WILD
N°11/2023
S.22
The Faces
Ella Purnell, Father John Misty, Mina Le, Endrick, Isamaya Ffrench, Salehe Bembury, Verifiziert, Calum Harper, Fei-Fei Li, Aaron Altaras, Sally Rooney
S.36
The Hype
Fashion, Beauty, Travel, Living&Design
S.54 CEO
Photography: Alex Seifert
S.68
Model Citizen
Interview: Ronja Furrer & Jenny Bachmann
S.80
Fashion Frames
Photography: Viviane Sassen
Lederkreationen, die rote Teppiche erobern: Yvonne Reichmuths Label YVY ist auf der Überholspur. S.104
S.90
Eco Future Trends
Interview: W1P Studios
S.96
Overhead Expenses
Photography: Nathalie Zimmermann
S.104
Skin in the Game
Interview: YVY
S.120 Monumental
A+A Architizer Awards
S.134
Where History Lives
Conservatorium Hotel Amsterdam
S.138
On the Road Again
Photography: Austin Augie
S.156
Dreams in Technicolor
Photography: Basile Crespin
S.178
WTF
Gummi S.16 Impressum
S.18
Contributors
MASERATI GRANCABRIO FOLGORE
DRIVE LIKE THE BEST IS YET TO COME
IMPRESSUM
HERAUSGEBER
Stefan Berger – berger@faces.ch
Patrick Pierazzoli – pierazzoli@faces.ch
CHEFREDAKTEUR
Patrick Pierazzoli
VERLAGSLEITUNG
Julia Gelau
CREATIVE CONSULTANTS
Florian Ribisch
Alex Wiederin
REDAKTION
Michael Rechsteiner
Josefine Zürcher
Livia Schneckenburger
FASHION DIRECTOR
Nadia Hartzer
GRAFIKLEITUNG
Bianca Ugas – grafik@faces.ch
DESIGN/LAYOUT
Gian Ganter
FACES, Bertastrasse 1, CH-8003 Zürich
AUTORINNEN
Julia Gelau, Michael Rechsteiner, Ilija Trojanow, Helge Timmerberg, Josefine Zürcher
FOTOS & ILLUSTRATIONEN
Austin Augie, Basile Crespin, Viviane Sassen, Alex Seifert, Raphaël Thibodeau, Nathalie Zimmermann, pa picture alliance (dpa), Launchmetrics SpotlightSM
TYPEFACES
Synt (Dinamo)
Salt Lake (Florian Ribisch)
ANZEIGEN & KOOPERATIONEN DEUTSCHLAND & ÖSTERREICH
FACES Deutschland, Straßburger Straße 6D, D-10405 Berlin
Julia Gelau, Managing Director Germany & Austria – julia@faces.ch; +49 (0) 30 552 02 383
ANZEIGEN & KOOPERATIONEN SCHWEIZ Mirco Ludolini, Sales Director – ludolini@faces.ch
Monika Brändli – monika.braendli@faces.ch
Pascal Konrad – pascal.konrad@faces.ch +41 (0) 43 322 05 37
ANZEIGEN & KOOPERATIONEN ITALIEN EDICONSULT INTERNAZIONALE srl, Piazza Fontane Marose 3, I-16123 Genova milano@ediconsult.com; +39 (0) 010 583 684
ANZEIGEN & KOOPERATIONEN FRANKREICH & GROSSBRITANNIEN
Helena Kawalec – helena@faces.ch; +33 (0) 6 62 53 72 00
ABONNEMENTSPREISE
FACES erscheint 8 Mal im Jahr. Einzelverkaufspreis EUR 10.– ; Jahresabo Jahresabo EUR 68.–
© Copyright 2024 Fairlane Consulting GmbH
Der FACES-Schriftzug/-Stern sind eingetragene Markenzeichen der Fairlane Consulting GmbH und dürfen nicht ohne deren Zustimmung verwendet werden. Nachdrucke, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.
Basile Crespin
Es gibt viele Wege in die Modefotografie. Basile Crespin setzte sich in seinen Anfängen nicht etwa mit der Textilwelt auseinander, sondern bereiste Asien, Afrika und den Mittleren Osten als Reportagefotograf. Auf diesen Abenteuern entdeckte er seine Leidenschaft für Porträtfotografie. Nun ist er in der Modefotografie zuhause, ein Feld, wo Design, Porträt, Bewegung und Energie zu einem Gesamtwerk zusammenfließen.
MERCI
Connecting beautiful people and things.
Marie Revelut
In ihren Adern fließt Mode:
Diese diente als Inspirationsquelle und Antrieb gleichermaßen, und so studierte Marie Revelut Modedesign in Perpignan und Narbonne, um dann endlich nach Paris zu gehen, der Modemetropole schlechthin. Dort läuft es auch gleich rund mit der Karriere. Für verschiedene Magazine hat sie ihren ganz eigenen Stil als Stylistin einfließen lassen. Als Inspiration zitiert sie die gesamte Palette der Ästhetik: Poesie, Kunst, Frauen und Schönheit.
Oliver Rauh
Public Relations und Marketing-Jobs füllen das Konto, wärmen jedoch nicht das Herz. Deshalb setzt Oliver Rauh auf ein anderes Gespann, nämlich auf Styling und Fotografie. Dafür hat er so viel Talent, dass er schon Lady Gaga stylte und für BMW, Hermès und Condé Nast arbeitete. Und zum Glück auch immer wieder für uns. TVShow-Affine haben ihn vielleicht sogar auf dem Bildschirm als Gastjuror bei Pro7 erspäht.
Alex Seifert
„If they say you can’t do it, do it twice and take pictures“ – wer nach diesem Motto lebt, kann ja nur auf der Überholspur sein. Alex Seifert hat in München Fotografie studiert und sich danach in New York niedergelassen, wo sie vor und hinter der Kamera für Magie sorgt. Dieser Meinung sind unter anderem auch die italienische Vogue, die deutsche Instyle – und natürlich wir. In unserem Editorial hat Alex einmal mehr gezeigt, dass Modefotografie eine ihrer Stärken ist.
Nathalie Zimmermann
Andere genießen mit 14 noch die Unbeschwertheit der Jugend, doch Nathalie legte dann bereits die Weichen für ihre Zukunft: Sie entdeckte ihre Leidenschaft zur Fotografie. Das hat sich gelohnt, denn heute ist sie als Mode- und Portraitfotografin tätig. Zuhause ist sie im multikulturellen Frankfurt – und im Rest der Welt, denn sie liebt es, zu reisen. Mit ihrem winterlichen Editorial, das uns die schönsten und wärmsten Hüte für die kalte Saison zeigt, macht sie uns Laune auf Schnee.
Saskia Schnelle
Wir liebten es doch alle, als Kind Puppen in verschiedenen Outfits einzukleiden. Saskia hat nie damit aufgehört, denn sie kleidet als Stylistin mit ihrem guten Fashion-Auge jeden Tag Menschen ein und lebt so ihre Leidenschaft für Mode, die sie seit der Kindheit begleitet, beruflich aus. Sie und Fotografin Nathalie Zimmermann bilden ein Dreamteam, da sie sich seit der gemeinsamen Zeit auf einer Modeschule kennen. Klar, resultieren daraus die tollsten Shootings.
Creativity is the key to everything.
Bianca Ugas
Niemand erspäht VintageSchnäppchen besser als unsere Grafikleiterin. Ihr gutes Auge nutzt Bianca nämlich nicht nur, um bei uns ein kreatives Layout nach dem anderen zu zaubern, sondern auch, um die besten Secondhand-Pieces on- und offline zu schnappen. Wir wissen gar nicht, worauf wir neidischer sind: Ihre Taschensammlung oder ihre extravaganten Nägel, die sie, wie es sich für eine Kreativschaffende gehört, natürlich selbst macht.
Michael Rechsteiner
Gut Ding will Weile haben. Deshalb dauerte es etwa 20 Jahre, bis Michael für uns nicht mehr nur als freischaffender Autor in die Tasten haute, sondern zum festen Bestandteil unserer Redaktion wurde. Nun schätzen wir uns glücklich, sein beneidenswertes Schreibtalent ganz für uns allein zu haben und das eifrige Klicken der Tastatur tagtäglich zu hören. Dabei heraus kommen nicht nur spannende Storys, sondern auch die allerbesten Wortspiele.
THE FACES
Text: Michael Rechsteiner
„WE GON’ RUN
THIS TOWN TONIGHT.“
ELLA PURNELL
ZUCKERSCHOCK
Ihre erste Hauptrolle hatte Ella Purnell in der Serie „Sweetbitter“, im Film „Kick-Ass 2“ spielte sie eine Figur namens Dolce, jetzt begeistert sie in „Sweetpea“. Hat die Engländerin etwa die süßeste Karriere Hollywoods? Nun, wer ihr tief in die Augen schaut, glaubt, darin einen Korb brauner Hundewelpen zu erkennen. Doch bitte nicht täuschen lassen. Meist dauert es nicht lange, und die entzückende Fassade kriegt Blutspritzer ab – ob aktuell als mauerblumige Serienkillerin oder postapokalyptische Überlebende in „Fallout“. Subversüß, sozusagen.
Er nennt diesen Tanzmove: „Verdammte Bienen, geht weg!“
FATHER JOHN MISTY
CHORKNABE
Die Kirche ist unser Plattenspieler. Zumindest wenn Father John Misty darauf rotiert. Der elegante Songwriter predigt Pop, der so sakral und sexy ist, wie ein Priester, der sich den Talar bis zu den Brustmuskeln aufreißt. Oder, um nicht noch so ein Bild von Strippern im Polyester-Kostüm heraufzubeschwören: wie ein Leonard Cohen in seinen dunkelsten Sternstunden. Jetzt bitte die Freudenglocken läuten: Bald erscheint FJMs neues Album „Mahashmashana“. Wir sind bereit, auch diese Vinyl-Hostie mit gefalteten Händen und offenem Herzen zu empfangen.
Ein Portrait, das man sich ins Schloss hängen will.
CRITICAL MISS
„The Great Gatsby“ beginnt bekanntlich mit dem Satz: „In meinen jungen und verletzlichern Jahren gab mir mein Vater einen Rat, mehr Mina Le auf YouTube zu schauen.“ Oder so ähnlich. Ist schon eine Weile her, als wir ihn das letzte Mal gelesen haben. Doch auf die Video Essays von Mina Le können wir gar nicht schnell genug klicken. Ihr Styling bringt die Roaring Twenties auch 100 Jahre später zum Fauchen. Und dank ihren Thesen zu Mode, Popkultur und Konsum wäre sie der spannendste Partygast, wenn Jay Gatsby zum Krabbencocktail-Gläserturm einlädt.
Wurde zur Fussball-Legende, noch bevor er harten Alkohol bestellen durfte.
SHOOTING STAR
Vertrag bei Real Madrid, Teil der brasilianischen Nationalmannschaft, Supermodel-Ehefrau… Wie alt ist Endrick noch gleich? 18 Jahre? Oh. Okay. In diesem Alter klopften wir uns auf die Schulter, weil wir uns vom eigenen Geld eine Pizza nach Hause bestellen konnten. 2024 legte der Fußballer auf der Erfolgsleiter beruflich und privat einen Speed Run hin. Doch gemessen am Talent hat der Teenager noch längst nicht die oberste Sprosse erreicht. Vielleicht wird Endrick in zwei Jahren den WM-Pokal hochhalten – zwei Tage vor seinem 20. Geburtstag.
ISAMAYA FFRENCH
STARPAINT
Ihre Leinwand ist das menschliche Gesicht. Und müsste dieses nicht so Sachen machen wie essen und schlafen, sollten die Kunstwerke von Isamaya Ffrench im Museum hängen. Die Engländerin als Make-up-Artist zu definieren, ist etwa so, als würde man Basquiat als Farbkasten-Besitzer bezeichnen. Sie verwandelt Visagen in surrealistische Visionen oder lässt Stars wie Rihanna und Gigi Hadid noch ein Stück besser aussehen. Und dank der eigenen Produktlinie Isamaya Beauty können wir uns ein Stück der Magie jetzt auch in den eigenen Spiegelschrank holen.
SALEHE BEMBURY
SOLE MAN
Sind wir auch ganz sicher, dass es sich hierbei um die Zusammenarbeit von Salehe Bembury und Crocs handelt, und nicht um eine Alienrasse, die sich für die Weltübernahme clever als Sneakers tarnen? Egal, für welche Marke der Designer seinen Stift schwingt, das Resultat schaut aus wie von einem anderen Planeten. Und zwar einem, dessen Atmosphäre zu 15% Stickstoff, 5% Sauerstoff und 80% Style besteht. Vom Plastik-Clog bis zum Versace-Boot verwandelt der New Yorker Schuhwerk in Kunstwerk für alle, die gerne auf großem und buntem Fuß leben.
AUSTER HOUSE OF
CONTEMPORARY & VINTAGE OBJECTS OF DESIRE
VIENNA'S FIRST SHOPPABLE APARTMENT
Braucht keinen blauen Haken, um glaubwürdig zu sein.
VERIFIZIERT
FREUD & LIGHT
Das Ding mit Wolken ist: Irgendwann lösen sie sich auf. Und so ist auch der Cloud Rap nach einem Moment in der Sonne inzwischen verpufft. Die österreichische Künstlerin Verifiziert zählte zu den spannendsten deutschsprachigen Stimmen des Genres. Doch jetzt zeigt sich: Ihre Musik schwebt über den Hypes, gerade weil sie in die Tiefe geht. Im Dunst aus Electro, House und R&B tastet sich die Sängerin an Themen wie ADHS und Essstörungen. Dazu poppt man zwar keinen Sekt in der Lounge, doch fühlt man sich in den dunkelsten Stunden verstanden.
BACKSTAGE PASS
Ein Zauberer verrät nie seine Tricks. Ein Schinkenverkäufer schon gar nicht. Sonst verpufft die Magie. Und der Appetit erst recht. Doch manchmal ist ein Blick hinter die Kulissen spannender, als was auf der Bühne abgeht – oder im Fall von Calum Harper: dem Laufsteg. Der Engländer ist zum Top-Model für Gucci und Karl Lagerfeld geworden, auch weil er seinen irren Alltag charmant auf Tiktok dokumentiert. Doch sobald er vor der professionellen Fotokamera steht, ist der Spass vorbei und Calum fährt die Wangenknochen aus wie ein Adler seine Schwingen.
FEI-FEI LI
TECH TO THE FUTURE
Sollten uns in fünf Jahren die intelligenten Maschinen versklavt haben und die Menschheit nur noch als Biobatterien züchten, damit die KI Videoclips von tanzenden Hotdogs generieren kann, nehmen wir das Lob eventuell zurück. Doch bis dahin gilt Fei-Fei Li als eine der wichtigsten Visionärinnen in der Tech-Branche. Bei Google trieb sie als „Godmother of AI“ die Entwicklung künstlicher Intelligenz entscheidend voran, jetzt überführt ihr neues Unternehmen World Labs jene digitale Revolution in die dritte Dimension und setzt ethische Leitlinien.
Zum Verzweiflers talentiert.
AARON ALTARAS
NO DOUBT
Sein Abschlussdiplom in Philosophie hängt angeblich bei seiner Mutter auf der Toilette. Ohnehin hat Aaron Altaras inzwischen Wichtigeres, das er sich an die Wand hängen kann. Als Hauptdarsteller der Dramaserie „Die Zweiflers“ wird der Berliner mit Auszeichnungen überhäuft. Dass er die Preise meist abholt und dabei das Hemd unter dem Sakko vergisst? Lässt sich verzeihen, sehr sogar. Vielleicht, weil er gerade von einem verschwitzten Club-Gig kommt. Mit Bruder und Schauspielkollege Leo bildet der 28-Jährige nämlich außerdem das DJ-Duo Alcatraz.
SALLY ROONEY
NEED FOR READ
Das einzige, womit Sally Rooney nicht überrascht, ist mit ihrem Erfolg. Vier Romane, vier Bestseller. Zuletzt „Intermezzo“, womit im Schach ein unerwarteter Zug bezeichnet wird. Im Buch verarbeiten zwei ungleiche Brüder ihre Trauer. Es passiert nicht viel, doch schöpft die 33-Jährige aus einer Erzählkraft, die ihr Vergleiche zum irischen Landsmann James Joyce und dessen Epos „Ulysses“ einbringt. Doch anders als „Ulysses“, den wir nur im Regal haben, um intelligent auszusehen, verschlingen wir die Werke der Autorin schneller als ein Glas Guinness.
THE HYPE
Text: Josefine Zürcher
„THIS IS WHAT YOU CAME FOR.“
FASHION
Trend
Ein Winter ohne gedämpfte, dunkle Farben ist wie ein Sommer ohne Hitzetage. Manchmal langweilt es uns aber doch, ganz in braun, schwarz und grau mit der tristen Umgebung zu verschmelzen. Zum Glück wird knalliges Rot als Trendfarbe der Saison gefeiert. Von Kopf bis Fuß in die feurige Farbe gehüllt, kann uns auch ein trüb-grauer Tag nicht die Laune vermiesen.
Nice to Have SHINY
Nach einigen Jahren in der Uhrenindustrie gründete Yan Jiang 2019 ihr eigenes Schmucklabel. Eine gute Entscheidung, denn ihre einzigartigen Schmuckstücke verkörpern Jiangs Wissen über Design, Kunst und traditionelle Handarbeit. Die Kultur ihrer Heimat China
sowie das spielerische Gegenüberstellen von Perfektion und Imperfektion widerspiegeln sich in jedem Stück. Die Designerin hält wenig von Saisons und Geschlechtern: Ihre Kreationen sind für alle und für jederzeit gedacht. yanjiangstudio.com
„I love women
Book
ANTHOLOGY
Sieben Jahre nach dem ersten Band hat Mats Gustafson erneut die Aquarellfarben ausgepackt, um die Designs von Dior der letzten Jahre abzubilden. Der zweite Band widmet sich den Entwürfen von Kreativdirektorin Maria Grazia Chiuri. Saison um Saison skizziert der schwedische Illustrator die Kollektionen von Haute Couture bis Ready-to-Wear. Model-
portraits und Details von Mustern vervollständigen das Werk. Zwischen den Buchdeckeln befindet sich so die gesamte kreative Schöpfungskraft des Modehauses, eingefangen in sanften Farbtönen und präzisiert bis ins letzte Detail. Rizzoli, „Dior by Mats Gustafson, Vol. II“, Text von Holly Brubach, Illustrationen von Mats Gustafson, ca. 120.–, dior.com
Der Vorteil rapide sinkender Temperaturen? Jacken und Mäntel dürfen absurd voluminös sein. Je mehr Ähnlichkeit wir dank dem It-Piece mit einem ungeschorenen Schaf haben, desto besser. Farben und Formen kommen diese Saison kreativ daher. Ob bodenlanger Mantel, Naturfarben oder Mustermix spielt keine Rolle. Hauptsache flauschig.
Unfuck the World
GO VEGAN
Luxus geht auch ohne Leder und Wolle. Das beweist die deutsche Marke Giulia und Romeo seit 2017. Warum das Luxuslabel gerade jetzt mit einer neuen Kampagne auftaucht?
Um den World Vegan Day am 1. November zu feiern. Dieser wurde vor exakt dreißig Jahren ins Leben gerufen. Ist also doch nicht bloß eine Trenderscheinung, ohne Tierleid verursachen leben zu wollen. Stylish und luxuriös geht das Ganze zum Glück auch noch. giuliaandromeo.com
New Collection
COZY UP
Die zwischen Stockholm und Peking lebende Designerin Lisa Yang hat Kaschmir über die Jahre zu ihrem Merkmal gemacht. Kein Wunder also, dominiert das ultraweiche Material auch in ihrer neuen Kollektion. „Midnight in Paris“ hat sie diese getauft. Eingekuschelt im Schichtenlook mit warmem Pullover können wir uns bestens vorstellen, zu einem Mitternachtsspaziergang an der Seine aufzubrechen. lisa-yang.com
We Love
Was für ein Trio. Legende 1: Debbie Harry, Modeund Musikikone. Legende 2: Die Blondie Bag von Gucci. Legende 3: Nan Goldin, einfühlsame und für Eskapaden bekannte Fotografin, die hinter der Kamera dafür sorgt, dass davor Magie entsteht. Diese wilde Kombination resultierte in einer
Kampagne, mit deren Bildern sich Musikfans und Fashionistas gleichermaßen die Wände tapezieren wollen. gucci.com
BEAUTY
Hair Trend
CRIMP IT
Manche Trends können wir einfach nicht loslassen. Wer in den Neunzigern bereits sein Haar gekreppt – und dabei stark geschädigt hat –, mag ein Trauma-Flashback haben. Wir sind aber mittlerweile (fast) erwachsen und verantwortungsbewusst geworden: Mit diesem Trend legen wir nämlich nur den unteren Teil unserer Haarpracht zwischen das Eisen. An der Wurzel bleibt das Haar gesund und stark.
New Product
CHERRY KISS
Pünktlich zum Herbst erscheint das beliebte Lippenöl von Typology in einer neuen Farbe. Das dunkle Kirschrot könnte nicht besser zur Jahreszeit passen. Und die
Formulierung des Öls sowieso, denn diese sorgt dafür, dass die Lippen in der Kälte nicht austrocknen.
Typology, Lippenöl, 15 ml, ca. 20.–, typology.com
Make-up Trend BYEBROWS
Buschige Brauen sind noch immer toll, das ist klar. Aber gegen ein bisschen Bleichen haben wir auch nichts. Der Look ist erst dann komplett, wenn die hellen Brauen mit weißem Puder abgedeckt werden – wenn schon, denn schon. Der Puder kann auch gleich noch als Lidschatten verwendet werden. Die bleichen Brauen passen zu gebräunter Haut genauso wie sie Winterblässe komplementieren.
