Seitenauszug "Mein Budapest"

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Oben: Vornehme, eindrucksvolle Gebäude am Pester Donauufer in den 1850erJahren. Unten: Der dicht bevölkerte Pester Donaukai mit dem Lloyd-Palast links, im Hintergrund das Königsschloss und das Palais Sándor, der heutige Sitz des Staatspräsidenten.

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Die Neugestaltung der kulturhistorisch bedeutsamen Matthiaskirche im neogotischen Stil begann 1873 Die Matthiaskirche / Mátyás Temder insgesamt weltweit ihresgleider ungarischen Hauptstadt. Sie ist Welterbes eingetragen. Pro memounsere Ausführungen über die phase dieser Kirche auf Seite 33. Seine heutige neogotische bäude durch eine gross angelegte Frigyes Schulek leitete diese nem Bemühen, die Kirche als werk wiederherzustellen, fast

plom ist die bekannteste chen suchenden Kirchen als Teil eines UNESCOria: Wir verweisen auf 700-jährige EntstehungsGestalt erhielt das GeRestaurierung ab 1873. Arbeit und liess in seimittelalterliches Baualle Steine auswech-

Aufbau, Struktur, Farben und gestaltbildende Bestandteile der neogotischen Matthiaskirche im Überblick.

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seln. Er opferte die barocke Bausubstanz, veränderte den Grundriss, die Fassaden und das Gewölbe, liess Mauern abreissen, um die ursprüngliche Baulösung rekonstruieren zu können. Auf dem Dreifaltigkeitsplatz vor der Kirche steht die gleichnamige Säule (1710–1713). Dahinter der 1904 im neogotischen Stil erbaute ehemalige Sitz des Finanzministeriums. Das im Zweiten Weltkrieg stark beschädigte Gebäude wurde zwischen 1948 und 1962 wieder instand gesetzt. Nebenan öffnet sich der Hess-András-Platz. Auf dessen rechter Seite befindet sich – von der Kirche verdeckt – das Hotel Hilton mit seiner historischen Fassade (siehe Bild auf der rechten Seite).


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Die Matthiaskirche Panoramaaufnahme vom Inneren der geschichtsträchtigen Matthiaskirche, die auch als Krönungskirche bekannt ist. Denn hier fanden über die Jahrhunderte etliche Krönungszeremonien der ungarischen Könige statt: 1867 Kaiser Franz Joseph mit Sisi und zuletzt, 1916, Karl IV. mit Zita. €?"q cl \ “ .‘ ‚St—‘

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1895: Baubeginn des neoromanischen Monuments Fischerbastei, die herrliche Blicke auf die Donau und über Pest bietet

Eine interessante, aussagekräftige Zeichnung der monumentalen Fischerbastei von Tomáš Rygl.

Die Fischerbastei / Halászbástya ist eines der Wahrzeichen und eines der eigenartigsten Bauwerke der ungarischen Metropole. Sie befindet sich im Burgviertel, in der Nähe des Königspalastes und unmittelbar unter der Matthiaskirche. Die Fischerbastei gehört zu den grössten Touristenattraktionen der Hauptstadt. Die meisten Besucher halten die Aussicht von hier für eine der besten in der Stadt, die nur vom Königspalast oder vom Gellértberg übertroffen wird. In der Tat. Der Betrachter hat von den verschiedensten Punkten des 140 Meter breiten Bauwerks einen herrlichen Blick auf die Donau, auf das Parlament und auf Pest. Durch ihre erhöhte Lage bietet die burgähnliche Fischerbastei dem Besucher diesen wundervollen, wirklich einzigartigen Panoramablick. Manche Besucher empfinden das Bauwerk als etwas Märchenhaftes, das eine Atmosphäre romantischer Ritterburgen, vielleicht auch mittelalterlicher Klosterhöfe vermittelt.

Die Fischerbastei erhebt sich auf dem Burghügel nahe des mittelalterlichen Fischmarktes von Buda. Ihr Name rührt von der Zunft der Fischer her, für die das Monument errichtet wurde. Die Fischer hatten im Mittelalter diesen Abschnitt der Stadtmauer zu verteidigen. An der Stelle der alten Budaer Burgmauer wurde die Bastei nach den Plänen von Frigyes Schulek zwischen 1895 und 1902 erbaut. Schulek war schon beim Umbau der direkt daneben gelegenen Matthiaskirche beteiligt. Die aussergewöhnliche Architektur der Fischerbastei vereint neogotische und neoromanische Elemente. Sie wird oft als eklektizistisches Bauwerk bezeichn et, da hier unterschiedliche Stilelemente verarbeitet wur den. Eine virtuose Mi-

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schung historisch überlieferter Bauformen bietet den Besuchern tatsächlich Architekturgeschichte im Vorübergehen. Schulek errichtete zunächst einen im Ensemble mit der Matthiaskirche wirkenden Unterbau, dem er dieses Riesenbauwerk aufsetzte: mächtige Basteiwände mit auskragenden runden Brüstungen, im Wechsel bestückt mit dicken und dünnen Rundtürmen, Um- und Aufgängen. Die trutzigen Wände sind aufgelockert durch Reihen neoromanischer runder Fensteröffnungen. Aus den zahlreichen Motiven der Gesamtanlage ragen verschiedene Treppen, insbesondere die riesige Freitreppe heraus, die von der Bastei zur Wasserstadt führt. Besonders charakteristisch sind die Türme mit ihren spitzen gemauerten Hauben. Die Bastei hat sieben Türme, von denen jeder einen der sieben Magyar-Stämme symbolisiert, die sich im Jahr 896 in die-

sem Gebiet angesiedelt haben, das heute als Ungarn bekannt ist. Das Bauwerk sieht aus, als ob es einem Märchen entsprungen sei und lässt Gedanken an romantische Ritterburgen oder fräulein aufkommen. Neben der Bastei steht in Bronze ein Reiterdenkmal von König Stephan I. dem Heiligen, der das Christentum in Ungarn verbreitete. Er ist zu Pferde dargestellt, auf einem Unterbau, der mit Reliefs verziert ist. Frigyes Schulek entwarf für das Denkmal die umlaufende Steinbrüstung, den Sockel mit vier Löwen sowie Reliefs an den Seiten. Hier werden Szenen aus dem Leben des heiligen Stephan dargestellt, unter anderem die »Krönung«, die »Huldigung von Wien«, der »Kirchenbau« und die »Gesetzesverkündung«. 79

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Die Fischerbastei, die Matthiaskirche und die vordere, moderne Fassade des Hilton-Hotels, von der Donauseite her gesehen. Rechts in der Bildmitte der renovierte Turm der auf Seite 33 beschriebenen alten Krönungskirche.


