge, die zumeist satirischen Inhalts sind und die, zusammengefasst im Projekt Medienwäldchen, bereits 2013/14 im Deutschen Institut für Animationsfilm in Siebzehnender

Dresden sowie 2015/16 im Kunst- und Kulturzentrum KKLB in Beromünster in der Schweiz ausgestellt wurden.


Das Medienwäldchen, eine Art Bilderbiotop, in dem Jochen Ehmann seinen Ultrashorts einen geschützten analogen Lebensraum bietet, ist ein begehbarer Raum im Raum und besteht aus einer Reihe von farbigen Guckkästen, die, aufgehängt an einem Gerüst aus Palisadenstangen, jeweils sehr kurze Animationsfilme als Loop abspielen. Der Zuschauer hört beim Gang durch das Medienwäldchen einen wilden Mix der Soundspuren der Sequenzen in den Kästen, die zusammen eine eigene akustische Wäldchen-Atmosphäre schaffen. Durch die Öffnungen in den Kästen ist jeweils nur ein Flimmern zu sehen, nur konzentriertes Hineinschauen eröffnet den Inhalt jeder Sequenz. Solches Sichten und Erleben von Bewegtbildern erinnert an die Anfangszeiten der Kinematographie, als in öffentlich ausgestellten Kurbelmaschinen gegen Münzeinwurf Filmsequenzen zu sehen waren.


JOCHEN EHMANN

Neben seiner Arbeit als Hochschuldozent, Regisseur und Produzent von Animationsfilmen für Kino, T V und Museen – der Siebenminüter Die Teufelsbrücke von Uri, produziert 2016 für das Schweizer Fernsehen und in der Ausstellung neben dem Kurzfilm FC Murmeli ebenfalls zu sehen – entstehen die Kürzestfilme entgegen FC Murmeli

der üblichen Produktionsweise von Animationsfilmen spontan und sehr schnell.


Das Medienwäldchen bezieht sich auch auf die unanständige Heimlichkeit von Peepshows und auf Kindheitserinnerungen, als wir uns, kleine Plastikfernsehapparate vor dem Auge, fasziniert durch eine Sequenz von Tourismusmotiven klickten. Die zehn Ultrashorts in den Guckkästen des Medienwäldchens erzählen neue und zeitgenössische Stories rund um das Thema Alpenwelt, u.a. die Arbeiten Winterschläfer, Carotin, Siebzehnender, Schuhplattler, Grillwurst, Bergnacht und Mit Jesus auf Malle.

Von der Idee bis zur Fertigstellung vergehen in der Regel nur wenige Tage, manchmal nur wenige Stunden. Sie ermöglichen Jochen Ehmann ein von Filmdossiers und Fördergremien unabhängiges, freies Arbeiten.


THEODORE HOFMANN


Theo Hofmanns vielfältige Arbeitsweise erstreckte sich bereits während seines Kunststudiums von der klassischen Zeichnung, der kinetischen und partizipatorischen Installation über die Bildhauerei bis hin zu Performances. In seinen aktuelleren Arbeiten, die in der Ausstellung gezeigt werden, konzentriert sich Hofmann auf den in der Kunst eher ungewöhnlichen Werkstoff Kohlenstoff. In seinem Spiel mit den Aspekten der Lebendigkeit und des Ephemeren überführt er diesen Rohstoff in kontrastreiche bildnerische Formschöpfungen. Weitere Arbeiten spielen mit der Materialität des Bildträgers Metall, auf dem großformatige, überhöhte Zeichnungen eine neue Wirkung entfalten.


MARITA MAUL

Ohne Titel, 2000 Fotoserie, 6-teilig


Die Bildhauerin, Medienkünstlerin und Kunstpädagogin zeigt Arbeiten aus den Bereichen Fotografie, Installation und Plastik. Die Villa Jauss wird im Sommer 2000 zur Kulisse für ein grotesk-märchenhaftes Schauspiel: Fenster öffnen sich, Menschen begrüßen den Tag und die idyllische Szene des morgendlichen Bettenlüftens fällt sprichwörtlich aus dem Rahmen. Realität wird Traum, Wahrnehmung weicht Vision.


MARITA MAUL Kinder in (Ein-)Tracht mit einem Kalb sind Inbegriff und Klischee der heilen Alpenwelt, verkörpern Brauchtum, Barock und Glauben. Gleichzeitig eignen sich die goldüberhöhten Flügel als Spannungsbogen zur jugendlichen Freiheit, Althergebrachtes hinter sich zu lassen und eigene Wege zu suchen.


Ihr Kinder, kommet! (3-teilig) 2016/17 Stuckplastik (Gipsguss), Kaseinfarben, Polimentvergoldung/-versilberung


Postkarte, Detail

MARIELLA KERSCHER


In ihren fragmenthaften, surrealen Bildwelten beschäftigt sich die Künstlerin Mariella Kerscher mit existentiellen Themen und Vergänglichkeit. Wiederkehrende Elemente entwickeln eine scheinbar narrative Symbolik, die dem Betrachter den Raum für Assoziationen öffnet, doch schließlich kryptisch bleibt. Die Arbeiten, die in der Villa Jauss zu sehen sind, positionieren sich in einem Spannungsfeld zwischen Idyll und Vermarktung, Sehnsucht und Inszenierung. Der Postkartenständer als Objekt erinnert an Kunstpostkarten oder Tourismus. Gewöhnlich präsentiert er kleine Reproduktionen großformatiger Gemälde oder romantisierte Abbilder, Ausschnitte und Ansichten der jeweiligen Urlaubsparadiese zum Verkauf. Zwischen Leben und Tod, Malerei und Design, Traum und Wirklichkeit stellen die Motive hier jedoch eine zeichnerische Gratwanderung voller Ambivalenzen dar. Die Postkarten entsagen ihrer Funktion und offenbaren sich als autonome Unikate.


