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Veröffentlicht von der EUROPÄISCHEN JOURNALISTEN FÖDERATION, der grössten Journalistenorganisation in Europa, die über 320. 000 Journalisten in 70 Journalistenorganisationen in 44 Ländern vertritt.

EUROPEANJOURNALISTS.ORG

Autor: Quentin Van Enis - Gastdozent an der belgischen Universität von Namur und der Katholischen Universität Löwen (UCL), praktizierender Anwalt in Brüssel und Mitglied der Journalistischen Ethikkommission in Belgien (Conseil de déontologie journalistique, CDJ). Übersetzt von Andreas K. Bittner Cartoon von Piet

Dieser Bericht wird mit der finanziellen Unterstützung der Open Society Foundations veröffentlicht. Ⓒ 2018

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Geheimnisse werden nicht von selbst öffentlich. Vor diesem Hintergrund ist die Rolle von Journalisten und Whistleblowern (Hinweisgebern) essentiell, um die Öffentlichkeit informieren zu können. Das Ziel dieser Broschüre ist es, eine kurze Analyse des kürzlich vorgelegten EU-Richtlinienentwurfs “zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden” (“on the protection of persons reporting on breaches of the Union law”1) zu leisten. Am 23. April 2018 hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag präsentiert, gemäß dem auch jene geschützt werden sollen, die investigativen Journalisten als Quelle dienen und damit Meinungsfreiheit und Medienfreiheit in Europa schützen. Kurz: Wer richtig handelt, sollte nicht bestraft werden. Die vorliegende Analyse geht (vor allem) von der Veröffentlichung von Informationen durch Whistleblower aus, die über Journalistinnen und Journalisten an die Öffentlichkeit gelangen. Nach einem Blick auf die allgemeinen Prinzipien, die hiervon berührt werden (I), soll der von der EU-Kommission vorgeschlagene Entwurf kritisch betrachtet werden; dabei kommen positive Aspekte genauso zur Sprache, wie die Themenbereiche, die im anstehenden legislativen Prozess noch verbessert werden können (II).

I ALLGEMEINE PRINZIPIEN MEINUNGSFREIHEIT, MEDIENFREIHEIT UND DER INFORMATIONSANSPRUCH DER ÖFFENTLICHKEIT Die Meinungsfreiheit ist “einer der unverzichtbaren Pfeiler” einer demokratischen Gesellschaft sowie “eine der Grundvoraussetzungen für ihren Fortschritt und die Selbstverwirklichung eines Jeden”, wie auch der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hervorhebt2. Es überrascht kaum, dass diese Freiheit in nahezu alle Dokumente und Gesetzestexten zum Grundrechteschutz – auf internationaler wie auf nationaler Ebene und in zahlreichen Staaten – verankert ist. Insbesondere sind hier zu nennen: Artikel 19, Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte die Vereinten Nationen, ie Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 oder, jüngeren Datums, die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 11. Auch wenn nicht in allen Dokumenten ausdrücklich genannt, ist die Pressefreiheit unzweifelhaft Teil der Meinungsfreiheit3. Die Medienfreiheit wird zudem explizit in der Europäischen Grundrechte-Charta genannt, deren Inhalte

seit dem Vertrag von Lissabon, der am 1. Dezember 2009 in Kraft trat, bindend sind. Parallel zu dem Recht, Informationen verbreiten zu dürfen, das der Presse bzw. den Medien gewährt wird, existiert ein damit korrespondierendes Recht der Öffentlichkeit, Informationen zu jeglichen Themen des allgemeinen Interesses auch erhalten zu können, wie es in der Rechtsprechung des EGMR zum Ausdruck kommt. Vor diesem Hintergrund muss es erhebliche Schutzmaßnahmen für die Presse bzw. die Medien geben, die nicht nur auf den Schutz und die Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten abzielen, die Informationen veröffentlichen, sondern eben auch die Möglichkeit für die Öffentlichkeit, diese Informationen erhalten bzw. wahrnehmen zu können.

