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GETARNT
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SEXTEN
Im Fischleintal hat Architektin Ulla Hell ein kleines Bistro entworfen, das wie ein U-Boot aus dem Eismeer auftaucht. Die Planung entpuppte sich als Gratwanderung.
AUF TAUCHFAHRT
Getarnt: Mühelos fügt sich der Baukörper des Bistros in die watteweiche Winterlandschaft ein. Die reduzierte Formensprache stellt die natürliche Skyline der Sextner Dolomiten in den Vordergrund.
Moderner Sonnenanbeter: Das Bistro bietet Platz für 70 Personen und ist nach Süden ausgerichtet. Die raumhohen Verglasungen lassen sich öffnen und holen die Bergkulisse ins Innere. Das leicht geneigte Dach spitzt sich zum Ende hin zu und ist dem Zwölferkofel zugewandt.
Historischer Nachbar: Materialien, Muster und Farben des denkmalgeschützten Nachbargebäudes wurden übernommen und neu interpretiert. Ein Beispiel dafür sind die dekorativen Holzelemente entlang der Fassade, die das Muster der Balkonbrüstung im Heimatstil widerspiegeln.
Im Fischleintal protzt die Natur mit ihren Reizen. Stolz ragen die Gipfel der Sextner Dolomiten Richtung Himmel, ihnen zu Füßen liegen dichte Lärchenwälder. Die berühmte
Skyline aus Fels und Eis war schon lange vor uns da. Wir Menschen kamen später.
Jene, die hier sesshaft wurden, konnten sich der Natur nicht entziehen. Besessen von ihrer Schönheit, gingen sie an ihre
Grenzen, um die weißen Kalkfelsen zu erobern.
Zu ihnen gehörte der Sextner Franz Innerkofler. Mit der Erstbesteigung der
Großen Zinne im Jahr 1886 erlangte er
Berühmtheit. Nach ihm folgte Sepp Innerkofler, der Sextner Tourismuspionier, dem es 1890 erstmals gelang, die Nordwand der Kleinen Zinne zu besteigen. Traurigen Ruhm erlangte er durch seinen Tod am Paternkofel zu Beginn des Ersten Weltkriegs.
DIE NACHFAHREN der Bergsteigerfamilie leben noch heute im Fischleintal, wo sie in vierter Generation den legendären Dolomitenhof führen. Sie selbst sehen sich nicht als Hoteliers, sondern als Hüter der Geschichte – an einem Ort, der längst zu den touristischen Hotspots in Südtirol zählt. Wer hier Neues bauen will, muss sich vor der Natur verbeugen, einem denkmalgeschützten Ensemble Rechnung tragen und sich mit der Historie der Familie auseinandersetzen. Architektin Ulla Hell hat sich auf diese Herausforderung eingelassen. Mit Ehrfurcht und Feingefühl hat sie für Familie Innerkofler ein neues Bistro entworfen, das sich auf zurückhaltende Art und Weise in den natürlichen Kontext einfügt. „Die Berge hier sind imposant, der Ausblick überwältigend. Die benachbarten Bauten sind im geschützten Heimatstil. Es galt also, eine Architektur zu schaffen, die sich zurücknimmt und sich nicht aufdrängt“, betont Hell. Einfügen und anpassen, so viel wie nötig und so wenig wie
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DIE ARCHITEKTIN IM GESPRÄCH
Formsache: Auf der Terrasse wurden Lärchenbretter verlegt. Die Holzverkleidung an den Wänden besteht aus Dreiecksleisten, die so ähnlich auch im denkmalgeschützten Nachbargebäude zu finden sind.
Ulla Hell ist freischaffende Architektin aus Toblach und Gastdozentin an der Universität Innsbruck. Von Sexten aus leitet sie den italienischen Standort des Architekturbüros „Plasma Studio“ – ein Netzwerk aus Architekten, das in Peking, Hongkong und Singapur agiert.
Das Projekt steht in unmittelbarer Nähe zum UNESCO-Naturschutzgebiet, ein sehr heikler Kontext. Hat man da als Architektin nicht Angst, sich die Finger zu verbrennen?
Ulla Hell: Es geht nicht um Angst, sondern um Respekt für den Ort und die Landschaft. Für mich und die Bauherren war das die oberste Priorität. Insofern war es von vornherein klar, dass wir eine zurückhaltende und angemessene Formensprache des Gebäudes erzielen wollten.
Was heißt „angemessen“, und wer entscheidet, was angemessen ist?
Angemessen in Bezug auf den Kontext und die Landschaft. Das Fischleintal ist bereits ein touristischer Hotspot. Wir haben uns also die Frage gestellt: Was ist angemessen in Bezug auf die Landschaft? Was ist angemessen in Bezug auf die denkmalgeschützten Bauten im unmittelbaren Umfeld? Und was ist verträglich? Es war ein ständiges Überlegen, Abwägen und Bewerten. Wir haben uns dann auf diese Formel geeinigt: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.
Wie wurde diese Formel umgesetzt?
Es war klar, dass sich das Gebäude zurückhaltend ins Gelände reinbücken soll. Sein Volumen wurde in die bestehende Böschungskante hineingeschoben und liegt damit tiefer als das Haus daneben. Das intensiv begrünte Dach geht im Sommer direkt in die Landschaft über, und auch im Winter gibt es durch die dicke Schneedecke einen fließenden Übergang. Sollte sich eine Lawine lösen, donnert sie direkt über das leicht geneigte Dach und lässt das Gebäude unbeschädigt. Man hat also auch diesen Aspekt berücksichtigt.
