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PERSÖNLICH
Sepp Schipflinger
Ein Interview von Anna-Maria Schipflinger
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„Griaß enk – sche, dass‘ do seids!“, so wurden viele Bekannte, Freunde und Gäste jahrelang mit einem Lächeln auf den Lippen auf der Bassgeigeralm und zuvor im Kitzbüheler „Achenstüberl“ begrüßt.
(Pensionierter) Vollblutgastronom und Alminger mit Herz und Seele, Kleintierbauer, liebevoller Familienmensch und für jede Gaudi zu haben – Sepp Schipflinger (geboren am 15.09.1956). Ein Oberndorfer, der nun nach 47 Jahren in der Gastronomie, davon 38 Jahre als selbstständiger Gastwirt, mit seiner Frau Anni die Pension genießt und die täglichen BIickfänge seines geschätzten Tirols auch gerne mal mit der Kamera festhält.
Wie hast du deine Sommer als Kind am liebsten verbracht?
Die Kindzeit zu Öbrist (Bergbauernhof in Kirchberg), das war eine unvergessliche Zeit, bei meiner Tante und ihrem Mann, das waren meine zweiten Eltern. Wir lebten ja im „Kashaus“ in St. Johann mit meinem Vater, der im Sägewerk gearbeitet hat, und meiner Mam. Als hier einmal ein Unwetter das Dach vom Kashaus weggerissen hat, durften ich und mein Bruder den ersten Sommer oben verbringen, es folgten dann 10 weitere Sommer.
Was gefiel dir dort so?
Ich konnte es kaum abwarten bis die Schule vorbei war. Der Roßstall war meine Heimat. Schon vor dem Mittagessen hatte ich das Roß angeschirrt.
Mi roit koa oanziga Tog“
Wir haben sehr viel gearbeitet, meine Cousine, mein Bruder Jogg, der heute in Holland lebt, und ich. Hier lernte ich von meinem Onkel die bäuerlichen Arbeiten. Ich wollte am liebsten für immer am Berg oben bleiben. Einmal schnitt ich mir beim Wetzen der Sense derart in den Daumen, dass die Hälfte herunterhing. Mein Onkel hat den Daumen daraufhin wieder zusammengeklappt, Jod drauf gegeben, Verband drumherum gewickelt und „gut war's.“
Welche Erinnerungen sind dir aus deiner Kindheit besonders im Kopf geblieben?
Mei „Großmam“, die Mutter meines Vaters – da war ich ca. 3 Jahre alt – war sehr krank, da sie einen Schlaganfall erlitten hatte. Sie wurde von meiner Tante in Kirchberg gepflegt und lag lange im Bett. Die Fahrt von St. Johann nach Kirchberg war unsere Reise. In ihrem Zimmer roch es immer so „krank“. Da sie nicht mehr sprechen konnte, gab sie uns mit zittriger Hand ein Kreuzzeichen auf die Stirn. Die Erinnerung ist mir noch immer sehr präsent.
Was ist dein Bezug zu Tieren, wie kamst du damit in Kontakt?
Ich hab schon als Kind im Stall zu Ganing mitgeholfen. Jeden Tag bin ich nach der Schule von St. Johann mit dem Zug nach Kitzbühel gefahren, um dort zu arbeiten. Kühe treiben, ausmelken, ausmisten, … ich war quasi im Stall „daheim“.
Wie bist du nach Oberndorf gekommen?
Zuerst waren wir in St. Johann im Kashaus, dann in Kitzbühel zu Ganing, weil meine Mutter da eine Wohnung bekam. Nach der Lehre lernte ich meine Frau Anni kennen und wir zogen zur Pacht neben die Hornbahn zum Birkenhof. Dann kauften wir einen Grund und haben unser Haus gebaut und seither sind wir in Oberndorf.
Was schätzt du an Tirol?
Tirol ist für mich wie ein „Boifn“ in der Welt (Ein starker Fels in der Brandung). Der Name Tirol und rundherum alles ist für mich das Schönste auf der Welt. Wir können froh sein, hier leben und arbeiten und auch wieder gehen zu dürfen. Ich möchte nur hier sein, bei ins do.
Wie verlief dein Werdegang? Wie kamst du dazu, Koch zu werden?
Ich wollte eigentlich immer ein Bauer sein, Seiwald Rupert war mein Schulkamerad und wir wollten beide in die Weitau gehen, doch in der Landwirtschaftlichen Schule waren so viele Schüler, deshalb mussten wir den Polytechnischen Lehrgang machen. Entweder Verkäufer oder Kochlehre, das war die Berufsberatung für uns, weil die damals gebraucht worden sind. Ich hatte schon ein paar Vorkenntnisse und hab mich für die Kochlehre entschieden. Der Nachtportier beim damaligen Hotel Christl Haas hat mir den Lehrplatz dort empfohlen. Da war ich sehr unglücklich. Zuvor immer auf dem Berg und auf einmal in der Küche. Das war das Schlimmste für mich, hinauszuschauen und nicht raus zu können.
