EvB-Magazin "erklärung!" (11/2013)

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das Magazin der ERklärung von bern

# 05 November_13

Gr u n d zu f ei er n ?

F REIH ANDELSABKOMM EN S C H W EIZ - C H INA

Die Schweiz kuscht vor China Wie unsere detaillierte Analyse zeigt, enthält das Freihandelsabkommen (FHA) mit China keine verbindlichen Menschenrechtsbestimmungen. Das Wort «Menschenrechte» taucht im über 1000-seitigen Vertragswerk nicht ein ein­ ziges Mal auf. Das China-FHA ist aus menschenrechtlicher Sicht ein klarer Rückschritt gegenüber den in jüngerer Vergangenheit unterzeichneten Handelsabkommen der Schweiz. Text_Thomas Braunschweig // Bild_HOW HWEE YOUNG/Keystone

«Auch wenn der Begriff ‹Menschenrechte› im vorliegenden Freihandelsabkommen nicht explizit

erwähnt wird, verweist die Präambel auf das 2007 zwischen der Schweiz und China abgeschlossene Verständigungsprotokoll zur Förderung des Dialogs und der Zusammenarbeit, welches unter anderem der (sic!) 1990 aufgenommene bilaterale Menschenrechtsdialog Schweiz-China bestätigt.» Dieser belanglose, umständliche Satz (mit Fallfehler) aus der bundesrätlichen Botschaft an das Parlament zeigt, wie der Bundesrat mit der Menschenrechtsfrage umgeht. Nicht einmal der Menschenrechtsdialog mit China wird im Freihandelsabkommen (FHA) explizit erwähnt. Und dies nicht etwa, weil renommierte MenschenF o r ts e tz u n g > >

erklärung!_05_2013

Die Schweiz und China schaffen es, die Menschenrechte aus dem Freihandelsabkommen auszuklammern.


2 __ Ha n delsabk ommen

rechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch diesen zahnlosen Dialog mit dem Reich der Mitte als «weitgehend wirkungslos» bezeichnen, sondern weil der Bundesrat bei der Menschenrechtsfrage vor China auf ganzer Linie gekuscht hat. Menschenrechtliches Vakuum Die Erklärung von Bern (EvB) hat zusammen mit ihren Partnerorganisationen der China-Plattform wiederholt griffige und verbindliche Menschenrechtsbestimmungen für das FHA mit China gefordert. Dafür braucht es gemeinsame Zielvereinbarungen, effektive Überprüfungsmechanismen sowie Sanktionsmöglichkeiten. Nichts davon ist im China-Abkommen auch nur ansatzweise vorhanden. Selbst in der rechtlich unverbind­ lichen Präambel fehlt ein klares Bekenntnis zur Einhaltung der Menschenrechte. Dies ist umso beunruhigender, als in allen Freihandelsabkommen, die die Schweiz in der jüngeren Vergangenheit abgeschlossen hat – darunter Abkommen mit Kolumbien, der Ukraine und Hongkong –, das Bekenntnis zu den Menschenrechten bekräftigt wird. Dass die Schweiz ausgerechnet bei einem Land, das für notorische und schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich ist, nicht denselben Massstab ansetzt, ist unverständlich und inakzeptabel. Arbeitsrechtliche Unverbindlichkeit Fairer Wettbewerb braucht minimale Regeln. Dazu gehören arbeitsrechtliche Mindeststandards. Im internationalen Handel sind dies die acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats hat vom Bundesrat denn auch verlangt, dass ein Nachhaltigkeits­ kapitel in die Verhandlungen integriert wird, in dessen Zentrum «die Einhaltung der Kern­ arbeitsnormen durch beide Vertragsparteien» steht. Obwohl gleichzeitig zum FHA ein Parallel­

HOW HWEE YOUNG/Keystone

>>Fortset zung von S eit e 1

Johann Schneider-Ammann und Yin Weimin beim Unterzeichnen d e s Fr e iha nd e lsa bkomm e ns in B e ij ing .

