CHICOMA
Titelbild Eduardo Fortes Valencia. Concepciรณn. November 2019.
Den Estallido Social* in Chile nachempfinden 1
Estallido Social: dt. “sozialer Ausbruch”; Die Bezeichnung Massendemonstration im Oktober 2019 in Antwort auf 30 Jahre soziale Ungerechtigkeit in Chile. für die spontane
Ein Fanzine ist eine unabhängige Zeitschrift und Ausdruck urbaner Kunst, in der Selbstverfasstes ohne professionellen Anspruch und ohne Einbettung in vorherige Strukturen publiziert wird. DANKSAGUNG: Den Frauen, die sich bereit erklärt haben ihre Perspektiven und das “Empfinden des Estallido Social*” zu teilen, indem sie ihre Geschichten der ersten drei Monate zu Beginn der Bewegung schildern. María José und Bastián, für ihre Bereitwilligkeit und Begeisterung, die folgenden Seiten zustande zu bringen. Felipe Moraga, für seine Ratschläge zur Ausgabe und Lorena Troncoso, für ihre Beobachtungen zum Design und Grafik. Den Autor*innen des visuellen Materials, die ihre Fotographien, Aquarell und Illustrationen zur Verfügung gestellt haben. 2
Durch Licht hält Fotografie einen Moment fest , so wie ein B ild einen M oment durch einen A bdruck , durch eine G ra vur oder durch einen B leistift festhält . Das unabhängige Fanzine “Den Estallido S ocial in C hile nachempfinden ” spiegelt dessen A nfangsphase wieder . Frauen beschreiben ihre Erfahrungen und B ilder , durch L icht eingefangen , die B ewegung E nde des J ahres 2019.
Aquarell, Javier León. Tribunales de Justicia, Concepción, Oktober 2019.
Francisca Pedreros F.
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“Die Leute haben keine Angst mehr ihren Ärger angesichts vieler Angelegenheiten zu zeigen, die sie lange Zeit wortlos hingenommen haben.” Bárbara Díaz R, Umweltingenieurin, 27 Jahre alt. 4
Isis Fuentealba QuiĂąones. Campus de la Universidad de ConcepciĂłn, Marzo, 2020.
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“Im ersten Moment Angst, dass sich die Bewegung von Santiago aus auf den Rest des Landes ausbreiten würde, Angst vor Sabotage, dass der Strom abgeschaltet werden würde und vor Unterversorgung.”
Marta Agurto H, Rentnerin, 77
Jahre alt.
Cynthia Fonseca Aranda. Gebäude caja los Andes, Concepción. Oktober, 2019.
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“Ich
war in den Bergen, als die Proteste anfingen, ich erfuhr davon beim Abstieg über Whatsapp von meiner Familie aus Spanien. Ich erinnere mich an ein grosses Durcheinander bei der Ankunft in Concepción, an ein Gefühl von Angst und Chaos und gleichzeitig von Rührung, die Bevölkerung zu sehen, die die Strassen einnimmt. Ich hatte das Gefühl, dass etwas Grosses passiert, ein historischer Moment.”
Susana Fernández V, Promovierte Physikerin, Universität Bern, 34 Jahre alt.
“Ich erinnere mich an die spöttischen Worte vom Finanzminister Fontaine, mit denen er darauf Bezug nahm, dass die Leute früher aufstehen sollten, um weniger zu bezahlen.” Bárbara Díaz R, Umweltingenieurin , 27 Jahre alt. 7
Paula Leonor. Av. los Carrera, Concepción. März, 2020.
“Mich motiviert es am Ort des Geschehens präsent zu sein, um einen Raum von Autonomie und kritischer Meinung über das, was geschieht, zu schaffen. Die Demonstrationen sind ein wichtiger kultureller Raum, in dem ich die Besonderheit und die Bedürfnisse der Mitmenschen meiner Region erkenne.” Josefina Piña H, 27 Jahre alt.
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“Wenn ich demonstriere, Traurigkeit und Freude.”
kriege ich eine
Gänsehaut, manchmal weine ich aus
Ana Araneda ,promovierte Umweltwissenschaftlerin, Universidad de Concepción, Chile.