DAS RECHT DES “JOURNALISTEN”, SEINE QUELLEN ZU SCHÜTZEN

Das Recht, journalistische Quellen zu schützen, wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bereits im Jahr 1996 aus der Meinungsfreiheit abgeleitet – und basiert auf dem öffentlichen Recht auf Information(en). Das Gericht mit Sitz in Straßburg begründete die Anerkennung folgendermaßen:

Der Schutz journalistischer Quellen ist ein Eckpfeiler der Pressefreiheit (…). Das Fehlen eines solchen Schutzes könnte Informantinnen oder Informanten davon abhalten, die Presse dabei zu unterstützen, die Öffentlichkeit über Angelegenheiten von Allgemeininteresse zu informieren. In der Konsequenz könnte die Presse dadurch eingeschränkt werden, ihre essentielle Rolle als “Wächterin” (watchdog) wahrzunehmen; ihre Leistungsfähigkeit, präzise und verlässliche Informationen zu liefern, könnte schwinden (…)4

Es erübrigt sich eigentlich, darauf hinzuweisen, dass die öffentliche Debatte signifikant weniger Bedeutung und Tiefgang hätte, wenn “Journalisten”, also Menschen, die journalistische Tätigkeiten ausüben – unabhängig von ihrem beruflichen Status oder dem jeweiligen Medium, für das sie arbeiten – sich nur auf Quellen stützen könnten, die möglicherweise auch akzeptierten, offengelegt zu werden. Ohne dass ihre Anonymität gewährleistet ist, könnte eine

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Informationsquelle ‘austrocknen’ und nicht mehr bereit sein, Journalisten – bisweilen entscheidende – Informationen anzuvertrauen. Noch mehr als die Journalisten selbst dürfte die breite Öffentlichkeit unausweichlich darunter leiden, wenn eine wirksamer Quellenschutz nicht mehr möglich wäre. Sollte dies tatsächlich so eintreten, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass viele Skandale nicht mehr aufgedeckt würden. In diesem Sinne unterstrich der Straßburger Gerichtshof: “[D]as Recht eines Journalisten, seine Quellen nicht preiszugeben, kann nicht wie ein bloßes Privileg betrachtet werden, das gewährt oder entzogen werden kann, abhängig von der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Quelle, dieses Recht ist vielmehr integraler Bestandteil des Rechts auf Information, das nur mit besonderer Vorsicht angetastet werden darf.”5.

ein, einen schützenden Gesetzesrahmen auf nationaler Ebene zu entwickeln10. Beide Bereiche – das Recht auf Informantenschutz und das Recht, Whistleblower zu schützen – scheinen sich nun (gegenseitig) zu ergänzen11und können gleichzeitig angewandt werden, unter der Annahme, dass ein Whistleblower (oder selbstverständlich auch: die Whistleblowerin) sich dazu entschließt, einen Journalisten einzuschalten, um Übertretungen oder Missstände öffentlich zu machen. Damit bekommt er zugleich die Qualität einer journalistischen Quelle zugeschrieben. So lange kein “übergeordnetes öffentliches Interesse” geltend gemacht werden kann, darf kein Arbeitgeber einen Journalisten dazu zwingen, den Urheber einer “undichten Stelle” im Unternehmen offenzulegen.12 Nach unserer Ansicht sollte diese Schlussfolgerung nicht durch die Enthüllung der Whistleblower-Informationen durch den Journalisten beeinflusst werden, und zwar ohne dass der Journalist abwarten und prüfen muss, ob es eine mögliche interne Verfahrensweise gibt, an die sich ein Whistleblower halten muss, um seine Bedenken einem Vorgesetzten oder anderen Mitarbeitern in der Organisation/ im Unternehmen mitzuteilen13.

Seither wurde die EGMR-Rechtssprechung mit einem großen Spektrum an Gerichtsentscheidungen bereichert, und – wenn auch bisweilen mit dem Vorbehalt, dass der Gerichtshof mit seiner Begründung nicht immer richtig lag6, – so lässt sich doch ein hohes Maß an Entschlossenheit erkennen, die unverzichtbaren demokratische Werte zu schützen. Zudem wurden sehr klare Forderungen aufgestellt, unter welchen Umständen Behörden und staatliche Institutionen überhaupt von der Europäischen Konvention abweichen dürfen7. Schon im Jahr 2000 lud das Ministerkomitee des Europarates, in dem die Mitgliedstaaten durch ihre Außenminister bzw. deren Ständige Vertreter im Range eines Botschafters vertreten sind, die europäischen Mitgliedsstaaten dazu ein, legislative Grundlagen zu schaffen und die entsprechenden Prinzipien, die vom Gerichtshof8, klar herausgearbeitet worden waren, in die jeweils nationale Gesetzgebung zu überführen.

