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Hausmann & Friends
Einige Gäste recken die Hälse. Ein leises Raunen durchzieht das Kurpalais, als Stephan und Christian den Raum betreten. Die Herren haben sich in feinen Zwirn geworfen, um - bevor es losgeht - noch einen Aperitif an der Bar zu trinken. Wann wäre Gelegenheit, den Smoking aus dem Schrank zu holen oder den Nadelstreifenanzug vom Bügel zu nehmen - wenn nicht an Tagen wie diesen. Die beiden Norderneyer Köche wollen ein klassisches Menü zubereiten - und nebenbei mit uns über die klassische Küche plaudern. Wir freuen uns auf ein "Menue Classique" in vier Gängen - und auf den eleganten Rahmen, in dem es stattfindet.
Viele Einheimische und Urlauber haben Christian Hausmann noch immer bestens in Erinnerung von seinem Hausmanns Kost&Deli in der JannBerghaus-Straße. Der aktiven Gastronomie hat der Vollblutkoch inzwischen den Rücken gekehrt. So ganz lässt ihn das Thema natürlich nicht los. Im Frühjahr 2021 hatten wir zusammen die Idee, in einer eigenen Reihe die Vielfalt der Kulinarik auf Norderney auf ungewohnte Weise zu beleuchten. Seitdem trifft sich Christian regelmäßig auf der Insel mit interessanten Menschen, um über verschiedene Aspekte des Kochens zu reden. Als wir für diese Ausgabe den Blick auf das Thema klassische Küche richten, muss Christian sofort an Stephan Welbers denken, mit dem er seit seiner Schulzeit befreundet ist. Stephan betreibt gemeinsam mit seiner Frau Betsy seit der Eröffnung 2008 die Kurpalais Cafiserie und Salonbar im Conversationshaus. Was viele Gäste vielleicht nicht wissen - Stephan und Christian haben in den 1990er Jahren fast zeitgleich in renommierten Häusern ihre Ausbildung zum Koch angefangen. "Die klassische Küche ist das Fundament, auf dem wir arbeiten", bringt es Christian auf den Punkt. "Ich bin total froh, dass ich das damals gemacht habe", ergänzt Stephan. Zwei waschechte Insulaner - Hausmann & Friends par excellence.
Nachdem die beiden Köche ihren Martini ausgetrunken haben, wechseln sie fix die Kleidung - und wir machen uns gemeinsam auf den Weg zu der beeindruckenden Location, wo das Menü stattfinden soll. Stephan und Betsy bewirtschaften mit dem Kurpalais nicht nur die Bar und die Orangerie im Conversationshaus, sondern auch - bei Tagungen und anderen öffentlichen oder privaten Veranstaltungen - den Weissen Saal, der mit seinen hohen Kassettendecken und großformatigen Porträtgemälden an den Wänden die Historie der Insel als Königliches Seebad lebendig werden lässt. Unterwegs kommen bei den Köchen nostalgische Erinnerungen an ihre Ausbildungszeit auf. Christian hat im 1909 eröffneten Grand-Hotel Atlantic in Hamburg gelernt - einem 5-Sterne-Luxushotel direkt an der Außenalster. "Als ich angefangen habe, waren wir dort ein Pool von 50 Köchen und haben oft große Bankette für hunderte Gäste gemacht", erzählt der Norderneyer. "Ich hatte wirklich eine sehr gute Ausbildung und einen tollen Lehrmeister." Stephan hat es nach dem Abitur 1994 nach Oberbayern an den Tegernsee verschlagen, in das damalige 5-Sterne-Hotel Bachmair am See in RottachEgern. Er macht dort zunächst eine Ausbildung zum Hotelfachmann und - weil ihn die Arbeit in der Küche so begeistert - noch eine weitere Ausbildung zum Koch. "Das war zu dieser Zeit eine der Top-Adressen in Deutschland und ein Treffpunkt der Münchener Schickeria. Die hatten sogar einen eigenen Live-Club im Keller, wo Leute wie Tina Turner aufgetreten sind." Wir sind an der Tür zum Weissen Saal angekommen. Wir greifen die Klinke und treten ein.
