Andri Stadler

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Andri Stadler Schot tland 30. 5 -24.7.2014

www.andristadler.ch


Am Freitag 30. Mai 2014 um 13:00 konnte ich das Pfeifermobil in Empfang nehmen und am Abend um 22:00 war alles eingepackt und star tklar.

Nordwär ts fahrend gönnte ich mir ausnahmsweise einen Campingplatz um alles aufzufüllen, abzuleeren, Wäsche zu waschen und um zu Duschen.

Eigentlich eine dumme Uhrzeit um aufzubrechen, doch die Reiselust war definitiv stär ker als die Vernunft. Die Fähre nach Dover hatte ich ja bereits auf Montag gebucht und davor wollte ich noch einen zweitägigen Abstecher nach Paris machen und einen Freund in der Cité des Ar t besuchen.

Es war Anfang Juni und ein bisschen widerwillig musste ich er kennen dass die wenigen anderen Reisenden auf dem Platz ein Durchschnittsalter von geschätzten oder gefühlten Hunder t Jahren hatten.

Unser Hund Milly durfte natür lich mit auf diese Reise und war für die nächsten zwei Monate mein ständiger Begleiter. Die Fahr t nach Paris war die er ste Etappe und als wir am Samstag Mittag unser Lager auf dem Par kplatz der Cité des Ar t in Paris aufschlugen, waren Fahrer, Hund und Wohnmobil zu einem eingespieltem Reiseteam zusammengewachsen. Mit dem Vorwand dass ich schweres Material für meinen Freund liefere, liess mich die Cité des Ar t für zwei Nächte an dieser ideal gelegenen Adresse campen. Eigentlich war das Mitbringsel zwar nur eine Stange „Parisienne Jaune“, doch die kleine Über treibung war‘s absolut wer t. Gemeinsam mit meinem Freund sind wir zwei Tage lang kreuz und quer durch ganz Paris gewander t, haben Ausstellungen besucht und sind gut essen gegangen. Nach diesem schönen Abschied vom europäischen Festland ging es am Montag Abend auf die Fähre von Calais nach Dover und um mich kulinarisch einzustimmen, hab ich das er ste - und auch das letzte Mal - eine englische Wur st bestellt! Ab jetzt herr scht Linksver kehr! - Ich nahm die er st mögliche Ausfahr t nach Folkestone, um diese fahr technische Hürde um einen Tag zu verschieben! Gestär kt mit Fish and Chips und mit vollem Kühlschrank startete ich am folgenden Morgen Richtung Norden. An London, Birmingham und Liverpool vorbei, erreichte ich nach zwei Tagen endlich die schottische Grenze! Dumfries mit einer der ältesten begehbaren Camera-Obscura‘s und die Landschaft um den Solway Fir th liess mein Herz schon mal höher schlagen. Trotzdem, es war landschaftlich und vom Licht her, noch nicht was ich suchte. Oder ander s gesagt, ich konnte einfach noch nicht zur Ruhe kommen, bevor ich ganz im Norden war. Ich musste also weiter über Glasgow, For t William, Inverness, und von dor t westwär ts quer nach Ullapool. Ullapool liegt am Meeresarm Loch Broom und ist Ausgangspunkt für Reisende Richtung Suther land oder per Fähre zu den Äusseren Hebriden. Für mich war hier der eigentliche Endpunkt einer 2000 Kilometer langen Anreise.