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Die 1896 erbaute epochale Millenniums-U-Bahn sowie das von 1970 bis 2014 erweiterte moderne Metrosystem12 Eines der epochalen Grossprojekte zur Millenniumsfeier 1896 war die erste kontinentaleuropäische Untergrundbahn, ungarisch Földalatti genannt. Die Millenniumsfeier zog von Mai bis Oktober 1896 mehr als 5 Millionen Besucher an. Um diese gigantische Zahl zu verstehen, ist gut zu wissen, dass sich die Einwohnerzahl im gesamten Stadtgebiet von 1840 bis 1900 versiebenfachte und von 100 000 auf über 700 000 stieg. Es braucht nicht näher begründet oder ausgeführt zu werden, dass es nur eine epochale, ja visionäre infrastrukturelle Erneuerung möglich machen konnte, diesen gewaltigen Besucherstrom zu bewältigen. Nur dank der Millenniumslinie / Millenniumi Földalatti Vasút – die mittlerweile UNESCO-Welterbe ist – konnte das immense Verkehrsproblem gelöst werden. Und es ist mehr als verständlich, dass die Herzen der stolzen Magyaren wieder einmal höher schlugen als üblich. Das U-Bahn-Museum am Deák Ferenc-Platz

Im Budapester U-BahnMuseum: Vor 120 Jahren wird die Fahrt mit der Untergrundbahn wohl ein geruhsames Erlebnis gewesen sein.

Es ist interessant zu lesen, was Wikipedia im Beitrag »Metró Budapest« über die Schaffung des Millennium-U-Bahn-Museums berichtet. Auf Initiative der Budapester Verkehrsbetriebe und des Budapester Verkehrsmuseums wurde 1975 in einem abgetrenn-

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ten Tunnelstück am Deák Ferenc tér ein Museum zur U-Bahn der ungarischen Hauptstadt eingerichtet. Beim Eintritt in das Museum sieht der Besucher eine Bank und eine Tafel der heutigen Station Vörösmarty-Platz, die bei der Sanierung 1973 aufbewahrt wurden. Im weiteren Teil des kleinen Museums sind die verschiedenen Bau- und Zeitabschnitte der Millenniums-U-Bahn in drei grossen Schauvitrinen in Ungarisch und Englisch dargestellt. In der ersten Vitrine werden der allgemeine Stadtverkehr der ungarischen Hauptstadt sowie die Entwurfs- und Planungsphase der U-Bahn beschrieben. In der zweiten Vitrine wird der Tunnel- und Fahrzeugbau detailliert dargestellt. In der dritten und letzten Vitrine wird über die verschiedenen Modernisierungen und über den Zustand des Netzes allgemein berichtet. Ferner befinden sich im Museum noch zwei Züge der UBahn, vorne der Motorwagen mit der Nummer 19, hinten ein Beiwagen und ein Motorwagen mit der Nummer 1. Diese stehen auf einem 40 Meter langen Gleis, das vom ursprünglichen Prellbock der heute Széchenyi-Bad genannten Station stammt. Mit diesem Bild des ungarischen Starfotografen Tamás D. Varga runden wir unsere Berichterstattung über das 19. Jahrhundert ab. Wir ergänzen sie mit der Empfehlung, dieses kleine Museum zu besuchen.


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Und jetzt machen wir einen Sprung über mehr als siebzig Jahre. Die soeben beschriebene älteste kontinentaleuropäische U-Bahn, die heutige M1, durchläuft die Stadt fast direkt unter der Oberfläche. Sie ist trotz des gewaltigen technischen Fortschritts der neuen, tief unter der Erde verlaufenden modernen U-Bahnen nahtlos in das moderne Budapester Metrosystem integriert. Dieses besteht gegenwärtig aus der gelben M1 (1896), aus der roten M2 sowie der blauen M3 (1970) und der grünen M4 (2014). Die fünfte Linie M5 ist in Planung. Das Gesamtnetz der Budapester Metró verfügt über eine Streckenlänge von 38 Kilometern und hat 52 Stationen (Stand Herbst 2017). Die Stationen der M4 sind per Lift zugänglich, die anderen Linien über Rolltreppen oder Treppen. In den Zügen darf man weder rauchen noch essen, Musikhören ist lediglich mit Kopfhörern erlaubt. Hunde – mit Extraticket – dürfen nur mit Maulkorb mitfahren. Ein wahrlich modernes Metrosystem, dessen Grundregeln aber gnadenlos durchgesetzt werden.

Nostalgie erweckende, emotionalisierende Zugangstreppe inmitten des Budapester Prachtboulevards Andrássy út zur 1896 erbauten und heute noch tadellos funktionierenden Untergrundbahn.

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Der Hunyadi-Hof des Königspalastes mit Brunnen und Statue Die Aufnahme zeigt nur einen Teilbereich des Innenhofes. Rechts am Eck befindet sich der Matthiasbrunnen. Dieser ist an die Nordwand des CFlügels auf der südlichen Seite des westlichen Vorhofes gebaut. Eingefasst ist der in römischer Barockbauart errichtete Brunnen von korinthischen Säulenpaaren. Die Bronzefigur an der Wand über dem Brunnen stellt Matthias Corvinus auf der Jagd dar. Links steht auf hohem Podest die Statue Der Pferdehirt.

Fortsetzung des Hunyadi-Hofes Dieses Bild zeigt die Fortsetzung des oberen Fotos nach rechts. Der von Löwen bewachte Durchgang führt in den Löwenhof. Das Tor gibt den Blick frei zum Eingang der Széchényi-Nationalbibliothek.