abkommen zur Zusammenarbeit in Arbeits- und Beschäftigungsfragen ausgehandelt wurde, sucht man in beiden Abkommen vergeblich nach einer verbindlichen Regelung zur Einhaltung dieser Normen. Und dies ausgerechnet bei einem Prä­ ferenzabkommen mit einem Land, das vier der acht ILO-Kernarbeitsnormen noch nicht ratifiziert hat, darunter jene zur Gewerkschaftsfreiheit und zur Abschaffung der Zwangsarbeit. Damit werden auf unserem Markt Schweizer Produkte (und solche anderer Länder, die die arbeitsrechtlichen Mindeststandards einhalten) diskriminiert gegenüber chinesischen Produkten, die unter Verletzung dieser Arbeitsnormen hergestellt wurden – und von der Vorzugsbehandlung durch das Freihandelsabkommen profitieren. Fairer Wettbewerb sieht anders aus. Aussenpolitische Verantwortungslosigkeit Das aussenpolitische Engagement der Schweiz auf dem Gebiet der Menschenrechte konzentriert sich explizit auf die Abschaffung der Todesstrafe und den Schutz besonders verletzlicher Gruppen, darunter Minderheiten und MenschenrechtsverteidigerInnen. Gerade in diesen Bereichen kritisieren Amnesty International und zahlreiche weitere Organisationen die andauernden und massiven Menschenrechtsverletzungen in China. Es ist deshalb besonders stossend – und aussenpolitisch extrem widersprüchlich – dass die Schweiz gerade China im Rahmen des

Za hl e n sagen mehr a l s W o r t e... Die Anzahl Zwangsarbeitslager in China wird auf geschätzt. Darin arbeiten ZwangsarbeiterInnen, trotz Verbot teilweise auch für den Export.

909 3 bis 5 Mio.

Anteil der Gesamtexporte Chinas in die Schweiz: (China geht es um Prestige und Präjudiz, nicht um wirtschaft‑ liche Vorteile).

0,2%

Umfang des Vertragswerks:

1152 Seiten

Wirtschaft: 1

Erwähnung des Wortes «Menschenrechte»:

0

Menschenrechte: 0 erklärung!_05_2013


Ed i to __ 3

Freihandelsabkommens Vorzugsbedingungen ge­‑ währt, ohne die Einhaltung der Menschen- und Arbeitsrechte einzufordern. Der deutliche Rückschritt, der mit dem China-Abkommen in menschenrechtlicher Hinsicht gegenüber früheren Handelsabkommen der Schweiz erzielt wurde, unterstreicht diese Widersprüchlichkeit. Die Schweiz muss sich überdies den Vorwurf gefallen lassen, ein gefährliches Präzedenzabkommen zu schaffen. Denn China wird in Verhandlungen mit anderen Ländern versucht sein, das Fehlen verbindlicher Menschenrechtsbestimmungen im FHA mit der Schweiz als Standard für künftige Freihandelsabkommen zu definieren. Das Abkommen muss zurück an den Bundesrat Aus all diesen Gründen fordern die EvB und ihre Partnerorganisationen vom Parlament, das China-Freihandelsabkommen in der vorliegenden Form nicht zu ratifizieren. Das Abkommen muss an den Bundesrat zurückgewiesen werden mit dem Auftrag, in Nachverhandlungen für ein menschenrechtskonformes Abkommen entlang den skizzierten Linien zu sorgen. Unsere detaillierte menschenrechtliche Ana­ lyse des China-Freihandelsabkommens finden Sie unter www.evb.ch.

Das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China wurde nach zweieinhalbjährigen Verhandlungen am 6. Juli 2013 in Beijing unterzeichnet. Die bundesrätliche Botschaft zur Genehmigung des Abkommens wurde Anfang September an die Räte überwiesen. Der bevorstehende Ratifizierungsprozess durch das Parlament ist für die Winter(Nationalrat) und die Frühjahrssession (Ständerat) geplant. Davor werden die jeweiligen Aussen­ politischen Kommissionen das Geschäft beraten. Laut Bundesverwaltung soll das Ab­kommen Anfang Juli 2014 in Kraft treten.

erklärung! 5/2013 Auflag e 23 200 Exemplare Erklärung von Bern (EvB), Dienerstrasse 12, Postfach, 8026 Zürich, Telefon 044 277 70 00, Fax 044 277 70 01, info@evb.ch, www.evb.ch ­R e ­dak­t io n ­Susanne Rudolf ­G estaltung Clerici Partner Design, Zürich Dru ck ROPRESS Genossenschaft, Zürich; gedruckt mit Bio­farben auf Cyclus Print, 100 % Altpapier, klimaneutraler Druck Impre ssu m