Liebling
KLASSIKER
Gefühlt jede Woche taucht ein neuer Make-upTrend auf. Wer eine kurze Verschnaufpause vom Wechseln zwischen Clean-Girl-Look und Farbexplosion braucht, ist mit roten Lippen gut bedient, denn die sind immer im Trend. Simples Design in knalligem Grün überzeugen beim Pariser
Label Magnifaïk genauso wie die Auswahl an Rottönen. Magnifaïk, Hydrating Glow Lipstick, ca. 30.–, magnifaik.com
„If I walk outside without lipstick, I feel naked.“
Sofia Vergara
Collaboration
SWIRL
Wenn knalliges italienisches Design auf zeitlose französische Eleganz trifft… Dann entstehen im Fall der Kollaboration zwischen Guerlain und Pucci Make-up-Produkte, die man nicht nur täglich benutzen, sondern in mehrfacher Ausführung sammeln und im Badezimmer ausstellen möchte.
New Perfume (IM)PERFECTION
Bottega Veneta lädt zu einer olfaktorischen Reise um den Globus. Die fünf neuen Düfte, die der Fantasie von Kreativdirektor Matthieu Blazy entsprungen sind, vereinen Zutaten aus verschiedenen Kontinenten in harmonische Essenzen und tragen poetische Namen wie „Alchemie“ oder „Déja Minuit“. So trifft marrokanische Orangenblüte auf französisches Angelikaöl in der einen Kreation, während eine andere brasilianischen pinken Pfeffer mit Myrrhe aus Somalia vermählt. Die fluide Form der Fläschchen ist eine Anspielung auf die Landschaft Venedigs. Die Luftbläschen im Glas sind übrigens keine Fehler, sondern eine Hommage an das jahrhundertealte, traditionelle Murano-Glas. Ist der Duft einmal ausgegangen, kann man die hübsche Flasche aufstellen – oder auffüllen lassen, denn Nachhaltigkeit floss ebenfalls in die Kreation. bottegaveneta.com
TRAVEL
New Collection
FLUGMODUS
Flughäfen sind eine Dimension für sich, in der outfittechnisch alles erlaubt ist. Im Pyjama auf der Suche nach Snacks und Duty-Free-Schnäppchen durch die Gänge irren? Kein Problem. Wir wollen aber auch vor und während eines Überseeflugs stylish aussehen. Louis Vuitton ist derselben Meinung, wie man der neuen Flight Mode Collection ansieht. Von Koffern und Taschen bis bequemen Pullovern und Jogginghosen gibt es alles, was man für einen gemütlichen Reisetag mit Stil braucht. louisvuitton.com
Exhibition
MEMORIES
Warum reisen wir eigentlich? Und was fotografieren wir, wenn wir unterwegs sind? Diese Fragen tauchen unweigerlich auf, wenn man durch die Ausstellung „Luigi Ghirri. Viaggi“ im MASI Lugano schlendert. Der italienische Fotograf hat sich in den Siebzigerund Achtzigern intensiv mit der Fotografie als
Medium auseinandergesetzt. Seine Faszination für das Reisen ist in jedem seiner Bilder klar ersichtlich. 140 Farbfotografien laden zu imaginären Exkursionen in die Vergangenheit ein. „Luigi Ghirri. Viaggi“ im Museo d’arte della Svizzera italiana, Lugano, bis 26. 01. 2025, masilugano.ch
RESCUE SAFARI
2022 lebten nur noch etwa 6' 500 Spitzmaulnashörner in Afrika. 2023 fielen 499 davon Wilderern zum Opfer. Wen diese Zahlen ebenso zum Brodeln bringen wie uns, der kann Ferien nun mit Tierschutz verbinden: Statt nur auf
Safari zu gehen –oder noch schlimmer, irgendwo sedierte Wildtiere zu streicheln –wird man im andBeyond Phinda Private Game Reserve Teil einer Rettungsmission. Eine Woche lang begleitet
man RangerInnen und Veterinärteams in der Provinz KwaZuluNatal an der Ostküste Südafrikas auf der Suche nach Nashörnern, um diese vor der Wilderei zu bewahren. andBeyond.com
Nice to Have
EQUIPPED
Eine traditionelle britische Outerwear-Brand und ein farbenfrohes japanisches Sneaker-Label machen gemeinsame Sache. Entstanden ist eine Capsule-Kollektion von Barbour und Flower Mountain, deren Schuhe und Jacken das Beste der beiden Welten vereinen: klassische Schnitte treffen auf moderne Farbtupfer. barbour.com
„I think getting drunk is the key to flying comfortably.“ Amanda Peet
LIVING&DESIGN
Special Edition
Adventskränze und Lichterketten für die festliche Zeit? Langweilig. Wir stellen uns lieber die Spezialedition des D.154.2 Sessels von Molteni neben den Weihnachtsbaum. Diese glänzt in Gold und ist auch nach der Weihnachtszeit der Hingucker in jedem Wohnzimmer. molteni.it
„There are three responses to a piece of design – yes, no, and WOW!
Wow is the one to aim for.“
Milton Glaser
Liebling
PLAYGROUND
Einst war es verpönt, sich Möbel zu holen, die man dann mühsam zusammenbauen muss. Fehlende Schrauben und ein mangelndes Leseverständnis der Bedienungsanleitung sorgen auch gerne für ein wenig befriedigendes
Resultat. In Zeiten von DIY wollen plötzlich alle doch selbst Hand anlegen. Für solche, denen Stil am wichtigsten ist und die ihren handwerklichen Fähigkeiten nicht ganz trauen, wurden modulare Sofas geschaffen. Die Serie „Ernest“
von Poliform lässt sich verbiegen, schieben, umbauen und das ganz ohne Malheur. Aussehen tut es in jeder Form großartig. Und hat man einmal alle Versionen durchgespielt, holt man sich einen neuen Bezug und fängt von vorne an. poliform.it
Storage GLASKLAR
Wer einen Hang zum Chaos hat, muss jetzt entweder darüber stehen oder sofort einen Aufräumkurs besuchen. Der „Aliante“ Schrank von Rimadesio will mit seinen Glastüren nämlich nichts verstecken, sondern fordert seine BesitzerInnen dazu auf, ihr Hab und Gut hübsch auszustellen. rimadesio.it
It-Piece
KAFFEEPAUSE
Bücher, Getränke, wahrscheinlich auch das Abendessen – alles muss Platz finden auf dem perfekten Couchtisch. Reicht ein einziges Tischlein doch nicht, um alles darauf zu versammeln, was man für einen gemütlichen Abend auf der Couch braucht, muss man sich halt mehrere Stücke aus der „Allure O’Dot“ Kollektion
von B&B Italia gönnen. Dank verschiedener Höhen lassen sich diese auch wunderbar kunstvoll über- und untereinanderschichten. bebitalia.com
We Love
LANDSCAPING
Das charmante Wort Wohnlandschaft wurde wohl eigens für Flexform kreiert. Das von Antonio Citterio kreierte Sofasystem „Camelot“ macht aus jedem Wohnzimmer einen auf die BewohnerInnen abgestimmten Komfort-Kosmos. Dank zahlreicher Sofaelemente unterschiedlicher Breiten und Tiefen passt sich das Sofa nämlich nicht nur an die Person, sondern auch an die Umgebung an. Schon wieder ein neues Möbel gekauft oder spätabends in einem
Wahn von UmstellInspiration die gesamte Wohnung auf den Kopf gestellt? Kein Problem für „Camelot“, denn das modulare Stück lässt sich nach Belieben umbauen. Und um den Individualitätsausdruck auf die Spitze zu treiben, kann man auch Stoff- und Lederbezüge sowie metallische Oberflächen und Edelhölzer selbst wählen. Wir wollen ja nicht, dass jemand anderes plötzlich das exakt selbe Sofa in der guten Stube stehen hat. flexform.it
Collection
FAMILY
Wir wissen zwar nicht, wer Vivienne ist, aber wenn man wie im Hause Minotti eine gesamte Sitzfamilie nach ihr benennt, dann muss sie schon speziell sein. Die voluminösen Stühle, Sessel und Sitzpoufs strahlen eine solche Gemütlichkeit aus, dass man sogleich hinsitzen und stundenlang mit dem Gegenüber über das Leben philosophieren möchte. minotti.it
CRASH EVERY OFFICE
Look von WINDSOR. Schuhe von FERRAGAMO.
Sonnenbrille von ALEXANDER MCQUEEN. Tasche von GIANNI CHIARINI.
von LE
BY
MODEL AGENCY
CITIZEN
Das Interview ohne Platzreservation in einem von Zürichs hippsten Cafés zu vereinbaren, ist ganz schön wagemutig. Noch couragierter ist es, wie Ronja Furrer und Jenny Bachmann im Teenageralter in einer fremden Stadt als Model durchzustarten. Im Kunstviertel Montmartre teilten sich die beiden 2007 zu Beginn ihrer Karriere ein Apartment. Inzwischen hat Ronja ihren Hauptwohnsitz in New York und zählt zu den international erfolgreichsten Schweizer Topmodels mit Aufträgen für Marken wie Ralph Lauren und Chanel. So wie damals in Paris haben sich die beiden Weggefährtinnen auch im übervollen Café erfolgreich einen Platz erkämpft und erwarten uns zum Gespräch. Anlass ist das erste offene Casting von The Kinship. Jenny und Ronja haben die Modelagentur gegründet mit dem Ziel, neuen Talenten jene einfühlsame Unterstützung zu bieten, die ihnen im Verlauf ihrer Laufbahn oft verwehrt blieb. Die gute Nachricht: Vieles hat sich im Modelgeschäft inzwischen verbessert. Die schlechte Nachricht: Längst noch nicht alles.
Text: Michael Rechsteiner
Fotos: The Kinship
FACES: Das erste offene Casting liegt hinter euch. Seid ihr zufrieden?
Ronja Furrer: Ja, es war eine mega Erfahrung. Wir wussten nicht, wie viele Frauen kommen werden. Doch dann sind sie ums Haus angestanden.
Jenny Bachmann: Wir sind ohne Erwartungen in diesen Tag gegangen und wussten nicht: Kommen fünf? Kommen nur unsere FreundInnen? Aber es hat mich überwältigt, wie viele sich für das Casting interessiert haben. Es war uns wichtig, dass die Veranstaltung nicht als Wettbewerb ablief. Sondern mehr im Sinne von: Hey, komm vorbei, wir informieren dich.
RF: Weil wir beide Erfahrungen im Modelbusiness haben, war es einfacher für die Leute, Fragen zu stellen. Normalerweise sind die Menschen in der Schweiz eher zurückhaltend, scheu. Aber wir haben gemerkt, dass sich die Frauen trauten, nachzufragen. Unser Ziel ist schließlich auch, die Leute über das Modelbusiness aufzuklären.
F: Was für Fragen wurden häufig gestellt?
JB: Bei den Jüngeren war es oft: Kann ich den Modelberuf irgendwie vereinbaren mit meinem Studium oder meiner Ausbildung? Muss ich meine Schule absagen, wenn ich modeln will? Aber auch viele finanzielle Themen, was uns gefreut hat. Denn das Finanzielle in dieser Branche ist etwas, das viele etwas zwielichtig finden. Wir möchten das ändern und dabei sehr transparent sein.
F: Gehen junge Frauen heute weniger blauäugig in dieses Business, verglichen mit früheren Generationen?
JB: Ja. Ich glaube, da hat eine gute Entwicklung stattgefunden. Junge Frauen kommen und fragen: Was heißt das für meine Ausbildung, meine Finanzen? Als ich mit Modeln anfing, bekam man von den Agenturen meist das Gefühl, du seist jetzt quasi auserwählt worden, diesen coolen Job zu machen. Sag besser nicht, was dich so umtreibt oder dir Sorgen macht. Nimm den Job und gut ist. Sei froh, dass du ihn machen darfst. Aber es ist gesund, wenn da ein Gegenpol entsteht und sich die Talente fragen: Was heißt das jetzt finanziell und für meine Entwicklung allgemein?
RF: Zum Casting sind auch viele Eltern mitgekommen. Es ist wichtig für uns, dass wenn die Tochter minderjährig ist, wir den Kontakt mit den Eltern haben. Gerade wenn es um Finanzielles geht oder um Verträge im Ausland, von denen die Eltern vielleicht nichts verstehen.
F: Welche Herausforderungen sind seit der Gründung von The Kinship aufgetaucht, mit denen ihr anfangs nicht gerechnet habt?
JB: Was ich unterschätzte, war der rechtliche Teil betreffend Arbeitsvermittlungsgesetz, unter das man als Modelagentur fällt. Aber klar geregelt wird dort auch nicht alles. Es gibt viele rechtliche Weisungen, aber keine Gesetze. Es hat viel Zeit gekostet, die seltsamsten Auflagen zu erfüllen (lacht). Aber wir hatten von Anfang an Sany, eines unserer Models, mit an Bord und konnten schnell starten. Es braucht in dieser Branche jedoch meist mehr Zeit, als man denkt. Klar, es kann sein, dass du the one in a million bist und von heute auf morgen berühmt wirst. Aber in der Realität dauert es oft länger, jemanden aufzubauen wie in diesen ÜberNacht-Märchen. Und eine weitere Herausforderung ist selbstverständlich, Models zu finden.
„Die Größe allein reicht nicht. Nur gut auszusehen, reicht nicht.“
RF: Wir wählen unsere Models sorgfältig aus, eben weil wir unsere Agentur ausgewählt halten wollen.
JB: Wir sind oft auf Street-Castings gegangen, an Festivals oder Schulen. Oft habe ich das Gefühl, dass jene, die es so richtig wollen, oft nicht jene sind, die wir auswählen würden. Beim Casting waren es zum Beispiel eher jene, die ganz am Schluss gekommen sind und sich fast nicht getraut haben.
RF: Eine war gar nicht für das Casting dort, sondern hat eine Freundin im Restaurant nebenan zum Mittagessen begleitet.
JB: Ich hätte mich damals auch nie im Leben selbst angemeldet.
RF: Ich auch nicht. Es braucht viel, dass es stimmt. Die Größe allein reicht nicht. Nur gut auszusehen, reicht nicht. Es sind nicht nur Oberflächlichkeiten, sondern Herausforderungen, denen du dir bewusst sein musst. Sei es, allein zu reisen. Oder private Pläne, Ferien, sonstige Termine, die du kurzfristig absagen musst, sobald spontan ein neuer Job reinkommt.
JB: Es ist wie bei der Selbstständigkeit. Du bekommst zwar viele Freiheiten, deine Auftragslage ist aber nie ganz klar. Es kann sein, dass du einen Monat gut arbeitest und dann zwei, drei Monate nicht. Das muss man aushalten können. Es braucht einen gewissen Charakter, der diese Sicherheit von einem regelmäßigen Gehalt nicht haben muss.
F: Gibt es einen Ratschlag, den ihr euren Models vor dem ersten Auftrag mit auf den Weg gibt?
JB: Es ist mittlerweile wichtig, was für eine Persönlichkeit du mitbringst. Viele tendieren, auch weil sie jung sind, ans Set zu kommen und nicht viel zu sagen. Um sich wohlzufühlen, hilft es aber auch, Interesse zu zeigen an den Leuten, die da arbeiten. Das hinterlässt einen guten Eindruck. Schön auszusehen und auf den Bildern gut rüberkommen, tun viele.
RF: Aber eine gewisse Energie mitzubringen, liegt auch am Model. Du kannst dir ein Set mit einem Team von vielleicht 30 Leuten vorstellen. Da hängt viel vom Model ab. Wenn du gut drauf bist, ist auch das Team um dich gut drauf und umgekehrt. Deshalb ist es wichtig, dass du eine gute Energie hast und mit allen gleich respektvoll umgehst. Sei das FotografIn, Assistenz, oder Hair- und Make-up-Verantwortliche.
JB: Das Schöne an diesem Job ist, dass du so viele Leute kennenlernst. Du wirst in so viele Teams reingeworfen. Das sollte man versuchen, zu genießen.
F: Was ist der schlechteste Ratschlag, den ihr in eurer Karriere erhalten habt?
RF: Es ist vielmehr, dass wir oft keine Ratschläge erhalten haben, sondern ins kalte Wasser geworfen wurden. Das war für mich die schwierigste Herausforderung, weil du nicht wusstest, was jetzt eigentlich mit dir passiert. Du bist 14 Jahre alt, kommst nach Paris, wirst an ein Testshooting geschickt. Ich hätte mir gewünscht, dass mich jemand über gewisse Insides aufgeklärt hätte. Was es heißt, an dieses Testshooting zu gehen, ein Casting zu machen. Dort hätte ich mir mehr Unterstützung gewünscht.
JB: Meine Weisung war so: Wir schicken dich jetzt irgendwohin. Also bin ich in Mailand gelandet und Mailand war überhaupt nicht der Markt, der zu mir gepasst hat. Dort hattest du viele Curvy-Geschichten, viel
Bademode, die überhaupt nicht zu meinem Körperbau gepasst haben. Ich wurde nicht richtig platziert. Ich sehe es kritisch, wenn man einfach losgeschickt wird. Mach einfach mal das. Da könnte man gezielter und mehr auf das Model zugeschnitten vorgehen.
F: Ganz alleine in einer fremden großen Stadt angekommen, erst 14 oder 15 Jahre alt: Wie habt ihr euch damals gefühlt?
RF: Rückblickend ist es ein schöner Moment. Aber mit 14 Jahren war es schwierig. Ich kannte damals ja nichts anderes als mein Dorf in Solothurn. Ich hatte kein Handy, hatte kein Geld. Aber ich habe viel daraus gelernt und bin sehr dankbar, dass ich das erleben durfte. Es hat mir nicht nur für meine Karriere geholfen, sondern auch im Privatleben. Ich weiß, was ich alleine schaffen kann. Und wenn du dranbleibst und kämpfst, wirst du deine Ziele auch erreichen.
JB: Als ich in Paris ankam, hatte ich vor allem Respekt. Ich dachte: Kann ich das wirklich, wieso bin ich hier? Ich glaubte nicht, dass mein Typ gefragt sei. Meine Mutter ist oft nach Paris gereist, also war ich nicht immer komplett alleine. Nur wenn es dann ans Modeln ging, eben schon. Und ich war zunächst unsicher. Doch mit der Zeit bekommt man Selbstvertrauen. Man weiss, was man kann. Wie man sich in einer solchen Stadt durchschlägt.
F: Mit The Kinship bereitet ihr euch auch auf eine Karriere nach dem professionellen Modeln vor. Wie beobachtet ihr diesen Schritt bei euren Kolleginnen? Denken sie bereits früh darüber nach, was als Nächstes kommen könnte?
RF: Das ist sehr individuell. Aber ich kenne viele Models, die studieren oder sich weiterbilden.
JB: Ja, das ist zu einer normalen Entwicklung geworden. Es ist auch für Kunden spannend, mit jemandem zu arbeiten, der nebenbei noch etwas anderes tut. Viele Models machen Kunst oder studieren etwas komplett außerhalb der Modeindustrie. Es ist gefragt, wenn du Persönlichkeit hast. Dass du nicht nur ein gutaussehendes Model bist, sondern etwas zu erzählen hast.
F: Als The Kinship seht ihr euch auch als Teil einer Bewegung, um junge Models besser zu schützen. Rückblickend auf die letzten Jahre, bemüht sich die Industrie allgemein mehr darum?
RF: Die Dinge, die wir erlebt haben, passieren heute praktisch nicht mehr. Sei das, wie Agenten mit uns umgegangen sind, das Verurteilen des Körpers, Fotografen am Set, die noch einen Kommentar machen mussten. Seit dem MeToo-Movement arbeitet niemand mehr mit diesen Leuten zusammen. Heutzutage ist es klar, wie man sich an einem Set benimmt und wie nicht.
F: Ergab sich das aus einem allgemeinen Gesinnungswandel der Beteiligten oder waren dazu auch Richtlinien von außen nötig?
JB: Es gibt jetzt gewisse Richtlinien. Beispielsweise, dass du mit Condé Nast erst ab 18 Jahren arbeiten kannst. Auch sonst hat sich viel bewegt. Speziell auf Social Media, was noch gar kein Thema war, als Ronja und ich mit dem Modeln begannen. Jetzt gibt es dort zahlreiche Accounts, die sich für Models einsetzen und vieles ans Licht bringen.
F: Was haltet ihr von einem gesetzlich vorgeschriebenen Mindestalter von 18 Jahren für Models?
„Es braucht in dieser Branche meist mehr Zeit, als man denkt.“
JB: Ich würde es nicht auf eine Zahl festlegen. Es ist schon wichtig, relativ früh ins Business zu kommen, weil der Aufbau einer Karriere Zeit braucht. Mit 16 Jahren Testshootings zu machen, kann ich mir deshalb gut vorstellen. Aber gewisse Regeln aufzustellen, beispielsweise nicht allein eine Wohnung mieten zu dürfen, würde dem Schutz von Jugendlichen dienen.
RF: Ich hätte gerne mehr Regeln, was Zahlungen anbelangt.
JB: Ja, das ist ein guter Punkt. Das Alter ist das eine. Bis du 18 Jahre alt bist, gibt es noch immer die elterliche Instanz, die dir hilft oder mitbestimmen darf. Das andere sind die finanziellen Themen. Und dort passiert oft nichts Gutes oder auch nichts Legales. Ich sehe das im Ausland oder auch in der Schweiz, dass Zahlungen des Kunden direkt an die Agentur gehen und die Agentur dann weiter an das Model vergütet – oft mit null Transparenz. Als Model musst du dann der Agentur glauben, dass sie dir den richtigen Betrag nennen und nicht noch dort und da etwas abzwacken. Das wollen wir anders machen und wirklich separate Rechnungen ausstellen. Damit unser Model sieht, was beide Parteien – Model und Management – effektiv ausbezahlt bekommen. Da gibt es in der Branche noch viel Ausbaubedarf. Auch, dass Models nicht immer nach ihren Honoraren nachfragen müssen.
RF: Es gibt Kunden, die Monate lang nicht bezahlen. Und das Einzige, was man dann machen kann, ist dem Agenten zu schreiben, der den Job gebucht hat.
JB: Irgendwann entsteht ein Misstrauen gegenüber den Agenturen. Ich erlebe oft, dass Models ihren Agenten oder Agenturen nicht mehr getraut haben, was das Finanzielle angeht.
F: Kommen wir nochmals kurz zurück auf Social Media. Ein Thema, mit dem sich inzwischen jedes Model intensiv auseinandersetzen muss. Sind Instagram und Co. eine Belastung oder zusätzliche Chance?