“Ich versuche mich nicht zu nähern. Es macht mir Angst. Ich erinnere mich daran, wie nach dem P utch von 1973, als ich in einem L okal im Z entrum C oncepcións arbeitete , B omben geworfen wurden und das G as mir die L uft abgeschnürt hat .” Marta Agurto H, Rentnerin , 77 Jahre alt. 9
WELCHE NEUEN EMPFINDUNGEN HAST DU SEIT DEM 18.OKTOBER 2019 ERLEBT?
“Adrenalin gemischt mit der Angst, an den Demonstrationen teilzunehmen oder einfach nur auf die Strasse zu gehen.” Susana Fernández V, Promovierte Physikerin, Universität Bern,
34 Jahre alt.
“Ich fühle mich präsenter, Zeit erschöpfter.”
aber zur gleichen
Francisca Hinrichs D, Psychologin des Wohlbefindens, 29 Jahre alt.
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“Ich empfinde die Bevölkerung vereinter als nie zuvor und dass sie alles schaffen kann.” Javiera Peralta P, Biologin, 25 Jahre alt.
1111 Alejandro Zoñez Venegas. Plaza de la Independencia, genannt Plaza Leftraru zu Ehren des Mapuche Anführers. November, 2019.
Isis Fuentealba Quiñones. Fassade der Kathedrale in Concepción. Januar, 2020.
“Die Blicke, die Gemeinschaft, die Geschwisterlichkeit, das Bewusstsein und das Überdenken der Prioritäten.” Francisca Hinrichs D, Psychologin des Wohlbefindens, 29 Jahre alt. 12
WAS MOCHTEST DU AN DEM ESTALLIDO SOCIAL AM MEISTEN?
WAS HAT DICH AM MEISTEN AM ESTALLIDO SOCIAL GESTÖRT?
“Was
mich am meisten gestört hat, war der Machtmissbrauch und die armselige Art und Weise, mit der versucht wird, die Bewegung zu besänftigen.”
Beatriz Poblete, Ausbildung zur Betriebsleiterin, 22 Jahre alt.
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“Die Mehrheit der Leute nimmt nun an Nachbarschaftstreffen, Versammlungen, Bürgerräten und Suppenküchen teil, sie bringen sich aktiv in der Nachbarschaft und in den Ortschaften ein. Ausserdem wird inzwischen bevorzugt bei mittelständischen Unternehmen, in Lebensmittelläden im Viertel und auf freien Märkten eingekauft.” Javiera Peralta P,Biologin, 25 Jahre alt.
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“Es existiert ein Gemeinschaftsgefühl, das ich noch nie zuvor wahrgenommen habe, vor allem auf Nachbarschaftsebene.” Susana Fernández V, Promovierte Physikerin, Universität Bern, 34 Jahre alt.
1515 Diego Ibacache. Fahrraddemo, Concepción. Januar, 2020.
“Ich habe gesehen, wie Freund*innen Gewalt angetan, auf sie einschlagen wurde und sie er-
niedrigt wurden ohne jeglicher Notwendigkeit, in einem solchen Mass auf die Demonstrationen zu reagieren.”
Javiera Peralta P, Biologin, 25 Jahre alt.
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Cristian Traslaviña. Plaza Baquedano genannt Plaza de la Dignidad. Santiago de Chile. November, 2019.
WAS HÄLST DU VON DER GEWALT, DIE MIT DEM ESTALLIDO SOCIAL EINHERGEHT?
“Mir tut es weh, sie zu sehen und ich kritisiere sie. Ich bin keine Befürworterin von Gewalt, aber ich habe das Gefühl, dass es nicht möglich war, sich ohne dieser Dosis an Gewalt Gehör zu verschaffen. Eine friedliche Revolution gibt es nicht.” Susana Fernández V, Promovierte Physikerin, Universität Bern, 34 Jahre alt.