SCHUTZ VON WHISTLEBLOWERN Nachdem im Jahr 2000 das Recht von Journalisten auf Informantenschutz anerkannt wurde, was bedeutete, sie indirekt zu schützen, in dem es “Journalisten” erlaubt war, die Identität ihrer Quelle nicht zu enthüllen, leitete der Straßburger Gerichtshof einen direkten Schutz von Whistleblowern (Hinweisgebern) ab; diese wurden definiert als Personen, die sich dazu entscheiden könnten, interne Informationen zu enthüllen, die im Arbeitszusammenhang als “vertraulich” gekennzeichnet waren, wenn die Öffentlichkeit ein legitimes Interesse haben könnte, informiert zu werden9. Nachdem der Gerichtshof also den Schutz von Whistleblowern unter bestimmten Bedingungen anerkannt hatte, lud das Ministerkomitees des Europarats die Mitgliedsstaaten erneut 3

Zukünftig sollte die Aufmerksamkeit weiter auf diesen Punkt gelegt werden, damit das Recht journalistische Quellen zu schützen nicht ausgehebelt und vom Inhalt losgelöst werden kann. Schließlich gäbe es zusätzliche Möglichkeiten einen Whistleblower zu identifizieren, bevor dieser die Chance hätte, einen Journalisten zu kontaktieren – als Teil einer wie auch immer gearteten internen oder externen Vorgehensweise für solche Meldungen (siehe hierzu auch den mehrstufigen Meldeprozess (tier reporting approach), wie er in der aktuellen Fassung des Richt- linien-Vorschlags zu finden ist.)

II

DER ENTWURF DER EU-RICHTLINIE IM VERGLEICH MIT EXISTIERENDEN STANDARDS UND VERBESSERUNGSVORSCHLÄGE Der Schutz von Whistleblowern ist auch heute keine komplette Ausnahme im europäischen Recht. Unter den bereits existierenden spezifischen Instrumenten erkennt

die europäische Legislative das Recht an, Whistleblower-Aktivitäten nicht über Gebühr zu behindern. Siehe genauer in Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den “Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger


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Nutzungund Offenlegung”, in der Ausnahmetatbestände festgehalten sind, auch wenn diese Regelungen nicht frei von Kritik sind14.

Kurzum: der Text adressiert mehr ein zweck-orientiertes, “utilitaristisches” als ein “demokratisches” Konzept des Whistleblowings15.

Nach der Entschließung des Europäische Parlaments vom 24. Oktober 2017 zu “Legitime Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern, die aus Gründen des öffentlichen Interesses Informationen offenlegen” und der Durchführung einer öffentlichen Anhörung durch die Kommission, startete letztere den Gesetzgebungsprozess, der in der Annahme des Richtlinienvorschlags am 23. April 2018 mündete. Innerhalb dieses Rahmens – und ohne den Anspruch erschöpfend zu sein – sollen im folgenden die wichtigsten Schwerpunkte der Richtlinie unter Berücksichtigung ihrer positiven Aspekte und wünschenswerten Verbesserungen näher betrachtet werden:

Ein weiteres Merkmal, das hier hervorgehoben werden muss, ist die Definition des Whistleblowers im Entwurfstext. Diese steht in Verbindung mit einem professionellen oder arbeitsrechtlichen Kontext im weiteren Sinne; damit bezieht sich die Definition auf jede Art von Beziehungen im Arbeitsumfeld (unabhängig von dem Status des “Beschäftigten”), was freiwillige (ehrenamtliche) Beschäftigung, die Einstellungs- und Probephase sowie die vor-vertraglichen Verhandlungen zum Arbeitsverhältnis betreffen. Die Kommission nimmt also an, dass Personen besonderen Rechtsschutz benötigen, wenn sie Informationen melden, die sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit erhalten, und sich damit dem Risiko von Repressalien am Arbeitsplatz aussetzen (z.B. aufgrund einer Verletzung der Vertraulichkeits- oder Loyalitätspflicht). Einen solchen Schutz benötigen sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Person, auf die sie de facto beruflich angewiesen sind. Liegt jedoch kein beruflich bedingtes Machtungleichgewicht vor (z. B. im Fall gewöhnlicher Beschwerden oder unbeteiligter Dritter), so ist kein Schutz vor Repressalien gegeben. (Abschnitt 24)