H e ra u s­ge b e rin

« e r k l ä r u n g ! » e rsch e i n t 4 - b i s 5 - ma l j ä hr l i ch . M i t ­g l i e d e r beitrag: Fr. 60.– pro ­Kalenderjahr (inklusive Abonnement «erklärung!» und EvB-­D okumentation). Postkonto 80-8885-4

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Widerstand gegen «Geldsegen» Susanne Rudolf

Christopher Eskdale, verantwortlich für die Zinkförderung bei GlencoreXstrata, erhält vom Gemeindepräsidenten seines Wohnortes Oberägeri eine Weihnachtskarte mit einem Dankeschön für seine hohen Steuerzahlungen. Bei seinem Einkommen kein Wunder: Allein die Halbjahresdividenden, die seine Arbeitgeberin gerne ausschüttet, spülen ihm aktuell zwischen 17,2 und 22,5 Mio. Dollar zusätzlich in die Kasse. Gleichzeitig bezahlt Glencore­Xstrata keine Gewinnsteuern im Kanton Zug. Der Rohstoffgigant kann 2014 sogar mit einer Steuergutschrift von 163 Millionen starten. Die Kunst der Buchhaltung und unsere Steuergesetze machen dieses Missverhältnis möglich. Während sich der Gemeindepräsident von Ober­ ägeri über die Steuereinnahmen freut, sind BürgerInnen im Zürcher Knonaueramt zum Schluss gekommen, dass Steuergeld nicht automatisch Weissgeld ist. Vor allem nicht, wenn es aus den so undurchsichtigen wie unterregulierten Geschäften von GlencoreXstrata stammt. Die 3500-Seelen-Gemeinde Hedingen hat nämlich direktdemokratisch und gegen den Willen des Gemeinderates entschieden, selbst für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. 110 000 Franken aus dem zusätzlichen Geldsegen, der Hedingen im Zuge des kantonalen Finanzausgleichs wegen des Börsengangs von Glencore 2011 zufloss, werden an Projekte in rohstoffreichen Entwicklungsländern gespendet. Wenigstens ein kleiner Teil der Rohstoffprofite soll also dorthin zurückgehen, wo sie eigentlich hinge­hören. Was unsere Steuergesetze offensichtlich nicht schaffen, soll nun in weiteren Gemeinden mittels solcher BürgerInneninitiativen vorangetrieben werden. Dieser unerschrockene Einsatz für mehr Gerechtigkeit macht Mut und spornt auch uns an, mit Ihrer Unterstützung für eine Welt zu kämpfen, deren Wohlstand nicht auf Kosten der Ärmsten geht.


4 __ s i n nvolle geschenk e

Ba o b a b Books

Ballkünstler aus Brasilien Die Geschichte des neuen Bilderbuchs von Baobab Books spielt in Brasilien. Wie viele Kinder in den ärmeren Regionen des Landes geht Bené nicht zur Schule, weil er helfen muss, den Lebensunterhalt der Familie zu verdienen. Text_Ly d ia Z immer

Fussball spielt die Hauptrolle im Baobab

Eigentlich heisst er Benedito da Silva, der Junge mit der Nummer 10. Aber alle nennen ihn Bené. Fussball ist für Bené das Grösste. Bälle begleiten ihn überallhin. Doch seine Familie lebt auch von ihnen. In Handarbeit näht sie jeden Tag vier oder fünf Bälle. Auch Bené muss mithelfen. Sein Traum von echten Fussballschuhen und einem Trikot wird sich vielleicht nie erfüllen. Aber er spielt sehr geschickt in seinen Flip-Flops, hat seine Familie, seine Freunde, Freundinnen und immer einen guten Ball. Gerade in den ärmeren Gegenden Brasiliens ist der Ball oft das einzige Spielzeug vieler Kinder. Früher wurden die Bälle häufig aus alten Strümp-

ne us t e n Ba o b a b B uch .

fen gemacht, heute sind es meistens Plastikbälle. Für die meisten Kinder ist ein Lederball noch immer etwas ganz Besonderes. Illustriert wird das Buch von der Brasilianerin Eymard Toledo. Sie situiert die Geschichte im Dorf Ubá im Südosten von Brasilien. Dort ist die Illustratorin auch aufgewachsen. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Deutschland und arbeitet als Grafikerin. Kehrt sie einmal im Jahr nach Brasilien zurück, spielen ihre beiden Söhne in Uba mit den Dorfkindern Fussball.

