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Alles Kultur
from Fazit 178
by Fazitmagazin
Es ist Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass die Menschen im Land sich nicht zu fürchten brauchen.
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Europäische Kulturhauptstadt 2025
Chemnitz, mon Amour!
Ich geb’s zu. Ich hatte unlängst eine Affäre. Sie dauerte zwar nur einen Tag, aber es war intensiv. Mein Schatz hieß Chemnitz. Die sächsische Stadt ist auf dem Weg zur Kulturhauptstadt 2025 und will sich eine Zusatzidentität verschreiben. Das Etikett Kulturhauptstadt kann dabei wohl einiges bewirken. Wie gut, dass man daselbst erkannt hat, dass man früh losstarten muss, um zu wissen, wo man in vier Jahren hinwill.
Von Michael Petrowitsch
Die drittgrößte sächsische Stadt nach Dresden (Tatort: vorher Peter Sodann jetzt Martin Brambach!) und Leipzig (Tatort: früher Thomalla und Wuttke) hat im letzten Jahr zusammen mit dem slowenischen Nova Gorica den Zuschlag für die Kulturhauptstadt 2025 bekommen. Und erfreulicherweise startet das Projekt für langjährige Kulturhauptstadtbeobachter bereits Ende 2021 mit einer äußerst gelungenen Auftaktveranstaltung mit österreichischer Beteiligung.
Ossi-Ikonographie
»Wir Sachsen reden wenig, aber wir handeln«, so der sozialdemokratische Chemnitzer Oberbürgermeister Sven Schulze in einem persönlichen Gespräch. Er schritt dann auch rustikal zur Tat und pflanzte einen Baum vor dem Terra Nova Campus. Zeitgleich mühte sich der FC Chemnitz gegen Meuselwitz im neuen Stadion ein paar hundert Meter weiter zu einem 1:1. Sport und Kultur im zeitlichen Gleichtakt. Das mit der hochgepimpten Nazihoolszene ist Part of the Ossi-NSU-Pegida-Ikonographie, die sich medial gut verkauft, aber mit der Realität nichts zu tun habe. Ein Minderheitenprogramm, versichert mir Jürgen in der Eckkneipe »Pub a la Pub« vor dem Stadion im gemütlichen Stadtteil Sonnenberg. Glaub ich ihm doch. Ein krampfhaftes Dagegenarbeiten à la »Wir sind nicht so« macht’s dann bekanntlich oft noch schlimmer, wie wir als gelernte Ösis wissen. Anyway, ich kehre hiermit von der Fussballkultur zurück zur Intervention im öffentlichen Raum.
Apfelbaumparade
In einem – von der Österreicherin Barbara Holub – kuratierten Projekt wurde vor wenigen Tagen mit der Pflanzung von vier Bäumen und der interventionistischen Bespitzhackung eines Asphaltparkplatzes eines der Kernprojekte der Kulturhauptstadt Europas 2025 in Chemnitz eingeläutet. Unter dem Titel »We Parapom!« plant man, eine Parade von bis zu 4.000 Apfelbäumen quer durch die Stadt entstehen zu lassen. Der designierte Geschäftsführer der Kulturhauptstadt, Stefan Schmidtke, sprach von einem richtungsweisenden Projekt, das exemplarisch für die Anliegen des Kulturhauptstadtprogramms stehen würde. Partizipation ist auch ein Schlüsselwort, das Oberbürgermeister Schulze gerne ins Treffen führt, wenn es darum geht, die Pläne der nächsten Jahre zu konkretisieren. Weniger Neu- bzw. Umbauten, dafür Bürgerbeteiligung. Diese war auch ein bewusstes Signal an den Adressaten, nämlich sich selbst, die Bevölkerung. Die gut besuchte nachmittägliche Auftaktveranstaltung sollte wohl Lust auf Zukünftiges machen. Gemahnen mag das Konzept an die Josef Beuysschen 7.000 Eichen, die die siebente Documenta im Jahr 1982 in Kassel bespielten. Flächenversiegelung und Hochwassertrauma geben der Geschichte eine andere, alltagsrelevante realistische Note. Kunst soll ja auch manchmal zum Nachdenken und Mitmachen anregen können. Nebenbei erledigt man noch Themen wie Normierung, Heimat und Migration. Die 4.000 Bäume sollen quer über Grundstücksgrenzen durch die ganze Stadt gepflanzt werden. Diskussionen sind vorprogrammiert.