WHISTLEBLOWER UNTERSTÜTZEN BESTIMMTE ZIELE DER EUROPÄISCHEN UNION Der Vorschlag einer Richtlinie hat den Vorzug, sich für einen horizontalen Ansatz auszusprechen, ohne dass die Regelungen auf einen bestimmten Sektor beschränkt sind. Allerdings wäre es nun falsch zu glauben, dass der aktuell vorliegende Text voraussichtlich alle Aspekte umfasst, zu denen ein Hinweisgeber sich entscheiden könnte, Verfehlungen und Missstände, die dem öffentlichen Interesse schaden, aufzudecken. Der Geltungsbereich des Textes beschränkt sich auf einige Übertritte im Recht der Europäischen Union (Regeln zum öffentlichen Beschaffungswesen, Finanzdienstleistungen, Massnahmen gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung, Produktsicherheit, Transportsicherheit, Umweltschutz, Atomsicherheit, Nahrungs- und Futtermittelsicherheit, Tiergesundheit und -wohlergehen, öffentliche Gesundheit, Verbraucherschutz, Schutz der Privatsphäre und von persönlichen Daten sowie die Sicherheit von digitalen Netzwerk- und Informationssystemen.) Weitere Regelungen im Europäischen Recht könnten künftig hinzukommen. Der Vorschlag überträgt also das Konzept des Whistleblowing auf Maßnahmen, die dazu beitragen, spezifische Ziele der Europäischen Union zu erreichen. Tatsächlich betont der Text insbesondere die Notwendigkeit, Lücken oder Defizite in den oben genannten Bereichen zu identifizieren, wobei internen

Berichtswegen der Vorzug gegeben wird und gleichzeitig eine externe Meldung oder öffentliche Berichterstattung soweit wie möglich eingeschränkt bleiben soll, da diese schädlich für das Ansehen der betroffenen staatlichen oder privaten Organisationen (Unternehmen) sein könnten.

In dieser Hinsicht hat sich die Kommission also für eine Option entschieden, die mit der Empfehlung des Ministerrates des Europarats vergleichbar ist16, und ebenso mit derjenigen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verabschiedet hat. Beide gehen davon aus, dass der Schutz von Whistleblowern auf hypothetische Fälle beschränkt sein sollte, in denen Personen Informationen enthüllen und dabei ihre “Pflicht zu Loyalität, Zurückhaltung und Vertraulichkeit” missachten17. In der Vergangenheit hatte der gleiche Gerichtshof indes betont, dass Überlegungen zum Schutz von Whistleblowern auch auf Nutzer von öffentlichen Dienstleistungen zutreffen “könnten”, insoweit sie über die entsprechenden interne Abläufe informiert sind oder diese nutzen.” 18

DER EINGESCHRÄNKTE GELTUNGSBEREICH GESCHÜTZTER MELDUNGEN

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Zusätzlich zur eingeschränkten Reichweite der Richtlinie, die einige Aktivitäten nicht berücksichtigt (wie oben ausgeführt), scheint der Schutz für das Aufdecken von Missständen sich auf bestimmte Kategorien, die sehr 4


genaue Tatbestände bezeichnen, zu beschränken. Konkret: tatsächliche oder potenzielle ungesetzliche Aktivitäten die gegen bestimmte EU-Gesetze verstossen oder Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten, die in diesen Gesetzen niedergelegt sind. Das Konzept des “Gestaltungsmissbrauchs” wird definiert als “Handlungen oder Unterlassungen, die rein formal gesehen nicht ungesetzlich erscheinen, die aber der Absicht oder dem Geist des Gesetzes zuwiderlaufen.” (Beispiel wäre die missbräuchliche Ausnutzung des Steuerrechts zum Zwecke der Steuerumgehung oder Steuerminderung.) Die Definition des Gestaltungsmissbrauchs scheint – um es milde zu formulieren – unpräzise zu sein, und sichert damit nicht die notwendige Berechenbarkeit bzw. Rechtssicherheit für Whistleblower, die beabsichtigen, Handlungen aufzudecken, die rein formal zwar nicht illegal sind, aber schlicht gegen das öffentliche Interesse verstossen. Beispielsweise ist es nicht gesichert, dass Praktiken der Steueroptimierung, wie sie von Whistleblowern im so genannten Luxleaks-Fall aufgedeckt wurden, überhaupt in diese Kategorie fallen. Die entsprechende Anmerkung zum Richtlinien-Entwurf erläutert weiterhin, dass nur Verstösse, die “das öffentliche Interesse ernsthaft verletzen” dadurch abgedeckt sind. Die Kommission hat ihren Willen zum Ausdruck gebracht, dass sie die Schwelle der Anwendbarkeit der Direktive anheben will, im Unterschied zu der oben genannten Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats19. Schließlich besagt Abschnitt 30 der Direktive, dass bei der Meldung von Informationen, die bereits öffentlich sind oder bei denen es sich um unbegründete Spekulationen oder Gerüchte handelt, kein Schutz gewährt werden sollte. Diese Nicht-Qualifizierung könnte dann problematisch werden, wenn neue Aspekte von Whistleblowern enthüllt werden, die öffentlich bereits bekannte Informationen um neue Fakten bereichern20.