BENÉ – SCHNELLER ALS DAS SCHNELLSTE HUHN Eine Geschichte aus Brasilien © 2013 Baobab Books, Basel 32 S., gebunden, durchgehend farbig illustriert Format 30 × 21,5 cm Fr. 24.80 ISBN 978-3-905804-51-5 Ab 5 Jahren www.baobabbooks.ch

C C C - Unterrich tsm a t e r i a l

Konsumgut Mode: Globale Mechanismen verstehen Text_Christ a L uginb ühl

Das Lehrmittel «Mode – ein globales Geschäft» erklärt anhand der Mode­ industrie die komplexen wirtschaft­ lichen, politischen und zivilgesellschaftlichen Zusammenhänge eines globalisierten Konsumgutes. Arbeitsund Menschenrechte, Gewerkschaftsfreiheit, Fragen rund um Armut sowie Handlungsoptionen von Konsumierenden sind dabei zentral. Die Schule kann einen wichtigen Beitrag leisten, um Kinder und junge Erwachsene für die globalen Auswirkungen ihres Verhaltens zu sensibilisieren und sie zu befähigen, verantwortungsbewussImpressum

Herausgeberin Erklärung von Bern (EvB) Autorinnen Christa Luginbühl (Module A – H), Sinje Homann (Module A – D) Redaktion Anna Haselbach, Susanne Rudolf Gestaltung und Illustrationen www.clerici-partner.ch

Inhalt für Unterrichtszwecke im Klassenverband frei verfügbar. Bei Abdruck in Medien/Publikationen bitte vorgängige Zustimmung der Herausgeberin einholen.

Oktober 2013

Für die vorliegenden Unterrichtseinheiten wurden einzelne bereits erschienene und öffentlich zugängliche Produkte der folgenden Institutionen/Medien verwendet: Clean Clothes Campaign Deutschland, Clean Clothes Campaign Österreich, Zeitungsartikel von Blick, Neue Luzerner Zeitung, Sonntagszeitung, Südostschweiz, Swissinfo, TextilWirtschaft

Erklärung von Bern (EvB), Dienerstrasse 12, Postfach, 8026 Zürich, T 044 277 70 00 info@evb.ch, www.evb.ch

te Entscheide als Konsumenten und Bürgerinnen zu treffen. Die EvB hat die 2010 erschienenen Module überarbeitet und vier neue Einheiten für die 5. und 6. Klasse geschaffen. IMPRESSUM

Herausgeberin Erklärung von Bern (EvB) Autorin Christa Luginbühl Redaktion Anna Haselbach, Susanne Rudolf Gestaltung und Illustrationen www.clerici-partner.ch

Mode – ein globales Geschäft: Unterrichtseinheiten für die Volksschule (4 neue und 4 aktualisierte Module) DVD mit 8 Modulen, Fr. 20.–

Inhalt für Unterrichtszwecke im Klassenverband frei verfügbar. Bei Abdruck in Medien/Publikationen bitte vorgängige Zustimmung der Herausgeberin einholen.

MODE

Oktober 2013

ein globales Geschäft

Für die vorliegenden Unterrichtseinheiten wurden einzelne bereits erschienene und öffentlich zugängliche Produkte der folgenden Institutionen/Medien verwendet: Asia-Floor-Wage-Alliance, Clean Clothes Campaign Deutschland, Clean Clothes Campaign Österreich, International Labour Organisation (ILO), Trendbüro (Hamburg), Zeitungsartikel von Blick, Neue Luzerner Zeitung, Sonntagszeitung, Südostschweiz, Swissinfo, TextilWirtschaft

Lehrmittel mit zahlreichen Arbeits­blättern, Kurzfilmen und Unterrichts­ideen:

Unterrichtseinheiten für die Volksschule (5. – 9. Klasse) Erklärung von Bern (EvB), Dienerstrasse 12, Postfach, 8026 Zürich, T 044 277 70 00 info@evb.ch, www.evb.ch

MODE ein globales Geschäft

Unterrichtseinheiten für die Sekundarstufe 2

Mode – ein globales Geschäft: Unterrichtseinheiten für Sek. II (aktualisierte Version 2013) DVD mit 8 Modulen, Fr. 20.– Zu beziehen bei der Erklärung von Bern, Postfach, 8026 Zürich, www.evb.ch, 044 277 70 00, info@evb.ch