Alles Kultur
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Auffallen!
Wichtig bei Kunst im öffentlichen Raum ist ja, dass sie auffällt. Ob positiv (löbliche Presse) oder negativ (Hassmails der Bevölkerung) ist egal. So ist’s wohl eine günstige Fügung und ein Hoffnungsträger, dass öffentliche Interventionen noch Nachdenkprozesse in welche Richtung auch immer einleiten. Ein Gefühl, das in Österreich, ob der überbordernden »Kunst im öffentlichen Raum«-Fülle ein wenig verloren gegangen ist. Der Rauchfang in Chemnitz etwa ist mit seinen 300 Metern nicht nur das höchste Gebäude in Sachsen, sondern auch ein weithin sichtbares, nächtens leuchtendes, vielfärbiges Kunstobjekt. Noch bläst der mit hunderten LED-Leuchten ausgestattete »lange Lulatsch« böse Emissionen in die Luft. Demnächst soll damit Schluss sein, und der Schlot soll als reines Kunstobjekt ohne ökonomischen Mehrwert fungierend stehenbleiben. Auch dies war mit intensiven Diskussionsprozessen in der Bevölkerung verbunden. Nicht alle haben die Chose gutgeheißen. Mittlerweile ist sie im Kollektivbewusstsein angekommen und mit touristischem Mehrwert ausgestattet. Der Stolz kommt dann von selbst. Ulf Kallscheidt – Galerist ´und maßgeblich am Kulturhauptstadtprozess Beteiligter – ist auch davon überzeugt, dass das partizipative Element in den nächsten Jahren der Stadtidentität guttun wird. Sabine Maria Schmidt lebt als Kuratorin der Kunstsammlungen Chemnitz gut mit der Vorstellung einer breit aufgestellten Kulturhauptstadtstrategie, die Synergien schafft, aber auch klare und qualitativ anspruchsvolle Akzente setzt, die mal lokale, mal internationale Akteure einbezieht. Als Kulturhauptstadt hätte Chemnitz erstmals die Chance, mit besonderen Projekten Menschen aus vielen Ländern Europas anzusprechen. »
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Kennen Sie Gender? fragte Birgit Kelle vor fünf Jahren in ihrem Bestseller GENDERGAGA. Heute ist klar: Die Realität hat die Satire längst überholt. Wer heute denkt, er sei normal, steht schon morgen als transphob, homophob, antifeministisch oder natürlich als »rechts« am Pranger. Gefühl sticht jetzt Fakten, Frau sticht Mann, homo sticht hetero, schwarz sticht weiß, trans sticht alles. Dafür ruinieren wir Karrieren und Kindheiten, zensieren Sprache, Wissenschaft, Debatte und freies Denken. Statt Probleme zu lösen, schafft die neue Gender- und Identitätspolitik täglich neue Opfer. Wenige Jahre und Millionen Euro später ist klar: Es geht um nicht weniger als um alles. Zeit für Birgit Kelle nachzulegen.
Noch Normal? Das lässt sich gendern!