Innenhof des Königspalastes mit dem Löwentor Das Löwentor wurde im Jahr 1901 / 02 vom ungarischen Bildhauer János Fadrusz (1858–1903) errichtet. Vom Aussenhof führt der Weg durch das Tor in den Innenhof der Palastanlage. Namengebend wirkten die vier brüllenden Löwenstatuen, die das Tor und den Innenhof bewachen. Zwei dieser Furcht einflössenden, da sehr naturalistisch gebildeten Tierskulpturen halten am Toreingang grimmig Wache, während die anderen beiden im Innenhof ihre Position bezogen haben.

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stellt werden (siehe Seite 164). Einen grossen Platzbedarf beansprucht zum anderen die Nationalbibliothek Széchényi. Sie umfasst acht Millionen bibliografische Einheiten in Form von Büchern, Landkarten, Manuskripten und Handschriften (siehe Seite 163). Schliesslich befindet sich im südöstlichen Flügel des Palastes das Historische Museum, das sich der Geschichte Budapests von der Ur- bis in die Neuzeit widmet.

Das unterirdische Labyrinth des Burgpalastes.

Der heutige Königspalast ist das Ergebnis von Wiederauf- und Umbauten im 18. und 19. Jahrhundert. Im Weltkrieg wurde er stark beschädigt, zum Teil zerstört. Wertvolle Einrichtungen wurden vernichtet. Das meiste wurde nach Kriegsende nach originalen Plänen wiederhergestellt. 96

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Nach der Schlacht um Budapest Ende 1944 blieb nur weniges erhalten. Zudem entschieden dann barbarische kommunistische Machthaber, dass wichtige Innenräume und Inneneinrichtungen nicht repariert, sondern einfach beseitigt wurden. Allerdings war es vor allem dem Zweiten Weltkrieg und der damit verbundenen zweiten vollständigen Zerstörung der Burg zu »verdanken«, dass sich für Historiker eine neue Chance ergeben hat, die alte, ursprüngliche Burg zu erforschen und zu rekonstruieren. Denn diese war von dem ab dem 18. Jahrhundert erbauten Schlossbau überdeckt worden. Auf diese Weise bekam man Einblick auf Räume, die man bis dahin nicht vermutet hatte. Als wichtigste sind die Burgkapelle und der Grosse Gotische Saal zu nennen. Es gelang sogar, den Grossen Saal nur


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anhand der erhaltenen Erdgeschossmauern und zweier Säulen, die das Kreuzgewölbe trugen, originalgetreu zu rekonstruieren. Die Leistung der Historiker kann nicht hoch genug bewertet werden, da mit ihrer Arbeit ein grosses Stück längst verloren gegangener Budapester und ungarischer Geschichte wiederbelebt werden konnte. Glücklicherweise gibt es auch Deckenmalereien und den Grossen Ballsaal, die den Krieg unbeschadet überstanden haben. Die Kapelle und der Habsburg-Saal wurden nicht wiederhergestellt, sondern als moderne Museumsräume adaptiert. Von den einstigen Prunkräumen und Zimmern ist nichts erhalten. Unter der Burg befinden sich zwei Höhlensysteme. Das Labyrinth besteht aus natürlichen Hohlräumen, die im Mittel-

alter miteinander verbunden wurden, da diese Höhlen militärischen Zwecken dienten. Besichtigt werden kann ein kleines Labyrinth, das auf die türkische Besatzungszeit zurückgeht, und ein Höhlensystem, das im Zweiten Weltkrieg der Wehrmacht der Deutschen als Hauptquartier diente. Die 24 Kilometer lange Höhlenanlage erreicht man von der Strasse Úri utca aus (wörtlich: »Vornehme Strasse«), Hausnummer 9 im Burgviertel. In einem Wachsfiguren-Panoptikum wird die ungarische Geschichte dargestellt.

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IN-{Wißifiif Oben: Zauberhafter Terrassenausblick von der unteren Ebene des Königspalastes. Unten: Ein winterliches Panoramabild zeigt die schwellende Monumentalität der kuppelgekrönten Eingangsfassade.

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Samstag, 27. Oktober 1956: Erfindergeist im Widerstand Der Aufstand hat eine neue – dritte – Phase erreicht. Im ganzen Land herrscht ein »fanatischer Patriotismus«. Grosse Teile der ungarischen Armee wechseln auf die Seite der Aufständischen. Mehr und mehr russische Soldaten verweigern den Schiessbefehl, nachdem sie realisieren, dass in Ungarn ein Volksaufstand im Gange ist. Mutige Soldaten und zu allem entschlossene Freiheitskämpfer unter der Leitung von Oberst Pál Maléter kämpfen aus der György-Kilián-Kaserne, die am Rande der Innenstadt liegt, gegen die russische Übermacht. Dort fabrizieren findige Kämpfer aus Nitroglyzerin eines chemischen Laboratoriums effiziente Waffen. Das Äussere der Kaserne und ihre Nachbarschaft bieten ein tristes Bild. Die Regierung ist nicht mehr Herr der Lage. Deshalb wird eine neue Regierung gebildet, wieder mit Imre Nagy als Ministerpräsident. Der Regierung gehören 27 Personen an – unter ihnen auch zwei Nichtkommunisten, nämlich Zoltán Tildy und Béla Kovács.