4 Unterrichtseinheiten für die 5. und 6. Klasse

4 Unterrichtseinheiten für die 7. bis 9. Klasse

Preis: Fr. 20.–

8 Unterrichtseinheiten für die Sekundarstufe 2 10_2013/Fr. 20.–

Preis: Fr. 20.–

10_2013/FR. 20.–

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L o bbya r be i t __ 5

CCC

Opfer warten immer noch auf Entschädigung Sechs Monate ist es her, seit beim Einsturz des Gebäudes Rana Plaza über 1100 TextilarbeiterInnen ums Leben kamen. Viele der Un­ ternehmen lassen die Angehörigen und Überlebenden im Stich. Text_Julia S pet zler

Die Bilanz der bisherigen Verhandlungen um Entschädigungszahlungen an die Opfer der Fabrikunglücke Tazreen und Rana Plaza ist enttäuschend. Die meisten Firmen, die in Tazreen und Rana Plaza produzieren liessen, entziehen sich der Verantwortung und bleiben dem Verhandlungstisch in Genf Mitte September fern. Zu kon­ kreten Zugeständnissen sind sie noch

nicht bereit. Ein halbes Jahr nach der Katastrophe von Rana Plaza hat nur ein Unternehmen den Betroffenen Nothilfegelder bezahlt. Viele Opfer und deren Familien befinden sich mittlerweile in einer ernsten Notlage. Die jüngsten Demonstrationen Tausender TextilarbeiterInnen in Bangladesch für höhere Löhne zeigen, dass die Verzweiflung gross ist, denn die Protestierenden riskieren Jobverlust und Repressionen. Hoffnung für die Zukunft hingegen macht die laufende Umsetzung des Sicherheitsabkommens, das im Mai 2013 von Gewerkschaften und Firmen unterzeichnet wurde. Bisher haben sich über 90 Firmen verpflichtet, die

Sicherheit in über 1600 Textilfabriken in Bangladesch für insgesamt rund zwei Millionen TextilarbeiterInnen zu verbessern. Dazu wurde erstmals eine Liste aller Zulieferbetriebe der Unterzeichnerfirmen veröffentlicht – ein wichtiger Schritt, um die Trans­ parenz zu erhöhen. Die Clean Clothes Campaign wird gemeinsam mit lokalen und internationalen Partnerorganisationen den öffentlichen Druck auf Markenunternehmen aufrechterhalten, damit die Opfer gemäss internationalen Standards umfassend entschädigt werden und sich die Arbeitsbedingungen in den Fabriken nachhaltig verbessern.

Bi o d i versität

Wer zahlt für den Erhalt der Saatgutvielfalt?

Text_Fra nçois M eienb erg

Der Internationale Vertrag über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (Saatgutvertrag) trat 2004 in Kraft und wurde mittlerweile von 131 Staaten ratifiziert, auch von der Schweiz. Der Vertrag will die Erhaltung, die nachhaltige Nutzung und den freien Austausch von Saatgut gewährleisten. Zu diesem Zweck wurde ein multilaterales System etabliert, das den Zugang zu den wichtigsten internationalen Saatgutbanken und nationalen Sammlungen der Mitgliedländer regelt. Er soll zudem sicherstellen, dass ein Teil der Gewinne der kommerziellen Nutzer erklärung!_05_2013

dieser Ressourcen, also der Saatgut­ unternehmen, in das System zurückfliesst. Diese Gelder sollen in erster Linie Bauernfamilien aus den Ländern des Südens zugutekommen, welche diese Ressourcen erhalten, nachhaltig nutzen und so den globalen Aktionsplan zur Erhaltung und nachhaltigen Verwendung landwirtschaftlich genutzter Pflanzen umsetzen. Das Problem: Das System funktioniert nicht, denn bis heute gab es noch keinerlei obligatorische Zahlungen der Saatgutindustrie. Ende September 2013 fand nun in Oman die fünfte Sitzung des Lenkungsorgans des Saatgutvertrags statt. François Meienberg (EvB) war als Experte Mitglied der dreiköpfigen Schweizer Delegation. Die Reform des multilateralen Systems stand im Zen­ trum der Verhandlungen. Vor allem die afrikanischen Staaten forderten mit viel Nachdruck ein neues System, das höhere Zahlungen beinhalten und

nachhaltiger funktionieren soll. Sie konnten in Muscat einen Etappensieg feiern. Denn es wurde beschlossen, eine Arbeitsgruppe zu bilden. Sie wird in den nächsten Jahren Optionen für eine Reform erarbeiten, die dem nächsten Lenkungsorgan zum Entscheid vorgelegt werden sollen. Jim Richardson / KEYSTONE

Das bisherige System, das den Zugang zu Saatgut regelt und dessen nachhaltige Nutzung sichern sollte, hat versagt. Nun soll eine Arbeitsgruppe zur Ausarbeitung von Reformvorschlägen gegründet werden.

