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s ist Winter. Ich lümmel vor dem Fernseher und zappe mich durchs Unterhaltungsprogramm. Plötzlich flimmern Bilder von einsamen Stränden, traumhaften Steilküsten und verträumten spanischen Dörfchen über den Schirm. Der Reporter berichtet über einen neu eröffneten Küstenweg auf der Insel Menorca: Der Camí de Cavalls schlängelt sich über fast 190 km und knapp 3.000 Höhenmeter immer am Meer entlang einmal um die Insel. Auf dem Pferdeweg ritten im 18. Jahrhundert schon die britischen Besatzer entlang, um die Küsten zu kontrollieren und im Verteidigungsfall Truppen schnell zu verschieben. Der historische Meldereiterweg schlängelte sich komplett um Menorca. Nachdem die Briten vertrieben waren, geriet der Weg in Vergessenheit und verfiel. Erst zur Sommersaison 2010 ist die Rout wieder eröffnet worden. Als Fernwanderweg ist er für Wanderer, Mountainbiker und Reiter offen. Sofort ist mein Jagdinstinkt nach neuen Mountainbike-Routen geweckt. Inselumrundungen und Wanderwege jeglicher
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Art haben es mir angetan. Ich eile an den Rechner, um etwas mehr über den Camí de Cavalls zu erfahren. Doch meine Google-Versuche bleiben von bescheidenem Erfolg gekrönt. Denn über den Weg gibt es im weltweiten Netz noch wenig zu lesen. Und auch beim Thema Mountainbike und Menorca spuckt die sonst so allwissende Internetsuchmaschine nur dürftige Ergebnisse aus. Das stachelt mein Interesse jedoch nur noch mehr und. Und ein paar Monate später stehe ich schließlich mit meinen Freunden Inga und Mika selber mit dem Bike an einem der Traumstrände auf Menorca, die ich damals schon im Fernsehen bewundert habe. Was für ein Panorama! Wie in der Karibik! Türkisgrünes Wasser, weißer Sand, ein paar Schäfchen-Wolken am azurblauen Himmel und außer uns keine Menschenseele weit und breit. Mika fasst es kurz und knapp in Worte: „Wie in der Bacardi-Werbung: What a feeling...!“ Dem ist erstmal nichts hinzuzufügen. Doch bis wir schließlich den LandschaftsFlash am ersten Traum-Strand genießen konnten, war es ein steiniger Weg. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Der er-
ste Küstenabschnitt von Ciutadella in den Süden war gespickt mit verblockten Steinpassagen, auf dem wir schon ordentlich Körner gelassen haben. Gegen Mittag ist klar, dass wir unser erstes, sehr optimistisch ins Auge gefasstes Tagesziel auf keinen Fall erreichen werden. Dabei zeigt das Höhenprofil hier fast eine Nullkurve an, die auf einem Herzfrequenz-Monitor im Krankenhaus der sichere Tod wäre. Ich hatte mir sogar überlegt, mein Fully daheim zu lassen und mit dem Hardtail nach Menorca zu fahren. Doch Hochmut kommt vor dem Fall. Oder anders ausgedrückt: Der Camí de Cavalls schenkt einem nichts! Jede Traumbucht muss erstrampelt werden, jeder Aussichtsberg will tragend erobert sein. Eben Mountainbiken in seiner reinsten Urform. Wir verlieben uns trotzdem mit jedem Kilometer mehr in den Camí de Cavalls und die Insel. Denn hinter dem Örtchen Cala de Santa Galdana zeigt der Weg, dass auch das Wort „flow“ kein Fremdwort für den Camí de Cavalls ist. Durch ein kleines Dünenwäldchen fliegen wir von einer Kurvenkombination in die nächste. Verwitterte Bruchsteinmäuerchen jagen am ❯
Blindtex für einen Quote zum Thma Piratenüberfälle auf Menorca oder was einem sonst 113
