„Für die Familie ist es gut“
"Für die Familie ist es gut" Daniela und Reto Kathriner verbringen schon den zweiten Sommer in luftiger Höhe, mit Aussicht auf die Voralpen, zum Soundtrack von Kuhglocken und dem Surren der Hochspannungsleitungen. Das Paar lebt von Ende Mai bis Anfangs September auf 1440 Metern Höhe, auf der Steinwurf-Alp im obwaldnerischen Glaubenberg, zusammen mit ihrem Sohn Tim und dem wilden Sennenhund Fredi. Die beiden Dreissigjährigen haben sich einen langgehegten Traum erfüllt — schon seit sie sich kennen, haben sie mit dem Gedanken gespielt, einmal als Sennen tätig zu sein. Was schlussendlich den Ausschlag gab, diesen "Ausbruch", wie sie es nennen, zu wagen? "Ich arbeitete als Zimmermann; als Tim vor zwei Jahren auf die Welt kam, konnte ich fast keine Zeit mit ihm verbringen. Er schlief, als ich morgens aus dem Haus ging, und ging ins Bett, wenn ich nach Hause kam. Ich hatte gar nichts von meinem Sohn", meint Reto in seinem charmanten Zentralschweizer Dialekt und fügt an, "wir haben hier oben zwar keinen Strom und kein warmes Wasser, aber für die Familie ist es gut. Es ist uns wichtiger, Zeit zusammen zu haben, als viel Geld zu verdienen." Er und seine hochschwangere Frau Daniela sagten sich, jetzt oder nie, und wurden Pächter auf der Alp, die Reto als Junge immer in den Ferien besuchte. Die vorherigen Sennen führten das Paar einige Tage lang ein — danach waren sie auf sich selbst gestellt. Daniela und Reto pflegen einen sehr liebevollen Umgang mit dem Vieh. Sie sprechen über ihre Kühe, als wären sie gute Freunde. "Diese beiden hatten letztes Jahr Heimweh", sagt Daniela und zeigt auf zwei Rinder. "Sie hörten auf zu fressen und zu trinken. Wir wussten nicht, was los war, doch dann kam uns in den Sinn, dass wir eines ihrer Gschpänli ein paar Tage zuvor
wegen eines infizierten Fusses ins Tal bringen mussten. Die beiden haben es einfach vermisst und waren unglücklich." Solche und andere Herausforderungen meistern die beiden mit bewundernswerter Gelassenheit — obwohl die Tage auf der Alp lang sind und sie ab und zu gerne mal ein warmes Bad nehmen würden, sind sie nach wie vor von ihrem Entscheid überzeugt. Solange Retos Arbeitgeber mitmacht und ihn jeweils im Sommer drei Monate springen lässt, so lange wollen sie die Sennerei durchziehen. Die hundert Alptage vergehen immer ähnlich: Tagwache ist um fünf Uhr morgens, die Kühe werden gemolken, dann bringt Reto die Milch auf die Nachbarsalp Honegg, während Daniela das Frühstück zubereitet. Es schmeckt nach den zwei Stunden Morgenarbeit doppelt so gut als sonst! Nach dem Stallputz geht Reto „den Rindern nach“: Er macht einen Spaziergang zum Vieh, um nach dem rechten zu sehen. Häufig verrichtet er Unterhaltsarbeiten auf den Weiden oder um die Alp. Sowieso ist das Paar eigentlich ständig am arbeiten. Trotzdem nehmen sie sich viel Zeit für ihren Sohn — Tim ist überall dabei und darf als Belohnung für seine Mithilfe einmal täglich mit Retos Traktor hupen. Kein Wunder kann der Zweijährige jetzt schon drei verschiedene Traktormarken auseinanderhalten! Nachmittags spielt er oft stundenlang mit Fredi und wird von seinen Eltern getröstet, wenn der Sennenhund einmal zu fest zuschnappt. Am Abend werden die Kühe von der Weide wieder in den Stall getrieben und gemolken — ein weiter Tag neigt sich dem Ende zu. Um zehn Uhr abends vor dem Schlafengehen singt Reto den Betruf, eine Tradition, die nicht mehr auf vielen Alpen ausgeübt wird.
Ich danke herzlich! Daniela, Tim und Reto Kathriner, Steinwurf-Alp. Vreni und Thomas, Alp Honegg. Familie Kathriner, Stalden. Berghotel Langis. Nathalie Bissig. Christoph Bangert. Erin McClellan. Copyright Š 2009 by Elisabeth Real. All rights reserved. No part of the content of this book may be reproduced or transmitted in any form or by any means without prior written permission by the photographer.