Gender-Politik ist das Problem, nicht die Lösung ISBN: 978-3-95972-364-0 304 Seiten Softcover 19,99 € (D) 20,60€ (A) Mit »We Parapom!«, der »interventionistischen Bespitzhackung« eines Asphaltparkplatzes, wurde eines der Kernprojekte von Chemnitz 2025 eingeläutet
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Freundliche Menschen
Das bekanntermaßen strukturstarke Gebiet arbeitet sich noch immer an einer Verfrustung der Bewohner inklusiver transgenerationale Weitergabe ab. Die bundesdeutsche Kolonialisierung scheint nach 30 Jahren noch immer tief zu sitzen. Nicht anders will man sich den Erfolg der namentlich bekannten »populistisch« ausgerichteten Parteien erklären. Die Chemnitzer sind freundliche Menschen, zudem radfahrfreundlich. Die zu DDR-Zeiten weit angelegten Straßen laden städteplanerisch zukünftig zur Errichtung angenehm großer Radfahrwege ein. Als ob die sozialistischen Arbeiterparteiurbanisten der breiten Straßen der Nationen in den Nachkriegsjahren die helikoptrierenden Lastenradfahrerpapis der Zwanzigerjahre dieses Jahrhunderts mitbedacht hätten. So fügt sich wohl das eine in das andere. Der Autor hat sämtliche Stationen des geografisch weit auseinanderliegenden Eröffnungsreigens mit dem Leihrad zurückgelegt. Diese rund 25 Kilometer waren freudvoll zu erleben. Man erfährt die wunderbare Disziplin des wertschätzenden Wartens bei roten Ampeln. Zudem begegnet dem Chemnitzbesucher eine architektonische Stadt der Gegensätze, der Brüche und Einschnittstellen. Die wenigen, nach den Zerstörungen des zweiten Weltkrieges und den Abrissen der Nachkriegszeit erhalten gebliebenen Bauten werden eingerahmt von kryptobrutalistischer Nachkriegsarchitektur. Dem Wesen nach ist das Zusammenspiel nicht immer harmonisch. Gerade diese Gegensätze jedoch machen die Reise durch die Bezirke so spannend. So lesen sich die Radkilometer, die an diesem Tag zwischen den Orten der Eröffnungsperformances zurückgelegt wurden, als Reise durch die verschiedenen Strömungen des Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit. Das aus den frühen Neunzehnhundertsiebzigerjahren stammende und wohl bekannteste Aushängeschild der Stadt, das Karl-Marx-Denkmal, steht nicht unweit von Gebäuden aus der Neorenaissance. Dazwischen finden sich »Neue Sachlichkeit«, ein Haufen klassische Moderne und natürlich städtebaulich Spannendes aus DDR-Zeiten, wie das über 100 Meter hohe ehemalige Interhotel und die Stadthalle. Überhaupt lädt die »Straße der Nationen« zum Verweilen und Flanieren ein. Der spannende Mix ergänzt sich durch Grünflächen in den Außenbezirken wie Markersdorf, eine Location der Intervention des Eröffnungsprojektes mit seinen Plattenbauten und Sonnenberg das mit einer feschen Altbausubstanz im Gründerzeitlook aufwarten kann. Gerade in den erwähnten Außenbezirken finden sich besondere Leckerbissen, die das Herz des Teilzeitarchitekturaficionados höherschlagen lässt. Chemnitzens Kulturhauptstadtmotto »C the Unseen!« bekommt gerade dadurch eine breitere Bedeutung.
Regionale Kompetenz
Dass das »Narrativ der Kulturhauptstadt« von um das regionale Wissende und international erfahrene Menschen gestaltet und erzählt werden soll, ist bewusstes und vernünftiges Kalkül. So holt man als Geschäftsführer eben Stefan Schmidkte, mit Schauspiel-, Dramaturgie-, Kulturmacher- und Managementerfahrung in der ehemaligen DDR und in Russland und anschließend weltweit, als wachen, aufmerksamen Wirbelwind aus der Region in die Region zurück. Identitätsstiftung allenthalben. Seine Slavophilie ist ein di-
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cker Bonus, in einer Region mit einer slavischen Toponymie (Colmnitz, Niederbobritzsch e.a.) Das es sich hier teilweise um AFD-Hochburgen handelt, erinnert in seinem Phänomen ein wenig an Wahlerfolge Jörg Haiders in Südkärnten. Dem gelernten Slovenisten, der Autor dieser Zeilen ist einer, wird warm ums Herz bei all den schönen deutschen Realisierungen der Ortsnamen. Wie am Beispiel Chemnitz, das auf dem slawischen »kamen« (Stein) basiert. Das kennen wir auch vom slowenischen Kamnik oder auch von Kammern im Liesingtal.