Die Vorspeise
Wow, was für ein Anblick. Stephan und Christian haben mit Unterstützung von Betsy einen wunderschönen Platz am Fenster vorbereitet. "In dem klassischen Menü versuchst Du, einen kompletten Spannungsbogen zu bilden - und das fängt schon beim Ambiente und der Tischdekoration an." Als ersten Gang der ausgeklügelten Dramaturgie haben die beiden Köche eine Consomé von Kirschtomaten mit Pistazienquenelles und Basilikumjulienne vorbereitet. "Die klassische Menüabfolge hat für mich bei der Ausbildung vom ersten Tag an dazugehört, weil wir im Hotel Halbpension angeboten haben und es abends immer ein Menü für die Hausgäste gab", erzählt Stephan. Wir philosophieren ein bisschen darüber, was klassische Küche eigentlich bedeutet und ausmacht. Klassisch im engeren Wortsinn meint formvollendet und über die Zeiten mustergültig. "Das führt schon in die richtige Richtung, glaube ich", sagt Christian. "Aber es hat auch mit dem beruflichen Handwerkszeug, dem erlernten Know-how, zu tun - und mit einer Form der gehobenen Kochkultur, wie sie vor allem in Frankreich geprägt worden ist." Nicht ohne Grund taucht in der klassischen Küchensprache an allen Ecken und Enden französisches Fachvokabular auf. "Klassische Küche heißt für mich wirklich selbst gekocht - aufwändig und lehrbuchmäßig, wie man es uns beigebracht hat", betont Stephan.
Der Zwischengang
Als zweiten Gang überraschen Christian und Stephan uns mit einem puristischen Hingucker - einem feinen Zopf von Lachs und Seezunge auf einem Safranspiegel. Das Fischgericht soll die Bühne für den Hauptgang bereiten. "Beim Menü zählt vor allem die Abwechselung - was die Zutaten, das Geschmackserlebnis und die Haptik auf der Zunge betrifft", erklärt Christian. "Die Abfolge soll aufeinander aufbauen, auch von der Qualität." Die flüssige, ungebundene Suppe am Anfang mit der Kalbsklößchen Einlage als Appetizer, jetzt der edelste Fisch aus der Nordsee mit der cremigen Sauce als Farbgeber - wir sind gespannt welche Steigerung als nächstes folgt. "Ich würde auch privat ein Menü immer einem Büffet vorziehen", sagt Stephan, "weil ich gerne länger am Tisch sitze und die Zusammenstellung genieße, die sich der Koch für das Menü überlegt hat."
Der Hauptgang
Uns läuft das Wasser im Munde zusammen, als wir den Hauptgang sehen - ein Beef Wellington mit Portweinjus und frischem Marktgemüse. Das auf den Punkt gebratene Rinderfilet im Blätterteigmantel legt in jeder Hinsicht noch einmal eine Schippe drauf. Der Teig, die Duxelles aus fein gehackten Champignons und Schalotten, das zarte Fleisch, dazu eine leckere Sauce und das leichte Gemüse - wir sind hin und weg. "Ich fand den Hauptgang besonders schön und spannend, weil es wirklich Ewigkeiten her ist, dass ich zuletzt ein Beef Wellington gemacht habe", gesteht Stephan. Im Kurpalais bieten er und Betsy seit einiger Zeit regelmäßig wechselnde Zusatzgerichte an, die nicht auf der normalen Karte stehen. "Dabei nehmen wir auch gerne mal Klassiker ins Programm wie ein Rinderfilet mit Rotweijus und Sauce Bernaise oder eine Nordseezunge mit Butterkartoffeln. Ein Beef Wellingten jedoch haben wir auf Norderney noch nirgendwo gesehen. Insgesamt scheint die klassische Küche ein bisschen aus der Mode gekommen zu sein. Doch wenn wir diesen Tag im Conversationshaus Revue passieren lassen, fragen wir uns - warum eigentlich?