Welchen Einfluss hatte dieser Ansatz auf die Formensprache des Gebäudes?
Es ist eine sehr bedachte, aber nicht schüchterne Formensprache. Grundsätzlich stelle ich mich nie gegen die Topografie, stattdessen versuche ich, sie ins Volumen einzubauen, so dass es keine natürliche Grenze gibt und man sich die Frage stellt: Wo beginnt das Gebäude, und wo die Landschaft? Die Antwort ist einfach: Beide gehen ineinander über.
Gebückt: Das Gebäudevolumen wurde in die bestehende Böschungskante hineingeschoben und reagiert so auf äußerst subtile Art und Weise auf den topografischen Kontext. Über eine Hackschnitzelanlage wird das Gebäude mit Wärme versorgt.
möglich, lautete die Devise. Das Vorhaben entpuppte sich als Gratwanderung (siehe Interview auf der linken Seite). WIE EIN U-BOOT, das aus dem Eismeer auftaucht, wirkt das Bistro „Bergsteiger“ jetzt im Winter. Das Gebäude wurde in die bestehende Böschungskante hineingeschoben und reagiert so auf äußert subtile Art und Weise auf den topografischen Kontext. Geradezu fließend ist der Übergang zwischen dem Gebauten und der Landschaft. Aus der Vogelperspektive lässt das leicht geneigte Dach den Baukörper beinahe verschwinden. Das Gebäude ist nach Süden geneigt, dorthin, wo der Zwölferkofel majestätisch in den Himmel ragt. Die raumhohen Dreifachverglasungen inszenieren gekonnt den Blick auf die Bergkulisse. „Wir haben Bezug auf das gebaute Umfeld genommen und ein Hauptaugenmerk darauf gerichtet, die Aussicht einzufangen. Der gewohnten Wahrnehmung des Ortes sollte so wenig wie möglich hinzugefügt werden“, erklärt die Architektin. Stattdessen wurde reduziert und behutsam ergänzt. So nimmt das schlichte Gebäude bewusst die Materialien der denkmalgeschützten Nachbarbauten auf: Grober Spritzwurf
Fliri Dielen
„DAS GEBÄUDE IST ZURÜCKHALTEND, ABER NICHT SCHÜCHTERN.“
ULLA HELL 1. Historisch: Großflächige SchwarzWeiß-Fotografien erzählen von den Abenteuern des Sextner Berg- und Tourismuspioniers Sepp Innerkofler. Die Besitzer des neuen Bistros sind seine Nachfahren.
2. Stimmig: Kunstvolle Schnitzereien zieren die Tische. Darüber schweben schlichte Leuchten im Industriestil. Dazu gesellen sich schwarze Stühle.
3. Konsequent: Naturbelassenes Lärchenholz, Sichtestrich mit Zuschlägen aus Toblacher Dolomit, grober Spritzwurf und pastellgrüne Akzente prägen das Interieur. Die Materialien orientieren sich an den benachbarten Gebäuden im Heimatstil.
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trifft auf einen braunen Sichtestrichboden mit Zuschlägen aus Toblacher Dolomit, dekorative Lärchenholzschalungen intensivieren die Kontextualisierung. Selbst das Pastellgrün, das im Inneren den Ton angibt, bildet eine schöne Reminiszenz an den Heimatstil. DAS INTERIEUR wirkt zeitgemäß, doch keinesfalls lässig. Kunstvolle Schnitzereien zieren die Tische und setzen feine Akzente jenseits vom Alpenkitsch. Darüber schweben Leuchten im Industriedesign. Der offene Grundriss entwickelt sich fließend über zwei Ebenen mit unterschiedlicher Höhenstaffelung. Selbst ganz hinten im Raum hat man die Sextner Dolomiten stets im Blick. Die Bistro- eke ist ein massiver Monolith. Der graue Dolomit-Block stammt von jenem riesigen Gesteinsbrocken, der sich 2014 oberhalb des Freisingerhofes
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Robust: Die Theke ist ein massiver Monolith. Er stammt von einem Gesteinsbrocken, der sich 2014 beim historischen Felssturz von Tramin löste. Im Bistro hat er eine neue Bestimmung gefunden.
Chic: Das Waschbecken im Badezimmer wurde direkt in den Dolomit gefräst. Darüber hängen runde Spiegel mit einem kunstvoll geschnitzten Rahmen aus Lärchenholz. Die Wände leuchten in einem kräftigen Grünton.
in Rungg löste. Beim Sturz teilte sich der Koloss in zwei Blöcke. Einer überrollte das Wirtschaftsgebäude, der andere kam nur wenige Meter vor dem Wohnhaus zum Stillstand. Als „Wunder von Tramin“ ging der Felssturz am Ende in die Geschichte ein. Geschichten erzählen auch die großflächigen Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden des Bistros. Auf anschauliche Art und Weise erinnern sie an die Abenteuer von Sepp Innerkofler. Seine Pionierleistungen nehmen hier völlig neue Konturen an. Die wahren Protagonisten im Bistro sind aber nach wie vor die Sextner Dolomiten, die das Fischleintal umrahmen. Zurückhaltend, doch keineswegs schüchtern, fügt sich das Gebäude in die imposante Landschaft. Beinahe so, als würde es sich vor ihr verneigen, um schließlich eins mit ihr zu werden. n