Kulturbooster
Um den minimalen Vorsprung der beiden – sorry! – großen Schwestern Leipzig und Dresden aufzuholen und den Bevölkerungsschwund zu stoppen, wird einiges passieren wollen. Ein Kulturjahr als Booster kommt da gerade richtig. Die spannende Stadt macht Lust auf einen weiteren Besuch. Volle Wertschätzung! n
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Einen aktuellen Überblick über das Programm finden Sie unter chemnitz2025.de
Hörerlebnis für Groß und Klein
Familienalbum, die Zweite
Auch diese Vorweihnachtszeit kennt viele potentielle Geschenke. Mit dabei ist heuer eine Fortsetzung: »Sing Sang Song 2«. Kinderlieder für Jung und Alt zwischen »ansprechend« und »Das ist lustig!«
Sing Sang Song 2
Zusammenstellung diverser Kinderlieder ca. 13 Euro hoanzl.at
Von Peter K. Wagner
Im Auto, es ist Oktober, Fahrt zu den Großeltern, ein Sonntagsmittagessen steht an. Der Vierjährige auf der Rückbank ist tendenziell stark auf der Suche nach einem Grund, eine trotzphasengerechte Episode zu starten. »Kind«, sage ich mit letzter Energie, schon nahe am Status »sehr genervt«. Ich sammle meine letzte Energie, schließe kurz die Augen (wir stehen an der Ampel, keine Sorge), puste einmal aus und setze regelrecht heroisch zum letzten Versuch der Rettung des Moments an: »Ich habe da eine ganz tolle Sache zugeschickt bekommen«, sage ich ruhig und cool. »Ein Spielzeug?«, fragt der Junior interessiert. »Nein, eine ganz tolle CD – für Erwachsene und Kinder! Ist das nicht lustig, Erwachsene und Kinder, nicht nur für Erwachsene oder nur für Kinder, sondern für beide!« – »Ja«, sagt er, lächelnd. Aus dem kleinen potentiellen Vulkan ist ein Fisch geworden, keine Trotzexplosion, er hat angebissen, haha! Es dauert exakt 56 Sekunden, bis das erste Lied von »Monsterheart & David Pfister« – mit dem klingenden Titel »Die Roboterreise« – in den Refrain findet, und der juvenile Musikkritiker in spe hinter mir begeistert feststellt: »Das ist lustig.« Er mag Reime halt sehr gerne gerade. Und da kommt eine Textzeile wie diese gut an: »Roboter machen Sachen, Roboter weinen Tränen, aber am liebsten tun Roboter lachen.« Seit besagter Ausfahrt hat es »Sing Sang Song 2« nicht mehr aus dem CD-Player im Auto geschafft. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch die Zielgruppe »Erwachsen« (zumindest laut Geburtsurkunde) anmerken möchte, dass die sehr zeitgeistig angelegten Stücke von Künstlern wie Ernst Molden, Kreisky oder Norbert Wally ansprechend und hörenswert sind. So sehr, dass auch einsame Autofahrten ohne Sohn schon einmal statt verpodcastet mit der zweiten Ausgabe der – an dieser Stelle schon einmal als »Familienalbum« bezeichneten – Liedersammlung verbracht wird. Und, ach ja, zwischen all den neuen und alten Kinder-und-Erwachsenen-Nummern gibt es nicht zuletzt eine sehr sauber und lieblichst interpretierte Version von »Kommt ein Vogel geflogen«. Von einem gewissen »Fraeulein Astrid«. Warum die gesondert erwähnt wird? Den Namen sollte man sich merken. n