Nach Paris und der langen Anfahr t, mit Übernachtungen irgendwo am Strassenrand begann hier also definitiv das Kontrastprogramm: Die Entschleunigung war in vollem Gange, die Präsenz der Natur überwältigend, Körper und Geist schienen in einen Zustand der Schwerelosigkeit abzugleiten. Am anderen Ende des Platzes sprangen plötzlich drei ältere Menschen aus ihren Klappstühlen und jubelten aus vollem Herzen! Sie er klär ten mir, dass Sie jeweils dar um wetten, wie lange die Wellen der Schiffe brauchen, bis sie auf den steinigen Strand auftreffen. Dieses Mal 15 Minuten! Zeit, so scheint es, ist also zur Genüge vorhanden und abgesehen von der gigantischen Natur gibt es kaum etwas was sich in die Aufmer ksamkeit drängt. Am nächsten Morgen bestellte ich noch ein echtes schottisches Frühstück bevor es weiter gehen sollte. Mit Linsen, Kar toffeln, Speck und Spiegelei eigentlich ganz gut und nahrhaft. Die Wür stchen hatte ich ja schon kennen gelernt und grosszügig meinem Hund über lassen. Aber was ist das schwarze r unde Ding im Teller? - Aha, Black Pudding!? Was sich so süss anhör te und aussah, wie ein in die Jahre gekommenes Mousse au Chocolat, schmeckte auf der Zunge wie ein grausig gewürztes, ver trocknetes Blutwur st-Rädchen. Immerhin ber uhigte mich, dass selbst die Schotten sich nicht einig waren ob die Spezialität zum Verzehr geeignet ist! Endlich war es Zeit um einen ganz anderen Reiser ythmus zu finden. Das GPS konnte ich schon in Inverness ins Handschufach stecken und jetzt auch noch das iPhone und die Kar ten dazulegen, denn Empfang gab es sowieso nur noch punktuell und Strassen so wenige, dass man gut auf Sicht fahren konnte. Tagsüber fuhr ich ab jetzt jeweils ein kleines Stück weiter und suchte einen neuen Platz für ein bis drei Nächste. Wildcampen ist in Schottland ja offiziell er laubt und mit der Zeit kriegt man eine gute Nase für die gesuchten Or te. War der Platz einmal gefunden, gaben mir die langen Tage viel Zeit um die Gegend zu er kunden. Gegen Mitternacht zog ich dann jeweils, ausgerüstet mit Gummistiefel und Kamera, zusammen mit meinem Vierbeiner los.


Sur face 2014




Die kleinen Stechmücken „Midges“, die ausgerechnet auch in meiner bevorzugten Arbeitszeit in der Dämmer ung aktiv waren, ver trieben mich allerdings schnell aus den Highlands, zu den windigeren Küstenregionen. So ging die Reise der Nordwest- und Nordküste entlang zur Insel Or kney. Or kney bot mir, neben faszinierenden neolithischen Stätten, vor allem ein wunderbares Licht, sodass ich bis um 3 Uhr in der Früh in die feinsten Nuancen eintauchen konnte. Gerne wäre ich auch noch weiter zu den Shetland Islands gefahren, doch mittlerweile war das Wetter so schlecht, dass ich fast fluchtar tig die Fähre zurück auf die schottische Hauptinsel nahm und quer durch die Highlands nach Ullapool reiste. Dor t angekommen, landete ich direkt im Bauch der letzten Fähre Richtung Stornoway und eine Minute später legte das Schiff ab. Was für ein Glück, auf dem Weg zu den Äusseren Hebriden zu sein! James Boswell‘s „Tagebuch einer Reise nach den Hebriden“ liess mich die Ankunft mit Spannung erwar ten. Stornoway ist die einzige kleine Stadt auf der Inselgr uppe und meine Ankunftszeit am späten Abend bot mir die ideale Gelegenheit endlich mal ins berüchtigte Pub- und Nachtleben der Schotten und Schottinnen einzutauchen. Mit einem Wor t würde ich es mit „bizarr“ beschreiben. Wobei so manch süsses weibliches Los, im Ver laufe des Abends bitter har t am Boden zerschellte und gestandene Männer auf wackligen Beinen Geschichten von sich preisgaben, an die sich hoffentlich bald niemand mehr erinnern konnte! Am nächsten Tag war Sonntag und über die Insel Lewis legte sich ein bleischwerer Grauschleier - es herr scht offizielle Bilbelstudium-Pflicht und kaum eine freie Seele scheint sich aus dem Haus zu trauen. Ich traf also nur noch Autos mit jeweils einem älteren Mann in Anzug am Steuer und auf dem Beifahrer sitz, wie ein Blumenstrauss, seine Frau mit grossem Hut. Zum Glück war der Spuck am Montag wieder vorbei und das Inselleben durfte weiter gedeihen. Abgesehen von dieser kleinen Sonntagsüberraschung, sind mir die Äusseren Hebriden und dessen Bewohner sehr bald ans Herz gewachsen und meine Reise führ te gemütlich südwär ts, von einem grandiosen Or t zum Nächsten, bis hinunter zur letzten kleinen Insel Barra. Von hier gings dann zurück nach Oban, und faszinier t von den kleinen Inseln, gleich weiter Richtung Islay und Jura. Islay ist berühmt durch seine hohe Dichte an Wiskydestillerien, und die wenigen Reisenden waren denn auch oft auf einer eigentlichen Wiskytour.