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EIN “GESTUFTER MELDEPROZESS” VERSCHLECHTERT DIE VORAUSSETZUNGEN FÜR ÖFFENTLICHE BERICHTERSTATTUNG ÜBER VERSTÖSSE

Der vorliegende Richtlinien-Entwurf spricht sich für einen gegliederten Meldeprozess aus und schreibt damit im Prinzip die Verpflichtung des Hinweisgebers fest, zunächst interne Meldekanäle zu nutzen, bevor es ihm (oder ihr) erlaubt ist, Verstösse einer externen Behörde oder Institution zu melden. Einen öffentlichen Berichtsweg – beispielsweise über die Medien – zu wählen, würde damit nur der letzte Ausweg sein, wenn die anderen Kanäle sich als ineffektiv erwiesen haben. 5

Auch wenn Artikel 13 des Entwurfs Ausnahmeregelungen für diese Verpflichtung (Einhaltung der Reihenfolge bei Meldekanälen) beschreibt, die wiederum Voraussetzung für die Gewährung eines Schutzes für Hinweisgeber ist, scheint es jedoch für den Whistleblower schwierig zu sein, mit einem angemessenen Grad von Sicherheit voraussehen zu können, ob er (oder sie) im konkreten Fall von der Ausnahmeregelung Gebrauch machen kann. Wie läßt sich qualifizieren, ob eine belastbare Einschätzung für das Fehlen “angemessener Folgeaktivitäten” vorlag, bzw. wenn im “angemessenen Zeitrahmen[..] keine geeigneten Maßnahmen ergriffen” wurden. Wie kann die folgende Passage interpretiert werden: “Ein Hinweisgeber, der in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Informationen über Verstöße publik macht, hat Anspruch auf Schutz im Rahmen dieser Richtlinie, wenn […] von ihm wegen einer unmittelbaren oder offenkundigen Gefährdung des öffentlichen Interesses, aufgrund der besonderen Umstände des Falls oder wegen der Gefahr eines irreparablen Schadens nach vernünftigem Ermessen kein Rückgriff auf interne und/oder externe Meldekanäle erwartet werden konnte. (Artikel 13, Absatz 4, b, deutsche Fassung, eigene Hervorhebung.) An dieser Stelle sieht der Text der Kommission weniger Schutz vor als die entsprechende Empfehlung des Ministerrats des Europarats. Während die diversen Meldekanäle für Hinweisgeber (interne Meldung, externe Meldung an die zuständigen Behörden oder öffentliche Enthüllung, z.B. über Medien), wird im Text des Europarats darauf verwiesen, dass “die individuelle Situation im jeweiligen Einzelfall den am besten geeigneten Meldekanal bestimmen sollte.” 21 Das Europäische Parlament sah genau die gleiche Option in ihrer vorgeschlagenen Resolution vor, die am 24. Oktober 2017 angenommen wurde. Nachdem “das Recht der Öffentlichkeit über alle Rechtsverletzungen, die das Interesse der Allgemeinheit untergraben, informiert zu werden” nochmals hervorgehoben wird, unterstreicht das EU-Parlament, “dass es für Whistleblower immer möglich sein sollte, Informationen zu einer ungesetzlichen oder unrechtmäßigen Handlung, oder über eine Handlung, die dem Allgemeininteresse zuwiderläuft, öffentlich zu machen. 22 Es scheint also, als ob unter bestimmten Umständen nur die ursprüngliche öffentliche Transparenz das einzig mögliche Mittel ist, mit dem ein Whistleblower auf ein von ihm erkanntes Fehlverhalten hinweisen kann. Wenn keine Öffentlichkeit hergestellt wird, kann es für ein öffentliches oder privates Unternehmen verlockend sein, fallweise und kostengünstig ein Problem zu “regeln”, ohne dass es eine nachhaltige Lösung gibt oder ein erneuter Verstoss ausgeschlossen werden kann.


