Newsletter Faire Mobilität, Ausgabe Nr. 2, deutsch

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Arbeitnehmerfreizügigkeit sozial, gerecht und aktiv

Newsletter

Februar 2015

Nr. 2

Editorial

Gastbeitrag von Roman Zitzelsberger

Seit über vier Jahren arbeitet Faire Mobilität mit inzwischen elf Beraterinnen und Beratern an sechs Standorten als bundesweiter Projektzusammenhang. Die Beratungsstellen sind inzwischen so stark nachgefragt, dass wir immer öfter die Notbremse ziehen und Ratsuchende abweisen müssen. Nur gut, dass mittlerweile auch einige Länder auf die Arbeitswelt fokussierte Beratungsstellen für Beschäftigte aus Mittel- und Osteuropa eingerichtet haben. Nach Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben sich jetzt auch Hessen und Schleswig-Holstein zu diesem Schritt entschlossen. Faire Mobilität und die länderfinanzierten Beratungsstellen bilden zusammen ein bundesweites Beratungsnetzwerk. Ob wir dieses Netzwerk erhalten können, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Der Bezirksleiter der IG-Metall Baden Württemberg, Roman Zitzelsberger, thematisiert in seinem Gastbeitrag die Praxis des Lohndumpings durch Werkverträge, ein Dauerbrenner, der uns weiterhin intensiv beschäftigen wird. Wir zeigen an zwei Fallbeispielen, welche besondere Mischung Werkverträge im Zusammenspiel mit der Entsendung von Beschäftigten aus dem Ausland darstellen können. Außerdem beschäftigen wir uns in einem dritten Beispiel mit Fällen, in denen Fachpflegekräfte aus dem Ausland in Vertragskonstruktionen gelockt werden, die ihnen – vorsichtig gesagt – zum Nachteil gereichen. Darüber hinaus werfen wir einen Blick auf das Fallaufkommen unserer Beratungsstellen. Wie oben erwähnt: Mehr geht nicht! Auf der letzten Seite dokumentieren wir den Stand des European Faire Mobility Networks, eines EU-Projekts, das die Arbeit von Faire Mobilität ergänzt und das wir ebenfalls für ausbaufähig halten.

Outsourcing zur Umgehung von Tarifverträgen und als Dumping darf es nicht geben In den letzten Jahrzehnten haben sich die Produktionsstrukturen in allen wichtigen Industriebranchen fundamental verändert. Das geschieht durch Leiharbeit und Roman Zitzelsberger, Ausgliederungen von Bezirksleiter der IG-Me- Aufgaben in Werkvertall Baden Württemberg träge: Waren noch vor 30 Jahren Entwicklung, Fertigung und Vertrieb eines Produkts in einem Unternehmen organisiert, wirken heute viele Zulieferer- und Serviceunternehmen in einer Wertschöpfungskette mit. Dahinter ist das Ziel zu vermuten, die Stammbelegschaften drastisch zu reduzieren und Kosten zu sparen. Alle Großkonzerne sind heute von Industrieparks umgeben, die auf dem Werksgelände ihre Dienstleistungen erbringen: Dies beginnt bei der IT und hochwertigen Entwicklungsleistungen, geht über Instandhaltung und Logistik bis hin zur Vormontage direkt im Betrieb. Dabei gilt es zu differenzieren: Werkverträge sind grundsätzlich nichts Schlechtes. Wir Gewerkschaften reparieren unsere Autos auch nicht selbst und wir verlangen auch nicht von den Autoherstellern, dass sie eine werkseigene Kantine mit selbst erzeugten Lebensmitteln betreiben. Probleme entstehen dann, wenn Werkverträge missbräuchlich eingesetzt werden: Wenn Stammarbeitsplätze ersetzt, Arbeitsrechte umgangen und tarifliche Mindeststandards unterlaufen werden. Dies trifft auf die Fälle, um die sich die Beratungsstellen des Projekts Faire Mobilität kümmern, zweifelsfrei zu. Dass ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oft-

mals ausreichende Kenntnisse des deutschen Arbeitsrechts fehlen, wird hier ganz offensichtlich ausgenutzt. Dies ist an sich schon menschenverachtend – noch schlimmer wird es, wenn „billige“ Arbeit der Werkvertragsbeschäftigten ausgerechnet für hochpreisige Produkte aus dem „Musterländle“ verwandt wird. Wie oft solcher Missbrauch vorkommt, ist schwer zu sagen: Nach Umfragen der IG Metall vergibt circa ein Drittel der Metallund Elektrofirmen Werkverträge. Nach Überzeugung der Betriebsräte ersetzt in etwa jeder dritte dieser Werkvertragsbeschäftigten einen Stammarbeitsplatz. Fakt ist zudem: Die Arbeitsbedingungen fast aller Werkvertragsbeschäftigten, nicht nur der ausländischen, sind in aller Regel schlechter. Oft gelten für sie keine Tarifverträge, es gibt weder Betriebsräte noch Urlaubsgeld, Mehrarbeit bleibt unbezahlt. Und das trifft nicht nur für einfachere Arbeit zu. Für die IG Metall steht fest: Outsourcing zur Umgehung von Tarifverträgen und als Dumping darf es nicht geben. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, wir brauchen dringend mehr Informations- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats. Nicht zuletzt müssen die Kontrollen verbessert werden. Die Überwachung von Missbrauch von Werkverträgen muss Aufgabe der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls werden, die personellen und finanziellen Ressourcen dafür gehören aufgestockt. Darüber hinaus brauchen wir ein Beschwerdemanagement, das Beschäftigten, Gewerkschaften und Betriebsräten ermöglicht, Hinweise auf Missbrauch zu melden. Dabei kann die Arbeit des Projekts Faire Mobilität durchaus als Vorbild dienen.

Projekt Faire Mobilität www.faire - mobilitaet.de


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