Ein erfinderischer Ungar platziert einfache »Waffen« am Strassenrand. Bild: ky

Wrack eines russischen Panzers nach dem Angriff mit einem Molotow-Cocktail. Bild: MTI

Sonntag, 28. Oktober 1956: Die Waffenruhe bringt keinen Fortschritt

Ungarische Soldaten einer Panzerdivision vor dem Gebäude des Innenministeriums. Bild: ky

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Der Präsident des Ministerrates, Imre Nagy, verkündet um 13.20 Uhr die Anordnung der sofortigen Waffenruhe im ganzen Land. Der Staatssender Radio Kossuth meldet um 14.25 Uhr: »Das Feuer ist eingestellt.« Die sowjetischen Truppen werden mit Einheiten aus Polen, Russland und Rumänien verstärkt – aber das weiss in der Hauptstadt kaum jemand. In Budapest vermitteln viele Strassen und Plätze das trostlose Bild von Schlachtfeldern. Die Fenster sind mit Trauerfahnen geschmückt. Um 17.23 Uhr meldet das kommunistische Radio, dass Imre Nagy Verhandlungen über den Abzug der sowjetischen Truppen und die Auflösung des Staatssicherheitsdienstes, ÁVH, in Aussicht stellt. Die ungarischen Aufständischen sind nicht bereit, die Waffen niederzulegen. Auch die Arbeiter wollen ihren Generalstreik nicht beenden. Die im ganzen Land entstandenen revolutionären Arbeiterräte und Nationalkomitees übernehmen die Staatsgewalt. Auch in der Armee und der Polizei werden Revolutionskomitees gewählt. Der UNO-Sicherheitsrat kommt zu keinem Entschluss.


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Montag, 29. Oktober 1956: Tag der trügerischen Hoffnung Das kommunistische Parteiblatt »Szabad Nép« erscheint mit dem Kossuth-Wappen auf der Titelseite und wechselt schlagartig den Ton. Es ist nicht mehr von »Aufständischen« und »Konterrevolutionären« die Rede, sondern von »Freiheitskämpfern« und vom »glänzenden Sieg der ungarischen Jugend«. In der gleichen Zeitung polemisiert ein kommunistischer Journalist gegen die Moskauer »Prawda«. Die Aufständischen beginnen mit der Waffenübergabe an die ungarische Armee, welche sowjetische Einheiten ablöst. Die Sensation des Tages: Der Verteidigungsminister kündigt den Abzug der sowjetischen Einheiten aus Budapest an. Um 16.57 Uhr verkündet der Innenminister im Staatsradio die Abschaffung des berüchtigten und gehassten Staatssicherheitsdienstes, ÁVH. Die Kampfhandlungen sind in Budapest praktisch eingestellt. Das russische Militär ist aber noch überall präsent. Der neu gebildete Revolutionsrat der ungarischen Intellektuellen gibt sein Programm bekannt. Bewaffnete Studenten und Aufständische nähern sich einem beschädigten sowjetischen Panzer in der Budapester Innenstadt. Bild: Erich Lessing

Dienstag, 30. Oktober 1956: Scheinabzug der Sowjets Auch der achte Tag des Aufstandes ist voller Ereignisse. Die Sowjetarmee beginnt Budapest zu verlassen. Trotz grossem Misstrauen stellen die heldenhaften Aufständischen und Soldaten unter Leitung von Oberst Pál Maléter die Kampfhandlungen in der Budapester Kilián-Kaserne einstweilen ein. Ernő Gerő flüchtet nach Russland. Die provisorischen freien Radiosender übertragen aus dem Parlamentsgebäude historische Reden. Imre Nagy verkündet die Abschaffung des Einparteiensystems. Zoltán Tildy gibt die Gründung einer Nationalgarde bekannt, der Teile der Armee, Polizei und bewaffnete Aufständische angehören werden. Die Einheiten des berüchtigten und verhassten Sicherheitsdienstes, ÁVH, sind auf der Flucht. Ungarische Armeeeinheiten befreien Kardinal Jószef Mindszenty. Die unbeschreibliche Freude über den Abzug der Russen ist nur von kurzer Dauer. Am Abend treffen erste Nachrichten über das Eindringen neuer Sowjettruppen in Ostungarn ein. Aufständische verbrennen kommunistische Fahnen vor einer der Parteizentralen. Bild: Erich Lessing

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Mittwoch, 31. Oktober 1956: Ablenkung durch Suez-Krise und US-Wahl In der Hauptstadt entspannt sich die Lage allmählich. Die Mitglieder des Staatssicherheitsdienstes, ÁVH, werden verfolgt und die Kommunisten sind von Schrecken gelähmt. In Budapest, wie auch in ganz Ungarn, ist ein fieberhafter Kampf um die Massen in Gang. Alte Zeitungen und Parteien melden sich zurück, wie Phönix aus der Asche. Neue kommen urplötzlich hinzu. Kardinal József Mindszenty ist in Budapest. Die Regierung ist bereit, aus dem Warschauer Pakt auszutreten. Oberst Pál Maléter wird zum Ersten Stellvertretenden Verteidigungsminister ernannt. Während Imre Nagy versucht, mit der Regierung der UdSSR über den Abzug sowjetischer Truppen weiter zu verhandeln, mehren sich die Nachrichten über den Einmarsch neuer Sowjeteinheiten in Ungarn. Erst später wird sich herausstellen, dass der Rückzug einerseits ein von den russischen Soldaten erzwungener Schritt (zunehmende Verweigerung des Schiessbefehls) und andererseits eine hinterlistige Finte war. Erst Jahrzehnte später wird bekannt, dass Nikita Chruschtschow am 31. Oktober entschieden hat, den ungarischen Aufstand mit massivem Einsatz sowjetischer Truppen niederzuschlagen. Ganz gewiss haben bei Chruschtschows Entscheid auch die SuezAffäre und die amerikanische Präsidentenwahl eine Rolle gespielt: Zwei Tage vorher ist Israel als Reaktion auf die Verstaatlichung des Suez-Kanals, von Frankreich und Grossbritannien aus der Luft unterstützt, in Ägypten einmarschiert. Die Amerikaner beschäftigen sich in diesen Tagen nur mit der Präsidentschaftswahl, die am 6. November zur Wiederwahl von Dwight D. Eisenhower führt. Diese beiden Ereignisse haben die sowjetische Interventionsabsicht massgeblich beeinflusst.