Was war nach der Lehre?
Nach dem Bundesheer war ich noch eine Saison beim Haas, dann ab Mai 1978 im Gipfelhaus am Horn bis zum März 1982 (4 Jahre). Dann bekam ich das Imbissstüberl Pancheri zu pachten. Ich gab dem Lokal den Namen Achenstüberl, da es neben der Ache liegt. Meine Frau Anni und ich haben daraufhin im „Achenstüberl“ unsere Selbstständigkeit begonnen.
Zu Ganinghof 1962
Mit Bruder Jog am Leitenhof in Kirchberg
Das Achenstüberl habt ihr 23 Jahre erfolgreich geführt. Wie war das am Anfang, als du selbstständig wurdest. Hattest du Angst?
Es war vom Denken her schon ein „Schnalzer“. Auf Deutsch gesagt hatten wir keine Ahnung. Zuerst kamen wenige Gäste, bis es dann angelaufen ist mit den Arbeitern zum Aboessen,
Anni und Sepp Schipflinger
das hat 3 Jahre gedauert. Wir mussten uns auch reinarbeiten. Meine Frau war von Anfang an im Achenstüberl an meiner Seite, zuvor arbeitete sie als Sekretärin.
Danach ging’s ab auf die Alm!
Durch einen Bekannten haben wir damals erfahren, dass dort oben Pächter gesucht werden. Vom Bassgeiger Hans habe ich zuvor 1984 eine Kalbin gekauft. Das war ausschlaggebend für ihn. Er erkannte mich noch und sagte „Es, und siest neamb!“ Es ging dann auch schnell, dass ich neben dem Gasthaus auch die Alm übernommen habe.
Du hast auch als Alminger die Tiere betreut.
Das hab ich gerne gemacht, hier war ich selbstständig. War alles Lehnvieh, aber sie waren wie meine eigenen Tiere. Auch die eigenen Ziegen, Hühner, Hasen und Enten waren oben, das war ein schönes Miteinander. Das Gasthaus und die Alm waren eins und das war schön.
Du und Anni wart die Seele des Hauses, das haben die Leute auch geschätzt. Warum sind die Leute gerne zu euch gekommen?
Für mich ist und war immer jeder gleich. Es war immer eine Gaudi, das Essen wurde geschätzt, wir haben die Leute geschätzt und haben auch jeden leben lassen. A Zirbei haben wir manchmal auch getrunken. Mir kam das vor, wie eine riesengroße Familie, weil jeder gerne wiedergekommen ist. Die Leute kamen zwei-, drei-, viermal im Jahr frühstücken. Das war schön. Das Bergfrühstück begann langsam, aber wurde immer mehr. Auf unser Frühstück bin ich durch die Idee meines Sohnes Martin gekommen. 14 Jahre waren wir oben. Ein Jahr früher als geplant, am 11.03.19, hat mir der Skidoo gesagt, dass wir aufhören müssen.
Der Unfall hatte auch gesundheitliche Auswirkungen am Ende der Saison auf der Bassgeigeralm.
Da war es spiegelglatt, so eisig wie noch nie. Wir fuhren mit dem Skidoo über die Piste, meine Schwägerin Sieglinde und ich, dann hat uns der Skidoo abgeschmissen, weit nach unten. Die Folgen waren Schlüsselbeinbruch, Schulterverletzung. Der Schwägerin ist zum Glück nichts passiert. Den letzten Sommer haben wir noch gut rumgebracht, auch durch die Hilfe meiner Schwägerin und meiner Frau, die mir viel geholfen haben in der Küche und auch mit den Tieren. Im Winter wäre ich körperlich nicht mehr in der Lage gewesen, Skidoo zu fahren. Die Zufahrt geht ja dann nur mit dem Skidoo.
Wie war es dann plötzlich in der Pension zu sein?
Ich hatte ja durch den Unfall noch viele Therapien und dann kam die Pension eigentlich ganz gleitend. Ich bin sehr glücklich, dass ich in der Pension angekommen bin und dankbar, dass es mir jetzt so gut geht.
Du bist auch ein Familienmensch und hast Kinder.
Ich habe mit meiner Frau drei brave Kinder bekommen. Die älteste Tochter Christina ist mit ihrem Mann in Kärnten und arbeitet als Krankenpflegerin, hat zwei Buben. Der Sohn Martin führt seit 10 Jahren den Jägerwirt in Scheffau mit Andi. Die jüngste Tochter AnnaMaria ist Logopädin in Wörgl. Die Kinder sind meine Felsen in der Brandung. Ich wünsche dass wir alle gesund bleiben und, dass wir es noch lange so schön haben dürfen wie jetzt.
