5 minute read
Hotel Friese
GRAMBERG
Ein Name mit Tradition
Voller Staunen schweift der Blick umher - zwischen diesen Wänden atmet Geschichte. Eine 150-jährige Norderneyer Familiengeschichte - und eng verwoben mit der Historie der Insel. Wir sitzen mit Tjark Gramberg in dem neuen Teestübchen - gleich links neben der Rezeption. Mit Liebe und Sorgfalt hat der Hotelier das historische Mobiliar aufgestöbert und zusammengetragen, mit dem der Raum jetzt eingerichtet ist. "Das sind alles uralte Möbelstücke, mit denen meine Vorfahren zum Teil schon 1880 gewohnt haben", sagt er strahlend. "Davon habe ich immer geträumt, ganz ehrlich." Viele kennen den Namen Gramberg, weil sie das Hotel Friese kennen, das Up Anner Siet, die Friesenschänke, die Bierstube, den Rumclub - und die Inhaberfamilie. Von der Tradition und spannenden Vergangenheit, die mit dem Namen Gramberg auf Norderney verbunden ist, ahnen die meisten vermutlich nichts. Wir blättern in alten Fotoalben, schauen Postkarten und Schriftstücke an. Wo soll man starten? Am besten am Anfang - es geht mit einem Paukenschlag los.
Anfang der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts steht Norderney an einem Scheideweg. Die beschauliche Fischerdorfatmosphäre weicht zunehmend dem Flair eines weltläufig anmutenden mondänen Seebades. In dieser Aufbruchsstimmung kommt Carl Hermann Gramberg 1871 als Kellner auf die Insel. Hier lernt er Heinrich Kohlstedt kennen und die beiden beschließen, etwas Eigenes auf die Beine zustellen. Im jugendlichen Alter von 21 Jahren gelingt es Carl Hermann und seinen Kompagnon 1873 die "Giftbude" zu pachten - eine spektakuläre Strandgastronomie unterhalb der Georgshöhe, die in den Folgejahren durch ständige Neu- und Ausbauten zeitweilig über mehr als 2.000 Innen- und Außenplätze verfügt. Doch damit nicht genug. Kohlstedt & Gramberg übernehmen auch den Pensions- und Restaurantbetrieb der "Bremer Häuser" an der Kaiserstraße, ein riesiges Karree weißer Villen am Meer. Hinzu kommen das Hotel "Kaiserhof" schräg gegenüber, später ein Ausflugslokal am Nordstrand und ein Weinhandel für die feinen Gäste. Carl Hermann Gramberg
HOTEL FRIESE
www.hotel-friese.de Friedrichstraße 34 - 26548 Norderney (04932) 8020
hat den ersten großen Aufschwung des Inseltourismus auf Norderney maßgeblich mitgestaltet. "Und immer auch vorwärts gewandt, in meinen Augen", sagt Tjark Gramberg als wir auf ein vergilbtes Foto schauen, das den 1914 verstorbenen Patriarchen im Kreis seiner Frau Sophie und seiner vier Kinder zeigt.
In dem Alter, als der Vater zu großer Form aufgelaufen ist und sein erstes Unternehmen gegründet hat, muss Sohn Fritz Gramberg in den Krieg ziehen. Erst 1919 kehrt er auf die Insel zurück, um die Norderneyer Betriebe weiterzuführen. In den "Goldenen" 20er Jahren boomt das Geschäft. Die Heirat mit Marie Bruns, Tochter einer weiteren bekannten Norderneyer Hotelierfamilie, ermöglicht zusätzliche Synergien. In der Giftbude gastieren Stars und Kapellen von internationalem Rang - und die Gäste feiern und tanzen bis tief in die Nacht. Doch peu a peu ziehen Schatten auf. Für das Land - und für die Grambergs. "Kann sein, dass auch ein bisschen Verschwendung im Spiel war, dazu kam die Inflation und dann die Weltwirtschaftkrise", erklärt Tjark Gramberg. "1928 war man pleite." Fritz zieht mit der Familie in den Taunus und bewirtschaftet dort bis in die 1950er Jahre ein Ausflugslokal in der Burg Nassau - damals eine alte Ruine auf einem Berg, ohne Strom und Wasser. "Die haben da mal einen echten Ritterhelm ausgegraben, den habe ich neulich zufällig wiedergefunden." Warum sich Fritz Gramberg für diese Gegend entschieden hat, weiß niemand. "Vielleicht Frust? Unerkannt sein? Wer weiß..." 1951 stirbt er nach einer vorausgegangenen langen depressiven Phase. Die alte Giftbude übrigens wird 1933 wegen angeblicher Baufälligkeit abgerissen.