RF: Beides. Und es ist auch individuell. Es gibt Models, die es gerne machen und solche, die es eher weniger gerne nutzen.
JB: Wenn du an Castings oder zu Shows gehst, steht auf deiner Sedcard eigentlich immer, wie viele Follower du hast.
THE KINSHIP
Zu Beginn ihrer Modelkarrieren wurden Ronja Furrer und Jenny Bachmann ins kalte Wasser geworfen. Jetzt brechen sie mit The Kinship auf zu neuen Ufern. Die Agentur mit Sitz in Zürich versteht sich nicht nur als Management, sondern auch als Mentoring für zukünftige Models. Da die Gründerinnen großen Wert auf eine individuelle Betreuung legen, wird nur eine Handvoll von Talenten unter Vertrag genommen. Denn auch wer nicht im kalten Wasser schwimmen lernt, kann eines Tages hohe Wellen schlagen. thekinship.ch
RF: Du musst nicht mehr wie früher mit deinem Portfolio ans Casting. Damals hatten wir noch ein Buch mit unseren Bildern drin. Heute ist es die Sedcard und den Rest gibt es auf Instagram zu sehen. Instagram ist super wichtig für ein Model. Leider, ich bin auch kein allzu großer Fan davon (lacht).
JB: Es dient dem Kunden auch als zusätzliche Werbung. Du nimmst das Model, das eine große Reichweite auf Social Media hat und kaufst diese mit ein, wenn du das Model buchst.
F: Bevor wir uns verabschieden: Was ist der nächste Termin, auf den ihr euch freut?
JB: In den nächsten zehn Tagen gehen wir gemeinsam für ein Wochenende weg. Wir wissen noch nicht, wohin. Wir hören uns zwar fast täglich, sehen uns aber sehr wenig. Deshalb haben wir uns entschieden, dass wir irgendwohin ans Meer reisen.
RF: Das buchen wir gleich noch heute (lacht).
„Es braucht einen gewissen Charakter, der diese Sicherheit von einem regelmäßigen Gehalt nicht haben muss.“
Luisa Laemmel, Katharina von Koss und Sany Liriano Saldaña sind drei der Namen, die sich im Roster von The Kinship finden.
PLAYFUL
Aus Kunststoff wird Kunst-Stoff, wenn Kevin Germanier seine Designs zu Couture werden lässt. Mit dem Label Germanier produziert der Modeschöpfer in Paris das spektakulärste Upcycling, seit aus ein paar Eisenstangen der Eiffelturm wurde. Im Auftrag von LVMH fungierte er zudem als Creative Director für die frisch lancierte Kollektion The Prélude. Wer so alle Hände voll zu tun hat, behält die Zeit am Handgelenk besser im Blick. Als neuer Markenbotschafter von Uhrenhersteller Omega tut Kevin Germanier dies besonders stilvoll. Worauf es ihm bei einer Uhr ankommt, was ihn als Kind inspirierte und wie er die Modebranche umkrempeln will, verrät uns Kevin im Interview.
Text: Michael Rechsteiner Fotos: Germanier, Omega
Kindliche Fantasie verwandelt Papier in Schmetterlinge und Holzklötze in Wolkenkratzer. Wenn wir klein sind, erschaffen wir Großes aus Dingen, die um uns herumliegen. Die Welt, irgendeine Welt, liegt uns dann zu Füßen und wer nicht aufpasst, tritt mit nackter Sohle auf einen Legostein, den wir irgendwann zum Raumschiff machen. In den Kreationen von Kevin Germanier ist dieser spielerische Ansatz nie verloren gegangen. Geboren im Schweizer Kanton Wallis, zog es ihn zunächst an die Haute école d’art et de design in Genf. Mit 20 Jahren bewarb sich Germanier erfolgreich am Central Saint Martins College of Art and Design in London. Bereits dort verwendete er für seine Entwürfe mehrheitlich Stoffe, die von sonstigen Projekten übrig geblieben waren. Doch sein Markenzeichen entdeckte Kevin am anderen Ende der Welt – und hob einen Schatz, bevor dieser überhaupt vergraben wurde.
Bei einem Aufenthalt in Hongkong beobachtete der junge Designer, wie ein Ladenbesitzer unverkaufte Glasperlen unter die Erde schaufeln wollte, statt sie fachgerecht zu entsorgen. Kevin schwatzte dem Mann den vermeintlichen Unrat ab und integrierte die bunten Klunker prominent in seiner ersten Kollektion. Seither steht der Name Germanier für kaleidoskopische Gewänder und Accessoires. Sein Upcycling von Ausschussware – bei dem oft die eigene Familie handwerklich mit anpackt – ist eine der Arzneien, mit denen das grassierende Fast-FashionFieber bekämpft werden kann. Das stößt inzwischen auch bei den mächtigen Mode-Maisons auf Interesse und könnte somit die Industrie nachhaltig verändern.
Trotzdem bleibt der Designer im Interview auf dem Boden der Tatsachen – oder dem Stuhl der Selbstironie: „Wir hoffen, mit dem Upcycling die Welt ein bisschen zu verändern. Aber es ist auch nicht so, dass wir ein Heilmittel gegen Krebs finden.“ Im Gegensatz zu seinen Kollektionen ist Kevin Germanier wie immer komplett in Schwarz gekleidet und lässt auch im Gespräch nicht von seiner Arbeit ab. Ein charmanter Multitasker, der Großes schafft aus Dingen, die andere herumliegen lassen.
FACES: Ein Markenzeichen deiner Designs sind die knallbunten Farbperlen. Als wir klein waren, kreierten wir damit unsere eigenen Accessoires. Wie war dein kreativer Output als Kind? Was hat dich inspiriert?
Kevin Germanier: Oh, wow. Das ist eine gute Frage. Die Hauptinspiration waren die Frauen in meinem Leben, wie meine Schwester. Die Art, wie sie sich kleideten. Ich dachte mir: Oh, wie interessant. Sie hat dieses Muster mit diesen Farben kombiniert. Außerdem haben mich Videospiele sehr inspiriert. Wenn man sie spielt, muss man oft eine Figur erstellen. Der erste Schritt in einem
It’s his time now! Omega-Markenbotschafter Kevin Germanier.
Videospiel ist zu entscheiden, ob du ein Mann bist oder eine Frau, eine Elfe oder Hexe. Was für eine Rüstung du trägst. Bei einem Spiel wie „Die Sims“ musst du einen Charakter erstellen und das war immer meine Lieblingsbeschäftigung. Die Erschaffung eines Charakters, dem Helden der Geschichte.
F: Wann wurde dir bewusst, dass Mode und Styling nicht nur Anziehsachen sind, sondern ein Ausdruck der eigenen Persönlichkeit?
KG: Wie Lady Gaga vielleicht sagen würde: Ich bin so geboren. Es gibt dieses Foto von mir am Strand von Rimini. Ich bin vielleicht drei Jahre alt und hatte mir aus Meeresalgen eine Perücke gemacht. So war ich schon immer. Ich habe großes Glück. Denn ich wusste früh, was ich will. Und ich bin sehr glücklich damit.
F: Du hast inzwischen deine kreative Heimat in Paris gefunden und bist dort sehr erfolgreich. Welche charakterlichen Eigenschaften haben dir dabei geholfen, in der Pariser Modeszene herauszustechen?
KG: Freundlichkeit. Freundlichkeit ist die Nummer eins. Außerdem: Entschlossenheit und Ehrgeiz. Und ein kleines bisschen Verrücktheit, sonst schafft man es nicht. Als ich in der Szene ankam, war Demna noch bei Vetements, also war die Mode sehr von Streetstyle, Kapuzenpullis und lässiger Kleidung geprägt. Und ich kam plötzlich mit einem perlenbesetzten, upgecycelten Kleid. Ich war damals vielleicht zur richtigen Zeit mit der richtigen DNA da, und es fühlte sich frisch an. Eines der Schlüsselelemente ist die Storyline. In der Schweiz wurde ich bekannt, weil ich die Strickarbeiten meiner Oma und meiner Mutter in die Designs integrierte. Dabei fing alles damit an, dass meine Mutter manchmal vor dem Fernseher einschlief und deshalb etwas mit ihren Händen machen musste. Es gab keinen Plan, meine Mutter oder Großmutter als Marketinginstrument zu nutzen. Es ergab sich einfach. Und so merkten die Leute, dass wir echt sind. Das ist vielleicht der Grund, warum sich die Menschen mit uns identifizieren können. Weil wir versuchen, aus Unvollkommenheit Perfektion zu machen.
F: Wie nimmt dich dein professionelles Umfeld wahr?
KG: Wie einen braven Schüler. Und das liebe ich. Ich möchte lieber als ein braver Schüler gesehen werden, als jemand, der während einer Presseveranstaltung auf der Toilette schlimme Dinge tut. Ich bin kein cooles Kid. Ich werde nie ein cooles Kid sein. Es ist mir egal, ein cooles Kid zu sein. Neulich war ich auf einer Veranstaltung und die Gäste fragten mich ständig nach Champagner. Weil sie dachten, dass ich ein Barkeeper oder Kellner bin. Aber das ist völlig in Ordnung.
„Die meiste Zeit schreibe ich E-Mails. Ich bin im Grunde genommen ein Manager.“
F: Was sind überholte Gewohnheiten in der Modebranche, die du mit deiner Arbeit aufbrechen willst?
KG: Unhöflich zu sein, egoistisch zu sein. Zu denken, dass ein Creative Director ein Gott ist, der aus dem Himmel des Designs kommt. Nein, das sind wir nicht. Man macht nichts allein. Diese Vorstellung, dass der Creative Director ein Superstar ist, ist so veraltet. Es sind die ganzen Leute, die dahinter stehen. Das reicht von der Buchhaltung über die Studioleitung bis hin zur Personalabteilung und all den Feen, die die Handstickerei machen. Die Idee, dass man in der Modebranche arbeiten will, weil man ein Star sein will, ist ein falscher Ansatz. Es gibt eine Menge sehr, sehr netter Leute in der Modebranche. Diese Vorstellung, dass wir alle unhöflich und arrogant sind, ist völlig überholt.
F: Ist das etwas, das du selbst erlebt hast und jetzt für die nächste Generation verbessern willst?
KG: Meine Mutter und mein Vater arbeiten mit mir zusammen. Ich weiß also, dass sie mich immer wieder dorthin zurückbringen, wo ich hingehöre. Wir hoffen, mit dem Upcycling die Welt ein bisschen zu verändern. Aber es ist auch nicht so, dass wir ein Heilmittel gegen Krebs finden. Meine Mutter meint, dass wir Licht spenden, und das gefällt mir. Wir geben den Menschen Licht, wir schaffen eine Fantasie. Es ist Teil meiner Aufgabe, die Menschen zum Träumen zu bringen. Aber ich heile keine Krankheiten. Wir müssen also etwas herunterkommen. Manchmal ist es zu ernst. Mode ist nicht ernst. Mode macht Spaß. Das sollten wir nicht vergessen.
F: Du hast das Upcycling erwähnt. Dieses Konzept betreibst du seit Beginn deiner Karriere. Auch viele große Marken verfolgen inzwischen einen solchen Ansatz. Welche Fehler sollte man vermeiden, wenn man nachhaltige Mode für ein großes Publikum entwirft und produziert?
KG: Man kann nicht alles kontrollieren. Wenn wir an einer neuen Kollektion arbeiten, habe ich meistens ein Lieblingsmotiv im Kopf. Aber wenn wir das Material erhalten, wissen wir nie, was genau ankommen wird. Die Fabrik sagt: „Wir haben das, ihr könnt es verwenden.“ Aber dann ist es zum Beispiel nicht dieses Gelb, das ich mir gewünscht habe, sondern ein anderes. Was mache ich nun? Soll ich mich heulend in die Ecke stellen? Oder bringe ich es einfach zum Funktionieren? Ich bringe es einfach zum Funktionieren. Das ist ein Teil des Prozesses. Es ist sehr wichtig, sich an das Material anzupassen und nicht zu denken, dass ich ein Designgott bin, der vom Himmel kommt. Ich bin nur hier, um Lösungen zu finden.
GERMANIER
Bunter als ein Flipperkasten mitten in der Rue Crémieux haben die Designs von Kevin Germanier die Pariser Modewelt erobert. Aus Materialien, in denen andere keinen Wert mehr sehen, schöpft der Schweizer Inspiration und kreiert daraus Kleider, Taschen, Jacken und Schmuck. 2018 gründete der studierte Modeschöpfer das nach ihm benannte Label und macht seither das Upcycling nicht nur salon-, sondern laufstegfähig. Lady Gaga, Taylor Swift und Björk haben bereits in Outfits von Germanier jeden Regenbogen überstrahlt. Musik in den Ohren von allen, die schon immer wussten, dass sich in der Mode Glamour und Nachhaltigkeit nicht ausschließen. kevingermanier.com
F: Was würdest du jemandem raten, der selbst Teile der eigenen Garderobe upcyceln möchte?
KG: Sei kreativ. Mach nicht einfach nur einen Patch auf den Jeansstoff. Es gibt so viele Möglichkeiten, alles zu verwenden. Sei einfach mutig. Ich sage das, und dabei trage ich immer Schwarz (lacht). Aber habe einfach Spaß daran und nimm es nicht zu ernst.
F: Du bist kürzlich eine Partnerschaft mit Omega eingegangen. Worauf achtest du als Designer bei der Auswahl einer Uhr? Nur auf das Aussehen? Oder spielt auch technische Raffinesse eine Rolle?
KG: Es kommt auf meinen persönlichen Geschmack an, denn wenn ich die Uhr trage, ist es sehr wichtig, dass sie zu mir passt. Als ich das erste Mal zum Fotoshooting für Omega ging, konnte ich zwischen zwei herausragenden Modellen auswählen, der Tresor und der Speedmaster. Ich liebe die Geschichte der Speedmaster, weil sie auch mit dem Mond in Verbindung gebracht wird. Aber als ich die Tresor probierte, war ich begeistert. Diese Uhren sind etwas, das man hoffentlich seinem Sohn oder seiner Tochter schenken wird. So werden sie zu etwas, das nicht nur zeitlos, sondern sozusagen geschlechtslos ist.
F: Womit wir wieder bei diesem Familiären sind, das bei deiner eigenen Arbeit eine große Rolle spielt. Gibt es sonst noch Werte, die deine Marke mit der von Omega verbindet?
KG: Wir wollen die Leute unsere Authentizität und die Liebe zum Detail spüren lassen.Das ist sehr wichtig für mich, und ich habe diese Sensibilität auch bei Omega herausgespürt. Wie wir uns präsentieren, ist einfach, aber wahrhaftig: Das ist unsere Vision und sie ist zeitlos. Wir versuchen nicht, einem Trend zu folgen. Wir versuchen nicht, einen Stil aufzuzwingen.
F: Wofür hättest du gerne mehr Zeit in deinem Leben?
KG: Meine Kleidermarke beansprucht praktisch meine ganze Zeit. Aber es ist nicht auf eine schlechte Art. Die Leute denken vielleicht „Oh, er ist diese außergewöhnliche Person, er hat bestimmt immer nur Spaß“. Nein, die meiste Zeit schreibe ich E-Mails. Ich bin im Grunde genommen ein Manager.
F: Würdest du gerne mehr Zeit mit dem Design verbringen oder bei der Produktion mehr mit anpacken?
KG: Bei der Produktion, nein. Ich bin so froh, dass ich nicht mehr produziere. Und ich lasse mich gerne von meinem Team überraschen, wenn sie mir beispielsweise eine endgültige Skizze von einem meiner Designs schicken, die meist noch Raum für weitere Kreativität lassen. Dann denke ich: „Oh, ich hätte es gerne so gemacht, aber es sieht eigentlich auch anders ganz gut aus.“ Das gefällt mir. Etwas, das ich gelernt habe, ist das Delegieren. Du musst den Leuten vertrauen, die du bezahlst.
SURREAL FASHION FRAMES
Kunst und Mode sind seit jeher beste Freundinnen. Bei der Fotografin Viviane Sassen sind sie Familie, verschmolzen zum unzertrennlichen Powerduo. Denn die Niederländerin fühlt sich in der Welt der kommerziellen
Modefotografie genauso wohl, wie wenn sie eine abstrakte multimaterielle Collage anfertigt. Im FOAM in Amsterdam zeigt die Ausstellung „Phosphor: Art & Fashion“ eine umfassende Retrospektive ihrer Arbeit.
FOAM: VIVIANE SASSEN – PHOSPHOR: ART & FASHION
Porträt, Collage oder Modefotografie? Alles und zwar aufs Mal und von derselben Künstlerin, bitte. Genau das gibt es im FOAM in Amsterdam zu sehen. „Phosphor: Art & Fashion“ zeigt eine mitreißende Mischung aus Viviane Sassens persönlichen und kommerziellen Projekten der letzten dreißig Jahre.
FOAM: Viviane Sassen – Phosphor: Art & Fashion 21. September 2024 – 12. Januar 2025, FOAM, Keizersgracht 609, Amsterdam, foam.org, vivianesassen.com
Körper verformen sich, schmelzen ineinander, ragen in Übergröße empor. Scharf gezogene Schatten wechseln sich mit leuchtenden Farben ab. Und zwischendurch übermittelt das simpelste Porträt das höchste Maß an Intimität. Wenn man von der Videoinstallation zur Fotografie spaziert und dabei an der multidisziplinären Collage vorbeikommt, könnte man meinen, man habe soeben die Arbeiten unterschiedlicher KünstlerInnen gesehen. Nicht im Fall der Ausstellung „Phosphor: Art & Fashion“. Die Werke, so verschieden sie auch sein mögen, tragen doch alle die Handschrift der niederländischen Fotografin und Künstlerin Viviane Sassen. Mehrdimensionalität ist die Essenz ihres Schaffens. Filme laufen, Töne erklingen, Pinsel, Kamera und Schere waren alle am Werk. Sie hat sich einen Namen als Modefotografin gemacht, darf – und soll – sich aber auch Künstlerin in den CV schreiben.
Ihre Klientenliste liest sich wie die Einkaufsliste des angesagtesten It-Girls – Bottega Veneta, Jacquemus und Dior sind nur ein winziger Auszug. Auch Magazine wie i-D, Dazed oder Purple stehen bei ihr Schlange. Und doch bietet Sassens Werk auch reichlich Identifikationsfläche für alle, die Abstraktes und Abseitiges mehr mögen als Mode. Eigentlich ging es für Sassen von Anfang an in Richtung Fashion. Das Modestudium kam nämlich zuerst, und erst danach hat sie sich an der Utrecht School of the Arts in der Fotografie ausbilden lassen. Bis heute halten sich die beiden Leidenschaften für Mode und Kunst gekonnt die Balance. Persönlichen Projekten schwingt die Ästhetik eines Modeeditorials mit, bei kommerziellen Aufträgen dringt die künstlerische Ader durch.
Nach mehr als drei Jahrzehnten ist es höchste Zeit, Sassens umfassendes Schaffen in einer Retrospektive abzubilden. Nachdem letztes Jahr das MEP – maison européenne de la photographie in Paris sich mit Kunst und Mode schmückte, zeigt nun das FOAM in Amsterdam in einer umfassenden Retrospektive über 200 Werke der Künstlerin.
Sassen selbst sucht die Aufmerksamkeit nicht – lieber lässt sie ihre Kreationen sprechen. Und die haben einiges zu sagen. Mit Selbstporträts handelte sie schon früh ihr eigenes Körperimage ab. „Are we ever able to truly know someone, to truly know ourselves?“, fragt sie in ihrer Serie „Etan & Me“. Eine Antwort darauf gibt es nicht. Am meisten findet man über die Künstlerin heraus, wenn man die enigmatischen Beschreibungen ihrer zahlreichen Projekte liest. Oder wenn man einfach schaut. Und wartet, was die abgebildete Intimität, die leuchtenden Farben und die durchdacht-spontanen Kompositionen in einem auslösen.
„Persönlichen Projekten schwingt die Ästhetik eines Modeeditorials mit, bei kommerziellen Aufträgen dringt die künstlerische Ader durch.“
KRITIK, KONTROVERSE, KUNST?
Kontroversen findet man überall, wenn man nur lange genug sucht. Ob man das tun sollte, ist eine ganz andere Frage. So wurden ab und zu Stimmen laut, die Sassens Darstellung afrikanischer Menschen kritisieren. Tatsächlich tauchen vorwiegend schwarze Personen in Sassens Arbeit auf, vor allem in persönlichen Projekten. Hat sie zu viel Macht und Kontrolle, weil sie als Weiße diejenige ist, die die Kamera in der Hand hält? Angesichts der Tatsache, dass es nicht selten vorkommt, dass weiße FotografInnen nicht wissen, wie sie schwarze Haut richtig inszenieren und belichten sollen, scheinen die Fragen berechtigt. Aber nicht immer ist alles so, wie es auf den ersten Blick scheint – damit ist nicht nur Sassens Arbeit gemeint, sondern auch der Grund, warum sie afrikanische Menschen vor der Kamera mag. Als Kleinkind lebte Sassen drei Jahre lang in Kenia. Ihr Vater war Arzt in einer PolioKlinik. Abgelegen im Nirgendwo fühlte sich Sassen fremd und heimisch zugleich im fernen Kontinent. Bis heute ist sie irgendwo zwischen Touristin und Local, wenn sie zurückkehrt in die fremde Heimat. Und das spiegelt sich in ihrer Arbeit. Wenn Sassen sich doch einmal dazu äußert, stellt sie das Private in den Vordergrund. Ihr gehe es um ihre einzigartige private Verbindung zu Afrika, die direkt ihrer Kindheit entstammt. Sie könne sich ihr Leben ohne Afrika nicht vorstellen, sagte sie einst gegenüber dem blind Magazin. So findet man auch keine stereotypische Darstellung Afrikas in ihren Bildern. Ihre Subjekte sind alltäglich, inszeniert auf künstlerische Art und Weise. Selbst wenn man nichts über die Fotografien weiß, spürt man, dass eine persönliche Verbindung zwischen Fotografin und Subjekt existiert.