Mit Molotow-Cocktails und Nitroglyzerin kampfunfähig gemachter sowjetischer Panzer vor der György-KilianKaserne. Bild: MTI

Donnerstag, 1. November 1956: Kádár verrät die Revolution Allerheiligen, Tag des Totengedenkens. Die sowjetischen Panzer verlassen Budapest, bilden jedoch einen militärischen Ring um die Hauptstadt. 160 sowjetische Panzer besetzen den Zivilflughafen von Budapest »Ferihegy«. An der ungarisch-russischen Grenze sind die sowjetischen Armeeeinheiten, die ins Land hineinfahren, grösser als jene, die Ungarn verlassen. Botschafter Jurij W. Andropow wendet konsequent die berüchtigte »sowjetische Lügentaktik« an und behauptet mehrmals, dass kein neues Militär nach Ungarn kommt. Im Parlamentsgebäude wird mit atemberaubender Spannung gearbeitet, das Volk ist auf der Strasse und die Geheimpolizisten der ÁVH werden verfolgt. Ministerpräsident und Aussenminister Imre Nagy erklärt den Austritt aus dem Warschauer Pakt und bittet die UNO um Hilfe. Kardinal József Mindszenty bezieht seine alte Residenz in Buda. János Kádár gründet eine neue Partei und wird zum Verräter der Revolution, indem er feige die Flucht ergreift. Die militärische Lage wird an diesem Novembertag immer ernster. Imre Nagy verkündet in einer Radioansprache, dass sich Ungarn aus dem Warschauer Pakt zurückgezogen hat und ein neutrales Land ist. Bild: ky

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Freitag, 2. November 1956: Verzweifelter Ruf nach Hilfe In Budapest herrscht trügerische Ruhe. Sowjetische Panzer sind zwar nicht präsent, aber die Hauptstadt ist eingeschlossen. Die Patrouillen der Nationalgarde sind im Einsatz und üben eine beruhigende Wirkung aus. Es gibt 15 000 bewaffnete Universitätsstudenten, die eine »dritte militärische Kraft« bilden. Die Befreiung der politischen Gefangenen wird fortgesetzt. Doch es ballen sich gewaltige Gewitterwolken über ganz Ungarn zusammen. Die Kuriere melden besorgniserregende Truppenbewegungen in Ostungarn. Rumänisch-sowjetische und tschechisch-sowjetische Truppen werden zusammengezogen und rüsten sich zum Marsch auf Budapest. Die Gesamtstärke der sowjetischen Streitkraft beträgt gegen Abend angeblich acht volle Divisionen. Imre Nagy bleibt nichts anderes übrig, als sich innert Tagesfrist ein zweites Mal an die Vereinten Nationen zu wenden, in der (naiven) Hoffnung, dass das Eingreifen der Weltorganisation den Sowjets Einhalt gebieten könnte. Eine Krankenschwester auf improvisiertem Krankenwagen. Bild: MTI

Samstag, 3. November 1956: Maléter wird General – und am Verhandlungstisch verhaftet Der erste friedliche Tag seit dem 23. Oktober beginnt mit Sonnenschein ... und endet mit einer Schandtat der Sowjetarmee. Das Leben in der Hauptstadt und in der Provinz beginnt sich zu normalisieren. Wie schon am Vortag gibt es auch heute keine Fälle von Lynchjustiz oder summarischen Hinrichtungen. Imre Nagy bildet die Regierung erneut um. Pál Maléter wird am Vorabend zum Generalmajor befördert (und wird nur noch »Der General« genannt). Am 3. November wird er zum Verteidigungsminister ernannt. Der »desertierte« János Kádár verhandelt mit Führern volksdemokratischer Länder und mit »seinen Sowjetgenossen«. Im Budapester Parlamentsgebäude beginnt die erste Phase der Verhandlungen mit den Sowjets über den Abzug ihrer militärischen Streitkräfte. Sie werden am späten Abend und in der Nacht im sowjetischen Hauptquartier in Tököl fortgesetzt. Hier wird die ungarische Armeespitze gegen Mitternacht am Verhandlungstisch überwältigt und verhaftet.

Verteidigungsminister Pál Maléter (rechts) und Ferenc Erdei, Vizepräsident des Ministerrats, während der Verhandlungen über den Abzug des sowjetischen Militärs. Bild: MTI

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Die Benediktiner-Erzabtei und das Benediktinergymnasium in Pannonhalma Die Christianisierung der heidnischen Magyaren-Stämme und die Einführung des Christentums in Ungarn gehören zu den grossen Verdiensten von König Stephan I. (ausführlicher siehe Seite 28). Dabei spielten die Benediktinermönche, die Grossfürst Géza schon vor dem Ausbau kirchlicher Strukturen auf dem »Heiligen Berg von Pannonhalma« im Jahr 996 ansiedelte, eine wichtige Rolle. Die bedeutende Steinkirche des Klosters wurde aller Wahrscheinlichkeit nach bei der Thronbesteigung Stephans im Jahr 1001 geweiht.25 Das Benediktinerkloster in Pannonhalma gehört seit 1996 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die Besichtigung dieser tausendjährigen Benediktinerabtei im September 2016 hat bei mir einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassen. Ich kann allen UngarnReisenden wärmstens empfehlen, ihren Aufenthalt in Budapest oder im Land der Magyaren um anderthalb bis zwei Tage zu verlängern. Meines Erachtens ist der Besuch der riesigen Erzabtei einschliesslich des Benediktinergymnasiums und der zugehörigen Betriebe wie Arboretum, Kräutergarten und Weinkellerei ein Muss. Der Schuldienst in Pannonhalma hat eine bis zum Jahr 996 zurückreichende Tradition. Den angehenden Mönchen sollte Latein beigebracht werden, sie sollten die Bibel und die Schriftwerke der Kirchenväter kennenlernen. Die Erzabtei ist die älteste Bildungsstätte Ungarns. Nach der türkischen Belagerung wurde in Pannonhalma Philosophie und Theologie gelehrt. 1002 begann der bis heute andauernde Dienst der Benediktiner im schulischen Unterricht. Die Verstaatlichung der kirchlichen Schulen im Jahr 1948 war für die religiösen Gemeinschaften sehr schmerzhaft. Auch die Tore von acht Benediktinergymnasien mussten geschlossen werden. Auf Befehl der diktatorischen politischen Führungsriege wurden in den Monaten Juni und Juli 1950 die Ordensgemeinschaften aufgelöst und ihre Mitglieder interniert. In dieser Zwangslage unterzeichnete der Episkopat im August 1950 ein Abkommen mit der Regierung, mit dem Ergebnis, dass die Gemeinschaft in Pannonhalma von der Auflösung verschont blieb und landesweit in insgesamt acht kirchlich-katholischen Die frühgotische Klosterkirche (oben) und die klassizistische Bibliothek (unten) der altehrwürdigen Abtei Pannonhalma.