Das Dessert
Geschafft. Die Köche haben es sich am Tisch bei einem Glas Rotwein gemütlich gemacht. Zuvor sind sie noch einmal zu großer Form aufgelaufen - und haben als Dessert flambierte Crepes Suzèttes gezaubert. "Der erste Eindruck zählt, schon die Vorspeise sollte catchen. Aber das Ende muss nochmal ein I-Tüpfelchen sein." Bevor uns Stephan und Christian abschließend ihre Zubereitungsempfehlung für den Hauptgang verraten, möchten wir noch wissen, was es mit dem Namen Beef Wellington auf sich hat. "Fleischgerichte im Teigmantel sollen zur Zeit der Napoleonischen Kriege Anfang des 19. Jahrhunderts total beliebt und verbreitet gewesen sein", erzählt Christian. "Das hätte wahrscheinlich auch jeder andere Name für das Rezept werden können. Ob die Geschichte wirklich stimmt, weiß ich nicht." Die Legende besagt, dass der 1. Duke von Wellington, Arthur Wellesley, das nach ihm benannte Gericht nach der siegreichen Schlacht gegen die Franzosen bei Vitoria am 21. Juni 1813 gegessen haben soll - und es dann sein Leibgericht war. "Das kann man sich gut vorstellen", sagt Stephan und nippt noch einmal an seinem Wein. "Das ist wirklich richtig lecker."
FILET WELLINGTON
Zubereitungsempfehlung
Zutaten | 700 g Rinderfilet vom Mittelstück, Salz, Pfeffer, 50 g Schalotten und 450 g Champignons (jeweils in feinen Würfeln), 3 El Petersilie (gehackt), 30 g Butterschmalz, 50 g Butter, 1 Tl Senf, 400 g Blätterteig (tiefgekühlt), Mehl, Kerbel, Eigelb, 500 ml Kalbsfond, 3 cl Portwein; als Beilage: Karotte, Kohlrabi, Romanesco
Das Fleisch salzen und pfeffern und nur kurz und heiß ringsherum anbraten. Danach muss das Fleisch ruhen, damit sich die Muskelfasern entspannen können, um die Flüssigkeit im Inneren zu binden. Die Dicke des Filets hat Einfluss auf die spätere Garzeit im Ofen - je kleiner und dünner das Filetstück, desto kürzer die Zubereitung im Teigmantel.
Die Champignon- und Schalottenwürfel in der Butter braten. Mit der gehackten Petersilie und einer Messerspitze Senf würzen. Die Masse abkühlen lassen.
Den Blätterteig auftauen lassen und auf dem Mehl 3 mm dünn ausrollen. Mit der Hälfte der Pilzfarce bestreichen. Das Filet darauflegen, mit der restlichen Farce bestreichen. Den Blätterteig auf einer Seite über das Fleisch klappen. Die Kante mit verquirltem Eigelb bestreichen. Die andere Blätterteighälfte darüber klappen und festdrücken. Die Enden fest zusammendrücken. Aus den Teigresten Verzierungen schneiden und mit Eigelb aufkleben. Das gesamte Paket mit Eigelb bestreichen. Im vorgeheizten Ofen 25 Minuten bei 185 Grad Umluft backen. Auf Nummer sicher geht man mit einem Garthermometer - gerade Anfänger sollten sich bei diesem Rezept lieber auf etwas technische Unterstützung verlassen. Die Kerntemperatur für ein medium gegartes Filet liegt sie bei 52-54 Grad. Anschließend 10 Minuten ruhen lassen, dann erst mit einem Sägemesser aufschneiden.
Für die Jus kann man 500 ml fertigen Kalbsfond aus dem Glas verwenden. Dieser wird um die Hälfte eingekocht und mit Kerbelzweigen und 3 cl Portwein, Salz & Pfeffer abgeschmeckt. Gegebenenfalls mit etwas Mondamin leicht abbinden, damit er etwas sämiger und glänzend wird. Kurz vor dem Servieren mit 2-3 kalten Butterflocken mit dem Schneebesen oder Stabmixer etwas aufschlagen.
Das Gemüse waschen, putzen, schälen und mit einem Küchenmesser in gleichmäßige Formen tournieren. Vom Romanesco die Röschen fein abtrennen. Anschließend das Gemüse in kochendem Wasser 1 min blanchieren und danach in Eiswasser abschrecken, so bleibt es bissfest und die leuchtenden Farben werden erhalten. Kurz vor dem Servieren mit etwas Butter, Salz, Pfeffer und Muskatnuss schwenken bis es glasiert ist.
Von dem Filet eine 2,5 cm dicke Scheibe schneiden und auf den Teller setzen. Anschließend das Gemüse gezielt drum herum dekorativ anrichten und mit etwas Kerbel garnieren. Die Jus kann ebenso flach angegossen oder separat gegeben werden. Guten Appetit.