Welches Interesse hast du an Familienforschung, Urahnen? Du kennst den Stammbaum ja viele Jahre zurück.
Ich kenne einfach alle, auch wenn es noch so eine kleine Wurzel ist, durch die wir verwandt sind. Ich hab das alles
Auf der Bassgeiger Alm
im Kopf, da bin ich einfach stolz drauf, die Ahnen vor Augen zu haben. Wenn du jemanden magst, und an jemanden denkst, dann sind die Leute nicht vergessen.
Du legst auch Wert auf Dialekt.
Ja, es ist das Bodenständige unserer Herkunft. Ich bin eine Mischung aus Brixental und Großachtental. Bei meinen Eltern sind die Wörter immer hin und her geflogen.
Woher kommt dein Nachname?
Ein altes Bauerngeschlecht in Tirol, aus Kirchberg im Brixental (290 Jahre alter Erbhof Leiten am Sonnberg). Da stammen wir ab und hier lebte schon mein Urururgroßvater.
Beschreibe dich mit 3 Wörtern
Hilfsbereit, verlässlich und ehrlich.
Was bereitet dir Freude?
Dass es meiner Frau gut geht, meinen Kindern, Schwiegerkindern und meinen Enkeln gut geht. Dass ich mit allen Verwandten, Freunden und Bekannten guat „gschoff“ mit gegenseitigem Respekt.
Was magst du gar nicht?
Hektik mag ich nicht gerne. Wie es halt oft war im Gastgewerbe. Ein bisserl Ruhe wäre oft besser.
Welche Werte sollte man immer weitervermitteln?
Respekt, Hilfsbereitschaft anderen gegenüber. Dankbarkeit und Höflichkeit. Die wichtigen Wörter sind immer „Griaß di, pfiat di, bitte, danke.“ Das soll ein jeder Mensch beherrschen.
Positive und negative Seiten der Gastronomie?
Positiv war, mit den Leuten zusammenkommen und dass jeder Tag anders war. Negativ ist gewesen, dass man für die Familie, die Kinder zu wenig Zeit hatte, weil man immer da sein musste. Und ein Ruhetag war für viele Leute schon unglaublich damals. Da macht man halt extrem viele Stunden. „Selbst und ständig“ eben.
Hast du Veränderungen der Gastronomie im Laufe der 47 aktiven Jahre bemerkt?
Ich sage im Prinzip war es immer gleich: „Was kostet die Welt“. Alles soll sofort dastehen, bevor überhaupt bestellt wird, soll schon gegessen werden. Das ist eigentlich immer gleich geblieben. Auch jetzt nach Corona, keiner lernt irgendwas dazu. Da fehlt oft der Respekt vom Gast gegenüber den Gastro-Mitarbeitern.
Du lebst die Hausmannskost. Was ist das Spezielle daran?
Weil es das nicht überall gibt und weil es was Besonderes ist. Sei es Blattl mit Kraut, Brodakrapfen, oder Germkiachl, Daumnidei, Kasknedl… Wir haben immer bodenständig gekocht. Ich esse es auch selbst gerne.
Was ist dein Lieblingsessen?
Mein Cordon-Bleu mit Erdäpfel und „Grangglbeersoiss“.
Wie merkst du dir die Rezepte?
Ich habe immer nach Gefühl und ohne Rezept gekocht. Ich könnte nicht mal genau sagen, wie viel Kilo Mehl ich für Brodakrapfen nehme. Es geht sich einfach immer aus. Die letzte Materialanforderung habe ich in der Berufsschule gemacht und danach nie mehr.
Du fotografierst gerne, welche Motive gefallen dir?
Alte Bauernhäuser, Almen, Tiere, Berge, Familie. Das halte ich gerne fest. Fotos wo man überall war. Andere halten das im Kopf fest, ich brauche da immer ein Bild. Und ich liebe alte Fotos.
Du bist ja gerne für einen Blödsinn zu haben. Erzähl uns einen Schwank.
Das Lustigste war Grutt Lenis Geburtstag im März auf der Bassgeigeralm. Vor der Hütte war ein riesiger Scherhaufen, und da haben wir sowas wie ein Mini-Feuerwerk gezündet. Zu nahe an der Hütte war es nicht möglich, deshalb platzierten wir es auf dem Haufen. Leider hat es furchtbar geregnet, es versank alles im Boden und es ertönte nur ein mickriges „BLOBB“. Das war so eine Gaudi und wir haben echt gelacht.
Was wünschst du dir?
Ich habe immer narrisch gerne gearbeitet und aus meinem Leben „roit“ mi koa oanziga Tog (bereue keinen einzigen Tag). Ich wünsche mir, dass wir alle miteinander guat „gschoffn“ und gesund bleiben in der Familie.
DANKE Papa. Deine Anna-Maria