“Nun gut, die Demonstrationen sind auf dem richtigen Weg, da man sich Gehör verschaffen muss, aber mich stört der Vandalismus und die Plünderungen.” Marta Agurto H, Renterin, 77 Jahre alt. 17
DENKST DU ES EXISTIERT EIN KLIMA DER POLARISIERUNG IN DER GESELLSCHAFT? “Ja, ich denke, es gib Polarisierung. Von der Existenz des “Fascho”-Schnösels bis zum armen “Bauern”. Beide sozialen Kategorien haben Bestand und sind in einigen Bereichen der Bevölkerung immer wieder identitätsstiftend gewesen. Im Fall des Bauern lassen sich symbolische Figuren finden, wie zum Beispiel der des “matapacos” (dt: “Bullenmöder”), den Strassenhund. Im Fall des Schnösels der Zuspruch zu Personen wie José Antonio Kast.” Josefina Piña, 27 Jahre alt. 18
1919 Paula Leonor. Mall del Centro Concepciรณn. November, 2019.
“Es gibt Polarisierung. In den wohlhabenden Sektoren gibt es kein Bedürfnis nach Wandel, das gab es dort nie, deshalb verstehen sie nicht, was die Menschen Tag für Tag leben (...) Sie denken die Armen sind “faul”, stengen sich nicht genug an (...) Wir in der Mitte verstehen alles, weil wir zwischen den Realitäten hin und her gehen. Wir sehen mit Ohnmacht, dass wir nicht finanzieren können was die Reichen haben und wir keine einzige Steuererleichterung kriegen (...) Wir sehen, dass wir für unsere existenz bezahlen müssen.” Úrsula Pérez V, Biologielehrerin, Zahnmedizin Studierende, Mutter von zwei Kindern, 38 Jahre alt.
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2121 Alejandro ZoĂąez Venegas. Sturz der Statur Pedro de Valdivia, ConcepciĂłn. November, 2019.
WELCHE FORDERUNGEN SIND FÜR DICH AM BEDEUTENSTEN? WARUM?
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“Das, was die meisten Personen betrifft, glaube ich. Die Erhöhung der Rente der AFP*, weil alle an den Punkt kommen werden.” Marta Agurto H, Renterin, 77 Jahre alt.
*Administrado de Fondos de Pensiones; private Rentenfonds, in die alle Arbeitnehmer*innen gesetzlich verpflichtet sind einzuzahlen und die von grossen Unternehmen als Spekulations- und Investitionsfonds verwaltet werden
“Dass die älteren Leute eine würdige Rente bekommen und sich am Ende ausruhen und ihre letzten Lebensjahre geniessen können.” Javiera Peralta P, Biologin, 25
Jahre alt. Paulina Salazar. Av. los Carrera, Concepción. März, 2020.
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WAS FÜR EIN CHILE IN 10 JAHREN WÜNSCHT DU DIR?
Ein Land, das ein funktionierendes Gesundheitssystem garantiert und Bildung, die mehr Ausdrucksmöglichkeiten bietet und Freiheit für die Bevölkerung und weniger Disziplinierungsund Indoktrinierungsinstanzen. Ein Land mit mehr Zugang zu Kultur: Gebildeter, auf dem neuesten Stand bezüglich Feminismus, die Geschichte Chiles, Nachhaltigkeit, sexuelle und ethnische Minderheiten. Josefina Piña H, 27 Jahre alt. 24 24
UND WAS MEINST DU, WIE SOLLTE DIE GESELLSCHAFT IN 10 JAHREN SEIN?
Schreib uns:
fanzineestallidosocialchile@gmail.com
@fanzineestallidosocialchile 25
Erstellung und Koordination Francisca Pedreros Flores Umweltingenieurin pedrerosflores@gmail.com
Design und visuelle Orgnaisation MarĂa JosĂŠ Cifuentes Ortiz Diplomarchitektin cifuentesortiz.mj@gmail.com
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@cuello_almonacid
Fotographische Zusammenstellung, Verรถffentlichung und Verbreitung Bastiรกn Pedreros Montero Journalismus Studierender pedrerosmontero@gmail.com
ร bersetzung Clara Sophie Wekenborg Masterstudierende der Psychologie in Arbeit, Bildung und Gesellschaft sowek@web.de
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@ElCampanil
Poeta y Pintora Hualquina. Myriam Tiznado Villarroel (RulĂŠArt).
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