Pyrenäen wandern, 11 10 14

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REISE

SAMSTAG, 11. OKTOBER 2014

Auf fast vergessenen Wegen Fünf Tage zu Fuß durch die katalanischen Pyrenäen

D

ie karierten Tücher liegen schon ausgebreitet auf der Wiese. Aber kaum haben die Wanderer ihr Picknick am See ausgepackt, nähern sich Kühe. Erst kommt eine angebimmelt, dann zwei, und so weiter, in einer langen Reihe. Verdutzt bleibt jede beim Anblick der Menschen stehen, schaut aus großen, sanften Augen. Schritt um Schritt werden die Menschen umzingelt. Dann scheint der Durst zu mächtig, nach neugierigem Beäugen zieht es die Tiere weiter ans Wasser. Sonnig und angenehm warm ist es an diesem Tag am Lac Montcortés, auch „Fünfter See“ genannt. Er ist das Ziel der Wanderer nach fünf Tagen in der katalanischen Provinz Lleida. Dort, wo die Pyrenäen Mittelgebirgshöhen erreichen, auf der mediterranen Seite. Gewandert wird auf alten Pfaden, die heute manchmal noch von Schäfern, oft aber nur von Kühen benutzt werden. Sechs Landgasthäuser hatten diese Idee, um neue Gäste zu gewinnen: Sie kreierten eine Traum-Wanderroute auf fast vergessenen Wegen. Bei der zweiten Tagesetappe dieser insgesamt 105 Kilometer langen Rundtour schlängelt sich der Pfad gleich hinter Peramea, einem kleinen mittelalterlichen Ort, durch ein grünes Tal. An Steinmäuerchen entlang, über be-

WANDERUNG AUF URALTEN PFADEN Der Weg schlängelt sich über Sand- und Kalkstein durch weite, grüne Täler.

mooste Steine und getrocknete Kuhfladen. Dann flankieren schiefe, kleinwüchsige Eichen den Weg. Vom Wiesental schraubt er sich allmählich nach oben. Unter den Füßen leuchtet ein Mix aus rotem Sandstein und weißem Kalkstein. Mit der Höhe kommen die Ausblicke, beeindruckend ist eine Kette von Bergkuppen und Spitzen, die Einheimischen nennen sie „schlafende Riesin“. Genau so sieht die Formation auch aus, und man merkt schon: Frauen spielen in dieser Gegend eine wichtige Rolle. Wie auf dem Collada del Clot d’Andol, mit 1535 Metern der höchste Punkt der gesamten Wandertour. Auch das ist ein betont weiblich besetzter Platz, nämlich einer für den Hexensabbat.

Wo Geier ihre Kreise ziehen Hexen hatten immer schon ein Gespür für schöne, inspirierende Natur-Plätze. Vom La Collada del Clot d’Andol schweift der Blick hinab ins Foscatal, über sanft geschwungene Grasflächen. Auf der anderen Seite ragen schneebedeckte Pyrenäengipfel in den Himmel. Majestätisch ziehen Bart-Geier ihre Kreise. Der Weg führt dann hinunter nach Beranui. Ein bisschen müde sind jetzt die Beine, nach knapp fünfzehn Kilometern Auf und Ab, es wächst die Vor-