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DIE ALLGEMEINEN RAHMENBEDINGUNGEN FÜR WHISTLEBLOWER

Wenn der Whistleblower unter den Geltungsbereich der Richtlinie fällt und die Anforderungen an zu gewährenden Schutz in strengster Weise erfüllt, kann er von den ihn schützenden Rahmenbedingungen profitieren. Diese sind auch nicht vertraglich auszuschließen (vor allem durch die Unterzeichnung einer Vertraulichkeitsvereinbarung). Das große Verdienst des Richtlinienvorschlags ist die Berücksichtigung unterschiedlicher Schutzbedürfnisse für Whistleblower, die ihm die Möglichkeit geben, rechtliche und finanzielle Hilfen zu beantragen sowie die Verabschiedung vorbeugender Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien (insbesondere die Aufhebung einer Beurlaubung / Kündigung). Die umfassende Definition von Vergeltungsmaßnahmen, vor denen der Whistleblower geschützt werden muss, vor allem “wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Strafen” bei Repressalien, muss aufrecht erhalten werden. Dazu gehört auch die Beweislastumkehr in dem Fall, dass eine Benachteiligung oder Vergeltungsmaßnahme der Grund für eine Whistleblower-Meldung oder Informationsoffenlegung war; dann obliegt es der Person, die die Vergeltungsmaßnahme ergriffen hat, nachzuweisen, dass die Benachteiligung keineswegs aufgrund der Meldung erfolgte, sondern ausschließlich auf hinreichenden sonstigen Gründen basierte23. Ein weiteres positives Element ist die Anerkennung einer Ausnahme aus “gutem Glauben”, die einen Hinweisgeber schützt, der berechtigten Grund zu der Annahme hatte, dass es für die enthüllten Informationen tatsächlich eine sachliche Grundlage gab. Das gilt auch, wenn dieser Glaube sich später als irrig herausstellen sollte24, aber die mitgeteilten Informationen in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen. Parallel zu dem gewährten Schutz des Hinweisgebers macht sich die Kommission umgekehrt auch Gedanken über das Schicksal der Person, die von einer erfolgten Meldung betroffen sein könnte. Falls ein Schutz der betroffenen Person empfehlenswert ist, vor allem auch das Recht auf Verteidigung, können dennoch Zweifel an der Zweckmäßigkeit auftreten, die den Mitgliedsstaaten auferlegt “wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Strafen” für Personen festzulegen “die in böswilliger oder missbräuchlicher Absicht Informationen melden oder offenlegen”, darunter Maßnahmen zur Entschädigung von Personen, die durch böswillige oder missbräuchliche Meldungen geschädigt wurden.

In diesem Zusammenhang sollte auf potenziell abschreckende Auswirkungen der hier vorgesehenen Strafen verwiesen werden, vor allem auf die legitime Praxis des Whistleblowing. Hier ist es hilfreich auf eine Resolution hinzuweisen, die die Parlamentarische Versammlung des Europarates im Jahr 2007 verabschiedet hat. Mitgliedsstaaten werden hier eingeladen Verleumdungstatbestände (“Ehrdelikte”) schrittweise zu entkriminalisieren und zivilrechtliche Schadensersatzansprüche mit Augenmaß einzuführen25. Zugleich sollte auch garantiert sein, dass eine Person, die nicht alle Voraussetzungen für einen Schutz gemäß der EU-Richtlinie erfüllt, nicht automatisch für “bösartige” oder “missbräuchliche” Meldung von Informationen bestraft wird. Gemäß der Entschließung der Parlamentarische Versammlung des Europarates sollten: Aussagen oder Beschuldigungen, die im öffentlichen Interesse gemacht werden, selbst wenn sie inakurat sind, nicht strafbar sein, vorausgesetzt, sie sind ohne das Wissen um ihre Ungenauigkeit, ohne Absicht, Schaden anzurichten gemacht worden und ihr Wahrheitsgehalt wurde mit angemessener Sorgfalt geprüft.26

Schließlich sollte daran erinnert werden, dass die vorgeschlagene Richtlinie einzelne Staaten nicht davon abhalten sollte, die Mindeststandards zum Schutz von Whistleblowern weiterzuentwickeln, umgekehrt aber Staaten daran hindert, die Schutzmechanismen für Personen, die von der Veröffentlichung einer Meldung betroffen sind, zu verwässern oder zu verschlechtern.