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Helmvisier vorbei. Die Gabeln toben sich an kleinen Stufen aus. Hinter jeder Kuppe wartet eine neue fahrtechnische Überraschung. Das geht fast 10 km so, bevor uns der trail an einem neuen Traumstrand wieder an die Küste spuckt. Wir sind total aufgedreht von den Fahreindrücken und kühlen unsere aufgeheizten Bikerseelen erst mal mit einem erfrischenden Bad im Meer. Am nächsten Tag starten wir in Mahón. Das heißt, fast hätten wir unseren Tag komplett vertrödelt, denn die schnuckelige Hauptstadt von Menorca hat ihren eigenen Rhythmus, der einen schon bald gefangen nimmt. Wir hängen in einem Ca114
fé ab, schlendern durch die Markthallen, genießen den Blick auf die Fjord artige Hafeneinfahrt und lauschen einer spanischen Trommler-Band bei ihrem kostenlosen Konzert auf der Placa. Das ist das Schöne an Menorca: Die kleine Schwester von Deutschlands beliebtester Ferieninsel direkt nebenan hat zum Glück so gut wie keine Unsitten des Massen-Tourismus adaptiert. Auf der Placa von Mahón ist man unter Spaniern und die Innenstadt ist nicht zum Souvenir-Bauchladen verkommen. Irgendwann geht es für uns dann doch weiter. Die Route schlängelt sich nördlich der Hauptstadt nun an der Steilküste entlang. Statt Bacardi-Feeling gibt es hier nun
Whiskey-Optik, sprich Klippen wie in Schottland. Und wir mittendrin. Immer am Wasser entlang, immer mit dem Endlosblick zum Horizont. Nur ab und zu dümpelt ein kleines Fischerboot ganz in der Ferne klitzeklein über die Wellenkämme. Zu den unendlichen Panoramablicken gibt es den Geruch von Salz in der Nase sowie den leichten Wind im Gesicht kostenlos dazu - und nebenan knallt die Brandung mit Highspeed gegen die steilen Felsen. Für uns heißt es hingegen Lowspeed. Wir schieben die Räder über Sand durch eine Bucht. Außer ein paar windschiefen Hütten und einigen verwitterten Baustäm-
men, die das Meer angespült hat, Natur pur. Uns begegnet keine Menschenseele. Und immer wenn wir denken „besser geht es nicht“ überrascht uns der Camí de Cavalls mit neuen Blicken, Ausblicken, Einblicken. So wie im Naturschutzgebiet und Vogelschutzgebiet S´Albufera des Grau im Norden von Mahón. Er ist das Kerngebiet des UNESCO-Biosphärenreservats Menorca. Wir rollen durch schattige Dünenwäldchen an kleinen Lagunen und Seen entlang. Bewegungslos stehen ein paar Fischreiher im seichten Wasser und halten nach ihrem Abendessen Ausschau. Im Sommer nisten bis zu 2000 Vögel in der Albufera. Jetzt ist Stille. Nur die Baumwipfel der Kie-
fern aus dem Dünenwäldchen wiegen sich langsam im Wind vom Meer. Kilometer um Kilometer geht es weiter gen Norden. Wir fühlen uns inzwischen eins mit der Natur, eins mit dem Camí de Cavalls. Selbst die lästigen Holztore, die uns alle paar Kilometer den Weg versperren und als Schutztore für das Vieh dienen, haben wir als Teil des Ganzen akzeptiert. Inzwischen haben wir eine gewisse Fertigkeit darin entwickelt, möglichst ohne abzusteigen diese Hindernisse zu durchfahren, und das offene Tor im Sattel sitzend an den Hintermann bzw. die Hinterfrau weiterzugeben. Keine Frage: Menorca macht Lust auf
mehr Insel-Feeling. Inga plant schon insgeheim eine eigene MTB-Station auf Menorca und späht nach geeigneten Standorten. Mika recherchiert bereits den nächsten Familienurlaub auf der Insel und will mit dem Surfbrett wiederkommen. Und ich nehme mir vor, den Camí de Cavalls vielleicht noch einmal zu Fuß abzulaufen, schließlich bietet der Weg noch soviel Unentdecktes. Und dann werde ich ihn auch nicht mehr unterschätzen... +1 +2 +3 +4 +5
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