Sassen bringt eigene Emotionen in jedes ihrer Werke und schafft es doch, ein bisschen mystisch, ein bisschen unerreichbar zu bleiben. In der Kunst- und Fotografiewelt wird gerne aufgeteilt, und sauber in Kategorien gesteckt. Wer Werbung fotografiert, gilt nicht mehr als KünstlerIn, wer zu abstrakt kreiert, passt nicht mehr in den Mainstream. „The ordinary and the magical merge“, beschreibt Sassen ihre Serie „Heliotrope“. Damit beschreibt sie eigentlich ihr gesamtes Schaffen. Gewöhnlichen Alltagsmomenten und Objekten haucht sie Magie ein. Wer sich durch die 200 ausgestellten Werke arbeitet, versteht danach, was sie gegenüber dem British Journal of Photography betonte: Sie möge es gar nicht, sich zu wiederholen. Und genau darum vereint Viviane Sassen alle: Kunsthungrige auf der Suche nach Abstraktem, pinselschwenkende MalerInnen, Fashionistas, FotografInnen. Das Beste daran? Alle sehen etwas anderes.
ECO FUTURE TRENDS SUSTAINABLE
Mit ansteckendem Optimismus und klar definierten Werten designen
Anaëlle Delassus und Charlotte Westphal angesagte Teile, ohne sich von aktuellen Trends diktieren lassen.
Nachhaltigkeit ist bei ihrem
Label W1P Studios kein leeres Buzzword.
Im Interview erzählen sie, wie sie
Diversität und Inklusion umsetzen, warum sie genderfluide Kleidung kreieren und es nicht mehr als zwei Kollektionen pro Jahr braucht. Und warum sie trotz allem die Hoffnung in die Modeindustrie nicht verloren haben.
Das Label unterscheidet nicht nach Geschlechtern, denn Mode ist für alle da.
FACES: Wie habt ihr euren Weg in die Modeindustrie gefunden? Wolltet ihr schon immer Mode designen?
Anaëlle Delassus: Bei mir hat sich der Wunsch schon während der Schulzeit herauskristallisiert. Ich habe angefangen, Nähen zu lernen und habe erste Praktika bei Schneidereien und Modelabels gemacht. Nach dem Schulabschluss habe ich dann eine Ausbildung zur Maßschneiderin absolviert und schließlich Modedesign studiert. Dort habe ich dann auch Charlotte kennengelernt.
Charlotte Westphal: Bei mir war es ähnlich. Ich hatte auch als Teenagerin schon den Traum, in der Mode zu arbeiten und Modedesignerin zu werden. Nach dem Abi habe ich ein UAL-Vorstudium in England gemacht und bin dort auch relativ schnell wieder in der Mode und Textilvertiefung gelandet. Nach verschiedenen Praktika war für mich klar, wenn Mode, dann nur in Berlin. Neben dem Modedesignstudium gemeinsam mit Anaëlle habe ich außerdem als Modejournalistin gearbeitet.
F: Wofür steht der Name W1P Studios? Und wofür wollt ihr als Label stehen?
AD: Unseren Brandnamen haben wir von „work in progress“ abgeleitet. Diesen Ausdruck verbinden wir ganz stark mit unserer Arbeit, da wir besonders auf Nachhaltigkeit, Diversität und Inklusion achten und man hier nie fertig mit der Entwicklung ist, sondern es ein stetiger Prozess ist. Außerdem greifen wir mit unseren Kollektionen oft gesellschaftlich relevante Themen auf, wie zum Beispiel Toxic Masculinity, Burn-Out oder auch Mental Health. Dabei ist unser Anspruch, dass wir selbst zuhören, lernen, uns weiterentwickeln und dann auch Wissen weitertragen.
F: Welche unerwarteten Hürden musstet ihr überwinden, als ihr euer Label gegründet habt?
Arbeitsbedingungen festlegen, die mit unseren Werten übereinstimmen. Ansonsten arbeiten wir mit FreelancerInnen und kleinen Produktionen in Deutschland. Bei den Materialien haben wir drei Quellen. Wir nutzen zum einen Second-Hand-Kleidung, die wir upcyclen. So entstehen unsere Unikate. Unsere aktuelle Kollektion „CANVAS“, die wir bei der Berlin Fashion Week präsentiert haben, war zum Beispiel ausschließlich Upcycling. Als weitere Quelle nutzen wir Deadstock von größeren Firmen, daraus entstehen dann unsere limitierten Pieces. Wenn wir wirklich neues Material nutzen, dann achten wir streng auf die Quellen und bevorzugen BioMaterialien und solche, die sonst auch mit Nachhaltigkeitssiegeln versehen sind. Bei allen Materialien, die wir beziehen, verzichten wir inzwischen auf jegliche Synthetik. F: Beim Browsen auf eurem Shop stößt man auf allerlei Unikate, so zum Beispiel den Zero Waste Bag. Dieser ist aus Deadstockmaterial gefertigt. Was lässt sich sonst noch Tolles aus übrig gebliebenem Material machen, und wie viele eurer Stücke sind aus solchem Deadstock kreiert?
„Wir sind der festen Überzeugung, dass Kleidung kein Geschlecht hat.“
CW: Wir haben schon im Studium die Idee in Richtung des Labels entwickelt. Als wir gegründet haben, haben wir definitiv den Umfang an Bürokratie unterschätzt. Vor allem auch, wie lange es dauert, interne Strukturen und Abläufe zu entwickeln.
F: Gab es einen ausschlaggebenden Moment, der euch dazu gebracht hat, auf Slow Fashion zu setzen?
AD: Wir haben das Gefühl, dass oft ein totaler Overload entsteht. Brands bringen unzählige Kollektionen im Jahr heraus, insbesondere in der Fast Fashion, allermeistens ohne jegliche Rücksicht auf Qualität, Materialien, Umwelt und die Menschen, die die Kleidung produzieren. Uns ist es daher sehr wichtig, lieber deutlich weniger zu designen, uns Zeit für die Produktentwicklung zu nehmen, das Materialsourcing und auch für den Designprozess selbst. Denn abgesehen von den genannten Gründen, ist es kein Geheimnis, dass viele DesignerInnen Burn-Out bekommen, den Anforderungen an die vielen Kollektionen nicht mehr gerecht werden können und die Kreativität unter dem permanenten Druck leidet. Dieses Gefühl hatten wir schon vor der Gründung und haben uns von Anfang an kritisch damit auseinandergesetzt.
F: Wo produziert ihr und woher habt ihr die Materialien, die ihr nutzt?
CW: Wir produzieren aktuell die meisten Teile bei uns im Studio, so können wir am besten die Qualität und
AD: Stoffreste eignen sich im Grunde genommen für alles. Oft haben Deadstockmaterialien nur kleine Fehler. Durch unsere Produktionsweise schneiden wir aber einfach drum herum und können so unsere limitierten Pieces daraus herstellen. Wenn es wirklich nur noch Kleinstreste sind, dann eignen sie sich besonders für Accessoires, aber auch für kleine Details in den großen Kleidungsstücken. Mal ist das Taschenfutter unserer Mäntel aus der Print-Seide, die bei einem anderen Teil übrig geblieben ist. Oder die Kanten der Innenverarbeitung werden mit solchen Stücken eingefasst und bekommen so ihren ganz besonderen und einzigartigen Look.
F: Wie viele Leute sind in W1P Studios involviert?
CW: Aktuell sind das Kern-Team wir beide. Seit etwa einem Jahr haben wir darüber hinaus ganz tolle Praktikantinnen, die uns unterstützen. Ansonsten arbeiten wir immer projektbasiert mit FreelancerInnen und verschiedenen Agenturen zusammen.
F: Ihr dürft so ehrlich sein, wie ihr wollt: Was läuft so richtig falsch in der Modeindustrie?
AD: Ganz klar: Dass es sich aktuell von Fast Fashion, was schon schlimm genug ist, jetzt sogar noch zu Ultra Fast Fashion entwickelt. Bei beidem läuft so viel schief in den Lieferketten, es wird brutal ausgebeutet, ob Mensch oder Natur. Und am Ende wird vor den EndkonsumentInnen noch Greenwashing betrieben. Durch diese Desinformationen entsteht ein völlig verzerrtes Bild, was Mode eigentlich bedeutet und auch kostet.
F: Zurück zu euren drei Grundwerten: Nachhaltigkeit, Diversität und Inklusion. Wie setzt ihr diese konkret um, und was ist am schwierigsten in die Realität umzusetzen?
CW: Nachhaltigkeit wird besonders in jedem einzelnen Kleidungsstück umgesetzt, unter anderem durch Materialauswahl und Produktionsweisen. Diversität und Inklusion versuchen wir umzusetzen, indem wir unsere Kleidung keinem bestimmten Geschlecht zuordnen. Wir sind der festen Überzeugung, dass Kleidung kein Geschlecht hat und alle das tragen sollen, was sie glück-
lich macht. Dann versuchen wir auch, unsere Designs so zu denken, dass man sie durch Verstellmöglichkeiten immer etwas an den individuellen Körper anpassen kann und das auch über verschiedene Lebensphasen hinweg. Aber: Kleidung für viele verschiedene Personen tragbar zu machen ist auch die größte Herausforderung. Größeninklusiv zu arbeiten bedeutet für uns immer noch eine sehr lange Entwicklungs- und Prototypingphase. Leider bekommt man das nötige Wissen dazu kaum im Studium oder in der Ausbildung vermittelt, sondern arbeitet meist in den Standardgrößen.
F: Tut sich wirklich etwas in Sachen Nachhaltigkeit in der Modeindustrie oder ist vieles nur leeres Geschwätz?
AD: Sowohl als auch. Es gibt immer mehr tolle Brands, die Nachhaltigkeit umsetzen und zu einem Wandel beitragen. Es werden auch immer bessere Techniken, Materialien und Recycling-Methoden entwickelt. Auf der wissenschaftlichen und innovativen Ebene gibt es sehr viel Fortschritt. Nichtsdestotrotz ist das Greenwashing enorm. Und es wird auch viel Desinformation betrieben. Ein klassisches Beispiel dafür ist, dass ein Teil als nachhaltig angepriesen ist, da es aus recyceltem Polyester besteht. Recycling klingt natürlich immer erstmal toll, aber am Ende des Tages ist es trotzdem eine aus Erdöl bestehende Faser, die, sobald sie im Müll landet, Jahrzehnte, wenn nicht sogar länger braucht, um sich zu zersetzen. Dann wird oft dieses recycelte Polyester noch mit anderen Fasern vermischt, zum Beispiel 50% Polyester, 47% Baumwolle und 3% Elastan. Sobald solche Mischungen stattfinden und es kein Monomaterial mehr ist, ist ein Recyceln so gut wie unmöglich. Das weiß die Allgemeinheit in der Regel nicht und sieht nur die Bewerbung des Recycling.
F: Dasselbe mit Inklusion und Diversität: Werden wir da endlich besser, oder geht es zu langsam voran?
AD: Wieder sowohl als auch. Wir können da fast die gleiche Antwort geben. Immer mehr Brands setzen auf mehr Diversität, die Runway-Models sehen endlich nicht mehr alle ähnlich aus, mehr Altersgruppen, Körperformen, Geschlechter und Typen werden sichtbar. Aber leider findet auf der anderen Seite bei manchen Brands überhaupt kein Wandel statt, obwohl die Ressourcen dafür da sind. Insbesondere in der High-Fashion würden wir uns das noch mehr wünschen.
F: Wie erklärt ihr euch, dass Nachhaltigkeit immer wichtiger wird, gleichzeitig aber Temu, Shein und Co. durch die Decke gehen?
CW: Wir können es uns dadurch erklären, dass viel besitzen für sehr wenig Geld erstmal sehr attraktiv für viele klingt. Vor allem in der aktuellen Wirtschaftslage: Gerade sind die Lebenshaltungskosten sehr hoch, da möchte man natürlich gerne günstig einkaufen. Außerdem sind diese Riesenhauls auf Social Media total ein Ding, die können dann als Vorbild dienen. Gerade für jüngere Menschen, die vielleicht nicht so viele finanzielle Mittel zur Verfügung haben oder wenig über den tatsächlichen Preis wissen – die Qualität, die Produktionsbedingungen sowie den Einfluss auf die Umwelt.
F: Viele Leute halten nachhaltige Mode für zu teuer. Haben wir ein völlig falsches Verständnis davon, was Mode wirklich wert ist? Was wollt ihr den Leuten hinsichtlich dieser Thematik mitgeben?
AD: Absolut! Gerade Unternehmen wie Temu, aber auch die
ganzen Fast Fashion Läden, die man in jeder Fußgängerzone findet, tragen enorm dazu bei, dass ein falsches Bild entstanden ist, was Mode kostet. Dass Kleidungsstücke zum Teil nur für wenige Euro verkauft werden, ist schockierend. Dabei sollte doch sofort klar sein, dass solche Preise nicht zustande kommen können, wenn nicht irgendwo massive Ausbeutung stattfindet. In jedes Teil fließen Design, Prototyping, Materialkosten, Arbeitsstunden, Transport, Vertrieb, Verpackung, Marketing und vieles mehr. Alleine bei dieser Menge an Positionen – und es sind in der Realität noch einige mehr –kann es vorne und hinten nicht passen, dass Teile so billig verkauft werden. Uns ist es wichtig, darüber aufzuklären und zu veranschaulichen, was realistische Preise für Kleidung aus Deutschland beziehungsweise Europa sind. Das machen wir sowohl auf Social Media als auch auf unserer Website.
F: Bei großen Problemen wie Nachhaltigkeit ist es immer schwierig, das Individuum zu „beschuldigen“, da ja vieles systematisch falsch läuft. Wer beispielsweise am Existenzminimum lebt, muss fast auf Fast Fashion zurückgreifen. Was rät ihr dennoch der Einzelperson, um ihre Leidenschaft für Mode mit so wenig Schaden wie möglich auszuleben?
CW: Wir raten Leuten immer erstmal grundsätzlich weniger zu kaufen – dafür aber Teile, die man vielseitig stylen kann, die über viele Jahre hinweg funktionieren und qualitativ mithalten. Dann gibt es inzwischen viele Plattformen, bei denen man dann zum Beispiel ausgefallene Styles leihen kann anstatt zu kaufen. Auch einige unserer Teile findet man zum Beispiel bei WeDress-Collective. Dann ist natürlich Second Hand immer eine gute Alternative oder auch Kleidertauschpartys. Schnappt euch eure Freunde und tauscht untereinander eure aussortierte Kleidung. Das kostet nichts und alle haben hinterher tolle neue Teile.
F: Wo findet ihr Inspiration für neue Designs?
AD: Wir haben viele gesellschaftliche Themen, die uns beide beschäftigen und zum Teil auch aufwühlen. Diese greifen wir oft als Inspiration für unsere Kollektionen auf und übersetzen sie in Designelemente. Ansonsten finden wir auch in unserem Alltag Inspirationen. Wenn man mit offenen Augen durch die Welt läuft, dann findet man eigentlich an jeder Ecke Inspiration. Aber auch die Natur ist eine große Inspirationsquelle für uns, gerade für Farbkombinationen.
F: Wie würdet ihr euren eigenen Stil beschreiben?
AD: Ein Mix aus sportlich und elegant. Ich liebe es, wenn ich die meist eher schlichten Outfits durch ungewöhnliche Accessoires oder auffällige Einzelpieces aufbreche.
CW: Für mich ebenso: sportlich, bequem, elegant. Mit einer Prise Scandi-Style. Und oversized darf es auch gerne mal sein.
F: Was hält ihr von Social Media? Ruiniert es uns, hilft es uns, oder passiert beides gleichzeitig? Helfen die Plattformen dem Wachstum eures Labels?
AD: Wenn man am Anfang steht und noch ein kleines Label ist, ist Social Media toll, um sich eine Plattform zu schaffen und entdeckt zu werden. Auch für das berufliche Netzwerk ist es super. Fast alle Kontakte, mit denen wir zusammenarbeiten, von StylistInnen über FotografInnen oder Make-Up Artists, haben wir über Social Media kennengelernt. Auf der anderen Seite ist
Das halten Anaëlle Delassus & Charlotte Westphal von …
FAST FASHION: Furchtbar, bitte verbieten!
FASHION WEEK: So viel geballte Kreativität –we love it!
TIKTOK, INSTAGRAM & CO.: Hass-Liebe.
FASHION INFLUENCERINNEN: Finde deine Bubble und du findest die volle Inspiration. VINTAGE/SECONDHAND: Lieben wir!
MICRO-TRENDS: Lieber sein lassen. Oder nur mitgehen, wenn man die entsprechenden Kleidungsstücke sowieso schon hat. Aber niemals sich selbst für Trends verstellen –sich treu bleiben ist wichtiger.
NACHHALTIGKEIT: Wir sind auf einem guten Weg – nicht unterkriegen lassen. MAßGESCHNEIDERTER KLEIDUNG: Es gibt nichts besseres als Kleidung, die wie angegossen sitzt. Ist jeden Cent wert. CAPSULE WARDROBES: Zeitlos. Unbedingt mit Qualitätspieces aufbauen.
UNISEX MODE: Lieber genderfluide Mode. ECHTES LEDER VS. KUNSTLEDER: Beides nicht wirklich toll, außer das Kunstleder ist aus natürlichen Materialien gefertigt.
FUNKTIONSKLEIDUNG: Inspirierend und vielseitig –da kann man sich einiges davon abschauen.
MET GALA: Aus Design-Perspektive, einfach atemberaubend, welche Kunstwerke geschaffen werden und wie viel Liebe in das Handwerk geht. Aus NachhaltigkeitsPerspektive natürlich eine eher schwierige und opulente Veranstaltung.
PARTNERLOOK: Da muss man der Typ dafür sein, aber dann ist es so cool!
W1P STUDIOS
Mode lieben und ein nachhaltiges Leben führen –das muss sich nicht gegenseitig ausschließen. Das Berliner Label W1P Studios setzt Werte wie Nachhaltigkeit, Diversität und Inklusion in die Realität um – und passt sie immer wieder an, denn Lernen und sich weiterentwickeln wird bei Gründerinnen Anaëlle Delassus und Charlotte Westphal großgeschrieben. Mit Deadstockmaterialien, genderfluiden Unikaten und einer satten Portion Optimismus und Mut wollen die beiden die Modeindustrie aufmischen. w1pstudios.com
es natürlich ein weiterer Job, der eigentlich Vollzeit betreut werden müsste. Gerade für junge Unternehmen ist es schwierig, so viel Content zu produzieren und Zeit zu investieren, die auch an anderen Stellen benötigt wird.
F: Was hält ihr von Fashion-InfluencerInnen?
CW: Es gibt so tolle InfluencerInnen für so viele Nischen der Mode. Wenn man seine Bubble findet, macht es sehr viel Spaß zu sehen, wie die Personen unsere Designs stylen und präsentieren. Und auch im Privaten, also aus Konsumentenperspektive, kann es sehr inspirierend sein. Allerdings legen wir auch da viel Wert auf die Inhalte von Menschen, die unsere drei Grundwerte teilen, arbeiten weniger mit und schauen uns seltener solche an, die viel Fast Fashion verwenden und bewerben.
F: TikTok und Co. sind voll von Shein-Hauls und ähnlichen Explosionen des billigen Konsums. Wie kann man die Menschen dazu sensibilisieren, dass es eben nicht normal ist, sich 20 neue Kleidungsstücke aufs Mal zu kaufen?
AD: Das ist wirklich eine unfassbar große Herausforderung. Wir haben das Gefühl, dass man das Problem über zwei Arten angehen muss: Zum einen muss man die Menschen sensibilisieren, dass man bei Fast-Fashion in der Regel schlechtere Qualität kauft und quasi sein Geld zum Fenster rausschmeißt. Zum anderen muss vermittelt werden, wie viel Aufwand hinter der Produktion von Kleidung steckt und mehr Einblicke in den Prozess geben. Alle, die schon mal selbst versucht haben etwas zu nähen, wissen, wie viel Zeit und Geduld es kostet.
F: Sollten wir nicht mehr nach Saison und Trends produzieren? Nach welchen Kriterien produziert ihr hauptsächlich? Inspiration, Nachfrage oder Jahreszeit?
dergrund stehen. In der Regel arbeitet am Vormittag jede für sich die anstehenden Projekte ab. Gegen Mittags gibt es dann einen erneuten Team Check-In und wir zeigen einander zum Beispiel die Entwicklung der neuen Prototypen, neue Designs oder auch einen Social-Media-Posting Plan. Den Rest des Tages steht dann meistens mehr Teamarbeit an, zum Beispiel das gemeinsame Arbeiten an den Projekten oder auch gemeinsam Lösungen für größere Herausforderungen zu finden. Viele Meetings mit externen PartnerInnen stehen da meist auch im Kalender. Gerade im Sommer versuchen wir außerdem, unsere Arbeit so gut es geht immer nach draußen zu verlegen und das Beste aus dem Arbeitsalltag rauszuholen.
F: Sind eure eigenen Kleiderschränke eher voll oder minimalistisch?
AD: Tatsächlich eher voll, aber einfach, weil ich viele Teile schon sehr sehr lang habe, da die Qualität noch stimmt und sie nach wie vor gut passen und zeitlos sind.
CW: Bei mir auch! Ich habe zum Beispiel noch richtig viele T-Shirts aus meiner Teenie-Zeit, die immer noch top sind, aber auch viele Stücke, die mir von Familienmitgliedern vererbt wurden. Je nach Trendzyklus habe ich richtig Freude daran, diese Teile dann wiederzuentdecken.
„Wir versuchen, uns nicht zu sehr von kurzlebigen Trends beeinflussen zu lassen.“
CW: Wir produzieren maximal zwei Kollektionen pro Jahr. Wenn alle wieder dahin zurückgehen würden, wäre das ein enormer Schritt nach vorne. Ansonsten ist unser Anspruch, dass wir Kollektionen entwerfen, die nicht strikt voneinander getrennt sind, sondern ineinander übergreifen. So bleiben sie zeitloser. Ansonsten versuchen wir auch, uns nicht zu sehr von kurzlebigen Trends beeinflussen zu lassen.
F: Ihr habt erwähnt, dass es euch wichtig ist, genderfluide Mode zu entwerfen. Warum teilen wir Mode eigentlich immer noch nach Geschlecht auf? Sollten wir Männerund Frauenkollektionen abschaffen?