Mangels Kenntnis und er schlagen von der Auswahl, hatte ich mir meinen Favoriten aber schon Anfangs Reise intuitiv aus dem Regal gewählt: Jura! Jura klang so ver traut und war trotzdem so fern. Und zudem schrieb Georges Orwell in der Abgeschiedenheit der Insel Jura den Klassiker „1984“. So brauchte ich also nur eine Destillerie besuchen gehen und konnte mich ansonsten auf den Bilderrausch konzentrieren. Die Stechmücken „Midges“ erwar teten mich auf Jura jedoch in Millionenschwärmen, sodass ich‘s bei einer einzigen Übernachtung bewenden liess und trotzdem glücklich über die Jura-Kurzvisite Richtung Glasgow reiste. Nach mehreren Wochen in der Natur, ging ich jetzt mit einer Mischung aus Abneigung und Neugier zurück in die Stadt. In Glasgow besuchte ich die Burell Collection und war tete ab, bis sich der grosse Pollock Par k von den menschlichen Besuchern leer te, um dor t mein Nachtlager aufzuschlagen. Mit Einbr uch der Dunkelheit fand ein regelrechter Schichtwechsel im Par k statt. Kaum waren die Menschen ver schwunden, wurden die Tiere aktiv und bis zu zehn Füchse streiften in unmittelbarer Nähe um mich her um. Am nächsten Morgen spazier te ich bei wunderbarem Licht durch Glasgow und dachte mir, dass ich hier irgendwann, ohne Wohnmobil, länger auf Besuch kommen werde. Es war nun Zeit um Kur s Richtung Flughafen Edinbourg zu nehmen, denn auf der letzten Etappe der Reise sind auch meine Par tnerin und unsere zwei Kinder (3 und 14 jährig) mit mir unterwegs. Zu vier t, plus Hund ging unsere Reise - jetzt mit etwas engeren Platzverhältnissen - weiter auf die Inseln Skye und Mull. Ganz besonder s auf Mull konnten wir das Pfeifermobil nochmals in vollen Zügen auskosten und wunderbare Momente zusammen in der rauen Natur geniessen! Ich möchte mich bei der Stiftung Otto Pfeifer ganz herzlich bedanken! Die Möglichkeit mit dem Pfeifermobil unterwegs zu sein, hat mir per sönlich und künstlerisch unglaublich gut getan und wird mich auch in den kommenden Monaten während der Auswer tung, immer wieder in wunderbare Erinner ungen eintauchen lassen. Die entstandenen Arbeiten werden unter anderem in zwei Einzelausstellungen und zwei Gr uppenausstellung einfliessen: Kunst(Zeug)Haus in Rapperswil, vom 30. 11. 2014 bis 8. 2. 2015 (group) Kunstmuseum Luzern, vom 6. 12. 2014 bis 8. 2. 2015 (group) Alpineum Produzentengalerie, Luzern, vom 6.2.2015 - 14.3.2015 (solo) und Neuer Shed, Frauenfeld, August - Oktober 2015 (solo)



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