Teil des Vertrages zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung von Saatgut – d e r Z ugang z u Saa t g ut ba nken .


6 __ Stu die

Ro hs t off e

Dubiose Deals von Schweizer Händlern in Nigeria

Text_Mar c G uéniat

«In vielen Ländern verschärfen die Einnahmen aus Bodenschätzen die Kluft zwischen Arm und Reich», schreibt der ehemalige UN-General­ sekretär Kofi Annan im diesjährigen Bericht des Africa Progress Panel. Zu diesen Staaten gehört auch Nigeria, Nummer dreizehn in der weltweiten Erdölproduktion: Der sogenannte Rohstofffluch lastet auf dem Land. In den letzten zehn Jahren ist die nigerianische Wirtschaft dank dem Erdölgeschäft stark gewachsen. Doch die Bevölkerung hat davon kaum profitiert. Das schwarze Gold, das 58 Pro-

zent der Staatseinkünfte ausmacht, trägt bei Weitem nicht so viel zur Entwicklung des Landes bei, wie es eigentlich sollte. Schuld daran hat vor allem die Korruption. 2012 rangierte Nigeria auf dem Korruptionsindex von Trans­ parency International an 139. Stelle. In diesem Umfeld konnten sich Schweizer Rohstoffhändler eine Spitzenposition auf dem Markt sichern. Sie beherrschen faktisch sowohl den Rohölexport als auch den Import von Erdölprodukten. Weil es in Nigeria kaum funktionstüchtige Raffinerien gibt, muss das Land nämlich den grössten Teil des Treibstoffs für den Eigengebrauch importieren. Die Schweizer Händler kaufen dem staatseigenen Ölunternehmen NNPC das Rohöl zu komplett unbekannten Konditionen ab. Einzelne Fälle zeigen, Petterik Wiggers / Panos

Ein EvB-Report zeigt, wie Schweizer Rohstofffhändler dazu beitragen, dass sich das bevölkerungsreichste Land Westafrikas nicht vom Rohstofffluch befreien kann.

dass das Öl bisweilen unter Marktwert verkauft wird. Warum? Wer profitiert? Hinzu kommt, dass die Genfer Kon­ zerne Vitol und Trafigura für den Export undurchsichtige Kooperationen mit der NNPC, sogenannten Joint Ventures, auf den Bahamas eingehen. Des Weiteren kaufen die Schweizer Händler Rohöl von Briefkastenfirmen, die in Verbindung mit einflussreichen politischen Persönlichkeiten stehen. Schweizer Rohstoffhändler decken aber auch die nigerianischen Importeure mit Ölprodukten ein. Damit die Treibstoffe im Inland erschwinglich sind, werden die Importe massiv subventioniert. Zwischen 2009 und 2011 wurden mit diesem System in einem der ungeheuersten Betrugsfälle in Afrika 6,8 Milliarden Dollar veruntreut. Zwei offizielle Audits bestätigen, dass dies ohne «geheime Absprache» zwischen Händlern und Importeuren nicht möglich gewesen wäre. Fünf Schweizer Händler stehen im Zentrum eines Amtshilfegesuchs, das die ermittelnden nigerianischen Behörden an die Schweiz stellten. Sieben der verdächtigten nigerianischen Importeure haben Niederlassungen in Genf. Der besonders undurchsichtige Fall Nigeria zeigt einmal mehr, wie dringend die Schweiz griffige Transparenzregeln im Rohstoffsektor braucht, sowohl für Zahlungs- und RohstoffFlüsse als auch für Firmenstrukturen. So kann die Schweiz wesentlich dazu beitragen, dass die 173 Millionen NigerianerInnen endlich von den Erträgen des schwarzen Goldes profitieren können.

D ie V e rschmut z ung d e s N ig e rd e lt as droht die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerungsgruppen zu zerstören.