III FAZIT

Zielsetzung der Kommission war es, die Hürden für Whistleblower und deren Bedenken zu verringern. Diese könnten – ohne angemessene, schützende Massnahmen – davor zurückschrecken, Verstöße, die das öffentliche Interesse betreffen, zu melden oder offenzulegen. Und auch wenn der Text in seiner aktuellen Version zahlreiche positive Aspekte enthält, erreicht die EU-Richtlinie in dieser Form nur einen Teil ihrer Ziele – vor allem mit Blick auf der Einschränkung der Reichweite. Sie bezieht sich nämlich lediglich auf einige sehr spezifische Bereiche in der Europäischen Union. Hinzu kommen die relativ strengen Voraussetzungen unter denen Whistleblower berechtigt sind, tatsächlich von einem schützenden Rahmenwerk profitieren zu können. 6


QUELLEN UND FUßNOTEN 7

1 Der am selben Tag angenommene vorgeschlagene Richtlinienentwurf und die Kommunika�on der Europäischen Kommission zu “Strengthening whistleblower protec�on at EU level” findet sich hier:h�p://ec.europa.eu/newsroom/just/itemdetail. cfm?item_id=620400. 2 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (European Court of Huma Rights) Urteil, Handyside gegen Vereinigtes Königreich, vom 7. Dezember 1976, § 49. 3 Hierzu im einzelnen auch das Urteil Sunday Times versus United Kingdom (N° 1) des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), vom 26. April 1979, § 65. Pressefreiheit als Teil der breiter gefassten Meinungsfreihet (On the specifici�es of press freedom as part of the broader guarantee of freedom of expression), sowie im Besonderen unsere Studie zum Ökosystem der Neuen Medien und zur Pressefreiheit im Digitalen Zeitalter: Q. VAN ENIS, La liberté de la presse à l’ère numérique, coll. du CRIDS, Brussels, Larcier, 2015, 778 pp. 4 EGMR, Goodwin gegen Vereinigtes Königreich, Urteil vom 27. März 1996, § 39. 5 EGMR, 2. Sek�on, Tillack gegen Belgien, Urteil, 27. November 2007, § 65. 6 Siehe inbesondere: EGMR, 2. Sek�on, Görmüş und andere gegen die Türkei, Urteil vom 19. Januar 2016, in dem der Gerichtshof das Journalistenrecht auf Informantenschutz davon abhängig machte, ob geprü� worden sei, dass die Quelle ihrer Pflicht genüge getan habe, sich zunächst an den vorgegebenen internen verwaltungsrechtlichen Dienstweg zu halten und ihren Vorgesetzten die Besorgnis über bes�mmte Vorgänge mitgeteilt habe. Im konkreten Fall war es allerdings so, dass das türkische Recht keinerlei Regelung dahingehend enthält, ob und wie Armeeangehörige potenziell irreguläre Vorgänge, die sich in ihrem Arbeitsfeld ereignen, bekanntgeben müssen. Den Beschwerdeführern konnte somit nicht zum Vorwurf gemacht werden, die ihnen übermi�elten Informa�onen veröffentlicht zu haben, ohne darauf gewartet zu haben, dass ihre Quellen und/oder Informanten ihre Bedenken zuvor über den Dienstweg geäußert ha�en. (im Detail nachzulesen in § 61 der Entscheidung). 7 Siehe in diesem Zusammenhang auch die Studie: Q. VAN ENIS, “Une solide protec�on des sources journalis�ques et des lanceurs d’alerte : une impérieuse nécessité à l’ère dite de la ‘post-vérité’ ?”, in Le secret, Limal, Anthemis, 2017, pp. 95-152. (Studien�tel: Ein solider Schutz von journalis�schen Quellen und Hinweisgebern: zwingende Notwendigkeit im sogenannten Post-Truth Zeitalter”) 8 Empfehlung Nr. (2000) 7, Ministerkomitee des Europarats (Commi�ee of Ministers to the Member States) zum “journalis�schen Recht, Quellen nicht preisgeben zu müssen, angenommen in der 701. Sitzung am 8. März 2000. 9 EGMR, Große Kammer Chamber, Guja gegen Moldawien, Urteil, 12. Februar 2008. 10 Empfehlung CM/Rec(2014)7 des Ministerkomitees des Europarats zum Schutz von Whistleblowern, verabschiedet am 30. April 2014, beim 1198. Delegiertentreffen. 11 D. VOORHOOF, “Freedom of journalis�c newsgathering, access to informa�on, and protec�on of whistle- blowers under Ar�cle 10 ECHR and the standards of the Council of Europe”, in A. KOLTAY (ed.), Compara�ve Perspec�ves on the Fundamental Freedom of Expression, Budapest, Kluwer, 2015, p. 300.

