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Wir investieren in das Geschäft, nicht in die Wissenschaft

VINAY THAPAR, Manager des AB International Health Care Portfolio, stellt sich den Fragen von GUNNAR KNIERIM , Director Financial Institutions bei AB Europe.

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Wie wählen Sie Aktien aus und wie konstruieren Sie daraus ein Portfolio? Die traditionelle Art und Weise, wie Anleger in den Gesundheitssektor investieren, besteht darin, zu versuchen, klinische Erfolge vorherzusagen. Wir sind mit diesem Ansatz grundsätzlich nicht einverstanden. Wenn man sich die akademische Literatur ansieht, erfährt man, dass über 90 Prozent der Arzneimittelstudien scheitern, sobald sie in die Phase der klinischen Erprobung am Menschen eintreten. Speziell im Biotechnologiesektor zum Beispiel zeigt sich, dass von etwa 800 börsennotierten Biotechunternehmen nur fünf insgesamt mehr als vier Medikamente intern entdecken und entwickeln können. Unserer Meinung nach ist es höchst unwahrscheinlich, dass Anlagespezialisten, die die meiste Zeit damit verbringen, Charts sowie Finanznachrichten und -ergebnisse zu analysieren, besser in der Lage sein werden, den zukünftigen Erfolg von Medikamenten vorherzusagen, als die Wissenschaftler und Unternehmen, die ihre gesamte Zeit der Entdeckung und Entwicklung neuer Therapien widmen. Deshalb konzentrieren wir uns als Investoren vollständig auf die Identifizierung und Analyse der unserer Meinung nach besten Unternehmen in diesem Sektor. Wir definieren ein gutes Unternehmen und Geschäftsmodell auf zwei sehr spezifische Arten: Die eine ist eine hohe oder sich verbessernde Kapitalrendite und die andere eine hohe Reinvestitionsquote. Einfach ausgedrückt: Wir wollen, dass Unternehmen Erträge erzielen, die über ihren Kapitalkosten liegen, und dass sie dann die erwirtschafteten Gewinne in das Unternehmen reinvestieren. Sie werden feststellen, dass wir uns nicht mit dem Gewinnwachstum pro Aktie beschäftigen, denn wir glauben, dass dies eine leicht manipulierbare Kennzahl ist, insbesondere im aktuellen Marktumfeld. Es ist ähnlich schwer zu glauben, dass jemand wirklich vorhersagen kann, was ein Unternehmen wie Pfizer auf Quartalsbasis über mehrere Jahre hinweg berichten wird. Das ergibt für uns weder viel Sinn noch ist es aufschlussreich im Hinblick auf den eigentlichen Wert eines Unternehmens. Das Portfolio ist nach dem Bottom-upPrinzip aufgebaut. Wir erstellen keine Prognosen zu den Konjunktur- oder Marktaussichten, und wir versuchen auch nicht, Zinsen, Regulierungen oder politische Ergebnisse vorherzusagen. Stattdessen konzentrieren wir uns einzig und allein darauf, die besten verfügbaren Unternehmen zu identifizieren, in die wir im Gesundheitssektor investieren können. Sobald wir ein Unternehmen gründlich analysiert haben und mit dem Geschäftsmodell vertraut sind, hängt die Höhe der endgültigen Position innerhalb des Portfolios vom Aufwärtspotenzial ab, das unsere Analyse für die Aktie prognostiziert, sowie von ihrem Risikoprofil. Ein Element unseres Anlageprozesses, von dem wir glauben, dass es uns wirklich von unseren Konkurrenten unterscheidet, VINAY THAPAR, Portfoliomanager und Senior Research Analyst für US Growth Equities und AB International Health Care Portfolio

besteht darin, dass wir jede Aktie in Form eines Prozentsatzes ihres Beitrags zum Tracking Error im Portfolio einstufen. Jedes Mal, wenn ein Name 10 Prozent vom Tracking Error überschreitet, wird er reduziert, denn im Rahmen unseres disziplinierten Ansatzes bei der Aktienauswahl wollen wir nicht, dass die Performance des Portfolios von einer Handvoll starker Aktien abhängig ist.

Wie hat sich die jüngste extreme Volatilität auf das Portfolio ausgewirkt?