CW: Männer- und Frauenmode war so lange nach Geschlecht getrennt, das wird man nicht von heute auf morgen abschaffen können. Aber es weicht immer mehr auf und wir sind auch der Meinung, langfristig sollte man die Kategorisierung abschaffen. Man sollte einfach das tragen, was einem Freude bereitet und worin man sich selbstbewusst fühlt.
F: Führt uns durch einen klassischen Arbeitstag bei W1P Studios.
AD: Erstmal Kaffee! Sonst gibt es immer eine kleine Teambesprechung, ob virtuell oder bei uns im Büro, was am Tag so ansteht und wer für welche Aufgaben verantwortlich ist. Dann ist es immer sehr unterschiedlich, in welcher Phase der Kollektion wir sind und ob Design, Produktion oder Marketing und Vertrieb gerade im Vor-
F: Was ist euer liebstes Kleidungsstück? Und welches Stück fehlt noch in eurem Schrank?
AD: Ich liebe Blazer! Davon kann ich nicht genug besitzen, insbesondere in guter Vintage-Qualität. Ansonsten fällt mir so spontan nichts ein, das mir fehlt.
CW: Ich habe ein perfektes kleines Schwarzes, das eigentlich immer geht – ob lässig mit Sneakern, cool mit schweren Boots oder elegant in Heels, einfach super vielseitig. F: Wen möchtet ihr einmal von Kopf bis Fuß in W1P Studios gekleidet sehen?
AD: Das ist eine wirklich schwierige Frage! Es gibt so viele coole Menschen, mit denen wir gerne mal arbeiten würden, das lässt sich auf keinen Fall auf eine Person beschränken. Aber was sich mit Sicherheit sagen lässt: Jede Person, die in der Öffentlichkeit steht und sich für die gleichen Werte stark macht wie wir und schon mal ein Piece von uns getragen hat – das war immer ein tolles Gefühl!
F: Wo seht ihr euer Label in ein paar Jahren?
CW: Wenn wir träumen, möchten wir gerne in den bedeutenden europäischen Modemetropolen etabliert sein. Gleich gefolgt von dem Wunsch, dass wenn Menschen an nachhaltige Modebrands denken, direkt unser Name aufploppt. Aber neben diesen großen Zielen, wollen wir uns in den nächsten Jahren auf jeden Fall vergrößern und ein noch stärkeres Team aufbauen, bei dem Diversität und Inklusion gelebt wird, in dem gefördert und unterstützt wird. Das ist uns ein ganz großes Anliegen.
F: Blickt ihr optimistisch in die Zukunft? Falls ja, wer oder was verhilft euch zum Optimismus?
AD: Ja, auf jeden Fall sind wir optimistisch. Wir haben das Gefühl, dass sich Nachhaltigkeit, Diversität und Inklusion immer mehr durchsetzen und langfristig unumgänglich sind. Das gibt uns Hoffnung für die Entwicklung der Branche.
OVERHEAD EXPENSES
COLD GAME PRIVATE EQUITY
Nathalie Zimmermann
INTIMATE SKIN IN THE GAME
Für die Zukunft von YVY sehen wir
schwarz. Und das ist gut so. Denn die dunkel schimmernden Lederkreationen des Labels sind gefragter denn je. Auch, weil Gründerin Yvonne Reichmuth jetzt in das erste Ladengeschäft expandiert hat. Wir haben fürs Interview vorbeigeschaut.
Du bist Kate Winslet. Am Abend wird dir an einem Filmfestival der Preis für dein Lebenswerk verliehen. Die Fotos von deinem Outfit werden um die Welt gehen. Doch deinem roten Overall fehlt es noch am passenden Gürtel. Du bist Kate Winslet und tippst jetzt ganz sicher nicht „black leather belt“ in die Suchleiste von Amazon. Stattdessen erinnerst du dich, vor einiger Zeit eine Designerin kennengelernt zu haben. Ihr Label hat sich auf luxuriöse Lederteile spezialisiert, die ebenso elegant wie verrucht aussehen. Der Zufall will es, dass sie erst kürzlich expandiert hat und das Angebot nicht mehr nur im Internet oder auf Terminvereinbarung im Atelier erhältlich ist, sondern in einem neu eröffneten Verkaufsladen. Doch dieser hat montags geschlossen. (Heute ist Montag übri-
gens.) Egal. Du bist Kate Winslet, Yvonne Reichmuth ist die Designerin, YVY ist das Label und Zürich ist die Stadt. Ein Telefonanruf und wenige Stunden später trägst du Lederaccessoires und einen extra für den Anlass mit Goldschnalle modifizierten Gürtel auf dem Grünen Teppich vom Zürich Film Festival. Du bist Kate Winslet. Du siehst fantastisch aus. Happy End made by YVY. Und das mitten in den New Beginnings made by YVY. Denn mit der Ladeneröffnung im Zürcher Seefeldquartier startet für die Marke eine neue Ära. Diese zieht eine völlig neue Kundschaft an und verändert den Blick von Gründerin Yvonne Reichmuth auf ihre eigenen Kreationen. Auch darüber haben wir uns beim Besuch mit ihr unterhalten.
FACES: Wir sind vor dem Interview durch unser Archiv gegangen. Im Frühjahr 2020 hast du in einem Gespräch mit FACES gesagt, ein eigenes Ladengeschäft wäre dir zu viel. Jetzt besuchen wir dich darin. Was hat sich geändert?
Yvonne Reichmuth: Wir sind weiter gewachsen und irgendwann kommt man an eine Grenze, wie viel man mit word of mouth erreichen kann. Da habe ich angefangen mit dem Gedanken zu spielen, dass wir einen eigenen Store haben könnten. Ich hatte auch etwas Respekt davor, wie es wäre, wenn ich selber im Laden bin. Wie konzentriert ich dann noch arbeiten kann an all dem, was man sonst noch macht. Doch ich habe immer mehr daran gedacht, dass ich es ausprobieren möchte. Weil es mich wunder nahm, was passieren würde, wenn wir diese Exposure haben von Schaufensterfronten und wie es wäre, wenn wir die Barriere runternehmen. Vorher konnten die Leute zwar ins Atelier kommen, aber man musste einen Termin vereinbaren.
F: Was war dir bei der Lancierung des YVY-Ladens wichtig?
YR: Mein Traum war es, dass wir neben dem Store weiterhin ein kleines Atelier haben können, plus Office, alles in einem. Und das an einer guten Lage und bezahlbar (lacht). Darum hat die Suche einen Moment gedauert. Doch ich bin sehr glücklich, dass wir es gewagt haben. Wir sind hier nicht an einer typischen Einkaufsstrasse, wo die Leute bewusst shoppen gehen. Sondern mehr per Zufall hier vorbeilaufen und uns entdecken. Und Leute, die YVY bereits kennen, haben jetzt einen Ort, wo sie direkt hingehen können. Wir konnten schon viele neue KundInnen gewinnen. Man hat unterschiedliche Leute, von TourstInnen bis zu den Leuten, die hier arbeiten, Anwaltskanzleien, Beauty Centers, Medien. Die Mischung der Leute ist sehr spannend.
F: Dadurch, dass eine völlig neue Sparte von KundInnen mit YVY interagiert, siehst du auch deine eigenen Kreationen in einem neuen Licht?
YR: Absolut. Anfangs haben wir gesehen, wie die Leute vor dem Laden stehen blieben, hinein schauten, zum Teil sogar durch die Scheiben hindurch fotografiert haben – aber nicht reinkamen, weil sie sich nicht trauten. Wir haben dann vor dem Eingang eine Box mit Infokarten hingestellt, die extrem schnell weg gingen. Du merkst also, die Leute sind interessiert, aber sie müssen oft ein-, zweimal vorbeigehen, bis sie reinkommen. Eben weil wir nicht wie ein klassischer Kleiderladen aussehen und die Leute sich nicht trauen oder mich erst fragen, ob sie etwas anprobieren oder anschauen dürfen. Das machst du sonst in einem Kleiderladen nicht. Da nimmst du dir einfach etwas und gehst damit in die Kabine. Am Anfang hatte ich viel mehr Lederpieces aufgehängt. Aber die Leute fragten sich, ob da jetzt ein Fetisch-Store eingezogen sei. Darum haben wir recht schnell angefangen, Schaufensterpuppen in Kleidern und den Lederpieces darüber ins Schaufenster zu stellen. Sobald wir ein Plissée-Kleid mit einem schönen Gurt im Schaufenster hatten, kamen die Leute rein und wollten genau das. Deshalb machen wir auch wieder viel mehr Kleider. Es macht Spaß, diese Kollektion jetzt zu erweitern und die kompletten Looks anzubieten. Es kommen neue textile Designs dazu und gewisse Pieces aus der Vergangenheit, die länger ausverkauft waren, bringen wir auf eine neue Art zurück, wie das Suit Jacket und den Suit Coat. Eben weil wir an den Reak-
tionen der Leute bemerkt haben, dass wir wieder anfangen müssen, ganze Looks anzubieten, die man tagsüber auf der Straße tragen kann.
F: Gab es bereits denkwürdige Momente in deinem Laden?
„Ich möchte etwas Zeitloses kreieren, dessen Wert besteht oder sogar zunimmt.“
YR: Ja, ich habe sehr viele solcher Momente, die mich flashen, bei denen ich danach wirklich völlig glücklich bin. Weil du die Rückmeldungen auch direkt bekommst und nicht nur Ende Monat deine Zahlen anschaust. Ich kriege es eins zu eins mit, weil ich ja meistens auch hier bin. Es ist extrem, wie viele Leute kommen, eben nicht einfach um etwas zu kaufen und wieder zu gehen, sondern um sich wirklich damit auseinanderzusetzen. Kürzlich war jemand mehrere Stunden im Laden und hat fast alle Bücher, die ich gemacht habe, durchgeschaut. Ich finde es schön, dass das hier auch wie ein Wohnzimmer sein kann. Und dann hatten wir natürlich auch KundInnen, die zum ersten Mal gekommen sind und gleich mehrere tausend Franken ausgegeben haben, was natürlich auch ein super Feeling ist. Auch spannend finde ich, wie viele TouristInnen kommen und du dadurch spürst, wie deine Teile in die Welt hinausgehen, nach New York oder in die Philippinen.
F: Wird dir das mehr bewusst, als wenn die Leute irgendwo auf der Welt im Internet bestellen?
YR: Genau, eben weil es physisch im Laden verkauft wird und die Leute es toll finden, dass sie etwas aus der Schweiz nach Hause nehmen. Einen Gürtel von Gucci können sie auch in New York oder Malaysia kaufen. Aber ein Piece von einer Designerin aus Zürich hat für diese Leute nochmals einen besonderen Wert. Erst recht, wenn sie diese dann auch noch kennenlernen.
F: Ist es diese Bildung einer Community, die es braucht, um Menschen weg vom Online-Shopping an den Bildschirmen und zurück in die physischen Läden zu locken?
YR: Absolut. Wir haben am Anfang lange überlegt, wie wir den Ort nennen und haben es eigentlich immer Space genannt. Weil es eben nicht nur ein Laden ist. Sondern auch ein Studio, eine Event-Location, ein Ausstellungsraum. Und manchmal eben auch ein Wohnzimmer.
F: Was ist dein persönlicher Lieblingsladen?
YR: Abgesehen von unserem? (lacht) Vorletzte Woche war ich in London. Dort bin ich am Dover Street Market vorbei, der immer schön anzuschauen ist, weil es auch so eine Art Installation ist, ein eigenes Universum.
F: Shopping bei regionalen DesigerInnen ist auch eine Art, als TouristIn eine fremde Stadt und ihre Menschen kennenzulernen.
YR: Absolut. Vor ein paar Monaten habe ich in Amsterdam per Zufall einen Store entdeckt. Schöne Ästhetik, super nettes Personal, ich bin auf einen Brand gestoßen, den ich vorher nicht gekannt habe und seither Fan bin. Das ist etwas, das physische Stores auslösen können auf einem Level, den du beim Online-Shoppen nicht hast. Vor allem jetzt, wo jede High Street auf der Welt gleich aussieht, sei es die Champs Elysée oder die Zürcher Bahnhofstrasse. Wo du hingehst, gehört alles Inditex, LVMH und H&M. Da geht eine gewisse Spannung verloren.
F: Was hast du über den Werkstoff Leder in all diesen Jahren gelernt und was möchtest du davon deinen MitarbeiterInnen und KundInnen weitergeben?
YR: Mein Ziel war immer zu zeigen, was mit dem Material alles möglich ist. Als ich begann, empfand ich das meiste auf dem Markt generisch. Immer die gleiche Art
von Handtaschen, Gürtel, vielleicht noch ein Portemonnaie. Es gibt noch so viele spannende Dinge, die man mit Leder machen kann und auch wie sich die verschiedenen Verarbeitungen mischen lassen. Ein Lederetuis oder eine kleine Tasche scheinen schlicht. Doch wenn du auf die Details achtest, gibt es so viele Variationen. Eine kleine Abwandlung in der Verarbeitung kann den ganzen Look verändern.
F: Seit Jahrhunderten sind Menschen fasziniert von Leder. Warum?
YR: Leder ist etwas, das einem ein gutes Gefühl gibt, wenn du es anfasst. Man kann es gar nicht richtig erklären. Du kannst die verschiedensten Leute fragen und die meisten haben irgendein Lederpiece, das ihnen am Herzen liegt. Die Schuhe, die ich gerade trage, habe ich schon x-mal besohlen lassen. Man pflegt eine persönlichere Beziehung dazu. Schließlich ist es ja Haut. Das hat etwas sehr Sinnliches und Intimes.
F: Wie bereits angetönt, lanciert YVY auch vermehrt Kleidungsstücke, die nicht aus Leder sind. Mit welchen Gedanken gehst du an deren Design? Verstehst du sie primär als Ergänzung zu den Lederpieces oder eine davon komplett unabhängige Vision?
YR: Für mich sind die Kleider eine Art Leinwand für die Lederpieces. Klar, man kann sie auch einfach so tragen, das ist auch schön. Aber es ist nochmals spezieller, wenn du das Piece darüber anziehen kannst. Bei den meisten Stücken ist das die eigentliche Idee. Bei vielen Brands hast du das Kleid, welches durch Accessoires ergänzt wird. Bei uns verhält es sich umgekehrt. Die Accessoires sind die Hauptdarsteller und die Kleider ergänzen das Bild.
F: Was inspiriert deine Designs?
YR: Früher habe ich ein Thema gesucht und auf diesem eine Kollektion aufgebaut. Aber seit einigen Jahren ist es mehr eine Mischung aus allem, was einen bewusst und unbewusst inspiriert. Irgendwann beginnst du auch dein eigenes Archiv wieder anzuschauen und findest dort wieder Inspiration.
F: YVY hat inzwischen den Punkt erreicht, wo man aus der eigenen Geschichte schöpfen kann.
YR: Genau. Es gibt manchmal Pieces, die du vielleicht vergessen hast. Ich hatte dieses Jahr eine Designerin im Team und ihr gezeigt: Schau, das sind alle Pieces, die ich bisher gemacht habe. Wir haben sie ausgedruckt und an die Wand gehängt. Einerseits, um den „roten Faden“ zu sehen und andererseits, um spannende Elemente zu finden, die man wieder aufnehmen möchte.
F: Wie viele sind das?
YR: Über 200 Stück. Und dann hat die Designerin erst diese Teile studiert, um ein eigenes Design zu machen, welches trotzdem die DNA des Brands aufnimmt. Man lernt mit den Jahren, welche Teile funktioniert haben und nimmt das Feedback der KundInnen auf.
F: Wie schätzt du die Modeszene in der Schweiz ein? Könnten hiesige Labels international selbstbewusster auftreten?
YR: Wir können definitiv selbstbewusster auftreten. In der Schweiz ist man generell zurückhaltend. Man kann ein wenig stolzer darauf sein, was man macht. Wir müssen uns nicht verstecken und sollten uns mehr trauen. Das ist auch etwas, was ich bei den KundInnen immer wieder merke. Die Leute wollen eigentlich, aber viele trauen sich nicht, gewisse Teile zu
tragen. Das finde ich schade, wenn man sich im eigenen Kleidungsstil zurückhält, weil man sich zu viel daraus macht, was jemand anderes denken könnte oder ob man damit zu sehr heraussticht.
F: Mit einer eigenen Marke wird man auch von der Designerin zur Unternehmerin. Ist dir dieser Übergang leicht gefallen?
YR: Ja, es ist ein fließender Übergang, der mir zum Glück auch Spass macht. Sonst könntest du nicht deine eigene Firma haben. Ich finde alles, was strategisch ist, extrem spannend. Ich mag auch Zahlen und was sie dir sagen können. Es ist aber definitiv auch eine Herausforderung, wenn du von einer Ausbildung im kreativen Bereich kommst und du das alles lernen musst. Ich habe aber zum Glück gute Leute um mich herum, die mich unterstützen. Du kannst auch eine bessere Designerin sein, wenn du andere Dinge verstehst und triffst bessere Entscheidungen, wenn du dich geschäftlich ein wenig auskennst und ein paar Excellisten machst.
F: Vermisst du ab und zu das Handwerkliche aus früheren Tagen? Oder nimmst du dir dafür noch immer regelmäßig Zeit, damit du nicht nur an den Schreibtisch gefesselt bist?
YVY
Seit mindestens 5 500 Jahren tragen Menschen Kleidung aus Leder. Seit bald 10 Jahren kleiden sie sich in Leder von YVY. Die Marke aus Zürich hebt mit Gürtel, Harness oder Choker jedes Outfit auf ein neues Level. Die minimalistischen Designs und hochwertige Verarbeitung fesseln unter anderem Stars wie Billie Eilish, Monica Bellucci und Ricky Martin. Inzwischen designt YVY auch Non-Lederkleidung, auf denen die Accessoires perfekt zur Geltung kommen. Und wer das Angebot nicht nur browsen, sondern fühlen will, kann das neu im Verkaufsladen an der Dufourstrasse 31 in Zürich tun.
yvy.ch
YR: Nein, ich bin tatsächlich an den Schreibtisch gefesselt. Ab und zu gehe ich noch einen Kaffee holen (lacht). Ich mache handwerklich nicht mehr viel und vermisse es auch nicht, obwohl ich eigentlich mit der Liebe zum Handwerk gestartet und anfangs jedes Teil selber gemacht habe. Es ist eine Evolution von mir als Person, dass ich es jetzt spannender finde, die Marke und die Firma aufzubauen und alles was dazu gehört. Vom Design zur Produktion, Vermarktung und Distribution, zu verstehen, wie alles zusammenspielt und wie wir es konstant optimieren können.
F: YVY wird nächstes Jahr 10 Jahre alt. Was sind Momente, Gefühle, Errungenschaften und Krisen, die in diesem vergangenen Jahrzehnt besonders herausstechen?
YR: Wie lange haben wir Zeit? (lacht) Es sind viele kleine Momente, die sich zusammensammeln. Aber auch einige große, die Kollaboration mit Longines war ein tolles Erlebnis. Designpreise zu gewinnen natürlich auch, wie zum Beispiel letztes Jahr vom Schweizer Bundesamt für Kunst und Kultur. Worauf ich auch stolz bin, ist, dass wir von zwei Museen eingekauft worden sind. Das ist für mich ein Zeichen, dass ich mein höchstes Ziel erreicht habe. Nämlich ikonische Designs zu machen. Das interessiert mich mehr als der Hype und Trend von dieser Saison zu sein. Ich möchte etwas Zeitloses kreieren, dessen Wert besteht oder sogar zunimmt.
F: Welche zwei Museen sind das?
YR: Das Museum für Gestaltung und das Landesmuseum in Zürich. Rückblickend gab es auch Celebrity Momente, die immer wieder toll waren. Im Teenageralter war Gwen Stefani mein Idol und jetzt trägt sie meine Designs. Was die Herausforderungen anbelangt, die größte ist, dass du immer weitermachen magst und dass du Freude daran hast, egal was rundherum ist. Du kannst nie still stehen, egal ob du jetzt einen Preis gewinnst oder einen neuen Store hast oder die Verkäufe dieses Monats super waren. Nächsten Monat beginnt alles wieder von vorne. Ich hatte Momente, als ich gefunden habe: Boah, jetzt bin ich müde. Aber dann gehe ich etwas Schwimmen und Schlafen und dann ist wieder gut.
AUF DER FLUCHT
Tommy kriegt sie alle. Der Zielfahnder hat in seiner jahrzehntelangen Karriere Flüchtige um den ganzen Globus gejagt.
Jetzt ist es aber Tommy, der erwischt wurde. Von Autor
Helge Timmerberg, der die spannendsten Berufsgeschichten des Wieners im Buch „Einer kriegt sie alle“ versammelt.
Tolle Lektüre, ob du jetzt im Gefängnis sitzt –und dich fragst, was du hättest besser machen können –oder einfach zuhause auf der Couch. In diesem Kapitel geht es um Glühwein und Autobomben.
Text: Helge Timmerberg
Foto: Erich Reismann
SCHÖNER BULLE
Alle Jahre wieder nimmt Wien ein vierwöchiges Glühweinbad, und die Saufgelage nennen sich Weihnachtsmarkt. Auch Tommy steht zwischen den Christenseelen und will seine mitbaumeln lassen, aber noch bevor er ein Krügerl leeren kann, ruft ihn Andi an.
„Wo bist du, Tommy? Das FBI braucht uns.“
„Ich hab frei.“
„Wer nicht?“
Wenn die Amerikaner um Amtshilfe anfragen und das österreichische BKA zeitgleich einen hohen Krankenstand beklagt, kann Tommy zwar nein sagen, aber er tut es nicht.Zum einen aus Pflichtgefühl, zum anderen, weil Andi einem wirklich jeden Scheiß schmackhaft machen kann.