Genau das war die Annahme bei dem Goodwin-Fall, bei dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erstmals das Recht anerkannte, dass journalis�sche Quellen geschützt werden müssen. 13 EGMR, 2. Sek�on, siehe das oben genannte Urteil zum Fall Görmüş und andere gegen die Türkei, § 61 14 Siehe auch die oben erwähnte Studie: Q. VAN ENIS, “Une solide protec�on des sources journalis�ques et des lanceurs d’alerte… “, op. cit., pp. 148-151. See also F. DUBUISSON and J. PIERET, “Société de l’informa�on, médias et liberté d’expression”, J.E.D.H., 2016/3, pp. 350-351. 15 Zu dieser Unterscheidung siehe inbes. die Publika�on von: J.-PH. FOEGLE, “Le lanceur d’alerte dans l’Union européenne : démocra�e, management, vulnérabilité(s)”, in M. DISANT et D. POLLET-PANOUSSIS (dir.), Les lanceurs d’alerte – Quelle protec�on juridique ? Quelles limites ?, Issy-les-Moulineaux, Lextenso, LGDJ, 2017, p. 111. Der Autor beschreibt das Whistleblower-Konzept als managermäßig (“managerial”) oder überwachungstechnisch mo�viert (“monitoring”); hier würde die Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit lediglich unter Annahmen betrachtet, bei denen es Whistleblowern nur erlaubt sei, über reine Fakten und Verhaltensweisen zu berichten, die die öffentliche Gewalt versucht zu unterdrücken. So werden potenziell zwar alle Hinweisgeber geschützt, zugleich wird ihnen aber ein sehr eingeschränktes Recht auf Whistleblowing zugestanden, womit eine inhaltlichen Verkürzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung befürwortet wird. 16 Zuvor genannte Empfehlungen in §§ 3 und 4. 17 EGMR, Große Kammer, Medžlis Islamske Zajednice Brčko und andere gegen Bosnien-Herzegovina, Urteil vom 27. Juni 2017, § 80. 18 EGMR, 2. Sek�on, Bargão u. Domingos Correia gegen Portugal, Urteil vom 15. November 2012, § 35. 19 Annex 12: Vergleichstabelle zu den Prinzipien des Europarats, S.1: “Höherer Schwellenwert, um den Umfang der Anwendung der Richtlinie genauer zu definieren: Bereiche, wo Verstösse ‘ernstha�en’ Schaden für das Allgemeininteresse haben können.” 20 Im Luxleaks-Fall ha�e genau dieses Mo�v dazu geführt, dass das Berufungsgericht des Großherzogtums Luxemburg den Schutz für einen der Whistleblower zurückgezogen ha�e. 21 § 14. 22 § 35, kursive Hervorhebung durch den Autor. 23 Erst jüngst missbilligte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das Vorgehen der Republik Moldawien zum zweiten Mal, da diese keine überzeugende Erklärung vorbringen konnte, warum sie erneut veranlasst ha�e, dass ein Beamter entlassen wurde, der schon in der Vergangenheit als Whistleblower vom selben Gericht anerkannt worden war. Der EGMR sah es als gegeben an, dass diese Entlassung eine erneute Vergeltung für die früheren Meldungen des Hinweisgebers war. (siehe EGMR, 2nd sect., Guja gegen Moldawie (n° 2) Urteil vom 27. Februar 2018). 24 Hierzu heißt es in Abschni� 30 “Um Verstöße gegen das Unionsrecht wirksam zu unterbinden, sollten auch Personen geschützt werden, die Informa�onen zu potenziellen Verstößen melden, die zwar noch nicht eingetreten sind, aber mit deren Eintreten zu rechnen ist.” Darunter fällt nicht die Meldung von Informa�onen, die bereits öffentlich sind oder bei denen es sich um unbegründete Spekula�onen oder Gerüchte handelt. 25 Parlamentarische Versammlung: Resolu�on 1577 (2007): “Hin zur Entkriminalisierung der Verleumdung” (Towards decriminalisa�on of defama�on), angenommen am 4. Oktober 2007 26 Genauso auch: § 7. 12


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