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Kl i n i sch e Versuch e

Berseticum forte zeigt erste Wirkung

Kolumne

F LURINA DOPPLER

Pionierinnen des fairen Handels

Mit ihrer «Berseticum forte» Kampagne fordert die EvB Bundesrat Berset auf, für ethisch einwandfreie Medikamententests zu sorgen. Die Botschaft ist angekommen. Text_Pat rick D urisch

Die Recherchen der EvB zeigen: Pharmakonzerne wie Roche oder Novartis nehmen es mit der Einhaltung ethischer Standards bei klinischen Versuchen in Entwicklungs- und Schwellenländern häufig nicht so genau. Sie machen sich die nachlässigen Kontrollen in den Testländern zunutze. Die Einhaltung ethischer Standards spielt auch bei der Zulassung eines Medikamentes kaum eine Rolle – auch wenn die Zulassungsbehörde Swissmedic dazu verpflichtet wäre. Die EvB verlangt deshalb, dass Gesundheitsminister Alain Berset konkrete Massnahmen gegen den Missbrauch von Menschen als Versuchskaninchen ergreift. 9300 BürgerInnen haben bisher unsere Petition unterzeichnet und den Bundesrat zum Handeln aufgefordert. Beim Eidgenössischen Departement des Inneren (EDI) ist die Botschaft angekommen. Von Nationalrätin Marina Carobbio in der Fragestunde der Herbstsession darauf angesprochen, sagte Bundesrat Berset, das EDI werde «gemeinsam mit Swissmedic die geäusserte Kritik analysieren». Falls sich zeige, dass Gesetzesänderungen nötig seien, so werde sich das EDI «der Sache annehmen». Im EDI scheint man das Thema also ernst zu nehmen. Das Departement wird voraussichtlich in der Wintersession im November zur eingereichten Interpellation von Nationalrätin Carobbio Stellung nehmen. Die Pharmaindustrie hingegen hält sich bedeckt. Bisher hat sie auf die EvB-Kampagne nur über den Dachverband Interpharma reagiert, der die «pauschalen Vorwürfe» der EvB nicht verstehen will, da die Pharmaindustrie die internationalen Standards strengsten befolgen würde. Der Versuch sich hinter der freiwilligen und nicht verpflichtenden Helsinki Deklaration zu verstecken, ist reine PR. Der Weg ist also noch weit. Die EvB wird nicht locker lassen, bis konkrete Massnahmen in der Schweiz angekündigt werden. erklärung!_05_2013

«Haben Sie auch schon darüber nachgedacht, warum Bananen so billig sind?» Vor vierzig Jahren, im Oktober 1973, zog eine Gruppe Frauen mit Leiterwagen voller Bananen durch Frauenfeld und stellte PassantInnen diese Frage. Zum Handeln bewegt hatte sie ein Film über die miserablen Arbeitsbedingungen auf Bananenplantagen. Die Bananenzeitung, in der die Frauen über die Hintergründe informierten, lag damals auch dem Rundbrief der EvB bei. Im gleichen Jahr rief die Migros das «Bananenwunder» aus und senkte wegen der Dollarabwertung den Bananenpreis um 15 Rappen. Die Frauen riefen daraufhin dazu auf, beim Kauf von Bananen der Migros 15 Rappen pro Kilo zu überweisen mit dem Vermerk «Bananengeld, es gehört uns nicht, wir wollen es nicht». An der Unterschriftensammelaktion in Frauenfeld erklärten sich innert zwei Tagen 1500 Personen zugunsten der Plantagen­ arbeiterInnen dazu bereit. Mit ihrem Engagement wurden die Frauen zu Pionierinnen des fairen Handels in der Schweiz. Sie importierten die ersten nicht von Multis wie Chiquita produzierten Bananen, die sie mit einem Solidaritätsaufpreis verkauften. Daraus ist die heutige Handelsfirma gebana AG entstanden. 1977 wurde auf Anstoss der EvB eine zweite Importeurin fair gehandelter Güter, claro fair trade, gegründet. Seit 1992 gibt es in der Schweiz mit Max Havelaar einen Standard für gerecht gehandelte Produkte, der sich etabliert hat. Von fairen Handelsstrukturen sind wir aber noch so weit entfernt wie vor vierzig Jahren. Die Geschichte der Bananenfrauen macht aber Mut, den Weg zu gerechteren Handelsbeziehungen weiterzugehen. In Frauenfeld zeigt die Ausstellung «hartnäckig & unverfroren, Bananenfrauen» ab dem 7. Dezember die beeindruckende Geschichte der Bananenfrauen. Mehr Infos unter: www.bananenfrauen.ch.