GERALD KUKLA

HALLE WIRD HÖHLE – ein Gleichnis

Rock 1 – 3

Text von Gerald Kukla

Der Klettermax trotzt der Schwerkraft mit jedem Muskel seines Körpers. Schwindelerregend hoch hängt er an insgesamt nur fünf Fingern und einer Zehenspitze über dem Boden. Schweiß löst sich von seiner Stirn und fällt herab. Es wird ein wenig dauern, bis der Tropfen unten ankommt. Er ist irritiert, denn er ist sich nicht sicher, ob er zusätzlich die gelb gepunkteten Griffe benutzen darf. Vermutlich nicht, denn sie sehen viel zu groß für diesen Schwierigkeitsgrad aus – immerhin hat er sich für die Route „Brachialosaurus“ entschieden, und nicht für´s „Henkelparadies“. Die kleinen, roten Griffe sind extrem scharfkantig und die Haut an den Fingern beginnt einzureißen. Momentan schmerzt es noch nicht, er muss sich zu sehr darauf konzentrieren, nicht zu fallen. Am Boden allerdings werden beide Hände beginnen, höllisch zu brennen. Der Berg kennt eben keine Rücksicht. Gott sei Dank kann man am Eingang nach Pflastern fragen, sonst wäre sein Abenteuer


heute schnell vorbei. Das wäre schade, denn die ansässige Sektion des Alpenvereins hat hier ganze Arbeit geleistet. Sie hat die Vereinshalle in eine Höhle verwandelt. Holz wurde zu Fels und Kunststoff zu Stein. Hier kann man jetzt vor den Wänden stehen und ausführlich über den nächsten Kletterzug philosophieren. Die Sonne scheint von hinten durch das Fenster und die Klettergriffe werfen lange Schatten auf die grau gefärbten MDF-Platten. Lautsprecher spielen Vogelgezwitscher ein und feuchte Stäbchen verströmen den ätherischen Duft des Nadelwaldes. Ein Healthtracker am Handgelenk misst den Puls des Naturburschen und meldet ihm auch, dass er die Baumgrenze bereits hinter sich hat. Draußen bräuchte er jetzt seine GoreTex-Jacke, aber hier drinnen ist glücklicherweise geheizt. In der Ecke materialisiert sich flackernd ein Murmeltier. Später auf dem Nachhauseweg kommt er an einer italienischen Eisdiele vorbei. Er belohnt sich für seine Anstrengung mit einem Schlumpfeis. Schön blau leuchtet die Kugel. Aus Versehen stößt er mit seinem Rucksack eine Amphore von der Fensterbank auf eine Tischplatte. Er hat Glück, denn die Vase ist aus terracottafarbenem Kunststoff und zerbricht nicht. Probleme bekommt er erst, als er versucht, mit den Servietten aus dem Spender das verschüttete Wasser aufzuwischen - er weiß, dem Marmorfurnier schadet es, wenn es aufweicht. Die Saugkraft des weißen Stoffes macht ihm allerdings einen Strich durch die Rechnung. Es ist ihm lediglich möglich, die Pfütze unauffällig über die Tischkante zu schieben, damit sie verschwindet. Entnervt wünscht sich der Klettermax die alten Zeiten herbei, als Servietten noch aus echtem Stoff waren. Es kommt ihm irgendwie so vor, als sei diese Eisdiele nicht ganz das, was sie vorgibt zu sein. Im Radio meldet der Sprecher, dass die Beschneiung der Abfahrten heute Nacht begonnen werde.


STEFAN LINDAUER


Die Diskrepanz von Idealisierung, Sehnsucht und Romantik einerseits und der Wirklichkeit der Alpen andererseits ist Thema des Fotografen Stefan Lindauer. Jahrelang als erfolgreicher Werbefotograf in Düsseldorf tätig, bevor er sich zunehmend der bildenden Kunst zuwandte, weiß Stefan Lindauer um die suggestive Kraft der Fotografie. Im Dialog von Außen- und Innenraum deplatziert er Symbole des Alpenkitsches. Er verwendet das Medium Fotografie sowohl als Bildträger als auch als Bildmaterial, welches durch das Spiel mit Format und Perspektive inhaltlich hinterfragt wird und damit auch unsere eigene, oft verklärende Wahrnehmung spiegelt.


BENJAMIN ULMSCHNEIDER

Mitbringsel


Die Tradition des Schmückens innerhalb der von Symbolen geprägten Kultur des Alpenraums und der aktuellen Tendenz zu individueller Imagebildung und Trend ist inhaltlicher Ausgangspunkt für eine Plastik von Benjamin Ulmschneider. Eine kranztragende Figur mit folkloristischen Andeutungen jongliert zwischen angestrengter Selbstinszenierung und traditionellem Selbstverständnis. Eine weitere Arbeit befasst sich mit der Idee des „Mitbringsels“ in Form von Zeichnungen.


ROBERT WILLHELM


Knallige Farbflächen kreuzen klischeehaft symbolische Fragmente wiedererkennbarer Alpenbildnisse. Mutig kombiniert der, seit Jahren als GrafftiKünstler bekannte Robert Wilhelm Malerei mit Street Art Einflüssen. Dabei kreiert der Künstler surreal anmutende Bildräume wie verfremdete Blicke aus Hotelfenstern, die den Betrachter in dem Spannungsraum zwischen Familiarität und Befremdung platzieren.


VILLA JAUSS

Fuggerstraße 7 · 87561 Oberstdorf · www.villa-jauss.de Tel. 08322 / 940 266 (während der Öffnungszeiten: Mi – So 15 – 18 Uhr)

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K U N S T H A U S


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