„Eh nur einen Spaziergang, Tommy. Wenig Aufwand, fette Beute, quasi ein Most-Wanted-Adventschnäppchen. Und frieren muss auch niemand. Die Zielperson ist in einem hübschen Hotel abgestiegen. Aber es eilt halt a bisserl.“
„Warum? Ist es ein Stundenhotel?“ »Leider nein.«
Tommys Fahndungsblockade ist nicht nur urlaubsbedingt, sondern auch saisonal erklärbar. Ein Jahr des Verbrechens neigt sich zu Ende, er ist der Mörder und Mörderinnen müde. Und die Weihnachtsfeiern geben ihm den Rest. Sie wurden vom Teufel erfunden. Weihnachtsfeier beim BKA mit seinen Zielfahndern, Weihnachtsfeier bei der Kripo und den Ex-Kollegen, Weihnachtsfeier in Freundes- und Familienkreisen, Weihnachtsfeier hier und Weihnachtsfeier da. Und jedes Mal lässt es Tommy weihnachten, als ob es kein Morgen gäbe. Zu Recht. Es gibt ihn nicht. Morgen hat frei. Eigentlich. Es finden sich gewiss noch mehr „Eigentlich“ in Tommys Leben, und Andi steuert gleich noch eins bei. Ob Stundenoder Grandhotel sei doch eigentlich ganz egal. Wenn Betten reden könnten, hätten sie in beiden Etablissements viel zu erzählen.
Gesucht wird eine Blondine im Grandhotel, die ihren Mann betrog, obwohl der Geliebte nicht nur hässlicher, sondern auch ärmer war als der Gatte. Vielleicht hatte er ein Händchen für Frauen, ganz sicher aber eins für Sprengstoffe. Die romantischen Aspekte der Affäre hatten sich bald erschöpft, die geschäftlichen nicht, denn die Blondine entschloss sich, 400’ 000 Dollar in seine Talente zu investieren. Das führte dazu, dass an einem Novembertag, der aber in einem Kaktusstaat wie Arizona durchaus noch ein sonniger war, sich der Immobilienhändler Gary Triano vor dem Golfclub La Palo in seinen blauen Lincoln setzte und auf dem Beifahrersitz ein Zigarrenkistchen fand, das dort vorher nicht gelegen hatte. Der Millionär sah darin keinen Grund zur Sorge. Sein Wagen war nie verschlossen. Und er hatte Geburtstag. Ein Geschenk lag da, ganz klar, und als er es öffnete, machte es bumm. Abgesehen davon, dass Gary Triano im Alter von 52 Jahren natürlich zu früh aus dem Leben gerissen wurde, handelte es sich hier um einen gnädigen Tod. Ohne Vorwarnung, ohne Vorahnung, ohne Ängste und sofort final, das heißt auch ohne
„Das Letzte, was Gary Triano in seinem glücklichen Leben sah, war das Kistchen seiner Lieblings-Havannas aus Kuba.“
Schmerzen, die länger als den Bruchteil einer Sekunde währten, selbst fürs Erschrecken blieb keine Zeit, und das Letzte, was Gary Triano in seinem glücklichen Leben sah, war das Kistchen seiner Lieblings-Havannas aus Kuba.
Gesucht wird also eine US-Blondine, die ihrem Mann zum Geburtstag eine Autobombe geschenkt hat und seine Millionen seit dem für Städtereisen durch Europa ausgibt. Und natürlich liebt sie Wien. Tommy kann das nachvollziehen. Wien ist zwar für blonde Millionärinnen zu jeder Zeit zu jedem Scheiß bereit, aber wenn die Zwei-PS-Kutschen durch eine Art urbanen Lebkuchen traben und sich rote Bäckchen unter Pelzmützen auf die Eisbahn wagen, ist die Stadt für Adventsjunkies die erste Wahl. Adresse: egal. Hauptsache, fünf Sterne.
Der Klavierspieler vom Dienst rollt aus der Bar einen akustischen Teppichboden in die Lobby aus, ein Kofferträger schleppt seinen FranzJosef-Bart rein und raus, Touristinnen in allen Farben und Größen balancieren ihre Champagnerlaune auf den Absätzen ihrer Stiefel und Stiefeletten in Richtung Kokaintoiletten, und uniformierte, fast möchte man sagen kostümierte Rezeptionisten rücken sofort mit der Zimmernummer und dem Zweitschlüssel von unkoscheren Gästen raus, wenn die Polizei sie darum bittet.
Sie tun’s aber auch, wenn das nicht als Bitte, sondern als Befehl vorgetragen wird, denn die Diskretion der Direktion wandelt sich bei ausbleibender Kooperation umgehend in die strafbare Behinderung einer Bundesbehörde. Noch dazu weiß die Gesuchte nicht, dass sie gesucht wird. Das FBI hat zehn Jahre lang nicht herausgefunden, wer die Auftraggeberin für den Mord gewesen ist. Dass es ihnen im elften Jahr gelingen wird, würde die Blondine leider erst erfahren, wenn Tommy durch ihre Türe gestürmt ist.
Andi behält also recht. Das Ganze wird ein Spaziergang vorbei an Seidentapeten, Samtvorhängen und Ölgemälden, die das Abschlachten von Rotwild romantisieren, ein Mahagoni-Fahrstuhl bringt sie nach oben, wo es nicht anders als unten aussieht, und vor dem Fluchtgemach holt Tommy endlich seine Pistole aus dem Hosenbund und Andi den Pfefferspray, denn nicht jede kritische Situation erlaubt dasSchießen.
Die Wahl der Waffe war einer ihrer ewigen Zankäpfel, bis sie sich entschlossen, ihren Streit durch Münzenwerfen zu schlichten.
Kopf für Knarre, Zahl für Spray, und Andi verliert diesmal.
Er schüttelt die Dose, damit sich das Reizgas im Wasser verteilen kann, tut er es nicht, entfaltet diese Waffe die Wirkungskraft einer Wasserpistole. Auch wichtig: Man steht bei all diesen Aktivitäten immer neben der Tür, nicht davor, so kann der Kriminelle sein Schicksal weder durch den Türspion erblicken noch ihm eine Kugel durchs Holz entgegenschicken. Auch geöffnet wird die Tür von der Seite her, und der Rest ist ein beherzter Sturmangriff. Je überraschender und erschreckender der Zugriff verläuft, desto eingeschüchterter reagiert die Zielperson. Aber in diesem Fall nützt es leider nichts, denn ein leeres Zimmer erschrickt sich nicht.
„Verflucht sei das Geld, wenn es sein Versprechen nicht hält. Reichtum durch Autobombe.“
Die Zielfahnder sehen sich an, wie es Männer gerne tun, wenn aus einem Spaziergang doch noch eine Jagd werden kann. Haben ihre Instinkte die Zielperson gewarnt, hat sie die Gefahr gespürt, ist sie im letzten Moment über alle Berge getürmt, oder ist sie eh in der Bar, wie wenig später der Rezeptionist annimmt?
Das Hotel verlassen habe sie jedenfalls nicht, das hätte er gesehen, zumindest was den Hauptausgang betreffe. Die Hintertüren habe er natürlich nicht im Blick, aber die Dame wohne nun schon ein paar Tage bei ihnen, man kenne sich ein bisschen. Dieser Kenntnisstand lasse in ihm die Hoffnung walten, die Herren nicht ein zweites Mal ins Leere laufen zu lassen, denn zu dieser Stunde nehme die besagte Amerikanerin gern einen betreuten Ladydrink. Und wenn sie schon dabei seien, könnten sie auch gern den Barpianisten verhaften. Der habe es immer verdient.
In der Bar probiert der Pianist weniger verboten wie angekündigt eine Jazzmeditation, die umgehend zur Wolkesieben wird, wenn man sie mit gepflegten Alkoholika kombiniert. Er spielt mit mehr Talent, als er praktisch umsetzen kann. Seine Finger halten mit seiner Musikalität nicht Schritt. Das gibt seinem Anschlag etwas zu viel Wut und seinen Melodien zu viel Wehmut, aber er ist trotzdem nicht schlecht und außerdem ein Gesamtkunstwerk. Von den Budapester Schuhen bis zum kurz gestutzten Silberbart passt jedes seiner Details in das Design, als wäre er in die Bar hineingemalt, nur die Blondine fehlt in dem Bild.
Wo ist sie dann? Vielleicht bei dem jungen Mann, mit dem sie reingekommen und vor etwa zehn Minuten auch wieder rausgegangen ist, verrät der Barkeeper auf Verlangen. Und weil der Gast die Rechnung anschreiben ließ, hat er auch seine Zimmernummer parat.
Wieder schwebt mit ihnen ein Edelholzfahrstuhl der Zielperson entgegen, wieder müssen sie über (sieben?) Teppichbrücken gehen, wieder öffnet ein Zweitschlüssel die Tür zum eigentlich Privaten, wieder fliegt sie auf, als hätte man sie nicht geöffnet, sondern eingetreten, und wieder stürzen sie herein, einer mit der Pistole, der andere mit Pfefferspray in der Hand, doch dieses Mal lohnt sich die Show.
Die Blondine hat sich zwar noch nicht ausgezogen, aber sie kuschelt schon. Und macht auch im Folgenden keinerlei Zicken, im Gegenteil, sie ist überkooperativ und flirtet heftig mit Tommy während der Verhaftung. Auf seine Handschellen reagiert sie, als sei’s ein Liebesspiel.
Hat die Blondine einen Schuss? Weiß sie nicht, was sie erwartet? Glaubt sie, dass Österreich niemanden in die USA ausliefert, dem die Todesstrafe blüht? Damit hätte sie sogar recht, aber wenn die Amerikaner garantieren, dass die Todesstrafe in lebenslänglich umgewandelt wird, stimmt es nicht mehr. Verflucht sei das Geld, wenn es sein Versprechen nicht hält. Reichtum durch Autobombe. Hat sie es sich so vorgestellt, als K.-u.-k.-Operette, letzter Akt: Grandhotel? Oder leidet die Frau unter Gefallsucht? Alles Spekulationen, gewiss, aber natürlich fragt sich Tommy, warum sie auch während der erkennungsdienstlichen Behand-
„Schönheit ist Karma, sagt der Hinduismus, und zwar gutes. Wer im vorherigen Leben Gutes getan hat, wird schön wiedergeboren, und schöner noch, wenn er viel Gutes tat.“
lung für den Polizeifotografen posiert, als ginge es nicht um die Verbrecherkartei, sondern um ein Cover der Vogue. Der Fotograf sagt ihr mehrmals, sie solle ernster gucken, aber für die Blondine ist es fast unmöglich, in eine Kamera zu sehen und dabei nicht zu lächeln.
Nur wenig später steht Tommy wieder auf dem Weihnachtsmarkt zwischen all den roten Bäckchen und zu Boden taumelnden Schneeflöckchen, diesmal aber trinkt er den wirkungsmächtigen Wiener Glühwein nicht allein. Sein Kollege will ebenfalls recht bald besoffen sein.
„Bei Mörderinnen hast du echt einen Schlag“, sagt Andi,
„das war nun schon die zweite in nur einer Woche, die sich widerstandslos ergab, weil sie dich so schön fand.“
„Ich bin nicht schön.“
„Hat sie aber gesagt.“
„Und ich geb dir einen Rat. Glaub nie einer Blondine.“
„Die Rumänin neulich war aber eine Brünette.«
Tommy reagiert entweder ein wenig irritiert oder ein wenig geziert auf das Thema und wird nun professoral.
„Hör zu, Andi, Schönheit ist schon mal generell kein Attribut, das einem Mann gut steht. Die Attraktion des Testosterons auf das andere Hormon hat mit Humor, Charisma, Mut und Intelligenz zu tun.“
„Und mit Geld.“
„Geld und Geist. Das eine gibt ihnen die Sicherheit, das andere die gute Unterhaltung.“
Bullenmund tut Wahrheit kund. Die Überschätzung der Sicherheit gilt in Frauenkreisen als ein Fluch der Evolution. Ein Geschlecht fürs Kinderkriegen, eins für den Kampf. Eins fürs Füttern, eins fürs Jagen, eins fürs Geldausgeben, eins fürs Zahlen. Mittlerweile gibt es Vaterschaftsurlaub und Frauenquote, aber Steinzeit bleibt Steinzeit, wenn die Wahl zwischen Selbstständigkeit oder Sicherheit ansteht.
Irren tut sich Tommy dagegen, was die Wirkung von schönen Polizisten auf blonde Mörderinnen angeht, auch auf brünette, und selbst auf Frauen, die nicht morden, also auf alle. Aber mit diesem Irrtum ist er nicht allein. Schönheit wird generell unterschätzt, weil sie als oberflächlich gilt, aber die der Männer wird zusätzlich noch diskriminiert und als unmännlich diffamiert. Bei Frauen spricht man von einer Schönheit. Bei Männern von einem Schönling. Schwul, schwach, eitel, unzuverlässig, all das schwingt dabei mit, und all das ist natürlich grober Unfug.
Denn was ist Schönheit?
Schönheit ist Karma, sagt der Hinduismus, und zwar gutes. Wer im vorherigen Leben Gutes getan hat, wird schön wiedergeboren, und schöner noch, wenn er viel Gutes tat. Ein Mensch, der sein letztes Leben quasi als Heiliger verließ, reinkarniert bildschön beim nächsten Mal.
Was sagen die Christen? Schönheit ist ein Gottesgeschenk.
Was sagt Coco Chanel? Ab vierzig ist der Mensch für sein Gesicht selbst verantwortlich.
Und die Soziologen sagen, Schönheit ist das harmonische Miteinander des Mittelmäßigen. Wenn nichts zu groß oder zu klein ist, zu eckig oder zu rund, weder die Nase noch die Ohren, weder die Augen noch der Mund, spricht man von einem anmutigen Antlitz, und wenn nicht, von einem Charaktergesicht. Warum? Hat Schönheit keinen Charakter? Nicht zwingend.
Geld muss sie auch nicht haben und die Personalunion von Schönheit und Geist ist genauso wenig vorprogrammiert. Die Schönheit der Männer bringt den Frauen also weder Sicherheit noch ein Lachen. Aber sie schenkt ihnen Träume.
Und wenn dann, ob mit oder ohne Pistole, so ein Traumbulle plötzlich vor ihnen steht, versagt bei den kriminellen wie bei den nichtkriminellen Frauen auch schon einmal der Fluchtinstinkt.
Als Zielfahnder ist ihm das von Nutzen, als Privatmann leider nicht. Dafür ist Tommy zu treu. Nicht unbedingt freiwillig, er muss es sein, weil er seine Frau nicht anlügen kann, ohne dass sie es sofort mitbekommt. Sie ist Gruppenleiterin der Wiener Mordkommission und hat es dort nur mit Lügnern zu tun.
EINER KRIEGT SIE ALLE
„Das Böse ist immer und überall“, sagte einst ein großer österreichischer Denker. Deswegen ist das Böse aber nicht unbedingt einfacher zu finden. Tommy tut es trotzdem. Als Zielfahnder jagte der Wiener Hunderte Flüchtige bis in die entlegensten Ecken der Welt. Die spektakulärsten Fälle hat Autor Helge Timmerberg in einem neuen Buch verewigt. Die Lektüre ist spannender als ein „Tatort“, bei dem sich Hitchcock und Tarantino die Regie teilen, und vermittelt interessante Einblicke in die internationale Strafverfolgung.
Helge Timmerberg, „Einer kriegt sie alle“, ecoWing, ca. 33.–, beneventopublishing.com
Materialien, Farben und Formen ausgetobt wird, desto schöner wird die Welt.
Übersicht über Finalisten und Gewinner wird klar: Je mehr sich mit
ArchitektIn. Sie haben es schließlich in der Hand, wie unsere Umgebung aussieht. Um das zu feiern, werden die tollsten Bauten jährlich an den A+Awards von Architize r geehrt. Da geht es aber nicht nur um Ästhetik und Kreativität, sondern auch darum, wer Probleme wie fehlenden Wohnraum und Umweltbelastung am elegantesten löst. Nach einer
Die wichtigsten Berufe fangen mit A an: ÄrztIn, AnwältIn –und natürlich
HOUSE OF COURTYARDS BY STUDIO VDGA Popular Choice Winner, Architecture + Photography and Video In Dubai residiert man exklusiv. Das führt dazu, dass FotografInnen das Exterieur festhalten wollen. Wenn es dafür einen Architizer Award gibt, warum nicht? Ganz dem Namen treu stehen in diesem Wohnhaus lichtdurchflutete Innenhöfe im Mittelpunkt, so dass es einen fließenden Übergang zwischen Drinnen und Draußen gibt.
CONCRETE MONUMENTAL
Meerblick seinen Koffeinkick.
diesem weitläufigen Bauwerk komplett, das in Zusammenarbeit mit Nana Coffee Roasters entstanden ist. Man braucht eben auch bei
es an nichts. Doch das Strandparadies Chonburi ist erst jetzt mit
Man könnte meinen, in einem beliebten Stranddorf in Thailand fehlt
Jury Winner and Popular Choice Winner, Restaurants
HARUDOT CHONBURI BY IDIN ARCHITECTS
Durell Stone entworfene Monument seinen Ikonenstatus. Aber auch Legenden kommen in die Jahre, und so musste letztes Jahr mehr als nur ein Neuanstrich her: Die Umgestaltung beinhaltet unter anderem einen versunkenen Garten mit eigens dafür angefertigter Skulptur.
Jury Winner and Popular Choice Winner, Commercial Renovations and Additions Ein legendäres Gebäude umzugestalten, ist immer riskant. Seit seiner Fertigstellung 1962 genoss das vom Meisterarchitekten Edward
WILSHIRE BLVD BY MONTALBA
ARCHITECTS
9720
Popular Choice Winner, Multi Unit Housing, High Rise 188 Wohnungen, 33 Stockwerke –da entsteht ein ganz eigenes Universum zwischen dem Beton. Die Form des gigantischen Wohnturms ist inspiriert vom in Brisbane heimischen Feigenbaum. Mit Wellnessbereich, Kino und Weinbar inklusive brauchen die Bewohnenden ihren Mikrokosmos kaum mehr zu verlassen.
UPPER HOUSE BY KOICHI
TAKADA
ARCHITECTS
nun ein brodelnder Filmund Community-Impact Campus. Adaptive Arbeitsund Besprechungsräume sowie ein Café laden dazu ein, den ganzen Tag im sonnengelben Bau zu verbringen.
wohl gut, denn was einst ein verstaubter Bürokomplex war, ist
Grelle Farben im sonst so monochromen Berlin? Das tut der Kreativität
Finalist, Architecture + Color
BY MVRDV
Jury Winner, Architecture + Environment Früher wurde im norwegischen Steigen Kohle gelagert. Heute erinnert einzig die pechschwarze Holzverkleidung der zwei futuristischen Bauten daran. Mit Solarpanels und den schrägen Wänden sind die Kreationen energieunabhängig. Mindestens so beeindruckend: der Blick aufs Meer und mit etwas Glück die Sicht auf die Nordlichter.
TWO TOWERS AT MANSHAUSEN BY SNORRE STINESSEN
ARCHITECTURE
THE REFINERY AT DOMINO BY PAU Jury Winner and Popular Choice Winner, Commercial Adaptive Reuse Projects Ein etwas anderer New-York-Skyscraper: Mitten im brodelnden Brooklyn wurde in diesem monumentalen Bau einst Zucker hergestellt. Zeiten ändern sich. Obwohl der Zuckerkonsum seit dem 19. Jahrhundert rapide angestiegen ist, wird das süße Gold nicht mehr im backsteinfarbenen Gebäude hergestellt. Dafür hausen nach zahlreichen Umbauten nun kreative Büroangestellte darin. ©
Aus eckigen Ziegelsteinen etwas so weich fließendes zu kreieren wie diese spiralförmige Bibliothek im ländlichen China verdient allewei l
Jury Winner, Architecture + Brick
BRICK SHELL CONCEPT LIBRARY BY HCCH STUDIO
TWISTED
einen Award. Im Innern der etwa zehn Meter breiten Muschel lässt sich wunderbar abgeschieden von der Welt lesen, während dank geschick t konzipierter Struktur Tageslicht von oben hinein strahlt.. ©
ARCHITECTS Popular Choice Winner, Architecture + Adaptive Reuses Alt und neu vermischen ist immer eine gute Idee. Zwei Häuschen aus den Dreißigerjahren werden von einem hochmodernen, einseitig verglasten Korridor verbunden. Das gesamte Projekt ist als Teehaus für TouristInnen gedacht. Die fabelhafte Aussicht wird Einheimische wohl ebenso anlocken.
LAKESIDE TEAHOUSE BY DOMAIN
CANVAS HOUSE BY PARTISANS Jury Winner, Architecture + Facades Durchschnittliche rote Ziegel? Kennt man. Wie wär’s mal mit Kurven und Muster in den sonst so starren Steinschichten? Was von außen so sehr hypnotisiert, ist nicht einfach ein Wohnhaus, sondern –wie der Name suggeriert –auch Heimat einer kontemporären Kunstsammlung.
© DOUBLESPACE PHOTOGRAPHY
TIMELESS
WHERE HISTORY LIVES
Schmal, eng, dafür umso gemütlicher: Hier kann sich ein Dinner gerne in die Länge ziehen.
In
Amsterdam vergisst
man dank den historischen Gebäuden mit Charme nie, dass man gerade durch eine geschichtsträchtige Stadt spaziert. Das heißt
aber nicht, dass moderne Ideen keinen Platz haben: Das Conservatorium Hotel ist die perfekte Symbiose aus alt und neu.
Text: Julia Gelau
Fotos: Conservatorium Hotel
Mitten im pulsierenden Herzen Amsterdams, umgeben von kulturellen Schätzen wie dem Van-Gogh-Museum und dem Rijksmuseum, liegt das Conservatorium Hotel – ein Ort, der auf faszinierende Weise Vergangenheit und Moderne vereint. Ursprünglich als Sitz der Rijkspostspaarbank von Daniel Knuttel entworfen und später als Konservatorium genutzt, hat das historische Gebäude eine beeindruckende Transformation durchlebt. 2008 hauchte der renommierte Designer Piero Lissoni dem Bauwerk neues Leben ein und schuf ein Hotel, das Eleganz und Modernität verkörpert, ohne seine Wurzeln zu vergessen. Heute ist das Conservatorium ein Treffpunkt für Reisende, die nicht nur auf der Suche nach Luxus sind, sondern auch nach einem Ort, der Geschichten erzählt.