8 __ p Ko ar m trät pagnen

In e k e Zeldenrust

Visionäre Aktivistin, gewiefte Strategin Das Sicherheitsabkommen für die Textilfabriken Bangladeschs ist Ineke Zeldenrusts bislang grösster Erfolg. Doch für die Mitgründerin der internationalen Clean Clothes Campaign (CCC), welche die EvB in der Schweiz vertritt, geht die Arbeit mit dessen Umsetzung erst richtig los. Text_Oli ver C lassen

zvg

Als Ineke Zeldenrust am 24. April 2013 morgens um acht auf ihr Handy schaute, lächelte sie. Zu so früher Stunde an ihrem Geburtstag bereits rekordverdächtige 15 Anrufe! Doch schon beim Abhören der ersten Nachricht wich die Freude blankem Entsetzen: Ein paar Stunden zuvor hatte das Rana-Plaza-Fabrikgebäude in einem Vorort von Dhaka Tausende Näherinnen unter sich begraben. Seit diesem «Bhopal der Modebranche» herrscht beim 1989 von der heute 47-Jährigen mitgegründeten CCC-Netzwerk permanenter Ausnahmezustand. Und Zeldenrust selbst ist sich schmerzlich bewusst, «dass mein Geburtstag nun immer auch ein Gedenktag sein wird». Begonnen hat es im Amsterdam der späten 80er-Jahre, als philippinische Näherinnen erstmals gegen ihre Arbeitsbedingungen protestierten, damals gegen jene in Zulieferbetrieben von

C & A. «Das war neu, inspirierend und passte ins Bild.» Kurz zuvor hatte die diplomierte Sozialgeografin nämlich ein Seminar über die «New International Division of Labor» (neue interna­ tionale Arbeitsteilung) besucht. Und sofort gewusst: «Dieser Konflikt führt ins Zentrum feministischer Globalisierungskritik». Schliesslich kaufen Frauen nicht nur weitaus am meisten Kleidung, sondern produzieren sie auch – häufig unter erbärmlichen Umständen. «We wanted to make this issue fashionable», sagt die Ex-Hausbesetzerin mit jenem Schuss Selbstironie, der sie bei allem Kampfgeist nie verkrampft oder doktrinär wirken lässt. Nach dem Studium ging Zeldenrust zunächst «ein ernüchterndes Jahr ins Feld» nach Burkina Faso, um dann 1990 bei Hollands EvB-Pendant Somo anzuheuern. Parallel zur dortigen entwicklungspolitischen Arbeit baute sie zusammen mit Solidaritätsgruppen und Gewerkschaften die Clean Clothes Campaign auf, ehrgeizig und ehrenamtlich. Ihrem Projekt konnte sie sich erst voll widmen, als für sie selbst und drei Mit­ streiterInnen «so etwas wie ein Lohn» drin lag. Das war 1997, ein gutes Jahr nach dem Start der stilbildenden (und Spenden generierenden) Anti-Sweatshop-Kampagne gegen Nike. Bald darauf folgte die europäische Expansion. «Ohne unsere inzwischen 15 nationalen Netzwerkpartner könnten wir in der Textilindustrie nichts bewirken», relativiert Zeldenrust die Rolle ihrer Amsterdamer Koordinationsstelle. Sie war aber der strategische Kopf beim Verhandlungserfolg beim wegweisenden Sicherheitsabkommen für 1600 Textilfabriken in Bangladesch. Firmenvertreter und -Vertreterinnen fürchten die so hartnäckige wie clevere Zeldenrust. «Wir konnten das begrenzte Zeitfenster zum Handeln nach dem Rana-Plaza-Einsturz optimal nutzen, aber jetzt gilt es, diesen Etappensieg in nachhaltige Verbesserungen für die Betroffenen umzumünzen.» So bescheiden sind nur echte Game Changer.

I ne ke Z e ld e nr us t hat wesentlich dazu beige­ tragen, dass das Sicherheitsabkommen für Textil­ fabriken in Bangladesch zustande kam.

erklärung!_05_2013


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