Trotz der extremen Volatilität nach dem Ausbruch des Virus SARS-CoV-2 bleiben wir unserem stringenten, fundamental gesteuerten Aktienauswahlprozess treu. Das Portfolio hat sich in dem derzeit sehr volatilen Marktumfeld gut behauptet. Vom Jahresbeginn bis zum 1. April 2020 hatten wir unsere Benchmark um rund 160 Basispunkte vor Gebührenabzug übertroffen, wobei das Aufwärts-Abwärts-Partizipationsverhältnis positiv war. Dieses Ergebnis lässt sich direkt auf die Stärke der Geschäftsmodelle zurückführen, die wir für das Portfolio zu identifizieren versuchen, und wir wollen aktiv vermeiden, dass wir durch Unternehmen mit hohem Fremdkapitalanteil, die in diesem Umfeld eine größere Volatilität erfahren, stärker belastet werden. Wir meiden auch, was wir als unprofitable Biotechunternehmen mit binären Aussichten betrachten, die wahrscheinlich darunter leiden werden, wenn die Aktienrisikoprämien steigen, wie sie es in letzter Zeit getan haben. Während der scharfen Marktkorrektur, die durch die anhaltende Ausbreitung des Coronavirus ausgelöst wurde, wurde unser Anlageprozess diszipliniert umgesetzt, ohne dass kurzfristige Änderungen an unserer Anlagepolitik vorgenommen wurden. Als langfristige Investoren sind wir weniger daran interessiert, Modelle zu erstellen, um abzuschätzen, wann das Coronavirus schließlich seinen Höhepunkt erreichen könnte, oder uns auf Unternehmen zu konzentrieren, deren Gewinne kurzfristig sinken. Wir investieren vielmehr einen großen Teil unserer Zeit in das Nachdenken über die Zukunft, sodass wir drei bis fünf Jahre im Voraus Ausschau halten und uns nach Unternehmen umsehen, bei denen wir langfristig von den Grundlagen und Aussichten des Unternehmens überzeugt sind, und dann diese Positionen innerhalb des Portfolios methodisch ergänzen.

Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung des Sektors und des Portfolios in diesem sehr unsicheren Umfeld?

Wir bleiben unserem disziplinierten, langfristigen Ansatz bei Aktienauswahl und Portfoliokonstruktion treu und sind weiterhin zuversichtlich, dass unsere wichtigsten Aktienselektionen ein hohes Potenzial haben, langfristig überdurchschnittliche Erträge zu erzielen. Im Rahmen der aktuellen coronavirusinduzierten Marktkrise gab und gibt es klare Kaufgelegenheiten, auch im Gesundheitssektor. Wenn wir ein Unternehmen finden, das wir gern im Portfolio hätten, aber der Ansicht sind, dass der Preis nicht attraktiv ist, nehmen wir die Aktien in einen „Bull Pen“ auf. Wenn der Kurs neu bewertet oder korrigiert wird, führen wir eine weitere Überprüfung der Aktie durch, bevor wir in das Unternehmen investieren. In den letzten Wochen gab es Fälle, in denen wir entweder bestehende Aktienpositionen unter Ausnutzung des attraktiven Kursniveaus ausbauen oder aber aufgrund der Kurskorrektur und unserer positiven Einschätzung der langfristigen Fundamentaldaten einige neue Positionen einleiten konnten. Das Ungewöhnliche an dieser Pandemie sind eigentlich die komplexeren Zweit- oder Dritteffekte, die damit verbunden sind. Jeder hat die Auswirkungen erster Ordnung auf bestimmte Branchen wie Kreuzfahrtgesellschaften, Fluggesellschaften, das Hotelgewerbe und die Reisebranche als Ganzes klar verstanden. Der Effekt zweiter Ordnung, medizinische Verfahren in den Krankenhäusern zu verzögern oder zu verschieben, war etwas, das in dieser Situation einzigartig war, ganz im Gegensatz zur globalen Finanzkrise. Die Folgewirkungen schlugen dann in eine weitere Welle ein, die Tierärzte und Zahnärzte betraf, indem sie Verfahren verzögerten, damit Schutzausrüstungen bevorzugt denjenigen, die sie am dringendsten benötigten, zugeteilt werden konnten – auch das war ein höchst ungewöhnliches Ereignis. Die Auswirkungen betreffen dann wiederum Patienten, die nicht an klinischen Studien teilnehmen oder sich nicht in Krankenhäuser begeben, um deren Kapazitäten zu entlasten. Die Pandemie hat also eine viel breitere Auswirkung auf den gesamten Gesundheitssektor als bisherige globale Krisen, aber der Unterschied ist, dass wir der Meinung sind, dass es sich dabei um Verschiebungen und nicht um völlige Annullierungen von Ausgaben handelt. ❚

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