Bereits beim Betreten des Hotels spürt man den Dialog zwischen Tradition und Gegenwart. Im Eingangsbereich hängen Violinen, die an die musikalische Vergangenheit des Hauses erinnern, während die Brasserie im lichtdurchfluteten Innenhof mit raumhohen Fenstern zeitgenössische Architektur perfekt inszeniert. Besonders eindrucksvoll sind die Signature Suiten – jede davon ein Unikat. Die „Concerto Suite“ greift die musikalische Geschichte auf, während die „I love Amsterdam Suite“ mit ihrer spektakulären Dachterrasse den Blick auf die Stadt feiert. DesignliebhaberInnen werden auch die Penthouse Suite schätzen, in der neugotische Details auf modernes Interieur treffen.
VOM FINE DINING INS SPA UND ZURÜCK
Das kulinarische Angebot des Hotels ist ebenso vielfältig wie die Stadt selbst. Im preisgekrönten Restaurant Taiko, geleitet von Schilo van Coevorden, treffen Aromen aus Fernost auf niederländische Kreativität. Hier werden traditionelle asiatische Gerichte wie Wagyu-Entrecote oder Sushi neu interpretiert und mit Raffinesse präsentiert. Wer mediterrane Küche bevorzugt, sollte das Barbounia besuchen. Inspiriert von Griechenland, Italien und Südfrankreich ist das Restaurant eine Hommage an die Leichtigkeit der Mittelmeerregion. Das Signature-Gericht, eine frittierte Rotbarbe mit Tahini-Sauce, ist nur eines von vielen Highlights, die hier serviert werden.
Für alle, die Ruhe suchen, bietet das Akasha Holistic Wellbeing Spa den perfekten Rückzugsort. Ob in den Behandlungsräumen, im Pool oder in der Sauna – hier steht das Wohlbefinden im Mittelpunkt. Massagen und Treatments, wie die „Seven Chakra Experience“, sorgen für Tiefenentspannung. Ein besonderes Highlight ist die Therabody-Technologie, die durch gezielte perkussive Therapie Verspannungen löst und das Spa-Erlebnis auf ein neues Level hebt.
Müsste man die harmonische Verschmelzung von Tradition und moderner Architektur in einem Bild zusammenfassen, wäre es dieses hier.
CONSERVATORIUM HOTEL AMSTERDAM
Dieses Hotel ist mehr als nur ein Ort zum Übernachten. Es ist ein Symbol der Verschmelzung von niederländischer Geschichte, internationalem Design und moderner Gastfreundschaft. Für Reisende, die eine luxuriöse Erfahrung inmitten der kulturellen Schätze Amsterdams suchen, bietet das Conservatorium ein unvergleichliches Erlebnis –eine harmonische Balance zwischen Tradition, Innovation und dem „Joie de Vivre“, dem Sinn für Lebensfreude, der die Philosophie der The Set Collection prägt.
Conservatorium
Paulus Potterstraat 50 1071 DB Amsterdam Netherlands reservation@thesetcollection.com www.conservatoriumhotel.com @conservatoriumhotel
MULTITALENT
Austin Augie macht alles spannend und kreativ – auch Selbstporträts.
Mal flitzt er auf dem BMX durch die Stadt, mal filmt er einen Dokumentarfilm über das Leben bei den Amischen, und eigentlich war er einmal Model: Austin Aughinbaugh, dem Internet besser bekannt als Austin Augie, lässt sich nicht so einfach in eine Kategorie stecken. Auf seinem YouTube-Kanal hält er sein Leben seit Jahren fest. Aus den Alltagsvideos sind künstlerische Dokumentarfilme geworden, die man eigentlich auf der großen Leinwand anschauen müsste.
Homebase: In New York brodelt die Kreativität. Klar, hat der
Zeitlos und wie ein Gemälde komponiert.
–
Ein stiller Beobachter sammelt Alltagsmomente.
Immer wieder zieht es den Amerikaner nach Indien, wo er mitten in das bunte Treiben eintaucht – natürlich nie ohne Kamera.
SELF SEEKING
Mitten in seinem hektischen, von Kreativität getriebenen Alltag fand Austin Augie die Zeit, sich unseren Fragen zu stellen. Er verriet uns, warum er sich nie als „Vlogger“ sah, obwohl er sein Leben auf YouTube teilt, welche seine liebste Kunstform ist und warum er der Modeindustrie den Rücken gekehrt hat.
Interview: Josefine Zürcher
FACES: In deinen Anfängen kannte man dich als YouTuber und BMX-Profi. Dann folgte ein Exkurs in die Modewelt und jetzt arbeitest du als Fotograf und Filmemacher. Wie würdest du dich jemandem vorstellen, der noch nichts über dich weiß?
Austin Augie: Als ich hauptberuflich auf YouTube unterwegs war, habe ich mich lustigerweise nie als YouTuber gesehen, sondern eher als BMX-Profi. Der Kontrast zwischen diesen beiden Identitäten hat mich immer amüsiert. Obwohl ich so viel Zeit auf YouTube verbracht habe, lag mein eigentlicher Ehrgeiz immer im Filmemachen und darin, die Kunst der Dokumentation zu erlernen. Meine Zeit als Model erscheint mir wie ein weit zurückliegendes Kapitel in meinem Leben. Es war in erster Linie ein Weg, um über die Runden zu kommen. Leidenschaft war nicht wirklich Teil davon. Aber die Erfahrung war wertvoll und hat mich einiges gelehrt. Wenn mich jetzt jemand fragt, würde ich mich als Augie vorstellen, ein Chronist, der das Leben in Form von Filmen und Fotografien festhält. Ich konzentriere mich darauf, die unzähligen Geschichten einzufangen, die sich durch alle Bereiche des Lebens ziehen.
F: Wie verlief der Übergang vom BMX-ing, YouTube, zum Modeln und zur Fotografie? Gab es da Überschneidungen?
AA: Ich würde sagen, dass sie alle miteinander verwoben sind. BMX zum Beispiel war schon immer ein Teil von mir und wird es auch weiterhin sein. Das Reisen mit dem alleinigen Ziel, mit dem BMX herumzufahren und die Welt zu erkunden, war eine außergewöhnliche Erfahrung. Es hat mir die Augen für andere Perspektiven geöffnet und mir eine Unverwüstlichkeit eingeflößt, die bis heute anhält. Was das Vlogging angeht, so gefällt mir der Begriff zwar nicht, aber meine Zeit bei YouTube hat mich hinter der Linse gehalten, wo ich mir Komposition und Geschichtenerzählen beigebracht habe.
F: Und welche Art von Arbeit machst du am liebsten? Wie verbringst du heutzutage die meiste Zeit?
AA: Mein Tagesablauf variiert je nachdem, wo ich bin und was ich tue. In New York verbringe ich meine Tage im Studio – ich fotografiere, male und arbeite an neuen Ideen. Freie Zeit verbringe ich am liebsten mit Kanufahren und Tischtennis. Und wenn ich auf Reisen bin, liegt mein Hauptaugenmerk auf der Dokumentation der Erlebnisse.
F: Du gibst auf YouTube viel über dein Privatleben preis. Hast du es jemals bereut, so offen zu sein, oder fühlt es sich kathartisch an?
AA: Das ist eine gute Frage. YouTube war für mich einerseits ein Fels in der Brandung, andererseits auf eine Weise trotzdem schwierig, die viele Leute vielleicht nicht ganz verstehen. Ich teile mein Leben, weil ich glaube, dass die Authentizität des Lebens es verdient, geteilt zu werden, und dass sogar das Alltägliche schön sein und zum Nachdenken anregen kann. Mein Leben auf YouTube preiszugeben, brachte jedoch zu Beginn meiner Karriere eine Reihe von Herausforderungen mit sich.
F: Wer oder was hat dich dazu inspiriert, dein Leben auf Video festzuhalten – zu „vloggen“?
AA: Das Wort „Vlog“ mochte ich wirklich noch nie – „Videolog“ oder „Videotagebuch“ klingen für mich ein bisschen besser. Ich habe damals Casey Neistats YouTube-Kanal entdeckt und seine Art und Weise, wie er Geschichten aus dem alltäglichen Leben aufzeichnete, hat mich inspiriert. Zur selben Zeit zog ich gerade von Kalifornien nach New York, um eine BMX- und Modelkarriere zu starten. Ich dachte, meine Reise zu dokumentieren wäre eine gute Möglichkeit, mich hinter der Linse zurechtzufinden. Ich ahnte jedoch nicht, wie anstrengend das Ganze sein würde, sowohl geistig als auch körperlich.
F: Schaust du dir viel an auf YouTube? Wie hat sich die Plattform in den letzten Jahren verändert?
AA: Außer Live-Performances schaue ich mir nicht mehr allzu viel an. Allerdings lade ich recht häufig Videos
Wo etwas los ist, da sind auch Austin Augie und seine Kamera.
hoch. In letzter Zeit habe ich mich darauf konzentriert, mehr künstlerische Videotagebücher zu erstellen. Es ist auf jeden Fall schwieriger geworden, Aufmerksamkeit zu erlangen.
F: Kannst du uns mehr über deine Erfahrungen als Model erzählen? Was gefällt dir an der Modeindustrie und wie hast du dir einen Weg in die Branche gebahnt?
AA: Anfangs war es eine unglaubliche Erfahrung – und das Geld war großartig. Mit der Zeit wurde ich jedoch von der unterschwelligen Eitelkeit und Selbstgefälligkeit, die die Szene zu durchdringen schienen, desillusioniert. Meine Leidenschaft für Kunst und Mode war schon immer sehr ausgeprägt, aber ich habe eine beunruhigende Veränderung in der Branche festgestellt. Was sich einst wie eine lebendige Feier der Kreativität anfühlte, stellt heute zunehmend den Profit über den echten künstlerischen Ausdruck. Mein Einstieg in diese Welt war ganz einfach: Ich ging zu einem Casting, bekam einen großen Job und nutzte dann die Gelegenheit, um mir einen anderen Agenten in New York zu sichern.
F: Mit welchen Modemarken hast du am liebsten zusammengearbeitet?
AA: Michael Kors hat mich am besten bezahlt und mich um die Welt gebracht, das war unglaublich. Ich schätze jedoch alle Erfahrungen, die ich gemacht habe, auch wenn viele davon in erster Linie von finanziellen Motiven angetrieben waren.
F: Wie würdest du deinen persönlichen Stil beschreiben? Spielt Mode eine große Rolle in deinem Alltag?
AA: Mein persönlicher Stil ist stark von meinen Reisen und Erfahrungen auf der ganzen Welt beeinflusst. Ich bevorzuge Schlichtheit und vermeide, wenn möglich, Logos. Mein Stil spielt eigentlich keine große Rolle in meinem Leben, aber es ist mir trotzdem wichtig, wie ich mich in der Öffentlichkeit präsentiere.
F: In einem deiner aktuellen Dokumentarfilmen hast du
„Soziale Medien können ein echter mind killer sein.“
einige Wochen lang bei einer amischen Familie gelebt. Wie kam es dazu, und was waren die wichtigsten Erfahrungen, die du aus dieser Zeit mitgenommen hast?
AA: Die Familie kenne ich schon seit Jahren. Als ich 13 war, lebte ich bereits einmal für drei Monate bei ihnen. Für den Dokumentarfilm habe ich einen Monat bei ihnen verbracht. Ich musste im Oktober letzten Jahres den Verlust meines Stiefvaters verkraften. Er war einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Dann ging die Beziehung zu meiner Freundin in die Brüche. Während dieser Zeit gerieten mein Alkohol- und Drogenkonsum außer Kontrolle, und ich wusste, dass ich einen Neustart brauchte. Ich nannte es „Amish Rehab“, aber es stellte sich heraus, dass es so viel mehr als das war. Zum ersten Mal begann ich, mich wirklich auf die Selbstliebe zu konzentrieren. Diese Reise hat mich dorthin gebracht, wo ich heute bin.
F: Würdest du etwas Ähnliches noch einmal machen? In welche anderen Kulturen würdest du gerne einmal eintauchen?
AA: Ich arbeite tatsächlich an einer Serie, in der ich für längere Zeit in verschiedene Kulturen eintauche. Mein Ziel ist es, eine tiefere Perspektive und ein besseres Verständnis für Kulturen zu erlangen, mit denen ich nicht vertraut bin. Indem ich diese Kulturen aus nächster Nähe erlebe und erforsche, hoffe ich, Einblicke und Geschichten zu entdecken, die über oberflächliche Beobachtungen hinausgehen. Derzeit interessieren mich Rumänien und Afrika.
F: Wo auf der Welt fühlst du dich am meisten zuhause?
AA: Am wohlsten fühle ich mich in meinem Studio mit meinem Hund, Tonka Truck. Im Sommer bemühte ich mich, für einmal an Ort und Stelle zu bleiben und nicht zu reisen, wie ich es normalerweise tue, damit ich mehr Zeit mit ihm verbringen und diese wirklich genießen kann.
F: Du bist auch ein begeisterter Straßenfotograf. Welches
ist der beste Ort für Straßenfotografie?
AA: Es ist schon komisch – früher habe ich die Straßenfotografie geliebt, aber da ich mich als Künstler weiterentwickelt habe, ziehe ich es jetzt vor, die Straßen zu dokumentieren, anstatt aktiv nach Bildern zu suchen. Ich glaube, viele FotografInnen sind wie Geparden auf der Jagd nach der perfekten Aufnahme, während ich mehr Wert darauf lege, in die Szenen um mich herum einzutauchen und die Bilder natürlich entstehen zu lassen. Ich liebe es, in New York zu fotografieren, aber Indien ist wahrscheinlich das ultimative Foto-Mekka.
F: Du scheinst ununterbrochen unterwegs zu sein. Machst du auch mal Pause? Und was tust du, wenn du gerade nicht an etwas Kreativem arbeitest?
AA: Kürzlich habe ich in mein Tagebuch geschrieben, dass ich es langsamer angehen lassen muss. Als selbständiger Künstler ist es Fluch und Segen zugleich, dass mein Leben nahtlos in meine Arbeit übergeht und wenig Raum für Pausen lässt. Ehrlich gesagt, genieße ich das aber. Ich habe so viel Energie. Und wenn ich dieses kreative Ventil nicht hätte, würde ich mich wahrscheinlich verloren fühlen. In meinen Pausen schreibe ich normalerweise Musik, spiele Tischtennis oder verbringe den Abend in einer Bar.
F: Und wie schaffst du es, einmal ganz von der Welt abzuschalten?
AA: Ich liebe es, mit meinem Kanu hier in Red Hook, Brooklyn, aufs Wasser hinauszufahren. Ich lehne mich zurück, beobachte die vorbeifahrenden Boote und verspüre völligen Frieden.
F: Was hältst du von den sozialen Medien?
AA: Die können ein echter mind killer sein. Ich wünsche mir oft, dass ich gar nicht daran teilhaben müsste, aber leider ist es ein entscheidender Teil meiner Arbeit. Wie bei allem ist die Balance der Schlüssel. Viele Menschen haben Probleme damit, mit sich selbst allein zu
AUSTIN AUGIE
Ihn kann man nicht in nur einem Satz beschreiben: Austin Augie ist Fotograf, Filmemacher, BMX-Profi und hat einen Abstecher in die Modeindustrie hinter sich. Wenn er nicht gerade auf Reisen ist, tüftelt er in seinem Studio in New York an neuen Ideen, beweist bei Fotoshootings sein Talent oder steigt in sein Kanu. Nur eines bleibt immer gleich: Seine Energie und Kreativität versiegen nie.
austinaugie.nyc, studio.augie.com
sein, was den Umgang mit den sozialen Medien noch schwieriger macht.
F: Ist es manchmal anstrengend, immer neuen Content zu kreieren?
AA: Ich sehe das, was ich tue, nicht wirklich als Content an; ich ziehe es vor, es als das Produzieren von Werken zu betrachten. Einige Arbeiten sind stärker als andere, aber der Begriff Content passt nicht zu mir. Normalerweise jongliere ich mehrere Projekte gleichzeitig, und wenn eines zu anstrengend wird, schalte ich einen Gang zurück und komme später darauf zurück.
F: In welchem Jahrzehnt würdest du gerne leben?
AA: Ich fühle mich zu den Vierziger- und Fünfzigerjahren hingezogen – die Autos, der Stil, die Bildsprache. Möglicherweise spielt aber auch Nostalgie eine große Rolle, denn ich liebe es, wo ich jetzt lebe und wie praktisch alles ist.
F: Was bereitet dir am meisten Sorgen?
AA: Meine größte Sorge ist Stagnation – an einem Ort zu bleiben, ohne als Person zu wachsen oder aus meinen Fehlern zu lernen. Ich habe Angst, mein Potenzial nicht auszuschöpfen und nicht genug Geld zu verdienen, um die Menschen zu unterstützen, die mir wichtig sind.
F: Wie weit in die Zukunft planst du?
AA: Ich konzentriere mich eher darauf, in der Gegenwart zu leben, als mir zu viele Gedanken über die Zukunft zu machen. Abgesehen von größeren Projekten fühlt sich die Zukunft wie eine Unbekannte an, und ich ziehe es vor, im Hier und Jetzt zu bleiben.
F: Kannst du uns etwas über dich verraten, das viele Leute noch nicht wissen?
AA: Ich bin mir nicht sicher, ob es vieles gibt, was die Leute nicht schon über mich wissen. Authentizität ist eine meiner größten Stärken. Das schätze ich auch bei anderen sehr.
CÓMO SE DICE?
Berlin, 1965: Hostessen stehen für TouristInnen mit Informationen und Führungen bereit. © picture alliance / ZB | Berliner Verlag/Archiv
Muss man vor einer Reise eigentlich die Sprache der Einheimischen lernen? Ein paar Phrasen sollte man sich schon aneignen, um den EinwohnerInnen der gewählten Destination Respekt und Offenheit zu zeigen. Da stört auch die völlig falsche Betonung nicht –im Gegenteil, sie sorgt für Charme. Und im Notfall gibt es ja noch Hände und Füße, um sich zu verständigen.
Irgendwo zwischen Tonka und Timbuktu steuern wir unsere Pinasse ans Ufer und spazieren in ein nahes Dorf. Die Sonne rollt über die Dünen davon. Die Männer des Dorfes sitzen auf Matten im Sand und lauschen –erschöpft nach einem langen Arbeitstag – einem Lehrer, der mit einem Bambusstock auf eine Schiefertafel zeigt. Der Lehrer bedeutet uns, wir mögen uns dazusetzen. Die Männer, darunter einige mit spitzen weißen Bärten, sprechen das angeschriebene Wort nach, zerlegen es in seine Silben, sprechen die Silben nach, zerlegen sie in die einzelnen Buchstaben, sprechen die Buchstaben nach, bevor sie diese wieder zu Silben und Wörtern zusammensetzen.
Die Männer, allesamt Kleinbauern, bestimmen selbst, wann sie lernen wollen. Sie treffen sich mehrmals die Woche, meist in der Stunde des Sonnenuntergangs, und geben sich alle Mühe Es ist schwer, im fortgeschrittenen Alter das Alphabet zu pauken, um einiges schwerer, als einige Wörter und Phrasen einer unbekannten Sprache zu erlernen. Das kann man schon während der Anreise erledigen: Sich auf dem Weg zum Flughafen mit der Begrüßung bekannt machen, dann „danke“, „bitte“, „ja“ und „nein“ beim Warten am Gate einstudieren, ein Dutzend Höflichkeiten und Nützlichkeiten auf dem Flug üben, die Floskeln der Verabschiedung in der langen Warteschlange vor der Passkontrolle wiederholen. Man muss sich hierfür nicht einmal ein Büchlein kaufen, obwohl es derer viele und viele gute gibt, man kann sich das Gerippe jeder Sprache der Welt aus dem Internet ausdrucken. Einige DIN-A4-Seiten lesen, memorieren, schon ist die Reise anders aufgehängt.
IN DIE FREMDE EINTAUCHEN
Wie unterschiedlich verlaufen daraufhin die Begegnungen mit den Einheimischen. Selbst falsch betont und schief ausgesprochen, drücken schon einige wenige Sätze in der Sprache der GastgeberInnen Neugier, Offenheit und Respekt aus. All das somit, was von einer BesucherIn erwartet oder zumindest erhofft wird. Wer seiner Zunge fremde Laute abverlangt, der zeigt seine Bereitschaft, in die Fremde einzutreten, sich ihr auszusetzen. Es ist die verbale Entsprechung des Ausziehens der Schuhe, bevor man das Haus oder die Wohnung, den Tempel oder die Moschee betritt. Wer aber meint, sich achttausend Kilometer von zu Hause entfernt auf Deutsch bedanken zu können (zuletzt auf Barbados gehört – dem norddeutschen Herrn war selbst ein „thank you“ zu viel der Anstrengung), der verkündet weithin: „Ich bin ich, und ihr seid ihr, und nichts wird uns zusammenführen.“ Man muss sich als Gast gebärden, um Gastfreundschaft zu erfahren.
I„Eine Sprache zu sprechen“, hat Frantz Fanon einmal geschrieben, „bedeutet eine Welt, eine Kultur zu übernehmen.“ Das gilt in Ansätzen auch, wenn man sich ein Kauderwelsch angeeignet hat, einige Brocken nur, wenn man radebrechend und silbenstolpernd über die ferne Schwelle tritt.
Kein Grund übrigens, Hemmungen zu haben oder sich zu schämen. Die Freude über die Mühe, die man sich als Fremder gemacht hat, stimmt das kritische Ohr der MuttersprachlerInnen gnädig. Es ist besser, mangelhaft zu reden, als fehlerfrei zu schweigen. Kinder wissen das instinktiv.
Leider hat die Tourismusindustrie dazu geführt, dass vielerorts ein Englisch, und mancherorts auch ein Deutsch, gesprochen wird, das die linguistische Entsprechung von SchniPoSa darstellt. KellnerInnen und TauchlehrerInnen beherrschen das Einmaleins von sieben oder neun Sprachen und traktieren einen immerzu mit ihren Grundkenntnissen. Da ist es hilfreich, sich als Mitglied einer wenig reisenden Nation auszugeben (als Bulgare etwa), um nicht in den Tropen im schlecht gemachten Bett der eigenen Sprache zu landen. Je touristisch erschlossener ein Ort, desto seltener vernimmt man die fremde Sprache. In Positano hört man kaum ein Wort Italienisch, durch die Côte d’Azur kommt man am besten mit Amerikanisch, und die Amtssprache der Costa del Sol ist Englisch. Es würde mich nicht wundern, in Marbella oder Puerto Banús ein Schild zu lesen: Aquí se habla español – „Hier spricht man (auch) Spanisch“.