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Gymnasien weiterhin unterrichtet werden durfte. Darunter waren die Benediktinergymnasien in Győr und in Pannonhalma. Als Opfer von Schauprozessen litten zahlreiche Benediktiner in den Gefängnissen der kommunistischen Diktatur. Aufgrund der politischen Situation flohen etwa 30 Ordensbrüder ins Ausland und blieben dort. Seit den Jahren nach der Wende Ende 1989 findet im Gymnasium von Pannonhalma parallel Unterricht in sechs- und vierjährigen Modellen statt. 1995 wurde das Schulgebäude von Grund auf erneuert. Die Schüler kommen aus allen Teilen des Landes, zuweilen auch aus dem Ausland. Wer auf eine zehnjährige Erfahrung als Dozent und eine zwanzigjährige Praxis als Universitätsprofessor zurückblicken kann, wer sechs Kinder und zwölf Enkelkinder hat, der hat natürlich ein weit überdurchschnittliches Interesse an Erziehungs- und Lernanstalten aller Art. Kein Wunder, dass mich mein erwähn-

ter Besuch im Herbst 2016 in Pannonhalma schlicht und einfach fasziniert hat. Die ökumenische und interreligiöse Einstellung der Schule und seiner Professoren unterscheidet sich diametral vom »Geist von Rom«. Ich erinnerte mich an meine Gymi-Jahre im protestantischen Gymnasium Lónyay am Anfang der 1950erJahre. Dort herrschte ein ähnlicher Geist, was Katholiken und Juden betraf. Die Gespräche, die ich mit den ProfesIch erinnere mich nicht, jemals soren in Pannonhalma führen durfte, haben vom Besuch einer Kirche und einer bei mir überaus positive und tiefe Spuren Schule derart beeindruckt gewesen hinterlassen. Und ich war begeistert vom Gymnasium, dessen Schüler immer wieder, zu sein wie in Pannonhalma. ja wöchentlich und häufiger Gelegenheit hatten, eine Baumschule, einen Heilkraut- und Kräutergarten mit aus dem Mittelmeerraum stammendem Lavendel anzulegen, oder auch vom Besuch eines Weinkellers, der sich im gleichen Gebäudekomplex befand wie ihre Schulklassen.

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Die Gesamtanlage der Benediktinerabtei. Vor dem Gymnasium mit Internat liegt der Sportplatz, hinten rechts die Baumschule, die Gärtnerei, der Kräutergarten und die Lavendelfelder.

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Das Budapester Lutheraner-Gymnasium26

Das Fasori Evangélikus Gimnázium / Evangelische Gymnasium an der Allee, deutsch am treffendsten als Budapester Lutheraner-Gymnasium benannt, ist eines der traditionsreichsten Gymnasien der ungarischen Metropole. Die Schule wurde 1823 durch die lutherische Kirche Ungarns gegründet. 1904 erhielt sie gemeinsam mit der neuen evangelischen Kirche ihren endgültigen Platz an der heutigen Adresse im Városligeti fasor. Die Schule hatte eine humanistische Das Gymnasium in der Allee Ausrichtung und die Unterrichtssprache gehört nicht nur zu den besten war Deutsch. Zu den Schülern zählten Angehörige verschiedener Konfessionen, Schulen Ungarns, sondern zu den namentlich auch viele Söhne aus dem jüdi»Highschool Leadern« Europas. schen Bürgertum. Das Gymnasium musste unter der kommunistischen Herrschaft 1952 schliessen, konnte jedoch nach der Wende schnell als wichtiges ungarisches Gymnasium wieder eröffnet werden. Das Fasori Evangélikus Gimnázium zählte zu den besten Schulen Ungarns. Viele Künstler und bedeutende, darunter weltberühmte Wissenschaftler lernten hier als Schüler. Von den Künstlern wollen wir herausheben: – den Dichter und Volkshelden Sándor Petőfi (1823–1849) – den weltberühmten Operettenkomponisten (unter anderem »Csárdásfürstin«) Emmerich Kálmán (1882–1953) – den bekannten und beliebten ungarischen Schriftsteller György Faludy (1910–2006).

Aus dem Kreis hoch angesehener Wissenschaftler, die hier zur Schule gingen, sollen vier erwähnt werden: – Eugene Paul »Jenő« Wigner (1902–1995), Nobelpreisträger für Physik 1963 – John von Neumann (1903–1957), Erfinder des Computers – John »János« Harsányi (1920–2000), Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften 1994 – Professor Dr. Dr. h.c. Pál Tomcsányi von Tomcsány (geb. 1927), Pionier des Agrarmarketings, mit dem Széchenyi-Preis ausgezeichnetes Mitglied der Akademie der Wissenschaften.

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Wir wollen fortfahren mit einer bemerkenswerten, von Kati Marton entlehnten Geschichte,27 wie ein Lehrender dieses Gymnasiums seinen Schülern nicht nur ein »gewöhnlicher Professor«, sondern viel, viel mehr war. Die drei »Hauptdarsteller« der Geschichte sind der Mathematiklehrer László Rátz, der Nobelpreisträger Jenő Wigner und das Multitalent John von Neumann. Die Anekdote ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie im Budapester Lutheraner-Gymnasium die hochbegabten Gymnasiasten nicht nur unterrichtet, sondern auch betreut und gefördert wurden. Wigner hatte während seines ganzen Lebens stets ein Foto seines Lehrers Rátz an der Wand seines Büros gehabt, »weil er alle Eigenschaften eines wunderbaren Lehrers in sich vereinte: Er unterrichtete mit Begeisterung, beherrschte seinen Stoff und wusste, wie man Interesse dafür weckt. ... Niemand konnte die Schönheit eines Themas so gekonnt vermitteln wie Rátz«, der sich neben allen Lernenden noch intensiver um seine besseren Schüler bemühte und sie zu inspirieren wusste.