freude auf ein gutes Essen, ein schönes Zimmer. Fünf Tage lang erlebt man abwechslungsreiche Landschaften, die Wanderroute führt durch Wiesentäler, Eichenund Kiefernwälder, sie windet sich hinab in tiefe Schluchten, dann über karge Hochebenen. Die Strecken sind meist handgestrickt, das heißt zusammengepuzzelt aus fast vergessenen Pfaden. Aus Zeiten, als die Dörfer noch bevölkert, und die Menschen oft zu Fuß unterwegs waren. Weit weg scheint die Zivilisation, es sind Tage ohne Autolärm – und auch fast ohne Menschen. In den Dörfern, die hübsch drapiert auf Hügeln liegen, gibt es nur noch wenige Bewohner hinter den schönen alten Natursteinmauern. Die Häuser kleben dicht aneinander, und hinter manchem Gemäuer verbirgt sich ein komfortables Casa Rural. Man läuft auch durch Geisterorte wie La Bastida, verlassen seit 1950. Schon von Weitem ist der halb eingestürzte Kirchturm auf einem Hügel zu sehen. La Bastida liegt auf der dritten Tagesetappe – einer der schönsten Tourenabschnitte: Zwei Schluchten werden durchquert, von den steilen Felswänden leuchten weiße Blumen. Begleitet vom Konzert der Grillen geht’s weiter auf der Höhe, Wacholderheide- und Buchsbaumbüsche zerren an den langen Hosenbeinen. Mireia Font i Vidal, die einen kleinen Gasthof mit acht Zimmern in Senterada führt, gehört mit zu den sechs Ideengebern der Tour. Seit der Wirtschaftskrise in Spanien ist es schwieriger geworden, die Zimmer auch in der Nebensaison zu füllen, also setzte man sich zusammen und überlegte, wie man gemeinsam neue Gäste gewinnen könnte. „Die Krise hatte auch etwas Positives für uns“, meint die 38-Jährige: „Wir sind näher zusammengerückt.“ Am Ende kam ein attraktives Wanderpaket mit reichlich Naturerlebnissen und Übernachtungen in den Casa Rurals heraus. Jedes dieser Landhäuser hat einen eigenen Charakter, seine eigene Geschichte, aber alle sind in charmantem katalanischen Stil eingerichtet. Dazu haben sich die Gastwirte ein modernes Konzept überlegt: Man ist praktisch müllfrei unterwegs, denn täglich kommt frisch zubereitetes Essen in den Rucksack. Abends gibt man das Geschirr ab, und am nächsten Morgen wird wieder etwas Typisches, etwa Coca, eine Art katalanische Pizza mit Gemüse oder Fleisch eingepackt. Manchmal geht Mireia mit den Ältesten von Senterada los, um sich weitere Trampelpfade zeigen zu lassen. Die

SCHROFFE FELSEN, WEISSE GIPFEL Blick auf die mit Schnee bedeckten Höhen der Pyrenäen. Foto: Pirineu.Emociò/Kura

KURIOSER BLUMENSCHMUCK Hunderte von spitzen Stacheln bewachen den Eingang zu diesem katalanischen Landhaus. Foto: Kura

Männer erzählen dabei Geschichten von früher. Einige sind im Roadbook wiederzufinden, das die Wanderer während der Tour begleitet. Am Ende erreichen sie dann den Fünften See, den sie zuvor tagelang in großem Bogen umwandert haben. Das Gewässer reiht sich an das Ende einer Kette von vier Stauseen, im Unterschied dazu ist der Lac Montcortés ein echter See. Klein, idyllisch gelegen, von Schilfgürteln mit quakenden Fröschen eingerahmt. Die Wanderer breiten wie jeden Tag um die Mittagszeit ihre karierten Picknick-Tücher aus. Dann nähern sich die Kühe... Karin Kura

INFO Die Wanderroute erfordert nicht viel technisches Können, aber eine gute Kondition. Die Zeitangaben für die Tagesetappen (zwischen 15 und 25 Kilometern pro Tag) sind teilweise knapp bemessen, besser ist, man plant mehr Zeit ein. Die fünftägige Wanderroute „El Cinque Llac“ startet und endet in La Pobla de Segur, ca. 200 Kilometer von Barcelona entfernt. Den Ort kann man ab Barcelona mit dem Zug erreichen. Das Pauschalpaket kostet für Einzelwanderer 685 Euro, ab zwei Personen 599 Euro (je größer die Gruppe, desto günstiger wird es). Im Preis enthalten sind: Tickets für den historischen Zug „Tren dels Llacs“ von Lleida nach La Pobla de Segur und zurück, sechs Übernachtungen mit HP, Verpflegung, Gepäcktransport, Kartenmaterial und Roadbook. Infos: www.elcinquellac.com (Englisch).


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