NEUE SPRACHE, NEUE DENKWEISE
Durch fremde Sprachen lernt man einiges über andere Denksysteme und kommunikative Lösungsansätze. Die Verkehrssprache in Liberia etwa, das Krio, erscheint der BesucherIn zunächst etwas eigenartig. So dient das Affix bad bad wan („schlecht schlecht einer“), um eine Bewertung zu unterstreichen, fast als Superlativ, egal, ob diese positiv oder negativ ausfällt. Über einen besonders guten Menschen würde man zum Beispiel sagen: Di man fayn bad bad wan (für jene, die des Krio nicht mächtig sein sollten: „Der Mann gut schlecht schlecht einer“), über die Polizei würde man fluchen: Di polis korupt bad bad wan („Die Polizei korrupt schlecht schlecht eine“). Es braucht einige Zeit, dies zu begreifen und zu verinnerlichen, doch dann freundet man sich mit dieser eigenwilligen, aber charmanten Besonderheit an und setzt sie immer wieder ein, viel öfter als die Einheimischen. Zudem ist Krio eine tonale Sprache, ähnlich und doch anders als das Mandarin, und insofern für den Euro-
„Es ist besser, mangelhaft zu reden, als fehlerfrei zu schweigen.“
päer eine geistige und akustische Herausforderung. Bei manchen Wörtern wird unterschieden zwischen hoher und tiefer Stimmlage. Bei fufafu zum Beispiel („nichts“, „vergeblich“) ist die Tonabfolge der drei Silben hoch, niedrig, hoch (–_–). Selbst eine flüchtige Beschäftigung mit der Frage, wieso Sprachen seit dem Turmbau zu Babel für ähnliche Aufgaben so unterschiedliche Lösungen entwickelt haben, entrückt einen dem Vertrauten und Selbstverständlichen, entführt einen in das weite Land der unbegrenzten Alternativen und Varianten. Wer einen Sprachführer aufschlägt, geht schon auf Reisen.
MAN LERNT NIE AUS
Solche geistige Anstrengung tut uns gut. Wie der Nobelpreisträger Daniel Kahnemann beschrieben hat, tragen wir zwei Lernsysteme in uns: Das eine ist automatisch intuitiv, geeignet für grundlegende mentale Aktivitäten wie Wahrnehmung, für simple Arithmetik und die Erkennung einfacher Wörter. Das zweite hingegen fördert das bewusste und mühevolle Denken, das wir gemeinhin mit Rationalität verbinden. Es ist notwendig für das Erlernen einer Fremdsprache. Anders gesagt: System eins ist bestens geeignet für die vertraute Welt, System zwei ist zuständig für das Unbekannte.
Wer sich also die Mühe macht, sich in eine fremde Sprache hineinzudenken, der fördert jenen Teil in sich, der fähig ist, dem Unverständlichen gewinnbringend zu begegnen.
Sogar Jahrzehnte nach der Lernphase. Meine Frau, in ihren Teenagerjahren vom Indianervirus infziert, versuchte, als Schülerin im Selbststudium Lakota zu erlernen, von übersichtlichem Erfolg gekrönt. Völlig verzückt berauschte sie sich fünfundzwanzig Jahre später auf der Fahrt durch die Pine Ridge Reservation an den wenigen Vokabeln, die ihr im Gedächtnis geblieben waren. Hier ein Wort auf einer Tafel, dort ein Gesprächsfetzen. Einer der wenigen Lichtblicke in der dortigen Tristesse. Sie interagierte anders mit der Welt der Sioux als ich. Dieses Verfahren funktioniert selbst angesichts imaginierter Welten, wenn etwa Fans die Grundzüge der von J. R. R. Tolkien oder George R. R. Martin erfundenen Sprachen zu enträtseln suchen und mit einigen Sätzen Sindarin oder Dothraki auf Fantasiereise gehen.
GEDULD UND GESTIK
Wie fatal die Wahrnehmung der Fremde ausfallen kann, wenn man die jeweilige Sprache nicht versteht, zeigt das Beispiel des Kosmopoliten Richard Francis Bur-
ton, der sich zwar in knapp dreißig Sprachen verständigen konnte, nicht aber auf Deutsch. Nachdem seine katholische Frau ihn zu den Passionsspielen nach Oberammergau geschleppt hatte, eine jahrhundertealte und weiterhin sehr lebendige Tradition, resümierte er griesgrämig: „Ich verließ das Dorf mit dem Eindruck, dass Ort und Menschen uninteressant und Letztere, wie die Isländer, durch Lob und Hätschelei vollständig verdorben sind.“ Sein gesamter Reisebericht ist einseitig und übellaunig, die Bayern würden „grantig“ sagen. Da Burton dem einheimischen Dialekt nichts entnehmen konnte, schritt er mit englischem Imperialgehabe durch das Dorf. Sprachohnmächtig machen wir uns einen Reim auf die Fremde, indem wir schneller urteilen.
In manchen Weltecken sind wir auf Gespräche mit Händen und Füßen angewiesen, auf Mimik und Gebärden. Kommunikation beginnt mit den kleinsten Gesten. Wie man hineinlächelt, so lacht es heraus. Vor allem in Regionen, wo Freundlichkeit, Höflichkeit, Offenheit im Umgang miteinander weiterhin geschätzte Werte sind.
Ebenso wie auch Geduld. Man fällt nicht gleich mit seinem Begehren ins Gespräch, selbst wenn man nur eine Handvoll Erdnüsse kaufen möchte.
Allerdings können selbst einfache Gesten missverständlich sein, weil sie in einem anderen Kulturkreis eine gegensätzliche Bedeutung annehmen. Wo der Deutsche vehement nickt, schüttelt der Inder versonnen den Kopf (der Bulgare übrigens auch), was durchaus zu Differenzen führen kann. Während der Deutsche sich im Theater oder in der Oper an anderen BesucherInnen bäuchlings zu seinem Platz vorbeidrückt, wendet der Australier ihnen den Po zu – vertauschte Höflichkeit.
SPIELEND SPRECHEN
Selbst wenn man eine gemeinsame Sprache hat, muss man sich nicht gleich verstehen. Ich war mit dem somalischen Schriftsteller Nuruddin Farah in Namibia unterwegs. Schon am ersten Abend ergab sich ein Problem, das uns auf der gesamten Reise begleiten sollte. Nuruddin sagte: „Ich bin Vegetarier.“ Der Kellner schaute verwirrt drein, schlich in die Küche, kam nach einigen Minuten zurück und verkündete: „Kein Problem, ich habe mit dem Koch gesprochen, wir haben frisches Hühnchen.“ Beide sprachen ausgezeichnet Englisch. Statt Reden bietet sich manchmal Spielen an. Einfach sich an den Rand des Spielfelds stellen und mit leicht verständlicher Geste fragen, ob man mitmachen dürfe. Oder im Café den Fremden über Karten oder Würfel näherkommen. Ich habe einen Monat in Kairo verbracht,
„Man kann sich das Gerippe jeder Sprache der Welt aus dem Internet ausdrucken.“
teilweise in Cafés, in denen Backgammon gespielt wird, ein orientalisches Brettspiel, das auch auf dem Balkan sehr populär ist und das ich leidenschaftlich gern spiele, seitdem ich auf zwei Beinen stehe. Die ägyptischen Männer waren offensichtlich der Ansicht, sie hätten die strategische Weisheit mit Löffeln gegessen, insofern waren sie bass erstaunt, dass ich viel mehr Spiele gewann, als sie mir zugetraut hätten, worauf wir in schier endlose Schleifen der Revanche und Gegenrevanche gerieten, der Nachmittag mit dem Klacken der Würfel verging. Sie brachten mir einheimische Varianten bei, um mich in die Lage eines Anfängers zu versetzen. Ich konnte beobachten, wie sie die unterschiedlichen Pasche benennen, wie sie auf die Würfel blasen, wie sie sich über einen Gewinn freuen. Als wir auseinandergingen, hatten wir zwar nicht mehr ausgetauscht als unsere Namen, waren aber zu handfesten Spielkumpeln geworden.
Sprachreisen sind eine gute Möglichkeit, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Natürlich nur, wenn man nicht umgeben ist von Landsleuten, die nach den Kursen eifrig in die Muttersprache zurückfallen oder das universelle Englisch bevorzugen. Gut zu bedenken ist, wo man eine Weltsprache erlernen möchte. Das Kastilische unterscheidet sich erheblich, vor allem in der Aussprache, von jenem Spanisch, das man in Antigua (Guatemala) oder Cartageña (Kolumbien) beigebracht bekommt (beides Orte übrigens, die einen hervorragend vom Pauken ablenken können).
Über eines sind sich alle Spanischsprechenden jedoch einig: Niemals einen Sprachkurs auf Kuba buchen – nicht aus politischen, sondern aus linguistischen Gründen. Ähnlich unterschiedlich fallen die Kurse in England und Australien aus, in Frankreich oder auf Martinique. Und ob man Portugal oder Brasilien auswählt, hängt nicht zuletzt von den eigenen musikalischen Vorlieben ab.
SPRACHE SCHÄRFT DEN BLICK
Wer sich für so etwas zu alt glaubt, den möchte ich an das Konzept des lebenslangen Lernens erinnern. Eine bayerische Freundin begann mit etwa sechzig Englisch zu lernen, beharrlich und mit Verve. Sie bedauerte es zutiefst, als Mitglied der Kriegsgeneration die Sprache des einstigen Feinds nie gelernt zu haben. Sie besuchte Kurse an der Volkshochschule Freising, sie hörte sich zu Hause Kassetten an und las einfache Krimis aus der Stadtbücherei. Das ermöglichte ihr und ihrem weniger polyglotten Ehemann lange Reisen durch die USA, mit vielfältigen Begegnungen, bei denen gewisse, für ihre Generation nicht
GEBRAUCHSANWEISUNG FÜRS REISEN
Reisen hat viele Gesichter – und die bekanntesten davon dreht Ilija Trojanow in seinem Buch „Gebrauchsanweisung fürs Reisen“ zum Licht. So schreibt er über Gepäck genauso fröhlich wie über die Unnötigkeit von Souvenirs, über das Reisen als Eremit und in der Gruppe, über Proviant und Durststrecken und über Zimmer mit und ohne Aussicht. Sein Werk ist etwas für alle, deren Puls in die Höhe prescht, sobald Flug, Zug oder auch nur das Hotel um die Ecke gebucht sind und es daran geht, Rucksack oder Koffer fürs große Abenteuer bereit zu machen.
Ilija Trojanow, „Gebrauchsanweisung fürs Reisen. Auch Reisen will gelernt sein.“, Piper, ca. 15.–, piper.de
unübliche Vorurteile abfielen wie eine alte Haut. Des amerikanischen Englisch halbwegs kundig, sprach sie in der Folge anders über die US-AmerikanerInnen. Denn auch die eigene Sprache ändert sich durch das Reisen, nicht nur, weil die Verwendung einer weiteren Sprache den Blick auf die eigene schärft, sondern auch, weil man die persönlichen Sprechgewohnheiten einer Selbstkritik unterzieht. Verallgemeinerungen werden stets Opfer der eigenen Anschauung. Platte Vergleiche fliegen zum offenen Fenster hinaus und mit dem Fahrtwind davon. Die Worthülsen der Reisebranche werden einer Prüfung unterzogen. Nichts an dem zauberhaften Ort Djenné in Mali ist erklärt durch das Attribut „das Venedig Afrikas“ (überhaupt gibt es erstaunlich viele angebliche Venedigs auf der Welt, wenn man den Katalogen und Reiseführern glauben wollte). Nicht überall, wo eine kurvenreiche Straße eine felsige Küste entlangführt, handelt es sich um eine „Riviera“ oder eine „Corniche“. Schiefe Vergleiche sind kommunikative Werkzeuge für diejenigen, die nicht genau hinschauen.
SPUREN HINTERLASSEN
Eine besonders merkwürdige Art, als Reisender der Welt seinen sprachlichen Stempel aufzudrücken, sie nach eigenem Gutdünken zu beschriften, sie zu tätowieren wie einen fremden Körper, der einem ausgeliefert ist, sind die vielen Graffiti oder Kritzeleien, die weltweit auf Ruinen und wehrlosen Mauern prangen. Gemäuer, das zweitausend Jahre Krieg und Unwetter überlebt hat, muss erdulden, dass Heinz oder Jacques oder Tommy sich an ihm verewigen wollen. Auch dies ist kein neues Phänomen. Gustave Flaubert, der auf seiner Ägyptenreise ein ausführliches Tagebuch geschrieben hat, vermerkte Mitte des 19. Jahrhunderts: „Die Dummheit ist etwas Unerschütterliches; alles, was versucht, sie anzugreifen, zerbricht an ihr. Sie ist wie Granit, hart und beständig. In Alexandria hat ein gewisser Thompson aus Sunderland seinen Namen in sechs Fuß hohen Buchstaben auf die Pompeiussäule geschrieben. Er ist noch aus einer Viertelmeile Entfernung zu lesen. Es ist nicht möglich, die Pompeiussäule zu sehen, ohne den Namen Thompson zu sehen und folglich auch an Thompson zu denken. Dieser Kretin ist eins geworden mit dem Monument und besteht mit ihm fort. Was sage ich? Er erschlägt es mit seinen prächtigen Lettern. Ist es nicht ein starkes Stück, künftige Reisende zu zwingen, an einen zu denken und sich seiner zu erinnern?“
Reisende sollten wenn möglich keine Spuren hinterlassen und ihre Unterschrift einzig unten auf den Kreditkartenausdruck setzen – oder in ein Gäste- oder Hüttenbuch.
COLORFUL WHIMSICAL ELEGANT CANVAS DREAMS IN TECHNICOLOR
Shirt von PRUNE GOLDSCHMIDT.
Top, Hose und Rock von KENZO. Hosenträger von ZANA
Links: Mantel von PRUNE GOLDSCHMIDT. Krawatte und Hose von DIOR
Rechts: Mantel von PRUNE GOLDSCHMIDT. Halskette von DIOR.
Links: Jacke und Kleid von FENDI. Stiefel von AMBER AMBROSE AURÈLE. Halskette von PASCAL BRUNI.
Rechts:
Kleid und Mantel von ISSEY MIYAKE. Schuhe von DIOR. Kopfbedeckung von FALKE. Sonnenbrille von IRON.
Links: Mantel von ON AURA TOUT VU. Leggings von ERES. Schuhe von CHRISTIAN LOUBOUTIN.
Rechts:
von
SECLUDED IMMERSION
Großstadthektik ist toll, keine Frage. Hat man Menschen und Lärm trotzdem einmal satt, sollte man unbedingt eine Reise ins kanadische Nirgendwo planen. Im Territoire Charlevoix, mitten im Wald in der Nähe von Québec, laden minimalistische und moderne Hütten dazu ein, eins mit der Natur zu werden. Bäume ohne Ende, Nebel, Stille – nach ein paar Tagen in dieser Umgebung gibt es nichts mehr, das uns noch aus der Ruhe bringen könnte.
„EINFACH MAL DIE SEELE BAUMELN LASSEN UND BÄUME ZÄHLEN.“
Naturmaterialien und Schlichtheit entspannen die Seele.
CHARLEVOIX
Campen im kanadischen Wald ist ein Abenteuer, für das viele nicht gewappnet sind. Ein paar Tage in der Wildnis, mit nichts als Bäumen und Naturklängen um sich, davon träumen wir aber doch alle. Mit dem Territoire Charlevoix wurde die goldene Mitte gefunden: Kleine Kabinen, die an Baumhäuser erinnern – mit einiges mehr an Komfort – gliedern sich in die Landschaft ein und ermöglichen Zeltlagergefühle, ohne dass man vor Bär & Co. Angst haben muss. Die erhöhte Lage mit Weitsicht –jedes Fenster ist spannender als ein Bildschirm – ist ein zusätzliches Plus. Ein HerbstWinter-Retreat der Extraklasse.
Territoire Charlevoix
La Malbaie, Québec, Kanada
Konzept: Atelier L’Abri
Projekt: Pia Hocheneder, Jérôme Codère, Francis MartelLabrecque, Nicolas Lapierre labri.ca
Sicht auf Blätter und Bäume ist aus jeder Ecke garantiert.
FACES’ FAVOURITES
THINKING AHEAD
Wir tippen tagtäglich auf der Tastatur und scrollen Kilometer auf dem Handy ab. Das Gefühl vom Stift, der unsere Gedanken aufs Papier kritzelt, ist für viele aus dem Alltag verschwunden. Dabei gibt es kaum eine therapeutischere Methode, um das Chaos im Kopf aufzuräumen, als es sich von Hand von der Seele zu schreiben. Schließlich pflastert alles,
was wir machen und denken den Weg in unsere Zukunft. Ohne Vorausdenken und Planen geht vieles nicht in unserer schnelllebigen Welt. Und auch wenn man sich die Zukunft digital verplanen kann –Gedanken und Ziele auf Papier zu bringen, lohnt sich. Vor allem dann, wenn man ein so schönes Notizbuch hat, dass man es immer dabeihaben will.
Die hübschen Leuchtturm1917-Notizbücher kommen im Herbst in vier neuen Farben daher: Im sanften und eleganten Dusty Rose, im frischen und belebenden Spring Leaf, im mystischen und beruhigenden Deep Sea, sowie im warmen und natürlichen Spice Brown. Zwischen dem farbigen Umschlag hat alles Platz: Dein Lebensplan für die nächsten zehn
Jahre, Poesie, dunkle Geheimnisse, Liebeserklärungen, Skizzen… Den wilden Inhalt des Gehirns auf Papier zu bringen, wird schnell zu deiner Tagesroutine gehören. Was im Kopf noch wenig Sinn macht, kann, einmal auf Papier gebracht, zum strukturierten Plan werden und dich motivieren, diesen zu verfolgen. leuchtturm1917.de
BIG NIGHT OUT
Egal, ob du an Heiligabend den Großeltern deine vegane Weihnachtsgans erklärst oder dich an Silvester fünf Minuten vor Mitternacht trauen
lässt: Die H&M Studio’s Holiday Capsule Collection liefert das perfekte Outfit. Yuki hat sich für uns schon mal in Schale geworfen.
Falls auch du in den kommenden Wochen an der Abteilungsparty Sekt neben dem Bürodrucker trinkst oder dir unter dem Weihnachtsbaum von deinem Neffen ein Ohr über „Roblox“ abkauen lässt, bis du endlich mit deinen FreundInnen um die Häuser ziehen
kannst: Im festlichen Dress geht an den Feiertagen gleich alles besser. Die Holiday Capsule Collection von H&M Studio liefert dir dazu die perfekte Auswahl von opulenten Looks. Asymmetrische Blazer, Crop Tops in Metallic und goldene Ledertaschen bescheren dir garantiert einen schillernden Auftritt. Den größten Hingucker der Kollektion trägt für uns Yuki. Im Two Piece Top und Bubble Hem Skirt verwandelt die visuelle Designerin jede U-Bahn-Station ihrer Heimat Berlin in eine Solo-Gala. Nächster Halt: Glamour Kiez.
COLLECTION
Am 21. November beginnt es zu schneien. Und zwar die festlichsten Designs des Jahres von H&M Studio, lanciert im Onlineshop des Modehändlers. Acht Outfits der Kollektion – darunter auch die von Yuki getragene Kombination – lassen sich zudem bei ausgewählten Filialen in Berlin, Amsterdam, Stockholm und London ausleihen. So bleibt deine Partynacht garantiert einzigartig. hm.com
PRICKELNDE KUNST
Text: Josefine Zürcher Fotos: Clemens Porikys
Es gibt viele Traumpaare: Romeo und Julia, Jack und Rose, oder doch Kylie Jenner und Timothée Chalamet? Egal, das neueste ist soeben auf der Bildfläche erschienen: Künstler Jean-Michel Basquiat und Champagner-Ikone
Dom Pérignon. Aus dem Powerduo entstanden ist die Special Edition Vintage 2015, die wohl künstlerischste Champagnerflasche – ganz im Stil Basquiats gestaltet. Und weil Kunst gesehen und Champagner getrunken werden muss, feierten eine auserlesene Mischung Gäste aus Kunst, Kultur und Showbusiness ausgelassen im Penthouse der Sammlung Boros in BerlinMitte. Ohne Musik entfaltet der Champagner nicht seine volle Wirkung, darum krönte der britische Musiker Benjamin Clementine den Abend mit einer Performance am Klavier. Und DJ Lary brachte Bewegung in die prominente Runde, in der unter anderem Schauspieltalente wie David Schütter und Luise von Finckh für Stimmung sorgten.
Highlight: Eine Kunstsammlung als Partylocation? Yes please. Fazit: Auf unserer Weihnachtswunschliste steht vieles, allem voran aber die Basquiat-SpecialEdition.
Barbie, nein! Life in plastic ist nicht fantastic. Mikroplastik beispielsweise ist eine Belastung für Mensch und Natur. Und hat seinen Ursprung unter anderem aus einer Quelle, die wir lange nicht auf dem Schadstoff-Navi hatten. Gemäß einer Studie von Greenpeace stammen in der Schweiz bis zu 93 Prozent des Mikroplastiks in der Umwelt vom Reifenabrieb. In der EU entstehen jährlich 500’000 Tonnen davon aus synthetischem Kautschuk. Ganz schön abgefahren, leider.
Zwar atmen wir die Flitzerfusseln nicht in unsere Lungen wie sonstigen Mikroplastik. Dieser versickert aber im Boden oder landet im Gewässer. Und ist deshalb vielleicht der Grund, warum dein Kopfsalat heute nach Subaru geschmeckt hat. Die gesundheitlichen Schäden werden zurzeit noch erforscht. Denn ein Autoreifen besteht zur Hälfte aus Additiven, die unter krankheitserregendem Verdacht stehen. Gib Gummi? Besser nicht.
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