Und nun zur Geschichte, wie Professor Rátz ein Entdecker und ein nicht alltäglicher Promotor eines kleinen Jungen namens Jancsi (Kosename des magyarischen Vornamens János und des englischen John) wurde. Jancsi war das Söhnlein eines reichen jüdischen Bankiers, der von Franz Joseph geadelt worden war. Schon als Kind zeigte er eine weit überdurchschnittliche Intelligenz. Als Sechsjähriger konnte er mit hoher Geschwindigkeit achtstellige Zahlen im Kopf dividieren. Mathelehrer Rátz erkannte schnell, wie intelligent sein Schüler war. Deshalb gab er ihm Privatstunden. »Der Lehrer empfand es als ein Privileg, einen Schüler wie Jancsi unterrichten zu dürfen. Darum weigerte er sich, Geld dafür zu nehmen.« Sein Lohn war weitaus mehr: Der Kontakt mit einem herausragenden Geist; das Privileg, diesen jungen Mann in einer Disziplin auszubilden, die sie beide liebten. László Rátz wandte sich an Neumanns Eltern, um sicherzugehen, dass sie sich über die immense Begabung ihres Sohnes bewusst waren. So ebnete er den Weg, an welche Universität Jancsi gehen und welche Kurse er dort belegen sollte. 135

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Mathematiklehrer László Rátz


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Die im Burgpalast untergebrachten Ausstellungsräume der Ungarischen Nationalgalerie bergen bildende Kunst Ungarns von der Gotik bis heute. Die Ausstellungen werden immer wieder neu arrangiert, sodass sich dem Besucher stets neue Zusammenhänge erschliessen.

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Das Ungarische Museum für Kunstgewerbe56 Das Ungarische Museum für Kunstgewerbe / Magyar Iparmüvészeti Múzeum gehört zu den renommiertesten Bauten des ungarischen Jugendstils in Budapest. Es wurde zwischen 1893 und 1896 errichtet. Imposant ist der Mittelrisalit, also der aus der Front des Gebäudes in ganzer Höhe vorspringende Teil, mit seiner mächtigen Kuppel. Die Fassade ist neben venezianischgotischen und orientalischen Stilelementen reich mit ungarischen Volkskunst-Ornamenten geschmückt. Die Dächer tragen grüne und gelbe Majolika-Fliesen. Alle Kacheln an Fassade, Firsten, Türmchen und auf den Dächern stammen von der Porzellanmanufaktur Zsolnay in Pécs.

Oben: Der bunte Eingangsbereich des Museums ist mit orientalischen Stilelementen und ungarischen Ornamenten geschmückt.

Die Eingangshalle überrascht den Besucher mit ihrer verschnörkelten bunten Decke aus ungarischer Majolika-Keramik. Ansonsten ist das Innere des Museums mit seinen umlaufenden Galerien völlig in Weiss gehalten. Neben Wanderausstellungen und Sonderausstellungen überwiegen die Dauerausstellungen. Sie zeigen eine umfangreiche Kunstgewerbe- und Prunksammlung aus Ungarn und anderen Ländern sowie Möbelstücke der Gotik und Biedermeierzeit, Wandteppiche, Trachten ungarischer Aristokraten des 17. Jahrhunderts, Augsburger Barocksilber, italienische Majolika, Esterházy-Schätze sowie Zsolnay-Keramik. Das Gebäude wurde im Herbst 2017 vorübergehend geschlossen, um renoviert und erweitert zu werden.

Unten: Bunte Zsolnay-Kacheln akzentuieren die reiche Bauornamentik des bis 1896 errichteten Museums, hier die Kuppel eines Eckturms. Rechte Seite: Ungarischer Jugendstil in reinster Vollendung: Schneeweisse doppelstöckige maurische Bögen rahmen die prächtige Museumshalle.

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Das Ethnografische Museum Das Ethnografische Museum / Néprajzi Múzeum gehört zu den grössten Völkerkundemuseen Europas und zeigt eine ethnografische Spezialsammlung mit nahezu 200 000 Exponaten, davon rund 140 000 ungarische und 60 000 internationale Objekte. Es widmet sich der Kultur des ungarischen Volkes sowie anderer europäischer und nichteuropäischer Völker von der Urgesellschaft bis zur Zivilisation. Ende 2017 wurde das Museum geschlossen und erwartet die Besucher ab Anfang 2020 am neuen Standort im Városliget.

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Die Ervin-Szabó-Bibliothek 57 Die Ervin-Szabó-Bibliothek / Szabó Ervin Könyvtár erhielt ihren Namen vom Soziologen und Bibliothekar Ervin Szabó (1877–1919) und ist im ehemaligen Wenckheim-Palast untergebracht. Der nach dem Bauherrn Frigyes Graf Wenckheim benannte Palast wurde 1886–1891 errichtet und 1997–2001 renoviert. Dieses Meisterwerk des ungarischen Neobarocks atmet nicht nur den Dresdner Barock in seinem Äusseren, sondern auch die Atmosphäre Ludwigs XV. im Inneren.

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Das Postmuseum58 Bis vor Kurzem logierte das Postmuseum / Postamúzeum in den hier abgebildeten Räumen der Stadtvilla, die einst der Familie Egyedy gehörte. Der Bau im Stil der Neorenaissance (1897) besitzt Bleiglasfenster vom Ende des 19. Jahrhunderts. Die Ausstellung zeigte die Geschichte der Königlichen Ungarischen Post. Zu sehen waren unter anderem Telegrafen, ein Fernsprechamt, das erste Postauto von 1905 und ein modernes Post-Elektroauto. Mittlerweile ist die Sammlung in der Benczúr utca 27 zu finden.

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Drei Szenen aus dem klassischen Repertoire des Operettentheaters: »Die lustige Witwe« von Franz Lehár (oben), »Die Csárdásfürstin« von Emmerich Kálmán (unten), und auf der linken Seite die Operettengala.