Fritz Grambergs Söhne Reinhard und Carl kehren nach dem Krieg auf die Insel zurück und eröffnen gemeinsam unter dem Namen "Seeterrasse Westbad" einen Kantinenbetrieb der britischen Besatzungsarmee. Später taufen sie das Lokal auf den traditionellen Namen "Giftbude" um, den es bis heute trägt. Aus familiären Gründen trennen sich die beruflichen Wege der Brüder. Nach der Geburt seines Sohnes Tjark-Remmer pachtet Carl Ende 1957 gemeinsam mit seiner Frau Gertrud ein eigenes Restaurant und nennt es "Friesenschänke". "Die sind komplett bei Null angefangen, mit Bierfässern auf Pump - und das erste Jahr war ziemlich schwierig", erzählt Tjark Gramberg vom holprigen Start seiner Eltern. "Aber 1959 war ein richtig guter Sommer mit riesiger Nachfrage. Ab da ging es aufwärts." Im Februar 1965 ergreift das Paar die Chance, ein großes zweistöckiges Haus in der Friedrichstraße zu kaufen. Dort entsteht in kleinen Schritten das "Hotel Friese", wie wir es heute kennen.
"Meine Eltern waren tatkräftige Leute. Man muss sich immer bewegen - das habe ich von ihnen gelernt."
Wie bei Kindern selbstständiger Eltern auf der Insel häufig üblich, hilft Tjark bereits als Jugendlicher regelmäßig zu Hause im Betrieb. "Das ist mir später sehr zugute gekommen." Neben der Ausbildung zum Koch im Parkhotel Bremen und dem Studium an der Hotelfachschule ist dem sympathischen Hotelier während seiner Lehr- und Wanderjahre vor allem seine Zeit als Direktionsassistent und stellvertretender Direktor im MCI Sporthotel in Neheim-Hüsten im Sauerland in bester Erinnerung geblieben. Zeitgleich zum Einstieg im heimischen Hotel Friese steht mit dem Aufbau der Dependance "Up Anner Siet" 1990 eine besondere Herausforderung an. "So eine in die Jahre gekommne Adresse wieder fit für die Zukunft zu machen, das war schon spannend." Statt einfacher zu bewirtschaftender Ferienwohnungen entscheidet sich die Familie in dem Neubau für Suiten und Komfort-Doppelzimmer zwischen 30 und 60 Quadratmetern - inklusive vollem Hotelservice. "Das ist von Anfang an mit Blick auf die Zukunft ausgelegt gewesen." Heute zählt das von Tjark Gramberg gemeinsam mit seiner Frau Maria Gramberg geführte Hotel Friese in allen seinen Facetten zu den Klassikern auf der Insel. Das hauseigene, rustikal eingerichtete Restaurant bietet eine feine gutbürgerliche Küche. "Wir lieben einfach die Tradition." Kein Wunder - bei einer solchen Familiengeschichte.
Auch die Kinder Leoni und Tjark-Ricklef setzen die Familientradition fort. Leonie ist als ausgebildete Köchin und staatlich geprüfte Betriebswirtin bereits voll in den elterlichen Betrieb eingestiegen. Tjark-Ricklef studiert noch an der Hotelfachschule in Dortmund und möchte gemeinsam mit seiner Schwester das Hotel zukünftig weiterführen. "So wie ich beim Up Anner Siet gibt es auch für unsere Kinder ein paar sehr konkrete Perspektiven, wie sie sich demnächst - neben dem bestehenden Geschäft - mit neuen Ideen und Projekten einbringen können." Die Geschichte der Familie Gramberg zeugt an einigen Stellen von schwindelerregenden Höhen und bodenlosen Tiefen, aber unter dem Strich
von vielen guten Jahren. Eine Geschichte, in der sich die Historie von Norderney häufig widerspiegelt. Wir klappen das Fotoalbum zu. "Noch eine Tasse Tee?", fragt Tjark Gramberg. Wir nicken und freuen uns über die für Ostfriesland so typische Teezeremonie, die man hier genießen kann. "Unser Teestübchen steht jedem offen", sagt Tjark Gramberg abschließend lachend. "Einfach mal vorbeischauen."