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Das Nationaltheater, Ungarns wichtigstes Sprechtheater, logiert in einem postmodernen Neubau66

Das Nationaltheater wurde von Mária Siklós entworfen, die ein modernes Bauwerk mit Bezügen zu historischer Architektur schuf. Rechte Seite: In der Nacht assoziiert man den beleuchteten Theaterbau am ehesten mit einem »Flussdampfer«.

Das bedeutendste Theater des Landes ist das Ungarische Nationaltheater / Nemzeti Színház, ungarisch kurz »Nemzeti« genannt. Die bekannteste Bühne des Landes der Magyaren musste oft ihren Sitz wechseln. Auf ihre rund hundertjährige Geschichte und ihre ersten Standorte können wir hier nicht eingehen. Die Geschichte des heutigen supermodernen Baus beginnt 1983. Ab diesem Jahr gab es zahlreiche Aktionen für ein neues Nationaltheater. Nach den mehr als 15 Jahre währenden – zum Teil hitzigen – Debatten konnte das neue Haus im BajorGizi-Park direkt an der Rákóczi-Brücke bezogen werden. Dieser Bau liegt am Ostufer der Donau, also in Pest, und ist im postmodernen Stil gehalten. Er gilt als eines der neueren Wahrzeichen der ungarischen Hauptstadt. Der Grundstein wurde im September 2000 im kulturellen Mittelpunkt des neuen Millenniumsstadtteiles gelegt. Das Theater wurde am 2. Januar 2002 vom damaligen Ministerpräsidenten Viktor Orbán eröffnet.

»Aus der Perspektive des Brunnens vor dem Haupteingang ruft der reich geschmückte Bau die Assoziation eines Flussdampfers hervor. Später wurde das Theater um eine Open-Air-Bühne erweitert. Mit den umliegenden Parkflächen steht das Nationaltheater auf einer Fläche von rund 20 000 Quadratmetern. Das Theatergebäude kann man in drei Teile untergliedern. Erstens: Das zentrale Gebäude der grossen Bühne mit dem fast kreisförmigen Zuschauerraum und der Studiobühne. Zweitens: Der äussere Gebäudeteil für das Publikum. Und drittens: Der U-förmige Betriebsanteil um die grosse Bühne. Das eigentliche Theater befindet sich in drei Stockwerken. Es gibt zwei Glaslifte, von den zwei oberen Etagen kann man das Panorama von Budapest bewundern. Im 2., 4. und 5. Stock liegen die Probebühnen. Im 4. Stock befindet sich die Tontechnik. Der Zuschauerraum der Hauptbühne bietet Platz für 619 Zuschauer. Die Abmessungen der Bühne betragen 24 Meter in der Breite, 18 Meter in der Tiefe und 28 Meter in der Höhe.«68 192

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Die Széchenyi-Kettenbrücke Die erste und berühmteste der Budapester Brücken ist die Széchenyi-Kettenbrücke, die eine faszinierende Geschichte hat (vgl. Seite 54f.). Trotz ihrer Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg konnte ein kompletter Abriss verhindert werden. Seitdem gilt die Kettenbrücke als Prestigeprojekt der ungarischen Architektur des 19. Jahrhunderts. Diese Pionierrealisation europäischer Hängebrücken gehört zur ungarischen Hauptstadt wie das Amen zum Gebet. Sie ist bei allen Touristen eine der beliebtesten Sehenswürdigkeiten.

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Oben: Die Kettenbrücke ist eines der bekanntesten Wahrzeichen von Budapest. Sie ist auf Anregung des Reformers Stephan Graf von Széchenyi erbaut und 1849 fertiggestellt worden. Unten: Die Vielzahl an Überlieferungen und Mythen zeigt, welch wichtige Rolle sie in der Geschichte von Budapest spielt. Eine der mythischen Überlieferungen zur Brücke besagt, dass der Graf seine Freundin in Pest immer trockenen Fusses besuchen wollte. Aus diesem Grund drängte er zum schnellen Bau.

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Die Margaretenbrücke Die zweitälteste der Budapester Brücken wurde von 1872 bis 1876 gebaut und verläuft über die südliche Spitze der Margareteninsel. Eine Besonderheit der Margaretenbrücke ist, dass sie in der Mitte ein Knie bildet, von dem aus eine kleine Brücke auf die Margareteninsel führt. Heute sind die Fahrbahnen nachts von dreiteiligen schmiedeeisernen Kandelabern erleuchtet. Zusätzlich erhielt das gesamte Bauwerk beim Neubau zu Beginn unseres Jahrhunderts eine energiesparende neue Beleuchtung mit LED-Scheinwerfern.

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Oben: Die ursprüngliche Brücke wurde wie alle historischen Brücken im Januar 1945 von der deutschen Wehrmacht gesprengt. Der Neubau im Nachkriegsungarn spiegelte die Bauverhältnisse der 1950er-Jahre wider. Unten: Gegen Ende des 20. Jahrhunderts waren die Sicherheitsmängel derart gravierend, dass die Brücke am Beginn der Jahrhundertwende komplett renoviert wurde. Damals erhielt sie ihre originäre architektonische Form des 19. Jahrhunderts zurück.

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Die Freiheitsbrücke Der letzte und südlichste der historischen Übergangsbauten ist die 330 Meter lange Freiheitsbrücke. Es ist ein bemerkenswerter Bau mit einer Architektur aus dem späten 19. Jahrhundert und einer auffälligen grünen Farbe. Ursprünglich trug die Brücke zu Ehren von Kaiser Franz Joseph I. den Namen »Franz-Joseph-Brücke«. Der Namenspatron liess es sich auch nicht nehmen, bei der Eröffnungsfeier den letzten silbernen Nagel mit den Initialen F. J. I. am Pester Brückenkopf einzuschlagen.

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Der Entwurf zum Bau des heutigen Luxushotels Boscolo geht auf den Architekten Alajos Hauszmann zurück. Die Fassade in historistischem Stil zeigt deutlich barocke Anklänge. Rechte Seite: Die elegante Hotelhalle erinnert mit den mehrstöckigen Bogengängen stark an den Innenhof eines Renaissancepalastes.

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